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Zehntes Kapitel.

Herr Schickelmann, der Pastor loci, erzählt eine Geschichte. Junker Westerns Scharfsinnigkeit. Seine große Liebe zu seiner Tochter und in was Maßen sie solche erwidert.

Den nächsten Morgen ritt Tom Jones mit Junker Western auf die Jagd, und ward, als sie wieder nach Hause kamen, von diesem Herrn zum Mittagessen gebeten.

Die liebenswürdige Sophie strahlte diesen Tag mit mehr Munterkeit und Witz hervor als gewöhnlich. Ihre Batterie war ganz gewiß auf unsern Helden gerichtet; wiewohl ich glaube, daß sie sich ihrer Absicht kaum selbst bewußt war; wenn sie aber jemals willens war ihn zu bezaubern, so glückte es ihr heute.

Herr Schickelmann, der Prediger an Herrn Allwerths Pfarrkirche, war mit von der Gesellschaft. Es war ein gutmütiger, würdiger Mann; besonders aber war er merkwürdig wegen seines tiefen Stillschweigens bei Tische, ob ihm dabei gleich niemals der Mund stillstand. Kurz, er hatte den herrlichsten Appetit von der Welt. Indessen ward der Nachtisch nicht so bald abgenommen, als er allemal sein Stillschweigen wieder reichlich gut machte; denn er war ein sehr herziger Gesell, und sein Gespräch war oft unterhaltend, niemals beleidigend.

Bei seiner Ankunft, welche gerade zutraf, da man den Rindsbraten aufsetzte, hatte er zu verstehen gegeben, daß er eine Neuigkeit mitbrächte, und war im Begriff zu erzählen, daß er eben von Herrn Alwerths Hause herkäme, als der Anblick des Rindsbratens ihn verstummen ließ und ihm bloß erlaubte das Tischgebet zu sprechen, und zu erklären, er müsse dem Herrn Baron (denn so nannte er das Lendenstück) seine Ehrfurcht bezeigen.

Als die Mahlzeit zu Ende ging und er von Fräulein Sophie an seine Neuigkeit erinnert ward, hub er folgendergestalt an: »Ich glaube, gnädiges Fräulein, Ihro Gnaden haben gestern, beim Gottesdienst in der Kirche, eine junge Dirne bemerkt, welche in einen Teil von Ihrem ausländischen Flitterstaat gekleidet war; ich meine, ich hätte Ihro Gnaden wohl ehedem in so einem gesehen, indessen sind solche Kleidungen auf dem Lande

rara avis in terris, nigroque simillima cygno;

das heißt, mein gnädiges Fräulein, so viel, als:

Ein seltner Vogel auf unsrer Erde, und sehr ähnlich einem schwarzen Schwane.

Der Vers steht im Juvenal; aber, wieder auf das zu kommen, was ich erzählen wollte. Ich wollte sagen, solcher Putzstaat ist auf dem Lande ein seltsamer Anblick, und vielleicht hielt man ihn wegen der Person, die ihn trug, noch für um so seltsamer; denn es ist, wie man mir sagte, die Tochter des schwarzen Jakob, des gnädigen Herrn Junkers Wildmeister, den, nach meiner Meinung, sein Kreuz und Leiden mehr gewitzigt haben sollte, als seine Dirnen so üppiglich herauszukleiden. Das Ding machte eine solche Verwirrung in der Versammlung meiner Gemeinde, daß der ganze Gottesdienst dadurch würde gestört worden sein, wenn nicht noch Herr Alwerth die Ruhe wieder hergestellt hätte; denn ich hätte fast mitten in der ersten Abteilung meiner Predigt gestockt. Unterdessen, nichts destoweniger, nachdem ich meine Amtsverrichtung geendigt und ich die Kirche verlassen hatte, um nach Hause zu gehen, veranlaßte es eine Schlägerei, wobei, unter andern Freveln, einem reisenden Musikanten der Kopf arg zerschlagen wurde. Diesen Morgen kam der Musikant zu meinem Herrn Kirchenpatron von Alwerth und verklagte die Dirne, welche den Augenblick darauf vor Gericht geholt wurde. Als sie kam, siehe da! so zeigte sich's auf einmal, daß die Dirne (ich bitte Ihro Gnaden ergebenst um Verzeihung) so gleichsam, mit Respekt zu sagen, eben auf dem Sprunge stände, ein Hurenkind auf die Welt zu setzen. Mein Herr Kirchenpatron fragte sie, als Richter, nach dem Namen des Vaters; sie war aber so halsstarrig, daß sie gar nicht antworten wollte, so daß, als ich wegging, Herr von Alwerth darüber her war, ihr einen Reisepaß nach dem Spinnhause zu schreiben.«

