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2.1EINE POLITISCHE ÖKONOMIE DER DIGITALEN INFRASTRUKTUREN

Der Mediatisierungsforschung wird oft vorgeworfen, dass sie die politische Ökonomie der aktuellen medienbezogenen Veränderungen ignoriert. Das Hauptargument dieser Kritik ist, dass »die Mediatisierungsforschung bisher keine umfassende Analyse entwickelt hat, um zu erfassen, welche zentrale Rolle das Wiederaufleben marktfundamentalistischer Modelle des Kapitalismus bei der Reorganisation der Beziehungen zwischen Medien und sozialem und kulturellem Leben spielt« (MURDOCK 2017: 119). Kern dieses Arguments ist, dass viele der mit der Mediatisierung verbundenen Transformationen ihren Ursprung im Vordringen von Marktmodellen in Bezug auf Medien und Kommunikation haben, wodurch Medienprodukte verstärkt ausschließlich als Waren verstanden werden. Solche Prozesse der Kommerzialisierung sind sicherlich eng mit der tiefgreifenden Mediatisierung verwoben, ebenso wie mit der Individualisierung und Globalisierung. Gleichzeitig muss man sich aber vor Augen führen, dass die tiefgreifende Mediatisierung nicht auf Fragen der Ökonomie und des Marktes reduziert werden kann. Die Dynamiken, mit denen wir es zu tun haben, sind wesentlich vielfältiger.

KAPITALISMUS UND DAS AUFKOMMEN DES INTERNETS

Die Auffassung, dass Medieninhalte reproduzierbare Waren sind, wird spätestens seit der Frankfurter Schule und den Arbeiten von Walter Benjamin (1991, orig. 1936) diskutiert. Mit der Deregulierung der 1980er-Jahre haben solche Argumente jedoch eine neue Bedeutung erlangt. Die Ansicht, dass Medien als reine Waren zu betrachten sind, wurde in dieser Ära zur verbreiteten Standardposition (HALL 1997: 229-230): Radio, (Satelliten-) Fernsehen und Telekommunikation wurden privatisiert und mehr und mehr nach Marktmodellen statt nach öffentlich-rechtlichen Modellen organisiert. Das Aufkommen des Internets und der digitalen Medien fiel in diese Zeit, in der die Perspektive dominierte, dass Medien als kommerzielle Ware anzusehen seien. Nach einer frühen Phase als Militär- und Forschungsnetzwerk wurde die weltweite Etablierung des Internets zu einem kommerziellen Unterfangen. Die Idee, etwa einzelne Plattformen oder die Infrastruktur des Internets öffentlich-rechtlich zu organisieren, wurde jenseits kleiner Expertenkreise gar nicht erst in Erwägung gezogen.18

Dies ist nicht nur für den Globalen Norden der Fall. Überall auf der Welt sind Medien- und Kommunikationsdienste mehr oder weniger nach den Prinzipien des ›Marktkapitalismus‹ und des ›digitalen Kapitalismus‹ organisiert (MCCHESNEY 2013; HERMAN/MCCHESNEY 1997), insbesondere im Fall der bereits erwähnten Medien- und Technologie-Unternehmen wie Alibaba, Apple und Facebook. Diese Unternehmen und die von ihnen angebotenen Dienstleistungen stellen einige der Hauptkräfte dar, die das Entstehen der digitalen Gesellschaft prägen, indem sie datenbasierte Wertschöpfungsmodelle vorantreiben. Anknüpfend an diesen Gedanken ist aus Sicht der politischen Ökonomie die primäre Herausforderung der Medien- und Kommunikationsforschung weniger eine Auseinandersetzung mit der tiefgreifenden Mediatisierung, als vielmehr die Auseinandersetzung mit einem »tiefgreifenden Kapitalismus« (MURDOCK 2017: 130). Mit digitalen Medien und ihren Infrastrukturen ist – so die Überlegung – eine viel ›tiefere‹ Durchdringung der sozialen Welt mit kapitalistischen Praktiken und Werten möglich denn je zuvor. Digitale Plattformen wie Foodora, Amazons Mechanical Turk oder Uber ermöglichen z. B. die genaue Überwachung derjenigen, die ihre Arbeitskraft anbieten. In der Folge ist der Druck auf die Menschen, die auf solchen Plattformen ihre Arbeit anbieten, sich kapitalistischen Prinzipien unterzuordnen, wesentlich umfassender als bei Arbeiter:innen in klassischen Arbeitsverhältnissen. Darüber hinaus kann jede Alltagspraxis zu einer Ressource der Wertschöpfung werden, so sie digitale Spuren hinterlässt: Die Verarbeitung von Online-Aktivitäten beispielsweise ermöglicht es einer Reihe von korporativen Akteuren, personalisierte Profile von Menschen zu erstellen, sodass deren Daten zu einer relevanten Einnahmequelle für hochgradig personalisierte Werbung werden können. Nick Couldry und Ulises Mejias (2019a) haben eine solche Nutzbarmachung der digitalen Spuren der Nutzer:innen als eine Art von ›Datenkolonialismus‹ beschrieben. Der Begriff des Kolonialismus bezieht sich dabei sowohl auf die von Staaten und Unternehmen praktizierten globalen Ausbeutungsverhältnisse als auch auf die »Kolonisierung der Lebenswelt« (HABERMAS 1988b: 471), also die zunehmende Durchdringung der Lebenswelt durch das kapitalistische Wirtschaftssystem.19

