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Saki
Ein Schritt in den Schnee


Meine Lunge brannte, während ich ihren Namen schrie. Wie hypnotisiert starrte ich auf das tosende Wasser, das unter dem weggebrochenen Weg gegen den Berg wogte. Hatte sie den Sturz überlebt? Mir blieb keine Zeit, um weiter nachzudenken. Ich richtete mich auf, nahm Anlauf und sprang über den Spalt, in den Kindra gestürzt war. Keuchend rannte ich den Weg des Schneegipfels ein paar Fuß weit hinunter und hielt nach einer Stelle Ausschau, an der ich zum Wasser gelangen konnte. Eine Lücke in der Außenmauer, in der die Felswand und die Wellen nicht todbringend wirkten. Zog sich das Wasser bereits zurück? Der Wind peitschte mir ins Gesicht und trieb mir den Wassernebel in die Augen. Ich blinzelte und spürte die Tränen, die sich in meinen Augen sammelten.

Ich durfte Kindra nicht verlieren. Es konnte doch nicht in einem Augenblick vorbei sein. Nicht auch noch das. Sie war doch alles, was ich noch hatte.

Die Wellen tosten zum Berg und wieder zurück und ließen den See in einem monotonen Rhythmus erzittern.

Bildete ich es mir ein, oder schimmerten schwarze Magiefäden unter der Oberfläche?

Mein Blick glitt zu den Goldmagiern, die auf der Seite der Eisendynastie standen und die Arme erhoben hatten. Hatten sie Kindras Präsenz im Wasser entdeckt?

Als hätten sie meine Gedanken gehört, setzte sich die Gruppe in Bewegung, trieb das Wasser vor sich her wie von einer unsichtbaren Mauer angeschoben. Sie schritten durch das Flussbett, das trocken zu ihren Füßen lag. Das Wasser wich vor ihnen zurück, während sie näher zum Dorf und zum Schneegipfel traten.

Sie würden sie holen, mitnehmen und unaussprechliche Dinge mit Kindra anstellen.

Und warum? Nur weil sie anders war!

Ich schüttelte den Kopf und betrachtete den sinkenden Wasserspiegel. Sie durften sie nicht finden. Überstürzt hechtete ich weiter hinab, bis ich einen kleinen Vorsprung erreichte, an dem die Mauer des Bergpfads etwas eingebrochen war. Ich stützte die Arme zu beiden Seiten der Öffnung an dem Gestein ab und blickte nach unten. Das Wasser war nur wenige Fuß entfernt.

Mein Körper zitterte, während ich in die Fluten starrte, die mein Dorf und meine Heimat zerstört hatten.

Sie hatten mir meine Familie genommen. Kindra überlasse ich ihnen nicht!

Mit einem Ruck drückte ich mich ab und sprang in die Flut. Unnatürlich warm umschloss mich die Flüssigkeit und jagte mir einen Schauer aus Angst über den Rücken. Die Strömung presste mich an die Felswand und ich krallte mich fest, zog mich am Gestein entlang, um der Stelle näher zu kommen, an der Kindra untergetaucht war.

Doch das Wasser hatte seine eigenen Pläne.

Wellen peitschten mir entgegen, packten mich und rissen mich immer wieder fort, zogen mich einige Fuß weit von der Felswand zurück, dann in die richtige Richtung und wieder davon. Ich versuchte, weiter hinauszuschwimmen, doch das Wasser machte mit mir, was es wollte. Keuchend stieß ich gegen ein Brett und klammerte mich daran fest.

War das der Rest einer Hauswand? Oder ein Tisch, an dem vor wenigen Stunden noch eine lachende Familie gesessen hatte?

Ohne weiter darüber nachzudenken, zog ich mich hinauf und sah auf die wilde Oberfläche des Wassers. Wie sollte ich Kindra in diesem Chaos finden?

Meine Fingernägel bohrte ich schmerzhaft in meine Handflächen, während mein Blick über die Trümmer hetzte. Die schwarze Magie pulsierte im Wasser.

Goldmagier. Wer hatte sie hierhergelockt?

Wer hatte Kindra verraten?

