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Читать книгу: «Neu-Land», страница 21

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– Aber Sie verfügen ja nichts hinsichtlich dieses Ssolomin, – rief Kallomeyzew kläglich aus: er hatte die ganze Zeit mit gespitzten Ohren dagestanden und die kurze Unterredung des Gouverneurs mit Ssipjagin zu belauschen versucht. – Ich versichere Sie, das ist der Haupt-Rädelsführer! Ich habe dafür eine seine Nase ich sage Ihnen, eine feine Nase!

– Pas trop de zèle, liebster Ssemen Petrowitsch, – bemerkte schmunzelnd der Gouverneur. – Denken Sie nur an Tallerand! Steht es so, so wird er uns schon nicht entgehen. Vergegenwärtigen Sie sich lieber Ihren . . . Der Gouverneur machte an seinem Halse die Geste des Erhängens. . . A propos, – wandte er sich wieder zu Ssipjagin, – et ce gaillard là – (er wies wieder mit dem Kinn auf Paklin.) – Qa’en ferons nous? Seinem Aussehen nach ist er nicht gefährlich.

– Mag er gehen, – sagte Ssipjagin leise, und fügte auf Deutsch hinzu: – Laß den Lumpen laufen!

Er bildete sich aus irgend welchem Grunde ein, daß das ein Citat aus Göthe sei, aus »Götz von Berlichingen!«

– Sie können gehen, mein Herr! – sagte der Gouverneur mit lauter Stimme. – Wir bedürfen Ihrer nicht mehr! – Glück auf den Weg!

Paklin machte eine Verbeugung und betrat zerschlagen und vernichtet die Straße. Gott! Gott! diese Verachtung hatte ihn ganz niedergeschmettert!

– »Was ist denn das?« – dachte er voll unnennbarer Verzweiflung, – »bin ich ein Feigling? ein Denunziant?! Nein . . . nein! Ich bin ein ehrlicher Mann, meine Herren, – und bin durchaus nicht jedes Muthes bar!«

Aber was hockt da für eine bekannte Figur vor dem Hause des Gouverneurs und schaut ihn mit wehmutherfüllten, vorwurfsvollen Blicken an? Das ist ja – der alte Diener Markelow’s. Er ist offenbar seinem Herrn in die Stadt nachgegangen und kann sich nicht trennen von dessen Kerker. . . Warum schaut er denn Paklin so sonderbar an? Er ist’s ja nicht, der Markelow verrathen!

– Und was hatte ich mich auch einzumischen, wo ich nichts zu suchen hatte? Was habe ich angerichtet? – sann er verzweifelnd weiter. – »Weshalb blieb ich nicht in meinem Winkel! – Jetzt werden sie von mir erzählen und vielleicht gar schreiben: ein gewisser Herr Paklin hat Alles erzählt, hat sie verrathen . . . hat seine Freunde den Feinden verrathen!« – Er gedachte des Blickes, den Markelow auf ihn geworfen, gedachte seiner letzten Worte: »Du wirst Dich nicht herausflüstern, es ist verlorene Müh!« – und dann diese greisenhaften, wehmüthigen, gramerfüllten Augen! – Und wie es in der Schrift heißt – »er weinte bitterlich« – und schwankte in seine Oase, zu Thömchen und Thymchen, zu Snandulia. . .

Sechsunddreißigstes Capitel

Als Marianne am selben Morgen aus ihrem Zimmer trat, erblickte sie Neshdanow bereits angekleidet auf dem Divan. Mit der einen Hand stützte er den Kopf, die andere lag matt und regungslos auf dem Knie. – Sie ging auf ihn zu.

– Guten Morgen, Alexei . . . Du hast Dich nicht ausgekleidet? hast nicht geschlafen? Wie Du blaß bist!

Die schweren Lider seiner Augen hoben sich langsam.

– Ich habe mich nicht ausgekleidet, habe nicht geschlafen.

– Bist Du unwohl! oder ist es noch die« Folge des gestrigen Tages?

Neshdanow schüttelte den Kopf.

– Ich habe seit jenem Augenblick nicht geschlafen, als Ssolomin zu Dir in’s Zimmer trat.

– Wann?

– Gestern Abend.

– Alexei, bist Du eifersüchtig? Das ist eine Neuigkeit! Hast auch eine passende Zeit gewählt, eifersüchtig zu sein! Er war höchstens eine Viertelstunde bei mir. . . und wir haben von seinem Vetter gesprochen, dem Priester – darüber, wie unsere Trauung zu bewerkstelligen wäre.

– Ich weiß, daß er nur eine Viertelstunde geblieben ist, ich sah, wie er fortging. Und ich bin nicht eifersüchtig, o nein! Und doch habe ich bis jetzt nicht einschlafen können.