Es ist für unser Verständnis des Zustandekommens der tiefgreifenden Mediatisierung wichtig, solche Entwicklungen im Blick zu haben. Aus Sicht der Akteure war für dieses Zustandekommen großer Medien- und Technologieunternehmen das Zusammenspiel mit breiteren politischen Kräften und staatlichen Behörden entscheidend. Besonders grundlegend für die tiefgreifende Mediatisierung ist die Kommerzialisierung des Internets: Es war die Bereitstellung großer Mengen an privatem und öffentlichem Kapital notwendig, um das Internet und die wichtigsten Infrastrukturen der tiefgreifenden Mediatisierung zu schaffen.

Gleichzeitig ist allerdings ein breiterer Blick auf digitale Infrastrukturen notwendig, um die Transformation hin zur digitalen Gesellschaft zu verstehen – ein Blick, der diese Transformation nicht auf Fragen der politischen Ökonomie reduziert, sondern detaillierter auch die Praktiken und Dynamiken verschiedener sozialer und kultureller Kontexte einschließt. Während in historischen Studien eine solche holistischere Sichtweise bereits verbreitet ist und dort ihre Notwendigkeit für ein umfassenderes Verständnis von Wandlungsprozessen betont wird,20 ist sie in jüngerer Zeit auch zu einem entscheidenden Punkt für die Untersuchung aktueller Entwicklungen digitaler Infrastrukturen geworden, insbesondere bei der Analyse der Zunahme einer globalen Konnektivität.21 Terminologisch gesehen ist ›Infrastruktur‹ ein ›kaleidoskopischer‹ Begriff mit vielen Implikationen. Das hat damit zu tun, dass jede Definition von Infrastruktur von der Perspektive des Betrachtenden abhängt. Eisenbahnnetzwerke z. B., die für den Reisenden eine Infrastruktur seiner Mobilität darstellen, sind für Eisenbahningenieur:innen der Fokus und das Ergebnis der eigenen Arbeit, für die wiederum eine ganz andere Infrastruktur vonnöten ist. Wir können aus solchen Beispielen folgern, dass »Infrastruktur analytisch nur als relationale Eigenschaft greifbar wird« (STAR/RUHLEDER 1996: 113) und nicht ein feststehendes Ding ist. Wir sollten also eher danach fragen, »wann« etwas als eine Infrastruktur gilt, nicht, »was« eine Infrastruktur ist. Dies berücksichtigend und die Definition von Lisa Parks und Nicole Starosielski (2015: 4) erweiternd, können wir digitale Infrastrukturen als situierte soziotechnische Anordnungen begreifen, die entworfen und aufgebaut werden, um eine digitale Datenübertragung und Distribution zu ermöglichen.

