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Читать книгу: «Abendstunden», страница 6

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Gerhard.
Der Sohn des Henkers

I

Am Pfingstabend des Jahres 1507 war die Nacht in Antwerpen schwärzer, denn gewöhnlich; man konnte recht eigentlich keine Hand vor den Augen sehen; wie eine dicke, undurchdringliche Wolke lag es schwer auf der Stadt. Man hörte durch die tiefe Finsterniß keinen andern Laut, als den Fall der Tropfen von den Dachtraufen, das leise Gekletter des feinen dichten Regens wider die kleinen runden Scheiben und zuweilen aus der Ferne das eintönige Gesumme einer Glocke. Im Uebrigen herrschte die tiefste Stille auf den Straßen; obwohl nur erst wenige Bürger sich zur Ruhe begeben hatten, war es doch nicht später als neun Uhr.

Wer in dieser Stunde in der Nähe der Schützenhöfe gewesen wäre, der hätte einen Mann bemerkt, welcher mit dem Rücken an eine Pappel gelehnt, die Augen weit offen und die Arme über der Brust gekreuzt, in tiefem Nachdenken versunken, so ruhig in dem kalten nassen Wetter stand, als wie am hellen Tage und beim schönsten Sonnenschein. Von Zeit zu Zeit entschlüpften unverständliche Worte seinem Munde, doch lag Kraft in der Stimme und Leidenschaft dann in jedem seiner Züge. Eine Weile später stieß er einen schweren, dumpfen Seufzer aus, dem tiefen Athemholen eines Menschen gleich, der eben eine schwere Last von der Schulter warf. Dabei zog sich ein eigenthümlich Lächeln um seinen Mund, nicht das heitere der Freude, der Genüglichkeit, wohl aber das ingrimmige, welches eine Brust voll Foltern, verräth und dem Manne die Thränen der Verzweiflung ersetzt. Er lachte, aber er biß sich dabei das Blut aus den Lippen, und seine rechte Hand wühlte in dem Fleische seiner Brust.

O er war unglücklich, tausendfach unglücklich, dieser Mensch! Er brauchte nicht der Hölle Qualen zu fürchten, denn schon seit zwanzig Jahren trug er die Hölle in seiner Brust.

Als er, dem Schooße seiner Mutter sich entwindend, den ersten Schrei, einem Gruße an das neue Leben gleich, ausstieß, da drückte ihm seine Mutter keinen Willkommkuß auf die Stirne; sie stieß das Kind weg von sich. Der Vater auch fühlte keine Freude über seine Ankunft, nein, der bat den Himmel unter Thränen um den Tod des ersten und einzigen Sohnes; er weinte um ihn, wie über die Frucht einer fluchbeladenen Sünde.

Und als das Kind, mit der Mutter Thränen mehr, denn mit ihrer Milch genährt, die ersten Schritte wagte und spielend zu andern Kindern lief, da flohen alle den Kleinen, spotteten sein, und höhnten ihn, als schaue ein Teufel ihm aus den Augen – und es war doch so lieb, so geduldig, das Kind; auch nicht ein Zeichen von Unwillen oder Zorn entschlüpften ihm über die unverdienten Verfolgungen, aber in seinem Herzen sammelte sich Galle, das wußte Niemand besser als der Vater.

Nun war das Kind ein Mann geworden. Allen seinen Leiden zum Trotz hatte sein Körper sich schön entwickelt und in seinen Muskeln wohnte Kraft. Er dürstete nach geselligem Vergnügen, nach Entladung seines Herzens, nach Achtung, aber der Haß und der Abscheu, der ihn einst verfolgt hatte, verließ ihn nicht. Er durfte sich nur unter Menschen zeigen und Spott und Hohn ward ihm zu Theil. Flüchtete er dann nicht, einem verworfenen Sklaven gleich, und mit Gnade flehenden Augen, dann trieb man ihn gar, einem Hunde gleich, mit Schlägen weg. Für ihn war kein Recht auf Erden; nur beten durfte er, nur an Gott, Trost und Beruhigung erseufzend, sich wenden.

So war das Leben des Mannes, der so voll Verzweiflung, so voll Herzenspein an die Pappel lehnte.

