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Kapitel 4

Gall Daumas trat seinen Dienst auch heute um 9 Uhr an. Er erreichte die Île Tristan mit seinem Boot und befestigte es am Landungssteg. Die Flut hatte gerade erst ihren Höhepunkt erreicht. Gall Daumas ging zum Ausstellungsgebäude der Insel, bis dahin konnten auch die Besucher der Insel gelangen. Ein Rundgang über die Insel war den Touristen nur an wenigen Tagen erlaubt und auch nur in Begleitung eines Führers. So versuchte man die Insel zu schützen.

Die Insel mit ihren 450 Metern Länge und einer Breite von 250 Metern war ein wahres Kleinod in der Bucht von Douarnenez. Dank des Süßwassers auf der Insel hatte man auf der 6 Hektar großen Fläche einen exotischen Garten angelegt. Über 300 verschiedene Pflanzen und diverse seltene Tierarten gab es hier. Auf dem höchsten Punkt der Insel stand der Leuchtturm, der den Schiffen den Weg in den Hafen von Douarnenez wies.

Sein Vater hatte ihm erzählt, dass auf der Insel früher, die seit 1911 der Familie des Poeten Jean Richepin gehörte, eine Sardinenfabrik gestanden hatte, genau an der Stelle, an der Gall Daumas heute arbeitete. Die Fischerboote konnten direkt am Kai vor der Fabrikhalle anlegen, und dort wurden dann die Sardinen zu Konserven verarbeitet. Das Schloss der Besitzer, die ehemalige Konservenfabrik, der Leuchtturm und die Kapelle, in der die Familienmitglieder der Richepins ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, sind heute die einzigen Gebäude der Insel. Früher war die Insel von 30 Personen bewohnt. Gall Daumas war heute der einzige, der täglich auf der Insel sein durfte.

Seine Tätigkeit war weder aufregend noch langweilig. Bei Hochwasser konnte er sicher sein, dass niemand zu Fuß auf die Insel kam, da unternahm er seinen Rundgang. Er kontrollierte die Strandbefestigungen auf Schäden, entfernte den angeschwemmten Müll und bereitete das Ausstellungsgebäude, die ehemalige Konservenfabrik, für Besucher vor. Viele Besucher hatte die Insel selten, an einem gewöhnlichen Besuchstag waren es manchmal 20 Personen. Ihnen musste er dann mitteilen, dass sich der Besuch der Insel auf den Besuch der Ausstellungshalle beschränkte. Aus seinem kleinen Bürofenster blickte er auf die Statue vor der Insel. Von hier sah er auf die Seite der Sirene. Ob die Sirene Dahut die Tochter des Königs Gradlon darstellte, wusste er so wenig wie die Besucher, die ihn manchmal darauf ansprachen. Dass die andere Seite der Statue, die Sardine, der Hinweis auf die Haupteinnahmequelle der Fischer von Douarnenez war, war ihm wohl bekannt.

Gall schloss die Tür zur Halle auf und betrat den langen Raum. An den Wänden hingen verschiedene Bilder von den Pflanzen und Tieren der Insel und andere Fotos zur Geschichte der kleinen Insel. Er betrat sein Büro am hinteren Ende des Gebäudes, legte sein mitgebrachtes Mittagessen in den Schrank und stellte das Mineralwasser in den Kühlschrank. Da lag noch eine Flasche Rosé, die er Ende des Sommers für seinen kleinen Aperitif reingelegt hatte. Aber er war in den letzten Herbsttagen nicht mehr zu einem gemütlichen Aperitif gekommen, und in den Wintermonaten bereitete ihm der kalte Wein keinen Genuss. So würde die Flasche wohl noch einige Monate im Kühlschrank verweilen.

