promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Zwei Ozeane auf Abwegen», страница 2

Шрифт:

Kapitel 02

Jede Gewissheit löste sich nach und nach auf. Rückblickend hatte Augustin gut in der Überzeugung gelebt, ein Optiker, Witwer und Vater zu sein. Er konnte sich an über dreißig Jahre seines Lebens erinnern, die nie geschehen waren. Jede Seele wurde ins Programm eingefügt und hatte eine Funktion im System, sollte Antworten auf die Fragen der Forscher geben. Manche Personen besaßen nicht einmal eine Seele. Erinnerungen an Augustins Frau waren letztlich nur Codezeilen, die sein Dasein realistischer wirken ließen.

Er selbst war kaum anders. Kurz nach dem Start des Experiments hatte er es verlassen. Er war vom Rand der Insel 317 gestürzt und wie durch ein Wunder nicht im Ozean, sondern im Körper eines klobigen R1-Roboters gelandet. Seitdem betrachtete er das Leben von außen. Er hatte betäubt Aarons Trauer um seinen Vater ansehen müssen. Den Grenzbau und die zunehmenden Konflikte beobachtet. Hilflos gehofft, dass sich etwas ändern würde. Schließlich hatten Aaron und seine Freundin Kira ihr programmiertes Schicksal selbst in die Hand genommen und es mit einem halsbrecherischen Plan beendet. Die Probleme, die Überwachung, das Experiment – seit heute Nacht war all das vorbei. Weil die beiden Forscher nun selbst zu den digitalen Bewohnern zählten, war Augustin allein in der Realität geblieben. Ab jetzt würde ihn niemand mehr stören. Er bewachte Experiment 317, war Verwalter und Beschützer. Für immer.

Augustin starrte auf die Monitore und spürte eine unheimliche Last auf seinen Schaltkreisen. Zumindest für einige Stunden hatte er ein gleichermaßen beängstigendes wie auch sicheres Gefühl verspürt. Als wäre nun endlich alles vorbei, sogar gut.

Wie naiv.

Hinter ihm durchsuchte jemand das Labor. Ein Mensch. Solange Augustin sich nicht bewegte, würde der Fremde vielleicht nur prüfen, woher die nächtliche Fehlermeldung gekommen war, und ob alles funktionierte. Im Nebenraum lagen die schlummernden Körper der beiden Forscher, Doktor Hana Tora und Doktor Elliott Naury. Es machte den Anschein, als wären sie mit den digitalen Avataren bei ihrer Arbeit im Experiment. Tatsächlich waren die beiden Seelen jüngst ausgezogen und hatten sich unfreiwillig für das friedliche Inselleben entschieden.

Starr beobachtete Augustin die digitalen Wellen und hörte den Schritten des Fremden zu. In seinem Nacken stellte sich jedes einzelne Härchen auf, obwohl er weder einen Nacken noch Härchen besaß. Er steckte zwar im Körper eines Roboters, trotzdem konnte er sich an viele menschliche Empfindungen erinnern. Er hatte kein Wetterbein oder Phantomschmerzen, sondern hin und wieder eine ausgeprägte Furcht.

Der Eindringling stellte sich direkt neben ihn und musterte die Monitore. Eine lautlose Fehlermeldung vor Augustins innerem Auge verkündete eine Überlastung, oder – wie er es nannte – Panik.

»Interessant«, murmelte der Fremde. Roboter reagierten normalerweise auf menschliche Stimmen, also drehte Augustin seinen Kopf. Neben ihm stand ein Mann. Er war etwa Mitte fünfzig, hatte einen sauber getrimmten Bart und schwere Tränensäcke unter den Augen. Sein dunkles, ordentlich gekämmtes Haar ergraute allmählich an den Schläfen. Er trug ein dunkelblaues Hemd mit dem orangenen Logo von Wyoming Wonders, also gehörte er zu den Mitarbeitern. Sein fachmännischer Blick löste sich von den Bildschirmen und wandte sich Augustin zu.