»Und ist denn 'ne Dirne, die 'n Hurenkind haben soll, Ihre ganze Neuigkeit, Magister?« rief Western; »ich dachte, 's wäre was von Krieg und Frieden gewest, oder was vom Zustand der Nation.«

»Ich besorge leider freilich wohl,« antwortete der Pfarrer, »daß es etwas sehr Alltägliches ist, doch dachte ich, die ganze Geschichte zusammengenommen wäre wohl erzählenswert. Denn den Zustand der Nation verstehen der gnädige Herr Junker besser als ich, denn ich habe mich nur um den Seelenzustand meiner Pfarrkinder zu bekümmern.«

»Nun, ja wohl,« sagte der Junker, »'ch sollt's glauben, ich verstünde mich 'n bischgen drauf, wie Sie sagen; aber, komm Tömgen, schenk' ein, und laß den Wein nicht verrauchen, 's ist an dich, 'ne Gesundheit auszubringen.«

Tom bat, er möcht' ihn entschuldigen, weil er noch dringende Geschäfte habe; damit stand er vom Stuhle auf, entwischte den Klauen des Junkers, welcher aufstehen und ihn zurückhalten wollte, und ging ohne weitern Abschied zu nehmen davon.

Der Junker schickte ihm einen derben Fluch nach auf die Reise; drauf wandte er sich wieder an den Pfarrer und schrie heraus: »Ich rieche was, ich rieche was! Tom ist gewiß der Vater zum Bastard. Der Hagel, Magister, wissen's noch, wie er'n Vater gegen mich herausstrich und lobte, daß 'chn nehmen sollte. Hol'n der Satan! was das für'n listiger Dachs ist! Ja, ja, Tom ist der Vater zum Bastard, oder 'ch laß m'r mein'n Fuchs vernageln.«

»Das sollte mir vom Herzen leid thun,« sagte Pastor Schickelmann. »Was leid thun,« schrie der Junker, »warum? was wär' nun so Greuliches dabei? was! ich glaub', der Herr Magister will m'r weiß machen, er habe nie'n Bastard in die Welt gesetzt. Hagel! ich halt'n für 'n viel wackrern Kumpan: mein'n Hals setz' 'ch drauf, er hat manchen Wackern in der Welt 'rumlaufen, und wer will dar was von?«

»Der gnädige Herr Junker belieben zu spaßen,« antwortete der Pfarrer; »aber ich wollte nicht sowohl von der Sündlichkeit der That sprechen, ob die gleich auch in Betracht zu ziehen ist, sondern ich fürchte, seine Vergehungen können ihm beim Herrn Alwerth großen Schaden thun. Und, gewiß, ich muß es sagen, ob man ihn gleich für ein wenig zu wild hält, so hab' ich doch nichts Böses an ihm wahrgenommen, und auch andre haben mir nichts dergleichen von ihm gesagt, ausgenommen, was ich da eben vom gnädigen Herrn Junker vernehme. Ich möchte freilich wünschen, er käme ein wenig ordentlicher zum Katechismusexamen in die Kirche; sonst aber, überhaupt, scheint er

Ingenui vultus puer ingenuique pudoris.

Das ist ein lateinischer Vers, mein gnädiges Fräulein, und will in unsrer Muttersprache so viel sagen als:

Ein Jüngling von angenehmer Gestalt und von angenehmer Bescheidenheit.

