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Siebentes Kapitel.

Eine kleine Skizze von derjenigen Glückseligkeit, welche kluge Eheleute aus dem Hasse erzielen können; nebst einer kleinen Schutzrede für solche Leute, welche die Fehler ihrer Freunde übersehen.

Obgleich der Kapitän den armen Rebhuhn wirklich zu Grunde gerichtet hatte, so erntete er doch nicht die Früchte, welche er von seiner Mühe hoffte, nämlich den Findling aus Herrn Alwerths Hause zu bringen.

Dieser edle Mann ward vielmehr von Tag zu Tag verliebter in seinen kleinen Tom, gerade als ob er seiner Strenge gegen den Vater durch außerordentliche Liebe und Güte zu dem Sohne, das Gegengewicht halten wollte.

Dies verpfefferte die Gemütsart des Kapitäns nicht wenig; so wie alle die täglichen Beweise von Herrn Alwerths Freigebigkeit: denn er betrachtete alle solche milde Gaben als eine Verminderung seines eigenen Reichtums.

Hierin war er, wie wir gesagt haben, nicht einerlei Sinnes mit seiner Gattin, so wie freilich überhaupt in keinen Dingen. Denn obgleich eine Liebe, die auf den Verstand gefallen ist, von vielen weisen Personen für viel dauerhafter geachtet wird, als eine auf Schönheit gegründete Zärtlichkeit, so zeigte sich doch hier in diesem Falle gerade das Widerspiel. Ja sogar war der Verstand für dieses Ehepaar der eigentliche Zankapfel und eine große Ursache manchen Zwistes, der sich von Zeit zu Zeit unter ihnen hervorthat, und welcher zuletzt abseiten der Dame in eine herzliche Verachtung ihres Eheherrn, und abseiten des Herrn Gemahls, in völlige Verabscheuung seiner Gattin ausschlug.

Als diese beiden ihre Talente vorzüglich aufs Forschen in der Schrift verwendet hatten, so war diese, von ihrer ersten Bekanntschaft an, der gewöhnlichste Stoff ihrer Gespräche. Der Kapitän hatte, wie ein Mann von Lebensart, vor der Heirat allemal seine Meinung der Dame unterworfen, und zwar nicht auf die plumpe und grobe Art eines eigenwilligen Dummkopfs, welcher, indem er den Gründen eines Vornehmern nachgibt, sich gern merken läßt, daß er bei alledem doch recht habe; vielmehr überließ der Kapitän, ob er gleich einer der stolzesten Gesellen von der Welt war, seiner Gegnerin den Sieg so völlig, daß sie, die nicht den geringsten Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hatte, sich allemal mit Bewunderung ihres eigenen Verstandes und mit Verliebtheit in den seinigen aus dem Dispute zog.

Jedoch, obgleich diese Gefälligkeit gegen eine Person, welche der Kapitän durchaus verachtete, ihm nicht so schwer ankam, als wenn Hoffnung auf Beförderung eine gleiche Unterwerfung gegen einen examinierenden Generalsuperintendenten oder irgend sonst einen berühmten Gottesgelehrten nötig gemacht hätte, so kostete ihn doch diese schon so viel, um solche ohne einen Bewegungsgrund auszuhalten. Nachdem also die Heirat alle diese Bewegungsgründe gehoben hatte, ward er dieses Nachgebens müde, und fing an, die Meinungen seiner Frau mit einem solchen beleidigenden Stolze abzufertigen, den niemand, als der, welcher selbst einige Verachtung verdient, bezeigen, und nur der, welcher keine Verachtung verdient, ertragen kann.

