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Drittes Capitel

Der elegant gekleidete Herr trat auf Neshdanow zu und begann mit wohlwollendem Lächeln:

Ich habe bereits ein Mal das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen und mich mit Ihnen sogar zu unterhalten, Herr Neshdanow, vorgestern, wenn Sie sich dessen vielleicht erinnern – im Theater. Der Fremde hielt inne, als erwarte er eine Antwort; Neshdanow nickte mit dem Kopf und erröthete. – Ja! . . . und heute komme ich in Folge der Anzeige zu Ihnen, die Sie in die Zeitung haben einrücken lassen. Ich möchte mit Ihnen über Einiges sprechen, wenn ich nur die Herrschaften . . . Der Fremde verbeugte sich gegen Maschurina und machte mit der rechten, von einem graufarbenen schwedischen Handschuh bekleideten Hand eine Bewegung in der Richtung zu Paklin und Ostrodumow hin – nicht störe . . .

– Nein . . . durchaus nicht . . . antwortete Neshdanow, nicht ohne eine gewisse Anstrengung. – Die Herrschaften werden gestatten . . . Wollen Sie sich nicht setzen?

Der Fremde machte eine verbindliche Bewegung, und zog den Stuhl an der Lehne zu sich heran, ohne sich jedoch zu setzen – da im Zimmer Alle standen – und ließ die hellen, wenn auch halb geschlossenen Augen, im Kreise umherschweifen.

– Adieu, Alexei Dmitrijewitsch, – sagte plötzlich Maschurina: – ich komme später wieder vor.

– Ich auch, – fügte Ostrodumow hinzu. – Ich auch . . . später.

Dem Fremden ausweichend – gleichsam demselben zum Trotz, – ergriff Maschurina die Hand Neshdanow’s, drückte sie stark und ging, ohne Jemand zu grüßen, hinaus. Ostrodumow folgte ihr, unnützer Weise mit den Stiefeln polternd und zwei Mal sogar in ein kaum verhaltenes, spöttisches Lachen ausbrechend: »Da hast Du’s, Biberkragen!« Der Fremde verfolgte sie mit höflichen, aber neugierigen Blicken. Dann richtete er das Auge auf – Paklin, als ob er es erwarte, daß auch dieser dem Beispiele der beiden anderen Gäste folgen werde; aber Paklin, um dessen Lippen seit dem Auftreten des Fremden ein eigenthümliches Lächeln verborgen spielte, trat zur Seite und ließ sich in der Ecke nieder. Hierauf setzten sich auch der Fremde und Neshdanow.

– Ich heiße Ssipjagin, vielleicht haben Sie den Namen schon gehört, – begann mit bescheidenem Stolz der Fremde.

Wir müssen jedoch zuerst erzählen, wie sie sich im Theater kennen gelernt.

Man gab das Stück von Ostrowsky: »Setz Dich nicht in fremde Schlitten.« Am Vormittag war Neshdanow zur Kasse gegangen, wo er ziemlich viele Menschen vorfand. Er wollte ein Parterre-Billet lösen; – aber gerade im Begriff dies zu thun, rief ein hinter ihm stehender Offizier, dem Kassirer über Neshdanows Kopf hinüber einen Drei-Rubel-Schein reichend, in die Kasse hinein: »Sie werden dem Herrn vor mir wohl noch Geld ausgeben müssen – ich werde aber nichts zu bekommen haben – geben Sie mir daher, bitte, ein Billet in der zweiten Reihe ich habe Eile!« – »Entschuldigen Sie, Herr Offizier, – entgegnete Neshdanow in gereiztem Tone, – ich mochte selbst ein Billet in der zweiten Reihe lösen,« – und warf im selben Augenblick einen Drei-Rubel-Schein in’s Fenster der Kasse – sein ganzes Vermögen. Der Kassirer gab ihm das gewünschte Billet – und es befand sich Neshdanow am Abend in der aristokratischen Abtheilung des Alexandras Theaters.