Blickt man auf die Geschichte des Internets zurück, wird deutlich, in welchem Ausmaß Regierungen und staatliche Behörden eine Rolle bei der Entwicklung dieser digitalen Infrastruktur gespielt haben. In der Phase vor seiner Kommerzialisierung wurde das Internet vom »militärisch-wissenschaftlichen Komplex« (CURRAN 2016: 50) der USA getragen. Das ARPANET, der Vorläufer des Internets, wurde von der Advanced Research Projects Agency (ARPA) des Pentagons entwickelt und später durch verschiedene Programme der National Science Foundation (NSF) unterstützt (GREENSTEIN 2015: 27-30). In Europa waren in dieser Zeit öffentliche Einrichtungen für die Etablierung des Internets zentral, wie beispielsweise die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN), in der das bis heute prägende World Wide Web – das über das Internet abrufbare System von auf HTML basierenden Webseiten – entwickelt wurde.22 Im Jahr 1993 tauchte der endgültige Plan der NSF für die Privatisierung des Internets auf, und dieser Moment kann als Wendepunkt hin zur Umwandlung des Internets in eine kommerzielle digitale Infrastruktur angesehen werden. In diesem Prozess dominierte ein wechselndes Oligopol von Unternehmen die Entwicklung des Internets: In der ersten Phase seiner Kommerzialisierung beeinflussten vor allem WorldCom und AOL die Geschehnisse, während in jüngerer Zeit Alphabet (Google), Amazon, Apple, Facebook und Microsoft im Globalen Norden die wichtigsten Akteure sind. In anderen Regionen der Welt haben Unternehmen wie Alibaba, Baidu und Tencent aus China eine dominante Position in Bezug auf Internetdienste inne. Die sich ständig verändernde Dominanz einzelner überindividueller Akteure – ihr Auf- und Abstieg – steht für den sich wandelnden Charakter des Internets.

An dieser Stelle ist es entscheidend zu betonen, dass die Transformation des Internets in eine kommerzielle Infrastruktur nicht zufällig geschah, sondern größtenteils durch politische Strategien und Regierungspolitik angetrieben wurde. Es war eine politische Strategie der US-Regierung, die ARPA mit der Idee aufzubauen, interdisziplinäre Forschung zu fördern, um so die Position der USA während des Kalten Krieges zu stärken. Es war auch eine politische Entscheidung – im Falle der Clinton-Administration –, die Aufsichtsinstitutionen des Internets, nämlich die Internet Assigned Number Authority (IANA), zu privatisieren. Die IANA wurde zu einer Abteilung der Internet Corporation for Assigned Names (ICAN), die bis heute für die globale Verwaltung von Domänennamen, die Vergabe von IP-Adressen und die Koordination des Root-Server-Systems zuständig ist. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass hinter den einzelnen Entscheidungen der Entwicklungsgeschichte des Internets – einschließlich seiner Privatisierung und Kommerzialisierung – umfassendere politische Überlegungen standen und dass es sich keineswegs um einen ›natürlichen‹ Prozess handelte. Es war, wie Mariana Mazzucato (2013) es formuliert, ein »unternehmerischer Staat«, der an der Schnittstelle von Militär, akademischer Forschung und Wirtschaftsinstitutionen ein »Innovationssystem« aufbaute, das die Entwicklung der Computerindustrien und des Internets ermöglichte. Solche weitreichenden staatlichen Interventionen sind nur vordergründig ein Widerspruch zur kommerziellen Geschichte des Internets, in der das Narrativ der Leistung von Unternehmungsgeist und Start-ups betont wird: Einerseits werden vom »unternehmerischen Staat« an den Rändern »freie Märkte und Innovationen« gefördert, andererseits wird gleichzeitig von ihm das Entstehen großer (und global dominierender) Medien- und Technologieunternehmen unterstützt.

Es ist also offensichtlich, dass der Zugang der politischen Ökonomie als eine Teilperspektive wichtig ist, wenn wir das Zustandekommen der tiefgreifenden Mediatisierung verstehen wollen. Aber aufgrund der weitreichenden Veränderungen, die mit ihr verbunden sind, müssen wir uns von einer politischen Ökonomie der Medieninhalte hin zu einer politischen Ökonomie der digitalen Infrastrukturen bewegen, die als globales Phänomen wiederum lokal, regional und national kontextualisiert werden muss. Wenn wir uns genauer mit der klassischen politisch-ökonomischen Sichtweise auf Medien auseinandersetzen, fällt auf, dass sie um das Argument herum entwickelt wurde, dass Massenmedien aus ökonomischen und ideologischen Gründen grundlegende Organisationen der Gesellschaft sind. Strukturiert durch die Ökonomie einer Gesellschaft (Basis), produzieren diese Medienorganisationen nach einer klassischen politisch-ökonomischen Perspektive Inhalte zur kommunikativen Selbstverständigung in der Gesellschaft (Überbau). Fragen des Eigentums spielen deshalb eine Rolle, weil es mit dem Zugang zu Medien auch um die Möglichkeiten der Beeinflussung von gesellschaftlicher Kommunikation geht. Große Medienorganisationen verfügen über weitreichende Möglichkeiten, über gesamte Gesellschaften hinweg zu kommunizieren, was bedeutet, dass über sie ein großer Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und die herrschenden Ideologien besteht. Die Kritik der politischen Ökonomie an der Veränderung von Besitzverhältnissen über Medien – also der Verschiebung des öffentlichen Eigentums an Medien hin zu privaten Eigentumsverhältnissen –, die mit der globalen Durchsetzung der Idee privater Märkte und der Kommerzialisierung einherging, war so eigentlich eine Kritik daran, wer in welcher Gesellschaft welche Ideologie kommunizieren konnte.

