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2.4 Das Zusammenspiel von SOLLEN – KÖNNEN – WOLLEN

SOLLEN, KÖNNEN und WOLLEN stehen nicht unverbunden nebeneinander. Sie treten in hochkomplexer Weise in Beziehung, fördern oder hemmen sich gegenseitig.

Bedrohungen für die Balance von SOLLEN, KÖNNEN, und WOLLEN

Die Balance von SOLLEN, KÖNNEN und WOLLEN wird im Alltag vor allem durch »daily hassles« bedroht, die kleinen kurzzeitigen Ärgernisse, Enttäuschungen, Widrigkeiten und Konflikte, durch Zeitdruck, Störungen und Multitasking. Auch die Änderung beruflicher Routinen, die Übernahme einer neuen Klasse mit Klassenleitung, neue Kolleginnen und Kollegen, neue Schulleitung, Änderungen in den sozialen Konstellationen im Kollegium, inhaltliche und organisatorische Reformen mit veränderten pädagogischen Aufgaben, neue Lehrpläne, juristische Auseinandersetzungen mit Eltern usw. verlangen Anpassungsleistungen.

Die meisten solcher »Verstörungen« können viele Menschen mit ihrem spontan verfügbaren Verhaltensrepertoire regulieren, quasi als Lenkbewegung auf schlaglochreicher Strecke. Manchen jedoch bringt schon ein kleines außergewöhnliches Ereignis aus dem Gleichgewicht. Andere können auch intensive Stresssituationen oder Misserfolge wegstecken. Sie bewältigen derartige Ereignisse mit eigenen »Bordmitteln«, mit ihren Kompetenzen und ihrer Lernoffenheit oder suchen soziale Unterstützung und professionelle Hilfe. Dann werden auch heftigere Turbulenzen nur vorübergehend zu Beeinträchtigungen des Wohlbefindens und der psychischen Gesundheit führen.

Gravierender ist, wenn SOLLEN, KÖNNEN und WOLLEN über einen längeren Zeitraum aus dem Gleichgewicht geraten und eine tiefgreifende Neuorientierung notwendig wird. Anlass dafür können schwerwiegende Veränderungen im engeren beruflichen und privaten Umfeld oder der gesamten Lebenssituation sein: Der Eintritt in den Beruf z. B. oder neue Beziehungen, Verluste, Krankheiten, Ortswechsel usw., ebenso gesellschaftliche Strömungen und (bildungs-)politische Entscheidungen. Dann ist nicht nur vorübergehende Regulierung gefordert, sondern unter Umständen eine Neujustierung dieses fragilen Gleichgewichtes.

Wenn dies nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass vergebliche oder ungeeignete Bewältigungsversuche Lernprozesse in Gang setzen, die möglicherweise kurzfristig Erleichterung und Entlastung bieten, langfristig aber Schaden anrichten und zu einer ernsthaften Bedrohung der psychischen und physischen Gesundheit werden. So manches Suchtverhalten wurzelt in dem verzweifelten Bemühen, die verlorengegangene Balance wieder herzustellen (→ Kapitel 6.5). Man spricht hier von »palliativ-selbstschädigenden« Bewältigungsstrategien.

Aber nicht nur akute Lebensereignisse können zu einer Dysbalance führen. Aus unserer Sozialisation, Lebenserfahrung und den Lebensumständen resultieren individuelle Grundmuster an Denk- und Verhaltensgewohnheiten, Lebensstilen, Weltsichten, Selbsteinschätzungen, Vorlieben, Ängsten, Stärken und Schwächen. Sie bilden charakteristische Konstellationen und geben dem Verhältnis von SOLLEN, KÖNNEN und WOLLEN eine individuelle Ausprägung.

Von außen betrachtet mag so manche Konstellation als problematische Fehlentwicklung erscheinen, z. B. als aufreibende Selbstausbeutung (Abbildung 3). Subjektiv wird dies aber vielleicht als wünschenswerter Normalzustand erlebt, der möglichst beibehalten und immer wieder hergestellt werden soll, quasi als persönlicher Standardwert zur Kalibrierung. Dem soll im Folgenden nachgegangen werden.


