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Jens van Nimwegen
Der Konvent
Roman
Nimwegen 2013
Impressum
Copyright: © 2016 Jens van Nimwegen
Erste Auflage, Juni 2016
Webseite zum Buch: manimal.eu/konvent
Was zuvor geschah:
Die Abrichtung (Männerschwarm 2012)
Thomas will klare Verhältnisse: Er schließt mit dem älteren Jens einen Vertrag, um sich im Zeitraum von 18 Monaten zu einem Werkzeug ohne eigenen Willen abrichten zu lassen. Er akzeptiert Jens bedingungslos als seinen Herrn, der jederzeit über seine Person und seinen Körper verfügen kann.
Während eines Berlin-Besuchs lernen die beiden einen Punk kennen, der von der Kompromisslosigkeit ihrer Beziehung schwer beeindruckt ist und darum bittet, als "freier Mann" mit ihnen zusammenleben zu dürfen; später erweitert sich die Wohngemeinschaft um Ratte und Maik, zwei Studienfreunde von Thomas, die als Herr und Sklave bei Jens in die Lehre gehen.
Bestandsaufnahme
Die Lehrzeit des Schweines ist schnell verflogen. Es hat viel gelernt und sich innerlich und äußerlich verändert. Das Schwein versucht immer wieder zu sagen, dass es für immer bei mir bleiben will, aber ich lasse nicht zu, dass darüber gesprochen wird. Achtzehn Monate sind achtzehn Monate. Am letzten Tag seines Dienstes soll es wieder vollkommen frei sein. Seine Zukunft soll dann ganz offenliegen. Bis dahin keine Pläne, keine Hirngespinste, keine Hoffnungen und Sicherheiten, nur harter Dienst. Und Liebe.
Das Schwein ist fast immer nackt oder halbnackt, braun, geschoren, beringt, männlich, und körperlich wie geistig sehr stark. Es trägt permanente Fesseln, ist Bauingenieur, beherrscht einen Kampfsport, hat Geld auf seinem Konto – und es hat mir fast anderthalb Jahre bedingungslos gehorcht und erhält täglich die Peitsche.
Das Schwein arbeitet bei einer Baufirma und wird dort von der Direktion wie von den Arbeitern respektiert. Es sieht anders aus als die meisten Ingenieure, und es arbeitet meist mit freiem Oberkörper oder offener Lederweste, aber das tut dem Respekt keinen Abbruch, denn es ist fachlich gut, kann mit anpacken und lässt sich von niemandem einschüchtern.
Wenn man sich darauf einlässt, ist das Leben dauernd in Bewegung.
Dieser Bubi aus der Gegend von Bad Kreuznach hat sich an der Berliner Löwenbrücke für ein Leben als Mann entschieden. Dass Punk uns zulief, war nicht vorgesehen, und dass er als erfolgreicher Goldschmied ohne jeglichen materiellen Besitz in unserem Hause lebt, schon ganz und gar nicht. Dank seiner Arbeit haben wir im Herbst und Winter immer diese Abendessen. Und dadurch kennen wir den Ölscheich, der mir das Schwein abkaufen will. Wenn er es ernst meint, könnte ich Millionär werden. Obwohl es da natürlich einige rechtliche Probleme zu lösen gäbe.
Das Schwein hatte dann Ratte und einen gewissen Maik zu einem Essen ins Haus gebracht, und alsbald begann für Ratte und seinen Sucker eine ganz neue Zeit. Alle werden wohl irgendwann ihre eigenen Wege gehen, nur müsste Sucker einige sehr unangenehme juristische Dinge in Gang setzen, wollte er seinen Herrn verlassen. Und auch Ratte und ich sind vertraglich und durch Ehrenwort miteinander verbunden. Ob sie in anderthalb Jahren noch bei mir wohnen? Es zieht sie ja nach England.
