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Читать книгу: «Der Gott des Zwielichts», страница 3

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„So sei es denn!“ verkündete er schließlich mit verhärteter Miene. „Aber ich warne dich, Faowgh: in diesem Fall wäre es von deiner Seite aus klüger gewesen, mich über die Ursache der Morde wie auch deinen genauen Aufenthaltsort im Ungewissen zu lassen.“

„Vergeltung“, entgegnete Faowgh, „wahre Vergeltung gibt es nur dann, wenn sie als solche erkannt wird. Wenn die Vandrimar selbst auch niemals erfahren, wofür sie büßen: du weißt es an ihrer Stelle. Du, der du dich rühmst, ihre Geschicke zu lenken und ihr Beschützer zu sein.“

„Ich darf annehmen daß, was ich bisher gesehen habe, erst der Anfang war?“

Unverändert starrte die schwarze Pupille aus der Glut des Augenballs zurück. Die spitz zulaufenden Zähne des Drachen ragten wie eine Reihe aufgerichteter Speere aus dem gewaltigen Kiefer. Das Sprechen war von keinerlei Bewegung oder Mienenspiel begleitet, denn Faowghs Stimme kam tief aus seinem Inneren:

„Ich hüte das Tor nach Ardhirunai, wie du weißt. Nicht von dort nach hier, wohl aber von hier nach dort. In diese Richtung war das Tor nur einmal geöffnet, lange genug, um jeden Laeghmar einzulassen, der dies begehrte. Wer sich innerhalb jener Frist nicht zum Gehen entschloß, mußte für immer diesseits bleiben. Aber unter den letzten die gingen waren viele, für die es bereits zu spät war. Sie finden keine Ruhe mehr in Ardhirunai. Ihretwegen bleibt die Pforte geöffnet, aber nur für den Weg herüber. Nach und nach kommen sie zurück. Bald werden die letzten hindurch sein; dann wird das Tor geschlossen, und für immer.“

„Was ist es, das diese Unglücklichen umtreibt?“

„Einzig der Wunsch nach Vergeltung, Rakhmyr. Nenn es Rachedurst, wenn du willst. All das vergossene Blut, es schreit noch immer zu ihnen. Selbst dort drüben können sie seinem Ruf nicht mehr entkommen. Unglückliche nennst du sie, und zu Recht, denn kaum daß sie wieder hier sind, quält sie die Sehnsucht nach ihrer eigentlichen Welt, deren Zutritt ihnen nun auf immer verwehrt bleibt. Für sie, die bereits in ihrem Licht gewandelt sind, gibt es nur eines womit sie den Schmerz ihrer Zerrissenheit betäuben können: unerbittliche und grausame Vollstreckung der Rache ihres Volkes. Und wie du schon sagtest, Rakhmyr: ihr Blutgericht hat gerade erst seinen Anfang genommen!“

„Und nur ihretwegen hütest du das Tor“, mutmaßte Faghnar.

„Ja, denn für sie ist in Ardhirunai kein Platz. Sie trafen ihre Wahl zu spät.“

„Werden sie jemals zur Ruhe kommen?“

„Vielleicht, daß der Tod sie erlösen kann, wenn auch der letzte Blutstropfen vergolten ist. In Ardhirunai aber finden sie nie mehr Einlaß, denn Ardhirunai gehört den Lebenden. Ein Laeghmar, der von dort wieder herübergekommen ist, führt über die ihm zubemessene Lebensspanne hinaus sein Dasein weiter – als Untoter! Sein Sinn wird allein vom Wunsch nach Vergeltung beherrscht. So sehr, daß der Körper die eigene Vergänglichkeit überwindet.“

„Der Leib bleibt immer eine sterbliche Hülle“, widersprach Faghnar; „Was, wenn jemand....“

„....ihn trotz allem tötet? Dann irrt die Seele so lange umher, bis sie einen anderen gefunden hat. Und glaub mir, sie wird einen finden; das Unheil wird also eher noch vergrößert. Aber dazu kann es schwerlich kommen, denn die Untoten sind, wenngleich aller Vernunft und Einsicht beraubt, im Gebrauch ihrer Sinne und an Kampfgeist jedem anderen Wesen weit überlegen.“

