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Читать книгу: «Das adelige Nest», страница 2

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Fünftes Kapitel

Christoph Theodor Gottlieb Lemm war im Jahre 1786 in Sachsen, in der Stadt Chemnitz, von armen Musikern geboren. Sein Vater blies das Waldhorn, seine Mutter spielte die Harfe, er selbst spielte, noch nicht fünf Jahr alt, auf drei verschiedenen Instrumenten. – Acht Jahr alt verlor er seine Eltern, von seinem zehnten Jahre an aber verdiente er sich selbst sein Brod durch seine Kunst.

Lange führte er ein unstätes Leben, spielte überall – in Gasthäusern, auf Jahrmärkten, auf Bauernhochzeiten und Bällen; endlich kam er in ein Orchester und immer höher und höher rückend, gelangte er bis zum Musikdirector. Als ausübender Künstler stand er nicht hoch, die Musik aber kannte er gründlich. In seinem achtundzwanzigsten Jahre wanderte er nach Russland aus; ihn hatte ein großer Herr, der selbst die Musik nicht leiden konnte, aber ein Orchester aus Eitelkeit hielt, verschrieben. Fast sieben Jahre lebte Lemm bei ihm als Capellmeister und verließ ihn mit leeren Händen. Der große Herr hatte sich ruinirt, wollte ihm einen Wechsel geben, schlug ihm aber auch dies später ab und bezahlte ihm keinen Pfennig. – Man rieth ihm, nach Hause zurückzukehren; doch wollte er Russland, das große Rußland, dies Saatfeld für Künstler, nicht als Bettler verlassen; er entschloß sich zu bleiben und sein Glück zu versuchen. Während zwanzig Jahren jagte der arme Deutsche dem Glücke nach, war bei verschiedenen Herrschaften, lebte in Moskau und in Gouvernementsstädten, litt und ertrug so Manches, lernte die Armuth kennen, kämpfte und rang. Doch der Gedanke, in seine Heimath zurückzukehren, verließ ihn in allen Drangsalen, die er zu ertragen hatte, nicht; dieser Gedanke allein hielt ihn aufrecht. Doch das Schicksal wollte ihn nicht mit diesem letzten und ersten Glücke erfreuen: in seinem fünfzigsten Jahre, krank, vor der Zeit alt geworden, blieb er in der Stadt O. fest sitzen und blieb dort auf immer. Er hatte jetzt ganz die Hoffnung aufgegeben, jemals das ihm verhaßte Rußland zu verlassen, und fristete sein Leben mühsam durch Stundengeben. Das Aeußere Lemm’s sprach nicht für ihn. H Er war von kleinem Wuchse, ging gebeugt, hatte schiefe Schultern, einen eingefallenen Bauch, große und flache Füße, weißlichblaue Nägel an den festen und biegsamen Fingern der sehnigen, rothen Hände; sein Gesicht war reich an Runzeln, seine Wangen waren eingefallen und die Lippen, die unaufhörlich zuckten und kauen schienen, waren zusammengekniffen, was bei seiner gewöhnlichen Schweigsamkeit ihm einen fast boshaften Ausdruck verlieh. Seine grauen Haare hingen in Büscheln über der niedrigen Stirn, wie eben verloschene Kohlen glühten seine kleinere unbeweglichen Angen; er trat schwer auf, bei jedem Schritte seinen ungelenken Körper bewegend. Einige seiner Bewegungen erinnerten an die unbeholfenen Gesten einer Eule im Käfig, wenn sie sieht, daß man auf sie blickt, aber selbst mit ihren ungeheuren gelben, erschreckt und schläfrig blinzelnden Augen kaum etwas zu unterscheiden vermag. – Der veraltete, unerbittliche Schmerz hatte aus den armen Musikus seinen unauslöschbaren Stempel geprägt, hatte seine ohnehin nicht schöne Figur verzerrt und verunstaltet; doch für den, welcher es verstand, nicht bei den ersten Eindrücken stehen zu bleiben, zeigte sich etwas Gutes, Ehrliches, etwas Ungewöhnliches in diesem halbzertrümmerten Wesen. Verehrer Bach’s und Händel’s, Kenner seiner Sache, begabt mit lebhafter Einbildungskraft und jener Kühnheit des Gedankens, die der germanischen Race allein zugänglich ist, wäre Lemm – wer weiß? – in die Reihe der großen Componisten seines Vaterlandes getreten, hatte sein Leben ihn anders geführt; – doch er war unter keinem glücklichen Eterne geboren! Viel hatte er in seinem Leben geschrieben – doch es gelang ihm nicht, irgend eines seiner Werke gedruckt zu sehen: er wußte die Sache nicht geschickt anzufangen, bei passender Gelegenheit einen Bückling zu machen, zur rechten Zeit ein Wort für sich einzulegen. Einst, vor langer Zeit hatte einer seiner Verehrer und Freunde, auch ein Deutscher und ebenfalls arm, auf eigene Rechnung zwei seiner Sonaten herausgegeben; diese blieben aber unangerührt auf den Lagern der Musikalienhandlungen, und verschwanden spurlos, als hätte sie Jemand des Nachts ins Wasser geworfen. – Endlich ward Lemm für alles gleichgültig; auch nahmen die Jahre das Ihrige, er wurde gefühllos, zu Holz, wie seine Finger zu Holz geworden waren. Allein mit einer alten Köchin, die er aus einem Armenhanse genommen hatte, (verheirathet war er niemals gewesen) lebte er in O. in einem kleinen Häuschen, nicht weit vom Hause der Kalitin; spazierte viel, las die Bibel, das Gesangbuch und Shakespeare in der Schlegel’schen Uebersetzung. Seit lange hatte er nichts mehr componirt, doch wahrscheinlich wußte Liese, seine beste Schülerin, sein Herz zu bewegen; er schrieb für sie eine Cantate, von der Panschin eben gesprochen hatte. Die Worte dieser Cantate hatte er dem Gesangbuche entlehnt, einige Verse hatte er selbst hinzugedichtet. Die Caritate bestand aus zwei Chören, – das Chor der Glücklichen und das Chor der Unglücklichen; zu Ende schlossen beide Frieden und sangen zusammen: »Allmächtiger Gott, erbarme Dich über uns Sünder und halte uns fern von allen listigen Gedanken und irdischen Hoffnungen.« Auf dem Titelblatt, das sehr hübsch geschrieben und sogar mit Zeichnungen verziert war, stand: »Nur die Gerechten haben Recht. – Geistliche Cantate. Componirt und dem Fräulein Elisabeth Kalitin gewidmet, seiner theuren Schülerin, von ihrem Lehrer H. T. G. Lemm.« Die Worte: »Nur die Gerechten haben Recht« und »Elisabeth Kalitin« waren von Strahlen umgeben, unten stand noch: »Für Sie allein.« Deswegen erröthete Lemm und hatte einen Seitenblick auf Liese geworfen; ihm schnitt es durch’s Herz, als Panschin in seiner Gegenwart von seiner Cantate sprach.