Denn dies war bei den Lateinern und Griechen eine sehr hochgeschätzte Tugend; und ich muß sagen, der junge Herr (denn so mag ich ihn, ungeachtet seiner Geburt, wohl nennen) scheint mir ein sehr bescheidner, heiklicher Jüngling, und es sollte mir sehr leid thun, wenn er sich in des Herrn von Alwerths guter Meinung herabsetzte.«

»Puh!« sagte der Junker, »herabsetzen in Alwerths Meinung! nu, nu! Alwerth haßt die Dirnen auch nicht. Weiß denn die ganze Nachbarschaft nicht, wessen Sohn Tom ist? 'm andern muß der Herr so was sagen: ich kenn' Alwerth noch von Universitäten her! –«

»Ich dachte,« sagte Herr Schickelmann, »er hätte keine Universität besucht.«

»Doch, doch, das hat er!« sagte der Junker. »Und manche hübsche Nymphe haben wir zusammen gehabt! 'S war 'n solcher Nimrod auf die Menscher, als man nur weit und breit ein'n finden konnte. Nah, näh! bei ihme wird 'n das nicht schaden, da sein Sie nur ruhig d'vor, auch bei niemand sonst, da fragen Sie nur Sophien – nicht wahr, du bist kein'm jungen Kerl drum böse, wenn 'r 'n mal extra Vater wird; bist du wohl, Kind? Nah, näh! die Weibsen mögen sie drum nur desto lieber leid'n.«

Dies war für die arme Sophie eine grausame Frage. Sie hatte bemerkt, daß Tom bei der Erzählung des Pfarrers sich entfärbt hatte, und dies, zusammengenommen mit seinem plötzlichen und übereilten Aufbruch, gaben ihr hinlängliche Ursache, zu glauben, ihres Vaters Argwohn sei nicht ohne Grund. Ihr Herz entdeckte ihr nun auf einmal das große Geheimnis, das es ihr, seit so langer Zeit schon, nur nach und nach entwickelt hatte; und sie fand, daß sie an der Sache sehr großen Teil nähme. In solch einer Lage brachte ihres Vaters plumpe Frage, womit er sie gleichsam plötzlich überfiel, einige Erscheinungen auf ihren Wangen hervor, welche ein zum Verdacht geneigtes Herz beunruhigen können. Aber das war, um gegen den Junker gerecht zu sein, sein Fehler gar nicht. Als sie demnach von ihrem Stuhl aufstand und zu ihm sagte, ein Wink von ihm wäre genug, um sie nach ihrem Zimmer zu schicken: so widersetzte er sich ihrem Weggehen nicht und sagte darauf mit sehr ernsthaftem Gesicht, es wäre besser eine Tochter zu haben, die gar zu bescheiden, als eine die gar zu dreist wäre. Eine Meinung, welcher der Pastor seinen vollen Beifall gab.

Nun erfolgte zwischen dem Junker und dem Pfarrer ein gar vortrefflicher politischer Diskurs, der aus Zeitungen und Journalen zusammengestoppelt wurde, während welchem sie ein doppeltes Paar Flaschen auf die Wohlfart des Landes ausstachen; und als drauf der Junker in seinen festen Schlaf versunken war, zündete Herr Schickelmann seine Pfeife an, stieg auf sein Pferd und ritt heim.

Als der Junker seinen halbstündigen Nachmittagsschlaf vollbracht hatte, verlangte er seine Tochter vor ihrem Klavier; allein sie bat, er möchte sie diesen Abend wegen heftiger Kopfschmerzen entschuldigen. Diese Nachsicht ward augenblicklich bewilligt: denn in der That hatte sie selten Gelegenheit, ihn zweimal um etwas zu bitten; weil er sie mit solch einer Inbrunst liebte, daß er gewöhnlich sich selbst den größesten Gefallen erzeigte, wenn er ihr in irgend etwas zu Willen sein konnte. Sie war wirklich, wie er sie oft nannte, sein kleines Herzblatt, und sie verdiente es auch zu sein; denn sie erwiderte ihm alle seine Liebe mit aufgehäuftem Maß. Sie hatte ihm in allen Dingen den unverbrüchlichsten Gehorsam geleistet, und dies machte ihr ihre Liebe nicht bloß leicht, sondern so angenehm, daß Sophie einer von ihren Gespielinnen, welche einstmalen darüber lachte, daß sie sich ein solches Verdienst aus ihrem gewissenhaften Gehorsam mache (so beliebte es dies junge Frauenzimmer zu nennen), antwortete: »Sie irren sich, liebe Freundin, wenn Sie meinen daß ich mir daraus ein Verdienst mache; denn, außerdem daß ich bloß meine Pflicht erfülle, thue ich mir selbst den größten Gefallen. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich kein Vergnügen habe, welches dem gliche, wenn ich zu meines Vaters Glückseligkeit etwas beitragen kann; und wenn ich mir aus etwas ein Verdienst mache, so ist es, daß ich dies Vermögen besitze, und nicht, daß ich es anwende.«

