Читать книгу: «Belladonnas Schweigen», страница 4

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„Später haben wir mitbekommen, dass über die Heidrun gesagt wird, dass sie eine Hure sei. Dann haben wir sie natürlich nicht mehr besucht. Mit so einer darf man sich doch nicht sehen lassen, man hat ja einen Ruf zu verlieren und wollte mit so einer nicht in Verbindung gebracht werden. Die Heidrun war immer eine Einzelgängerin und gehörte nicht in die Kastler Gemeinschaft. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sie auf einem Fest oder in der Kirche gesehen hätte. Ich glaube, das hätte auch niemand geduldet. Eines Tages hat sich die Heidrun in ihrem Haus aufgehängt. Warum, weiß man nicht.“

Viktoria und Werner konnten sich lebhaft vorstellen, warum sich die Frau das Leben nahm, denn das muss für sie unerträglich gewesen sein, wie sie behandelt wurde. Aber wegen dieser Heidrun waren sie nicht hier.

„Und das Haus hat dann die Nichte Rosi Bofinger geerbt?“, half Werner den Damen auf die Sprünge.

„Ja. Die Rosi war keine hiesige, sie kam aus Burghausen. Eigentlich haben wir alle damit gerechnet, dass das Haus abgerissen wird. Wer will freiwillig in einem Haus leben, in dem sich einer umgebracht hat? Ich nicht! Statt einem Abrissunternehmen stand eines Tages ein Umzugswagen genau hier, wo wir jetzt stehen. Und seitdem lebt die Rosi in diesem unheimlichen Haus, in dem es ganz bestimmt spukt. Die Rosi war anfangs nicht so wie ihre Tante Heidrun. Sie war anständig und hat auch versucht, Anschluss zu finden. Sie hat damals regelmäßig den Gottesdienst besucht und war sogar Mitglied im Kastler Sportverein; ich habe sie dort selbst einige Male gesehen. Ob sie heute noch Mitglied ist, weiß ich nicht. Was ich ganz sicher weiß ist, dass sie eine Anstellung bei der Ziegelei gefunden hat und das erste Jahr dort arbeitete. Das weiß ich genau, weil mein Bruder mit ihr zusammengearbeitet hat und beide gleichzeitig ihre Arbeit verloren haben, weil die Ziegelei zugesperrt hat. Mein Bruder hat seit damals in der Arbeitswelt nicht mehr Fuß fassen können und wurde schwermütig.“

„Schwermütig ist gut,“ lachte Frau Bergmann. „Der Bartl hat gesoffen wie ein Loch. Jeden Tag musste man ihn quasi vom Wirt heimtragen. Und er hat bis zu seinem Tod von der Stütze gelebt, auch die hat er regelmäßig versoffen. Beschönige doch nichts, du musst der Polizei schon die Wahrheit sagen.“

„Erstens soll man über Tote nichts Schlechtes sagen,“ fauchte Frau Seligmann. „Und zweitens geht es hier nicht um meinen Bruder, sondern um die Rosi.“

„Mein Mann hat damals jedenfalls sehr schnell wieder Arbeit gefunden, nachdem auch er seine Arbeit in der Ziegelei verloren hat,“ warf Frau Bergmann noch nach, die sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen konnte.

„Halt doch dein Schandmaul,“ fauchte Frau Seligmann zurück. „Die Rosi hat damals die Arbeit verloren und hat mit der Hurerei angefangen. Nicht diskret wie damals ihre Tante Heidrun, sondern ganz offen. Hier, mitten in unserem Dorf, das muss man sich mal vorstellen! Sie nannte sich auf einmal Belladonna, hat in der Zeitung inseriert und immer ihre kleinen Werbezettel verteilt. In jedem Briefkasten tauchten ihre Schmuddelwerbungen auf. Ich weiß noch, wie ich damals erschrocken war, als ich den ersten Werbezettel aus dem Briefkasten geholt habe. Natürlich habe ich die alle immer sofort weggeworfen. Diese Werbeaktionen waren mehrfach Thema bei den Gemeindeversammlungen. Wir wollten dafür sorgen, dass diese Art Werbung verboten wird, aber wir konnten nichts dagegen machen. Können Sie sich das vorstellen? Ja, die Rosi war echt dreist. Früher stand sie immer an der Dorflinde, wenn sie frei war. Die Männer hielten mit ihren Autos direkt neben ihr. Das macht sie schon lange nicht mehr. Heute verabredet sie sich bestimmt übers Handy oder übers Internet, das ist wenigstens diskret. Wenn sie an der Dorflinde stand, war das für alle Kastler sehr peinlich.“

„Das stimmt, was die Monika sagt. Die Rosi stand früher fast jeden Abend an der Dorflinde, da kann ich mich noch gut daran erinnern.“

„Denkst du, ich erzähle der Polizei Unsinn? Natürlich stimmt es, was ich sage! Die Rosi macht keinen Unterschied, wie alt die Männer sind, teilweise sind das noch Kinder. Die Frau nimmt alle. Hauptsache, es bringt Geld.“

„War dein Georg nicht auch bei ihr?“, stichelte Sieglinde Bergmann.