Sechstes Kapitel

Laut und entschlossen griff Panschin die erstere Accorde der Sonate, (er spielte den Baß) Liese aber begann ihre Partie nicht. Er hielt inne und blickte auf sie. – Liesens Augen, die auf ihn fest geheftet waren, drückten Unwillen aus; ihre Lippen lächelten nicht, ihr ganzes Gesicht war streng, fast traurig.

»Was haben Sie?« fragte er.

»Warum haben Sie nicht Ihr Wort gehalten?« sagte sie. »Ich habe Ihnen die Cantate von Christophor Fedorowitsch unter der Bedingung gezeigt, daß Sie ihm nichts davon sagen sollten.« —

»Verzeihen Sie, Elisabeth Michailowna, es ist mir entfahren.«

»Sie haben ihn betrübt und mich auch; jetzt wird er auch mir mißtrauen.«

»Was soll ich thun, Elisabeth Michailowna? Von Jugend auf kann ich nicht gleichgültig einen Deutschen sehen, es zieht mich, so zu sagen, ihn zu necken.«

»Was sagen Sie da, Wladimir Nikolaitsch! Dieser Deutsche ist arm, steht allein da, ist vom Schicksal geknickt – und er thut Ihnen nicht leid? Und Sie möchten ihn necken?«

Panschin wurde verlegen.