Als der erste Strom von Zärtlichkeit abgeflossen war, und in den ruhigen und langen Zwischenzeiten ihrer Anwandlungen, die Vernunft die Augen der Dame zu öffnen begann, und sie dann diese Aenderung im Betragen des Kapitäns gewahr ward, welcher auf alle ihre Gründe endlich nichts anders antwortete, als: Poh! pah! so war sie nichts weniger als gewillt, solche Ungezogenheiten mit zahmer Unterwürfigkeit zu ertragen. Es brachte sie wirklich im Anfang in einen solchen Zorn, daß daraus eine tragische Begebenheit hätte entstehen können, hätte ihr Verdruß nicht dadurch eine unschädlichere Wendung genommen, daß sie die völligste Verachtung für den Verstand ihres Ehemanns faßte, welches denn ihren Haß gegen ihn etwas minderte, ob sie gleich davon noch einen so ziemlichen Vorrat behielt.

Der Haß des Kapitäns gegen sie war von reinerer Art. Denn wegen eines Mangels an Wissenschaften oder an Verstand verachtete er sie ebensowenig, als deswegen, daß sie keine sechs Fuß hoch war. In seiner Meinung vom weiblichen Geschlecht trieb er die Scheelsucht noch weiter als selbst Aristoteles. Er betrachtete ein Weib als ein Tier vom häuslichen Gebrauch, von etwas mehr Vorzug als eine Katze, weil ihre Dienste von etwas größerer Wichtigkeit wären. Den Unterschied zwischen beiden aber hielt er für so gering, daß es ihm bei seiner Verheiratung mit Herrn Alwerths Gütern und Ländern so ziemlich einerlei gewesen wäre, welche von beiden er mit in den Kauf bekommen hätte. Und doch war sein Stolz so zart, daß er die Verachtung fühlte, welche jetzt seine Frau gegen ihn zu zeigen anfing, und dieses, vereint mit der Sättigung, die er schon längst vor ihrer Liebe gespürt hatte, erzeugte bei ihm einen Grad von Ekel und Abscheu, die wohl schwerlich ihresgleichen haben möchten.

Nur eine Situation des heiligen Ehestandes ist keiner Freude fähig, und das ist die Situation der Gleichgültigkeit. Wie aber viele von meinen Lesern, wie ich hoffe, wissen, welch ein inniges Vergnügen es sei, dem geliebten Gegenstande Freude zu machen; so fürchte ich, mögen auch einige die Freude aus Erfahrung kennen, die es macht, wenn man jemand peinigen kann, den man haßt. Es geschieht in der Absicht, besorge ich, um sich diese letzte Freude zu verschaffen (wie oft geschieht), daß beide Geschlechter der Behaglichkeit im Ehestande entsagen, welcher sie außerdem genießen könnten, so angenehm ihr Gatte ihnen übrigens sein möchte. Aus dieser Ursache nimmt oft das Weib ihre Anwandelungen von Liebe, vor Eifersucht zur Hand, ja versagt sich selbst jedes Vergnügen, um die Vergnügungen ihres Mannes zu vereiteln und zu stören, und er hingegen zur Wiedervergeltung, thut sich oft selbst Gewalt an, und bleibt zu Hause in einer Gesellschaft, die ihm mißfällt, um seiner Frau den vollen Genuß dessen, was sie verabscheuet, zu gewähren. Aus dieser Ursache müssen wohl auch jene Thränen fließen, welche zuweilen eine Witwe in solchem Ueberflusse über der Asche eines Mannes vergießt, mit dem sie ihr Leben in ununterbrochenem Zank und Streit hingebracht hat, und den ferner zu quälen, sie nunmehr alle Hoffnung hat aufgeben müssen.

Wenn aber jemals ein Ehepaar dieses Vergnügen gekostet hat, so genossen es auch jetzt in aller seiner Fülle der Kapitän und seine Gemahlin. Bei ihnen beiden war's beständig eine hinlängliche Ursache, auf einer Meinung hartnäckig zu bestehen, wenn der andre vorher nur das Gegenteil geäußert hatte. Sie liebten oder haßten, lobten oder tadelten niemals eine und dieselbe Person. Und weil der Kapitän den Findling nicht mit günstigen Augen betrachtete, so war dies Ursache genug, daß seine Ehegenossin anfing, ihm fast ebensosehr zu liebkosen als ihr eigen Kind.