– Warum denn nicht?

Neshdanow schwieg.

– Ich habe immerfort gedacht . . . gedacht . . . gedacht! – sagte er nach einer kleinen Pause.

– Woran?

– An Dich . . . an ihn . . .an mich selbst.

– Und wohin haben Dich Deine Gedanken geführt?

– Soll ich’s Dir sagen, Marianne?

– Ja.

– Ich habe gedacht, daß ich – Dir . . . ihm . . . mir selbst im Wege bin.

– Mir! ihm! Ich kann mir denken, was Du damit sagen willst, obwohl Du versicherst, daß Du nicht eifersüchtig bist. – Aber – Dir selbst?

– Marianne, es leben zwei Menschen in mir – und der eine läßt den andern nicht aufkommen. Deshalb denke ich, daß es besser ist, wenn sie Beide das Zusammensein aufgeben.

– Beruhige Dich, Alexei, ich bitte Dich. Welche Lust hast Du daran, Dich selbst zu quälen – und mich? Wir müssen jetzt bedenken, was wir thun sollen. . . Man wird uns nicht unbehelligt lassen.

Neshdanow berührte sanft ihre Hand.

– Setze Dich zu mir, Marianne, und laß uns recht freundschaftlich mit einander plaudern. Noch haben wir Zeit. Gieb mir Deine Hand. Es scheint mir, daß es nicht schlecht wäre, wenn wir uns aussprechen würden, obgleich man freilich zu sagen pflegt, daß Erklärungen noch mehr Verwirrung anrichten. Aber Du bist klug und gut, Du wirst Alles verstehen, und was ich zu wenig sage, wirst Du in Gedanken ergänzen. Setz’ Dich.

Neshdanow sprach sehr leise und in seinen fest auf Marianne gerichteten Augen lag eine ganz besondere freundschaftliche Zärtlichkeit, eine flehende Bitte.

Sie setzte sich sogleich willig neben ihn und ergriff ihrerseits seine Hand.

– Ich danke Dir, Du Liebe. Höre mich jetzt an. Ich werde Dich nicht lange aufhalten. Ich habe mir schon in der Nacht Alles in Gedanken zurechtgelegt, was ich Dir zu sagen habe. Höre also. – Glaube nicht, daß mich der gestrige Vorfall besonders betrübt hätte: ich muß wohl sehr komisch gewesen sein und sogar ein wenig widerwärtig; Du hast aber natürlich weder schlecht noch niedrig von mir denken können. . . Du kennst mich. – Ich sagte vorhin, daß mich dieser Vorfall nicht betrübt hat; das ist – nicht wahr, das ist ein Unsinn . . . er hat mich wohl betrübt; aber nicht deshalb, weil man mich betrunken nach Hause gebracht, sondern, weil ich darin den endgültigen Beweis meines Unvermögens erblickt habe! – Nicht blos darin, daß ich nicht im Stande bin so zu trinken, wie der russische Bauer, sondern – überhaupt! Überhaupt! Marianne, es ist meine Pflicht, Dir zu sagen, daß ich an jenes Werk nicht mehr glaube, welches uns verbunden, kraft dessen wir Beide aus jenem Hause entflohen sind, und für welches mein Interesse, die Wahrheit zu sagen, bereits zu erkalten begann, als Dein Feuer mich wieder erwärmte und die erlöschende Flamme von Neuem in mir entfachte: – ich glaube nicht! ich glaube nicht!

Er bedeckte mit der freien Hand die Augen und verstummte. – Auch Marianne schwieg und schlug die Augen nieder. . . Sie fühlte, daß er ihr nichts Neues gesagt hatte.

– Ich dachte früher – fuhr Neshdanow fort, indem er die Hand von den Augen nahm, aber Marianne schon nicht mehr ansah, – daß ich wohl an das Werk glaube, aber an mir selbst zweifle, an meiner Kraft, an meinem Verständniß; meine Fähigkeiten, dachte ich, entsprechen nicht meinen Ueberzeugungen. . . Aber wie es scheint, können diese beiden Dinge nicht von einander geschieden werden – und wozu sich selbst täuschen! Nein, ich glaube an das Werk selbst nicht. – Und Du, Marianne, glaubst Du daran?

Marianne richtete sich auf und hob den Kopf.

– Ja, Alexei, ich glaube daran. Ich glaube mit allen Kräften meiner Seele und werde diesem Werk mein ganzes Leben widmen! Bis zum letzten Athemzug!

Neshdanow wandte sich zu ihr und maß sie mit einem Blick voll Rührung und Neid.