Er war schlecht gekleidet, ohne Handschuhe, in ungeputzten Stiefeln – war befangen und ärgerte sich über diese Befangenheit. Neben ihm saßen: rechts – ein mit Sternen besäeter General; links – jener seine Herr, Geheimrath Ssipjagin, dessen Erscheinen zwei Tage darauf Maschurina und Ostrodumow in solche Aufregung versetzen sollte. Der General blickte zuweilen auf Neshdanow als auf etwas Unanständiges, Unerwartetes und sogar Beleidigendes; Ssipjagin dagegen warf zwar auch manchen Seitenblick auf ihn, doch lag darin nichts Feindliches. Alle Personen, die Neshdanow umgaben, schienen erstens mehr Persönlichkeiten von Rang und Ansehen, als einfach Menschen zu sein; zweitens kannten sie sich Alle so gut und tauschten kurze Reden, Worte und sogar einfach Rufe und Grüße mit einander aus. – Einige unter ihnen über den Kopf Neshdanow’s hinweg; er aber saß ungeschickt und unbeweglich in seinem breiten, bequemen Lehnstuhl, – als wäre er irgend ein Paria. Scham, Aerger und Trübsinn beschwerten sein Herz: er konnte sich des Lustspiels von Ostrowsky und des Spiels der Schauspieler nur wenig freuen. Da plötzlich, o Wunders – ließ sich während eines Zwischenakts sein linker Nachbar – nicht der besternte General, sondern der andere, ohne jedes Ehrenzeichen auf der Brust, – höflich und sanft mit einer gewissen einschmeichelnden Nachsicht in ein Gespräch mit ihm ein. Er begann von Ostrowsky’s Stück zu sprechen und sagte, daß es ihn sehr interessiren würde, die Meinung Neshdanow’s, als »eines Repräsentanten der jungen Generation,« über dasselbe zu erfahren. Verwundert, fast erschreckt, vermochte ihm Neshdanow zuerst nur in kurz abgebrochener, einsilbiger Weise zu antworten . . . Das Herz fing ihm sogar heftig zu klopfen an; bald aber gewann in ihm der Aerger über sich selbst wieder die Oberhand: was gerathe ich denn so in Wallung? Bin ich denn ein anderer Mensch, als sie Alle! Und nun begann er seine Ansicht zu entwickeln, ungenirt und ohne Hehl, und zuletzt sogar so laut und mit solchem Feuer, daß der Nachbar-Sternen-träger sich dadurch offenbar beunruhigt fühlte. Neshdanow war ein eifriger Verehrer Ostrowsky’s; – aber ungeachtet aller Anerkennung des im Lustspiel »Setz’ Dich nicht in fremde Schlitten« offenbarten Talents des Dichters, konnte er den klar zu Tage tretenden Wunsch, die Civilisation in der karrikirten Figur des Wichorew zu erniedrigen, doch nicht billigen. – Der höfliche Nachbar hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit und Theilnahme zu – und leitet im folgenden Zwischenakt wieder ein Gespräch mit ihm ein, aber schon nicht mehr über das Lustspiel Ostrowsky’s, sondern über allerlei das Leben betreffende, wissenschaftliche und sogar politische Fragen. Der junge und beredte Nachbar schien ihn offenbar zu interessiren. Wie früher, so sprach Neshdanow auch jetzt nicht nur in derselben ungenirten Weise, sondern trug auch die Farben mit Absicht recht stark auf, »Da Du nun einmal so neugierig bist, so nimm, da hast Du es!« Der Nachbar-General fühlte sich jetzt durch das Benehmen Neshdanow’s schon nicht mehr einfach beunruhigt, sondern es erregte in ihm Unwillen und Verdacht. Als die Vorstellung zu Ende war, verabschiedete sich Ssipjagin von Neshdanow in höchst verbindlicher Weise, ohne jedoch nach dessen Namen zu fragen und auch ohne den seinigen zu nennen. Während er auf der Treppe auf seinen Wagen wartete, stieß er dort auf einen seiner Bekannten, den Flügel-Adjutanten Fürsten G. – Ich habe Dich von der Loge aus beobachtet, – sagte der Fürst, durch den parfümirten Schnurrbart lächelnd: – weißt Du denn, mit wem Du Dich unterhalten hast? – Nein, ich weiß es nicht; und Du? – Ist kein dummer Mensch, nicht wahr? – Durchaus nicht dumm; wer ist es denn? – Der Fürst näherte sich seinem Ohr und flüsterte ihm in französischer Sprache zu: – mein Bruder. Ja; es ist mein Bruder. Ein uneheliches Kind meines Vaters . . . er heißt Neshdanow. Ich erzähle es Dir ein andermal. . . Der Vater hatte es gar nicht erwartet, daher hat er ihn auch Neshdanow2 genannt. Seine Zukunft ist jedoch durch den Vater gesichert: il lui a fait un sort. . . . Er erhält eine Pension von uns. Er hat Verstand und hat, Dank dem Vater, eine gute Erziehung erhalten. Doch ist er jetzt völlig auf Abwege gerathen, eine Art Republikaner geworden . . . Wir empfangen ihn nicht . . . II est impossible! Doch Adieu! Mein Wagen wird gemeldet. – Der Fürst entfernte sich, am folgenden Tage aber las Ssipjagin die in die »Polizei-Zeitung« eingerückte Anzeige Neshdanow’s – und fuhr zu ihm hin. . . .