Der Leser wird leicht begreifen, daß diese Aufführung zwischen Gemahl und Gemahlin eben nicht sonderlich beitrug, Herrn Alwerth sein Leben angenehm zu machen, weil die heitere Glückseligkeit, die er sich von dieser Verbindung für alle drei verheißen hatte, so wenig dadurch befördert wurde. Die Wahrheit aber ist, daß, obschon er sich wohl ein wenig in seinen Hoffnungen und Erwartungen getäuscht finden mochte, er doch bei weitem das ganze Spiel nicht übersehen konnte. Denn sowie der Kapitän, aus sehr in die Augen fallenden Gründen, in Alwerths Gegenwart ungemein auf seiner Hut war, so sah sich auch die Dame, aus Furcht ihrem Bruder zu mißfallen, ebenfalls genötigt, dieselbe Aufführung zu beobachten. Kurz, es ist für eine dritte Person möglich, mit einem verheirateten Paare sehr gut bekannt zu sein, ja sogar eine ziemliche Weile mit ihm in einem Hause zu wohnen, ohne daß, wenn es nur einige Weltklugheit besitzt, sie seine wahren Gesinnungen gegen einander nur mutmaßen könne. Denn obgleich der ganze lange Tag sowohl für den Haß, als für die Liebe zuweilen zu kurz fallen mag, so geben doch die manchen Stunden, die sie allein ohne Beobachter hinbringen, für Leute von nur einiger Mäßigkeit, so reichliche Gelegenheit an die Hand, jede von diesen Leidenschaften zu befriedigen, daß, wenn sie sich lieben, sie wohl ein paar Stunden in Gesellschaft sein können, ohne mit einander zu tändeln, oder wenn sie sich hassen, ohne einander ins Gesicht zu fahren.

Unterdessen ist es doch möglich, daß Alwerth genug sah, um ihn ein wenig unruhig zu machen, denn man muß nicht allemal schließen, ein weiser Mann fühle nichts, wenn er nicht so klagt und winselt, wie andre Leute von einem kindischen oder weibischen Gemüte. In der That aber ist es möglich, daß er einige Fehler an dem Kapitän entdeckte, ohne sich im geringsten darüber zu beunruhigen, denn Menschen wahrer Weisheit begnügen sich, Personen und Sachen so zu nehmen wie sie sind, ohne sich über ihre Unvollkommenheiten zu beklagen, oder ohne sich zu bemühen, sie zu bessern. Sie können an einem Freunde, einem Verwandten oder Bekannten einen Fehler bemerken, ohne dessen gegen die Personen selbst oder gegen andre zu erwähnen, und dieses oft, ohne daß ihr Wohlwollen darunter leide. Wirklich, wenn nicht ein heller Verstand mit dieser duldsamen Nachsichtigkeit vermischt ist, so sollten wir lieber mit Leuten von einem gewissen Grade von Dummheit Freundschaft eingehen, die wir betrügen können: denn ich hoffe, meine Freunde werden mir's verzeihen, wenn ich's frei gestehe, ich kenne niemand unter ihnen ohne einen Fehler, und es sollte mir leid thun, zu denken, ich hätte einen Freund, der die meinigen nicht sehen könnte. Wir geben und fordern hierüber wechselseitige Nachsicht. Es ist eine Uebung in der Freundschaft, und vielleicht keine von den unangenehmsten. Und diese Verzeihung müssen wir erteilen ohne Besserung zu fordern. Es gibt vielleicht kein sichres Kennzeichen von Thorheit als das Bestreben, die natürlichen Schwachheiten einer Person zu verbessern, die wir lieben. Die feinste Komposition in der menschlichen Natur sowohl, als das feinste Porzellan, kann einen kleinen Makel haben und dieser, fürchte ich, läßt sich in beiden nicht ändern, obgleich dabei übrigens das Stück von der höchsten Kostbarkeit sein kann.