Und wie hatten sie unseren Schutz durchbrochen?

Ich streckte die Finger aus und berührte einen der Magiefäden. Meine Fingerkuppen lösten kleine Wellen auf der Wasseroberfläche aus, ließen die schwarzen Schlieren erzittern und durchbrachen einige der magischen Linien. Sie setzten sich sofort wieder zusammen, als ich meine Hand zurückzog.

Meine Brust schnürte sich zusammen. Die Magie suchte nach ihr. Da war ich mir sicher.

Das Brett unter mir schwankte und die Magie pulsierte, ehe sie verblasste. Mit der Magie verschwand der gleichmäßige Rhythmus und wandelte sich in ein asynchrones Schaukeln. Ich hob den Kopf und versuchte die Goldmagier auszumachen. Kamen sie näher? Hatten sie Kindra gefunden?

Die Wellen rissen an dem Brett und ich verlor fast den Halt. Der Wasserspiegel begann zu sinken und ich trieb immer weiter vom Schneegipfel fort. Hektisch sah ich mich um. Mein Herz wollte, dass ich in die Fluten sprang und kämpfte, um Kindra zu finden. Doch meine Intuition warnte mich vor den Trümmern, die in diesem wirren Schwanken wie bedrohliche Geschosse durch das Wasser rasten.

Mit den Fingern klammerte ich mich an das Holz, doch als mein Brett einen Balken rammte, stürzte ich ins Wasser. Die Strömung zog mich in die Tiefe und ich verlor die Orientierung. Hin und wieder blitzte das tanzende Licht der Oberfläche auf, während ich herum­gerissen wurde. Ich schlug gegen etwas Hartes und hielt mich fest. Mit den Fingern krallte ich mich in nasse Erde und ertastete den Weizen, den wir immer auf den westlichen Feldern angepflanzt hatten. Mit gewaltigem Druck wurde ich zu Boden gepresst. Meine Muskeln zitterten und meine Lunge fühlte sich von Augenblick zu Augenblick schwerer an.

Ich würde ertrinken. Der Fluss hatte mich in seiner Gewalt.

Doch dann zog er sich mit einer Schnelligkeit zurück, die meine Hände von den Halmen riss. Ich prallte mit dem Rücken gegen etwas Hartes und alles um mich herum wurde schwarz.


Das Haar klebte nass auf meiner Stirn, als ich erwachte. Helle Strahlen blendeten mich und ich hob eine Hand, um die Sonne abzuschirmen. Sie hatte den höchsten Stand am Himmel überwunden und verriet mir, dass ich nur kurz bewusstlos gewesen war. Ich hustete und erbrach Wasser. Zitternd presste ich die Hände gegen den Bauch und kämpfte gegen Übelkeit an. Mit fahrigen Bewegungen tastete ich mich ab, suchte nach Verletzungen, und als ich meine Hüfte erreichte, fuhr ich mit meiner Hand in meine Hosentasche. Sofort ertastete ich den kleinen Holzvogel und seufzte erleichtert auf. Er war noch da. Auch wenn er mir heute kein Glück gebracht hatte. Mit wackeligen Beinen erhob ich mich und taumelte zur nächsten Hügelkuppe. Vor mir breitete sich ein Anblick aus, der meine Albträume überstieg. Grünfrey war verschwunden. An seine Stelle war ein Schlachtfeld aus Brettern und Steinen getreten. Leblose Körper lagen zwischen den Trümmern verteilt.

Menschen, mit denen ich mein Leben geteilt hatte. Familie, Nachbarn, Freunde.

Der Hayes lag wieder friedlich in seinem Flussbett und die Goldmagier standen auf der Seite, auf die sie nicht gehörten: auf der des Gezeitenreiches.

Warum wurden sie von den Fluten nicht davongespült? Hatten sie sich mit dieser unsichtbaren Mauer geschützt, mit der sie zuvor den Fluss verdrängt hatten?

Die Goldmagier strömten aus, verließen ihre geordnete Reihe und positionierten sich neu. Aus dem Norden rannten Männer vom Schneegipfel auf die Gruppe zu. Sie stellten sich den Magiern entgegen und zogen riesige Äxte. Blut spritzte und Magie flog wie schwarze Pfeile und Ranken durch die Luft, als die zwei Parteien aufeinandertrafen.