– Mein Name ist – Ssipjagin, – sprach er zu Neshdanow, auf einem Strohstuhl vor ihm sitzend und ihn mit forschendem Blicke anschauend: – ich habe aus der Zeitung erfahren, daß Sie eine Stelle anzunehmen beabsichtigen – und da komme ich mit folgendem Anerbieten zu Ihnen. Ich bin verheirathet und habe einen neunjährigen Sohn, einen, ich darf es sagen, sehr begabten Knaben. Den größten Theil des Sommers und des Herbstes bringen wir im Gouvernement S. auf unserem Gute, etwa fünf Werst von der Gouvernementsstadt entfernt, zu. Es handelt sich nun um die Frage: würden Sie vielleicht für die Zeit der Ferien mit uns kommen, um meinen Sohn in der russischen Sprache und in der Geschichte zu unterrichten – in den beiden Fächern, von denen in Ihrer Anzeige die Rede ist? Ich wage zu hoffen, daß Sie mit mir, mit meiner Familie und mit der Lage des Gutes vollkommen zufrieden sein werden. Ein vortrefflicher Garten, Wasser, schöne Luft, ein geräumiges Haus. . . Sind Sie einverstanden? Dann hätte ich nur noch Ihre Bedingungen kennen zu lernen, obgleich ich nicht glaube, – fügte Ssipjagin verbindlich hinzu, – daß sich uns in dieser Beziehung Schwierigkeiten, in den Weg stellen werden.

Während Ssipjagin sprach, sah ihn Neshdanow unablässig an: seinen kleinen, ein wenig nach hinten zurückgeworfenen Kopf, seine schmale und niedrige, doch kluge Stirn, die feine römische Nase, die angenehmen Augen, die regelmäßigen Lippen, die so anmuthsvoll zu reden wußten, den langen, nach englischer Mode geschnittenen Backenbart – er sah das Alles an und staunte: – »Was ist das? dachte er. Weshalb versucht dieser Mensch sich bei mir einzuschmeicheln? Dieser Aristokrat – und ich?! – Wie sind wir zusammengekommen? Und was hat ihn zu mir geführt?«

Er war so in diese Gedanken versunken, daß er auch dann noch immer schwieg, als Ssipjagin, nachdem er seine Rede beendigt, seine Antwort erwartend, verstummte. Ssipjagin warf einen flüchtigen Seitenblick in die Ecke, in der sich Paklin befand, der den Fremden nicht weniger neugierig betrachtete als Neshdanow. – War es vielleicht die Anwesenheit dieser dritten Person, durch welche Neshdanow sich auszusprechen verhindert wurde? – Ssipjagin hob die Brauen empor, sich den seltsamen Eigenthümlichkeiten der Umgebung, in welche er übrigens aus freiem Antriebe gerathen war, gleichsam fügend, und wiederholte darauf seine Frage mit erhöhter Stimme.

Neshdanow fuhr empor.

– Natürlich, – begann er ein wenig hastig; – l ich . . . ich bin bereit . . . mit Vergnügen . . . wenn ich auch gestehen muß daß ich mich eines gewissen Erstaunens nicht erwehren kann . . . da ich gar keine Empfehlungen besitze . . und es müßten auch die Ansichten, die ich vorgestern im Theater ausgesprochen, Sieg eher abhalten. . . .

– Da sind Sie durchaus im Irrthum, lieber Alexei . . . Alexei Dmitritsch? so heißen Sie, glaube ich? – entgegnete Ssipjagin lächelnd. – Ich bin, wenn ich so sagen darf, als ein höchst liberaler, als ein Mann des Fortschritts – bekannt; im Gegentheil, diese Ansichten, wenn man von dem absieht, was in denselben der, zu einiger – nichts für ungut! – Uebertreibung neigenden Jugend zugeschrieben werden muß, – diese Ihre Ansichten widersprechen den meinigen durchaus nicht – und gefallen mir sogar in ihrem jugendlichen Feuer!

Ssipjagin sprach ohne im geringsten zu stocken: wie Honig auf Oel glitt seine geschmeidige, wohlgesetzte Rede dahin.