»Sie haben Recht, Elisabeth Michailowna,« murmelte er, »ein Allem ist meine Unbedachtsamkeit schuld. Nein, widersprechen Sie mir nicht, ich kenne mich selbst sehr gut; meine Unbedachtsamkeit hat mir schon vielen Schaden gebracht, ihr verdanke ich, daß man mich für einen Egoisten hält.«

Panschin schwieg. Worüber er auch sprach, das Gespräch endigte gewöhnlich damit, daß er von sich selbst zu reden begann, und dies kam aus seinem Munde so hübsch und weich, so herzlich, als wäre es unwillkürlich.

»In Ihrem Hause zum Beispiel» fuhr er fort, »ist Ihre Mutter mir gewogen, sie ist so gut; Sie, – nun ich weiß nicht, was Sie von mir meinen; Ihre Tante dagegen kann mich ganz einfach nicht ausstehen. Ich muß sie auch durch ein dummes, unüberlegtes Wort beleidigt haben; denn sie liebt mich nicht, nicht wahr?«

»Ja,« sagte Elisabeth Michailowna etwas zögernd, – »Sie gefallen ihr nicht.«

Panschin eilte mit den Fingern über die Tasten und ein kaum bemerkbares spöttisches Lächeln glitt über seine Lippen.

»Nun und Sie,« sagte er, »scheine ich auch Ihnen ein Egoist zu sein?«

»Ich kenne Sie wenig, doch ich halte Sie nicht für einen Egoisten, im Gegentheil, ich muß Ihnen dankbar sein . . .«

»Ich weiß, ich weiß, was Sie sagen wollen,« unterbrach sie Panschin, und wieder glitten seine Finger über die Tasten: »für die Noten, für die Bücher, welche ich Ihnen bringe, für die schlechten Zeichnungen, mit welchen ich Ihr Album schmücke, und so weiter. Das Alles kann ich aber thun und dabei doch Egoist sein. Ich wage es zu glauben. daß Sie sich mit mir nicht langweilen und daß Sie mich nicht für einen schlechten Menschen halten; immerhin aber denken Sie, daß ich, wie soll ich mich doch ausdrücken, um eines Witzes willen, weder Vater noch Freund schonen würde.«

»Sie sind zerstreut und vergeßlich, wie alle Weltleute,« sagte Liese, »das ist Alles.«

Panschin runzelte etwas seine Stirn.

»Hören Sie,« sagte er, »wir wollen lieber von mir ganz und gar nicht reden, lassen Sie uns die Sonate spielen. Um Eins nur bitte ich Sie, fügte er hinzu, mit seiner Hand die Blätter des auf dem Notenpult liegenden Heftes glättend, »denken Sie von mir, was Sie wollen, nennen Sie mich sogar Egoist – nun meinethalben! Nur nennen Sie mich nicht einen Weltmann, dieses Wort ist mir unerträglich . . . Anch’io sono pittore. Auch ich bin Künstler, obgleich ein ziemlich schlechter, – und dieß, nämliche daß ich ein schlechter Künstler bin, will ich Ihnen gleich mit der That beweisen. Lassen Sie uns anfangen.«

»Fangen wir meinethalben an,« sagte Liese.«

Das erste Adagio wurde ziemlich glücklich überwunden, obgleich Panschin einige Schnitzer machte. Seine eigenen Compositionen und was er einstudirt hatte, spielte er sehr hübsch, vom Blatte aber las er sehr schlecht. Der zweite Theil der Sonate aber, ein ziemlich schnelles Allegro, ging ganz und gar nicht; beim zwanzigsten Tacte hielt es Panschin, der ein paar Takte zurückgeblieben war, nicht aus und rückte lachend seinen Stuhl fort.

»Nein,« rief er, »heute kann ich nicht spielen, gut daß uns Lemm nicht gehört hat, er wäre sonst in Ohnmacht gefallen.«

Liese stand auf, klappte den Deckel des Clavieres zu und wandte sich zu Panschin.

»Was werden wir jetzt thun?« fragte sie.