Gall sah zum Fenster hinaus auf die Sirene, wandte sich dann zum Schlüsselschrank und entnahm ihm die Schlüssel für seinen morgendlichen Rundgang. Der große öffnete das Tor des Zauns, das den Zugang zur Insel freigab und schloss die Tür zur Kapelle auf, ein anderer war für den Zugang zum Leuchtturm und der dritte, ein Sicherheitsschlüssel, öffnete das Schloss. Er benötigte auf seinem Rundgang lediglich den großen und den Leuchtturmschlüssel, aber er nahm den anderen zur Sicherheit immer mit, falls er doch einmal das Gebäude betreten musste. Er machte sich auf seinen Weg. Gegenüber der Eingangstür zur Besucherhalle führten einige Stufen zum Eingangstor des Parks, er schloss es auf und verschloss es sofort wieder hinter sich. Über den Pfad ging er ans Ufer der Insel und folgte der Uferbefestigung. Sorgfältig schaute er nach eventuell aufgetretenen Schäden an der Befestigung. Die Wellen arbeiteten hier kräftig. Schon manches Mal hatten die Wassermassen große Felsbrocken rausgeschlagen, die fachmännisch repariert werden mussten. Kleinere Arbeiten konnte er selber ausführen.

Sein üblicher Rundgang führte ihn einmal rund um die Insel. Auf der Höhe des Leuchtturms bog er vom Uferweg ab und stieg zum Turm rauf. Er nahm den Schlüssel, öffnete die Stahltür und stieg die Wendeltreppe hoch. Auch wenn sein Leuchtturm, wie er ihn nannte, nicht zu den größten, höchsten oder schönsten der Bretagne zählte, war er für ihn der allerwichtigste. Der 9,5 Meter hohe Turm gab auf seiner Aussichtsplattform einen herrlichen Blick über die Insel, die Bucht von Douarnenez und die Stadt frei. Gall genoss die Aussicht. Heute sah er einen Frachter und zahlreiche Segelboote. Nach einer viertel Stunde auf der Plattform stieg er wieder runter und machte sich auf den Rückweg zur Ausstellungshalle. Das Wasser war bereits deutlich zurückgegangen. Bald würden sich die ersten Besucher auf den Weg zur Insel machen. Bis dahin musste er wieder zurück sein und die Besucher von einem Rundgang über die Insel freundlich abhalten. Der überwiegende Teil der Gäste hatte Verständnis und folgte seinen Anweisungen, während andere zu diskutieren versuchten und eine Ausnahme auf erlaubten Wegen erbaten.

Gall verschloss das Eisentor hinter sich und ging die restlichen Meter zur Halle. Die Schlüssel hängte er ans Brett im Schrank und setzte sich an seinen Schreibtisch. Von hier aus konnte er jeden Menschen sehen, der sich der Insel näherte. Viele Besucher kannte er inzwischen, seine Stammgäste sozusagen, Pensionäre, Wattfischer oder pêcheurs à pied, Kinder und Erwachsene auf der Suche nach Algen oder Muscheln, Hobbymaler, die mit Staffelei und Farben an die Kaimauer kamen und andere Spaziergänger.

Roland Morics war einer dieser Besucher. In regelmäßigen Abständen machte sich Roland Morics auf den Weg zur Insel, sammelte Muscheln, scharrte manchmal im Schlamm, als suchte er einen verborgenen Schatz oder nach Resten der versunkenen Stadt Ys. Den Rentner kannte Gall schon lange. An manchen Tagen setzte er sich zu Roland auf die Kaimauer, und sie sprachen über Gott und die Welt und Rolands Sammelleidenschaft.

Als er Roland heute gemächlich auf die Insel zukommen sah, beschloss er, in seinem Büro zu bleiben. Der Regen der letzten Nacht und vom Morgen hatte alles durchnässt, so dass es bestimmt keine Freude war, neben Roland auf der nassen und kalten Kaimauer zu sitzen. Gall träumte vor sich hin und beobachtete Roland auf der Kaimauer. Als Roland auf seinem Rückweg war, sah er ihn an der Sirene stehenbleiben, sich bücken und eine Flasche aufheben, die sich wohl zwischen den Felsen verklemmt hatte.

„Was der alles sammelt!“, sagte er laut zu sich und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Ihm würde nicht einfallen, alles zu sammeln was er bei seinen Rundgängen um die Insel fand. Er hätte bereits ganze Lastwagenladungen beisammen. Es war wirklich unglaublich, was das Meer alles anschwemmte, vom üblichen Müll bis zu Inhalten verlorengegangener Container, von Turnschuhen bis zu chinesischen Vogelkäfigen. Brauchbar waren die durchnässten und manchmal schon halb zerstörten Gegenstände meistens nicht mehr.