– Meine Frau theilt meine Anschauungsweise, – fuhr er fort: – die Ideen derselben sind den Ihrigen vielleicht noch näher, als den meinigen; es ist ja auch begreiflich: sie ist jünger! – Als ich am Tage nach unserer Begegnung Ihren Namen in der Zeitung las, den Sie, beiläufig bemerkt, gegen den üblichen Brauch neben Ihre Adresse gesetzt – Ihr Name war mir schon im Theater genannt worden – so . . . ist . . . so hat mich diese Thatsache mächtig ergriffen. Ich erblickte in diesem Zusammentreffen – gewissermaßen eine Fügung des Schicksals! – Sie sprachen vorhin von Empfehlungen; ich brauche keine Empfehlungen. Ihr Aeußeres, Ihre Persönlichkeit erregen meine Sympathie. Das genügt mir. Ich bin gewohnt, meinen Augen zu trauen. Ich kann also hoffen? Sind wir einverstanden?

– Ich bin bereit . . . natürlich . . . – antwortete Neshdanow – ich werde mich bemühen, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen. Doch müssen Sie mir gestatten, Sie gleich jetzt auf einen Umstand aufmerksam zu machen; ich bin bereit der Lehrer Ihres Sohnes zu sein, nicht aber sein Gouverneur. Dazu tauge ich nicht – auch will ich nicht Sklave sein, will meiner Freiheit nicht verlustig gehen.

Ssipjagin machte eine leichte Bewegung mit der Hand, als ob er eine Fliege verscheuche.

– Seien Sie unbesorgt, mein Liebster . . . Aus dem Teig, aus welchem Sie gebildet sind, backt man keine Gouverneure; – ich brauche ja auch keinen Gouverneur. – Ich suche einen Lehrer – und habe ihn gefunden. Nun, wie lauten aber Ihre Bedingungen? Das verächtliche Gold?

Neshdanow wußte nicht, was er sagen sollte . . .

– Hören Sie, – sprach Ssipjagin weiter, den Oberkörper nach vorne beugend und Neshdanow’s Knie mit den Fingerspitzen freundlich berührend: – unter anständigen Leuten werden solche Fragen mit zwei Worten gelöst. Ich! biete Ihnen hundert Rubel monatlich; die Reisekosten hin und zurück werden natürlich von mir getragen. – Sind Sie damit einverstanden?

Neshdanow erröthete von Neuem.

– Das ist vielmehr, als ich verlangen wollte . . . weil . . . ich . . .

– Vortrefflich, vortrefflich – unterbrach ihn Ssipjagin . . . In meinen Augen ist die Sache also abgemacht und Sie sind – mein Hausgenosse. – Er stand auf – und wurde plötzlich so heiter und zufrieden, als ob er ein Geschenk erhalten hätte. In allen seinen Bewegungen that sich jetzt eine gewisse angenehme Familiarität und scherzhafte Laune kund. – Wir reisen in diesen Tagen, – begann er wieder in verbindlich ungezwungenem Tone: – ich liebe es, den Frühling im Dorfe zu begrüßen, obgleich ich in Folge meiner Beschäftigung ein prosaischer, an die Stadt gefesselter Mensch bin . . . Erlauben Sie daher den ersten Monat vom heutigen Tage an zu rechnen . . . Meine Frau ist mit unserm Sohne jetzt schon in Moskau. Sie ist vorausgefahren. Wir finden sie im Dorfe . . . am Busen der Natur. Wir reisen zusammen als Junggesellen He, he! – lächelte Ssipjagin, kokett die Nase bewegend. – Jetzt aber . .

Er holte aus der Paletot-Tasche ein kleines silbernes Taschenbuch hervor, dem er eine Visitenkarte entnahm.

– Meine Adresse hier in der Stadt. Kommen Sie bei mir vor – morgen vielleicht. So gegen zwölf. Wir sprechen noch mit einander. Ich werde Ihnen einige meiner Gedanken über Erziehung mittheilen und – dann bestimmen wir auch den Tag der Abreise. – Ssipjagin ergriff Neshdanow’s Hand. – Und wissen Sie was? – fügte er mit gedämpfter Stimme und auf die Seite geneigtem Kopfe hinzu: – wenn Sie vielleicht Geld brauchen . . . Bitte, ohne viele Umstände! wenn auch einen Monat voraus!

Neshdanow wußte einfach nicht, was er ihm antworten sollte – und sah noch immer in derselben staunenden Weise dies helle, freundliche – und doch auch wieder so fremde Antlitz, welches sich so nah zu ihm herabbeugte und ihm so gönnerhaft zulächelte.

– Sie brauchen es nicht? nein? – flüsterte Ssipjagin.

– Wenn Sie erlauben, werde ich es Ihnen morgen sagen, – brachte Neshdanow endlich hervor.

– Vortrefflich! Also – auf Wiedersehen! Bis morgens – Ssipjagin ließ die Hand Neshdanow’s fahren – und wollte gehen . . .

– Erlauben Sie mir eine Frage – wandte sich Neshdanow plötzlich zu ihm: Sie haben mir eben gesagt, daß Sie meinen Namen schon im Theater erfahren hätten.