»Ich erkenne Sie an dieser Frage! Unmöglich können Sie mit gekreuzten Armen sitzen. Nun wenn Sie es wünschen, wollen wir zeichnen, so lange es noch nicht ganz dunkel geworden ist. Vielleicht wird die andere Muse, die Muse der Zeichnenkunst, – wie nannte man sie doch, . . . ich habe es vergessen. Wo ist Ihr Album? Ich erinnere mich, daß, meine Landschaft noch nicht beendigt ist.«

Liese ging in ein anderes Zimmer, um ihr Album zu holen, Panschin aber nahm, als er allein war, ein Batistschnupftuch aus seiner Tasche und blickte von der Seite auf seine Hände. Er hatte sehr hübsche und weiße Hände; auf dem Zeigefinger der Linken trug er einen schlangenförmigen goldenen Ring. Liese kehrte zurück; Panschin setzte sich an’s Fenster und öffnete das Album. »Aha!« rief er, »Sie haben meine Landschaft abzuzeichnen begonnen – das ist wunderschön. Sehr gut! Hier nur, – geben Sie mir den Bleistift, – sind die Schatten nicht dunkel genug. Sehen Sie!« Und Panschin zeichnete einige kühne und lange Striche. Er zeichnete beständig eine und dieselbe Landschaft: an dem Vorderplan große Bäume mit wild herabhängendem Laube, in der Ferne eine Wiese, und zackige Berge am Horizont. Liese blickte über seine Schulter auf seine Arbeit.

»Ja der Zeichnung, wie im Leben im Allgemeinen,« sagte Panschin, den Kopf bald rechts bald links wendend: »sind die Hauptsache – Leichtigkeit und Kühnheit.«

In diesem Augenblicke trat Lemm in’s Zimmer und wollte, nachdem er trocken gegrüßt hatte, sich entfernen; Panschin aber warf Album und Bleistift auf die Seite und vertrat ihm den Weg.

»Wohin wollen Sie aber, mein lieber Christophor Fedorowitsch? Wollen Sie denn nicht bleiben und mit uns Thee trinken?«

»Ich muß nach Hanse,« sagte Lemm mit finsterer Stimme »ich habe Kopfschmerzen.«

»Nun, was ist das für Unsinn; bleiben Sie hier und trinken Sie Thee mit uns. Wir wollen zusammen über Shakespeare streiten.«

»Ich habe Kopfschmerzen» wiederholte der Alte.

»Wir hatten in Ihrer Abwesenheit uns an Beethoven’s Sonate gemacht,« fuhr Panschin fort, ihn freundlich bei der Taille ergreifend und fröhlich lächelnd; – »doch wollte die Sache nicht gehen. Denken Sie sich nur, ich konnte nicht zwei Noten richtig hinter einander spielen.«

»Sie hätten doch lieber Ihre Romanze noch einmal gesungen,« erwiderte Lemm, die Hände Panschin’s wegnehmend,« und ging heraus.

Liese eilte ihm nach. Sie holte ihn auf der Treppe ein.

»Christophor Fedorowitsch,« sagte sie ihm auf Deutsch, ihn bis zum Thorwege auf dem grünen und kurzen Rasen begleitend; »ich stehe vor Ihnen schuldig da – verzeihen Sie mir!«

Lemm schwieg.

»Ich habe Wladimir Nikolaitsch Ihre Cantate gezeigt; ich war versichert, daß er sie zu schätzen wissen wird, – und wirklich sie hat ihm sehr gefallen.«

Lemm blieb stehen.

»Es hat nichts zu bedeuten,« sagte er aus Russisch und fügte dann in seiner Muttersprache hinzu: »er verstehet aber nichts. Wie? Sehen Sie das nicht? Er ist Dilettant, und das ist Alles!«

»Sie sind gegen ihn ungerecht,« erwiderte Liese, »er versteht Alles und kann fast Alles machen.«

»Ja, Alles Numero zwei, leichte Waare, eilige, Arbeit; dieß gefällt, und er gefällt; nun – und bravo! Aber ich ärgere mich nicht; diese Cantate und ich, wir sind zwei alte Namen; ich schäme mich ein Wenig, – doch das bedeutet nichts.«

»Verzeihen sie mir, Christophor Fedorowitsch!« sagte Liese auf’s Neue.