„Sogar den Göttern?“

„Was fragst du mich, statt dich selbst an ihnen zu erproben!?“

„Oh, ich hätte es längst getan, wenn die Bastarde mich nur ließen. Den ganzen Weg von den Fischern bis zur Hütte des Köhlers, und von dort nach Kadhlynaegh, hätten sie mir Gelegenheit geben können. Oft genug wandelte ich in meiner menschlichen Gestalt unter dem Mond durch tiefste Wildnis, unwissend zunächst, nur von einer leisen Ahnung begleitet, spätestens nach dem Besuch beim Köhler aber absichtlich. Seine Warnung befolgte ich nur zu Beginn, um zu sehen, ob die mörderischen Wesen vielleicht wirklich versuchen würden, mich in Gestalt einer Nymphe vom Weg abzubringen; nachdem nichts dergleichen geschah, und sie mir auch in sonst keiner Weise aufzulauern schienen, schlug ich mich bei Mond meistens quer durch den Wald. Aber wie ich es auch anstellen mochte: keine blutrünstige Bestie stellte sich mir in den Weg, oder kam mir auch nur entfernt unter die Augen.“

„Natürlich meiden sie dich. Sie besitzen ebenso wie du die Gabe, Ghléan für sich spähen zu lassen. An Schärfe steht ihr Blick dem deinen in nichts nach, so wenig wie deine wahre Natur ihnen verborgen bleibt. Was sollten sie dir auflauern, da sie dich schon nicht töten können?“

„Es stimmt, was du sagtest: ich habe es mit einem gewitzten Gegner zu tun, so umsichtig wie trügerisch und hinterhältig.“

„Der Dieb und der Meuchler, wie gut sie einander doch kennen!“

„Das ist für den Dieb nun wirklich nicht schwer: er weiß, nach welchem Meister die Meuchler geraten sind.“

Ein kurzer Augenblick der Stille trat ein, ehe der Drache erwiderte:

„Dann sollte er sich besser vor ihm hüten!“

Die Warnung war kaum ausgesprochen, als Faowghs Augenbälle grell aufflammten. In kurz aufeinanderfolgenden Intervallen zuckte blendendweißes Licht durch die Berghalle, und nicht weniger blitzartig geriet der massige Leib des Drachen in Bewegung. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er den Schwanz zu voller Länge gestreckt und peitschte ihn mit einer halben Drehung um sich selbst gegen die Höhlenwand. Mit ohrenbetäubendem Krachen stürzten Felsbrocken herab, genau auf die Stelle, die bis eben Faghnars Sitzplatz gewesen war. In einer nicht minder schnellen Bewegung warf Faowgh jetzt in gleicher Richtung den Gegenpart des Schwanzes, seinen langen Hals, auf die Spalte, die er seinem Besucher auf dessen Verlangen hin noch aus dem Schlaf heraus geöffnet hatte, und spie dabei brüllend und mit weit auseinandergerissenen Fängen einen Feuerball. Während er an der Decke zerstieb, erbebte der Berg wiederum in seinen Grundfesten, und der Eingang rutschte lärmend in sich zusammen.

Faowgh stürzte sich auf den frischen Geröllhaufen und begann ihn mit seinen gewaltigen Klauen auseinanderzuwühlen. Wütend schleuderte er die Gesteinsbrocken um sich herum durch die Halle, aber Faghnar, sein Rivale, sein Erzfeind, sein Gefangener um Haaresbreite, blieb verschwunden.

Da ertönte hinter ihm ein letztes Mal seine Stimme:

„Lebewohl, Donnerechse, und auf ein baldiges Wiedersehen! Verschließe die Tür gut, ich nehme derweil den Hinterausgang....“

Mit einem zornigen Brüllen warf Faowgh seinen schweren Leib ein weiteres Mal herum. Seine Gewandtheit war erschreckend, da schwer mit seiner gewaltigen Erscheinung in Einklang zu bringen. Doppelt so hell als zuvor erleuchteten die Blitze jetzt die Halle, während er dem Fliehenden eine Flamme hinterherschickte, die weit in den alten, von der anderen Seite her zur Halle führenden Felskorridor hineinloderte.

„Ja!“ dröhnte seine Stimme durch den Berg, „Flieh! Lauf vor mir davon, nach Diebesart, und verstecke dich wieder unter deinen Zöglingen! Bald wirst du mir zeigen können, wie überlegen ein Unsterblicher denen ist, die von Rache getrieben den Tod überwinden!“

Faghnar ließ keine Antwort mehr hören, und Faowgh wußte, daß er entkommen war. Es war sinnlos, ihn auf dem Weg nach draußen noch aufhalten zu wollen. Den Fels zu spalten und einen Korridor hindurchzutreiben, war für den Drachen ein leichtes – nicht aber das Gegenteil, nämlich ihn wieder vollständig zu verschließen. Einmal geborstener Fels blieb für immer geborsten, das Gestein wuchs nicht mehr zusammen. Er konnte den Eingang verschütten, vielleicht die Tunnelwände stellenweise enger zusammenrutschen lassen, mehr aber nicht. Und zweifellos hatte Faghnar, oder Rakhmyr, bereits eine Gestalt angenommen die es ihm erlaubte, auch durch die engsten Ritzen zu entwischen.

