promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Die Göttinnen», страница 9

Шрифт:

"Das ist beleidigend," bemerkte die Blà. "Sie können die Gesellschaft verklagen, Fürstin."

"Wenn ihnen vierundsechzig zu viel ist, warum sagen sie erst, dass sie Personen bis zu fünfundsechzig aufnehmen? Oder ob…"

Die Stimme der Greisin zitterte plötzlich.

"Oder ob sie doch eine Krankheit in nur entdeckt haben? Was meinen Sie dazu, Herzogin?"

"Das ist unwahrscheinlich, bei Ihrer Lebenskraft."

"Nicht wahr? Ach was, ich bin ja gesünder als Sie! Mit Seiner Hilfe!"

Sie schielte nach oben und murmelte, sich bekreuzigend, etwas Unverständliches.

Die Pensionäre, die den Salon betreten wollten, wichen beim Anblick der fürstlichen Gesellschaft scheu von der Schwelle zurück. Nur ein junger Mann drang, zwischen den Zähnen pfeifend, ein und verbeugte sich leicht. Vinon hob unverschämt ihr Lorgnon vor die Augen, Lilian übersah ihn, und die Cucuru rief schallend: "Guten Tag, mein Sohn!" Darauf nahm er drüben Platz und langte nach einer Zeitung. Zwei Finger am Bärtchen, sah er mit einem zerstreuten Senkblick seiner weichen, schwarzen Augen nach der Herzogin aus; dann nach der Blà, und dann unentschieden hin und her zwischen beiden Damen. Schließlich überzeugte er sich, prüfend geneigten Hauptes, von der Lage seiner übergeschlagenen Beine und dem Sitz seiner zur Hälfte mattgelben, zur andern Hälfte schwarz lackierten Schuhe. Er war der elegante Herr der Pension, der im Klub speiste und mit dem wohlfeilen Frühstück des Hauses Dominici nur nach Nächten vorliebnahm, in denen er schlechte Karten gehabt hatte. Er ward von den Gästen bewundert, die allein reisenden Engländerinnen schwärmten für ihn. Vinon Cucuru behandelte ihn mit gewollter Verachtung, doch gelang es ihr nicht, über ihn zu lachen.

Ihre Mutter schlug die Herzogin auf die Knie.

"Übrigens, Herzogin, haben wir Zwei sehr viel Ähnlichkeit miteinander! Beide kein Geld, und beide aus den höchsten Kreisen. Mein Vermögen hat der Fürst, mein armer Mann, an die Komödianten verschenkt, na und auch mit Ihnen ist Komödie gespielt. Eine Revolution, ist das keine Komödie? Haha! Wie sind Sie nur darauf verfallen? Wozu dient so etwas?"

"Zur geselligen Unterhaltung, Fürstin," sagte die Herzogin und lächelte der Blà zu, die es nicht bemerkte. Ihre Lippen waren leise geöffnet, sie hing mit fieberndem Ausdruck an der Gestalt des Fremden. Er wandte ihr zu bequemer Betrachtung sein Profil zu. Es war ein griechisches Profil, mit bläulich schwarzen, seidenen Haaren auf Wangen und Kinn. Auch die Herzogin hielt ihn für einen schönen Mann, einen von den sehr südlichen, auf deren Händen und Gesicht trotz aller Beräucherung durch Zigarettendampf, Absinthdünste und heiße menschliche Ausströmungen in Spiel- und Weiberhäusern, doch unverwüstlich ein Rest liegen bleibt von dem durchsichtigen Marmorglanz der auf ihrer Heimatserde erwachsenen Götter. Aber konnte solche bezaubernde und leere Maske, dargeboten in selbstgefälligen Allerweltsposen, eine Frau, klug, fein und spöttisch wie die Blà, in krampfhaftes Schweigen versenken?

"Eine teure Unterhaltung!" schrie die Cucuru. "Endet damit, dass Ihre Partner Ihnen alle Taschen ausleeren und Ihnen die Tür vor der Nase zu machen. Plötzlich sehen Sie sich im Freien — und lachen noch?"

Die alte Dame ward von Wut bemeistert.