»Es ist nichts, es ist nichts!« wiederholte er auf Russisch: »Sie sind ein gutes Mädchen . . . aber da kommt Jemand zu Ihnen. Leben Sie wohl. Sie sind ein sehr gutes Mädchen!«

Und Lemm ging eiligen Schrittes zur Pforte, durch welche eben ein ihm unbekannter Mann, in einem grauen Paletot und breiten Strohhut trat. Er grüßte diesen sehr artig (er hatte die Gewohnheit alle unbekannten Gesichter in O. zu grüßen, von den Bekannten wandte er sich auf der Straße weg, – er hatte sich dies zur Regel gemacht), ging an ihm vorbei und verschwand hinter dem Zaune. Der Unbekannte blickte ihm erstaunt nach, und ging, nachdem er Liese einige Augenblicke fest angesehen, gerade auf sie zu.

Siebentes Kapitel

»Sie erkennen mich nicht,« sagte er, seinen-Hut abnehmend, »ich aber habe Sie erkannt, obgleich acht Jahre seit der Zeit, daß ich Sie das letzte Mal gesehen habe, entschwunden sind, Sie waren damals noch ein Kind.« – Ich heiße Lawretzky. – Ist Ihre Mutter zu Hause? Kann man sie sehen?«

»Meine Mutter wird sehr erfreut sein, Sie zu sehen,« entgegnete Liese, »sie hat von Ihrer Ankunft schon gehört.«

»Sie heißen, wenn ich mich nicht irre, Elisabeth?« sagte Lawretzky, die Treppe hinaufgehend.

»Ja.«

»Ich erinnere mich Ihrer sehr wohl, schon damals hatten Sie solch ein Gesicht, das man nicht vergißt. Ich brachte Ihnen damals immer Confect.

Liese erröthete und dachte: »Was ist das doch für ein Sonderling.« Lawretzky blieb einen Augenblick im Vorzimmer stehen, Liese trat in’s Gastzimmer, wo die Stimme und das Gelächter Panschin’s erklangen; er theilte eine Stadtklatscherei Marie Dmitriewna und Gedeonowsky mit, die eben aus dem Garten zurückgekehrt waren, und lachte selbst laut über das, was er erzählte. Bei dem Namen Lawretzky gerieth Maria Dmitriewna in Unruhe, erblaßte und ging ihm entgegen.

»Guten Tag, guten Tag, mein theurer Cousin!« rief sie mit gedehnter und fast weinerlicher Stimme: – »wie froh bin ich Sie zu sehen!«

»Guten Tag, meine gute Cousine!« erwiderte Lawretzky und drückte ihr freundlich die ausgestreckte Hand, »wie befinden Sie sich?«

»Setzen Sie sich, mein theurer Feodor Iwanitsch, ach, wie bin ich froh! Erlauben Sie erstens, Ihnen meine Tochter vorzustellen, Liese.«

»Ich habe mich Elisabeth Michailowna schon selbst vorgestellt,« unterbrach sie Lawretzky,

»Monsieur Panschin . . . Sergei Petrowitsch Gedeonowsky . . . aber setzen Sie sich doch, ich sehe Sie vor mir und traue auf Ehre meinen Augen nicht. Wie befinden Sie sich?«

»Wie Sie sehen, ich strotze vor Gesundheit; aber auch Sie, Cousine, Sie sind in den acht Jahren nicht magerer geworden!«

»Wenn man es bedenkt, wie lange wir uns nicht gesehen haben,« sprach Maria Dmitriewna sinnend, »woher kommen Sie jetzt? Wo ließen Sie . . . das heißt, – ich wollte sagen,« verbesserte sie sich eilig, – »ich wollte sagen, bleiben Sie lange bei uns?«

»Ich komme jetzt aus Berlin,« entgegnete Lawretzky, – »und reise morgen auf mein Gut – wahrscheinlich auf lange Zeit.«

»Sie werden doch, wie selbstverständlich, in Lawriky wohnen?«

»Nein, nicht in Lawriky; ich habe aber, ungefähr fünfundzwanzig Werst von hier, ein kleines Dörfchen; dorthin will ich mich begeben.«

»Es ist das kleine Dörfchen, das Sie von Glaphira Petrowna geerbt haben?«

»Dasselbe.«

»Aber um Gottes willen, Jegor Iwanitsch! Sie haben in Lawriky ein so schönes Haus.« Lawretzky runzelte kaum merklich die Stirn« .