– Ja, ja, ich habe eine solche Antwort erwartet. – Da siehst Du nun, daß wir nicht mehr gemeinsam schaffen können: Du hast mit einem Schlag unsere Verbindung gelöst.

Marianne schwieg.

– Und wenn auch Ssolomin nicht glaubt . . . – begann Neshdanow von Neuem.

– Wie?

– Nein! Er glaubt nicht daran . . . er braucht es auch nicht; er geht langsam vorwärts. Ein Mensch, der aus dem Wege zur Stadt ist, wird sich nicht erst fragen, ob diese Stadt denn auch wirklich existirt. Er geht ruhig seines Weges. So thut auch Ssolomin. Und weiter braucht er auch nichts. Ich aber . . . vorwärts kann ich nicht; rückwärts will ich nicht; auf dem Platze bleiben – das ertrage ich nicht. Wem könnte ich denn wagen, das Anerbieten zu machen, mein Gefährte zu sein? Kennst Du das Sprichwort: greift der Eine hier, der Andere dort an – dann geht Alles trefflich von Statten! Wenn der Eine es aber nicht tragen kann, was soll dann der Andere thun?

– Alexei, – versetzte Marianne unentschlossen, – Du übertreibst, wie mir scheint. – Wir lieben einander doch.

Neshdanow seufzte.

– Marianne . . . Ich beuge mich vor Dir . . . Du aber bemitleidest mich – und ein Jeder von uns ist von der Ehrlichkeit des Andern überzeugt: das ist die Wahrheit! Liebe ist zwischen uns nicht vorhanden.

– Halt, Alexei, was sprichst Du? Heute, jetzt gleich, wird die Polizei uns auf den Hals kommen. Wir müssen zusammen von hier fliehen und uns nicht von einander trennen.

– Ja; und zu dem Priester Sossima fahren, der uns, dem Vorschlag Ssolomin’s gemäß, trauen wird. Ich weiß sehr gut, daß diese Ehe in Deinen Augen nichts weiter ist, als nur ein Paß, ein Mittel, den polizeilichen Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen . . . aber sie verpflichtet doch einigermaßen . . . zu gemeinsamem Leben, zu einem Leben neben einander oder wenn sie nicht verpflichtet, so hat sie doch den Wunsch, vereinigt zu leben, zur Voraussetzung.

– Was heißt das, Alexei? Bleibst Du hier?

Neshdanow wäre fast ein »Ja!« entfahren, aber er besann sich und sagte:

– N . . .n . . . nein.

– In diesem Falle wirst Du Dich also nicht dorthin begeben, wohin ich gehe?

Neshdanow drückte recht fest die noch immer in der seinigen ruhende Hand.

– Dich ohne Schutz und ohne Beschützer zu lassen, wäre ehrlos von mir – und ich werde das nicht thun, so schlecht ich auch bin. Du wirst einen Beschützer haben. Zweifle nicht daran!

Marianne beugte sich zu Neshdanow und bestrebte sich, voll Besorgniß das eigene Antlitz dem seinigen nähernd, in seine Augen zu blicken, in seine Seele – bis auf den Grund seiner Seele.

.– Was ist Dir, Alexei? Was liegt Dir auf dem Herzen? Sag’ es mir! . . . Du beunruhigst mich.: Deine Worte sind so räthselhaft, so sonderbar. . . Und! Dein Antlitz? Ich habe Dich noch nie so gesehen!

Neshdanow wehrte ihr sanft und küßte ihr die Hand. Diesmal wiederstrebte sie ihm nicht – sie lachte auch nicht – und fuhr fort, ihm besorgt und aufgeregt in’s Antlitz zu blicken.

– Beruhige Dich, ich bitte Dich! Was ist denn dabei so sonderbar? – Ich will Dir sagen, worin mein Unglück besteht. Die Bauern haben, wie man sagt, Markelow ergriffen; er hat ihre Fäuste fühlen müssen, sie haben ihm den ganzen Körper zerschlagen . . . Mich haben sie nicht ergriffen, sie haben sogar mit mir getrunken, mein Wohl ausgebracht. . . aber meine Seele haben sie ärger zerschlagen als Markelow’s Körper. Ich bin verrenkt geboren . . . ich wollte mich wieder einrenken, und habe es noch schlechter gemacht. Das ist es, was Du auf meinem Antlitz liest.

– Alexei, – versetzte Marianne langsam, – Du würdest eine Sünde begehen, wenn Du gegen mich nicht aufrichtig wärest.

Er preßte seine Hände ineinander.

– Marianne, mein ganzes Sein liegt offen vor Dir wie auf der flachen Hand; und was ich auch thue, ich sage Dir im Voraus: Du wirst Dich im Grunde über nichts, gar nichts wundern!