Faowgh hatte sich von ihm überlisten lassen, ja, und das nicht zum ersten Mal. Es war unvorsichtig gewesen, ihn von der Westseite des Berges her einzulassen, wenn es von Norden her bereits einen Zugang gab. Schließlich war Rakhmyr seinem Ruf gefolgt, weil er selbst ihn sehen wollte, ja mußte! Denn nur er, dessen ärgster Widersacher er seit undenkbaren Zeiten war, konnte ihm den Verdacht bestätigen, der hinsichtlich der mörderischen, mondwandelnden Wesen aus der Wildnis seinen Sinn beschlich; und weil er genau das wußte, hätte er den Eingang auch ohne allzulanges Suchen gefunden, zumal Faowgh ihm ein Zeichen hätte schicken können.

Es wäre sicher leichter gewesen, Rakhmyr gefangen zu setzen, solange es nur einen Zugang zur Höhle gab. Andererseits gab es dafür auch keine Garantie, denn an List und Gewandtheit war ihm sein Erzfeind kein bißchen unterlegen. So schnell und unversehens Faowgh seinen Zorn aufflammen ließ, so rasch konnte er ihn auch wieder herunterkühlen. Reue, auch über seine eigenen Fehltritte, lähmte ihn nicht. Sein Verstand war stets auf das gerichtet, was vor ihm lag, und so war die Bewegungslosigkeit, in der er jetzt wieder erstarrte, eine gewollte. Aus den langen Zeiten der Ruhe schöpfte er nicht nur Kraft, sondern auch Wissen für künftige Taten. Und das machte ihn so gefährlich.

Langsam verglomm das Licht seiner Augen, während er sich in seinen Drachenschlaf sinken ließ. Die Dunkelheit kroch aus den entfernteren Winkeln der Höhle hervor und begann sie erneut in Besitz zu nehmen. Alles was noch von dem dagewesenen Besuch zeugte, war ein Wanderstab aus Eschenholz, der in zwei verkohlte Teile zerbrochen vor dem Ausgang lag.

Hadhuin rutschte fröstelnd näher ans Feuer heran.

Während er geistesabwesend mit einer verkohlten Astgabel in der Glut stocherte, betastete er mit der Linken sein Nackenhaar, wie es ihm seit seiner Flucht vor etwa einem Monat zur häufigen Gewohnheit geworden war.

Aus seinem Versteck, das er sich unter einem weit auskragenden Felsvorsprung eingerichtet hatte, ging der Blick nach Westen. Den Berg im Rücken zu haben gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. So weit das Auge reichte, sah er nichts als noch mehr Berge und nackten Wald. Was jenseits des Horizonts lag, wußte er nicht. Aber der Gürtel unbesiedelter Wildnis, den er zwischen sich und der ihm bekannten Welt gelassen hatte, war breit genug um aller Wahrscheinlichkeit nach niemanden mehr auf den Fersen zu haben.

Der lichtgraue Himmel kündigte einen weiteren naßkalten Tag an. Windböen wirbelten ihm beißenden Rauch in die Augen, fluchend wandte er das Gesicht vom Feuer ab und schützte es mit angewinkeltem Ellbogen. Als er sein Versteck gefunden hatte, war er nicht zuletzt deswegen froh daß die Öffnung nach Westen wies, weil es durch den dahinterliegenden Berg gegen den schneidenden Ostwind geschützt wäre. Dafür war es jetzt dem West ausgesetzt, der zwar den Frost vertrieb, aber stattdessen Regen und Feuchtigkeit brachte.

Was immer die Zukunft für ihn bereithielt, es konnte nicht schlimmer sein als das, was der größte Teil seines bisherigen Lebens ihm beschert hatte. Auch der Tod nicht. Wenn er vor Hunger oder Kälte sterben würde, dann wenigstens als freier Mann, oder doch auf dem Weg dazu, einer zu werden, was für ihn das gleiche bedeutete. Das war es, was ihn darin bestärkt hatte, die erste Gelegenheit zur Flucht nach Einbruch der Winterkälte zu ergreifen. Hadhuin zwang sich damit gleich zu Anfang die härtesten Bedingungen auf, um sie entweder zu seiner eigenen Stählung zu überwinden oder daran zugrunde zu gehen. So oder so, er wollte nichts sehnlicher als es hinter sich bringen.