»Ja . . . aber in jenem Dörfchen ist auch ein kleines Häuschen; und für jetzt brauche ich nichts mehr. Dieser Ort – ist für mich jetzt der passendste.«

Maria Dmitriewna ward wieder so verlegen, daß sie sich sogar gerade richtete und die Arme spreizte. Panschin kam ihr zu Hilfe und begann ein Gespräch mit Lawretzky. Maria Dmitriewna beruhigte sich, stützte sich auf die Lehne des Sessels und schaltete nur von Zeit zu Zeit ein kleines Wörtchen ein. Bei alle dem blickte sie so trübselig auf ihren Gast, seufzte so bedeutungsvoll, und schüttelte so traurig den Kopf, daß jener es nicht aushielt und sie endlich ziemlich scharf fragte, ob sie gesund sei.

»Gott sei Dank!« entgegnete Maria Dmitriewna – »und warum diese Frage?«

»So, mir schien es, daß Sie sich nicht ganz wohlfühlten.«

Maria Dmitriewna machte eine würdevolle und etwas beleidigte Miene. – »Wenn es so ist,« dachte sie, »so ist es mir ganz einerlei; Dir scheint, Freund, Alles, wie der Gans das Wasser zu sein; ein Anderer hätte vor Schmerz die Auszehrung bekommen und Du wirst bald vor Fett platzen.«

Mit sich selbst machte Maria Dmitriewna keine Ceremonien, gegen Andere aber und laut brauchte sie gewähltere Ausdrücke.

Lawretzky sah in der That nicht einem Schlachtopfer des Geschickes ähnlich. Von seinem rothwangigen, echt russischem Gesichte, mit hoher weißer Stirn, etwas dicker Nase und bereiten, regelmäßigen Lippen, wehten Steppengesundheit, feste, langdauernde Kraft. Er war vortrefflich gebaut und die blonden Haare auf seinem Kopfe lockten sich, wie bei einem Jünglinge. In seinen blauen hervorstehenden und etwas unbeweglichen Augen bemerkte man, wenn auch nicht Tiefsinn oder Müdigkeit, aber doch etwas Aehnliches, und seine Stimme klang zu gleichmäßig.

Panschin ließ inzwischen das Gespräch nicht stocken. Er lenkte es auf die Vortheile der Zuckersiedereien, worüber er ohnlängst zwei französische Brochüren gelesen hatte, und begann mit ruhiger Bescheidenheit deren Inhalt mitzutheilen ohne übrigens diese selbst auch nur mit einem einzigen Worte zu erwähnen.

»Ach, das ist ja Fedia!« erklang plötzlich in der Nachbarstube hinter der halb offenen Thür die Stimme von Martha Timotheewna. – »Fedia, in der That!« – Und die Alte eilte in das Gastzimmer. Lawretzky hatte nicht Zeit, sich vom Stuhle zu erheben, als sie ihn schon umarmt hatte. – »Laß Dich doch betrachten, laß Dich doch betrachten!« sagte sie, sich von seinem Gesichte entfernend. »Ach, wie gut siehst Du aus! Aelter bist Du geworden, aber wirklich nicht häßlicher. Warum küssest Du aber meine Hände? – Küsse mich selbst, wenn Dir meine runzeligen Wangen nicht zuwider sind. Nicht wahr, nach mir hast Du nicht gefragt; ob wohl die Tante noch lebe oder nicht? Und doch bist Du in meinen Armen geboren, Du Taugenichts. Nun, das ist aber alles einerlei; wie solltest Du an mich denken? Recht hast Du aber gethan, daß Du gekommen bist. Was aber,« fügte sie hinzu, sich zu Maria Dmitriewna wendend, »hast Du ihm schon etwas Vorgesetzt?«

»Ich habe nichts nöthig,« beeilte sich Lawretzky zu sagen.