Moment mal.

Mit klopfendem Herz rieb ich mir über die Augen.

Die Männer kamen über den zweiten, geheimen Bergpass, der von unserem Dorf seit Jahrzehnten vernachlässigt wurde, da er nur für die Hüter diente, die von Norden den Berg passierten. Die Hüter, die den Märchen entsprangen und nicht existierten.

Ich blinzelte, doch das Bild der mit Äxten bewaffneten Krieger ließ sich nicht vertreiben. Sie stellten sich den Goldmagiern ent­gegen – wie in den vielen Geschichten, die ich als Kind geliebt und bei denen ich mitgefiebert hatte.

Für einen Herzschlag war mein Blick gefangen, dann riss ich mich los und rannte zum Schneegipfel, um nach Kindra zu suchen. Neben jedem leblosen Körper blieb ich stehen und vergewisserte mich, ob es wirklich schon zu spät war. Doch sie alle waren Opfer der Fluten geworden.

Mein Körper bebte und ein kalter Druck lag auf meiner Brust. Ich erreichte den Fuß des Schneegipfels, aber von Kindra war keine Spur zu sehen. Im Zickzack rannte ich über die Hügel, zwischen Trümmern hindurch und an den Ruinen meiner Vergangenheit vorbei. Doch ich fand sie nicht. Panik kroch in meine Glieder. Wohin hatte sie der Fluss gebracht?

Etwas Riesiges traf mich an der Seite und der Aufprall riss mich von den Füßen. Kräftige Arme drückten mich in den Matsch. Meine Sicht verschwamm und ich hustete.

Der Griff lockerte sich. »Verflucht, Junge. Das war dein Dorf?« Ein Mann beugte sich über mich. Sein geflochtener Bart hing über mir in der Luft.

»Ja«, krächzte ich. Der Kloß in meiner Kehle fühlte sich schwer an.

»Sind das alle?«, fragte er und deutete in die Richtung, in der die Kampfszene liegen musste. Doch ich starrte ihn nur an. War er ein Hüter? Hatten ihn die Spione hierhergeschickt, wie es in den Legenden erzählt wurde?

Aber warum waren sie zu spät? Warum stellte er mir Fragen und wusste nicht, wie viele Gegner es auf unseren Grund gewagt hatten? Wenn er wirklich ein Hüter war, wie kam es, dass ihm Informationen fehlten?

Er seufzte und half mir auf die Beine. »Was ist hier passiert?«, versuchte er es weiter. Er packte mich an den Schultern und rüttelte mich. »Komm schon, Junge. Sag mir, warum sie hier sind.«

»Kindra«, raunte ich. Meine Stimme versagte fast. »Sie ist in den Fluss gefallen.«

»Kindra?«

»Ein Goldkind.«

Die Miene des Mannes verhärtete sich. Er bleckte die Zähne und zerrte mich am Arm mit sich. »Der Kampf ist noch nicht vorbei! Sie dürfen nicht entkommen. Nicht mit ihr!«

Während er mich über die Hügel führte, betrachtete ich den Mann. Er war groß, hatte kurz geschnittenes Haar und eine Narbe zog sich von seiner Wange über sein Ohr und an seinem Nacken hinunter. Seine Kleidung bestand aus dicker Wolle, die mit Lederriemen fest um seinen Körper geschnallt war. Auf dem Rücken prangte eine gewaltige Axt mit dem Symbol einer Schneeflocke auf dem Blatt. Das winzige Emblem nahm meine Zweifel. Er war ein Hüter. Auch wenn die Legenden mehr versprochen hatten.

Husten schüttelte mich und ich würgte Wasser hervor.

Ruckartig wandte der Mann sich zu mir und hielt sich einen Finger an die Lippen. Mit der Hand winkte er mich zu einer Kuppe und deutete mir an, mich hinzulegen.