"Wie können Sie noch lachen bei solchen Schurkenstreichen. Ah! Die Schurken! Mit mir sollten sie's zu tun haben, anstatt mit einem Dämchen! Was ich für einen Lärm machen wollte und was für ein Leben! Leben! Bewegung! Hetzen wollte ich sie, die Diebe meines Geldes! Der Himmel sollte sie verschütten und die Erde sie verschlingen! Ich werde es nicht dulden, Herzogin, dass Sie sich beruhigen! Statt Ihrer werde ich selbst den Räubern auf den Buckel springen, sie kratzen und ihren Klauen entreißen, was ich bekommen kann. Haha, verlassen Sie sich darauf, ich werde etwas bekommen! Ich werde…"

Plötzlich stürzte Pavic ins Zimmer, rosig gefärbt und fast verjüngt. Er rief aufgeregt:

"Etwas Wichtiges, Hoheit. Endlich finde ich Sie. Ein großes Glück für uns, eine sichere Aussicht … Ja so, Piselli, woher kommen denn Sie?"

Der elegante, junge Mann trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Pavic hatte ihn auf dem Korso kennen gelernt, in irgendeinem Kaffeehause, unter den Genossen des müßigen Lebens, zu dem er jetzt selber verurteilt war. Er stellte ihn der Herzogin vor:

"Herr Orfeo Piselli, ein Kollege, ein ausgezeichneter Advokat … und auch ein Patriot."

Während Piselli seine geschmeidigen Verbeugungen machte, überstürzte Pavic seine Worte.

"Ich komme nämlich von San Bacco, ich habe mit ihm eine Konferenz gehabt, er lässt Ihnen offiziell sagen, Frau Herzogin, dass er bereit ist, mit tausend Garibaldianern in Dalmatien einzufallen. Der Erfolg ist gar nicht zweifelhaft. Alles ist gerüstet, die Tausend warten bloß auf das Zeichen. Wir müssen noch Schiffe mieten, dann kann es losgehen. Nehmen Sie an, Hoheit, nehmen Sie an! Diesmal ist der Sieg unser … Lauter erprobte Helden…"

Er redete umso nachdrücklicher, je ungläubiger die Mienen seiner Hörerinnen wurden. Noch stand er unter dem Sturzbad von Begeisterung, das erst eben, ganz frisch, von einem ritterlichen Schwärmer über ihn ausgeschüttet war. Er fühlte es noch sprudeln, er wollte begeistert sein, — und insgeheim bangte ihm dennoch schon vor der Ernüchterung. Piselli fiel ihm ins Wort, säuselnd, mit einschmeichelndem Baryton.

"Diesmal, Herzogin, gehört der Sieg Ihnen! Nehmen Sie an, ich kann es kaum erwarten, — ah, was spreche ich von mir; die ganze idealistische Jugend kann es kaum erwarten. Wir alle wollen den großen Kampf mitkämpfen, Herzogin, für ein Lächeln von Ihnen. Wenn Sie wüssten, wie unser aller Herzen für Sie schlagen, und wie sie geblutet haben bei Ihrem Unglück! Jetzt endlich naht die große Stunde, jetzt endlich verbündet sich Ihre Hoheit und Anmut mit unserer Begeisterung und unserer Kraft. Der unwiderstehliche Zauber des Namens der Tausend von Marsala wird vor Ihren Fahnen hergehen, als ein Schicksal, dem alle sich beugen. Sie siegen … und wir … wir…"

Er ließ seinen glücklichen Blick unter den Damen kreisen. Es lag ihm fern, sein Organ anzustrengen. Nur ganz oberflächlich spielte er mit dem ausschweifenden Gefühl, das in des Tribunen Stimme sich überschlagen hatte, und ließ ruhigen Mutes merken, es sei ein Spiel. "Ich führe mich Ihnen vor," schien er zu sagen. "Meine Damen, ist das nicht genug?"

Die Herzogin erlaubte ihm mit seinen Wohlklängen fertig zu werden; sie fand ihn angenehm vor Augen zu haben. "Er ist ein wohlgeratener Mensch," dachte sie, "und hat recht, wenn er mit sich zufrieden ist." Wegen des Planes, den man ihr vortrug, hatte sie keine Bedenken. Sie fragte achselzuckend die Blà um Rat. Doch ihre Freundin kam nicht los von Piselli. Sie sah aus, als verursache sein Anblick ihr einen körperlichen Schmerz, der sie beselige.

Aber die Cucuru brach los; ihre Stirn war schon lange gerötet.