Marianne wollte um eine Erklärung dieser Worte bitten, unterließ es jedoch . . . im selben Augenblick trat auch Ssolomin in’s Zimmer.

Seine Bewegungen waren lebhafter und schärfer als gewöhnlich. Die Augen erschienen kleiner, die breiten Lippen dünner, das ganze Gesicht schien in die Länge gezogen und hatte einen trockenen, festen, etwas rauhen Ausdruck angenommen.

– Meine Freunde, – begann er, – ich bin gekommen Euch zu sagen, daß Ihr Euch beeilen müßt. Macht Euch fertig . . . es ist Zeit zu fahren. In einer Stunde müßt Ihr bereit sein. Ihr müßt zur Trauung fahren. Von Paklin habe ich keine Nachricht; die Pferde hatte man anfangs in Arshanoje zurückbehalten, dann aber wieder fortgeschickt. . . Er ist dort geblieben. Man hat ihn wahrscheinlich in die Stadt gebracht. Er wird uns natürlich nicht verrathen, aber, Gott weiß, am Ende doch was ausplaudern. An den Pferden können sie es übrigens schon errathen haben. Mein Vetter ist benachrichtigt. Paul wird mit Euch fahren. Er wird Euch als Zeuge fungiren.

– Und Sie . . . und Du? – fragte Neshdanow. – Bleibst Du denn hier? Du bist ja im Reiseanzug, wie ich sehe, – fügte er, mit den Augen auf Ssolomin’s große Wasserstiefel weisend, hinzu.

– Das habe ich nur . . . gethan . . . es ist draußen so schmutzig.

– Du wirst unseretwegen doch nicht zur Verantwortung gezogen werden?

– Ich glaube nicht . . . jedenfalls ist das meine Sache. Also in einer Stunde. – Marianne, Tatjana möchte Sie sehen. Sie hat da etwas für Sie präparirt.

– Ach ja! Ich wollte ja auch selbst zu ihr gehen. . . Marianne ging zur Thür . . .

Auf Neshdanow’s Antlitz zeigte sich ein eigenthümlicher Ausdruck: etwas wie Schreck, Wehmuth . . .

– Marianne, Du gehst? – fragte er plötzlich tonlos. Sie blieb stehen.

– Ich komme nach einer halben Stunde wieder. Ich brauche nur ein paar Minuten, um meine Sachen einzupacken.

– Ja; aber komm’ setzt zu mir . . .

– Gern; doch wozu?

– Ich mochte Dir noch ein Mal in’s Auge blicken. – Er schaute sie lange an. – Leb’ wohl, Marianne, leb’ wohl! – Sie erstaunte. – Das heißt was spreche ich? Das ist mir so ganz unwillkürlich entfahren. – Du Kommst doch zurück nach einer halben Stunde? Ja?

– Natürlich.

– Nun ja . . . gut . . . Vergieb mir. In meinen Gedanken herrscht eine solche Verwirrung nach der schlaflosen Nacht. – Ich werde auch gleich . . . einpacken.

Marianne verließ das Zimmer.

Ssolomin wollte ihr folgen.

Neshdanow hielt ihn zurück.

– Ssolomin!

– Was?

– Reich mir Deine Hand. Ich muß Dir doch danken für Deine Gastfreundschaft.

Ssolomin lächelte.

– Was Dir einfällt. – Er gab ihm jedoch die Hand.

– Und noch eins, – fuhr Neshdanow fort, – wenn mir etwas zustoßen sollte, kann ich auf Dich bauen, daß Du Marianne nicht verlassen wirst?

– Deine zukünftige Frau?

– Nun ja, – Marianne.

– Ich bin erstens überzeugt, daß Dir nichts zustoßen wird; und zweitens kannst Du ganz ruhig sein – Marianne ist mir eben so theuer, wie Dir.

– O ja! Ich weiß . . . ich weiß . . . ich weiß! Nun, dann ist ja Alles gut. Ich danke Dir.

– In einer Stunde also?

– In einer Stunde.

– Ich werde bereit sein. Leb’ wohl!

Ssolomin ging hinaus und holte Marianne auf der Treppe ein. Er wollte ihr noch etwas sagen in Betreff Neshdanow’s – that es aber nicht. Marianne fühlte, daß Ssolomin ihr etwas sagen wollte – eben in Betreff Neshdanow’s, daß er es aber verschwieg. Und auch sie blieb stumm.