Auch für Werner Schwichtenberg begann eine neue Zeit. Aus einer dekadenten Tucke wurde ein Juwelier mit Rückgrat. Obwohl ich nicht glaube, dass Punk jemals zu ihm ziehen wird, auch wenn er sich regelmäßig „erkenntlich zeigt”. Punk ist und bleibt frei.
Und ich würde mich nicht wundern, wenn Kalle in Richtung Skinheads abdriftet. Wenn ich das Schwein abhole, werde ich die ja wohl kennenlernen. Wir müssen dann später noch mal nachschauen.
Schon morgen kann wieder eine neue Zeit beginnen. Oder nicht, und das Leben trottet monatelang vor sich hin. Jetzt erst mal nach Berlin, das Schwein freilassen.
JvN
Inhalt
Register
001 das Schwein
002 Punk
003 Sucker
004 Anwalt (Dr. Schwarz-Wesseling)
005 Anstreicher (Strolch)
006 Polier
007 Tätowierer
008 Skinhead, Bauarbeiter
009 Skinhead, Bauarbeiter
010 Skinhead, Bauarbeiter
011 Soldat
012 Soldat
013 Sniffer (bei Oberregierungsrat)
014 Koch, Gastwirtssohn
015 Gärtnermeister
016 Schreiner, ehem. Neonazi
017 Maurermeister
018 ehem. Versicherungsvertreter
019 Krankenpfleger, eineiiger Zwilling
020 Krankenpfleger, eineiiger Zwilling
021 Friseur im Ruhestand
022 Sportlehrer
023 Jim
024 Vormann, Lederhandwerker (aus Bad Kreuznach)
026 Juwelier
031 Schüler
Wende
Manchmal geht alles ganz schnell.
Das Schwein, das ich anderthalb Jahre zum Leib- und Haussklaven abgerichtet habe, hat bei Kalle in Berlin seinen letzten Schliff erhalten. Ich will morgen hin, um es vertragsgemäß freizulassen. Wie es danach weitergehen soll, ist offen. Ich wollte keine Pläne, keine Absprachen über das Ende der Lehrzeit hinaus.
Da ruft Direktor Dr. Dr. Meyer an, der elegante, zurückhaltende Reeder und Privatbankier, von dem wir immer noch nicht wissen, ob er derselbe ist wie der alte Mann, der manchmal nackt im 'Boots' herumkriecht und Stiefel leckt.
Er will mich dringend sprechen. Dass ich ebenso dringend nach Berlin will, ist kein Problem. Im Gegenteil. Ob wir nicht zusammen reisen könnten. Er würde dann einen Hubschrauber mieten. Er habe zwar von seinem Vater gelernt, dass man sparsam sein müsse. Er nehme auch höchst selten ein Taxi. Er habe darum anders als seine Konkurrenten weder einen Privatjet noch einen eigenen Hubschrauber. Aber wenn es nötig sei, würde er einen chartern. Die Aussicht gerade auf dieser Route sei ja auch schön, nur müsse man leider diesen Lärm aushalten.
Arztbrief
Er ist der Welt abhanden gekommen.
Er hat sich konsequenter in seine Phantasiewelt zurückgezogen als ich es je bei einem psychiatrischen Patienten beobachtet habe. Er unterhält keinen wie auch immer geartete Kontakte zu seiner früheren Umgebung, in der er so viel bedeutete. Er vermisst die Menschen, die ihm früher wichtig waren, nicht und will nicht wissen, ob ihn jemand vermisst.
In seiner Phantasie ist er ein alter, zahnloser Hund, der in einer WG auf dem Lande gefüttert wird und herumstreunt, wo er will. Stundenlang durch Wald und Feld, aber auch durch alle Zimmer. Er fühlt sich von jedem geduldet, selten verscheucht. Oft sitzt oder liegt er stundenlang in der Sonne und schaut den anderen zu.
Er ist körperlich für sein Alter sehr fit. Ich kann keine psychische Störung und keine Demenz nachweisen.