Abb. 3: Fehlentwicklungen und Risikofaktoren für die psychische Gesundheit

SOLLEN und KÖNNEN

Eine Passung von SOLLEN und KÖNNEN wird gemeinhin als Eignung bezeichnet. Wer kann, was er soll, erlebt Erfolge, erfährt Selbstwirksamkeit, findet Anerkennung. Das sind gute Stabilisatoren der psychischen Gesundheit. Besondere Bedeutung kommt dem Gefühl des »Flow« zu. Damit beschreibt Mihály Csíkszentmihályi (2010) das Gefühl, wenn alles gelingt, alles gleichsam von selbst »fließt«, man sich in seiner Tätigkeit verliert. Dies ist eine Erfahrung, die es erlaubt, auch hohe Anforderungen und Belastungen subjektiv stressfrei zu bewältigen.

Ein gravierendes und dauerhaftes Missverhältnis zwischen dem, was einer kann, und dem, was er soll, kann hingegen die psychische Gesundheit gefährden. Eine KÖNNEN-SOLLEN-Diskrepanz kann sich als Überforderung oder Unterforderung manifestieren.

Überforderung

Überforderung entsteht, wenn jemand Leistungen erbringen soll, für die das eigene KÖNNEN nicht ausreicht oder die aufgrund der Arbeitsbedingungen nicht zu erfüllen sind, z. B. wegen zu hoher Erwartungen an Qualität unter Zeitdruck oder mit unzureichenden Arbeitsmitteln. Das hat Folgen für den Betreffenden selbst, etwa durch den Stress, den er empfindet, weil er den Anforderungen nicht nachkommen kann. Aber selbst wenn ihn die Misserfolge (→ Kapitel 9) persönlich nicht berühren oder seine Attribuierungsmuster (→ Kapitel 4.2) es ihm erlauben, andere dafür verantwortlich zu machen, können dennoch objektives Versagen, fehlerhafte Arbeitsergebnisse und Rückwirkungen aus dem sozialen Umfeld zu belastenden Sachproblemen und interaktionalen Konflikten führen. Eine Lehrkraft mit schwerwiegenden Eignungsmängeln macht sich auf Dauer nicht nur selbst unglücklich; sie schadet den Schülerinnen und Schülern und der Schule und bekommt das auch irgendwann zu spüren.

Wenn Lehrerinnen oder Lehrer überfordert sind, kann dies zum einen aus (teilweise) unzureichenden Eingangsvoraussetzungen für ihre Tätigkeit resultieren. Die damit zusammenhängende Problematik eines fehlenden Anforderungsprofils wurde schon behandelt.

Selbst bei grundsätzlicher Eignung können zum anderen aber auch bestimmte Ereignisse und Entwicklungen im beruflichen Alltag zu Überforderung führen, z. B. eine drastische Erhöhung der quantitativen und qualitativen Anforderungen, die Einführung neuer Lehrpläne, die Betrauung mit neuen Aufgaben oder fachfremdem Unterricht. Auch besondere Belastungsfaktoren, etwa auszehrender, einseitiger Fächereinsatz (z. B. »Zwei-Stunden-Fächer« in vielen verschiedenen Klassen oder gehäufter Unterricht in »schwierigen« Klassen) können die psychischen und physischen Ressourcen überfordern. Ebenso kann ein Funktionswechsel (z. B. als Mentor, in der Schulleitung usw.) unerwartet zu Überforderung führen, besonders, wenn dann noch zerrüttete soziale Beziehungen in einem Kollegium zusätzlich belasten.

Überforderung wird sich auf Dauer aber auch einstellen, wenn die persönliche Weiterentwicklung nicht Schritt hält mit dem Wandel der Anforderungen und den Veränderungen im beruflichen Feld. Neue Schülergenerationen, das mediale und soziale Verhalten von Schülerinnen und Schülern, gesellschaftliche Strömungen, interkulturelle Verschiedenheiten in den Klassen u. a. verlangen ein permanentes »Update« personaler und professioneller Kompetenzen.

Dessen ungeachtet wirkt sich ein geringfügiges Übergewicht der Anforderungen gegenüber den Ressourcen eher positiv aus, als ein Ansporn zum Lernen und als Herausforderung, sich immer wieder zu bewähren. Andernfalls droht Langeweile, Überdruss und Unterforderung. Ab wann eine solche Diskrepanz Stress produziert, ist individuell unterschiedlich. Sicher ist, dass gravierende, dauerhafte Überforderungssituationen zu problematischen Folgewirkungen bis hin zu behandlungsbedürftigen Störungen führen können.

Selbstevaluation: Überforderung

•Was ging mir beim Lesen dieses Abschnitts durch den Kopf?

•In welchen Bereichen rechne ich damit, an meine Grenzen zu kommen? Wo liegen meine Schwachpunkte?

Frage an Lehrerausbildner:

•Welche Eignungsmängel begegnen mir bei den Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern sehr oft?

•Wie gelingt es mir, sie zur Nachbesserung defizitärer Kompetenzen zu motivieren?

Unterforderung

Unterforderung kann ebenfalls zum Problem für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit werden, wenn sie als dauerhafte Monotonie, Langeweile, Überqualifizierung auftritt (»Bore-out«). Dass dies nicht unterschätzt werden darf, zeigen z. B. die Probleme, die nicht erkannte Hochbegabte im normalen Unterricht erleben. Allerdings lässt sich im Lehrerberuf Unterforderung leichter als Überforderung ausgleichen. Zusatzaufgaben und Funktionen oder selbst gewählte Aktivitäten in andern Feldern (Politik, Verband, soziales Engagement usw.) können in gewisser Weise Langeweile und Überdruss reduzieren, auch wenn möglicherweise eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Beruf bleibt.

Abbildung 4 zeigt das Spannungsverhältnis zwischen Überforderung und Unterforderung. In einem ausgewogenen Kräfteverhältnis entstehen Begeisterung, Kreativität, Eustress und Flow mit der Chance auf Bewährung und Erfolg.


Abb. 4: Psychische Gesundheit zwischen Überforderung und Unterforderung

Die gegenseitige Abhängigkeit von SOLLEN und KÖNNEN

Wie ausgeführt, ist das Verhältnis von SOLLEN und KÖNNEN nicht statisch und unveränderbar; man muss sich immer wieder um die Balance kümmern.

Ein Ungleichgewicht zwischen KÖNNEN und SOLLEN entsteht in der Regel durch Änderungen der Aufgaben und Anforderungen oder durch neue Belastungen, z. B. durch Entwicklungen im Kollegium.

Während die Seite des KÖNNENs individuell gut beeinflussbar ist, ist dem Einzelnen die Gestaltung von Anforderungen und Belastungen nicht ohne weiteres möglich; man kann strukturellen oder inhaltlichen Veränderungen der Aufgaben in der Regel nicht einfach ausweichen. Allerdings hatte man bereits im Vorfeld durch die Wahl des Lehramtes und der Studien- bzw. Unterrichtsfächer einen gewissen Einfluss auf die Art der späteren Anforderungen. Die Aufgaben und Belastungen einer Grundschullehrkraft z. B. unterscheiden sich erheblich von der einer Studienrätin in der Berufsschule.

Durch Fort- und Weiterbildung, Beratung und Supervision (→ Teil 3), durch evaluierte und reflektierte Lebenserfahrung oder durch Optimierung personaler Kompetenzen (→ Teil 2) können durchaus Kenntnisse und Fähigkeiten erweitert und geänderten Aufgaben angepasst werden. Es sollte im eigenen Interesse des Dienstherrn liegen, entsprechende Möglichkeiten anzubieten und geeignete Strukturen dafür zu schaffen. Diese Anpassungsleistung hat jedoch ihre Grenzen, insbesondere wenn sie durch enge zeitliche Vorgaben eingeschränkt wird. Dann drohen Stress und Belastungen infolge qualitativer oder quantitativer Überforderung. Diese Situation wird verschärft, wenn man sich ausgeliefert und ohnmächtig fühlt.

Es gibt jedoch Möglichkeiten zur Entlastung. Ein wesentlicher erster Schritt ist es, mental aus der empfundenen Opferrolle herauszutreten und die Handlungshoheit zurückzuerlangen. Zwar ist Leiden oft einfacher ist als anstrengendes Lernen; dennoch lohnt es sich meist, aktiv gestaltend in das Zusammenspiel von externen Forderungen und individuellen sowie kollegialen Fähigkeiten und Motivationen einzugreifen.

Manche Schieflage lässt sich korrigieren mit Hilfe sozialer Unterstützung, Teamarbeit und Kooperation, mit emotional kontrollierten, konstruktiven oder positiv palliativen Bewältigungsstrategien (→ Kapitel 6.6), durch das Setzen von Prioritäten und Grenzen, mit offener Aussprache und Widerstandsfähigkeit – gegebenenfalls unterstützt von der Personalvertretung

Es gehört zum Gesundheitsmanagement einer Schulleitung und eines Kollegiums, beim Schulprogramm, in der Unterrichtsorganisation, bei der Aufgabenverteilung usw. auch die individuelle und kollegiale Passung von SOLLEN, KÖNNEN und WOLLEN gesundheitsdienlich zu berücksichtigen (siehe dazu KMK-Empfehlung 2012). Ein etablierter Gesundheitszirkel (→ Kapitel 14.3) an der Schule wäre dazu ein hilfreiches Mittel.

Es gibt jedoch auch Konstellationen, bei denen letztlich nur eine weitreichende persönliche Veränderung als Alternative bleibt, z. B. die Reduzierung der Stundenzahl (Teilzeit), die Abgabe von Funktionen, die Versetzung aus einem feindlich gesinnten Kollegium (→ Kapitel 10) oder um einer schikanösen Schulleitung oder einem überfordernden Schulprogramm zu entgehen.

Selbstevaluation: SOLLEN – KÖNNEN

Nehmen Sie sich nun etwas Zeit für eine persönliche Bestandsaufnahme in Bezug auf Ihr SOLLEN und KÖNNEN.

Prüfen Sie für sich und schreiben Sie Ihre Erkenntnisse in Ihr Tagebuch, damit Sie zu einem späteren Zeitpunkt vergleichen können, was sich verbessert hat; das Gedächtnis ist trügerisch.

•Was läuft in meinem Beruf gut, womit komme ich gut klar, was geht mir locker von der Hand?

•Was macht mir zu schaffen? Mit welchen Anforderungen und Belastungen komme ich nur schwer zurecht:

–im Unterricht,

–in der Interaktion mit Schülerinnen und Schülern,

–in der Interaktion mit Kolleginnen und Kollegen, Schulleitung,

–bei Gesprächen mit Eltern,

–im Zeitmanagement, bei der Trennung von Arbeitszeit und Freizeit/Erholung?

•Welche Kompetenzen brauche ich noch? Wo und wie kann ich diese erwerben? Mit wem könnte ich darüber sprechen?

•Zu welchem finanziellen bzw. zeitlichen Aufwand bin ich bereit?

•Was oder wer könnte mir helfen bzw. wer muss beteiligt werden?

•An welcher Stelle könnte ich meine Anforderungen und Belastungen reduzieren? Was muss ich dafür tun und beachten?

KÖNNEN und WOLLEN

Eignung ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für ein gesundheitsdienliches und befriedigendes Arbeitsleben. Es müssen auch noch Motivation für die Tätigkeit und Identifikation mit dem beruflichen Auftrag hinzukommen. Es bedarf eines WOLLENs, das dem KÖNNEN und SOLLEN entspricht.

Hier geht es zunächst um die Balance von KÖNNEN und WOLLEN, d. h. von Zielen und Wünschen einerseits und persönlichen Befähigungen sowie situativen Möglichkeiten andererseits. Dabei gilt der salutogene Grundsatz: »Machbarkeit geht vor Wünschbarkeit!«

Wenn jemand will, was er kann, und kann, was er will, erlebt er seine Tätigkeit als Befriedigung. Motivation entsteht, wenn ein attraktives Ziel oder eine interessante Aufgabe Handlungsbereitschaft wecken und Aktivitäten auslösen. Die Attraktivität kann einerseits durch in Aussicht gestellte, subjektiv wertvolle Belohnungen oder Anerkennung und Wertschätzung entstehen (externe Motivation), andererseits durch die Erwartung, eine Herausforderung meistern, ein Ziel erreichen zu können (intrinsische Motivation). Eine besonders tragfähige und immer wieder erneuerbare Motivation erwächst aus der Erfahrung von Selbstwirksamkeit, d. h. aus der Gewissheit und dem Nachweis, dass das eigene Handeln zu erwünschten Ergebnissen führt, man selbst etwas erreichen, verändern, in Gang setzen kann.

Demotivierend ist es, wenn immer wieder die Erfahrung gemacht wird, dass die eigenen Fähigkeiten oder die verfügbaren Ressourcen nicht genügen, persönliche oder fremdgesetzte Ziele zu erreichen und erfolgreich zu sein – oder trotz Erfolg nicht belohnt zu werden.

Motivation zum Handeln bzw. Nichthandeln entsteht ebenfalls, wenn man unangenehme Situationen und Erlebnisse, erwartete Misserfolge, negative Empfindungen vermeiden oder Gefahren, Bedrohungen ausweichen will. Wir sprechen hier von Vermeidungsmotivation mit Vermeidungsverhalten.

Ein dauerhaftes Ungleichgewicht von KÖNNEN und WOLLEN kann der psychischen Gesundheit schaden. Diesbezügliche Fehlentwicklungen sind z. B. ständige Selbstüberforderung, Selbstausbeutung und interessierte Selbstgefährdung einerseits oder Selbstverwöhnung und Schonung andererseits (→ Abbildung 3).

Selbstüberforderung, Selbstausbeutung und interessierte Selbstgefährdung

Selbstüberforderung oder Selbstausbeutung entsteht, wenn jemand immer wieder von sich selbst mehr verlangt, als er aufgrund seiner Fähigkeiten oder angesichts der Verhältnisse und Ressourcen zu erreichen imstande ist. Bestimmend dafür sind in der Regel Sozialisationserfahrungen und Wertvorstellungen, die inneren Antreiber oder unrealistische Zielsetzungen. Auch ein überverantwortliches Lehrerleitbild kann dazu führen, sich ohne Rücksicht auf sich selbst für Schülerinnen und Schüler einzusetzen und die Wünschbarkeit vor die Machbarkeit zu stellen.

Sofern die Person sich darüber im Klaren ist, dass ihre Wünsche und Ziele letztlich unerreichbare Ideale, Leitvorstellungen und Träume – gleichsam Polarsterne – sind, können sie sehr stark motivieren. In diesem Bewusstsein kann die Person mit Diskrepanzen zwischen IST und SOLL konstruktiv-offensiv umgehen und sie als Herausforderung für eine kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Kompetenzen betrachten.

Gesundheitlich problematisch wird es, wenn durch unrealistische Ziele Selbstüberforderung zu einer kaum noch reflektierten Grundhaltung wird. Auch wer seine energetischen, kognitiven, emotionalen Grenzen nicht kennt oder überschreitet und Misserfolge daraus als persönliches Versagen interpretiert (→ Kapitel 4.2), gerät leicht in einen Sog von gesundheitlich riskanter Selbstausbeutung. Vorsätze können dann nicht mehr relativiert werden, Fehler führen nicht zu Einsicht und Probleme werden nicht zugegeben.

Gefährdet ist ebenfalls, wer – z. B. bedingt durch seine inneren Antreiber – nicht Nein sagen kann. Es entsteht dann leicht ein Teufelskreis von Selbstüberforderung. Man nimmt alles auf sich, kann es aber irgendwann nicht mehr so gut meistern, dass es dem eigenen Anspruch genügen würde, was zu vermehrter Anstrengung führt. Wer dann seine Ziele nicht korrigiert oder Ansprüche nicht reduziert, verschleißt sich auf Dauer selbst. Ständige Enttäuschungen und Erfahrungen von Unzulänglichkeit mindern Zufriedenheit, Erfüllung und Wohlbefinden, führen zu Berufsmüdigkeit und Erschöpfung. Das gilt auch für Personen, die von ihnen nicht veränderbare Umstände nicht akzeptieren wollen, sondern daran verzweifeln. Man muss sich innerlich distanzieren lernen, z. B. von den (auch vermeintlichen) Unzuträglichkeiten und Fehlentscheidungen im schulischen Umfeld, dem Ärger über Kolleginnen und Kollegen, der Sorge, dass Eltern ihre Kinder falsch erziehen oder dem »bildungsfeindlichen« Freizeitverhalten von Schülerinnen und Schülern usw. Sonst wartet eine zermürbende »Verantwortungsfalle«. Diese besteht darin, einerseits zu wissen, dass man derartige – vielleicht nur subjektiv empfundene – Fehlentwicklungen nicht stoppen kann. Andererseits lässt sich das negative Gefühl der eigenen Hilflosigkeit oder der Ärger über die Unzulänglichkeit anderer Personen nicht ohne weiteres abstellen.

Körperliche und/oder psychische Gesundheitsrisiken entstehen auch durch interessierte Selbstgefährdung (Peters 2014). Damit ist gemeint, dass jemand gesundheitlich riskante Zielsetzungen verfolgt oder sich im Dienst einer Sache aufopfert und dabei seine Gesundheit freiwillig aufs Spiel setzt. Gründe für derartiges Handeln sind z. B. Idealismus, die Befriedigung religiöser, ethischer, weltanschaulicher Motive, etwa bei der Hilfe für notleidende Menschen. Nicht selten spielen aber auch Anerkennung, Selbstbestätigung oder Karrierevorteile eine zentrale Rolle. Es ist nicht immer klar zu unterscheiden, ob hinter einer Selbstausbeutung Verantwortungsbewusstsein steckt oder die Suche nach sozialer Anerkennung.

Selbstverwöhnung und Schonung

Den Gegenpol zu Selbstüberforderung stellt die Selbstverwöhnung dar: Jemand könnte eigentlich mehr leisten, als er möchte. Aber er vermeidet es, anstrengende Aufgaben zu übernehmen oder sich für etwas einzusetzen. Die damit geschonten Energien werden in andere Bereiche investiert, z. B. in Sport oder Hobbys oder als Engagement (Profilierung?) in außerschulischen Funktionen.

Selbstverwöhnendes Verhalten kann unterschiedliche Gründe haben, z. B. eine auf Schonung und Minimalismus bedachte Grundeinstellung gegenüber Anstrengung und Leistung. Personen, die es nie nötig hatten, sich für Erfolg und Anerkennung besonders ins Zeug zu legen, haben in ihrer Sozialisation gelernt, dass sie auch ohne größere Anstrengung ihre Ziele erreichen. Auch eine sehr »ökonomische« Weltsicht im Sinne von »Was bringt mir das?« kann zu Zurückhaltung im Engagement führen.

Sofern diese Formen der Anstrengungsvermeidung keine Konsequenzen durch Vorgesetzte, Kollegenschaft oder Kunden haben, stellen sie kaum eine gesundheitsgefährdende Beanspruchung dar; ob sie langfristig zu Berufszufriedenheit führen, ist jedoch fraglich. Anders sieht es aus, wenn sich auf Schonung bedachte Personen nicht (mehr) mit dem Beruf und ihren Aufgaben identifizieren, innerlich gekündigt haben und nur noch das Nötigste tun, um keine tatsächliche Kündigung zu riskieren. Der Eindruck von Schonung kann auch entstehen, wenn sich durch vielfache negative Erfahrungen eine Versagensangst bis hin zu Misserfolgsvermeidung entwickelt hat nach dem Motto: »Nimm dir nichts vor, dann geht auch nichts schief.«

Innere Kündigung und Misserfolgsvermeidung sind in Bezug auf die psychische Gesundheit problematisch. Resignation und Kränkung, mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Angst vor Fehlern und Kritik verhindern zuverlässig Freude und Befriedigung im Beruf. Erfolge und positive Ereignisse werden nicht mehr registriert oder nicht an der eigenen Person festgemacht, sondern dem Zufall zugeschrieben (→ Kapitel 4.2).

Wer also auf Dauer eine gute Balance von KÖNNEN und WOLLEN halten kann, Selbstwirksamkeit erlebt, aus Misserfolgen und Fehlern lernt, seine Grenzen kennt und respektiert, dürfte vor Selbstausbeutung oder Selbstverschleiß einerseits und Selbstschonung andererseits geschützt sein.

Selbstevaluation: KÖNNEN – WOLLEN

Nehmen Sie sich erneut etwas Zeit und machen Sie in Bezug auf KÖNNEN und WOLLEN eine bilanzierende Bestandsaufnahme. Prüfen Sie, am besten zusammen mit einem kritischen Freund oder Kollegen, in welchen Bereichen Sie in Gefahr sind, sich selbst zu überfordern/auszubeuten oder ausbeuten zu lassen. Gibt es daneben auch Bereiche, in denen Sie zu Schonung und Anstrengungsvermeidung neigen?

•Was sind meine Ziele für die nächste Zeit – kurz- und langfristig, welche Erwartungen habe ich an mich selbst?

•Welche Erfahrungen von Selbstwirksamkeit habe ich in meiner Arbeit mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, Kolleginnen und Kollegen usw. gemacht? Worin bestehen meine Erfolgserlebnisse?

•Könnte ich noch mehr erreichen, wenn ich mich mehr engagiere?

•Helfen mir die gegebenen Bedingungen dabei, meine Ziele zu erreichen? Welche Widerstände gibt es?

•Gibt es Anzeichen dafür, dass ich mich selbst überfordere, etwa durch

–meine Lebensziele,

–meine inneren Antreiber,

–interessierte Selbstgefährdung,

–extreme emotionale Reaktionen auf Misserfolge?

•In welchen Bereichen muss ich etwas kürzer treten, Aktivitäten zurückfahren, Nein sagen, Grenzen setzen?

•In welchen Bereichen brauche ich mehr Geduld mit mir selbst?

•Wo sollte ich mich in der Schule mehr einbringen?

SOLLEN und WOLLEN

Selbst wenn Eignung und Motivation in ausreichendem Maß vorhanden sind, stellt sich die Frage, ob eine Person nicht nur kann, was sie will, sondern auch will, was sie soll.

Bei dem Verhältnis von SOLLEN und WOLLEN geht es um die Identifikation mit dem Arbeitsauftrag, mit den Bedingungen, unter denen er ausgeführt werden muss, sowie mit dem Arbeitgeber. Auch hier gilt: Wer seinen Beruf und was damit zusammenhängt gern ausübt, Befriedigung, Erfolg, soziale Unterstützung, Anerkennung erfährt, dürfte in einem weitgehend konfliktfreien Einklang mit den beruflichen Anforderungen stehen. Ob er die damit verbundenen Belastungen positiv bewältigen kann, bleibt allerdings offen. Die meisten der im Projekt »Lehrergesundheit Rheinland-Pfalz« befragten frühpensionierten Lehrkräfte (Heyse u. a. 2004) waren hoch engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die aber den Belastungen, z. B. durch unzureichende innerschulische Arbeitsbedingungen sowie Konflikte im Kollegium oder mit der Schulleitung, mit Schülerinnen und Schülern sowie Eltern, nicht mehr gewachsen waren.

Zu problematischen Unstimmigkeiten zwischen SOLLEN und WOLLEN kann es kommen, wenn man sich bei der Berufswahl nicht hinreichend über die spätere Tätigkeit informiert hatte und eigentlich etwas anderes erwartet, als der Beruf tatsächlich verlangt. Lehrerin oder Lehrer sein sieht aus der Perspektive eines Schülers anders aus als für eine Lehrkraft selbst. Auch Hierarchie- und Beziehungsprobleme im Kollegium können zu motivationalen Verwerfungen führen, ebenso wie Differenzen in Wertvorstellungen und unterschiedliche Interpretationen des Bildungs- und Erziehungsauftrags. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten etwa darüber, was guten Unterricht ausmacht oder wie der Lehrplan zu verstehen ist, sind durchaus geeignet, Motivation und Identifikation handlungsrelevant einzuschränken und eine innere Kündigung zu begünstigen.

Der Fokus soll hier auf zwei gegensätzliche gesundheitsbedrohliche Fehlentwicklungen gelegt werden: Die Verabsolutierung des Berufs einerseits und die Ablehnung von Arbeitsauftrag, Arbeitsbedingungen und/oder des Dienstherrn und seiner Vertreter andererseits.

Überengagement

Problematisch ist, wenn jemand nur noch für seinen Beruf lebt. Wer sich vorwiegend über Leistung und Erfolg definiert, sein Selbstbewusstsein, seine Selbstbestätigung aus der optimalen Erfüllung des beruflichen Auftrags bezieht, ist in seiner psychischen Stabilität gefährdet, wenn es im Arbeitsalltag einmal nicht so gut läuft. Er riskiert darüber hinaus, in seinen sozialen Kontakten und Beziehungen zu vereinsamen, die sogenannte Work-Life-Learn-Balance zu verlieren und emotional zu verkümmern. Eine suchtähnliche Abhängigkeit von der Arbeit liegt dann nicht weit.

Innere Kündigung

Mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages[8] sind in der Regel beiderseitige unausgesprochene Erwartungen verbunden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten vom Arbeitgeber und seinen Vertretern z. B. ein bestimmtes Maß an Unterstützung, Anerkennung und Gratifikation für Leistung, dazu kooperative Führung, Vertrauen, Fürsorge, Schutz, Solidarität, Fairness und Rücksicht auf private Belange. Weiterhin rechnen sie mit materiellen, organisatorischen und sozialen Arbeitsbedingungen, die der Erfüllung des Arbeitsauftrages zumindest nicht entgegenstehen und die Gesundheit nicht gefährden.

Der Arbeitgeber seinerseits setzt Einsatzfreude, Loyalität, Engagement, Leistungsmotivation, (gelegentliche) Mehrarbeit, Identifikation mit ihm, dem Betrieb und der Arbeit voraus. Man nennt diese beiderseitigen unausgesprochenen bzw. unbewussten Erwartungen auch den »psychologischen Arbeitsvertrag«.

Nun kann der Arbeitnehmer den Eindruck gewinnen oder vielleicht sogar nachweisen, dass der Dienstherr diese Erwartungen nicht erfüllt oder gar missachtet. Das dürfte passieren, wenn Erschwernisse bei den Arbeitsbedingungen eingeführt werden oder die Erwartungen des Arbeitsgebers an Leistungsumfang und -qualität maßlos werden. Auch die Beschränkung von Befugnissen, mangelnde Wertschätzung, Benachteiligungen, negative Qualifikationsbilanz (ungleiche Besoldung bei gleicher Arbeit – oder gleiche Besoldung für ungleiches Engagement) usw. können dies bewirken.

Man hat mehrere Möglichkeiten, auf so etwas zu reagieren, etwa Protest (ggf. mit Unterstützung der Personalvertretung), vermehrte Anstrengungen, um das Wohlwollen des Arbeitgebers wiederzugewinnen oder weil es das berufliche Ethos gebietet. Wenn das alles nicht die erwünschte Wirkung erzielt oder die Kräfte erschöpft sind, kann dies am Ende zu innerer Kündigung führen: Der Arbeitnehmer schränkt seine Tätigkeit auf das unumgänglich Notwendige ein. Er will dem Arbeitgeber keinen Grund zur rechtswirksamen Kündigung/Entlassung geben, ihm aber auch nicht mehr als unvermeidbar nutzen. Auf innere Kündigung zieht eine Person sich dann zurück, wenn eine tatsächliche Kündigung seitens des Arbeitnehmers extrem schwierig ist, z. B. bei Beamten, oder wenn es ohne weiteres keinen alternativen Arbeitsplatz gibt.

Zu innerer Distanzierung kann es auch kommen, wenn jemand sich über das verlangte Maß hinaus für die Schule einsetzt, sich z. B. für besonders schwierige Schülerinnen und Schüler engagiert, offene Unterrichtsformen praktiziert oder neue Wege in der Elternarbeit geht, dafür aber nur Unwillen und Unverständnis der Kollegenschaft, der Schulleitung, anderer Eltern oder sogar Undank des Dienstherrn erntet. Sein Engagement wird dann unter Umständen als Störung empfunden. Aus Enttäuschung darüber wird er verbittert und resigniert aufgeben – es sei denn, er wird von einer dritten Instanz, z. B. dem (Ehe-)Partner, unterstützt oder kann auf andere Energiequellen und Anreize zurückgreifen, z. B. humanitäre, ideologische, religiöse Werterfüllung.

Fazit

Menschen, die können, was sie sollen, wollen, was sie können und sollen, und – zumindest in Grenzen – dürfen, was sie wollen, haben in der Regel wenig Probleme mit psychischer Gesundheit. Darauf können jeder für sich, ein Kollegium gemeinsam für die eigene Schule und ein Dienstherr für die Institution Einfluss nehmen.

Selbstevaluation: SOLLEN – WOLLEN

Sie haben bei der Lektüre dieses Kapitels vielleicht darüber nachgedacht, was Sie gern verändern möchten/sollten. Schreiben Sie auf, was Ihnen dazu eingefallen ist; machen Sie sich eine Wunschliste Ihrer Veränderungen. Wir werden später darauf zurückkommen und mit Ihren Vorsätzen und Ideen weiter arbeiten.

•Wie steht es mit meiner Einstellung zum Beruf? Bin ich (noch) überzeugt, die richtige Berufswahl getroffen zu haben? Bereue ich, Lehrerin oder Lehrer geworden zu sein?

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9783035506495
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