Dies war übrigens ein Vergnügen, welches, diesen Abend zu genießen, die arme Sophie unfähig war. Sie bat also nicht nur um Entschuldigung, daß sie diesen Abend nicht am Klavier aufwarten könne, sondern ersuchte gleichfalls um die Erlaubnis, nicht beim Nachtessen erscheinen zu dürfen. Auch diese Erlaubnis bewilligte ihr der Vater, obgleich nicht ohne einigen Widerwillen; denn er ließ sie gar ungern aus dem Gesicht, ausgenommen, wenn er mit seinen Pferden, seinen Hunden oder seinen Weinflaschen zu thun hatte. Gleichwohl fügte er sich dem Bitten seiner Tochter, ungeachtet der arme Mann zu gleicher Zeit sich in der Notwendigkeit sah, um seine eigne Gesellschaft zu vermeiden (wenn ich mich so ausdrücken darf), zu ein paar benachbarten Pächtern zu schicken, um den Abend mit ihnen hinzubringen.

Elftes Kapitel.

Wie Molly noch mit genauer Not dem Spinnhause entwischte, nebst einigen Beobachtungen, welche zu machen wir gezwungen gewesen, sehr tief in die menschliche Natur hineinzugehen.

Tom Jones hatte den Morgen auf der Jagd eins von Junker Westerns Pferden geritten, so daß er, weil er kein eignes zur Hand hatte, sich genötigt sah, zu Fuß nach Hause zu gehen. Dies bewerkstelligte er mit solcher Eile, daß er über zwei Drittel von einer guten deutschen Meile in einer halben Stunde lief.

Eben als er am äußersten Thorweg von Herrn Alwerths Landsitze ankam, begegnete er dem Gerichtsvogt mit seinem Geleite, welche seine Molly in Gewahrsam hatten und mit ihr nach dem Hause zu wandelten, in welchem die niedrigere Klasse von Menschen wenigstens eine gute Lektion lernen kann, nämlich: Respekt und Gehorsam gegen ihre Obern; indem es ihnen den weiten Unterschied zeigen muß, welchen das Glück unter solchen Personen, welche wegen ihrer Fehler gezüchtigt und welche nicht gezüchtigt werden sollen, zu machen beliebt hat; wofern sie diese besagte Lektion nicht lernen, so besorge ich, werden sie sehr selten eine andre lernen, oder in einem dergleichen Zuchthause ihre Sitten bessern.

Ein behender Jurist mag vielleicht denken, Herr Alwerth habe bei dieser Gelegenheit seine Autorität ein wenig überschritten. Und, die Wahrheit zu sagen, bin ich selbst ungewiß, da hier keine förmliche Klage eingebracht worden, ob sein Verfahren so ganz in der Ordnung war. Dennoch, da seine Absicht wirklich gut gemeint war, muß man ihn in foro conscientiae entschuldigen, weil tagtäglich so manche obrigkeitliche Personen nach eignem Gutdünken verfahren, welche diese Entschuldigung keineswegs für sich anführen können.