Er hatte seine Flucht nicht von langer Hand geplant. Der Impuls dazu war plötzlich über ihn gekommen, ausgelöst durch einen besonderen Umstand, den er vergeblich bemüht war, sich in Erinnerung zu rufen. Er wußte nur, daß er es nicht bereute ihm gefolgt zu sein. Nicht einen einzigen Augenblick.

Es wäre kaum dazu gekommen, wenn man ihn nicht verkauft hätte. Das befreite ihn von den Fußketten des Steinbruchs, denn sein neuer Herr, ein reicher Händler, brauchte ihn als Lastenträger. Damit galt er als Haussklave, und für einen solchen war das Tragen von Fußfesseln nicht üblich. Dies galt erst recht für ihn, dessen jetzige Verwendung eine entscheidende Verbesserung gegenüber der Schinderei des Steinebrechens bedeutete. War Flucht angesichts der harten Strafen bei der Ergreifung, wie auch der Widrigkeiten denen ein entlaufener Sklave ausgesetzt war, ohnehin schon unwahrscheinlich, so zog man sie bei jemand wie ihm schon gar nicht in Erwägung. Diese Sicht der Dinge war für Herren und Knechte gleichermaßen nachvollziehbar und entsprach so sehr der allgemeinen Auffassung, daß auch ihm zunächst gar nicht in den Sinn gekommen wäre, ihr zuwider zu handeln.

Lastenträger eines Händlers zu sein hieß mehr als alles andere, Lasttiere zu be- und entladen und sie von Verkäufer zu Käufer und wieder zurück zu treiben. Die Anstrengung stand in keinem Verhältnis zu den erbarmungslosen Bedingungen, denen er während der letzten zwölf Jahre unterworfen gewesen war. Hinzu kam, daß sein Herr sich freundlich zeigte und ihn überaus gut behandelte. Wie viel Vertrauen er in ihn setzte bewies er damit, daß er ihn bereits nach wenigen Monaten allein auf Botengänge schickte.

Tatsächlich konnte Hadhuin sein Glück zunächst selbst nicht fassen. In einem vor den Toren der Stadt gelegenen Hain, an dem er oft vorbeikam, stand ein der Pendari geweihtes Heiligtum, und er versäumte keine Gelegenheit, der Göttin dort ein kleines Dank-, manchmal auch Bittopfer darzubringen, soweit es seine Mittel, die die eines Besitzlosen waren, eben zuließen. So folgten die Tage aufeinander ab, und es waren die unbeschwertesten, die Hadhuin in seinem Leben je gekannt hatte. Ehe er sich versah, war ein ganzer Sommer dahingegangen.

Mit Einbruch des Winters wurde sein Gemüt von einer seltsamen Veränderung befallen. Zum ersten Mal wäre er für ihn nun gemildert durch Bedingungen, wie er sie nach der endlos erscheinenden Zeit im Steinbruch nicht mehr zu träumen gewagt hätte. Dagegen folgte sein inneres Wesen, ob er es wollte oder nicht, einem durch beständige Wiederholung eingeübten Ritual, und wappnete sich wie all die vorausgegangenen Jahre um die gleiche Zeit gegen die erbarmungslose Härte, mit der die Kälte der bevorstehenden langen Nächte und kurzen, lichtarmen Tage ihn und seinesgleichen immer getroffen hatte. Das Ergebnis war ein Zustand tiefer Verwirrung, wo er doch eigentlich hätte dankbar sein sollen, nicht mehr und nicht weniger.

Bis ihn eines Tages völlig unvorbereitet die Erkenntnis traf, daß es nicht anging. Pendari hatte das Rad für ihn weitergedreht, ja, und es würde auch weiterhin nicht stillstehen, weder für ihn noch für sonstwen. Das Glück war veränderlich wie der Mond: heute ein hell erleuchtetes Rund, dann eine dünne Sichel, und manchmal gar nicht zu sehen. Und es war, in der Tat, wie das Rad eines dahinrollenden Wagens, woran jede einzelne Speiche bald zu Boden wies, bald senkrecht nach oben gerichtet war. Aber was war er selbst, er, Hadhuin?