Aus medizinischer Sicht besteht kein Handlungsbedarf. Eine Wiedereingliederung in die „normale“ Gesellschaft hätte wenig Chancen, weil er dort keine Kontakte mehr hat und höchstens Anstoß erregen würde. Man sollte ihn in Ruhe alt werden lassen.
Dr. med. Kaldenhoff, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geriatrie
Wir sehen am Horizont schon Berlin aber landen irgendwo in Brandenburg auf einer Wiese. Und da liegt es: „Ein ehemaliges Zisterzienserkloster, das sich im neunzehnten Jahrhundert eine preußische Fabrikantenfamilie zum Landsitz umgebaut hat. Nach dem Krieg waren Russen, Entschuldigung, sowjetische Freunde unserer Brüder und Schwestern darin. Darum ist es auch so verwohnt.”
Mir hat es den Atem verschlagen. Der riesige Gebäudekomplex muss einmal wunderschön gewesen sein und ist nun völlig heruntergekommen. Es gibt ein paar Scheußlichkeiten aus Beton, die dringend abgetragen werden müssten. Das meiste ließe sich restaurieren. Aber mit welchem Aufwand? „Herr Direktor Dr. Dr., warum zeigen Sie mir dies?” – „Ich habe es gekauft. Ich weiß, was ich auf meine alten Tage will. Und ich meine zu wissen, was Sie wollen und können. Sie verfügen über drei vielversprechende Bauingenieure, Sie haben Geschmack, und Sie wissen was Qualität ist. Ich will, dass Sie hieraus etwas machen. Und nun gehen wir erst mal in Ruhe essen.”
Pffff...
Er kennt in der Nähe ein Landgasthaus, in dem man wirklich gut und ungestört essen kann. Und bei diesem Essen erklärt er seinen Wunsch. Einen Ort schaffen, an dem Männer wie er, ich, Ratte, Punk, mein Schwein und Sucker zusammen leben können, und zwar unbehelligt von den gesellschaftlichen Zwängen, die er inzwischen leid ist. An dem Männer auch zusammen alt werden können, wenn sie das wollen, ja, und auch sterben, denn auch an das Sterben müsse man denken. Aber kein Altersheim, und auch kein Getto. Die S-Bahn nach Berlin sei erreichbar. Er denke an Männer jeden Alters, auch ganz junge, die es zu Hause nicht mehr aushalten, an Freundespaare, Wohngemeinschaften, Herren mit ihren Sklaven, suum cuique, wie der schöne Wahlspruch der ehemaligen Landesherren hier ja lautete. Kurzum, ich solle mit meinen drei Bauingenieuren hier schnellstmöglich einziehen, auch wenn es erst einmal etwas primitiv wäre, und im Hinblick auf die Zukunft wäre ein Goldschmied auch nicht unerwünscht, also soll Punk, so heiße er doch, ruhig mitkommen. Dieser Juwelier Schwichtenberg, bei dem er derzeit arbeitet, könne ruhig wieder selbst für sich aufkommen. Also: von hier aus sollen wir die Sache aufbauen. Geld spiele keine Rolle, und er habe volles Vertrauen in uns. Er wisse auch schon, welche hiesige Baufirma geeignet wäre. Es würde ihn nicht wundern, wenn der Inhaber irgendwann selbst einzöge. Dass mein Schwein morgen freigelassen wird, interessiert ihn nicht.
„Und wenn all diese Leute sich nicht verstehen? Wenn es Streit gibt?” – „Streit gibt es immer, das wissen Sie. Aber ich traue Ihren Männern zu, dass Sie das so hinbekommen, dass man sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren kann, statt sich zu streiten, wer einen halben Quadratmeter Balkon mehr bekommt. Das Leben ist doch reich genug als dass man mit sowas seine Energie verschwendet. Genau darum will ich Sie ja haben.” Und die finanziellen Dinge müsse man eben von Anfang an vertraglich perfekt regeln. Es gebe ja wohl auch Juristen, die sich auf so etwas verstehen würden. Und wem es nicht gefalle, der könne ja weg. – Und der finanzielle Rahmen? – „Geld spielt keine Rolle, dazu errichten wir eine Stiftung.”