Vorsichtig folgte ich ihm, drückte mich mit dem Bauch flach auf die Erde und starrte zum Fluss hinüber, der unsere Feinde auf unserer Seite eingesperrt hatte. Die glitzernde Oberfläche deutete nicht mehr darauf hin, dass der Hayes für diese Verwüstung verantwortlich war.

Eilig überflog ich die Männer, die kämpften oder am Boden lagen. Hüter in weiß-grauer Montur, Eisenmänner und Goldmagier in schwarzer Rüstung, die silbrig schimmerte. Zwei Eisenmänner waren gefallen, aber auch ein Hüter lag reglos am Boden.

Die Zahl der Goldmagier hatte nicht abgenommen. Hinter der verteidigenden Reihe aus Eisenmännern hatten sie die Hände erhoben und wirkten ihre Zauber, mit denen sie die Hüter attackierten. Ich knirschte mit den Zähnen. Die Legenden sprachen von unsterblichen Magiern, geschaffen aus dem Blut und den Körpern der Goldkinder. Sie verfolgten ein raffgieriges Ziel: die gewonnene Energie in pure Kraft oder herrschende Magie umzuwandeln. Und das nur, um die Eisendynastie zur mächtigsten Nation zu machen.

Angeblich extrahierten sie bei einer sogenannten Ernte die Magie aus den Zellen der Goldkinder, die von der alten Magie von Odre durchtränkt waren. Die wenigen Geschichten über sie, die zu mir durchgedrungen waren, erzählten von der Heilung, die die Gold­kinder über die Welt bringen konnten.

Das erste Mal verspürte ich den Wunsch, dass die Legenden falsch­lagen. Denn anders als die fantastischen Geschichten über Drachen versprachen die Legenden der Goldmagier nur Hass und Zerstörung für die Goldkinder.

Es durfte nicht stimmen, dass die Magier unbesiegbar waren und Kindra ein solch schreckliches Schicksal erwartete.

Das konnte ich nicht zulassen.

Aufmerksam ließ ich das Kinn auf die Erde sinken und starrte auf den Kampf vor mir. Kindra war nicht zu sehen. Hatten sie sie im Fluss aufgespürt? Aber wo war sie dann?

»Bleib hier«, sagte der Hüter neben mir und rannte geduckt zum Schlachtfeld.

Ich starrte ihm hinterher. Meine Blicke folgten seinem Körper, wie er schnell und geschmeidig an den Männern vorbeitanzte. Er wirbelte seine Axt herum und ließ sie ein ums andere Mal auf die Eisenmänner niedersausen, die ihm auswichen. Dann stand er vor einem Gold­magier. Er drehte sich und schwang seine Axt in unerbittlichen Kreisen. Mit goldglühender und schwarzer Magie wehrte der Goldmagier jeden seiner Schläge ab. Der Hüter wurde schneller und schneller. Die Distanz zum Goldmagier verringerte sich mit jedem Herzschlag.

Sein Gegner setzte einen Fuß zurück und verlor den Halt. Er rutschte aus, fing sein Gleichgewicht aber im Bruchteil eines Augenblicks wieder. Doch seine Magie setzte für diesen winzigen Moment aus. Der genügte und der Hüter spaltete ihm mit seiner Axt den Kopf. Geräuschlos sackte der Magier zusammen und kippte zur Seite.

Ich stand auf und starrte sprachlos zum Schlachtfeld hinüber.

Einer der Eisenmänner blies in ein Horn und die Magier formierten sich neu. Drei schirmten mit einer Mauer aus Magie die Angriffe ab. Die restlichen vier erschufen eine Brücke aus wabernder Magie. Die feindliche Reihe schritt rückwärts über die Brücke. Sobald der letzte Goldmagier sie betreten hatte, löste sie sich vor seinen Füßen auf und machte es den Hütern unmöglich, ihnen zu folgen.

Die Goldmagier flohen. Sie hatten einen ihrer Männer verloren und traten den Rückzug an.

Die Hüter setzten sich sofort in Bewegung. Sie sammelten ihre Männer ein, kümmerten sich um die Verletzten und begannen, die schlaffen Körper auf einen Haufen zu schleppen.