Er mußte sich eingestehen, daß er es nicht wußte. Wenn aber das Glück einem Rad und sein eigenes Leben einem Wagen glich, dann wußte er immerhin, was er sein wollte, nämlich der Lenker. Pendari teilte Glück und Unglück aus, mit vollen Händen oder spärlich bemessen, nach ihrem eigenen Gutdünken, aber wenigstens wollte er selbst die Richtung bestimmen, die das Gefährt seines Daseins nahm, selbst wenn er es direkt in den Abgrund steuerte. Diesen bereits unwiderruflich gefaßten Entschluß trug er im Sinn, als er das Heiligtum zu einem letzten Gebet betrat. Das war zwei Tage vor seiner Flucht gewesen, und der Winter regierte bereits mit eiserner Faust.

Er kam von der einen Tagesmarsch entfernt liegenden Burg eines Fürsten zurück, wo er Stoffe und Tücher abgeliefert und die vergangene Nacht verbracht hatte. Unterwegs hatte er am Wegrand eine flügellahme Taube gefangen. Es dämmerte bereits, als er das Lastpferd am äußersten Baum des Hains festband. Das Heiligtum selbst war eine Art steinerner Tisch, der als Altar diente. Er wurde von einer mächtigen, ausladenden Esche überragt und bestand aus vier unbehauenen, nur durch die Witterung geformten Teilen, von denen drei senkrecht in der Erde verankert waren. Unter der wuchtigen Abdeckung lag eine Klinge aus Feuerstein, deren Gebrauch für jedermann bestimmt war, der Pendari ein Blutopfer darbringen wollte. Die allgemeine Ehrfurcht vor der Göttin war so groß, daß nicht die allergeringste Gefahr eines Diebstahls aus dem ihr geheiligten Bezirk bestand. Hadhuin nahm das Messer von dem kleineren, abgeflachten Stein, wo es seinen Platz zwischen den drei Stützpfeilern hatte. Trat man von hinten an den Altar heran, konnte man mühelos eine weitere, flach auf dem Boden liegende Felsplatte ersteigen, um ihn zu überblicken. Hadhuin stellte sich mit dem Rücken zum Stamm der Esche, in einer Hand das Opfermesser haltend, mit der anderen seine Gabe darbietend, wobei er beide Arme weit von sich streckte. Er schloß die Augen und bemühte sich, alle seine Sinne auf die Anrufung der Göttin zu richten. In der zum festen Griff geschlossenen Linken spürte er das zum Zerspringen schlagende Herz des Vogels, der regungslos seines Schicksals harrte. Die Arme wurden ihm schon fast schwer, als er leise, um nicht vor dem schroffen Widerhall seiner eigenen Stimme zu erschrecken, eine Beschwörung murmelte.

Ein schneller, entschlossen ausgeführter Schnitt durchtrennte die Kehle des Täubchens, das ein letztes Mal den Schnabel zu einer lautlosen Klage öffnete und sich aus dem Griff seiner breiten Hand winden wollte. Hadhuin hielt es kopfüber, so daß sich sein warmes Blut auf den Stein ergoß, der schon mit dem Blut so vieler anderer Opfertiere durchtränkt war, und wer weiß, ob nicht auch mit dem von Menschen. Nach wenigen Augenblicken war alles vorbei. Hadhuin legte seine Gabe auf den Altar und ließ die letzten Blutstropfen von der Klinge abrinnen, ehe er sie wieder an ihrem Platz hinterlegte und sich anschickte, den Hain zu verlassen. Wenn er an einem der darauffolgenden Tage wiederkommen würde, wäre das Opfer wahrscheinlich verschwunden, und das wäre ein überaus gutes Zeichen. Es würde nämlich bedeuten, daß Pendari seine Gabe in Gestalt eines Fuchses oder Marders entgegengenommen hätte.

Als er in das Haus des Händlers in der Stadt zurückgekehrt war und das Pferd dem Stallburschen übergeben hatte, ließ der Hausherr ihn zu sich rufen, um ihn über den Hergang seiner kurzen Reise zu befragen. Während Hadhuin die verlangte Rechenschaft ablegte und gerade von einem Disput mit dem Kämmerer der Fürstin berichtete, der die Qualität eines nicht von ihm selbst ausgesuchten Tuchs bemängelte, fragte sein Herr ihn unvermittelt, ob da etwa Blut auf seinen Händen zu sehen sei. Er rückte die flackernde Lampe auf dem Tisch näher an ihn heran und forderte ihn auf, sie in ihren Schein zu halten.