"Hört ihr endlich auf mit eurem Unsinn? Mit euren tausend lächerlichen roten Hemden wollt ihr ein Königreich erobern, das Soldaten hat? Ihr meint wohl, es gehe überall wie in Neapel: alle Welt bestochen und alles im Voraus abgemacht, Kanonen mit Blumen gefüllt und mit Knallbonbons, und von den Mauern reichen schöne Mädchen den Stürmenden die Hände. Nicht wahr, so denkt ihr's euch. So denkt ein Narr wie San Bacco sich das Leben. Auch einer, den die Komödie all sein Geld gekostet hat. Patriotismus und Freiheit, welch' alberne Komödientitel!"

Sie stieß, außer sich bei dem Gedanken an all das für Ideale verschwendete Geld, mit der Krücke nach der Herzogin, die zusammenschrak.

"Geht ihr nur mit euren tausend Hampelmännern nach Dalmatien! Nichts wird dabei herauskommen, nichts, als dass man euch auch noch euer letztes Geld wegnimmt, falls ihr noch ein letztes habt! Und nichts werdet ihr wiederbekommen, gar nichts, gar nichts, gar nichts!"

Plötzlich saß sie da wie gelähmt. Der Mund blieb offen stehen, die Zunge lag dick aufgerollt zwischen den Zähnen. Sie hatte mitten im Sprechen, eine Eingebung gehabt, die sie überwältigte. Nach einer Weile ängstlichen Wartens sah man die alte Dame das Gebiss schließen und sinnend vor sich hinmurmeln.

Die Herzogin und die Blà verabschiedeten sich. Piselli hatte wieder zu sprechen begonnen. Er rühmte seine Beziehungen zu der vornehmen Jugend und nannte die stolzesten Namen.

"Alle diese Herren sehe ich täglich im Klub. Mit vielen habe ich schon von Ihrer Sache gesprochen, Herzogin. Ich kann unendlich viel für Sie tun. Die Damen kennen sicher den Prinzen Maffa. Das ist mein Freund…"

Bei der Erwähnung dieses Namens hörte man ein dumpfes Aufstöhnen. Lilian Cucuru entfernte sich ohne ein Wort. Piselli ließ sich dadurch nicht stören. Jede Wirkung seiner Persönlichkeit war ihm recht; nur wirken musste sie. Er ging mit Pavic hinter den beiden Frauen her. Draußen atmete er im Nacken der Blà und redete nur für sie. Der Instinkt des berufsmäßigen schönen Mannes hatte ihm längst gesagt, wo das Weib sei.

Sie fasste sich. Sie lächelte ihm über die Schulter zu, ihre Augen bekamen einen künstlichen Glanz, wie von Atropintropfen. Sie gab ihren Geist zum Besten, und Piselli wand sich vor Bewunderung.

"Contessa, ich habe Ihre Gedichte gelesen. Welch Schmelz, welch Blütenstaub! Ach, die Gefühle! Wer kennt nicht Ihre ,Schwarzen Rosen'? Sie, sind eine Berühmtheit, Contessa. Ein Verehrer mehr oder weniger, der Ihnen einige Minuten raubt, was macht Ihnen das. Ich darf Sie besuchen, Contessa? Sie gestatten es?"

Die Herzogin sagte:

"Ich weiß nicht, die Cucuru hat etwas Pittoreskes, von gemeiner Ängstlichkeit ist sie weit entfernt. Möglichenfalls wäre sie zu manchen ungewöhnlichen Handlungen fähig. Sie sagt mir beinahe zu."

Kaum war die Haustür hinter den Besuchern geschlossen, so wurden Lilian und Vinon von der Mutter in das Wohnzimmer der Familie geschoben. Sie riegelte ab und humpelte in die Mitte des Gemachs. Ihre Gestalt verbreiterte sich seltsam nach unten ! ihr Fett hatte die Neigung, in gewellten Klumpen herabzurutschen, von den Wangen auf den Hals, vom Hals auf den Busen, vom Busen auf den Bauch und vom Bauch auf die Beine. Den Stock entlang, an dem die Alte sich aufrecht erhielt, wollte es scheinbar hinabfließen, um auf dem Boden einen Brei zu bilden. So stand die Fürstin, schnaufend und heiter äugelnd, vor ihren hohen blonden Töchtern.

"Was ist denn?" fragte Lilian kurz.

"Kinder, ich habe ein neues Geschäft!"

Vinon jubelte hell auf:

"Maman hat ein Geschäft!"

Lilian erklärte verächtlich:

"Maman, du machst dich lächerlich. Eben erst hat dich eine Versicherungsgesellschaft zum besten gehalten, und du bist noch nicht zufrieden?"