Der heutige Tag verlief ruhig. Es lag vielleicht am Wetter, dass nicht so viele Besucher zur Insel gekommen waren. Inzwischen war es wieder Flut, und er war alleine auf der Insel. Er griff nach den Schlüsseln und machte sich auf den Weg zu seinem zweiten und abschließenden Rundgang des heutigen Tages.

Er war auf Höhe des Leuchtturms angelangt als er in einiger Entfernung einen blauen gefüllten Müllsack zwischen den Felsen entdeckte.

„Eine Unverschämtheit, seinen Müll ins Meer zu werfen! Die Leute haben keine Achtung vor der Natur, vor unserem Lebensraum! Es wird immer schlimmer“, schimpfte er laut und näherte sich dem Müllsack. Gall Daumas hatte die Stelle erreicht und sah, dass vor ihm ein größerer Gegenstand lag, der in mehre Säcken eingepackt war. Gall bückte sich und versuchte die Verschnürung am oberen Ende zu öffnen. Die Verknotung war fachmännisch, da hat sich jemand mit Seemannsknoten ausgekannt. Gall öffnete die obere Verknotung und sah in den Sack.

Er schreckte zurück! Er drehte sich um und rannte so schnell es ihm seine alten Beine ermöglichten. Er lief zum Büro, setzte sich an seinen Schreibtisch, holte aus der untersten Schublade seinen Lambig, öffnete die Flasche und setzte sie an. Er nahm einen kräftigen Schluck. Gall stellte die Flasche auf den Tisch, griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer.

Kapitel 5

Sie wussten noch immer nicht, wer die Leiche in dem Koffer von Loctudy war, und jetzt gab es eine zweite Leiche. Diesmal in Douarnenez, auf der kleinen Insel Île Tristan. Wäre der Anruf eine halbe Stunde früher gekommen, hätten sie sich die Fahrt ins Kommissariat nach dem Besuch bei Madame Floc´h sparen können. Monique Dupont und ihre Chefin Anaïk Bruel machten sich erneut auf den Weg in die Hafenstadt.

Der Anruf aus Douarnenez war von der dortigen Gendarmerie gekommen. Die Kollegen, Hervé Briden und Donan Blouet, hatten einen Notruf erhalten und waren daraufhin zur Île Tristan gefahren. Mit dem kleinen Polizeiboot, das im Hafen stationiert war, waren die Gendarmen auf die Insel gekommen, und der Aufseher der Insel, ein gewisser Gall Daumas, hatte sie zum Fundort geführt. Die Gendarmen hatten die Fundstelle abgesperrt und dann die police judiciaire von Quimper informiert.

Den Fahrer des Polizeibootes hatten sie zurückgeschickt, um die Kommissarinnen und die Spurensicherung abzuholen und auf die Insel zu bringen.

Anaïk hatte Dustin und Yannick informiert, auch sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht. Die beiden Kommissarinnen erwarteten sie im Hafen. Das Boot brachte sie zur Insel, legte am Kai an und ließ die Gruppe aussteigen. Gall Daumas empfing die Mannschaft der police judiciaire und führte sie zur Fundstelle.

Gall wollte keinen erneuten Blick auf die Leiche werfen und hielt Abstand. Dustin fotografierte die Leiche in den Müllsäcken, dann ging Yannick Detru, der Pathologe, zum Leichnam. Er schnitt die Verschnürung der Müllsäcke auf und begann mit seiner Untersuchung. Es dauerte deutlich länger als sonst bis er zu Anaïk und Monique kam.

„Der Mann muss gefoltert worden sein. Gestorben ist er am Ende an einem Kopfschuss. Die Kugel muss noch im Schädel stecken, es gibt keine Austrittsöffnung. Den Todeszeitpunkt kann ich nur grob angeben, ich schätze vor ca. 24 Stunden, exakter nach der Obduktion.“

„Danke Yannik! Gefoltert hast du gesagt?“

Yannik nickte und überließ den Leichnam Dustin und seiner Mannschaft.

Anaïk überlegte. Zwei Leichen im Atlantik in so kurzem Abstand waren seltsam. Könnte der Tod dieses Mannes mit dem Mann im Koffer zusammenhängen? Loctudy liegt ein Stück von Douarnenez entfernt. Wer waren die Toten? Könnte es sich um einen oder beide der vermissten Männer handeln? Vielleicht würde Dustin ja Ausweispapiere bei dem aktuellen Toten finden. Natürlich müssten die zwei Morde erst einmal als zwei verschiedene Verbrechen behandeln.