Siebenunddreißigstes Capitel

Als Ssolomin fort war, sprang Neshdanow sogleich vom Divan, ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, aus einer Ecke in die andere, blieb eine Minute wie versteinert, in Gedanken versunken, in der Mitte des Zimmers stehen; dann fuhr er plötzlich auf, warf hastig seinen »Maskeradenanzug« ab, stieß ihn mit dem Fuß in die Ecke, und zog seine früheren Kleider an. Daraus trat er an den dreibeinigen Tisch, nahm aus der Lade zwei versiegelte Briefchen und noch einen kleinen Gegenstand, den er in die Tasche steckte – die Briefe aber legte er auf den Tisch. Hierauf kauerte er vor dem Ofen nieder und öffnete die Ofenthür . . . Im Ofen lag ein ganzer Haufen Asche. Das war Alles, was von den Papieren Neshdanow’s, von seinem geliebten Heft übrig geblieben war . . . Er hatte sie sämmtlich im Laufe der Nacht verbrannt. Hier im Ofen, an eine der Innenwände gelehnt, befand sich auch das ihm von Markelow geschenkte Porträt Mariannens Er hatte offenbar nicht das Herz gehabt, dieses Porträt zu verbrennen. Neshdanow zog es vorsichtig hervor und legte es auf den Tisch neben die versiegelten Briefchen.

Darauf ergriff er mit einer entschlossenen Armbewegung seine Mütze und lenkte seine Schritte zur Thür . . . blieb jedoch wieder stehen, wandte sich und ging in Mariannens Zimmer. Hier stand er einige Augenblicke still, sah sich um, trat an ihr schmales Bettchen, beugte sich über dasselbe, und preßte, lautlos schluchzend, die Lippen nicht auf das Kopfende, sondern auf das Fußende des Bettes . . . Dann richtete er sich mit einem Male auf, drückte die Mütze in die Stirn und stürzte hinaus.

Neshdanow schlüpfte, ohne Jemandem weder im Corridor, noch auf der Treppe, noch unten zu begegnen, in den hinter dem Hause gelegenen kleinen Garten. Es war ein trüber, grauer Tag, die Wolken hingen niedrig am Himmel, ein kleiner feuchter Wind bewegte ganz leise die Spitzen der Gräser und hie und da einzelne Blätter auf den Bäumen; der Lärm und das Gerassel auf der Fabrik waren weniger stark, als sonst um diese Tageszeit; vom Hofe her drang der Geruch von Kohlen, Theer und Talg herüber. – Neshdanow blickte sich scharf und mißtrauisch um und ging auf den alten Apfelbaum zu, der bereits am Tage seiner Ankunft, als er zum ersten Mal aus dem Fenster der kleinen Wohnung hinabgeschaut, seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Der Stamm dieses Apfelbaums war mit trockenem Moos bewachsen, die rauhen, kahlen Aeste, von denen hie und da einzelne röthlich-grüne Blätter herabhingen, hoben sich gen Himmel, gekrümmt wie flehentlich ausgestreckte, in den Ellenbogen geknickte Greisenarme. Neshdanow trat festen Fußes auf die dunkle Erde, welche die Wurzel umgab, und zog jenen kleinen Gegenstand aus der Tasche, der in der Lade des Tisches gelegen hatte. – Darauf schaute er aufmerksam zu den Fenstern seiner Wohnung auf . . . »Wenn mich Jemand in diesem Augenblicke sehen sollte.« – dachte er, – so werde ich es vielleicht aufschieben« . . .Aber nirgends zeigte sich ein menschliches Angesicht . . . als ob Alles ausgestorben von ihm zurückgetreten wäre, als ob sich Alles von ihm abgewandt, ihn der Willkür des Schicksals überlassen hätte. Die Fabrik allein stank und lärmte dumm und plump, und von oben begann ein feiner, kalter, prickelnder Regen zu stäuben.

Neshdanow blickte durch die gekrümmten Aeste des Baumes, unter welchem er stand, zu dem niedrigen, grauen, theilnahmlos blinden und nassen Himmel hinauf, gähnte leicht, schauderte zusammen, sagte in Gedanken: »es ist mir ja nichts mehr übrig geblieben, soll ich denn wieder nach Petersburg zurück, in’s Gefängniß! . . . – schleuderte die Mütze fort, setzte, im ganzen Körper ein gewisses süßlich-herbes, stark beklemmendes Dehnen vorausempfindend, den Revolver an die Brust und drückte ab . . .

Es war ihm, als hätte irgend etwas ihn vor die Brust geschlagen, nicht einmal stark geschlagen . . . aber er lag bereits auf dem Rücken und versuchte sich klar zu machen, zu erkennen, was mit ihm sei und wie es denn gekommen, daß er Tatjana eben gesehen! . . . Er wollte sie sogar rufen, ihr sagen: – »Ach, es ist nicht nöthig!« – aber seine Glieder waren schon wie erstarrt, vor seinem Antlitz, in den Augen, auf der Stirn, im Hirn drehte sich ein trüb-grüner Wirbel herum – und etwas fürchterlich Schweres und Plattes schien ihn für immer an die Erde gedrückt zu haben.