Ich eilte zu ihnen hinunter und zu dem Mann, der mich gefunden hatte. Meine Füße überschlugen sich fast und mein Herz klopfte so laut, dass es in meinen Ohren dröhnte.

»Sie sind geflohen und sie haben Kindra nicht mitgenommen!« Keuchend packte ich ihn an den Oberarmen. »Sie muss hier irgendwo sein!«

»Wir suchen sie«, meinte er, machte sich von mir los und ich folgte ihm schnellen Schrittes zu den anderen Hütern. Zu den toten Eisenmännern und Hütern gesellten sich die ersten Bewohner von Grünfrey. Der Anblick einer Leiche zog mich in ihren Bann. Mein Vater starrte mich mit weit aufgerissenen toten Augen an. In seinem Blick lag das Entsetzen, als könnte er das verwüstete Grünfrey in seinem ganzen Elend sehen.

Ich taumelte und presste die Hand auf den Bauch. Mein Magen drehte sich um und ich erbrach bittere Galle.

»War die Leiche eines Goldkindes dabei? Ein Mädchen«, fragte der Hüter die anderen, während ich wieder auf den Leichenberg starrte.

»Ein Goldkind?«

»Diese miesen …«, spie einer der Hüter aus. »Sucht sie!«, rief er und sofort schwärmten die Männer aus. Drei blieben mit uns zurück. Ich betrachtete ihre Gesichter und sah die Wut und das Entsetzen, das auch in meinem Inneren brannte.

»Mach dir keine zu großen Hoffnungen, Junge. So wie sie dieses Dorf zugerichtet haben, werden wir vermutlich nur wenige Über­­­­l­ebende finden. Lasst uns hoffen, dass sie das Goldkind nicht fassen konnten – weder tot noch lebendig.«

Die Worte schlugen mir hart entgegen und brachten mich zum Wanken. Eiseskälte überzog meine Arme, lähmte meine Sinne und umschloss mein Herz. Trotzdem schüttelte ich den Kopf, obwohl ich es bereits gewusst hatte. Das ganze Dorf war in so kurzer Zeit untergegangen. »Nein!«, widersprach ich, obwohl es sinnlos war. »Das kann nicht sein!« Doch der Hüter sah mir starr in die Augen.

»Wo hast du das Goldkind zuletzt gesehen? Wo könnte es sein?«

»Wir waren auf dem Bergpfad.« Die Männer hielten inne und fixierten mich. Ich schloss die Augen und erzählte ihnen von Kindra, unserer Flucht und wie sie in den Fluss gefallen war.

»Sie ist ins Wasser gestürzt«, wiederholte einer. Er war groß und sein Haar mehr grau als schwarz. »Vielleicht wurde sie von dem Fluss mitgerissen, als er sich zurückgezogen hat. Die Goldmagier haben die Kontrolle verloren, als wir sie angegriffen haben.«

»Verfluchter …«, zischte ein anderer und unterbrach sich selbst. »Die erste Bucht, in der der Fluss sie anschwemmen könnte, wäre am Schwarzen Markt

Mein Blick folgte dem Hayes Richtung Süden und mein Magen krampfte.

Die Hüter tauschten bedeutungsschwere Blicke. »Sie werden sie umgehend an die Eisendynastie verkaufen.«

»Das dürfen wir nicht zulassen.« Meine Stimme zitterte. Alles, was im Fluss landete, geriet in die Hände der Händler. Ich schob meine Hand in die Hosentasche und umschloss zitternd den kleinen Holzvogel.

Der Hüter, der mich gefunden hatte, packte mich am Arm. »Es ist zu spät.«

»Wir müssen dorthin!«, schrie ich. Uns blieb keine Zeit, wir mussten Kindra suchen und finden. Die Eisenmänner durften sie mir nicht wegnehmen.

Er grunzte und schüttelte mich. »Langsam, Junge«, sagte er und deutete auf zwei Hüter. »Ihr folgt dem Fluss und hört euch um. Wenn ihr sie findet, bringt sie um jeden Preis zu uns zurück.«

Die Männer nickten und liefen sofort los.