Im Allgemeinen also sah Herr Alwerth zwar gewiß einige Gebrechen an dem Kapitän, allein weil er ein verschlagener Mann und in Alwerths Beisein unablässig auf seiner Hut war, so erschienen ihm diese Mängel nichts mehr zu sein, als Schattenstriche in einem guten Charakter, die ihn seine Güte übersehen und seine Weisheit sich abhalten ließ, sie nur dem Kapitän selbst bemerklich zu machen. Ganz verschieden würde seine Empfindung gewesen sein, wenn er den ganzen Zusammenhang gewußt hätte, wozu es vielleicht mit der Zeit gekommen sein möchte, hätten Mann und Frau dieses Benehmen gegeneinander so fortgetrieben; aber dies zu verhindern wendete das gute Glück die zweckmäßigsten Mittel an, indem es den Kapitän zwang, dasjenige zu thun, was ihn seiner Gattin wieder sehr teuer machte und ihm alle ihre Liebe und Zärtlichkeit von neuem erwarb.

Achtes Kapitel.

Eine Universalmedizin, die verlorene Liebe einer Ehefrau wieder zu gewinnen, welche in allen, auch in den desperatesten Fällen als probat befunden werden wird.

Für die angenehmen Minuten, die der Kapitän im Umgang seiner Ehegattin zubrachte, und deren er so wenige machte, als er es mit seiner List und Kunst bewirken konnte, ward er durch die ergötzlichen Betrachtungen reichlich schadlos gehalten, denen er sich überließ, wenn er allein war.

Diese Betrachtungen beschäftigten sich ganz allein mit Herrn Alwerths Vermögen; denn erstlich übte er seine Gedanken fleißig daran, so genau, als durch Zahlen möglich, den Belauf des ganzen zu berechnen; welche Berechnung er oft zu seinem Vorteil zu verändern Ursache fand, und zweitens und vornehmlich that er sich gütlich mit Entwürfen zu Veränderungen im Hause und Garten, und mit Durchdenkung mancher andern Plane, zur Verbesserung der Güter sowohl, als zur Vergrößerung und Verschönerung der Gebäude. Zu diesem Endzwecke legte er sich auf das Studium der Bau- und Gartenkunst und las in beiden Wissenschaften manches Buch durch; denn diese Wissenschaften nahmen ihm wirklich alle Stunden weg und machten seinen ganzen Zeitvertreib aus. Endlich brachte er einen gar vortrefflichen Plan ins reine. Und sehr leid thut es uns, daß es nicht in unsrem Vermögen steht, solchen dem Leser vorzulegen, weil selbst die Ueppigkeit und Prachtsucht unsrer Tage schwerlich, wie ich glaube, seinesgleichen würde aufweisen können. Dieser Plan hatte in der That in einem sehr hohen Grade zwei der vorzüglichsten Eigenschaften, welche erforderlich sind, um alle großen und edlen Entwürfe zu empfehlen, denn es gehörte ein unmäßiger Aufwand dazu, ihn auszuführen, und eine Zeit von vielen Jahren, bevor er nur einigermaßen vollendet werden konnte. Das erste von diesen beiden, den Aufwand an Geld, versprach sich der Kapitän mit dem unermeßlichen Reichtum des Herrn Alwerth, den er ganz sicher zu erben dachte, ganz gemächlich zu bestreiten, und in Ansehung des zweiten setzten ihn sein guter Gesundheitszustand und sein Alter, das nicht höher ging, als was man das mittlere zu nennen pflegt, außer alle Sorgen, daß er nicht die Ausführung erleben sollte.

Nichts fehlte weiter, um ihn instandzusetzen, das Werk von Stund an in Gang zu bringen, als der Tod des Herrn Alwerths; diesen auszurechnen hatte er manchen Abend auf seine eigne Hand algebraisirt und überdem noch jedes Buch gekauft und gelesen, das über die Wahrscheinlichkeit der Lebensjahre, zum Behufe der Lebensversicherungen, Witwenkassen, Leibrenten u.s.w. zu haben war. Vermittelst dessen allem er sich überzeugte, daß, sowie er Wahrscheinlichkeit für sich hätte, daß sein Erblasser jeden Tag sterben könne, so hätte er überwiegende Wahrscheinlichkeit, daß er in wenig Jahren sterben würde.