Hadhuin, dem im ersten Moment der Atem stockte, tat wie ihm geheißen. Sofort fühlte er kalte Schweißperlen aus seinen Achselhöhlen treten, verlor aber keinen Moment an Haltung. Während er sich insgeheim noch einen Narren schimpfte, weil er es versäumt hatte, das Taubenblut von seinen Händen zu waschen, schoß es ihm durch den Kopf, daß er nichts verbotenes getan hatte. Jedem, wirklich jedem, waren Kulthandlungen zu Ehren Pendaris erlaubt, und dies zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Nicht dem Geringsten unter den Sklaven und Leibeigenen war es versagt, die Hüterin des Glücks an einem ihr geweihten Ort anzurufen und ihren Beistand mit einem Blutopfer zu erwirken. Also berichtete Hadhuin mit fester Stimme, zu welchem Zweck er sich auf dem Heimweg kurz aufgehalten hatte, und bis hierher entsprach sein Bericht voll und ganz der Wahrheit. Schwierigkeiten bereitete es dagegen zu erklären, wofür er den Beistand der Göttin hatte erwirken wollen. Denn ein Blutopfer war unweigerlich ein Bittopfer. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung gab sein Herr sich aber schon zufrieden und winkte lächelnd ab. Er wußte von seinen häufigen Besuchen in Pendaris Hain und sah sie mit Wohlgefallen, denn die gläubigsten seiner Diener waren in der Regel auch die zuverlässigsten und folgsamsten.

Hadhuin achtete seinen Herrn, der ihn von einem grimmigen Schicksal befreit und nicht ein einziges Mal schlecht behandelt hatte. Und er hätte ihn geliebt, wäre da nicht sein unbändiger Freiheitsdrang gewesen, sein Verlangen nach Unabhängigkeit und Anerkennung, wovor jeder Sinn für Loyalität verblaßte. Er ging nicht einmal so weit sich zu fragen, was sein Herr gerade in ihm gesehen haben mochte, als er beschloß ihn in seinen Dienst zu kaufen – ihn, der zur Verrichtung einer der denkbar rohesten Arbeiten abbeordert war! Selbstbespiegelung war Eitelkeit, und Eitelkeit war der Trost der Schwächlinge. Hadhuin zog es vor, sich dem blinden Glauben an eine fremde, ungreifbare Macht zu überlassen, deren höchst willkürliche und nie absehbare Gunst er sich durch Opfergaben zu erkaufen suchte, die aber sonst keinen Treuebeweis von ihm verlangte.

Nur so besaß er die Kaltblütigkeit, sich in der Morgenfrühe des übernächsten Tages, lange vor Sonnenaufgang, unbemerkt vom restlichen Gesinde wie auch den sonstigen Hausbewohnern, von seinem Lager zu schleichen und eilendst das Nötigste zum Überleben zusammenzusuchen. Dazu gehörte zunächst ein Messer, und daß Hadhuin einen Dolch besaß, hatte er einem weiteren Glücksfall zu verdanken, den er als Wink Pendaris verstand. Er hatte ihn nämlich kürzlich von einem Fremden im Tausch gegen vier Goldringe erhandelt, die er zufällig hinter einem losen Mauerstein an einer der Außenwände des Hauses entdeckte hatte. Offensichtlich wurden sie dort von jemand anderem gehortet. Von wem, und zu welchem Zweck, war Hadhuin unbekannt. Allein, daß sie auf diese Art versteckt waren, deutete jedoch auf eine verbotene Absicht hin, denn wer immer aus dem Gesinde etwas in rechtmäßiger Weise besaß, konnte es bei seinem Herrn in sichere Verwahrung geben. Auch war ungewiß, wie lange die Ringe dort schon gelegen hatten, und womöglich war der einstige Besitzer schon gestorben. Hadhuin hatte jedenfalls keinerlei Skrupel, sich des kleinen Schatzes zu bemächtigen, war aber darauf bedacht, ihn schnellstmöglich wieder loszuwerden, indem er etwas anderes dafür erwarb. Eines Tages hörte er von einem geheimnisvollem Fremden, der dringend Gold zu brauchen schien und dafür verschiedene Besitztümer veräußerte. Als er den Mann ausfindig gemacht hatte, bot dieser ihm ohne weitere Umschweife den Dolch für die vier Ringe. Das war gewagt, denn auf den Verkauf von Waffen an einen Sklaven stand die Todesstrafe. Hadhuin war von dem Anblick der stählernen, makellosen Klinge, die den blauen Himmel und das weiße Sonnenlicht so grell widerspiegelte, daß ihm die Augen schmerzten, sofort gebannt. Er brauchte nicht lange zu überlegen. Im Nu war der Handel abgeschlossen, und seither war ihm der Fremde nicht mehr begegnet.