»Ich gehe mit.« Meine Stimme klang fest und entschlossen. Mutiger, als ich mich fühlte. Der Schwarze Markt war ein übler Ort und die Reise würde einige Tage dauern. Aber wenn Kindra dort war, musste ich hinterher.

Der Hüter beugte sich näher zu mir. »Wie heißt du?«, fragte er mich.

»Saki.«

»Also, Saki«, sagte er. »Ich bin Runguhm.« Er zeigte auf die Männer, die sich einige Schritte entfernt hatten und sich Richtung Süden aufmachten. »Das sind ausgebildete Hüter. Die haben eine Chance auf dem Schwarzen Markt.« Mit ernster Miene sah er an mir herunter. »Und du bist ein Bauernjunge, der alles verloren hat. Könntest du mit bloßen Händen etwas zum Essen jagen? Oder dich verteidigen?«

Kopfschüttelnd senkte ich den Blick. Ich konnte Getreide anbauen und Gemüse, wusste, wie ich ein Huhn schlachten musste oder Essen zubereitete. Aber ich war nie aus Grünfrey fort gewesen. Verdammt, ich hatte keine Ahnung, wie es am Ende des Horizonts aussah.

»Lass sie gehen. Wenn deine Freundin dort ist, werden meine Männer sie finden. Wir suchen solange die Senke ab.«

Widerwillig gehorchte ich. Mein Blick folgte einige Herzschläge lang den Männern, die aufbrachen, um Kindra zu suchen. Ich hoffte, betete zur Sonne, dass sie uns nicht erneut im Stich ließ und Kindra in Sicherheit war.

Warum hatte ich nicht auf dieses ungute Gefühl gehört, das mich am Vormittag heimgesucht hatte? Ich hatte gerade einen Teil unserer Ernte in das Gasthaus am Fluss gebracht. Über dem Wald auf der Seite der Eisendynastie hatte eine unheimliche Stille gelegen. Doch als ich meinem Vater davon erzählt hatte, war es schon zu spät. Ich hätte ahnen müssen, dass sich etwas näherte. Aber niemals hätte ich mit Goldmagiern gerechnet.

Ein paar Schritte ging ich rückwärts, bevor ich mich vom Fluss abwandte. Ich würde die komplette Senke absuchen. Vielleicht war Kindra dem Fluss entkommen und auf einem der Hügel oder einem Feld angespült worden.

Runguhm informierte die anderen Hüter, die von unserem Gespräch nichts mitbekommen hatten. Gemeinsam schwärmten wir aus, suchten zwischen den Hügeln und Trümmern. Immer wieder fand ich einen ehemaligen Freund oder Nachbarn. Das Atmen fiel mir schwer. Der Geruch von Wasser, Algen und Blut lag wie ein Schleier über mir. Trotzdem pausierte ich meine Suche, zollte den vergangenen Leben kurz Respekt und trug den Körper zum Leichenberg.

Es dämmerte, als die Hüter die Suche aufgaben. Ich weigerte mich, wollte weiterlaufen und ignorierte ihre gut gemeinten Worte. Stehen zu bleiben fühlte sich an, als gäbe ich Kindra und meine Heimat auf. Wenn ich stürzte, richtete ich mich wieder auf und setzte meinen Weg fort. Ich schlug mir die Knie wund und blutete an den Händen. Doch ich wollte nicht stillstehen.

Es ging nicht.

Wenn mein Körper nicht mehr vor Anstrengung brannte, würden meine Gedanken über mir zusammenbrechen. Dann würde der Verlust real werden. Das zu akzeptieren war ich nicht bereit.

Mit wankenden Schritten schleppte ich mich über eine weitere Kuppe und als ich auf der anderen Seite den Hang hinunterrutschte, entdeckte ich eine Gestalt. Ich taumelte, sank auf die Knie, als ich den leblosen Körper erkannte.

Neor. Mein kleiner Bruder lag im Gras, als würde er schlafen. Zitternd packte ich ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Er war erst neun Jahre alt, nicht viel älter, als Kindra und ich es bei unserer ersten Begegnung gewesen waren.