Unterdessen aber, als der Kapitän eines Tages in tiefem Nachdenken über Sachen dieser Art begriffen war, begegnete ihm einer der unglücklichsten und zugleich unzeitigsten Zufälle. Die tückischste Bosheit des Glücks hätte wirklich nichts so Grausames, so Mal-à-propos, so Grundstürzendes für alle seine Projekte herausgrübeln können. Kurz, um den Leser nicht lange in Zweifel zu lassen, gerade in demselben Augenblicke, da sein Herz voll Jubels klopfte, in anschaulicher Betrachtung der Glückseligkeiten, die ihm zuwachsen müßten durch Alwerths Tod – starb er selbst dahin am Schlage.

Dieser überfiel den Kapitän beklagenswürdigerweise, als er eben für sich allein seinen Abendspaziergang im Garten that, so daß niemand zur Hand war, der ihm hätte Hilfe leisten können, wenn anders Hilfe ihm hätte das Leben retten mögen. Er nahm also Maß von dem Teil des Erdbodens, welches nunmehr für all seine künftigen Bedürfnisse hinlänglich geworden war, und er lag da auf der Erde, ein großes (obgleich nicht lebendes) Beispiel von der Wahrheit jener Bemerkung des Horaz:

»Tu secanda marmora

Locas sub ipsum funus: et sepulchri

Immemor, struis domos.«

Welches ich für den Leser folgender Gestalt übersetzen will:

»Du schaffest kostbaren Vorrat zum bauen herbei, wenn's nur des Spatens und der Hacke bedarf; – bauest Häuser fünfhundert Fuß lang und hundert breit, und vergissest jenes von sechs Fuß zu zwei.«

Neuntes Kapitel.

Ein Beweis von der Unfehlbarkeit der vorhergehenden Universalmedizin in der Jammerklage der Witwe; anbei noch andre schickliche Dekorationen bei Sterbefällen, als Aerzte u. dergl. und ein Epitaphium im echten Stile.

Herr Alwerth, seine Schwester und eine andre Dame hatten sich zur gewohnten Stunde des Abends im Speisesaale versammelt, woselbst sie ziemlich lange über die gewöhnliche Zeit gewartet hatten, als Herr Alwerth der erste war, welcher sagte, er finge an, über des Kapitäns Außenbleiben unruhig zu werden (denn er pflegte sich sehr pünktlich bei den Mahlzeiten einzustellen), und Ordre gab, man sollte die Gartenglocke läuten, besonders nach den Gängen hin, welche der Kapitän gewöhnlich zu nehmen pflegte.

Als man alles Läuten und Rufen vergebens fand (denn der Kapitän hatte den Abend durch einen widrigen Zufall einen ganz neuen Weg genommen), erklärte Madame Blifil, sie wäre ernstlich erschrocken, worauf die andere Dame, die eine von ihren vertrautesten Bekannten war und welche die wahren Umstände ihrer Zärtlichkeit recht gut kannte, that, was sie konnte, um sie zu beruhigen, indem sie ihr sagte, sie könne freilich nicht umhin, bekümmert zu sein, man müsse aber das beste hoffen; – vielleicht habe das schöne Abendwetter den Kapitän weiter als seinen gewöhnlichen Spaziergang vom Hause weggelockt, oder es könne ihn auch ein Nachbar aufhalten. Madame Blifil antwortete: O nein! Sie wäre sicher, ihm müsse etwas zugestoßen sein; denn er würde gewiß nicht ausbleiben, ohne es ihr sagen zu lassen, da er wüßte, welche Besorgnis es ihr machen müsse. Die andere Dame, welche keine Gründe weiter vorrätig hatte, legte sich auf die bei solchen Gelegenheiten üblichen Bitten, sie möchte sich nicht so sehr ängstigen, denn es könne sonst sehr schlimme Folgen für ihre eigene Gesundheit haben, und dabei schenkte sie ein wacker großes Glas voll Wein ein und beredete sie endlich, es auszutrinken.