Dustin hatte sich mit seinen Leuten an die Arbeit gemacht und die Leiche, die Müllsäcke, die Verschnürung und die Umgebung des Fundortes genauestens untersucht. Anaïk ging zu Monique, die im Gespräch mit Monsieur Daumas war.

„Wann genau haben Sie die Leiche gefunden?“, fragte Monique gerade, als Anaïk zu ihnen trat.

„Das ist gegen 16 Uhr 30 gewesen. Ich habe gewartet, bis die Flut hoch genug war, dass sich niemand mehr auf den Weg zur Insel machen konnte und dann meinen zweiten Rundgang begonnen.“

„Das heißt, am Morgen lag die Leiche noch nicht hier?“, fragte Anaïk.

„Ja! Als ich heute Morgen meinen ersten Rundgang gemacht habe, lag da noch nichts. Die Leiche muss mit der auflaufenden Flut hier angeschwemmt worden sein.“

„Ist Ihnen am Morgen irgendetwas aufgefallen? Zum Beispiel ein Boot, das sich in der Nähe der Insel aufgehalten hat, oder das in der Umgebung der Insel vor Anker lag?“

„In der Bucht sind ständig Yachten oder Fischerboote unterwegs. Douarnenez hat zwar keinen großen Hafen, aber es liegen zahlreiche Yachten hier vor Anker und eine Anzahl von Fischerbooten. Auch kleinere Küstenfrachter laufen den Hafen an. Ich sehe ständig Schiffe in der Bucht, auch Segelyachten und Fischerboote. Aber etwas fällt mir ein. Ich habe heute Morgen vom Leuchtturm aus einen Frachter gesehen, der aus Douarnenez gekommen sein muss, der hat eine Weile ruhig in der Bucht gelegen. Den Frachter habe ich schon öfter und in unregelmäßigen Abständen hier gesehen. Er ist sonst weiter draußen. Es hat mich gewundert, dass er so nah gewesen ist. Nach einiger Zeit hat er aber wieder Fahrt aufgenommen und die Bucht von Douarnenez verlassen.“

„Sie kennen den Namen des Schiffs nicht?“, fragte Monique.

„Nein, den habe ich nicht gesehen. Aber es wird nicht schwer sein, den Namen in Erfahrung zu bringen. Sie brauchen nur bei der Capitainerie nachzufragen. Ich habe das Schiff gegen 9 Uhr gesehen. Es hat den Hafen demzufolge vielleicht eine Stunde zuvor verlassen.“

„Gut, wir werden uns danach erkundigen“, meinte Anaïk.

„Ansonsten ist Ihnen am Morgen oder im Verlauf des Tages nichts aufgefallen?“, fragte Monique nochmal nach.

„Nein, ich kann mich an nichts erinnern.“

Beide Kommissarinnen bedankten sich bei Monsieur Daumas und gingen zurück zu Dustin.

„Hast du schon etwas für uns?“, fragte Anaïk.

„Nein, wenigstens nichts, was auf seine Identität hinweist. Er hat nichts in seinen Taschen. Ich habe unter seinen Fingernägeln eine winzige Blutmenge sichergestellt. Vielleicht reicht es für eine DNA aus. Dann habe ich ein Haar gefunden, das definitiv nicht vom Opfer stammt, und eine Wollfaser. Sobald ich die Spuren analysiert habe bekommst du meinen Bericht.“

„Das ist doch schon etwas.“

Monique und Anaïk machten sich auf den Weg zur Anlegestelle, damit das Polizeiboot sie wieder zum Hafen bringen konnte. Yannick wartete bereits beim Boot. Zehn Minuten später hatten sie den Hafen erreicht und stiegen in ihre Fahrzeuge.

„Zwei Tote an einem Tag. Der Fall entwickelt sich fast so wie die Mordserie in Névez im letzten Sommer“, meinte Monique.