Es war nicht bloße Phantasie gewesen, daß Neshdanow geglaubt hatte, Tatjana zu sehen; denn sie war in demselben Augenblicke, als er den Revolver abdrückte, an eins der Fenster des Flügels getreten und hatte ihn unter dem Apfelbaum erblickt. Sie hatte jedoch kaum Zeit gehabt zu denken: – »was hockt er denn bei solchem Wetter ohne Mütze unter dem Apfelbaum! « – als er wie eine Garbe umfiel. Den Schuß hatte sie nicht gehört – er war sehr schwach, aber es ahnte ihr sofort etwas Schlimmes und sie stürzte über Hals und Kopf hinab in den Garten . . . Sie kam auf Neshdanow zugelaufen . . . »Alexei Dmitritsch, was ist Ihnen?« . . . Aber in ihm war es bereits finster geworden. Tatjana beugte sich über ihn, sah das Blut. . .

– Paul! schrie sie wie wahnsinnig auf. – Paul!

Einige Augenblicke darauf waren Marianne, Ssolomin, Paul und zwei Fabrikarbeiter im Garten. Man hob ihn sogleich auf, trug ihn in den Flügel und legte ihn auf denselben Divan nieder, auf welchem er die letzte Nacht zugebracht.

Er lag auf dem Rücken mit halb geschlossenen unbeweglichen Augen, und bläulichem Antlitz, röchelte schwer und gedehnt, und schluchzte zuweilen auf und schluckte, gleichsam als ob er erstickte. Das Leben hatte ihn noch nicht verlassen. Marianne und Ssolomin standen zu beiden Seiten des Divans, Beide waren ebenso blaß, wie Neshdanow selbst. Sie waren Beide niedergeschlagen, erschüttert, vernichtet – namentlich Marianne – aber nicht überrascht. »Wie haben wir das nicht voraussehen können?« – fragten sie sich, und doch schien es ihnen zugleich, daß sie . . . ja, daß sie es wohl vorausgesehen hatten. – Als er zu Marianne sagte: »was ich auch thun werde, ich sage Dir im Voraus: Du wirst Dich über nichts wundern, « – und als er von den beiden Menschen sprach, die sich in ihm stritten – regte sich damals nicht ein unklares – Ahnungsgefühl in ihr? – Warum hatte sie denn damals nicht gleich aufgemerkt und sich über den Sinn dieser Worte und über dieses Gefühl Rechenschaft zu geben versucht? – Warum hatte sie denn jetzt nicht den Muth zu Ssolomin aufzublicken, als ob er ihr Mitschuldiger wäre als ob auch ihm das Gewissen schlüge? Warum thut ihr denn Neshdanow nicht nur so unendlich leid, daß sie fast verzweifeln könnte, sondern warum bedrückt sie auch ein so schreckliches, ängstliches Gefühl, welche Pein quält sie!« Vielleicht hat es in ihrer Hand gelegen, ihn zu retten? Warum können sie Beide kein Wort über die Lippen bringen? Sie wagen kaum zu athmen – und warten. . . Worauf? O Gott!

Ssolomin hatte nach dem Arzt geschickt, obgleich natürlich keine Hoffnung vorhanden war, Neshdanow zu retten. Tatjana hatte auf die kleine, bereits schwarze, blutlose Wunde einen großen, mit kaltem Wasser durchtränkten Schwamm gedrückt und benetzte ihm auch das Haar mit kaltem Wasser und Essig.

Neshdanow hörte plötzlich auf zu röcheln und regte sich.

– Er kommt zur Besinnung, – flüsterte Ssolomin.

Marianne sank neben dem Divan in die Kniee Neshdanow blickte zu ihr auf . . .bis dahin waren seine Augen ganz starr und stier, wie bei allen im Verscheiden begriffenen Menschen.

– Ich lebe . . . ja noch, – flüsterte er kaum hörbar. – Nicht einmal das habe ich verstanden . . . und halte Euch auf.

– Alex, – stöhnte Marianne.

– Ja wohl . . . gleich . . . Weißt Du, Marianne, in meinem . . . Gedicht . . .

»Blumen trage her zu mir. . .« Wo sind denn die Blumen?

. . . Dafür bist Du ja da . . . Dort, in meinem Briefe . . .

Er erzitterte plötzlich am ganzen Körper.

– Ah! da ist er . . . Reicht Euch . . . die Hände . . hier. . . vor mir. . . Rascher. . . reicht Euch. . .

Ssolomin ergriff Mariannens Hand. Ihr Kopf lag auf dem Divan, mit dem Antlitz nach unten gewandt, dicht neben der Wunde.