– Von wem erfuhren Sie ihn?

– Von wem? – Von einem Ihrer guten Bekannten, und ich glaube sogar Verwandten, vom Fürsten . . . Fürsten G.

– Dem Flügel-Adjutanten?

– Ja; von ihm.

Neshdanow erröthete – stärker als zuvor – und öffnete den Mund . . . Aber er sagte nichts. Ssipjagin drückte ihm von Neuem die Hand – dies Mal jedoch ohne ein Wort zu sprechen, – setzte, nachdem er zuerst Neshdanow, dann Paklin gegrüßt, dicht vor der Thür den Hut auf und verließ mit einem selbstzufriedenen Lächeln das Zimmer: es sprach sich darin das Bewußtsein des tiefen Eindrucks aus, den sein Besuch, wie es auch nicht anders sein konnte, hervorgebracht hatte.

Viertes Capitel

Kaum hatte Ssipjagin die Schwelle der Thür überschritten, so sprang Paklin vom Stuhl, auf dem er gesessen, auf und stürzte auf Neshdanow zu, um ihm zu gratuliren.

– Hast Du aber einen guten Fang gethan! – rief er kichernd und mit den Füßen trampelnd. – Weißt Du denn, wer das ist? – Der bekannte Ssipjagin, Kammerherr, gewissermaßen eine Stütze des Staats, ein zukünftiger Minister!

– Er ist mir gänzlich unbekannt, – entgegnete finster Neshdanow.

– Das ist eben unser Unglück, Alexei Dmitritsch, daß wir Niemand kennen! Wir wollen handeln, wollen eine ganze Welt von oberst zu unterst kehren – leben aber selbst abgeschlossen von dieser Welt, sehen Niemand, als nur die zwei oder drei Freunde, drehen uns auf einem Platze, im engen Kreise herum . . .

– Entschuldige, – unterbrach ihn Neshdanow: – das ist nicht wahr. Es sind nur unsere Feinde, mit denen wir nichts zu thun haben wollen; mit Leuten unseres Schlages aber, mit dem Volke, stehen wir in ununterbrochener Verbindung.

– Halt, halt, halt, halt! – unterbrach ihn seinerseits Paklin wieder. – Erstens: was die Freunde betrifft, – so erlaube, daß ich Dir ein Goethe’sches Wort in Erinnerung bringe:

 
Wer den Dichter will verstehen,
Muß in Dichters Lande gehen.
 

– ich aber sage:

 
Wer die Feinde will verstehen,
Muß in Feindes Lande gehen.
 

Seine Feinde meiden, ihre Sitten und Gebräuche nicht kennen zu lernen trachten – das ist unsinnig! – Un . . . sin. . . nig!. . . Ja! Ja! Wenn ich im Walde den Wolf schießen will, so muß ich alle seine Schlupflöcher kennen . . . Zweitens-: Du hast eben gesagt: man muß sich dem Volke nähern. . . Liebes Herz! Im Jahre 1862 gingen die Polen in die Wälder-; auch wir gehen setzt in einen Wald, d. h. unter das Volk, welches für uns nicht weniger dunkel und undurchdringlich ist, als jeder beliebige Wald!

– Was sollen wir also, wenns nach Dir ginge, thun?

– Die Indier weisen sich unter Dschagannath’s Wagen, – fuhr Paklin mit düsterer Miene fort: – der Wagen zerdrückt sie, und sie sterben – voll Glückseligkeit. Auch wir besitzen unseren Dschagannath. Uns zerdrücken – das thut er wohl auch! aber glückselig macht er uns doch nicht.

– Was sollen wir also thun? – wiederholte fast schreiend Neshdanow. Tendenziöse Romane schreiben, oder was?

Paklin breitete die Arme aus und neigte das Köpfchen auf die linke Schulter.

– — Romane – könntest Du jedenfalls schreiben, da eine dichterische Ader wohl in Dir zu spüren ist. . . Nun, ärgere Dich nicht, ich rede nicht mehr! Ich weiß, Du liebst es nicht, daß man darauf anspielt; aber ich bin ganz Deiner Meinung: dergleichen Stückchen mit »Füllniß« zu fabriziren – und noch mit neumodischen Wendungen dazu: – »Ach! ich liebe Sie! sprang sie herzu« . . . »Mir ist es gleich! kratzte er sich« – da ist wahrhaftig nichts Angenehmes dabei! – Daher wiederhole ich auch: sucht allen Ständen, vom höchsten Stand angefangen, näher zu kommen! Es geht doch nicht an, daß man sich immer nur auf Leute wie Ostrodumow verläßt! Es sind ehrliche, gute Menschen – aber dumm! Dumm!! Sieh’ Dir unseren Freund doch nur an. Selbst die Sohlen seiner Stiefel – auch die sind nicht so, wie sie bei vernünftigen Leuten zu sein pflegen! Weswegen ist er jetzt fortgegangen? – Er wollte mit einem Aristokraten nicht in einem Zimmer sein, nicht dieselbe Luft mit ihm, athmen!