Daß er nun als allererstes den Dolch aus seinem Versteck holte und sich damit gürtete, geschah wie von selbst. So fühlte er sich sicherer, sollte etwas unvorhergesehenes geschehen. Der Mond leuchtete ihm den Weg zur Vorratskammer. Hadhuin deckte sich mit der größtmöglichen Menge an Proviant ein und nahm außerdem ein kleines irdenes Gefäß mit, das er hinter der nicht verschlossenen Tür fand und zum Kochen würde gebrauchen können. Und was noch wichtiger war, nämlich Feuerstein und Schlageisen, fand er am Herd.

All das verschnürte und verpackte er so, daß es beim Tragen, oder auch wenn es zu Boden fiel, keinen Lärm verursachen würde. Als Felle und Decken waren ihm die seines eigenen Nachtlagers dienlich. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich mit seiner Ausrüstung durch ein zur Straße weisendes Fenster davonstahl. Zuvor warf er eines der Felle hinaus, in der Hoffnung, damit seinen eigenen Fall abdämpfen zu können. Tatsächlich schaffte er es, fast lautlos unten anzukommen, obwohl er aus einiger Höhe springen mußte. Er lauschte einen Moment und atmete erleichtert auf, als er sicher war daß keiner der Hunde angeschlagen hatte.

Sein Ziel waren von Anfang an die abgeschiedenen, ihm leidlich vertrauten Gebirgstäler gewesen, wo er hoffte, unentdeckt zu bleiben. Und irgendwie den Winter zu überstehen. Er ging zunächst abseits aller Straßen und orientierte sich am Stand der Sonne, bis die bläulich die Ebene begrenzende Bergkette in Sichtweite kam. Er wanderte über während des Sommers intensiv genutztes Weideland, und stets fand er vor Einbruch der Nacht eine der niedrigen Hütten aus Bruchstein, die den Hirten im Sommer als Unterkunft dienten. Dank ihrer Feuerstelle und des Rauchfangs erfüllten sie für Hadhuin den gleichen Zweck auch jetzt. Nicht selten enthielten sie nützliche Dinge, etwa eine aus einem Schafsbalg gefertigte Feldflasche, die er sich zu eigen machte, oder auch Vorräte an Käse oder Trockenfleisch.

Eines Tages sah er von weitem einen Mann, der ein mit zwei prallen Säcken beladenes Maultier am Zügel führte. Die vor ihm liegende breitspurige Straße schlängelte sich in südwestlicher Richtung ins Gebirge hinein, und Hadhuin brauchte nicht lange, um sie wiederzuerkennen: sein Bauch krampfte sich zusammen dabei, denn er selbst war den Weg vor einigen Monaten in umgekehrter Richtung gegangen, als er seinem neuen Herrn in der Stadt entgegengesandt wurde. Somit wußte er auch, was die Säcke auf dem Maultierrücken enthielten: Hafer und Gerste, um die Wintervorräte des Steinbruchs aufzustocken.

Hadhuin war ausschließlich auf sein eigenes Überleben bedacht, und das um jeden Preis. Er entledigte sich seines Marschgepäcks, legte es zwischen die Wurzelstränge eines Baumstamms und wog flüchtig verschiedene Möglichkeiten gegeneinander ab; es dauerte jedoch nicht lange, bis seine sich leicht verengenden Augen einem etwaigen Beobachter die getroffene Entscheidung verraten hätten. Außer Hörweite des Lasttiertreibers verließ er das schützende Unterholz, um sich auf der Straße mit gezücktem Dolch an ihn heranzuschleichen.

Er hatte noch nie einen Menschen getötet, und alles was er wußte war, daß es schnell gehen mußte. Und so geschah es, wunderbarerweise für ihn. Er fiel dem Mann in den Rücken, nahm sein Gesicht in die Armbeuge um ihm den Kopf nach hinten zu reißen, und ehe er schreien konnte, hatte er ihm schon den Dolch durch die Kehle gezogen. Dann zog er die röchelnde, im Todeskampf wild um sich schlagende Gestalt abseits vom Weg ins Gehölz und versetzte ihr noch von vorne mehrere heftige Stiche in die Herzgegend, bis alles Leben in den entsetzt aufgerissenen Augen erloschen war und sein Opfer kraftlos in sich zusammensackte.