Ssolomin stand aufrecht und tiefernst vor ihm, finster wie die Nacht.

– So. . . es ist gut. . . so. . .

Neshdanow begann wieder zu schluchzen, aber in höchst ungewöhnlicher Weise . . . Die Brust hob sich mächtig, die Seiten sanken ein . . .

Er wollte seine Hand offenbar auf ihre verbundenen Hände legen, aber seine Hände waren bereits abgestorben.

– Er stirbt, – flüsterte die an der Thür stehende Tatjana und begann sich zu bekreuzen.

Er schluchzte seltener, kürzer Sein Blick suchte Marianne . . . aber etwas drohend Weißes umflorte bereits das Innere seines Auges . . .

– »Es ist gut . . waren seine letzten Worte.

Er war nicht mehr . . . Ssolomins und Mariannen’s verbundene Hände ruhten jedoch noch immer auf seiner Brust.

Von den beiden von ihm zurückgelassenen kurzen Briefchen war der eine an Ssilin gerichtet und enthielt nur wenige Zeilen:

»Leb’ wohl, Bruder und Freund, leb’ wohl; wenn Du diesen Papierfetzen erhältst – bin ich nicht mehr. Frage mich nicht, woher und warum, – und bedaure mich nicht; denke, daß ich’s jetzt besser habe. Nimm unseren unsterblichen Puschkin zur Hand und lies im »Ewgenij Onegin« die Schilderung des Todes von Lenskij. Erinnerst Du Dich: »Mit weißer Kreide bedeckt sind die Fenster; die Wirthin ist fort . . . « u.s.w. Da hast Du Alles. Ich habe Dir nichts zu sagen . . . weil ich Dir viel zu sagen hätte und mit fehlt die Zeit dazu. Ich wollte aber nicht von hinnen scheiden, ohne Dich davon zu benachrichtigen; denn sonst dächtest Du meiner als eines Lebenden und ich hätte mich an unserer Freundschaft versündigt. Leb’ wohl und – lebe.

Dein Freund A.N.«

Der andere Brief war etwas länger und an Ssolomin und Marianne gerichtet.

In diesem Brief stand Folgendes:

»Meine Kinder!

(Gleich nach diesen Worten schien der Schreiber inne gehalten zu haben; es war da etwas durchgestrichen oder richtiger vielleicht verwischt, als ob Thränen darauf gefallen wären.)

»Ihr werdet es vielleicht sonderbar finden, daß ich Euch so anrede; ich bin ja selbst fast noch ein Kind, und Du, Ssolomin, Du bist viel älter als ich. Ich sterbe jedoch – und betrachte mich, am Ende meines Lebens stehend, als einen Greis. Ich habe mir, Euch Beiden gegenüber, viel zu Schulden kommen lassen, und namentlich gegen Dich, Marianne – weil ich Euch ein solches Weh bereite – (ich weiß, Marianne, daß Du um mich trauern wirst) – und Euch so viel Unruhe verursacht habe. Aber was sollte ich, thunt Ich fand keinen anderen Ausweg. Ich verstand es nicht, mich zu »vereinfachen,« es blieb also nur übrig, mich gänzlich auszustreichen. – Marianne, ich wäre mir selbst und auch Dir eine Last gewesen. Du bist großmüthig – Du hättest Dich darüber gefreut, wie über ein neues Opfer . . . ich hatte aber nicht das Recht, Dir dieses Opfer aufzuerlegen: Du stehst jetzt vor einem besseren und wichtigeren Werke – Meine Kinder, erlaubt mir, Euch zu verbinden, gleichsam mit einer Hand aus dem Grabe. Ihr werdet es gut haben zusammen. Marianne, Du wirst Ssolomin endgültig lieb gewinnen, – er aber . . . er liebt Dich seit jenem Augenblick, da er Dich Zum ersten Mal bei Ssipjagin gesehen. Es war mir das nicht entgangen, obgleich ich einige Tage darauf mit Dir entfloh. – O jener Morgen! Wie war er so herrlich, so frisch, so jugendschön! Er steht jetzt als ein Himmelszeichen vor mir, als ein Symbol Eures doppelten Lebens – Deines und seines Lebens, – und ich war damals nur zufällig an seinem Platze. – Es ist Zeit, den Brief zu schließen; ich will Dich nicht weich machen . . . ich will mich nur rechtfertigen. – Morgen werde ich einige schwere Augenblicke durchleben müssen . . . Aber was soll ich thun? Ist denn ein anderer Ausweg möglich? – Leb’ wohl, Marianne, mein gutes ehrliches Mädchen! – Leb’ wohl, Ssolomin! – Ich übergebe sie Dir. – Lebt glücklich – lebt und nützt den Andern; Du aber, Marianne, gedenke meiner nur, wenn Du glücklich bist. Gedenke meiner als eines gleichfalls guten und ehrlichen Menschen, für den es sich aber gleichsam mehr ziemte zu sterben, als zu leben. – Ob ich Dich wahrhaft geliebt habe – ich weiß es nicht, liebe Freundin; aber ich weiß, daß ich niemals ein stärkeres Gefühl empfunden, als das, welches mich zu Dir hinzog, und daß es mir noch schrecklicher wäre, zu sterben, wenn ich dieses Gefühl nicht mit mir ins Grab nehmen könnte.