Und dennoch war sein Herz voll Gefühl und empfänglich für Liebe, so wie sein Geist allem Hohen und Schönen offen stand. Seine Züge waren edel, sein Tritt stolz und männlich, seine Stimme sanft, aber ernst. So wenigstens klang sie in diesem Augenblicke, wo er die Hände gen Himmel hob und sprach:

»O Gott, Gott! Hat Dein heiliger Wille mich für Leiden geschaffen, dann gib mir auch Kraft, meine Last zu tragen! Mein Kopf glüht – meine Sinne irren. O Herr, nimm von mir die schwarze Verzweiflung! Laß mir die tröstende Zuversicht auf deine Güte und deine Gerechtigkeit, denn tödtende Zweifel drohen mir in die Brust zu sinken.«

Langsam verhallte seine Stimme und verschmolz in ein dumpfes unverständliches Murren; da aber riß er sich plötzlich empor, durchlief mit schnellen Schritten die Schüzenhofstraße und wandte sich der Houdaenstraße zu. Da wurden seine Schritte langsamer, oft selbst blieb er unbeweglich stehen, wie Jemand, der, besser sich seinen Gedanken hingeben zu können, jeden Fußtritt als störend fürchtet. Auf einmal stieg ein trockenes Geröchel aus seiner Brust, dem Kreischen des Nachtraben nicht unähnlich. Er seufzte:

»Ach der Durst brennt mir wie Gift in der Brust – ich muß trinken.«

Und leisen Tritts eilte er an den Häusern vorbei, an jedem verweilend und horchend, wo er Licht sah; doch immer noch ging er weiter, denn in all den Häusern hörte er Menschenstimmen, und das war genug, ihn von da zu vertreiben. In der Johanisstraße endlich blieb er länger vor einer Schenke stehen und lauschte aufmerksamer an allen Fenstern. Ein Ausdruck herzlicher Freude überflog alsdann seine Züge, und er flüsterte heimlich in sich hinein:

»Da ist Niemand mehr, – da kann ich trinken.«

Er drückte auf die Klinke der Thür und trat hinein. Der Arme! Er meinte Niemanden mehr zu finden, und das ganze Zimmer war voll Menschen, die, ihre Kannen neben sich, um eine Tafel geschaart saßen und gespannten Auges auf einen Mann schauten, der kleine Kunststückchen machte. Als unser Freund an dem Fenster horchte, war der Gaukler just beschäftigt, alle Vorbereitungen zu einem recht wunderbaren Stückchen zu machen, und aller Anwesenden Blicke und Aufmerksamkeit waren an seine Hände gebannt, denn jeder hätte gern das Wie abgesehen.

Der dürstende Fremde bebte zurück, als er eine so zahlreiche Versammlung traf; zweifelsohne würde er das Haus verlassen haben, hätten nicht Aller Köpfe neugierig sich umgedreht und er durch ein so verdächtiges Benehmen üble Folgen fürchten müssen; er trat also vollends in die Stube und forderte einen Krug Bier. Die Wirthin besah den sonderbaren Gast mit mißtrauischen Augen und hätte ihm gerne in’s Gesicht geschaut; als er das jedoch bemerkte, beugte er das Haupt tiefer, so daß der breite Rand seines Hutes ihn noch mehr vor zudringlichen Blicken schützte.

Während die Wirthin in den Keller lief, das geforderte Bier zu holen, hatten aller Gäste Augen sich auf den Fremdling gewandt, und einer zischelte dem andern in’s Ohr. Besonders schien Einer von ihnen von Unwillen entbrannt, und man konnte leicht an seinen Bewegungen sehen, daß es ihn prickelte, seine Fäuste an dem eben Eingetretenen zu versuchen. Dieser hatte dem Tische, an dem sie saßen, den Rücken gedreht, und harrte regungslos des Bieres, während all seine Glieder vor Angst bebten unter dem weiten Mantel. Bald erschien die Wirthin wieder und reichte dem Fremden die volle Kanne hin. Der trank sie gierig in einem Zuge halb leer, setzte sie auf den Schenktisch und gab der Wirthin ein Zweistüberstück in die Hand. Ehe sie ihm aber noch wiedergeben konnte, schoß einer der Gäste von der andern Seite des Zimmers herzu, ergriff die Kanne und goß den Rest Bier, der noch darin war, in des zitternden Fremden Gesicht.