004-0
„Übermorgen kann ich nicht nach Brandenburg fahren. Ich muss zum Gericht. Die Erben Buckendahl.“ – „Dann lassen Sie sich von Frau Willems vertreten.“ – „Nichts gegen Frau Willems, aber ich will die Sache gewinnen.“ – „Wenn Doktor Doktor Sie in Brandenburg wünscht, sollten uns die Erben Buckendahl egal sein. Er ist mit Abstand der wichtigste Kunde unserer Kanzlei. Sie fahren.“ – „Und was soll ich da, Herr Dr. Wallraff?“ – „Unsere Dienste anbieten. Da soll irgendetwas gegründet werden. Sie sollen sagen, dass Sie auch etwas von Klosterrecht verstehen. Das ist ihm wichtig. Sie sind seiner Meinung nach genau der richtige Mann. Also: hin, und offen sein für alles und mitdenken! Es soll Ihr Schaden nicht sein. Und vergessen Sie das Klosterrecht nicht! Wenn es sich gut anlässt, werden Sie dort vielleicht vorübergehend eine Außenstelle der Kanzlei eröffnen. Doktor Doktor meinte, da gebe es auch Wohnraum für Sie. Aber schauen Sie erst mal!“
Und dann saß ich im Auto nach Brandenburg. Es würde bestimmt ein interessanter Auftrag werden, sonst hätte Wallraff mich da nicht hingeschickt. Ich löse gern knifflige Probleme und kann das gut. Es war gutes Motorradwetter, aber Klientenbesuche nur in unverknittertem Anzug mit gebügeltem Hemd! Steht mir ja auch. Mein Dreitagebart und der Millimeterhaarschnitt hatte noch nie Anstoß erregt. In Köln kann man gut leben, ohne sich zu verstecken. Mit den anderen Gay Bikers führe ich immer in voller Lederkluft auf dem Rad die Parade am CSD an. Alle paar Monate fliege ich nach San Francisco und lasse mich von Master Carl so richtig rannehmen. Jeder in der Kanzlei weiß das.
Also dann eben mit dem Auto hin, Klosterrecht erwähnen, Lederzeug im Kofferraum, danach ne Nacht in den Schöneberger Kneipen, schlafen bei einem Kollegen von den Gay Managers in Dahlem, am nächsten Tag im verschwitzten Leder zurück. Dachte ich.
Aber was ich dort vorfand, hatte ich wirklich nicht erwartet.
Klar, neun Zehntel all der Männer, die von SM einen Kick kriegen, geilen sich an der Phantasie auf, für immer und ewig versklavt zu werden. Leben ohne Rechte, ohne eigene Zeit, einfach nur da sein, gehorchen und bestraft werden, wenn man Fehler macht. Am liebsten nackt in Ketten. Von diesen Träumen lebt die halbe Pornoindustrie und in jeder Großstadt ein paar Kneipen und Fetischläden. Aber es bleibt dann meist bei Rollenspielen. Manche bezahlen sogar dafür. Und am nächsten Morgen verstecken sie das Lederhalsband im Nachtschrank und gehen wieder ins Büro, wo sie ohne Ketten und total ungeil die langweiligste Arbeit machen, und sich schämen für ihr Doppelleben.
Ein gewisser Mike Pastori hatte vor Jahren in Amerika mal ein Projekt, wo solche Sklavennaturen gehalten wurden, nachdem sie alle Bande mit dem bürgerlichen Leben durchgeschnitten hatten. Bis die Polizei einfiel. Aus der Traum.