"Die Schurken von der Versicherung, mit denen bin ich fertig. Sie werden es übrigens bereuen. Jetzt bin ich in der Lage, wichtige politische Dienste zu leisten, die man mir hoch bezahlen wird. Davon errichte ich dann eine Pension."

"Und wirst hundert Jahr alt. Kennen wir."

"Hört doch nur zu, Kinderchen, ich bitte euch. Vorhin meinte ich, dass bei dem unsinnigen Geschwätz von ihrem Einfall in Dalmatien gar nichts herauskäme. Aber es kommt doch etwas heraus, das habe ich gleich darauf gemerkt. Ich werde nämlich von dem Plane des Narren San Bacco Seine Excellenz den dalmatinischen Gesandten in Kenntnis setzen. Was meint ihr, dass das Geschäft einbringen kann?"

"Ein nettes Geschäft," meinte Lilian. "Maman, deine Industrien werden immer ordinärer."

"Das habe ich davon," so greinte die Cucuru. "Ich opfere mich für sie, und so danken sie's mir. Euch muss man zu eurem Glücke zwingen, ihr Kindchen … Und ich zwing' euch!" schrie sie, aufstampfend, hochrot, wild und boshaft. "Ich leg' euch noch in die Betten von steinreichen Männern, und erobere mir all das Geld, das die Gauner mir nicht geben wollen, und mache unser Haus groß und lebe … lebe."

"Maman, deine Lebenslust ist nachgerade widerlich," sagte Lilian, weiß und kalt. Sie entschädigte sich in der Vertraulichkeit solcher Unterredungen für alle Vergewaltigungen, die sie draußen erfuhr.

"Deine Geschäfte werden dich vor Gericht führen, so endest du."

Die Alte keifte dagegen.

"Und wo wirst denn du enden, du schlechte Tochter? In einem Hause, das ich gar nicht nennen will!"

Lilian ging ins Schlafzimmer und schlug die Tür zu.

"Du bist besser als deine Schwester," sagte die Cucuru zu Vinon. "Geh, Töchterchen, zur Wirtin und bitte sie um einen großen Bogen weißen Papiers und um Tinte; die unsrige ist eingetrocknet. So ist es recht, setze dich an den Tisch, wir schreiben dem Gesandten. Als ob das nicht ein ausgezeichnetes Geschäft wäre; was will denn jene? Was gehört alles dazu, damit einem so etwas einfällt, und wie viel Arbeit habe ich nun davon! Ah, Unternehmungen! Bewegung! Leben! Sie werden mir Geld geben müssen, die Schurken, für meine Nachrichten, und ich werde etwas zurückgeholt haben von dem, was sie der armen Herzogin gestohlen haben … der armen, törichten Herzogin," wiederholte sie, schadenfroh und weinerlich.

Vinon ordnete ihr Schreibgerät vor sich auf dem Tische, sie zog Linien, sauber und genau, und begann dem Diktat der Mutter zu folgen.

"Wir schreiben Französisch, meine Vinon, das ist die Diplomatensprache. Nimm dein Wörterbuch zur Hand."

Die junge Prinzessin schlug Vokabeln nach, die Ellenbogen auf dem Tische, ernst und vertieft wie ein Schulmädchen.

"Das ist einmal eine Arbeit," stöhnte die Fürstin, "mir brummt schon der Kopf. Ich brauche eine Anregung. Lilian, mein Kind, reiche mir die Schachtel mit den Zigaretten."

Das Schlafzimmer war, da die Damen es spät verlassen hatten, noch nicht aufgeräumt. Lilian kehrte in den Salon zurück; es gehörte ihr kein dritter Raum. Sie hob einen alten Morgenrock auf, dessen Saum herabhing und durchkostete eine lange Weile, mit untätigen Händen, die Erniedrigung, diesen Fetzen ausbessern zu müssen. Dann machte sie sich daran.

Die Alte stieß zwischen den Sätzen, die sie Vinon vorsagte, Rauchwolken aus und trällerte dabei im scharfen Diskant, kurzluftig und heiter, Bruchstücke einer Arie. Endlich war sie fertig, sie faltete die Hände und warf den Kopf in den Nacken.

"Wenn du mein neues Geschäft nur segnen wolltest! Ohne deinen Segen schlägt es natürlich wieder fehl. Ach was, du wirst es segnen."

"Kinderchen!" rief sie und sprang auf. "Wir wollen meine Madonna bitten, meine schöne Madonna!"

Sie wälzte sich zur Tür, die sie aufstieß.