Hadhuin lehnte sich keuchend mit dem Rücken an den nächststehenden Baum. Sein Herz raste wie wild, und er verspürte Durst. Vor ihm lag blutüberströmt ein Mann am Boden, getötet von seiner Hand. Es war gemeiner, heimtückischer Mord, aber Hadhuin fühlte sich zum Kriegerdasein berufen, und Mord war das Handwerk eines Kriegers. Vor allem aber brauchte er Nahrung, und nur durch den Tod des Treibers konnte eine sofortige Verfolgung abgewendet werden, da man im Steinbruch noch einige Zeit auf ihn warten würde, ehe man sich auf die Suche nach ihm machte. Hadhuin, der sich dieser Rechtfertigung keineswegs sicher war, kämpfte sein Schwindelgefühl und die anschwellende Übelkeit nieder. So oder so, er durfte keine Zeit verlieren.

Nachdem er sein Opfer noch ein Stück weiter ins Gebüsch gezerrt hatte, holte er sein Gepäck und näherte sich langsam und mit beruhigenden Worten dem Maultier, das im Augenblick des Überfalls kurz zur Seite hin ausgebrochen und dann wie angewurzelt stehengeblieben war. Jetzt tänzelte es ein wenig und schüttelte schnaubend die blonde Mähne, ließ ihn aber herankommen. Als es ihn seinen Hals tätscheln ließ, wußte er, daß er es für sich gewonnen hatte. Neugierig beschnupperte es seinen Überwurf, was ihn vermuten ließ, daß dem dicken Wollstoff noch Stallgeruch anhaftete. Schließlich band er der Stute seine Sachen auf und machte sich mit ihr auf der anderen Straßenseite davon, wiederum quer durchs Gelände, in nordwestlicher Richtung ins Gebirge hinein.

Fünfzehn Tage waren seither vergangen, wenn Hadhuin sich nicht verzählt hatte. Als am Tag nach dem Überfall der überraschende Wetterumschwung einsetzte, rechnete er nicht damit daß er von Dauer wäre; so kam es, daß er sich nach viertägigem Marsch durch den Bergwald im Schutz der nach Westen weisenden Bergflanke einrichtete, um sich fortan die meiste Zeit gegen Wind und Nässe zur Wehr setzen zu müssen.

Immerhin war seine Lage nicht lebensbedrohlich. Das schlimmste was ihm jetzt passieren konnte war, aufgefunden und gefangen zu werden, ehe ihm das Haar so lang wie das eines Kriegers um die Schultern fiel. Wenn er es aber schaffen würde, bis zum Sommer allein in der Abgeschiedenheit der Wälder zu überleben, wäre er gerettet.

Denn war er einmal als Krieger anerkannt, stünden ihm alle Wege offen.

Das Maultier war bei ihm geblieben, und zwar von selbst. Er brauchte ihm nicht einmal Fußfesseln anzulegen, geschweige denn es anzubinden. Zunächst war er sich gar nicht sicher gewesen, ob er es überhaupt behalten wollte, da er wahrscheinlich einen Großteil des Hafervorrats, wenn nicht alles für seine Ernährung würde aufwenden müssen. Andererseits fürchtete er, daß wenn es in den Steinbruch zurückfand, jemand die Richtung aus der es kam als Hinweis auf seinen Aufenthaltsort deuten und womöglich versuchen würde, seine Spuren zurückzuverfolgen. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, es zu schlachten; und wäre es weiterhin so kalt geblieben wie es der Jahreszeit eigentlich entsprach, hätte er dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch getan und würde jetzt von seinem Fleischvorrat zehren, um dessen Haltbarkeit er sich nicht sorgen müßte.

Seine Unschlüssigkeit ermöglichte es schließlich, daß sich die Lösung von selbst fand. Das Lasttier schien, wie sich herausstellte, seine gewohnt arbeitsreiche Umgebung nicht zu vermissen und genoß die uneingeschränkte Freiheit, die er ihm nach Ankunft in seinem Versteck ließ. Am ersten Abend öffnete er ihm den Hafersack, als es begierig daran schnupperte, und ließ es fressen so viel es wollte. Danach nahm er ihm das Zaumzeug ab. Von da an trabte es nach Belieben zwischen der Höhle und der Talsohle hin und her, wo sich ein breiter Bach um den Fuß des Bergs herum schlängelte. Die Aushöhlung des Felsens war geräumig genug für beide, und nachts genoß er die Körperwärme, die das Tier ihm spendete. Seinen Dung trocknete er tagsüber am Holzfeuer, bis er selbst als zusätzliches Brandmaterial tauglich war.

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