Und hier nun sind ein paar Männer dabei, genau so etwas ins Leben zu rufen, und brauchen mich dafür. Das wurde natürlich erst deutlich, nachdem dieser Chef, ein Dr. van Nimwegen, und ich uns vorsichtig abgetastet hatten. Als wir dann sicher waren, dass wir ähnlich denken, wurde das Abtasten weniger vorsichtig.
Ich war total überrascht, weil unvorbereitet, aber nicht verwirrt. Ich war glasklar, auch während ich durchgerammelt wurde. Hier sollte ein Traum Realität werden, über den ich schon oft nachgedacht hatte – ja, und, zugegeben, etliche einschlägige Schundromane gelesen – und ich bekam die Chance, dabei zu helfen.
Wir mochten uns. Ich war schnell sicher, dass dieser Chef das Richtige wollte und konnte. Er hatte prima Männer um sich. Und er hatte schnell raus, was ich für einer war. Der geborene Sklave. Nur wusste er natürlich noch nicht, wie gut ich in meinem Fach war und ob ich Qualität liefern konnte.
Nix mit Lederzeug nach Schöneberg! Zimmer im nächstbesten Gasthof und sofort anfangen, gut nachzudenken! Der Küchenjunge mit seiner geilen Fresse versuchte mich anzumachen. Den hätte ich leicht ins Bett kriegen können. Aber jetzt nicht. Jetzt geht es um das Große, Ganze. So eine Chance bekommt man nur einmal. Die krempelt das ganze Leben um, wenn man was kann und nicht kneift.
Aber es wird ein Machtkampf werden. Wenn ich das nicht perfekt hinkriege, verliere ich und werde ausgelacht. Mit dem ist nicht zu Spaßen.
Ein hieb- und stichfestes juristisches Werk bauen, das Sklaverei auf Lebenszeit so strikt ermöglicht, wie es in Deutschland nur geht. Ein Vertragswerk, das radikale Ungleichheit ohne Ausweg festschreibt. Juristische Ketten schmieden, die man nie mehr los wird. Und ich will meine eigenen Ketten für immer tragen müssen. Jedenfalls bei diesem Herrn und seinen Männern. Alles starke Persönlichkeiten, auch die Sklaven. Und ich ja auch. Desto geiler werden die Ketten sein. Auch noch in Jahrzehnten! Aber nur, wenn sie kein Nepp sind. Nix Phantasie, der Ernst des Lebens!
Einfach würde das nicht werden. Der Eine muss alle Rechte und seine ganze Freiheit für immer aufgeben, mit Ausnahme des Rechts auf Leben und Gesundheit, der Andere muss alle Rechte erhalten, auch das Recht zur körperlichen Züchtigung und weitestgehender Einschränkung der Freiheit, und das Ganze so solide, dass der Staat sich nicht zum Eingreifen gezwungen sieht und auch keine Möglichkeit zum Eingreifen hat.
Und die Kanzlei? Meine gute Stelle? Man weiß ja nie...
Ketten! Also: sofort kündigen und nur noch alle laufenden Sachen ordentlich abrunden. Und dann: zeige was du kannst!
Das gute Essen gibt Zeit zum Nachdenken. Beim Dessert sehe ich klar. „Bekomme ich freie Hand?” – „Ja, Sie bekommen freie Hand. Hauptsache, Sie fangen sofort an. Und wenn es sich nach einem halben Probejahr gut angelassen hat, woran ich nicht zweifle, werden Sie sich noch wundern über welche Mittel und Menschen Sie verfügen können. Aber lassen Sie mich jetzt hier schlafen. Sie werden gleich zu Ihrem verehrten Schwein geflogen.”
Was sich übrigens nicht als der reine Luxus erweist, denn man landet in irgendeiner Ecke auf Tempelhof und muss sich dann durchschlagen. Aber letztendlich halte ich das Schwein in den Armen.