»Hallo, Phil.«

Gleich zwei weitere Warnmeldungen erschienen. Dieser Name reichte aus, um Augustins System in Aufruhr zu bringen, von seiner Seele ganz zu schweigen – immerhin war es ihr Name.

»Bitte?«, entgegnete er, wie es jeder Roboter getan hätte.

»Du bist Phil Williams, eine Seele. Keine KI. Du brauchst dich nicht zu verstellen.«

»Da muss ein Fehler vorliegen«, log Augustin.

Der linke Vorderarm des Mannes leuchtete eisblau auf. Langsam schob er seinen Ärmel nach oben, ohne den Roboter aus den Augen zu lassen. Der Stoff hatte ein Bedienfeld verborgen, das direkt auf seiner Haut lag – oder war es ein Teil seines Körpers? Der Mann drückte darauf. Im selben Moment zuckte Augustin zusammen, als hätte man eines seiner Kabel eingeklemmt. Seine Befehle wurden nicht mehr ausgeführt. Panisch probierte er einige von ihnen aus, doch Augustin konnte nicht einmal den Kopf drehen.

»Lügen ist sinnlos«, schnurrte der Fremde und vollführte eine gleichgültige Handbewegung. »Also, Phil, ich weiß längst, was hier vorgefallen ist. Im Grunde musst du gar nicht reden.«

»Was für ein Schwachsinn«, entfuhr es Augustin. Er konnte spüren, wie sich eine kalte Aura im Raum ausbreitete, ausgelöst vom breiten Grinsen des Mannes.

»Fein, du bist also wirklich Phil.«

»Ich bevorzuge Augustin.«

»Fein, Augustin. Möchtest du ein wenig mit mir programmieren oder soll ich dich direkt abschalten?« Er lächelte dünn. »Ach, was frage ich überhaupt. Selbstverständlich sollst du zusehen, was ich mit deinen Schützlingen anstelle.« Er musterte Augustin genüsslich.

»Was haben Sie vor? Wer sind Sie überhaupt!?«

»Na, keine Aufregung. Man nennt mich Mo.«

»Und die Leute, die Sie nicht sympathisch finden, nennen Sie wie?«, fauchte Augustin.

»In diesem Fall bin ich Mortimer. Oder schlicht der Administrator.«

Augustin wusste nicht, ob das ein schlechter Scherz sein sollte, doch im nächsten Moment ging ein Ruck durch seine Gelenke. Unfreiwillig drehte er seinen Körper in die Richtung des Mannes.

»Der Administrator von was?«, hakte er bissig nach.

»Von Wyoming Wonders. Darauf hättest du selbst kommen können. Immerhin weißt du so einiges über dich und unsere Institution, richtig?«

»Was … was wissen Sie?«

»Alles.« Mortimer ließ sich auf einem knarrenden Hocker nieder, beugte sich vor und krempelte sorgfältig seinen dunkelblauen Hemdsärmel herunter, damit er wieder das leuchtende Feld verdeckte. »Ich weiß, dass du Kira vor vielen Jahren vor einem Sturz von eurer Insel gerettet hast, weil dein feiger Sohn es nicht konnte. Ich weiß von dem Teleskop, das du Solomon-79 schenken wolltest und stattdessen ihrer Tochter gabst. Ich weiß von der Rebellenbande der Kinder von Insel 317, ich weiß von Elliott Naurys und Hana Toras Machtspielchen. Ich weiß, dass du von der Insel gefallen bist und wie durch Zauberhand in diesem R1 aufgefangen wurdest.«

Bei diesen Worten kam Mortimer so nahe an ihn heran, dass sein Atem jene transparente Kuppel beschlagen ließ, die Augustins Kopf darstellte.