„Hoffentlich nicht“, antwortete Anaïk. „Damals hatten wir sogar drei Tote, ich möchte nicht schon wieder einen Serienmörder suchen müssen.“

„Falls die zwei Morde in Zusammenhang stehen, dann sind wir ja schon mitten drin!“, meinte Monique und lehnte sich gegen die Kopfstütze des Wagens.

„Jetzt habe ich noch weniger Zeit für die Suche nach meinem Hochzeitskleid“, meinte Anaïk enttäuscht.

Kapitel 6

Marc Le Bras machte sich auf den Weg zu seinem Freund, Hervé Floc´h. Die beiden Männer kannten sich schon seit einer Ewigkeit. Sie waren Arbeitskollegen in der Verwaltung des Departements in Quimper gewesen. Le Bras hatte die Fahrzeugzulassungsstelle geleitet, und Hervé Floc´h war zuständig gewesen für die Erteilung der Führerscheine, der permis de conduire. Sie hatten sich über viele Jahre täglich gesehen und angefreundet. Ihre Kontakte hatten sich in der Zeit ihrer Erwerbstätigkeit auf die Arbeitszeit beschränkt. Sie hatten darüber hinaus keine privaten Kontakte gepflegt. Beide Männer waren verheiratet und hatten eine Familie. Le Bras wohnte mit seiner Frau Gaël und seiner Tochter Laora in Locronan und Hervé Floc´h in Douarnenez. Hervé hatte zwei Söhne, Marc und Pierre, die beide in Paris studierten. Marc Le Bras verlor vor ungefähr acht Jahren seine Frau. Sie war mit einem Wäschekorb die Kellertreppe hinuntergestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. Seine Tochter Laora hatte vor drei Jahren geheiratet, und sowohl Marc als auch Hervé haben ihre Pension angetreten. Seitdem haben die beiden Männer ihre freundschaftliche Beziehung privat weitergepflegt. Sie teilen eine gemeinsame Leidenschaft, das Segeln. Sowohl Marc Le Bras als auch Hervé Floc´h besitzen ein Segelboot in Douarnenez.

Ihre Boote gehören zu den kleineren Yachten von sechs Metern. In den beiden zurückliegenden Jahren haben sie sich mindestens drei Mal in der Woche zu gemeinsamen Segeltörns am Hafen Rhu getroffen, Sie sind mal auf dem einen mal auf dem anderen Boot gesegelt. Das Wetter war ihnen gleichgültig, der Himmel konnte weinen oder lachen, sie hatten sich auf den Weg gemacht, außer wenn ein richtiger Sturm angesagt war oder im Fernsehen eine Berichterstattung von den großen Segelregatten lief, dann haben sie häufig gemeinsam vor dem Fernseher gesessen und ihrem Favoriten die Daumen gedrückt. Die Vendee Globe waren ein solches Ereignis, eine Non-Stopp-Regatta für Einhandsegler, die entlang des Südpolarmeeres einmal um den Globus führt und als die härteste Einhandregatta der Welt gilt. Sie hatten Armel Le Cléac´h die Daumen gedrückt. Diesmal würde der ewige zweite das Rennen gewinnen. Ein Bretone hatte vor dem Engländer Thomson gelegen, das war eine Sensation. Die Bretonen sprachen nur noch von Armel, und jeder im Finistère wusste, wer gemeint war. Marc und Hervé beschlossen spontan, zur Siegesfeier nach Les Sables d´Olonne zu fahren.

Als sie nach drei Tagen wieder in Quimper eintrafen besaß jeder von ihnen ein Autogramm von Armel, der die Weltumsegelung in 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden geschafft hatte. Marc lud seine Tochter und seinen Schwiegersohn zur Feier des Sieges zu einem Restaurantbesuch ein. Man hätte meinen können, er hätte das Rennen gewonnen.

Für den folgenden Tag hatten sich Marc und Hervé zu einem Segeltörn zur Île des Seins verabredet. Es war ein frischer sonniger Tag mit idealen Windbedingungen. Sie verließen den Hafen Rhu und segelten an der Île Tristan vorbei durch die herrliche Bucht von Douarnenez. Diese Bucht zählte nicht umsonst zu den schönsten Buchten der Welt. Eingerahmt von der Halbinsel Crozon im Norden und dem Cap Sizun im Süden, an dessen Spitze die Pointe du Raz liegt, öffnet sich die Bucht zum Atlantischen Ozean. Die Farben des Wassers wechseln von hellem Türkisgrün zu tiefem Dunkelblau. Ein Bretone würde von glazik sprechen, weder eindeutig grün noch blau, eben glazik. Die Wasseroberfläche glitzerte im Sonnenlicht wie Diamanten.