Führung
Kalle hat seine Arbeit gut gemacht. Die gesamte Beringung ist wie aus einem Guss. Der Nasenring wird manchem krass erscheinen, aber er hebt die Ebenmäßigkeit des Schweinekörpers hervor – und macht den Zweck deutlich. Der Sack ist durch die schwere eiserne Manschette schon länger geworden. Lästig ist nur, dass man die regelmäßig abnehmen muss zur Reinigung.
Auch das Schwein hat seine Arbeit gut gemacht. Es musste unzählige Treppen steigen, um Kalles Bücher einzeln aus dem Keller zu holen. Es sieht todmüde, aber stark und gesund aus, und Kalle ist zufrieden. Ich verlange für diese Nacht sein Bett, und wir binden den Hausherrn kreuzlings auf das ehemalige Schweinelager. Ein guter Meister weiß immerhin, was er macht und wie es sich anfühlt.
005-0
Gesprächsprotokoll
„Ich kann gut arbeiten. Mauerwerk, Putz, Stuck, Fliesen, Anstrich. Mit allen Vorarbeiten. Ich brauche viel Zeit, und jemand muss mir genau sagen, wie er es haben will. Dann kriegt er auch genau, was er will, perfekt und hält ewig.
Auch sonst diene und helfe ich gern. Einfach tun, was verlangt wird, und so meinen Herrn zufrieden machen. Putzen, Aufräumen, Garten, Einseifen beim Duschen, Lecken. Und nachts mit ihm schmusen. Mehr brauche ich nicht.
Mein Herr hat immer gesagt: ich bin schlicht im Kopf. Leider ist er tot. Ich habe noch für Freunde von ihm Häuser renoviert. In Amsterdam und im Kreis Teltow-Fläming. Ich glaube, ich habe gut gearbeitet, aber die wollten immer was anderes, jetzt dies, jetzt das, und dann haben sie mir nur einen Teil des Geldes geben. In Geldsachen bin ich nicht gut. Die hatte immer mein Herr für mich geregelt.
Auch für Herrn Kalle habe ich gearbeitet. Neue Wohnung, alles weiß. Der hat mich ordentlich bezahlt.
Und irgendwann rief er wieder an. Ob ich einfach nur noch arbeiten wollte, ohne Geldsorgen. Unterkunft, Verpflegung, Arbeit, Männer zum Schmusen, alles gesichert. Immer klar, was gemacht werden muss.
Ich bin hingegangen und sah, dass es da gut war. Die haben mich sofort an eine Kette gelegt, und ich hatte eine Aufgabe. Alle hatten mich gern. Auch die polnischen Bauarbeiter, die da nicht wohnen und nicht richtig dazugehören. Weil ich nicht immer so schnell denke, lachen sie mich manchmal aus und stoßen mich herum. Das ist nicht schlimm. Herumgestoßen werden ist manchmal wie Schmusen.
Die Kette hält mich bei meiner Aufgabe. Da kann keiner sagen: Fünf, komm erst mal mit und mach das und das.
Einen langen Zaun ganz alleine entrosten und anstreichen ist eine gute Aufgabe. Jeden Tag sieht man, was man geschafft hat. Und es wird schön.“
Für die Richtigkeit: S004jur
Das Schwein darf nun zum ersten Mal seit Wochen ohne Kreuzfesselung schlafen. Es saugt sich an mich. Jetzt müssen schnell klare Verhältnisse geschaffen werden.
„Schwein! Seit du bei mir bist, habe ich bestimmt, was du trägst und wie du aussiehst. Du hast gelernt, nackt im Freien zu leben, mitten in der Stadt, ernährt von rohem Fleisch und prickelndem Wein. Du hast deine Haare verloren. Du trägst vier Fesseln und bist nun vierfach beringt. Zwei Ringe kann man immer sehen. Den dritten wird man oft sehen können, den vierten je nachdem. Solche Ringe machen vielen Menschen Angst, und du wirst mit ihnen Schrecken und Ablehnung hervorrufen.”