– Ich muß Dich bitten, in meiner Gegenwart nicht mehr in solcher Weise von Ostrodumow zu sprechen, – fiel Neshdanow herausfordernd ein. – Stiefeln mit dicken Sohlen trägt er deshalb, weil sie billiger sind.

– Ich habe es ja gar nicht so gemeint, – wollte Paklin einwenden.

– Wenn er nicht mit einem Aristokraten in einem Zimmer bleiben will, – fuhr Neshdanow, die Stimme erhebend, fort, – so kann ich ihn dafür nur loben; – jedenfalls aber ist er sich aufzuopfern im Stande, – er würde sein Leben hingeben, wenn es nöthig wäre, was wir Beide niemals thun werden!

Paklin machte ein klägliches Gesicht und wies auf seine lahmen, dünnen Beinchen.

– Wie soll ich denn kämpfen, mein lieber Freund Alexei Dmitritsch! – Ich bitte Dich! Aber lassen wir das . . . Ich wiederhole: ich bin Deiner Annäherung an Ssipjagin herzlich froh – und sehe sogar voraus, daß diese Annäherung unserer Sache großen Nutzen bringen wird. Du dringst jetzt in die höchsten Kreise; Du wirst diese Löwinnen sehen, diese Frauen mit dem samtenen Körper auf Federn von Stahl, wie es in den »Briefen aus Spanien« heißt; studire sie, Freund, studire sie. Wenn Du ein Epikuräer wärst, würde ich für Dich sogar fürchten . . . wahrhaftig! – Das sind jedoch nicht die Ziele, die Dich bewegen als Lehrer fortzuziehen?

– Ich ziehe fort, – fiel Neshdanow ein, – weil ich nicht an den Hungerpfoten saugen will . . . »und um Euch Alle eine Zeit lang los zu sein« – fügte er in Gedanken hinzu.

– Nun natürlich, natürlich! – Daher sage ich Dir auch: studire sie! Was dieser Herr jedoch für einen Wohlgeruch um sich verbreitet hat!l – Paklin zog die Luft durch die Nase ein. Das ist der echte »ambre« von dem die Frau des Polizeimeisters im »Revidenten« mit so viel Schwärmerei gesprochen!

– Er hat den Fürsten G. wohl über mich ausgeforscht, – begann Neshdanow mit dumpfer Stimme, sich wieder zum Fenster wendend: – jetzt kennt er wahrscheinlich meine ganze Geschichte.

– Nicht wahrscheinlich, sondern ganz gewiß! – Was ist denn auch dabei? – Ich wette, daß er eben dadurch auf den Gedanken gekommen ist, Dich als Lehrer zu engagiren. Was Du da auch reden magst, Du bist doch selbst ein Aristokrat – dem Blute nach. – Nun und das heißt: Einer von den Unsern! Wie ich hier aber lange gesessen habe; es ist für mich Zeit in’s Comptoir zu gehen, mich ausnutzen zu lassen! – Auf Wiedersehen, Freund!

Paklin war schon an der Thür, hielt aber vor derselben an und ging wieder auf Neshdanow zu.

– Hör’, Alex, – sagte er mit einschmeichelndem Tone: – Du hast es mir eben abgeschlagen, ich weiß, Du wirst jetzt selbst bei Gelde sein – aber erlaube mir wenigstens eine Kleinigkeit für die allgemeine Sache zu opfern! – Sonst kann ich nichts thun – laß mich also meine Tasche öffnen. – Da sieh: ich lege zehn Rubel auf den Tisch! Nimmst Du sie an?

Neshdanow blieb stumm und rührte sich nicht.

– Stillschweigen – bedeutet beistimmen! Danke! – rief Paklin heiter aus und verschwand.

Neshdanow blieb allein. – Am Fenster stehend, fuhr er fort, auf den engen düsteren Hof, in welchen selbst die Strahlen der Sommersonne nicht zu dringen vermochten, hinauszublicken – und düster war auch sein Antlitz.