Nunmehr kam Herr Alwerth wieder in den Saal zurück, denn er war selbst hingegangen, den Kapitän zu suchen. Seine Mienen zeigten genugsam die Bestürzung, die ihn befallen und fast völlig der Sprache beraubt hatte; wie aber die Betrübnis auf verschiedene Gemüter verschiedentlich wirkt, so erhob eben die Beängstigung, welche seine Stimme erstickte, Madame Blifils Stimme zu helleren Tönen. Sie fing nun an, sich aufs bitterlichste zu beklagen, und Ströme von Thränen begleiteten ihr Jammergetöne, worüber ihre Gesellschaftsdame, wie sie ausdrücklich sagte, sie zwar nicht tadeln konnte, aber sie doch ermahnte, ihrem Schmerze nicht so heftig nachzuhängen, wobei sie den Kummer ihrer Freundin durch philosophische Betrachtungen über die mancherlei leidigen Glücksschläge zu mildern suchte, denen das menschliche Leben täglich bloßgestellt ist und welche, wie sie sagte, ein hinlänglicher Grund wären, unsere Seelen gegen jeden Zufall zu waffnen, so plötzlich und fürchterlich er sein möchte. Sie sagte ferner, ihres Bruders Beispiel sollte sie Geduld lehren, welcher freilich wohl nicht für so nahe getroffen geachtet werden könnte, als sie selbst; aber ohne Zweifel doch sehr unruhig wäre, obgleich seine Ergebung in den Willen Gottes seinen Schmerz in gehörigen Schranken hielte.

»Sagen Sie mir nichts von meinem Bruder!« sagte Madame Blifil, »nur ich allein verdiene Ihr Erbarmen. Was sind Gefühle der Freundschaft gegen das, was ein treues Weib bei solchen Unglücksfällen empfindet? – O! er ist dahin! Ein Widersacher hat ihn erschlagen! – Meine Augen werden ihn nicht mehr sehen!« Hier that ein Thränenguß eben die Wirkung, welche eine Beklemmung bei Herrn Alwerth hervorgebracht hatte, und sie blieb stumm.

In dieser Zwischenzeit kam ein Bedienter außer Athem hereingestürzt und rief aus, der Kapitän wäre gefunden! Und ehe er noch weiter fortfahren konnte, folgten ihm zwei andre, welche den toten Körper hereintrugen.

Hier hat der Leser Gelegenheit, noch eine andre Verschiedenheit der Wirkung des Grams zu bemerken: denn so wie Herr Alwerth aus eben der Ursach stumm gewesen, aus welcher seine Schwester in laute Klagen ausgebrochen war, so trocknete dieser Anblick, welcher dem Bruder Thränen ablockte, die Augen der Witwe auf einmal. Sie that erst einen heftigen Schrei und sank darauf plötzlich in Ohnmacht.

Das Zimmer war bald voller Bedienten, deren einige mit der besuchenden Dame beschäftigt waren, der trostlosen Witwe Beistand zu leisten, und die übrigen mit Herrn Alwerth halfen einander, den Kapitän in ein gewärmtes Bett zu tragen, wo jeder Versuch angewendet wurde, ihn wieder ins Leben zu bringen.

Und wie gerne sagten wir unserm Leser die Nachricht, daß es beiden Gewerkschaften auf gleiche Weise geglückt sei. Denn jenen, welche die Sorge für die Dame übernahmen, gelang es so gut, daß nachdem die Ohnmacht eine anständige Weile gewährt hatte, sie solche zu ihrer großen Zufriedenheit wieder ins Leben kehren sahen. Bei dem Kapitän aber waren alle Versuche mit Aderlassen, Reiben, Einspritzen u.s.w. ohne Wirkung. Der Tod als unentbehrlicher Richter hatte sein Urteil über ihn gesprochen und wollte ihn mit keinem Aufschub begnadigen, obgleich zwei gelehrte Doktoren, welche geholt waren und denen man gleich bei ihrem Eintritt mit dem Honorar die Hand füllte, seine Verteidiger waren.