»Marianne! Wenn Du jemals ein Mädchen, Namens Maschurina, triffst, – Ssolomin kennt sie übrigens, und auch Du hast sie, wie ich glaube, gesehen, – so sage ihr, daß ich ihrer kurz vor meinem Tode voll Dankbarkeit gedacht habe . . . Sie wird es schau verstehen.

»Es ist Zeit sich loszureißen . . . Ich habe eben aus dem Fenster geblickt: inmitten rasch dahinjagender Wolken stand ein schöner Stern am Himmel. So rasch sie auch einhertrieben, sie konnten ihn nicht verfinstern. Bei diesem Stern gedachte ich Deiner, Marianne! – In diesem Augenblicke schläfst Du im Nebenzimmer und Deine Seele ahnt nichts . . . Ich war an Deine Thür getreten, hatte das Ohr an dieselbe gedrückt, und glaube Deine keuschen, ruhigen Athemzüge vernommen zu haben . . . Leb’ wohl! Leb’ wohl! – Lebt wohl, meine Kinder, meine Freunde!

Euer A.

»Bah, bah, bah! Wie habe ich denn in meinem letzten Briefe nichts über unser großes Werk gesagt? – Wahrscheinlich weil man im Angesicht des Todes keine Lüge über die Lippen bringen möchte. . . Marianne vergieb mir diesen Zusatz. . . In mir steckte die Lüge, nicht aber in dem Werte, an welches Du glaubst.

»Ja! noch Eins will ich Dir sagen: Du wirst vielleicht denken, Marianne, daß ich mich vor dem Kerker fürchte, in den man mich gewiß gesteckt hätte – und daß ich dieses Mittel ergriffen, um dem aus dem Wege zu gehen? – Nein; der Kerker allein hat nichts zu sagen; aber für eine Sache im Kerker zu sitzen, an die man nicht glaubt – das ist nicht zu ertragen. Und ich lege Hand an mich – nicht weit ich mich vor dem Kerker fürchte.

»Leb’ wohl, Marianne! Leb’ wohl, Du Keusche, Unberührte!«

Marianne und Ssolomin lasen Beide den Brief einzeln durch. – Dann steckte Marianne ihr Porträt und beide Briefe in ihre Tasche – und blieb regungslos stehen.

Ssolomin wandte sich zu ihr.

– Es ist Alles bereit, Marianne, sagte er, wir wollen fahren. – Wir müssen seinen Willen erfüllen.

Marianne trat an Neshdanow heran, preßte die Lippen auf die bereits kalte Stirn, – und antwortete: sich zu Ssolomin wendend: – Fahren wir!

Er ergriff ihre Hand – und Beide verließen das Zimmer.

* * *

Als einige Stunden darauf die Polizei auf der Fabrik erschien, fand sie zwar Neshdanow – aber als Leiche. – Tatjana hatte ihn sorgsam angekleidet, ein weißes Kissen unter den Kopf geschoben, die Hände übereinandergelegt und sogar einen Blumenstrauß neben ihn auf den Tisch gestellt. – Paul, der die nöthigen Instructionen erhalten hatte, empfing die Polizeibeamten mit größter Ehrerbietung und mit ebenso viel Ironie, so daß diese nicht recht wußten, ob sie ihm danken oder ihn arretiren sollten. Er erzählte ihnen überaus umständlich, wie der Selbstmord geschehen war, und traktirte sie mit Schweizer Käse und Madeira; – über den augenblicklichen Aufenthalt von Wassili Fedotitsch und des angereisten Fräuleins könne er jedoch nichts sagen, behauptete er, da ihm nichts darüber bekannt sei, sei, und beschränkte sich darauf zu versichern, daß Wassili Fedotitsch niemals lange fortbleibe, denn auf der Fabrik sei ja immer genug zu thun; daß er, wenn nicht heute, so doch morgen gewiß zurückkehren und es dann sofort in der Stadt melden werde. Herr Ssolomin sei in dieser Hinsicht ein überaus pünktlicher Mensch!«

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04 декабря 2019
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