»Wie durch Zauberhand«, wiederholte Mortimer sanft. »Ich weiß, dass du die beiden Forscher dieses Experiments überwältigt hast, um ihre Anschlüsse zu nutzen. Und ich weiß, wie sehr es dir gefallen hat, wieder ein Mensch zu sein, selbst wenn du dir den Avatar von Elliott Naury ausleihen musstest.«

Augustin fand keine Gelegenheit, ihn zu unterbrechen. Ihm wurde schwindelig. Es fühlte sich an, als würden seine Kabel schmelzen. Sein System fasste dies mit einer weiteren Warnmeldung zusammen.

»Aber du musstest zurück in diesen Körper, hm? Darfst das Paradies nur von außen sehen.«

»Passen Sie auf, was Sie sagen.«

»Oho«, kam es zurück. »Glaubst du, dass du jetzt allwissend bist, nur weil du das Labor für einen kurzen Spaziergang verlassen hast? Sei kein Idiot. Du weißt gar nichts.« Mortimer lehnte sich zurück, schmunzelte und zog eine der Tastaturen heran. In einer für Augustin kaum nachvollziehbaren Geschwindigkeit tippte er Zeile um Zeile, navigierte durch das Kernsystem und tauschte einige Parameter aus. Die Sicht auf die Insel, die Augustin gerne im Auge behielt, fror für einen Moment ein. Dann wich die Sonne dem Mond.

»Es … ist Nacht?«, fragte er.

»Richtig. Nacht. Und noch dazu sind drei Jahre vergangen.« Augustin wollte ihm nicht die Genugtuung geben, nach dem Grund zu fragen. Sein Schweigen änderte aber auch nichts daran, dass Mortimer jede Sekunde seiner Überlegenheit genoss. »Wäre doch seltsam, wenn du direkt am ersten Abend das tust, worum ich dich gleich bitten werde«, fuhr er fort.

Es gab noch einen anderen Grund, Augustin wusste es. Irgendetwas hatte Mortimer im Schnellverfahren zu einem dauerhaften, gewohnten Teil des Experiments gemacht.

»Dann bitten Sie mich mal«, entgegnete er und hätte sich zu gerne von Mortimer weggedreht. Nicht einmal eine trotzige kalte Schulter ließ sein Körper zu.

»Fein. Du wirst einen Morsecode in den Sternenhimmel schreiben. Bitte

»Wie können Sie—«

»Ich weiß alles, Phil.«

»Wenn Sie alles wissen, warum tippen Sie sich den Code nicht selbst zusammen? Ist ja nicht allzu schwer.«

»Ich, wieso ich?« Sein Lachen klang wie die zufallende Tür einer Kühlkammer. »Dafür bist du doch hier. Du bist ein Roboter und wirst meinen Befehlen folgen. Das hättest du wohl gern, dass ich dich abschalte und alles allein erledige.« Mit diesen Worten rollte er erneut seinen Ärmel hoch, und zwar mit solch einer sorgsamen Ruhe, dass Augustin beinahe etwas erwidert hätte. Mortimer strich über den Bildschirm, als würde er ein Haar wegwischen. In diesem Moment riss Augustin ohne sein Zutun die Arme nach oben. Sie landeten mit einem dumpfen Dröhnen auf der langen Tischplatte neben einer verstaubten Tastatur. Die Kabel, die wie neugierige Schlangen zwischen den Monitoren hervorlugten, klackerten. Ein Haftnotizzettel löste sich von einem Bildschirm und landete direkt vor Augustins nicht vorhandener Nase.

Behalte sie im Auge, stand dort. Doktor Elliott Naury hatte diesen Zettel geschrieben, als Kira damit begonnen hatte, überall auf der Insel Kameras zu installieren.

»Schreib«, befahl Mortimer ungeduldig. »Du brauchst nur ein Wort einzugeben, das können die beiden ja entschlüsseln, nicht?«

»Ja«, bestätigte Augustin und stellte fest, dass er immerhin seine Arme bewegen konnte.

»Fein. Das Wort lautet Springt

Augustins Finger verharrten über der Tastatur. »Was?«

»Sie sollen springen. Das können sie doch. Selbst dein Sohn mit seiner Höhenangst kann das.«

»Er fürchtet sich nicht mehr davor«, murmelte Augustin.