Mit der Digitalisierung hat sich dieses Szenario in vielerlei Hinsicht verändert, wofür es vier Gründe gibt (vgl. zum Folgenden WITTEL 2012: 317f.): Erstens hat sich die Zahl der Medienproduzent:innen drastisch erhöht. Durch die Nutzung digitaler Medien – Internetplattformen, Webseiten, in Mobiltelefone integrierte Kameras etc. – wurden viele Menschen zumindest prinzipiell in die Lage versetzt, als Produzent:innen von Medieninhalten zu agieren.23 Zweitens bieten digitale Medien neue soziale Distributionsformen, die das Monopol großer Medienorganisationen auf die Verbreitung von Medieninhalten bis zu einem gewissen Grad geschwächt haben. Auch kleinere Organisationen und sogar Einzelpersonen sind nun in der Lage, bestimmte Publika zu erreichen, miteinander zu kollaborieren und Teil einer neuen Praxis des ›Sharing‹ (JOHN 2017) zu werden. Drittens gewannen mit der Durchdringung des Alltags mit digitalen Medien neue Formen der Produktion und Distribution an Bedeutung. Viertens schließlich sind digitale Technologien nicht nur Medientechnologien, sie sind nun in alle produktiven Prozesse eingebaut. Angesichts der tiefgreifenden Mediatisierung ist die digitale Ökonomie damit keine abgegrenzte Sphäre, wie es einst die Ökonomie der Massenmedien war, sondern umfasst faktisch die gesamte Wirtschaft. Immer mehr Geschäftsmodelle der Produktion, des Vertriebs und des Verkaufs von ›Dingen‹ stützen sich in der einen oder anderen Weise auf digitale Medien und deren Infrastrukturen.

Aufgrund dieser Transformationen gewinnt statt einer politischen Ökonomie der Medien eine politische Ökonomie der digitalen Infrastrukturen an Bedeutung. Im Kern handelt es sich dabei um eine politische Ökonomie, die sich damit beschäftigt, wie große Medien- und Technologieunternehmen »globale Netzwerke und digitale Informationsflüsse sowie deren Konsum« (MANSELL 2004: 99) strukturieren und wie staatliche Behörden in diese Prozesse eingebunden sind. Eigentum, Kommerzialisierung und Marktmodelle der Distribution bleiben wichtig, aber nicht nur in Bezug auf Medieninhalte (FREEDMAN 2009). Sie gewinnen sogar an Bedeutung, weil digitale Infrastrukturen zur gleichen Zeit der Produktion, Distribution und Aneignung von Medieninhalten wie auch von anderen Produkten dienen. Dies erklärt die sich erweiternde Perspektive der politischen Ökonomie der Medien, in deren gegenwärtigen Diskussion es beispielsweise auch um die generelle Frage geht, wie sich Arbeit insgesamt mit den digitalen Infrastrukturen des 21. Jahrhunderts verändert.24