Neshdanow war, wie wir bereits wissen, der Sohn des Fürsten G., des überaus reichen Generals-Adjutanten – und der am Tage der Geburt gestorbenen Gouvernante seiner Töchter, eines hübschen Instituts-Zöglings. Den ersten Unterricht hatte er in der Pension eines Schweizers, eines thätigen und strengen Pädagogen erhalten – worauf er die Universität bezog. Er selbst hätte am liebsten Jura studirt, aber der General, sein Vater, der die Nihilisten auf’s Aeußerste haßte, schrieb ihn in die »Aesthetik,« wie sich Neshdanow mit bitterem Spott auszudrücken pflegte, d. h. in die historisch-philologische Facultät ein. Der Vater Neshdanow’s sah ihn vielleicht nur drei bis vier Mal im Jahr, nahm jedoch an seinem Schicksal lebhaften Antheil und vermachte ihm sterbend – »zum Andenken Nastenka’s« (seiner Mutter) – ein Kapital von 6000 Rubel, dessen Zinsen ihm von seinen Brüdern, den Fürsten G., unter dem Namen einer »Pension« ausbezahlt wurden. – Paklin hatte ihn nicht umsonst einen Aristokraten genannt; Alles an ihm gab von seiner Herkunft Zeugniß: die kleinen Ohren, Hände, Füße, die vielleicht zu wenig markirten, jedoch feinen Züge, die zarte Haut, das buschige Haar, selbst die leicht schnarrende, aber angenehme Stimme. Er war sehr nervös, sehr eigenliebig, empfänglich und sogar eigensinnig; die falsche Situation, in welche er schon als Kind gerathen war, hatte in ihm eine gewisse Empfindlichkeit und Reizbarkeit wachgerufen; aber die angeborene Großmuth ließ kein Mißtrauen und keinen Argwohn in ihm aufkommen. – Diese falsche Situation erklärte auch die Widersprüche, welche sich in seinem Wesen offenbarten. Ordnungsliebend bis in’s Kleinste, wählerisch bis zum Aeußersten, gab er sich doch Mühe, in Worten recht cynisch und derb zu sein; seiner Natur nach Idealist, leidenschaftlich und keusch, kühn und schüchtern zu gleicher Zeit, schämte er sich doch seiner Schüchternheit und seiner Keuschheit als eines schmachvollen Lasters, und hielt es für seine Pflicht, über die Ideale zu spotten. Er besaß ein mildes Herz und zog sich doch vor den Menschen zurück; er gerieth leicht in Zorn – und erinnerte sich nie des Bösen. Er zürnte seinem Vater, weil er ihn in die »Aesthetik« eingeschrieben; vor Aller Augen beschäftigte er sich mit politischen und sozialen Fragen, sprach die schroffsten Ansichten aus – sie waren bei ihm mehr als bloße Phrase! – und ergötzte sich insgeheim an der Kunst, der Poesie, der Schönheit in jeder Erscheinungsform . . . er dichtete sogar kleine Lieder . . . Er pflegte sorgfältig das Heft zu verbergen, in welchem er sie niedergeschrieben hatte – und von allen Petersburger Freunden ahnte nur Paklin, dem ihm eigenen Instinkt zufolge, die Existenz eines solchen Heftes. Nichts tränkte und erregte Neshdanow mehr, als eine selbst ganz unbedeutende Anspielung auf seine Dichterei, auf diese, wie er meinte, unverzeihliche Schwäche. Dank seinem Erzieher, dem Schweizer, kannte er viele Thatsachen und scheute weder Arbeit noch Mühe; er arbeitete sogar gern – freilich ein wenig fieberhaft und unregelmäßig. Seine Kameraden liebten ihn . . . es zog sie seine Wahrhaftigkeit, Güte und Reinheit an; aber es war kein glücklicher Stern, unter dem Neshdanow das Licht der Welt erblickt; sein Leben war nicht leicht. Er empfand das selbst aufs tiefste, und fühlte sich einsam, trotzdem, daß die Freunde so sehr an ihm hingen.

Er stand noch immer am Fenster, und dachte voll Ernst und Traurigkeit an die bevorstehende Fahrt, an den nun eingetretenen Wendepunkt in seinem Schicksal . . . Sich von Petersburg zu trennen, fiel ihm nicht schwer; er hinterließ dort nichts, was ihm theuer gewesen wäre; er wußte ja auch, daß er im Herbst zurückkehren würde. Und doch war er nachdenklich geworden: er empfand eine unwillkürliche Traurigkeit.