Zwischen der Pointe du Raz und der Pointe du Van lag die berühmt berüchtigte Baie des Trépassés, die Bucht der verstorbenen Seelen. Für Segler war es eine Region, die erhöhte Aufmerksamkeit forderte. Felsenriffe und Untiefen hatten hier im Laufe der Zeit schon zahlreiche Opfer gefordert.

Marc und Hervé würden heute nördlich an der Bucht vorbeisegeln und dann in südwestliche Richtung drehen. Sobald sie den Leuchtturm, den Phare de la Vieille, vor der Pointe du Raz passiert hätten käme die Île de Sein in Sicht.

Dank der steifen Brise kamen sie rasch voran. Sie hatten die Bucht von Douarnenez noch nicht hinter sich gelassen und näherten sich der Pointe du Millier als sie den Frachter in einer Entfernung von höchstens einer halben Meile liegen sahen.

„Seltsam, was macht der hier? Es ist kein Ort zum Ankerwerfen, und Wasserstraßen verlaufen hier auch nicht. Die großen Schiffe passieren die Bucht viel weiter nordwestlich“, meinte Marc und griff zu seinem Fernglas.

„Vielleicht hat er sich verirrt oder hat einen Motor- oder Ruderschaden“, meinte Hervé.

„Nein, das hat er nicht! Guck mal!“ Marc reichte Hervé das Fernglas. Jetzt konnte auch er sehen, was Marc meinte. Neben dem Frachter hielten zwei Rettungsboote mit Außenbordmotoren. Über Strickleitern kletterten Menschen vom Frachter und gingen an Bord der Boote. Was ging da vor? Ein Frachter, der auf offener See Menschen in Rettungsboote klettern ließ, das konnte nur Menschenschmuggel bedeuten. Vermutlich Schleuser, die Menschen heimlich nach Frankreich brachten. Hervé suchte den Namen des Schiffes und prägte ihn sich ein, Prince Hadifa. Der Frachter fuhr eindeutig unter der Flagge von Malta. Hervé kannte sich mit Flaggen aus. Auf Malta gab es zwei Flaggen, eine offizielle und eine Handelsflagge. Die offizielle war links weiß und rechts rot, mit dem rot umrandeten Georgs-Kreuz in der linken oberen Ecke. Da die Farben mit der Flagge für das H des Flaggenalphabets identisch waren, und das Malteserkreuz leicht zu übersehen gewesen wäre, gab es noch die Handelsflagge.

„Ich schreibe mir den Namen des Schiffes auf, Marc, hier geht was Verbotenes vor. Wir melden es bei unserer Rückkehr“, meinte Hervé. Sie setzten ihre Fahrt zur Île de Sein fort.

Auch auf dem Frachter war die Segelyacht bemerkt worden.

„Chef, wir sind beobachtet worden“, rief der Kapitän dem Mann zu, der sich mit Chef anreden ließ, und zeigte auf das kleine Segelboot. Der Angesprochene nahm sein Fernglas zur Hand, suchte das Boot und sah die zwei Männer an Bord, die mit dem Fernglas den Frachter beobachteten.

„Die müssen weg“, sagte der Chef und griff zu seinem Handy. Er wählte eine Nummer.

„Was gibt‘s Emile?“, fragte ein Mann am anderen Ende, er hatte die Nummer des Anrufers auf seinem Display erkannt.

„Boss, wir haben ein Problem, das beseitigt werden muss. Zwei Segler haben uns beim Umladen der Fracht beobachtet. Kannst du das veranlassen?“

„Um wen handelt es sich?“

„Must du herausfinden, das Boot heißt Le Bras I und kommt aus Douarnenez.“

„Ich kümmere mich um die Angelegenheit“, antwortete der Boss und hängte ein.

„Der Boss kümmert sich um die Segler!“, rief er dem Kapitän zu. Sie beachteten die Segler nicht weiter und vollendeten ihre Entladung, wie sie es nannten, die noch eine ganze Weile dauern würde.

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9783750219489
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