Tom hatte nicht sobald vom Gerichtsvogt Nachricht erhalten, wohin er seinen Weg nähme (in der That war er von selbst schon auf die ziemlich richtige Mutmaßung verfallen), als er die Molly in seine Arme faßte und solche vor aller Augen sehr zärtlich an seine Brust drückte, wobei er schwur: er wolle den ersten besten ermorden, der sich unterstehen wollte sie anzurühren. Er sagte ihr, sie solle sich die Thränen abtrocknen und sich zufrieden geben, denn wohin sie auch ginge, wollte er mit ihr gehen. Drauf kehrte er sich zu dem Gerichtsvogt, welcher mit abgezognem Hute dastand und zitterte, und begehrte von ihm, mit gemilderter Stimme, er möchte nur auf einen Augenblick mit ihm nach seines Vaters Hause (so nannte er jetzt Herrn Alwerth) zurückkehren. Denn, sagte er, er könne sich drauf verlassen, sobald er dem würde gesagt haben, was er zu ihrem Besten vorzubringen hätte, so würde das Mädchen frei und ledig gesprochen worden.

Der Gerichtsvogt, der, wie ich nicht zweifle, seine Gefangene losgegeben hätte, wofern es Tom verlangt hätte, willigte sehr gern in dies Verlangen. Sonach gingen sie alle wieder zurück in Herrn Alwerths Richtsaal, woselbst ihm Tom zu bleiben befahl, bis er wieder käme, und dann selbst hinging, den guten Mann aufzusuchen. Sobald er ihn gefunden, warf sich ihm Tom zu Füßen, flehte um ein geduldiges Gehör, und bekannte sich selbst für den Vater des Kindes, mit welchem Molly schwanger war. Er flehte ihn an, Mitleiden mit der armen Dirne zu haben und in Betrachtung zu ziehen, daß, wenn ja ein Verbrechen dabei wäre, solches hauptsächlich vor seine Thüre zu legen sei.

»Ein Verbrechen dabei wäre?« antwortete Alwerth mit ziemlicher Wärme. »Bist du denn also ein so verhärteter, so verlassner Wollüstling, daß du zweifeln kannst, ob bei Uebertretung göttlicher und menschlicher Gesetze, bei Verführung und Verderbung eines armen Mädchens ein Verbrechen vorhanden sei oder nicht? Ich gestehe freilich, daß es hauptsächlich auf dir liegt; und ein so schweres ist es, daß du fürchten solltest, es werde dich gänzlich zu Boden drücken.«

»Was ich auch dafür werde leiden müssen,« sagte Tom, »lassen Sie mich nur mit meiner Fürbitte für das arme Mädchen glücklich sein. Ich bekenne, daß ich sie verführt habe; aber ob sie völlig ins Verderben geraten soll, das steht bei Ihnen. Ums Himmels willen, gütigster Herr Vater, nehmen Sie den Verhaftsbefehl zurück und senden Sie sie nicht an einen Ort, der ihren unvermeidlichen Untergang zur Folge haben muß!«

Alwerth befahl ihm, sogleich einen Bedienten zu rufen. Tom antwortete, es würde nicht nötig sein, weil er den Leuten zu gutem Glück am Thorwege begegnet sei und sie voll Vertrauen auf seine Güte wieder mit zurück ins Haus genommen habe, wo sie nun im großen Saale seinen endgültigen Entschluß erwarteten, und welchen, wie er nochmals auf seinen Knieen bäte, er zu Gunsten des armen Mädchens fassen möchte: daß sie doch nach Hause zu ihren Eltern gehen und nicht noch mehr Schimpf und Spott aushalten dürfe, der sonst notwendigerweise auf sie fallen müßte. »Ich weiß wohl,« sagte er, »es ist zu viel. Ich weiß, daß ich der gottlose Urheber bin. Ich will streben, womöglich es wieder gutzumachen; und wenn Sie nach diesem die Güte haben werden, mir zu verzeihen, so hoffe ich es zu verdienen.«

Alwerth besann sich ein wenig und sagte endlich: »Wohl, ich will den Verhaftsbefehl zurücknehmen. Du kannst mir den Gerichtsvogt heraufschicken.« Er ward augenblicklich gerufen, entlassen, und das Mädchen gleichfalls.