« »Was bin ich für ein Lehrer!« ging es ihm durch den Kopf; – »was für ein Pädagog?!« – Er hätte sich Vorwürfe darüber machen mögen, daß er die Pflichten eines Lehrers übernommen. Und doch wäre ein solcher Vorwurf ungerecht gewesen. – Neshdanows Kenntnisse waren durchaus genügend, – und ungeachtet seines ungleichen Wesens gingen die Kinder doch gern zu ihm – und auch er schloß sich leicht an sie an. Die Traurigkeit, deren sich Neshdanow nicht erwehren konnte, wurzelte in jenem Gefühl, welches jede Veränderung des Aufenthalts nach sich zieht, und welches allen Melancholikern, allen zum stillen Brüten geneigten Menschen eigen ist; heiteren Sanguinikern ist dies Gefühl unbekannt: sie freuen sich vielmehr darüber, wenn das alltägliche Leben unterbrochen wird, wenn sie aus der gewohnten Umgebung herauskommen. Neshdanow war so in Gedanken versunken, daß er fast unbewußt sein Denken in laute Worte zu kleiden begann; die in ihm gährenden Empfindungen gestalteten sich bereits zu regelrechten Tongebilden . . .

– Pfui Teufel! – schrie er plötzlich laut auf, – wie es scheint, bin ich nahe daran Verse zu machen! – Er fuhr auf und trat vom Fenster zurück, erblickte den auf dem Tisch liegenden Zehn-Rubelschein Paklin’s, steckte ihn in die Tasche und begann auf und ab zu gehen.

– Ich muß das Handgeld nehmen, – dachte er bei sich selbst . . . da dieser Herr es mir anbietet. – Hundert Rubel . . . und noch bei den Brüdern – den durchlauchtigsten – hundert Rubel . . . Fünfzig Rubel um Schulden zu bezahlen, fünfzig oder siebzig zur Reise das Uebrige an Ostrodumow. Und auch das, was Paklin gegeben – auch an Ostrodumow . . . Von Markelow muß man sich auch noch Einiges holen . . .

Während er diese Berechnungen im Kopfe anstellte – regten sich in ihm wieder die früheren Tongebilde. Nachdenklich hielt er plötzlich inne . . . und blieb wie erstarrt, die Augen zur Seite gerichtet, auf dem Platze stehen . . . Dann suchten seine Hände, gleichsam tastend die Schieblade des Tisches, zogen dieselbe heraus, holten aus der Tiefe ein stark beschriebenes Heft . . .

Er ließ sich auf einen Stuhl nieder, noch immer ohne die Richtung des Blickes zu ändern, ergriff die Feder und begann, still vor sich hinbrummend, das Haar zuweilen zurückwerfend, Zeile auf Zeile streichend und ändernd, niederzuschreiben . . .

Die Thür nach dem Vorzimmer that sich zur Hälfte auf – und es zeigte sich der Kopf Maschurinas. Neshdanow bemerkte es nicht und fuhr zu arbeiten fort., Maschurina schaute ihn lange mit scharfen Blicken an – dann trat sie kopfschüttelnd zurück . . . Aber Neshdanow richtete sich plötzlich empor, wandte sich um und schleuderte mit dem Ausruf: – Ah! Sie sind es! – das Heft in die Schieblade des Tisches zurück.

Da trat Maschurina festen Schrittes in’s Zimmer.

– Ostrodumow hat mich zu Ihnen geschickt, – sagte sie gedehnt, – um zu erfahren, wann man das Geld bekommen könne? – Wenn Sie es noch heute erhielten, würden wir schon heute Abend reisen.

– Heute geht es nicht, – entgegnete Neshdanow und runzelte die Brauen; – kommen Sie morgen.

– Um welche Zeit?!

– Gegen zwei Uhr Mittags.

– Gut.

Maschurina stand einen Augenblick still – und reichte dann Neshdanow plötzlich die Hand.

– Ich habe Sie wohl gestört; verzeihen Sie. Und dann . . . ich reise fort. Wer weiß, ob wir uns je wiedersehen werden? Ich wollte von Ihnen Abschied nehmen.

Neshdanow drückte ihre rothen, kalten Finger.

– Sie haben diesen Herrn bei mir gesehen? – begann er. – Wir haben uns geeinigt. Ich nehme bei ihm eine Stelle an. Sein Gut liegt im Gouvernement S., dicht neben der Stadt selbst.

– Ein freudiges Lächeln zeigte sich auf dem Antlitz Maschurinas.

– Neben S.! Dann werden wir uns ja doch vielleicht noch sehen. Vielleicht schickt man uns dahin. – Maschurina seufzte: Ach, Alexei Dmitritsch . . .

– Was? – fragte Neshdanow.

Maschurina war tiefernst geworden.

– Nichts! – Leben Sie wohl! Nichts.

Sie drückte Neshdanow noch ein Mal die Hand und verließ das Zimmer.

2.Der Unerwartete.
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04 декабря 2019
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