Diese zwei Doktoren, welche wir, um alle hämische Deutungen zu vermeiden, durch die Namen Doktor Y. und Doktor Z. unterscheiden wollen, fühlten dem Patienten alsobald den Puls; Doktor Y. nämlich am rechten und Doktor Z. am linken Arme. Beide waren einstimmig darüber, er sei tot, ohne Widerrede. Ueber die Krankheit oder die eigentliche Ursache des Todes aber waren sie gar nicht einig. Doktor Y. war der Meinung, es sei eine Apoplexie, Doktor Z. aber, es sei eine Epilepsie gewesen.

Hierüber entstund ein wissenschaftlicher Streit unter diesen gelehrten Männern, worin jeder die Gründe seiner Meinung gegen den andern behauptete. Diese waren nun von so gleicher Kraft, daß sie jeden Doktor in seiner eigenen Meinung bestärkten und auf seinen Antagonisten nicht den geringsten Eindruck machten.

Die Wahrheit zu sagen, fast jeder Arzt hat so seine Favoritkrankheit, der er alle Siege über die menschliche Natur zuschreibt. Das Podagra, die Gicht, der Stein, Gries und Auszehrung haben alle ihren eigenen Patron in der medizinischen Fakultät und keine mehr als das Nervenfieber oder das Fieber der Lebensgeister. Und hieraus können wir die mancherlei widersprechenden Meinungen über die Ursachen des Todes eines Patienten herleiten, welche zu weilen unter den gelehrtesten Kollegen obwalten und worüber sich solche Menschen höchlich zu wundern pflegen, welche von der Thatsache nicht unterrichtet sind, die wir oben festgesetzt haben.

Der Leser mag sich vielleicht wundern, daß die beiden gelehrten Herrn Aerzte, anstatt sich zu bemühen, den Verblichenen wieder zum Leben zu bringen, alsobald in einen Streit über die Ursache seines Todes verfielen; in der That aber waren alle solche Versuche vor ihrer Ankunft bereits angestellt worden. Denn man hatte den Kapitän in ein gewärmtes Bette gebracht, man hatte ihm die Adern geöffnet, hatte ihm die Schläfe und die Fußsohlen gerieben und ihm alle Arten von starkem Spiritus vor die Nase gehalten und in den Mund gegossen.

Da also die Doktoren fanden, daß man ihnen in allen den Dingen, die sie hätten verordnen können, zuvorgekommen wäre, waren sie verlegen, wie sie den Teil der Zeit hinbringen sollten, den sie des Gebrauchs und des Honorars wegen anständigerweise zu verweilen pflegten und waren deßhalb genötigt, eine oder die andere Materie zum Gespräch hervorzusuchen, und was konnte sich für eine schicklichere Materie darbieten, als die oben erwähnte?

Unsere Aerzte waren im Begriff, sich zu beurlauben, als Herr Alwerth, der nun den Kapitän aufgegeben und sich in den Willen Gottes gefügt hatte, nach seiner Schwester zu fragen begann und die Aerzte bat, solche noch vor ihrem Weggehen zu besuchen.

Die Dame hatte sich jetzt von ihrer Ohnmacht erholt und befand sich, um mich einer gewöhnlichen Redensart zu bedienen, so wohl, als man es bei ihren Umständen erwarten konnte. Die Doktoren also, nachdem alle gebührlichen Zeremonien vorläufig abgethan waren, machten den verlangten Besuch und bemächtigten sich jeder einer ihrer Hände, wie sie's vorher bei dem Leichnam gemacht hatten.