»Umso besser«, hauchte Mortimer grinsend und tippte auf seinen Unterarm. Ruckartig wurde Augustin von einem Stromstoß geschüttelt. Worte und Zahlen blinkten wie wild auf seinem Interface.

»Schreib jetzt, Phil Williams, oder ich zwinge dich dazu. Du wirst dich nicht daran erinnern können, wer du zu sein glaubst, wenn ich mit dir fertig bin.«

Augustin zögerte nicht mehr. Er tippte und hoffte, dass die beiden nicht zum Himmel sahen. Dass sie zweifelten.

Als Kira und Aaron Hand in Hand durch die Gassen der nächtlichen Insel huschten, verfluchte er sich. Warum hatte er keinen Sicherheitscode mit ihnen abgemacht? Warum hatte er ihnen gesagt, dass sie nur im äußersten Notfall springen sollten, und er derjenige wäre, der sie benachrichtigen würde?

Als sie am Rand des Abgrunds standen, schickte Augustin ein Stoßgebet in den Himmel. Nie zuvor hatte er sich gewünscht, dass sein Sohn ihm nicht vertraute.

Dann sah er, wie die beiden in die Tiefe fielen.

»Fühlt sich schrecklich an, oder?«, fragte Mortimer. »Die Menschen, die man liebt, gehen zu lassen.«

»Was soll … was soll das bedeuten?«, fragte Augustin matt. »Sie werden doch wieder die Plätze von R2 und R3 einnehmen. Sie kommen jeden Moment durch die Tür herein.«

»Ich sagte, dass du kein Idiot sein sollst«, meinte Mortimer scheinbar gelassen, doch seine Nasenflügel waren abschätzig geweitet. Jetzt erkannte Augustin eine neue Emotion in den bislang so gehässigen Augen. Er hatte diesen Blick zuletzt bei Elliott bemerkt, bevor er sich türkisfarbene Pantoffeln in sein Schlafzimmer programmiert hatte. Es war der Punkt, an dem Menschen gefährlich wurden.

»Diese beiden werden nie wieder irgendein Experiment verlassen. Sie landen auf dem Server, wie all die anderen.« Mortimer hob seinen Arm und massierte geduldig sein rechtes Handgelenk. »Ich habe dafür gesorgt, dass sie auf einer bestimmten Insel landen. Hier draußen seid ihr drei so … unberechenbar

»Warum zum Teufel lassen Sie mich dann an der Tastatur sitzen?«, blaffte Augustin und hob drohend die Finger. Im selben Moment verengte sich der Griff des Administrators um sein Gelenk, ein zweiter Stromschlag fuhr durch den Roboter. Eine ungewohnt grelle Warnung tauchte vor Augustins innerem Auge auf, er verlor erneut jegliche Kontrolle. Für einen Moment entglitt ihm das Bewusstsein, aber offenbar nur so lange, wie Mortimer das wollte.

»Weißt du, ich fand dich immer so cool und undurchschaubar. Ich hätte nie gedacht, dass du die beiden zum Springen bringst. Warum hast du dich nicht gewehrt, hm?«

Augustin sortierte hilflos seine Gedanken. Was hätte er denn ausrichten können? Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn er einen anderen Code programmiert hätte. Er konnte nur mutmaßen, wozu dieser Mann in der Lage war.

»Ach, warte«, unterbrach Mortimer. »Du kannst dich ja nicht wehren!« Sein Lachen war schallend, aber nicht echt.

Am liebsten hätte Augustin den Schädel des Administrators genommen und mit voller Wucht in Richtung der Bildschirme geschleudert. Dann musste er nicht mehr die Insel sehen, auf der die beiden wichtigsten Seelen fehlten.