Man wird nicht glauben, daß Herr Alwerth ermangelt habe, dem Tom bei dieser Gelegenheit eine scharfe Bußpredigt zu halten; allein es ist unnötig solche hier einzuschalten, da wir getreulich nachgeschrieben haben, was er zur Hanne Jones im ersten Buche sagte, wovon das meiste ebenso gut für Mannspersonen paßt, als für Frauenzimmer. Eine so tiefe Wirkung that diese Ermahnung auf den jungen Menschen, der kein verstockter Sünder war, daß er sich auf seinem Zimmer verschloß, wo er den Abend allein und in sehr melancholischen Betrachtungen hinbrachte.

Alwerth nahm dem Jones diese Uebertretung sehr übel; denn, ungeachtet der Behauptung des Herrn Western, ist es doch nicht weniger gewiß, daß dieser würdige Mann sich in seinem Leben kein verbotenes Vergnügen mit dem andern Geschlechte erlaubt hatte und an andern das Laster der Unenthaltsamkeit ernsthaft tadelte. In der That hat man Ursache zu glauben, daß an allem, was Junker Western behauptete, kein wahres Wort gewesen; um so mehr, da er den Schauplatz solcher Unsauberkeiten nach einer Universität verlegte, woselbst Herr Alwerth niemals gewesen war. Es erhellt klar, daß der ehrliche Junker nur zu geneigt war, sich diese Art von Scherzen zu erlauben, die man dort gemeiniglich Renommisten-Jux nennt, die man aber mit aller Schicklichkeit durch ein viel kürzeres Wort ausdrücken könnte, und vielleicht schieben wir diesem kleinen zweisilbigen Worte deswegen ein anderes unter, weil wir demjenigen, was in der Welt so häufig für Witz und Spaß durchgeht, nach der strengsten Sprachrichtigkeit diese kurze Benennung geben müßten, welche ich hier, in Gemäßheit der überhöflichen Gesetze eingeführter Lebensart, unterdrücke.

Allein, welchen Abscheu auch Herr Alwerth vor diesem oder jedem andern Laster hegte, so ward er dadurch doch nicht so sehr geblendet, daß er nicht an der schuldigen Person auch jede Tugend ebenso klar und deutlich hätte wahrnehmen können, als ob in demselben Charakter gar keine Mischung von Lastern stattgefunden. Derweil er also über Jones' Unenthaltsamkeit zürnte, war er nicht weniger zufrieden mit der redlichen Offenherzigkeit seiner Selbstanklage. Er begann nun in seinem Gemüte von diesem Jünglinge eben die Meinung zu fassen, welche, wie wir hoffen, der Leser von ihm gefaßt haben wird. Und indem er seine Fehler und seine Vollkommenheiten gegen einander auf die Wagschale legte, schienen die letzten das Uebergewicht zu behalten.

Es war also vergebens, daß Ehren-Schwöger, welchem Neffe Blifil die Geschichte brüheheiß zugetragen hatte, allem seinem Groll gegen Tom den Zügel schießen ließ. Alwerth hörte diese Schmähungen ganz gelassen an und antwortete hernach mit kaltem Blute, daß junge Leute von Toms Temperament zu gewöhnlich diesem Laster ergeben wären; er glaube aber, dieser Jüngling wäre aufrichtig von demjenigen gerührt, was er ihm bei dieser Gelegenheit gesagt hätte, und er hoffe, er würde keine neue Uebertretung der Art begehen. Sonach, da die Tage des Schulzepters zu Ende gegangen waren, konnte der Herr Informator seiner Galle keinen andern Ausweg schaffen als durch seinen eigenen Mund; der gewöhnliche und armselige Behelf ohnmächtiger Rache.

Quadrat hingegen war ein weniger heftiger aber auch ein weit schlauerer Mann; und weil er unsern Tom ärger haßte als vielleicht Schwöger selbst, so wußte er es so anzulegen, daß er ihm in Alwerths Gemüt auch mehr Schaden that.