»Nun, trinke wenigstens eine Tasse Thee. Du großer Gott! Und solltest keine Tasse Thee trinken. Liese geh’ und sorge dafür, aber schnell. Ich erinnere mich, er war, als kleiner Bursche, ein großer Vielfraß, – und auch jetzt liebt er wahrscheinlich zu essen!«

»Martha Timotheewna, ich habe die Ehre . . . « sagte Panschin von der Seite zu der, in Eifer gerathenen alten Dame tretend, und sie tief grüßend.

»Verzeihen Sie« mein Herr,« erwiderte Martha Timotheewna, »in meiner Freude habe ich Sie nicht bemerkt. – Deiner Mutter bist Du ähnlich geworden, der guten Frau,« fuhr sie, sich auf’s Neue zu Lawretzky wendend, fort, Du hattest nur Deines Vaters Nase, und Deines Vaters Nase ist Dir geblieben.« Bleibst Du lange bei uns?«

»Morgen, Tante, reife ich ab.«

»Wohin?«

»Zu mir nach Wassiliewskoie.«

»Morgen?«

»Morgen.«

»Nun, wenn morgen, so morgen. Du mußt es am Besten wissen, was Du zu thun hast. Höre aber, erst mußt Du kommen, um Abschied zu nehmen.« Die Alte kniff ihn in die Wange. – »Ich dachte nicht, Dich zu sehen; nicht, daß ich gerade zu sterben beabsichtigte; nein, ich lebe wenigstens zehn Jahre noch; wir alle, wir Pestoffs, wir leben lange. Dein Großvater nannte uns zweileberig; aber wer konnte es wissen, wie lange Du Dich noch im Auslande herumtreiben würdest. Nun, brav siehst Du aus, brav; hebst aus jeden Fall, wie früher, Deine zehn Pud mit einer Hand auf? Dein verstorbener Vater, verzeih’ es mir, war toll genug, etwas Gutes aber hat er gethan, daß er Dir einen Schweizer zum Hauslehrer gab; erinnerst Du Dich, wie ihr euch gegenseitig Faustschläge austheiltet? Gymnastik nennt man’s, nicht wahr? Aber was gackere ich da, wie eine Henne! Ich störe nur Herrn Panschin in seinen Dissertationen; übrigens laßt uns lieber Thee trinken! Ja; und kommt, ihn auf der Terrasse trinken; wir haben schöne Sahne – ihr habt ihresgleichen nicht in euren London und Paris. Kommt – kommt, und Du, Fedia, gieb mir den Arm. O, was für einen dicken Arm Du doch hast!«

Alle standen auf und gingen auf die Terrasse, mit Ausnahme Gedeonowsky’s, welcher sich still entfernte. Während des ganzen Gesprächs Lawretzky’s mit der Hausfrau, mit Panschin und Martha Timotheewna saß er in einem Winkel, aufmerksam mit den Augen blinzelnd und mit kindlicher Neugier die Lippen spitzend; er eilte jetzt die Nachricht von der Ankunft des neuen Geistes in der ganzen Stadt zu verbreiten. —

* * *

Folgendes geschah an diesem Tage, um elf Uhr Abends: Unten auf der Schwelle des Gastzimmers nahm Wladimir Nikolaitsch, eine günstige Gelegenheit benutzend, Abschied von Liesen und sprach zu ihr, sie an der Hand haltend: »Sie wissen, was mich hierherzieht, Sie wissen, warum ich so oft in Ihr Haus komme;« Liese antwortete ihm nichts und lächelte nicht, blickte aber, die Augenbrauen etwas erhebend, auf den Boden, ohne jedoch ihre Hand wegzuziehen.

Oben aber, im Zimmer von Martha Timotheewna, beim Lichte einer Ampel, die vor trüben, alten Heiligenbildern hing, saß Lawretzky, die Ellbogen auf die Kniee gestützt; die gute Alte strich, vor ihm stehend, von Zeit zu Zeit und schweigend seine Haare. Mehr als eine Stunde verbrachte er bei ihr, nachdem er von der Hausfrau Abschied genommen; kein Wort fast sagte er seiner alten guten Freundin und sie fragte ihn nicht aus . . .; was war auch zu fragen? Auch so verstand sie Alles, auch so nahm sie Theil an Allem, was sein Herz überfüllte.

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Дата выхода на Литрес:
10 декабря 2019
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242 стр. 5 иллюстраций
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