»Neor«, krächzte ich. Sein Körper zuckte unter meinen vergeblichen Versuchen, ihn aufzuwecken. Sein Kopf schwankte zur Seite und seine Augen starrten leblos in den Himmel.

»Nein«, würgte ich hervor und zog ihn an mich. Seine Arme hingen schlaff an seinen Seiten, als ich ihn in eine verzweifelte Umarmung schloss.

Einer der Hüter trat neben mich und packte mich am Arm. »Du musst dich beruhigen.«

Bitter lachte ich auf. »Wie soll das gehen?« Neors Körper entglitt meinem Griff. Ich hatte ihn nicht beschützen können. Er war doch noch ein Kind gewesen, unbekümmert und fröhlich. Jetzt war sein Leben vorbei, beendet wegen der Machtgier der Goldmagier.

Schwankend kam ich auf die Füße, hob Neor hoch und presste ihn an mich. Ihn hatte ich verloren. Aber Kindra würde ich der Eisendynastie nicht überlassen. Wir hatten uns heute Morgen ein Versprechen gegeben. Ich würde nicht ruhen, bis ich sie wiedersah.

Der Hüter führte mich zum Leichenberg, an dem sich wieder alle versammelten und den sie weiter mit mehr Körpern fütterten. Ich legte Neor dazu.

»Wart ihr erfolgreich?«, fragte der Hüter die anderen.

»Nein«, antwortete einer. »Sie ist fort.«

»Aber sie war nicht bei ihnen!«, presste ich hervor. »Sie war nicht bei den Goldmagiern, als sie verschwunden sind, und bei den Leichen ist sie auch nicht. Irgendwo muss sie sein!«

Die Männer tauschten Blicke. Auch sie waren betroffen. Sie wollten die Welt vor zusätzlichem Unheil beschützen. Vor mehr ungezügelter Macht, die weitere Goldmagier hervorbrachte und stärkte. Mein Motiv war selbstsüchtig. Ich wollte Kindra zurück.

Sie war die Einzige außer mir, die das hier überlebt haben könnte. Sie war das letzte Stück meiner Heimat und ich Idiot hatte ihr nie gesagt, was ich für sie empfand.

Der Hüter ließ mich los und betrachtete mich. »Es tut mir leid, dass du alles verloren hast. Du kannst gern mit uns kommen. In unserem Dorf gibt es Arbeit.«

Ich starrte ihn an. In meiner Brust sammelte sich ein Funke zu einem Entschluss. »Könnt ihr mich ausbilden?«

Der Hüter lachte und schüttelte den Kopf.

»Bitte«, beharrte ich. »Einer von euch hat einen Goldmagier getötet. Ihr kennt die Welt. Ihr könnt mir helfen, Kindra zu finden.«

»Wir können dir nicht helfen.«

»Doch, das könnt ihr. Ihr könnt mir zeigen, wie ich überlebe oder wie ich kämpfe.«

»Wir bilden keine Bauernjungen aus.« Er duldete keine Widerrede. Doch ich durfte nicht lockerlassen.

»Bitte!«

»Wir könnten den Ältesten fragen«, mischte sich Runguhm ein. »Er hat ein starkes Herz. Viele wären bei diesem Anblick verzweifelt.« Er deutete auf den Haufen der Leichen, auf dem meine Eltern und Neor lagen. Einige Männer setzten ihn in Brand und schwerer Rauch wehte zu uns herüber. In ihm lag der Geruch von toter Heimat.

Meine Kleidung war noch feucht, doch das Feuer wärmte mich. Wir standen schweigend neben den verschwindenden Körpern meiner Freunde und Feinde. Ihre Konturen lösten sich auf und zerfielen ins Nichts.

Wie mein Leben, das seiner vielen Facetten beraubt wurde und nur noch aus Kindra bestand.

»Er soll mit uns kommen. Doch ich kann nichts versprechen.« Der grauhaarige Hüter starrte mich an und ich nickte.

Aufgeben war keine Option. Wenn ich erst einmal dort war, würde ich kämpfen, bis sie mich aufnahmen.

Mein Ziel stand fest. Ich würde Kindra retten und mein Dorf rächen.

399
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9783959915106
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