Der Leser muß sich der verschiedenen kleinen Vorfälle mit dem Feldhuhn, dem Pferde und der Bibel erinnern, welche im zweiten Buche erzählt sind; durch welche alle Jones die Gewogenheit, die Herr Alwerth gegen ihn zu unterhalten geneigt war, mehr vergrößert als vermindert hatte. Ebendasselbe müßte ihm, nach meiner Meinung, mit jedem andern Menschen begegnet sein, der nur einigen Begriff von Freundschaft, Großmut und Seelenstärke hatte; das heißt, der einige Spuren von Menschengefühl in seiner eignen Brust fand.

Quadrat kannte nun zwar selbst wohl die wahren Eindrücke, welche diese verschiedenen Beweise von Herzensgüte auf die edle Seele des Herrn Alwerth gemacht hatten; denn der Philosoph wußte recht gut, was Tugend sei, ob er gleich nicht allemal gar zu standhaft in ihrer Ausübung sein mochte. Herrn Schwöger aber kamen (aus was für Gründen? mag ich nicht entscheiden) dergleichen Gedanken niemals in den Kopf. Er betrachtete den Tom in einem nachteiligen Lichte und nach seiner Einbildung that das Herr Alwerth ebenfalls; nur meinte er von dem, er wolle aus Stolz oder verkehrtem Eigensinn einen jungen Menschen nicht aufgeben, den er ehedem geliebt hätte, weil er hierdurch sonst stillschweigend bekennen müßte, daß er sich in seiner vorigen Meinung geirrt habe.

Quadrat ergriff demnach diese Veranlassung, dem Jones an seiner zartesten Seite eins zu versetzen, indem er allen vorbesagten Begebenheiten eine sehr böse Wendung gab. »Es thut mir leid, Herr Alwerth,« sagte er, »gestehn zu müssen, daß ich mich ebensogut habe hintergehen lassen als Sie selbst. Ich konnte nicht umhin, ich bekenne es, über etwas meine Freude zu haben, das ich auf Rechnung der Freundschaft schrieb, ob es gleich bis zum Uebermaß getrieben ward und alles Uebermaß schädlich und fehlerhaft ist; doch dies schob ich auf die Jugend. Wie konnt' ich argwöhnen, daß das Opfer der Wahrheit, wovon wir beide meinten, er habe es der Freundschaft gebracht, in der That nichts andres wäre, als eine schändliche Entheiligung derselben zum Dienst seiner tierischen und liederlichen Gelüste? Sie sehen nun deutlich, woher alle die anscheinende Großmut dieses jungen Menschen gegen die Familie des Wildmeisters entstand. Er unterstützte den Vater, um die Tochter verführen zu können, und bewahrte die Familie vor Hungersnot, um eine davon in Schande und Elend zu stürzen. Das sei mir eine Freundschaft! das sei mir eine Großmut! Wie Richard Steele sagt: Freßkehlen, welche große Summen hingeben für Leckerbissen, verdienen ebensogut großmütig genannt zu werden. Kurz, von diesem Augenblicke an bin ich entschlossen, der Schwäche meiner menschlichen Natur nichts mehr einzuräumen oder hinfüro etwas andres für Tugend zu halten, als was sich ganz genau unter die untrügliche Regel des Rechts bringen läßt.«

Herrn Alwerths Gutherzigkeit hatte es verhindert, daß ihm selbst diese Betrachtungen eingefallen waren. Indessen waren sie zu wahrscheinlich, um sie ganz und eilig zu verwerfen, da sie ihm von einem andern vor die Augen gelegt wurden. In der That senkte sich das, was Quadrat gesagt hatte, sehr tief in sein Gemüt, und die unruhigen Bewegungen, welche es darin anrichtete, waren dem andern sehr sichtbar; ob dies gleich der edle Mann nicht eingestehen wollte, sondern vielmehr eine unbedeutende Antwort darauf gab und gezwungenerweise das Gespräch auf eine andre Materie lenkte. Es war vielleicht ein Glück für Tom, daß dergleichen Einbläsereien nicht eher angebracht worden waren, bevor er seine Verzeihung erhalten hatte; denn sie pflanzten gewiß die ersten nachteiligen Eindrücke gegen Jones in Alwerths Gemüt.

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9783754175279
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