Diese Worte fassen das Resultat von achtzehn Monaten Abrichtung zusammen. Genau daran habe ich mit diesem Material gearbeitet. Da wollte ich hin, daran glaube ich, das hatte dieser Mensch auch nötig, das hat uns zusammen anderthalb Jahre geil gehalten und uns unwahrscheinlich viel Energie gegeben. Kraft aus Ungleichheit. Und dennoch kommen mir diese Worte jetzt wie auswendig gelernt vor.
„Aber seit heute bist du frei. Deine Lehrzeit ist zu Ende. Nackt bist du bei Kalle eingezogen, nackt ziehst du wieder aus. Nackt und frei, wie neugeboren. Die neuen Ringe darfst du behalten als Zeichen deines neuen Lebens. Aber Kalle wird sie wieder abnehmen, wenn du das wünschst. Die Fesseln lassen sich aufschneiden, wenn auch schwer. Haare wachsen von selbst nach. Freiheit lässt sich neu erlernen. Oder du suchst dir einen neuen Herrn, dem du so gefällst, wie du jetzt bist.” Das Schwein zittert – oder unterdrückt es ein Lachen? – umklammert mich und will etwas sagen. Aber ich rede weiter: „Ich gebe dir, Thomas, jetzt fünfzehn Minuten, um dich zu entscheiden. Wenn du willst, nehme ich dich noch einmal für anderthalb Jahre. Ohne wenn und aber. Ohne Fragen. Das einzige, was ich sage, ist, dass unser Leben dann unübersichtlicher werden wird, als es bisher war, aber dass wir mit Ratte und Sucker zusammen bleiben. Punk ist frei, aber der darf auch dabei bleiben, wenn er will.” – „Herr, eh, Chef, ich will immer bei Ihnen bleiben. Und zu Ihren Liedern meine Leier dreh’n, wenn Sie schon mit der Winterreise anfangen.” – „Achtzehn Monate, notfalls barfuß auf dem Eise, und über eine weitere Verlängerung wird nicht gesprochen!” – „Chef, ich gehöre zu Ihnen. Das wissen Sie verdammt gut. Aber jetzt, wo ich frei bin, erlaube ich mir die Korrektur, dass Ratte ja auch frei ist, nicht nur Punk. Da haben Sie sich undeutlich ausgedrückt. Gerade bei Ihnen muss es doch immer so genau halten. Ach nee, Mist, ich hatte vergessen, dass Ratte ja auch ne Art Ausbildungsvertrag mit Ihnen hat. Den haben Sie länger als nur achtzehn Monate in Ihre Obhut genommen.” – „Stimmt. Ratte lernt, wie er mit seinem Sklaven Sucker umgehen sollte. Mit dem zusammen du mal ein Doppelschwein warst. Ist vertraglich geregelt, auch finanziell. Aber er ist ein Naturtalent. Das Lehrgeld ist leicht verdient. Und du, freier Mann? Fängst du jetzt an, dich mit anderen zu vergleichen?” Das Schwein schaut auf die Uhr und grummelt: „Damit Sie hinterher nicht herumzicken, Thomas hätte seine Bedenkzeit nicht gut gebraucht.” Dieses ungewohnte Wort trifft mich wie ein Peitschenschlag. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ein Herr sich nichts anmerken lassen darf; aber Thomas hat es bestimmt gemerkt, nach seinem frechen Grinsen zu urteilen. Das ihm übrigens verdammt gut steht. Zum ersten Mal hat Thomas mich verunsichert, das Schwein. Wenn man einmal die Zügel lockert, zeigt es die Zähne. Und dieser Thomas weiß genau, dass ich ihm nichts anhaben kann. Ach, nur ein Viertelstündchen lang.
Das Mozart-Lied dreht sich mir im Kopf. Ach, nur ein kleines Weilchen. Und bevor man es weiß, ist man schon zertreten.