Darüber hinaus sind Fragen von Eigentumsverhältnissen, Kommerzialisierung und Marktmodellen von Bedeutung, weil neue, auf automatisierter Datenanalyse basierende Geschäftsmodelle entstanden sind. Große Technologie-Unternehmen haben durch den Zugang zu und den Verkauf von Daten ihrer Nutzer:innen engmaschige Modelle der datenbasierten Kommerzialisierung entwickelt. Infolgedessen können sie hochgradig individualisierte Online-Werbung schalten und damit hohe Einnahmen erzielen.25 Die Folgen dieses einzigartigen Zugangs zu Daten gehen allerdings wiederum über die Medien hinaus, wenn diese Daten zu einer Quelle für Entscheidungen innerhalb von Gesellschaften werden.26 In einem solchen Szenario befasst sich eine politische Ökonomie digitaler Infrastrukturen »nicht mehr nur mit der Ideologie und Manipulation von Nachrichten (also Fragen von Basis und Überbau), sondern auch mit dem Eigentum an Infrastrukturen, an Netzwerken und Plattformen, die es Nutzer:innen ermöglichen, sich zu vergemeinschaften, zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten« (WITTEL 2012: 318).

DIGITALE INFRASTRUKTUREN HEUTE

Wir können die heutigen digitalen Medien also nur verstehen, wenn wir sie in Bezug auf ihre digitalen Infrastrukturen betrachten, wobei Letztere eine besondere Materialität aufweisen. Deutlich wird dies anhand der mobilen Kommunikationstechnologien wie Mobiltelefonen, Tablets, Smartwatches und vieler anderer Geräte, die das sogenannte »Internet der Dinge« (BUNZ/MEIKLE 2018; GREENGARD 2015) ausmachen. Um die Materialität dieser Medien angemessen zu erfassen, sind es nicht nur die in Städten und auf dem Land installierten Mobilfunkmasten, die wir berücksichtigen müssen, sondern auch die transatlantischen (Unterwasser-)Kabelnetze, die die wichtigsten ›Trassen‹ der digitalen Kommunikationsflüsse darstellen.27

Als ein Teil dieser Materialität sind die technischen Protokolle zu verstehen, die dem Internet zugrunde liegen (GALLOWAY 2004; MUELLER 2010). Während wir uns typischerweise auf ›das Internet‹ als ein einheitliches Ganzes beziehen, basiert es auf einer Vielzahl verschiedener Protokolle, die den Datentransfer technisch regeln.28 Hinzu kommen Rechenzentren, die die Grundlage der ›Cloud‹ bilden, der Infrastruktur zur »Speicherung, Verarbeitung und Verteilung von Daten, Anwendungen und Diensten für Einzelpersonen und Organisationen« (MOSCO 2014: 17). Wir können hier den grundlegenden Einfluss sehen, den Infrastrukturen auf die Art und Weise haben, wie medienvermittelte Kommunikation stattfindet.

Wie sieht dann das Gesamtbild aus, mit dem wir heute konfrontiert sind? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die bereits erwähnten Technologieunternehmen zu werfen. Dabei wird deutlich, dass es sich bei diesen Unternehmen nicht einfach um Content-Anbieter handelt, wie man sie in der Tradition der politischen Ökonomie typischerweise mit dem Begriff ›Medienunternehmen‹ assoziiert. Vielmehr sind diese Unternehmen Anbieter digitaler Infrastruktur für Medieninhalte sowie andere Dienstleistungen und Produkte (siehe Tabelle 1).29

TABELLE1

Westliche Technologiekonglomerate als Anbieter von digitaler Infrastruktur


Quellen: Websites der Unternehmen, Forbes Global 2000 (Stand: 10.7.2019).

Diese führenden Technologieunternehmen – typischerweise die Big Five genannt – ergänzen sich in dem Sinne, dass sich ihre Hauptgeschäftsfelder weitgehend unterscheiden. Während wir in Bereichen wie Betriebssystemen, Online-Werbung und Cloud-Diensten Überschneidungen sehen, ist der Wettbewerb in anderen Bereichen begrenzt. Dies erklärt zum Teil, warum wir es eher mit oligopolistischen als mit wettbewerblichen Strukturen zu tun haben. Viele Kund:innen dieser Dienste haben nur sehr wenige Anbieter zur Auswahl, und da die angebotenen Güter nur bedingt substituierbar sind, haben wir es mit einem heterogenen Oligopol zu tun. Im Großen und Ganzen ist der ›oligopolistische Medienkapitalismus‹ also trotz wiederholter Krisen der ›New Digital Economy‹ zwischen 2001 und 2004 heute relativ stabil. Unter diesen Umständen erscheint es nur logisch, dass Medien- und Technologieunternehmen »gemeinsam gewinnbringende Märkte […] erschließen, teils konkurrierend, teils koalierend« (PROKOP 2001: 421). Wettbewerb gibt es eher zwischen dem westlichen Oligopol der Big Five und dem asiatischen Oligopol, angeführt von der Alibaba-Gruppe. Letztere hat einen Marktwert von 499,4 Mrd. Dollar und ihre wichtigsten Produkte und Dienstleistungen sind Handels- und Kommunikationsplattformen für Business to Business und Business to Customer, ein Online-Auktionshaus, Finanzdienstleistungen und Zahlungssysteme, Cloud Computing und Datenmanagement, Online-Shopping und Filmproduktion.