„Jetzt ist aber mal genug. Der Georg war nie bei ihr! Das haben die Leute nur erzählt, weil sie uns schaden wollten, als wir unser Haus umgebaut haben und alle auf uns neidisch waren. Außerdem musst du gerade reden! Dein Sohn war damals einer der ersten Stammkunden bei ihr.“

Viktoria befürchtete, dass das hier gleich in einen handfesten Streit ausarten würde. Aber sie musste nicht einschreiten, das Problem erledigte sich von selbst. Auf einem Fahrrad kam eine hübsche Mittfünfzigerin auf sie zu geradelt.

„Griaß di Rosi, die Polizei ist hier und möchte dich sprechen,“ sagte Sieglinde Bergmann überfreundlich.

„Griaß di Rosi,“ rief Monika Seligmann ebenso freundlich. „Wir haben nichts erzählt. Wir sind beide nur zufällig hier.“

Die überaus adrette Rosi Bofinger stellte ihr Fahrrad ab und sagte kein Wort. Sie gab den Polizisten ein Zeichen, ihr ins Haus zu folgen. Die beiden Damen Bergmann und Seligmann machten keine Anstalten, nach Hause zu gehen, sondern standen noch lange zusammen und tauschten die neuesten Neuigkeiten aus. Außerdem mussten sie abwarten, ob die Rosi verhaftet wurde, denn damit rechneten sie fest. Erst dann konnten sie diese Neuigkeit ihrerseits weitertragen.

„Was haben die beiden Tratschtanten erzählt? Sicher haben sie sich über mich das Maul zerrissen.“ Ungefragt schaltete Rosi die Kaffeemaschine ein und Viktoria konnte sich ein Bild vom Inneren des Hauses machen. Entgegen dem äußeren Eindruck des Hauses war es im Inneren sauber, ordentlich, modern und sehr gemütlich. Außerdem roch es hier phantastisch. Rosi spürte, was in Viktorias Kopf vorging.

„Ich bin sehr stolz auf mein Haus, obwohl meine Hausfassade und der Garten echt schlimm aussehen. Das lasse ich absichtlich so, um meine Nachbarn zu ärgern. Ich brauche auch meinen Spaß.“ Sie erzählte von einigen Begebenheiten. Viktoria hing förmlich an den Lippen der Frau, die eine unglaubliche Ausstrahlung hatte. Sie war charmant, amüsant und zog einen sofort in ihren Bann. Sie fühlte sich wohl in ihrer Gesellschaft und hätte gerne noch sehr viel länger mit der Frau geplaudert.

„Was will die Polizei von mir? Das Gewerbe ist angemeldet, meine Mitarbeiterinnen und ich kommen allen Auflagen pünktlich nach. Außerdem zahle ich meine Steuern im Voraus, und das nicht zu knapp.“