Das Schwein atmet nach fünfzehn Minuten auf und saugt sich wieder an mir fest. Haben wir es jetzt hinter uns, kurz und schmerzlos? Sind wir beide erleichtert? Ich erkläre da weiter, wo ich aufgehört hatte, aber ich komme mir vor wie am Anfang meiner Karriere als Dozent, als ich noch nicht wusste, wie man mit Studenten umgehen muss, die nicht denken lernen wollen, sondern nur Sicherheit verlangten, was sie für die Klausur lernen sollten.
„Mein Schwein muss so aussehen, und du wirst stolz sein, dass du für mich beringt und gefesselt bist.” Das Schwein klammert sich wortlos immer fester an mich. Ich umarme und streichle es. Ich fange an, mich zu beruhigen. „Mein Schwein! Es gibt Menschen, die auf Fesselspiele geilen. Im stillen Kämmerlein fesselt ein sogenannter Top einen sogenannten Bottom und verwöhnt ihn. Meist bestimmt der Bottom was geschieht. Er erfährt das Festbinden als befreiend. Anerzogene Abwehrreflexe sind fixiert. Der eigene, durch Erziehung konditionierte Körper ist nicht mehr im Wege. Der Bottom muss sich hingeben, und kann sich um so intensiver verwöhnen lassen. Und er verlangt immer wieder danach, festgebunden zu werden, aber immer nur im Verborgenen.
Bei uns ist es anders. Ich habe dich so gut abgerichtet, dass dir dein Körper und deine Erziehung immer seltener im Weg ist. Du gibst dich hin und nimmst hin. Ich habe ein Qualitätsschwein geformt, dass ich nicht regelmäßig festbinden muss um ihm zu behagen.”
Was ich zwischen den Beinen fühle, bestätigt, dass ich auf dem guten Weg bin. Allmählich werde ich meiner Sache wieder sicher und fahre fort. „Deine vier Fesseln und vier Ringe haben nur zwei Zwecke.
Erstens sind sie da für den Fall, dass ich sie nötig habe. So wie ein Feuerlöscher oder Kopfschmerztabletten. Am liebsten vergisst man sie, aber dass sie jederzeit da sind, beruhigt. Ich werde sie nicht oft benutzen, aber wir beide sind erleichtert, dass ich sie jederzeit und überall benutzen kann, wenn du bestraft oder irgendwo befestigt werden musst.
Zweitens kann so jeder sehen, was du bist. Das macht uns beide glücklich. Wir brauchen keine Hinterzimmer und verbergen uns nicht. Du bist, was du bist, und wir beide stehen dazu. Ich habe dich aus Liebe und Vertrauen beringen lassen. Mein Schwein ist ein Schwein, kein banger angepasster Mensch.” Das Schwein klammert sich ganz fest an mich und schläft in meinen Armen ein. Zwei Herzen schlagen. Es war wohl doch keine Theorievorlesung für die Klausur, sondern ein Abgleich der Erwartungen.
Am nächsten Tag bindet Kalle dem Schwein ein Tuch um die Hüften. Eine dünne Kette mit zwei Karabinerhaken verbindet seinen neuen Eichelring mit meinem Gürtel. So gehen wir zu den Skinheads, um seine Hose auszulösen, das einzige Kleidungsstück, mit dem es in Berlin angekommen war. Die hatten sie ihm ja abgenommen, als das Schwein sie nach dem Weg fragte. Nachdem sie die Beringung bewundert und das Schweinemaul ausgiebig genutzt haben, rücken sie die kurzen, ausgefransten Jeans wieder heraus. Und nun wieder nach Hause, ohne Hubschrauber, aber nicht für lange!
Die drei Bauingenieure fallen sich in de Arme. Mein Schwein und Rattes Sklave Sucker sind nun wieder vereinigt als Doppelschwein und bleiben weiterhin gemeinsam verantwortlich für jeden Fehler. Heute ist fast alles wie früher.