»Verfluchtes Henkerskind!« schrie er; »wie? Du darfst in unsere Gesellschaft trinken kommen? Was gäb’ es mir, wenn ich Dir stehenden Fußes Hals und Bein bräche? Schätz’ Dich aber glücklich, Kerl, daß ich meine Hände nicht an Dir beschmutzen will, Radbrecher!«

Der Unglückliche war wirklich der einzige Sohn des Scharfrichters von Antwerpen; er hieß Gerhard, und zählte wenig mehr, denn zwanzig Jahre. Man wird nun begreifen, warum er so menschenscheu war; der Empfang, den er nun fand, wurde jeglichesmal dem Henker, der sich unter Bürger wagte.

Gerhard beugte das Haupt und sah auf das Bier, welches reichlich von seinen Kleidern tropfte; er schwieg und sprach auch nicht eine Sylbe als Antwort auf die Beschimpfungen seines Gegners. Der schwieg dagegen um so weniger und konnte der Lästerungen kein Ende finden, ja, er fuhr endlich gar die Wirthin an.

»Seht, Frau, morgen verläßt unsere Gesellschaft Euer Haus und wir gehen zum Sankt Sebastian. Der Teufel verzehre hier sein Geld. Morgen wäret Ihr im Stande, uns die Henkerkanne da vorzusetzen!«

»Da, seht, da liegt die Kanne!« rief die Wirthin so ängstlich, als wüthend, eine solche Menge von Kunden zu verlieren, und sie warf den Krug zu Boden, daß er in tausend Stücke brach. »Kann ich dafür, daß dieß Galgenkind in eines ehrlichen Mannes Haus kommt? – Willst Du dich aus meinem Hause packen, Schelm, Menschenquäler! Gehst Du noch nicht, Du Henkersjunge!«

Bis dahin hatte der Jüngling zu Allem geschwiegen; doch kochte es immer mehr in ihm, und sein Stolz regte sich mehr denn je. Statt auf das Schreien der Wirthin gleich aus dem Hause zu laufen, hob er ruhig das Haupt und antwortete kalt:

»Frau, ich gehe. Obwohl der Henker mein Vater ist, hätte ich doch für meinen Mitmenschen mehr übrig, als ihr. Peinigt jener Menschen, weil Recht und Gesetz ihn dazu zwingen, dann peinigt ihr mich, ohne daß ich euch etwas zu Leide that.«

Gerhard’s Stimme war so sanft und seine Worte trafen die Wirthin so, daß sie vor Verwunderung nicht zu sich kommen konnte – hatte man ihn doch so hart behandelt und er blieb sich so gleich. Eine Thräne trat in ihr Auge, sie nahm das Zweistüberstück, warf es Gerhard zu und sprach:

»Da, ich will Euer Geld nicht; nehmt es und geht in Frieden.«

Der Kerl, der Gerhard das Bier ins Gesicht gegossen, griff nach dem Geldstücke, welches auf den Boden gefallen war, besah es und schmiß es mit Abscheu auf einen nahen Tisch:

»Seht, es klebt Blut an dem Stück!« rief er, »Menschenblut!«

All die Andern drängten sich um den Tisch, schraken aber sogleich davon wieder zurück, wie wenn sie die Leiche gesehen, in deren Adern einst das gewähnte Blut floß. Ein allgemeiner Schrei von Schmähungen erhob sich gegen Gerhard.

Der wußte nur zu gut, wie falsch die Aussage war, denn er hatte das Geldstück an demselben Abende von einer Betbankvermietherin in der Kirche zurückbekommen. Die Ungerechtigkeit brachte ihn so auf, daß er all seinen Gleichmuth verlor und vor Grimm schneebleich wurde. Er drückte sich den Hut tiefer in die Augen, sprang in einem Sprunge bis zum Tische, auf dem das Geldstück noch lag, und schrie:

»Ihr Rasenden! Was faselt ihr von Blut? sehet ihr nicht, daß das Stück so roth ist, als eure Kupferstücke, die ihr in der Tasche tragt! Ihr nennt mich Henkerssohn – das wollte Gott ja, daß ich es sei, aber ich freu’ mich und bin stolz darauf, daß ich weder an Namen, noch in Wort, noch in der That so schlechten Kerlen gleiche, wie ihr seid!«

Kaum hatte er die Worte aus dem Munde, als es Faustschläge auf ihn regnete. Er wehrte sich kräftig, doch seiner Gegner Zahl war zu groß. Verwünschungen und Flüche füllten die Kammer, Kannen und Gläser deckten in Scherben die Erde, die Wirthin schrie um Hilfe.