»Wo sind sie jetzt?«, fragte er. »Was wollen Sie bezwecken? Und warum ausgerechnet die zwei?«

Mortimer schenkte ihm einen missbilligenden Blick. »Du meine Güte, glaubst du echt, dass ich dir das verrate? Phil, du wirst mich begleiten und es dir höchstpersönlich ansehen. Was hältst du von einem kleinen Tauschgeschäft?«

»Ich mache keine Geschäfte mit Verbrechern.«

»Das Wort Halunke wäre mir lieber. Man sagt so selten Halunke, heutzutage.« Wie schaffte es dieser Typ nur, gleichzeitig furchteinflößend und doch so lächerlich zu sein? »Ich weiß, was du dir wünschst, und ich kann dir diesen Wunsch erfüllen«, fuhr der Administrator verheißungsvoll fort. »Man nennt mich auch den Wunscherfüller

»Tut man nicht«, murmelte Augustin finster.

»Stimmt, tut man nicht. Du bist witzig, Phil. Ich denke, wir haben denselben Humor. Unsere Zusammenarbeit wird herrlich.« Mortimer seufzte und sah ihn für einen langen Moment an. Dann verlangte ein Aufflackern des Unterarms nach seiner Aufmerksamkeit.

»Ich werde vermisst, wie rührend«, zischte er. Seine Augen verengten sich für einen winzigen Moment. Betont gemächlich begann er damit, seine eigenartige Fernbedienung erneut mit dem Hemd zu bedecken. Es war mittlerweile zerknittert. Dann, als wäre es nur beiläufig, wechselte er das Thema. »Du kannst deinen Körper zurückhaben, deinen digitalen, aber menschlichen Augustin-Körper. Mit echten Beinen und Armen und einer Sehschwäche von minus drei Dioptrien.«

Augustin ließ sich nicht anmerken, dass er für eine Sekunde schwach wurde. Wehmut ergriff Besitz von ihm. Wie sehr sehnte er sich nach seinem alten Körper? R1 war schrecklich langsam, seine Bewegungen spielten sich wie in Zeitlupe ab. Allein sein Verstand war schneller.

»Wie wollen Sie das anstellen?«, fragte Augustin, als er feststellte, dass Mortimer auf seine Antwort wartete.

»Es gibt selbstverständlich ein Back-up deines Avatars. Das müsste ich nur freischalten, mit dir verknüpfen und deine Seele zurück ins Programm laden.«

Augustin stellte sich vor, wie er Aaron in die Arme schloss. Die Theke seines Geschäfts von Staub befreite. Am Rande der Insel saß und aufs Meer blickte. Plötzlich tauchte das Gesicht von Emilia vor seinem inneren Auge auf, doch er verwarf es schnell. Er sollte das alles nicht haben. Er war derjenige, der auf die Insel aufpasste. Hana und Elliott waren fort. Die beiden Forscher sollten Bestandteil des Insellebens bleiben und dort ihre ungefährliche Rolle spielen. Augustin war bewusst in der Realität geblieben. Er war zwar nicht in der Lage, sich einen neuen Körper zu programmieren, aber selbst wenn er es könnte – er durfte nicht hineinschlüpfen und das Labor unbeaufsichtigt lassen.

»Danke«, knurrte er. »Aber ich verzichte.«

»Hm, von mir aus. Dann eben kein Tauschgeschäft.« Mit einem Griff an das blau leuchtende Feld ließ Mortimer den Roboter aufstehen. »Ich bin hier fertig.«

Ohne sein Zutun bewegten sich Augustins Beine, schlossen sich dem Gang des Administrators an. Verzweifelt suchte er verfügbare Befehle durch, aber keiner ließ sich aktivieren. Mortimer lotste ihn durch das Tor, das auf die Flure von Wyoming Wonders führte. Dabei blickte er auf sein Handgelenk, als würde er nach der Uhrzeit schauen.

»Es ist herzzerreißend, dir zuzusehen«, meinte Mortimer. »Erspar dir die Mühe.«

Augustin schwieg. Der Administrator sah also, welche Befehle er ausprobierte. Hoffentlich blieb ihm der Rest seiner Gedanken verschlossen.