„Sie haben Mitarbeiterinnen?“

„Zwei Teilzeitkräfte. Ich würde sie gerne in Vollzeit beschäftigen, Arbeit ist genug da. Aber die beiden möchten nicht, müssen sich immer noch davonstehlen und haben Angst, dass ihre Arbeit irgendwann bekannt wird. Das horizontale Gewerbe ist in all den Jahren immer noch nicht anerkannt und vor allem in ländlichen Gebieten nicht gerne gesehen. Es weiß zwar jeder, dass es Bordelle gibt, aber niemand möchte etwas damit zu tun haben. Das ist immer noch eine Sparte, die mit Ekel und Abscheu behaftet ist, was ich nicht verstehen kann. Ich habe ein Dienstleistungs-unternehmen, das es schon seit tausenden von Jahren gibt. Ich möchte betonen, dass ich meinen Beruf gerne ausübe und sehr stolz auf das bin, was ich geschaffen habe. Allerdings wäre es sehr viel leichter, wenn mich die Leute endlich akzeptieren würden.“ Der Kaffee war fertig. Sie holte die Kaffeekanne und drei Becher und schenkte Kaffee ein. „Immer wieder stehe ich bei Gemeindeversammlungen auf der Tagesordnung; nicht offiziell, nur wegen anonymer Beschwerden, zu denen sich keiner bekennt, dafür sind die Leute zu feige. Jährlich gibt es X Versuche, mich hier wegzubekommen. Aber ich gehe nicht, grad extra nicht. Meine Tante Heidrun haben sie in den Tod getrieben. Sie hat nicht verkraftet, dass man sie überall nur missachtet hatte. Sie wurde öffentlich gedemütigt und beschimpft. So lange, bis Tante Heidrun nicht mehr konnte und ihrem Leben ein Ende gesetzt hat. Bei mir beißen sie auf Granit. Jedem, der mir dumm kommt, trete ich entgegen. Ich lasse mir nichts gefallen. Ich stehe zu meiner Arbeit und kann jeden Morgen ohne Probleme in den Spiegel schauen. Und ich bin stolz darauf, dass ich mein Leben selbst finanzieren kann und mir schon ein kleines Vermögen ansparen konnte, womit ich mir in einigen Jahren einen angenehmen Lebensabend erlauben kann. Die scheinheiligen Kastler, von denen viele meine Kunden sind, sind doch tatsächlich der Meinung, dass sie etwas Besseres sind. Pah, dass ich nicht lache! Ich weiß von vielen dubiosen Geschäften, für die man sich wirklich schämen müsste. Außerdem läuft mein Geschäft hervorragend und ich zahle ordentlich Steuern. Nicht wie viele Kastler, die das Finanzamt bescheißen! Ich zahle jeden Cent mit Stolz ans Finanzamt. Immer wieder steht die Steuerprüfung vor meiner Tür, aber noch nie gab es etwas zu beanstanden. Entschuldigen Sie bitte, ich schweife ab, das alles interessiert Sie bestimmt nicht. Soll ich meine Papiere holen? Sind Sie deshalb hier? Hat mich mal wieder jemand angeschwärzt oder Lügen über mich verbreitet?“

„Wir glauben Ihnen, dass mit Ihrem Gewerbe alles in Ordnung ist, deshalb sind wir nicht hier. Es geht um einen Todesfall in Altötting. Gestern ca. 17.40 Uhr wurde ein Mann in der Marienstraße erstochen. Es wurde uns zugetragen, dass Sie sich etwa um die Zeit dort aufgehalten haben.“

„Ich werde des Mordes verdächtigt?“

„Wir ermitteln in alle Richtungen. Waren Sie dort?“

„Um 17.40 Uhr sagten Sie? Das stimmt, da war ich in der Gegend. Wie jeden Mittwoch war ich Blumen kaufen.“

„Ist Ihnen irgendetwas oder noch besser irgendjemand aufgefallen?“

Rosi Bofinger wusste genau, worauf die Polizisten anspielten. Aber sie gab sich ahnungslos.

„Lassen Sie mich nachdenken. Ich kam vom Blumenladen und ging über die Marienstraße auf dem Kreuzweg Richtung Kapellplatz. In der Stiftskirche habe ich eine Kerze für meinen verstorbenen Bruder angezündet, der gestern Geburtstag hatte. Ich bin den Kreuzweg zur Marienstraße wieder zurück, weil ich dort meinen Wagen geparkt habe. Alles war wie immer.“ Sie schüttelte den Kopf. „Mir sind auf meinem Weg einige Personen begegnet. Aber leider niemand, der mir irgendwie besonders aufgefallen wäre. Es tut mir leid, ich hätte der Polizei gerne geholfen.“

„Schade, das wäre auch zu einfach gewesen,“ sagte Viktoria enttäuscht, als sie im Wagen saßen.

„Sie lügt. Die Frau weiß genau, wer an ihr vorbeilief. Und wenn das stimmt, dann ist sie in Gefahr.“

„Übertreibst du da nicht ein bisschen?“

„Bestimmt nicht. Die Rosi führt ihr Gewerbe schon seit vielen Jahren und jeder kennt sie, auch wenn das keiner zugeben möchte. Selbst ich kenne sie.“

„Du kennst diese Rosi?“, rief Viktoria.