In diesen Oligopolen haben insbesondere digitale Plattformen eine zentrale Position inne (GILLESPIE 2010: 352). Diese bringen Anbieter:innen, Werbetreibende und Kund:innen zusammen, um entweder bestehende Infrastrukturen zu ersetzen oder ihre eigenen Plattformen mit diesen derart zu verzahnen, dass sie selbst wirtschaftliche Vorteile erlangen (PLANTIN/PUNATHAMBEKAR 2019: 164). Man spricht an dieser Stelle auch von einem Plattform-Ökosystem (VAN DIJCK/POELL/DE WAAL 2018: 11). In Amerika bzw. Europa wird dieses Plattform-Ökosystem von den fünf oben genannten Technologieunternehmen dominiert: Alphabet (Google), Amazon, Apple, Facebook und Microsoft. Sie stellen »infrastrukturelle Plattformen« (VAN DIJCK/POELL/DE WAAL 2018: 11) wie die App-Stores von Google und Apple und die Login-API oder den Messenger von Facebook zur Verfügung,30 auf deren Basis dann weitere digitale Medien entwickelt und verbreitet werden können. »Sektorale Plattformen« (VAN DIJCK/POELL/DE WAAL 2018: 12) bedienen auf der Basis dieser infrastrukturellen Plattformen einen bestimmten Bereich wie Nachrichten, Transport, Essen, Unterkunft und so weiter. Hier sind Unternehmen wie Airbnb, Lieferando oder Uber tätig.

Während dieses Ökosystem prinzipiell jedem die Möglichkeit bietet, eigene Entwicklungen einzubringen, liegt seine Dynamik darin, dass durch die Einführung zusätzlicher Apps und Dienste die das Ökosystem tragende infrastrukturelle Plattform weiter gestärkt wird: Je mehr Angebote auf einer infrastrukturellen Plattform verfügbar sind, desto wichtiger wird sie. Auch sogenannte ›disruptive Innovatoren‹ wie Netflix oder Spotify bleiben auf die Infrastruktur der Big Five angewiesen, wobei die Spotify-Dienste auf die Cloud-Server von Google zugreifen und Netflix die Amazon Web Services nutzt (vgl. VAN DIJCK/POELL/DE WAAL 2018: 12).

Wir müssen uns jedoch davor hüten, eine zu eingeschränkte Sicht auf die politische Ökonomie digitaler Infrastrukturen zu entwickeln. Zum Beispiel können wir das, was wir digitale Infrastruktur nennen, nicht mit den Produkten und Dienstleistungen gleichsetzen, die diese Unternehmen anbieten. Digitale Infrastrukturen sind wesentlich umfassender. Sie schließen Satellitennetze, Unterwasserkabel und Mobilfunkmasten ein, ohne die ein (mobiler) Internetzugang nicht möglich wäre. Hier spielen ganz andere Unternehmen eine Rolle, z.B. wenn es um Netzwerk-Router geht, wo Unternehmen wie Cisco wichtig sind, oder wenn es um den Besitz von (Unterwasser-)Kommunikationskabeln geht, wo nationale Telekommunikationsanbieter immer noch eine große Bedeutung haben (DAVENPORT 2012: 202f.). Während also Unternehmen wie Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft wichtige Investoren in neue Kabel sind, basiert die bestehende Infrastruktur immer noch auf der Arbeit anderer Unternehmen und Institutionen. Darüber hinaus sollten wir neben den bekannteren infrastrukturellen Plattformen auch andere Arten von Software im Blick haben, wenn wir Fragen der Infrastruktur diskutieren. Ein Beispiel dafür sind Softwaresysteme, die in der Data-Analytics-Branche eingesetzt werden. In dieser wurde das Softwareprojekt Hadoop zur Grundlage vieler Datenanalyselösungen und damit zu mehr als nur einer einfachen Anwendung. Heute ist im Bereich der Datenanalyse Hadoop ein wichtiges Infrastruktursystem, das beispielsweise die gemeinsame Nutzung von Daten und Rechenressourcen gestattet (BEER 2019: 57). Die gegenwärtigen digitalen Infrastrukturen sind also ein hochkomplexes, vielschichtiges Phänomen.