Der Fall der Witwe war von den Umständen ihres Gemahls so weit entfernt, als die beiden Pole von Süden und Norden. Denn sowie bei ihm keine Arznei mehr anschlagen konnte, so war bei ihr wirklich ganz und gar keine nötig.

Ich kenne nichts Ungerechteres, als die gemeine Meinung, welche die Aerzte irrigerweise als Freunde des Todes vorstellt! Ich glaube im Gegenteil, wenn man die Zahl derer, welche unter ihren Händen besser werden, gegen die Zahl ihrer Märtyrer aufstellen könnte, die erste fast größer sein würde, als die letzte. Ja einige Aerzte sind in diesem Punkt so vorsichtig, daß sie, um alle Möglichkeit den Patienten zu töten, zu vermeiden, sich jeder medizinischen Kurart enthalten und nichts anders verschreiben, als was weder nutzen noch schaden kann. Von diesen habe ich einige es mit einer sehr wichtigen Miene als eine Maxime sagen gehört, man müsse die Natur in ihren Wirkungen nicht stören, und der Arzt wäre gleichsam ein Zuschauer, der ihr auf die Schultern klopfte, um sie aufzumuntern, wenn sie's gut machte.

So wenig Vergnügen fanden also unsere Doktoren an Toten, daß sie den verblichenen Körper nach einem einzigen bezahlten Besuche verließen; bei der lebenden Patientin aber nicht so unfreundlich waren, über deren Kasum sie augenblicklich einig wurden und großen Fleißes sich zum Verschreiben anschickten.

Ob, nachdem die Dame zuerst ihre Aerzte überredet hatte, zu glauben, sie sei krank, sie selbige hinwieder überredeten, sich selbst für krank zu halten, das will ich nicht entscheiden; aber sie brachte einen ganzen Monat mit allen Dekorationen der Krankheit hin, während welcher Zeit sie von den Aerzten besucht, von einer Krankenwärterin gepflegt, und von allen ihren Bekannten täglich nach ihrem Befinden gefragt wurde.

Nachdem endlich die anständige Zeit für Krankheit und übermäßigen Kummer verstrichen war, entließ man die Aerzte und die Dame fing wieder an, Gesellschaft zu sehen, und man ward keiner andern Veränderung durch das, was sie trug, an ihr gewahr, als die Farbe der Trauer, in welche sie ihre Person und ihre Mienen gekleidet hatte.

Der Kapitän war nunmehr begraben und mochte vielleicht schon einen ziemlichen Weg zur Vergessenheit zurückgelegt gehabt haben, hätte nicht die Freundschaft des Herrn Alwerth dafür gesorgt, sein Andenken durch folgendes Epitaphium zu erhalten, welches von einem Manne von großem Genie und großer Wahrheitsliebe, und welcher dabei den Kapitän recht gut kannte, verfertigt wurde.

HIER RUHEN IN GOTT

UND IN ERWARTUNG EINER

FROEHLICHEN AUFERSTEHUNG

DIE GEBEINE DES

HOCHWOHLGEBOHRENEN KAPITAIN

HERRN JOHN BLIFIL.

LONDON

WAR STOLZ AUF SEINE GEBURT,

OXFORD

AUF SEINE ERZIEHUNG.

SEINE GEISTESGABEN

WAREN EINE EHRE SEINES STANDES

UND SEINER NATION,

SO WIE SEIN LEBEN DER RELIGION

UND DER MENSCHLICHEN NATUR.

ER WAR EIN PFLICHTVOLLER SOHN,

EIN ZAERTLICHER GATTE,

EIN LIEBEVOLLER VATER,

EIN AUFRICHTIGER FREUND,

EIN FROMMER CHRIST,

UND EIN WOHLTHAETIGER MANN.

SEINE UNTROESTLICHE WITTWE

SETZTE DIESEN STEIN

ZUM ANDENKEN

SEINER TUGENDEN

UND

IHRER EWIGEN LIEBE.

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9783754175279
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