Nachdem er einige Augenblicke noch Widerstand geboten, fand er sich plötzlich in Mitten der Straße, betäubt von den Schlägen, die zwanzig Fäuste ihm zugebracht. Er ordnete seinen Mantel ein wenig, setzte seinen Hut zurecht, und ging seines Weges weiter. Bald dachte er des Zankes nicht mehr, andere und schreckliche Gedanken stiegen in ihm auf.

Während Gerhard in den Streit verwickelt war, saß in Antwerpen ein Mädchen, dessen Herz gewaltig pochte und die so ängstlich der Ankunft des Henkerssohnes entgegen sah, als hätte ihr ein geheimes Vorgefühl gesagt, daß ein Unglück seiner harre.

Sie allein war dem unglücklichen Jünglinge ein Engel des Trostes und der Labniß, und sie liebte ihn über alles – wußte sie doch nur allzuwohl, wie jeder Andere ihn verachtete und verschmähte. Ihre Liebe hatte den Vorwürfen ihrer Mutter, den Verweisen ihrer Nachbarn und dem Spotte der andern Mädchen Trotz geboten. Selbst, wenn man ihr das Amt von Gerhard’s Vater als ein Schimpfwort zurief, sie Henkersfrau und ärger noch schalt, dann freute sie sich, weil sie dann gerade den ganzen Edelmuth, die ganze Reinheit ihrer Liebe mehr fühlte und glaubte, einer Gott angenehmen Neigung zu folgen. Und hatte sie darin nicht Recht, das gute Mädchen? Geld und Gut besaß sie nicht, um, des Herrn Willen zufolge, dem unglücklichen Nächsten beizustehen; dagegen schenkte sie den kostbarsten Schatz ihrer Seele, die glühende Flamme ihrer keuschen Liebe dem Unglücklichsten ihrer Stadtgenossen.

Lina wohnte auf dem Vlierstege mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in einer kleinen Kammer. Der Letztere, Franz, war ein guter Junge, der fünf Tage in der Woche im Schweiße seines Angesichts arbeitete, einen halben Tag in der Kirche auf den Knieen lag und anderthalbe Tage in den Schenken trank und sang; selten kam er von da ohne blaue Augen oder blauen Rücken zurück. In den fünf Arbeitstagen aber mußte man ihn sehen; fleißiger und geschickter als er, war kein Zimmermann der Stadt; auch legte er regelmäßig sonnabends ein nettes Sümmchen Geld seiner Mutter in den Schooß, weßhalb diese ihn auch besonders lieb hatte.

Während Gerhard dem besagten Vliersteg zueilte, saß Lina mit ihrer Mutter am Heerde, beide beschäftigt, spitzen zu wirken. Da ihre Sparsamkeit ihnen nicht erlaubte, mehr denn ein Licht zu brennen, mußten sie, das Gesicht einander zugewendet, arbeiten. An der andern Seite der Kammer stand die Werkbank, an der Franz zimmerte. Weißer Sand deckte übrigens den rein und hell gescheuerten Boden, ein Kreuz und einige Heiligenbildchen hingen an den Wänden umher. Man sah dem Zimmerchen an, daß seine Bewohner trotz alles Fleißes wenig mehr gewannen, als ihr täglich Brod.

Gewöhnlich kam Gerhard um acht Uhr Abends; nie hatte er die Stunde versäumt, ohne es Lina vorher wissen zu lassen, daß er nicht komme. Nun war es schon zehn Uhr und er kam immer noch nicht. Das arme Mädchen wußte nicht was denken, und war so ihrer Unruhe zum Raube, daß sie nicht hörte, wie ihre Mutter mit ihr sprach..

»Nun Kind, was fehlt dir denn?« frug endlich die Alte. »Kommt er heute nicht, so kommt er morgen, ’s sind immer noch Tage genug im Jahr.«

»Ja Mutter, du hast gut sprechen, aber ich fürchte stets, es könne ihm etwas zugestoßen sein; er kommt doch nie so spät. – Die Leute sind so bös auf ihn! —«

»Jawohl Kind, er ist ja auch des Scharfrichters Sohn und die waren stets verhaßt. Haben die Bürger nicht den Scharfrichter Harmen todtgeschlagen und Hansken am Kronenburgthum ersäuft?«

»Und was hatten die zwei gethan, Mutter?«

»Das weiß ich nicht. – Ich glaube, nichts. Aber das kommt daher, weil die Scharfrichter so viel unschuldige Menschen aufhängen.«

»Ja müssen sie denn nicht thun, was der Schulz ihnen befiehlt? Warum ersäufen sie denn nicht eher den Schulz?«

»Oho, Lina, das war allezeit so; das Sprichwort sagt immerhin: in einem Nest, in dem viele Hunde sind, bekommt der Kleinste stets am wenigsten zu essen und wird zumeist gebissen.«

»Das ist ein häßlich Sprichwort, Mutter . . . «

Noch lange plauderten die Frauen also fort, endlich aber wurde die Alte des Wachens müde und sie sprach:

»Lina, steh’ auf; wir wollen schlafen gehen, es ist Zeit.«

Der Befehl behagte dem Mädchen nicht, denn sie hatte die Hoffnung auf Gerhard’s Besuch noch nicht aufgegeben, und nun wußte sie nicht, was ersinnen, um die Mutter noch aufzuhalten. Sollte sie lügen? Das wagte sie Anfangs nicht, endlich entschloß sie sich dennoch zu einer kleinen Lüge.

»Laß uns noch ein wenig aufbleiben, Mutter,« sprach sie. »Noch drei Blumen, dann ist mein Stück spitzen fertig.«

»Dann eile dich ein wenig, Kind, die Augen fallen mir zu.«

»Ich gehe noch nicht schlafen,« rief Franz aus seiner Ecke heraus. »Ich muß das Nähkistchen hier noch fertig machen; morgen kommt die Wirthin aus dem Pferdchen es zu holen.«

»Junge, Junge,« sprach die Alte mit einem Lächeln, in welchem ein kleiner Vorwurf lag. »Du hast gewiß am Sonntage mehr im Pferdchen getrunken, als deine Börse vertragen konnte; dann arbeite nur, damit Du die Schuld abmachst. Ich gehe schlafen. Gute Nacht und vergeßt euer Abendgebet nicht.«

Sie stand auf, um in das Nebenkämmerchen zu gehen, doch trat sie zuvor noch auf Franz zu und flüsterte ihm in’s Ohr:

»Franz, wenn Gerhard kommt, dann – Du verstehst mich ja!«

Nicht lange, nachdem sie das Zimmer verlassen, klopfte Gerhard an die Hausthüre, welche Franz ihm öffnete.

Er war bleich und tiefbetrübt; das verwunderte Lina jedoch nicht, denn selten oder vielleicht nie hatte sie seine Stirne glatt und ohne Runzeln gesehen. Langsamen Trittes kam er auf die Jungfrau zu, faßte schweigend ihre Hand und drückte sie schweigend an seine Brust. Das war sein gewöhnlicher Gruß. Was Worte dann nicht sagten, das sagte sein beredtes Auge, aus dem tiefe Dankbarkeit und glühende Liebe schauten.

»Gerhard!« rief Lina. »Was fehlt Dir? Deine Hand ist kalt, wie Eis, und, o Gott! Du hast Blut am Halse!«

»Das ist nichts, Lina. Ich habe mich im Dunkeln gestoßen. Wie glücklich würde ich sein, litte nur mein Körper.«

Diese letzten Worte begleitete ein so tiefer, hohler Seufzer, daß es Lina ganz ängstlich zu Muthe wurde. Die Härte und schärfe der Blicke Gerhard’s ließ sie eine traurige Neuigkeit fürchten. Mit liebender Sorgfalt wischte sie einige Blutspuren weg, die sein Gesicht trug, faßte dann seine Hand und drückte sie so warm, als wollte sie ihm mit dem Drucke Trost in die Seele gießen und Muth dem zagenden Herzen einflößen. Gerhard starrte stumm auf sie hin, sie aber konnte den Blick nicht lange ertragen und rief, auf ihren Stuhl zurücksinkend:

»O Gerhard, starre mich doch nicht so an! Du tödtest mich mit deinem Auge . . . «

Der Jüngling ließ das Haupt sinken und schaute zu Boden; bald aber erhob er das Auge wieder, und sprach mit dem Ausdrucke einer tödtlichen Angst:

»Hör mich an, Lina; ich habe Dir nicht viel zu sagen. Vielleicht hörst Du mich zum Letztenmale.«

Lina erbleichte bei den Worten; er aber fuhr fort, als hätte er das nicht bemerkt:

»Als Kinder spielten wir zusammen. Etwas, wovon wir uns keine Rechenschaft geben konnten, was nun jedoch zu einer gewaltigen Flamme aufwuchs, zog uns zu einander. Damals wußtest Du es noch nicht, Liebste, was es heißt, eines Henkers Sohn zu sein; Du wußtest noch nicht, daß der, welcher hängt und radbrecht und brandmarkt, mit mehr Schande beladen ist, als diejenigen, welche von ihm gehangen und geradbrecht und gebrandmarkt werden. Später sahst Du dieß besser ein, aber Deine reine Seele wollte nicht in die Ungerechtigkeit der Menschen einstimmen, und je mehr mein Unglück sich vor Deinen Augen entrollte, desto mehr wuchs Deine Liebe, denn Du wußtest, daß ich der Liebe bedarf, um nicht unterzugehen. Ohne Dich, ja, hätte mich der Gram längst weggerafft, denn ich glaubte an nichts mehr, als an die Gerechtigkeit Gottes, die mir ein besseres Leben versprach, und an die Unvergänglichkeit Deiner Liebe. Die Menschen verfolgen mich, gleich einem Verfluchten, das Blut an meinem Halse zapfte mir ihr Haß ab. Das alles aber wäre nichts, Liebste, ich ließ keine Klagen über meine Lippen und würde mein Körper zwischen zwei Steinen zermalmt; aber die Folter – der Schmerz sitzt da —« und er wies mit dem Finger auf seine bleiche Stirne, während er also fortfuhr: »Wissen, daß man bei dem unbescholtensten Leben, mit dem besten Herzen in der Brust, von aller Welt bespottet, gehaßt sein muß, – Du Engel von Güte, ist das nicht mehr, als man ertragen kann, muß einem bei der zerschmetternden Ueberzeugung das Herz nicht trocken werden?«

»Ich verstand Dich lange schon,« seufzte Lina, die mit nassen Augen auf ihn horchte. »Fühlt mein Herz nicht Alles, was Deines betrübt? War dein Auge je umwölkt, ohne daß meines in Thränen stand?« . . .

»Bisher schmeichelten wir uns mit der Hoffnung,« fuhr Gerhard fort, »daß ein unerwarteter Vorfall mich von dem Henkeramte befreien werde und daß wir dann in einer andern Stadt ruhig und ungekannt wohnen könnten; aber ach, Lina, das war nur ein süßer Traum. Die fürchterliche Stunde naht . . . Morgen, ja, morgen schon wirst Du deinen Gerhard das Richtschwert in der Faust auf dem Schaffotte stehen sehen! Darum ist die Hand, die dann den Todesstreich schlagen soll, so kalt wie Eis . . . Da fühle!« Und mit den Worten reichte er der Geliebten eine bleiche, kalte Hand.

»Mein Vater liegt krank zu Bette,« fügte er hinzu, »und der Schulz hat mir befohlen, morgen den Schiffer Hermann hinzurichten.«

Wie wenn Gerhard’s frühere Seelenstärke plötzlich auf Lina übergegangen wäre, so hörten nun ihre Thränen plötzlich auf zu fließen, und einen Blick, noch hundertfach kälter als die seinen, auf ihn werfend, frug sie:

»Nun, und was willst Du denn damit?«

»Ich will, daß Du mein vergessest, daß Du mich allein dem Schmerze und der Verachtung Preis gebest. Lina, laß mir den Trost!«

»Hat meine Liebe noch Werth für Dich, Gerhard, oder trocknete auch sie in deinem Herzen aus?«

»Im Gegentheil, Liebste, sie blieb das letzte Gut, welches Gott mir ließ, aber etwas Anderes zwingt mich, Abschied für – ewig von Dir zu nehmen. Du hast meinetwillen dein junges Leben unter Schmach und Schimpf der Andern hingebracht, eines Henkers Sohn mit dem Mantel deiner Liebe gedeckt, um ihn hart zu machen gegen die Pfeile des Hasses. Du hast Dich aufgeopfert, mir ein Gefühl zu schenken, welches ich ohne Dich nie gekannt hätte. Morgen aber, bedenke, Lina, höre ich auf, nur des Henkers Sohn zu heißen, von morgen an bin ich selbst Henker. Und meinst Du, ich forderte so viel Selbstverleugnung von Dir? ich litte, daß man Dir vorwerfe, ein Henker sei Dein Geliebter? Glaubst Du mich unedel genug, Dich, die reine Unschuld, noch mit diesen Händen zu berühren? Den Händen, die in Menschenblut, vielleicht in eines Unschuldigen Blut getaucht sind? sag mir zum Mindesten noch, Lina, daß Du mich zu gut kennest, als daß ich das von Dir verlangen könnte.«

Eine große Veränderung war in den Zügen der Jungfrau vorgegangen; es hatte sich ein Ausdruck von Freude über dieselben verbreitet, denn ihre Augen glänzten heller und ein liebliches Lächeln floß um ihre Lippen. Das Vorbewußtsein einer edlen schönen That strahlte aus ihrem Antlitz und sie sprach ruhig:

»Wohlan, mein Liebster, ich weiß sehr gut, was Du denkst, und begreife wohl, was Du sprichst, aber meinst Du denn, ich trüge Dir nicht dieselbe Liebe zu, oder ich hätte ein schlechter Herz, als Du? Ich will Dir das volle Gegentheil beweisen.«

Mit diesen Worten schlang sie ihre Arme um Gerhard’s Hals und küßte ihm die Runzeln von der Stirne.

»Gerhard« rief sie, »was sagt Dir der Kuß?«

»Daß ein Engel Dir die Krone der seligen in diesem Augenblicke auf die Schläfe drücken müßte!«

»Du verstehst mich nun,« fuhr Lina fort. »Ja, die Deine, ganz die Deine, morgen noch und für ewig! Ich will Dich, Henker oder nicht, hier oder auf dem Schaffotte. Gerhard, ich weiß, was meine Pflicht ist. Trotz allem schmähen der Menschen werde ich einst deine Frau, und dann sollen Deine Tage gewiß schön sein.«

»Nein, Lina! – Nie des Henkers Frau! Ewigen Fluch verdiente ich, nähme ich das Opfer an. Ich sollte Dich mit in den Abgrund der Schande ziehen? Nein! Nie.«

»Ich verlaß Dich aber nicht, Gerhard! Ich hefte mich fest an Dich und Du selbst bist nicht stark genug, Dich von mir zu reißen. Glaubst Du, ich würde Dich sterben lassen? Wüßtest Du nur, wie stolz, wie hochmüthig ich in diesem Augenblicke bin! Mit größerem Vertrauen geh’ ich zum heiligen Tische, denn ich fühle, daß Gott Gefallen an mir hat.«

Was Gerhard bei den Worten fühlte, das ließe sich schwerlich sagen. Er warf einen langen Blick voll Verwunderung auf sie, die sich so edelmüthig für ihn hingeben wollte. Nach langer Zeit zum erstenmale wieder flog ein heiterer Sonnenstrahl über seine Züge; ein schwerer Seufzer entlastete seine Brust, er hob die Augen zum Himmel und rief:

»Gott, Gott, vergieb! Ich durfte mich bei Dir beklagen und Du hast mir einen deiner Engel geschenkt!«

Lina’s Busen klopfte höher bei diesem Dankgebete; eine bescheidene Röthe färbte ihre Wangen; ihr Auge glänzte lichter.

Während dieser Unterredung hatte Franz an seiner Werkbank ruhig weiter gearbeitet, ohne sich weiter um die Beiden zu bekümmern. Nun aber war sein Nähkästchen fertig und er sehnte sich nach Ruhe. Gerhard bemerkte dieß und griff nach seinem Hute. Während er den Mantel umwarf, sprach er seufzend zu Franz:

»Morgen soll ich dem Schiffer Hermann den Kopf abschlagen.«

»Dann paß nur auf,« entgegnete Franz kalt, »denn wenn Du verkehrt schlügest, dann könnte es Dir schlimm gehen, wie Hansken. Dann helf’ ich Dir aber.«

Gerhard warf noch einen Blick voll tiefer Kümmerniß auf Lina, wischte sich eine Thräne aus dem Auge und wandte sich der Thüre zu. Da umarmte sie ihn zum Abschiede und ihren letzten Kuß begleiteten die Worte:

»Auf dem Galgenfelde steh’ ich morgen neben dem Schaffotte, da beschau mich nur wohl« . . .

Und nassen Auges und gepreßten Herzens horchte sie auf die stets mehr verhallenden schritte des Geliebten.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
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260 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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