Aus globaler Sicht ist es wichtig, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass nicht alle Infrastrukturen von großen Unternehmen unterhalten werden. Insbesondere wenn wir an die Sicherung der digitalen Infrastrukturen im Globalen Süden denken, spielen kleine lokale Anbieter, Start-ups oder soziale Bewegungen als überindividuelle Akteure oft eine zentrale Rolle.31 Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es hierfür einige bemerkenswerte Beispiele: kleine lokale Unternehmen und Start-ups in städtischen Gebieten wie Kigali in Ruanda, Kumasi in Ghana und in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, die sich mit dem Aufbau digitaler Infrastrukturen im ländlichen Afrika beschäftigen und sich der Bereitstellung von Dienstleistungen für Stadtbewohner widmen.32 In Kigali wurde ARED 2013 gegründet, das Ladekioske für mobile Endgeräte und Internetzugang über WLAN anbietet. Diese Kioske wurden speziell für die ländlichen Gebiete Afrikas entwickelt, weswegen sie robust sind und mit Solarenergie betrieben werden. Da Elektrizität eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Nutzung von Mobiltelefonen in ländlichen Gebieten ist, wurden die Kioske zu einem wichtigen Bestandteil der gesamten digitalen Infrastruktur in der Region. BRCK in Nairobi ist ein anderes Beispiel. Dieses Unternehmen ist darauf spezialisiert, Hardware (Tische, Computer, WLAN-Router etc.) zu liefern, die robust genug ist, um den Bedingungen in ländlichen Gebieten standzuhalten.

Diese Beispiele zeigen, dass die Big Five in der westlichen Welt zwar oligopolistische Strukturen etabliert haben und in Asien mit chinesischen Unternehmen um Alibaba vergleichbare Muster zu finden sind, die digitalen Infrastrukturen insgesamt aber von vielfältigeren korporativen und kollektiven Akteuren getragen werden. Wir müssen also aufpassen, dass wir unseren Blick nicht auf die großen Medien- und Technologie-Unternehmen im Globalen Norden beschränken.

Es wird damit deutlich, dass ein multiperspektivischer Blick auf die korporativen Akteure, die die heutigen digitalen Infrastrukturen bereitstellen, nicht nur wichtig, sondern unerlässlich ist. Einerseits geht es darum, das Oligopol einflussreicher Medien- und Technologiekonzerne im Auge zu behalten, die viele der Produkte und Dienstleistungen anbieten, die unsere heutigen digitalen Infrastrukturen ausmachen. Diese Unternehmen verfügen über eine beträchtliche globale Macht, da viele Einzelpersonen, Organisationen und Gemeinschaften bereits auf die von ihnen angebotenen Dienste und Einrichtungen angewiesen sind, wenn sie in einer tiefgreifend mediatisierten Welt produktiv arbeiten wollen. Darüber hinaus haben diese Konzerne die Finanzkraft, kleinere Technologieunternehmen zu übernehmen und zu integrieren, die Möglichkeit, umfangreiche eigene Forschung und Entwicklung zu betreiben, sowie die Chance, mit ihrer vorhandenen Marktmacht eigene Produkte und Dienstleistungen einzuführen und womöglich durchzusetzen. Andererseits ist es ebenso wichtig, weitere Akteure in die Betrachtung einzubeziehen. Das sind staatliche Akteure und ihre ambivalente Rolle als Regulierer und Förderer neuer Technologien, kleinere lokale Unternehmen, Start-ups, soziale Bewegungen und ihre Bemühungen zur Sicherung digitaler Infrastrukturen für benachteiligte Regionen. Es gilt demnach, einen ökonomischen Reduktionismus bei der Analyse digitaler Infrastrukturen zu vermeiden, wenn man das Entstehen der digitalen Gesellschaft in ihrer Komplexität erfassen möchte.

2 393,66 ₽
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9783869625614
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