„Überrascht? Was glaubst du, woher ich wusste, wo sie wohnt? Ich bin davon überzeugt, dass Rosi den Täter gesehen und auch erkannt hat. Und wenn der Täter sie nun auch erkannt hat? Wenn ich richtig liege, dann geht der Mann mit ihr ein großes Risiko ein.“

Rosi stand noch lange am Fenster und sah dem Wagen hinterher. Natürlich hatte sie zur fraglichen Zeit in der Marienstraße einen Mann gesehen. Sie könnte ihn nicht nur beschreiben, sondern wusste sogar, wer er war. Dieser Mann war außergewöhnlich. Er hatte etwas Unnahbares, fast Geheimnisvolles an sich. Beruflich hatte sie vor einigen Jahren mit ihm zu tun. Damals besuchte er einen Freund in der Maria-Ward-Straße. Sie wusste, dass dieser Freund nicht mehr hier wohnte. Was wollte der Mann jetzt hier? Rosi schüttelte den Kopf, das alles ging sie nichts an. Warum sollte sie ihn an die Polizei verraten? Das war nicht ihre Art, denn sie wusste nicht, was wirklich passiert war. Schon immer hatte sie sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert und damit war sie in der Vergangenheit immer sehr gut gefahren. Vor allem wollte sie nicht als Verräterin und Plaudertasche dastehen, denn Diskretion war auch ein wichtiger Teil ihres beruflichen Erfolges. Viel mehr als dieser Mann und der Tote in der Marienstraße beschäftigte sie eine Frage: Hatte er sie auch gesehen? Hatte er sie erkannt? Sie fühlte sich nicht wohl bei der ganzen Sache. Wenn er wirklich einen Menschen getötet hatte, wie die Polizei behauptete, war sie dann mit ihrem Wissen in Gefahr? Sie wollte es nicht darauf ankommen lassen! Sie entschied, dem allen aus dem Weg zu gehen. Schon allein die Tatsache, dass die Kriminalpolizei bei ihr war, würde in Kastl wie ein Lauffeuer herumgehen. Dafür sorgten schon die beiden Tratschweiber, die gleich nach der Polizei endlich auch verschwunden waren. Sie ging auf den Dachboden, holte ihren großen Koffer und begann zu packen. Schon seit Wochen spielte sie mit dem Gedanken, einige Tage Urlaub zu machen; und der richtige Zeitpunkt war jetzt gekommen. Eine Woche Wärme und Sonne würde ihr guttun. Danach war der ganze Spuk sicher vorbei und sie wurde damit nicht in Verbindung gebracht. Nachdem sie gepackt hatte, sagte sie alle Termine der kommenden Woche ab, worüber ihre Kunden nicht gerade begeistert waren. Aber sie konnte alle besänftigen und war sich fast sicher, dass sie nicht einen Kunden durch ihren spontanen Urlaub verlieren würde.

3.

„Wie laufen die Ermittlungen im Fall Eichinger? Ich hoffe doch, dass Sie einen Verdächtigen haben, nachdem Martin Mahnstein entlastet werden konnte.“

„Leider noch nicht Chef.“ Die Polizisten unterrichteten den Chef von ihren Befragungen.

„Und Sie sind davon überzeugt, dass die schöne Belladonna den Mörder erkannt hat?“

Werner Grössert nickte.

„Rosi Bofinger hat einen fürchterlichen Dickschädel und steht zu ihren Prinzipien. Wenn sie nicht möchte, sagt sie kein Wort,“ sagte Krohmer, der von der Entwicklung dieses Falles nicht begeistert war. Zuerst dachte er, dass sich einer von Kevin Eichingers Rivalen an ihm gerächt haben könnte und doch noch irgendwo ein Zeuge auftaucht, der den entscheidenden Hinweis gibt. Aber nichts dergleichen war geschehen. Auch in der Szene rund um Kevin Eichinger war es in letzter Zeit erstaunlich ruhig und alle einschlägig Vorbestraften hatten wasserfeste Alibis für die Tatzeit. Und jetzt auch noch das mit der Rosi.

„Soll ich mit ihr reden Chef? Auf mich hört sie vielleicht,“ grinste Hans Hiebler.

„Moment mal,“ rief Viktoria. „Ihr kennt alle diese Belladonna?“

„Natürlich kennen wir sie alle, schließlich geht sie schon seit 30 Jahren ihrem Gewerbe nach. Hinter vorgehaltener Hand entstehen immer wieder Geschichten, die Gerüchteküche brodelt mal mehr, mal weniger. Alles, was fremd und anrüchig ist, fasziniert die Menschen nun mal. Niemand will mit dem Milieu etwas zu tun haben, aber alle interessieren sich dafür. Belladonnas Geschäfte müssen gut laufen, sonst würde sie sich nicht schon so viele Jahre halten. Soweit ich mich erinnere, gab es nie Probleme mit Belladonna und ihrem Gewerbe. Es gab immer nur die üblichen Anzeigen, die immer ins Leere liefen.“

„Genau so ist das, Chef,“ bestätigte Hans und Werner stimmte ihm zu.

„Ich kenne sie auch,“ sagte Frau Gutbrod zu Viktorias und Leos Überraschung, die beide noch nie etwas von dieser Rosi Bofinger oder einer Belladonna gehört hatten. „Rosi Bofinger macht ihren Job schon sehr lange und vor allem in den 80er- und 90er-Jahren war das ein Skandal! In Zeitungsanzeigen und Flyern tauchte überall der Name Belladonna auf, der den meisten schnell ein Begriff war. Über ihre Tante Heidrun munkelte man schon lange, dass sie eine Hure war, aber von ihr wusste man nichts Genaues. Aber die Rosi stand zu ihrer Arbeit und ging immer offen damit um. Ganz Kastl, Altötting und auch die anderen umliegenden Dörfer standen Kopf. Vor allem, als hochangesehene Männer in Rosis Gesellschaft gesehen wurden. Es gab sogar Fotos, die allerdings sehr viel Raum für Spekulationen gaben. Bewiesen werden konnte nie etwas. Rosi ist eine sehr hübsche Frau mit einem unglaublichen Charisma. Man kommt nicht an ihr vorbei, ohne sie ansehen zu müssen. Es ist eine der Personen, die alle Blicke auf sich ziehen, wenn sie den Raum betritt. Sie hat etwas an sich, das kaum zu beschreiben ist.“ Frau Gutbrod hatte weder etwas gegen Rosi, noch gegen ihr Gewerbe. Die gehörten einfach zum Leben dazu. Außerdem bewunderte sie die Frau, wie sie ihr Geschäft führte und wie sie dazu stand.

„Was ist mit Ihnen Herr Fuchs?“ Der Leiter der Spurensicherung saß stumm bei der Besprechung und erschrak, als er in dem Zusammenhang von Viktoria angesprochen wurde.

„Ja, auch ich kenne die Rosi, so wie die anderen auch. Aber diese Frau und ihr Gewerbe interessieren mich nicht. Ich bin hier, um meinen Bericht bezüglich des Kreuzweges mitzuteilen, mehr nicht. Wenn wir uns also wieder darauf beschränken könnten? Sie tun ja gerade so, als ob Sie noch nie mit Prostituierten oder einem Bordell zu tun gehabt hätten und jetzt den Moralapostel spielen Frau Untermaier. Bordelle haben eine sehr lange Tradition und durchaus ihre Daseinsberechtigung. Natürlich nur, wenn alles legal und auf freiwilliger Basis abläuft. Ja, auch in ländlichen Gegenden gibt es Bordelle, warum auch nicht? Sind Sie wirklich so naiv und prüde Frau Kollegin?“

Jetzt war Viktoria beleidigt. Ihre anfängliche Entrüstung schlug langsam in Scham um. Natürlich war das ganz normal. Warum regte sie sich darüber so auf? War auch sie mit Vorurteilen und verfälschten Moralvorstellungen behaftet? Oder konnte sie nur nicht so locker damit umgehen, weil sie hier in der dörflichen Idylle mit einem Bordell nicht gerechnet hatte? Oder war es vielleicht so, dass sie sich selbst nicht vorstellen konnte, wie man solch einem Gewerbe freiwillig nachgehen und man dort als Kunde hingehen konnte? Vielleicht lag es einfach nur daran, dass sie Rosi Bofinger kennengelernt hatte und diese Frau für sie einfach nicht ins horizontale Gewerbe passte.

„Bitte, Herr Fuchs, was haben Sie für uns?“, unterbrach Krohmer ihre Gedanken.

„Das Messer ist definitiv die Tatwaffe. Außer den Fingerspuren des Toten gibt es keine weiteren verwendbaren Fingerspuren. Der Täter muss Handschuhe getragen haben. Wir fanden auf dem Kreuzweg jede Menge Müll, aber nichts konnte dem Täter zugeordnet werden.“

„Wie sollten Sie das auch, wenn keine Fingerspuren sichergestellt werden konnten,“ maulte Viktoria.

„Schon mal was von Blutspritzern gehört? Die Tat hat jede Menge Blut verursacht, wodurch ein weiterer Gegenstand durchaus Blut abbekommen haben könnte. Aber nichts dergleichen.“

Friedrich Fuchs sah Viktoria Untermaier verächtlich an. Das war jetzt schon der zweite Fauxpas, der der ungeliebten Kollegin unterlief, und das vor allen Kollegen. Er lehnte sich zurück und genoss die Situation in vollen Zügen.

Viktoria könnte sich in den Hintern beißen. Das war heute bestimmt nicht ihr bester Tag! Aber diese herablassende Behandlung wollte sie sich nicht einfach so von diesem unsympathischen Fuchs gefallen lassen.

„Ich an Ihrer Stelle würde den Ball ganz flachhalten. Wenn Werner Grössert nicht gewesen wäre, hätten wir die Tatwaffe immer noch nicht. Warum haben Sie den Kreuzweg nicht unter die Lupe genommen? War die Anweisung nicht gewesen, das ganze Areal zu prüfen?“

Die überhebliche Miene war aus Fuchs‘ Gesicht verschwunden. Diese aufgeblasene Frau Untermaier hatte aber Recht: Er hätte den Kreuzweg ebenfalls untersuchen müssen, auch wenn die Anweisung nicht explizit darauf hingedeutet hatte. Er hätte diesen Kreuzweg einfach mit einbeziehen müssen. Er hatte gestern entschieden, dass das nicht nötig wäre, und lag damit falsch. Dieser Fehler durfte sich in Zukunft nicht wiederholen.

„Was ist mit den Überwachungskameras der Tankstelle?“ Werner Grössert setzte auf die Aufzeichnungen, denn er war sicher, dass auch dieser Berthold Kurz nicht die Wahrheit sagte.

„Der Beschluss liegt noch nicht vor. Ich bin dran.“ Krohmer konnte den Staatsanwalt noch nicht erreichen und war wütend, da er ihm bereits zwei Nachrichten hinterlassen hatte und er sich bis jetzt noch nicht zurückgemeldet hatte.

„Ich bin trotzdem dafür, dass wir Rosi Bofinger herholen und sie in die Zange nehmen.“ Viktoria wollte ihr Glück zumindest versuchen. Ihr kam die Frau sehr vernünftig vor und sie war sich sicher, dass sie von Frau zu Frau doch noch eine Information aus ihr herausbringen würde.

„Von mir aus, bringen Sie die Frau her. Aber ich kann Ihnen garantieren, dass Sie aus der Frau nichts rausbekommen. Aber bitte, versuchen Sie Ihr Glück.“

„Ich fahre in die Klinik und befrage Lena Schuster, der Arzt hat vorhin grünes Licht gegeben. Vielleicht bekommen wir von ihr einen Hinweis auf den Täter.“

„Machen Sie das Herr Schwartz. Aufgrund der Informationen der Altöttinger Kollegen sollten wir nochmals mit den betroffenen Personen reden, die bereits mit diesem vermeintlichen Retter zu tun hatten. Vielleicht kann sich doch noch jemand an irgendeine Kleinigkeit erinnern, die für uns wichtig sein könnte.“

Wie selbstverständlich stand Hans Hiebler auf und begleitete den Kollegen Schwartz, obwohl Viktoria viel lieber mit Leo gegangen wäre. Aber sie hatte zu langsam reagiert. Bei nächster Gelegenheit musste sie die Paarungen neu besprechen, denn in der Vergangenheit hatte sie mit Leo sehr gut zusammengearbeitet. Sie waren unterschiedliche Typen, gingen die Arbeit von verschiedenen Seiten an und ergänzten sich dabei. Sie vermisste die Zusammenarbeit mit ihm. Leo und Hans waren bereits unterwegs und es blieb ihr nichts anderes übrig, als zusammen mit Werner die Zeugen der älteren Fälle aufzusuchen, in denen der Retter bereits in Erscheinung getreten war.

Auf dem Weg nach Altötting versuchte sie mehrfach, Rosi Bofinger wegen einer Vorladung zu erreichen, hatte aber immer den Anrufbeantworter dran. Sie hinterließ mehrere Nachrichten und hoffte darauf, dass sich Frau Bofinger bei ihr melden würde.

„Hallo Frau Schuster,“ sagte Leo und zeigte seinen Ausweis. „Mein Name ist Schwartz, das ist der Kollege Hiebler. Wie geht es Ihnen heute?“

Lena Schuster sah schlimm aus. Das Gesicht war verquollen und auf der Stirn klebte ein dicker Verband. Vom Arzt hatten sie erfahren, dass außer den vielen Hämatomen auch eine leichte Gehirnerschütterung und eine dicke Platzwunde als Folge der Misshandlungen dokumentiert waren. Als Lena Schuster bemerkte, dass die Polizisten sie genauer ansahen, zog sie die Bettdecke so hoch wie möglich und verbarg ihre Arme, die über und über mit roten und blauen Flecken übersät waren.

„Es geht schon wieder, ist nicht so schlimm. Kevin ist tot und ich verstehe das nicht. Ich werde meinen Freund nie wieder sehen und weiß nicht, wie mein Leben ohne ihn weitergehen soll. Was soll ich ohne ihn machen?“

„Vergessen Sie da nicht eine Kleinigkeit? Es war schließlich Ihr Freund, der Ihnen das alles angetan hat.“

„Denken Sie nicht schlecht von Kevin, er hatte gestern einen schlechten Tag und hat es nicht so gemeint,“ sagte sie leise. „Ich war enttäuscht und verärgert, ich habe ihm Vorhaltungen gemacht, weil er meinen Geburtstag vergessen hat. Dadurch ist der ganze Streit erst in Gang gekommen und ist dann eskaliert. Es war allein meine Schuld, ich hätte ihn nicht verärgern dürfen. Warum habe ich nur so auf meinem Geburtstag herumgeritten? Es ist schließlich ein Tag wie jeder andere auch! Ich bin Schuld an dem, was passiert ist.“

„Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, junge Frau: Aber sind Sie irre? Sehen Sie sich doch mal an! Ihr Freund hat Sie übelst zusammengeschlagen! Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, welcher Streit vorausgegangen ist. Ihr Freund Kevin ist übers Ziel hinausgeschossen, und das viel zu weit. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie Sie aussehen würden, wenn Ihnen dieser fremde Mann nicht zur Seite gestanden hätte.“ Hans war außer sich, dass diese Frau in ihrem Zustand ihren brutalen Freund auch noch verteidigte. „Sie hätten tot sein können. Machen Sie endlich die Augen auf!“

„Aber nein, Sie übertreiben maßlos. Kevin war im Grunde genommen ein ganz lieber Mensch,“ sagte sie und dabei rannen ihr die Tränen übers Gesicht. „Er wollte mir doch nicht absichtlich wehtun.“

„Das glauben Sie doch selbst nicht,“ rief Hans, der die Frau nicht verstand. Immer wieder stand er fassungslos vor verprügelten Frauen, die die Täter immer wieder verteidigten und ihnen sogar verziehen. Das war ein Punkt, den er nie begreifen würde. Er hätte diese Frau am liebsten geschüttelt, damit sie endlich zur Vernunft kam. Leo hielt ihn zurück, das brachte nichts. Außerdem waren sie aus einem anderen Grund hier.

„Sie haben den Täter gesehen. Können Sie ihn beschreiben?“

„Ich habe gestern schon gesagt, dass das alles viel zu schnell ging. Er war vollkommen schwarz gekleidet und trug eine Art Mütze, aber sicher bin ich mir da nicht. Was mischt sich dieser Mann überhaupt ein? Irgendwie hätte ich Kevin schon beruhigt. Das konnte ich bis jetzt immer, auch ohne fremde Hilfe. Aber dieser Mann war urplötzlich da und hat sich zwischen uns gestellt. Er hat Kevin beschimpft und auch geschubst, das mochte mein Kevin überhaupt nicht. Niemand durfte ihn anfassen. Natürlich musste sich Kevin wehren, aber der Fremde wich keinen Zentimeter zurück, sondern provozierte ihn weiter. Kevin hat noch versucht, ihn mit seinem Messer einzuschüchtern und ihn davonzujagen, aber auch das hat den Mann nicht interessiert. Es kam zu einem Gerangel und plötzlich fiel mein Kevin röchelnd in sich zusammen. Warum hat dieser Fremde meinen Kevin getötet?“

„Kevin wurde mit seinem eigenen Messer getötet?“

„Ich habe ihm das Messer vor zwei Wochen geschenkt. Das war eins dieser Klappmesser, die verboten sind. Schon lange hat er sich eins gewünscht und als ich es ihm gab, hat er sich riesig darüber gefreut. Er hat damit vor allen seinen Freunden angegeben.“

„Was ist mit der Stimme des Mannes? Würden Sie die wiedererkennen?“

„Die Stimme? Darauf habe ich nicht geachtet. Ich wollte meinem Kevin helfen, aber er hat mich nicht gelassen. Immer wieder hat er mich zur Seite geschubst.“

„Wo haben Sie das Messer her?“

„Ein Bekannter hat es mir besorgt. Hätte ich das doch nur nicht getan! Ich wollte Kevin eine Freude machen und jetzt wurde er mit meinem Geschenk getötet. Ich bin an allem schuld!“

Sie weinte nun hemmungslos. Der Arzt trat ein und bat die Polizisten, das Krankenzimmer zu verlassen.

„Meine Patientin ist psychisch sehr labil. Sie gehört in professionelle Hände, ich werde ihr einen Psychologen empfehlen. Sie gehen jetzt besser, sie braucht viel Ruhe.“

„Frau Schuster sagte aus, dass sie den Täter nicht beschreiben kann, obwohl die Tat direkt vor ihren Augen stattgefunden hat und sie den Mann gesehen haben muss.“

„Es könnte sein, dass sie ihn tatsächlich nicht beschreiben kann. Sie haben ihren Zustand gesehen. Sie befand sich in einer Ausnahmesituation, da denken viele nicht rational. Meine Patientin hat Glück mit ihrer Familie, die sich rührend um sie kümmert. Wie gesagt, sie braucht viel Ruhe und vor allem Hilfe, aber sie muss sich freiwillig darauf einlassen.“

Eine Frau Mitte vierzig wartete auf dem Gang, die ganz bestimmt Lenas Mutter war, die Ähnlichkeit war frappierend.

„Frau Schuster?“ Die Frau nickte. Hans und Leo stellten sich vor. „Hat Ihnen Ihre Tochter irgendetwas erzählt, das uns zum Täter führen könnte?“

„Nein. Ich bin mir sicher, dass sie ihn nicht erkannt hat, sonst hätte sie ganz bestimmt etwas gesagt. Das alles ging viel zu schnell und sie stand vermutlich unter Schock. Sie leidet sehr unter dem Verlust ihres Freundes und wird kaum fertig damit. Es tut weh, sie so zu erleben.“ Frau Schuster schnäuzte in ein Taschentuch. „Wenn ich ehrlich bin, bin ich nicht traurig darüber, dass dieser Kevin endlich aus dem Leben meiner Tochter verschwunden ist. Sehen Sie sich doch an, was er aus ihr gemacht hat! Sie ist nicht nur ein körperliches, sondern auch ein seelisches Wrack. Seit sie mit ihm zusammen ist, hat sie sich sehr verändert. Früher war sie meine kleine Prinzessin, aber seit Monaten dringe ich kaum mehr zu ihr durch. Sie rutschte immer weiter ab und war diesem Kevin regelrecht hörig. Der Mann war ihr Verderben. Jetzt hat sie eine Chance, wieder auf die Füße zu kommen.“

„Kümmern Sie sich darum, dass Ihre Tochter in psychologische Behandlung kommt. Hier ist meine Karte. Melden Sie sich, wenn sich etwas Neues ergeben sollte.“

Sie sahen Frau Schuster hinterher, wie sie tief durchatmete, bevor sie in das Zimmer ihrer Tochter ging.

„Zumindest wissen wir jetzt, dass es sich bei der Tatwaffe um Kevins Messer handelt.“

„Und, dass wir es mit einem gefährlichen Täter zu tun haben, der mutig genug ist, nicht einmal vor einem Messer zurückzuschrecken und den Spieß auch noch umdreht.“

„Oder noch schlimmer: Er ist nicht mutig, sondern naiv und dumm.“

Leo und Hans schlossen sich den Befragungen von Viktoria und Werner an, die sich endlos in die Länge zogen. Die beiden Fälle, die der Altöttinger Polizei bezüglich dieses vermeintlichen Retters gemeldet wurden, liefen relativ glimpflich ab. Trotzdem waren die Gemüter noch sehr erhitzt und sie mussten sich die genauen Tatvorgänge mehrmals ausführlich anhören. Aber sie wurden enttäuscht. Niemand konnte irgendetwas Relevantes bezüglich des Mannes mitteilen. Völlig genervt und ziemlich fertig machten sie für heute Feierabend. Niemand rechnete damit, dass dieser heute sehr kurz ausfallen würde. Als sie es sich gerade zuhause gemütlich machten und abschalteten, klingelte bei Viktoria das Telefon: Der vermeintliche Retter hatte offenbar erneut zugeschlagen – mit einem weiteren Toten!

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