Mortimer verriegelte das Tor mit einem nahezu unsichtbaren Wandschalter. Erst vor wenigen Stunden war Augustin das letzte Mal hier gewesen. Vor ihnen lag eine gewaltige Halle. Gegenüber stapelten sich weitere Flure mit hunderten Laboren, Etage um Etage. Das Gebäude von Wyoming Wonders war höher als der Felsen, den Augustin sein Zuhause nannte. Auf dem Glasdach lag Sand mit wenigen freien Flächen dazwischen. In den Sonnenstrahlen tanzte Staub. Es war beunruhigend still.

Auf dem Boden der Halle befand sich das schwarze Steingebilde, das wie eine Mauer den Raum längs teilte. Darauf standen die Namen aller, die Teil der Experimente waren, tausende Seelen für die Wissenschaft. Phil Williams hatte sich damals freiwillig gemeldet, als er den Kampf gegen den Nierenkrebs verloren hatte. Das war schon viele Jahrzehnte her. Er wäre mittlerweile längst tot, selbst ohne den Tumor und seine Metastasen. Der Gedanke, dass es kein Problem war, eine Seele zu speichern und in ein Programm zu übertragen, ängstigte und beruhigte ihn zugleich. Es gab ihm das Gefühl, bis zu einem gewissen Punkt unantastbar zu sein. Zumindest bislang.

Mortimer wandte sich nach rechts. In dieser Richtung befand sich der Aufzug, den die R4-Roboter und Forscher benutzten. Ausnahmsweise schwieg der Administrator den kompletten Weg über. Vermutlich auch, weil Augustin damit aufhörte, Befehle auszuprobieren. Seine Gedanken rasten weiter und suchten nach einem Ausweg.

Am Ende des Flures stiegen sie in den Aufzug. Mortimer drückte einen Knopf, sie fuhren nach oben. All das nahm Augustin nur gedämpft wahr, als hätte jemand seine Sensoren manipuliert. Eine der Warnungen seines Systems ließ sich zudem nicht mehr aus seinem Sichtfeld entfernen und verharrte am rechten Bildrand.

Warnung. Fremdsteuerung. Eingeschränkter Zugriff.

Augustin seufzte innerlich. Als ob er das noch nicht bemerkt hätte.

Lautlos blieb der Aufzug stehen und öffnete seine Türen. Sie stiegen in der Etage direkt unterhalb der Glasdecke aus. Zu gerne hätte Augustin die warmen Sonnenstrahlen auf seinen Plastikgelenken gespürt. Der Flur führte wie in den übrigen Etagen in einer geraden Linie an der Wand entlang, doch hier gab es offenbar ein anderes, spezielles Labor. Beinahe unsichtbar schmiegte sich rechts neben dem Aufzug eine Tür in das Mauerwerk. Daneben war ein kleines Metallschild angebracht worden.

Labor 001/002

Darunter befand sich schwarzes Klebeband, das mehr Schrift verdeckte. Mortimer hielt seinen Unterarm an den Griff, erhielt einen Piepton zur Antwort und stieß die Tür auf.

»Willkommen.« Mortimer ließ Augustin wie einen benutzten Regenschirm mitten im Raum zurück und ging zu einer exorbitanten Bildschirmwand herüber. Mehrere Inseln flimmerten darauf, manche schneebedeckt, manche ohne ersichtliche Küste, manche nachtschwarz. Davor befand sich ein U-förmiger Schreibtisch mit benutzten Getränkedosen und halb geleerten Popcornschachteln darauf. Im Grunde war dieses Labor wie das von Insel 317, nur ein wenig opulenter. Augustin fragte sich, was er hier verloren hatte.

»Oha«, machte Mortimer nach einem raschen Blick auf einen der unteren Monitore. Er setzte sich auf den linken Drehstuhl und machte eine beiläufige Handbewegung, als würde er Augustin einen Gefallen abschlagen. »Bin gleich wieder zurück. Fass nichts an.«

Augustin wollte gerade etwas erwidern, als der Kopf des Administrators nach unten sackte.

408,14 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
310 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783753196671
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают