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Читать книгу: «Zwei Novellen», страница 5

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Die Richter

»Na, Kollege, heute ist Sedan, da wollen wir Schluß machen,« sagte der Amtsrichter Sonntag zu seinem Referendar, klappte die Schiedsmannsprotokolle, bei deren Prüfung er war, zu, griff nach Hut und Stock und verließ mit dem andern das kühle Amtszimmer. Sie schritten die Treppe hinab. Unten stand der Gerichtsdiener, zu Ehren des Tages mit zwei Medaillen und der Dienstschnalle geschmückt.

»Wenn was passiert, Reinecke, schicken Sie zu mir, Sie wissen schon.«

Und damit schritten die beiden Herren aus dem Torweg und schwenkten zunächst, wie jeden Mittag, auf den freien Platz neben dem Gerichtsgebäude ab. Sie traten an die Brüstung der rings herumgehenden Balustrade und schauten von der beträchtlichen Höhe auf das weite und eigne Bild, das sich ihnen bot. Zu ihren Füßen rankte sich wilder Wein die Zyklopenmauer hinan, dessen Wurzeln sich unten in ein ganzes Gebüsch von Hecken, Flieder und Weißdorn verloren. Grünes Vorland breitete sich bis zur Elbe, die in träger Ruhe, hier und da von einer Buhne eingeengt, das flache Land durchströmte. Geradeaus ging der Blick über ein, zwei Dörfer mit roten Dächern bis nach einem Marktflecken, dessen Doppelturm auf der Kirche weithin ein Wahrzeichen der Gegend bildete. Rechts aber, von dem hohen Gerichtshügel durch eine tiefe Schlucht getrennt, dehnte sich das Städtchen aus, wunderlich gewachsen und geworden im Sturm der Jahrhunderte, die es aus einer mächtigen Residenz zu einem stillen Hafenplatz gemacht hatten. Alte Türme und Tore unterbrachen die Reste der dicken Stadtmauer, neben der längs des Flusses und des bescheidnen Hafens ein hübscher Spazierweg lief. Keines der Bürgerhäuser hob sich durch Größe oder Glanz aus den andern heraus, und nur wenn ein Windstoß die breiten, dunkeln Rauchschwaden von einer der beiden landeinwärts gelegenen Fabriken nach Westen hinüberführte, wurde man inne, daß an Stelle des längst hingegangnen Treibens toter Mächte auch hier eine neue Lebenskraft sich Raum geschaffen hatte.

In hellen Gedanken sahen der Richter und sein junger Gehilfe oder Lehrling in den klaren Herbsttag hinaus, überall war die Ernte schon eingebracht, so daß der Eindruck der vollkommnen Ebene ihnen so deutlich wie selten entgegen kam. Mit doppelter Schärfe hoben die Gehöfte drüben sich ab, und durch die herbstlich dünne Luft kam der Klang der Glocken und der Schuß einiger Böller aus dem Nachbarstädtchen nachschwingend bis hierher herüber.

Noch in ein amtliches Gespräch vertieft, schritten die Herren an der Vorderseite des Berges die Straße hinab durch zwei alte Tore in die Stadt hinein und fanden sich bald am gewohnten Stammtisch dem Frühschoppen im üblichen Kreise gesellt.

Der Richter ging nach Hause. Der Referendar blieb im Gasthof, um dort gleich sein Mittagessen zu verzehren, und saß bei einer Zigarre am Fenster, als der Amtsrichter schon wieder zu ganz ungewohnter Stunde erschien.

»Kollege, wir müssen wieder ʼrauf. Es geht wie immer. Wochenlang gar nichts und dann gerade an so ʼnem Tag wird man gestört.«

Der junge Mann war schon draußen, an der linken Seite des Vorgesetzten. In der Flur des Gerichts stand Reinecke, dem der Richter zurief:

»Nur gleich vorführen!«

Oben setzten sich die beiden zurecht, der Referendar legte sich einen Aktenbogen hin. Da tat sich auch schon die Tür auf und der Vagabunde, den man aufgegriffen hatte, wurde vom Gerichtsdiener hereingeführt.

Von dem Gesicht des Mannes war so gut wie nichts zu sehen. Was ein ungepflegter, schütterer Bart nicht verdeckte, war gewissermaßen in sich zusammengekrochen, wie die ganze Gestalt in ihrem verschossenen, alle Spuren einer langen Wanderung tragenden Rock in sich zusammengeschrumpft war. Mit einem gewissen Befremden sah der Amtsrichter nur auf die Hände, die aus dem schmutzig-grauen Rock mehr herausfielen, als sich herausstreckten. Es waren feine, schlanke Hände, denen auch die dick emporquellenden Adern nichts von dem Eindruck vornehmer Körperlichkeit nahmen.

Der Referendar hielt schon lange die Feder über dem Papier und sah den Amtsrichter fragend von der Seite an. Der fuhr sich mit einer seinem Untergebenen wohlbekannten Bewegung links und rechts über die Stirn und fragte zunächst den Diener, der sich im Hintergrunde hielt:

»Wo haben Sie den Mann gefunden?«

Reinecke nahm die Hacken zusammen und antwortete:

»Bei den Steinlegener Tannen hat ihn der Gendarm aufgegriffen; er hatte keine Papiere.«

Nun wandte sich Sonntag an den Vorgeführten selbst:

»Wie heißen Sie?«

Keine Antwort.

Der Richter fragte den Gerichtsdiener:

»Hat der Mann dem Gendarm etwas geantwortet?«

»Soviel ich weiß, nein.«

»Vielleicht ist er kein Deutscher und versteht uns nicht,« meinte der Amtsrichter und wiederholte die Frage in englischer Sprache.

Wieder kam keine Entgegnung, aber es flog wie ein leises Zucken um die Augen des Landstreichers.

Der Amtsrichter fragte wieder:

»Ne voulez-vouz pas dire votre nom?«

Es war in dem ungeübten, falsch betonten Französisch eines kleinstädtischen Juristen gesagt, der die Schulbank längst abgesessen hat.

Das Zucken in den Mienen des Landstreichers wiederholte sich, strich in leisen Linien bis zum Mund herunter, wurde hier fast ein Lächeln, und nun ertönte in tadellosem Französisch die Antwort:

»Monsieur, je vous prie le deux mots entre nous seuls.«

Der Gerichtsdiener hatte nichts verstanden und starrte nur höchst erstaunt auf den herabgekommenen Mann, der diese fremde Sprache gebrauchte, von der er selbst nur eben noch den Klang aus seiner Kriegszeit im Ohr hatte. Der Referendar hatte hoch aufgehorcht, der Richter sann auf eine französische Antwort. Es war eine lautlose Stille, in den Sonnenstreifen, die durch das Zimmer fielen, tanzten die Stäubchen, aus der benachbarten Gerichtsschreiberei hörte man das Kratzen einer emsigen Feder wie ein lautes Geräusch.

Da geschah etwas Seltsames. Durch die Gestalt des Mannes vor dem Richtertisch ging ein Zucken, ein plötzliches Aufraffen. Er schien zu wachsen, wie er in dem schlottrigen Rock die Schultern hob, die Brust reckte; die Augen, bisher niedergeschlagen, strahlten auf, zwei braune Sterne, deren Glanz freilich durch das Leben matter geworden schien, aber doch von großer Schönheit. Die Hände, bisher schlaff, strafften sich, die Rechte tastete am Rock empor bis zum Aufschlag, aus dem der Richter jetzt mit Erstaunen ein Bändchen, wie ein verblichenes Ordenszeichen schmal hervorschauen sah. Sonntag beugte sich unwillkürlich vor – da sprach der Mann laut und deutlich, mit einer doppelt so scharfen Stimme schienʼs wie vorher die französische Phrase:

»Herr Sonntag, könnte ich Sie nicht ein paar Minuten ohne den Kollegen (sein Blick flog zu dem Referendar) sprechen?«

Die Stille war gebrochen, der Gerichtsdiener trat von einem Fuß auf den andern, eines Befehls zur Abführung gewärtig, der Referendar schob seine Papiere geräuschvoll durcheinander, nur der Richter starrte, keines Wortes fähig, dem Manne vor ihm in das nun so lebhafte Gesicht. Wieder fuhr er sich mit beiden Händen über die Stirn nachdem Scheitel hinauf, aber ehe er noch ein Wort hätte antworten können, hatte der Landstreicher irgendwoher einen schmierigen Zettel aus der Tasche gezogen, vom Pult des Referendars einen Bleistift genommen, ein paar Worte geschrieben und dem Richter das Blättchen überreicht.

Ohne eine Bemerkung nahm Sonntag und las. Ich heiße Cornelius, stand auf dem Blatt geschrieben.

Der Richter sah auf, sah in den Schimmer der Augen dieses Schreibers hinein, überlegte einen Augenblick und sagte dann sehr bestimmt:

»Reinecke, führen Sie den Mann wieder ab. Es ist doch jetzt nichts aus ihm herauszubekommen, führen Sie ihn morgen um halb neun, vor der Grundbuch-Sitzung, wieder vor.«

Im nächsten Augenblick hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen, und der Referendar fragte:

»Was soll ich schreiben?«

Der Richter, der den Zettel irgendwo eingesteckt hatte, antwortete:

»Lassen Sie es ganz, lieber Driesen, der Mann war heute vielleicht durch Hunger oder Ermüdung nicht ganz zurechnungsfähig, wir machen morgen eine ordentliche Aufnahme.«

Die Juristen gingen den Weg zurück, den sie vor kurzem heruntergekommen waren. Gegen sieben Uhr stieg Amtsrichter Sonntag, zum drittenmal heute, die Straße zum Gerichtsgebäude empor und klopfte bei dem Gerichtsdiener.

»Reinecke, ich möchte ʼmal das Gefängnis revidieren.«

Der Diener nahm eine Laterne und führte den Richter von Zelle zu Zelle. Es war ein kleines Gefängnis mit wenig Insassen, in der einen Zelle eine Frau, die eine kurze Gefängnisstrafe verbüßte und der man ihr Kind, das sie nährte, mitgegeben hatte, in der andern ein paar wegen Bettelns aufgegriffene Männer, zwei standen leer, in der letzten endlich saß der rätselhafte Mann von heute nachmittag nachdenklich auf einer Pritsche. Als der Schein der Laterne durch den fast ganz dunklen Raum ihm ins Gesicht fiel, erhob er sich, sah den Richter ruhig an und vernahm anscheinend ohne Erstaunen, daß dieser den Diener hinausgehen hieß und die Tür hinter Reinecke schloß.

Die Männer standen sich allein in der engen Zelle gegenüber. Dem Amtsrichter wurde es schwer zu beginnen; aber schließlich sagte er stockend:

»Sind Sie Eduard Cornelius?«

»Ja, ich bin der vormalige Amtsrichter Eduard Cornelius; ich sehe, Sie entsinnen sich meiner noch, wir waren ja zusammen Referendare in Naumburg.«

Sonntag nickte.

»Das war kurz nach dem Kriege.«

Er machte eine Bewegung nach dem Bändchen am Rock des andern hin, das ehemalige Schwarzweiß leuchtete jetzt unter dem Strahl der Laterne deutlich hervor. Lächelnd faßte Cornelius nach dem kleinen Ehrenzeichen, lächelnd ließ er die Hand wieder fallen.

»Wie kommen Sie hierher?« begann Sonntag wieder, und mit demselben ruhigen Lächeln erwiderte ihm der andere:

»Haben Sie eine halbe Stunde Zeit? Dann will ichʼs Ihnen erzählen.«

Amtsrichter Sonntag überlegte einen Augenblick. Aber sein menschliches Interesse siegte über das Gefühl korrekter Amtspflicht. Er schickte den Gerichtsdiener fort mit dem Geheiß, ihn nach einiger Zeit abzuholen, setzte sich neben den Gefangenen auf die Pritsche, und jener begann:

»Als wir zusammen in Naumburg waren, hatte ich, wie Sie wissen, eben den Krieg mitgemacht. Gestern vor zwanzig Jahren stand ich bei Sedan als Vizefeldwebel in einem Infanterie-Regiment. In der letzten Stunde der Schlacht wurde ich schwer verwundet, blieb liegen, an einer einsamen Stelle. Ich hatte das Glück, dicht neben mir einen kleinen Bach rauschen zu hören, konnte meinen Durst löschen und wurde so – mein Brotbeutel war leer – vor dem Verschmachten bewahrt. Aber der Platz war so abgelegen, daß man mich später nicht fand. Ambulanzen gingen ein paar hundert Schritt an mir vorbei, mein Rufen wurde nicht gehört, und ein paar Erlen entzogen mich jedem Blick. Fortschleppen konnte ich mich aber nicht, da meine Wunde im linken Bein bei jeder Bewegung zu stark schmerzte, zu sehr blutete. Ich war nicht fähig, mich zu erheben.

Am 3. September lag ich sehr entkräftet, schauernd in der Abendkühle da, als sich Schritte näherten. Ich war so erschöpft, daß ich die Augen zunächst nicht öffnete, aber unwillkürlich lauschte ich der Unterhaltung zweier Männer mit einer Frau. Man hielt mich zunächst offenbar für tot, und der eine Franzose riet, mich einfach liegen zu lassen. Der andere aber neigte sich über mich, ich riß mich aus meiner Betäubung los und sagte ihm leise: »Je ne suis pas mort, je ne suis que blessé.« Er fuhr zurück, murmelte etwas zu seinen Begleitern, wie ich jetzt sah, einem Herrn und einer Dame, und alle drei entfernten sich ohne ein weiteres Wort. Die Anstrengung des Sprechens und die Spannung des Augenblicks hatten mich völlig entkräftet, ich muß wohl in eine tiefe Ohnmacht gefallen sein, jedenfalls empfand ich meine Existenz erst wieder, als ich in einem kleinen und sauberen Zimmer erwachte. Mein erster Blick fiel auf ein Bild über dem Fußende meines Bettes – es war der Napoleon von Delaroche mit seinem Blick, der für mich immer etwas Bannendes gehabt hat. Ich wußte also, daß ich in einem französischen Hause war. Nach einer Weile kam ein Herr herein, in dem ich denselben erkannte, der sich am Bach über mich gebeugt hatte. Er stellte sich vor, mit spröden, aber nicht unfreundlichen Worten, es war ein Weingutsbesitzer. Er war der einzige Mensch aus dem Hause, den ich all die Zeit über zu sehen bekam, die vollen drei Wochen hindurch, die ich im Bett verbringen mußte. Ab und zu kam ein Arzt, sah nach meiner Wunde und verband sie, so oft es nötig war, aufs neue. Sie heilte vollkommen, aber mein Bein blieb zunächst so schwach, und der Blutverlust war so stark gewesen, daß ich den Boden des französischen Hauses, der mir unter den Füßen brannte, nicht ohne Lebensgefahr verlassen durfte. Meine Angehörigen hatte ich vom Bett aus unterrichtet, mich bei meinem Regiment gemeldet und Befehl erhalten, sobald es der Arzt erlaubte, nach Versailles zu meiner Truppe abzugehen.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
50 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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