"Meine Leute! Kommt alle herein, ihr müsst mit mir beten, damit meine Madonna mein neues Geschäft in ihren Schutz nimmt."

Der fettige Kellner, Carlotta und Joseph der Arbeitsmann, die Köchin und die Scheuerfrau drängten hinter der Fürstin her, in das Schlafgemach. Lilian wandte sich ab, händeringend. Vinon lachte. Die Cucuru ließ sich auf die Kniee nieder vor einer großen, glatt und süß gemalten Madonna, ihrer Hausgöttin, die ihr durch alle Schiffbrüche ihres Lebens und bis in das Haus Dominici treu geblieben war. Inmitten von abgelegten Strümpfen, von Puderbüchsen, Waschschüsseln mit ausgekämmten Haaren und von nicht mehr frischen Peignoirs knieten die Bediensteten der Pension. Sie ließen Rosenkränze durch schwarze Finger gleiten und plärrten mit zuversichtlichen Stimmen nach, was die Fürstin, im Litaneienton, ihnen vorbetete.

Am nächsten Mittwoch des Kardinals kam der garibaldinische Eroberungsplan zur Sprache. San Bacco selbst vertrat ihn mit Feuer. Die Cucuru lachte schallend und fuhr wieder die mit Blumen und Knallbonbons gefüllten Kanonen auf. Monsignor Tamburini sagte mit der fetten Stimme der Wirklichkeit, man müsse sich für eines entscheiden: mit Hilfe der Kirche langsam Boden zu erkämpfen, oder aber mit einem Schlage alles gewinnen zu wollen und wahrscheinlich alles zu verlieren, — nach Art grauer Jünglinge. Darauf schnaubte San Bacco dem Priester zu, nur das Kleid, das er anhabe, schütze ihn vor einer Züchtigung. Tamburini sah sich, leicht beunruhigt, nach zustimmenden Gesichtern um. Schließlich gab die Blà ihm recht. Sie widerriet ihrer Freundin ein übereiltes Abenteuer. Die Herzogin fragte enttäuscht: "Warum haben Sie neulich geschwiegen?" Die Blà dachte an Piselli, sie errötete schwach. Die Herzogin erinnerte sich: "Sie hatte ja Besseres zu tun…"

Der Abend verlief flau. Die Cucuru erzählte, albern wiehernd, der Herzogin, sie habe jetzt ein neues, sicheres Geschäft; es werde ihr viel Geld einbringen.

"Nächstens eröffne ich meine Pension. Kommen Sie zu mir, Herzogin, es kostet nur vier Lire, das werden Sie doch bezahlen können. Und dafür will ich Sie nähren! So fett sollen Sie werden wie ich selber."

Die folgende Versammlung fiel aus. Ereignislos gingen die Wochen hin. Die Herzogin fuhr Korso mit der Blà. Wenn sie beim Konzert auf dem Monte Pincio in einer Reihe glänzender Gefährte hielten, besuchten Pavic und Piselli, in schönem Anzüge wetteifernd, sie am Wagenschlage. Prinz Maffa und seine aristokratischen Klubfreunde ließen sich vorstellen. San Bacco grüßte aus einem Kreise offizieller Persönlichkeiten heraus die verbannte Herzogin von Assy.

Nach einem sanften Musikstück schlenderte in der stillen, warmen Septemberdämmerung die ganze Gesellschaft zu Fuße die Ripetta entlang. Monsignor Tamburini stieß zu ihr.

"Ein Gelato zu einer Kantilene von Rossini, was wollen wir denn mehr?" fragte die Blà, süß erschauernd. Piselli ging neben ihr. Sie fügte träumerisch hinzu:

"Zum Konspirieren braucht man so viel Geld."

Pavic wiederholte trübe:

"So viel Geld."

Tamburini bestätigte hart und habsüchtig:

"Geld."

Lüstern und weich sprach Piselli es nach:

"Geld."

San Bacco, der erhabene Bettler, der im Namen des Ideals alles umsonst hatte, ließ das Wort verächtlich fallen:

"Geld."

Befremdet, als hörte sie zum ersten Male davon reden, sagte die Herzogin:

"Geld."

V

Zur rechten Zeit erinnerte die Herzogin sich einer Summe von dreihunderttausend Franken, die ihr verstorbener Gemahl, der Herzog, als Reisepfennig für alle Fälle bei der Bank von England liegen zu lassen pflegte. Sie erhob das Geld und verteilte es unter Tamburini und Pavic. Dem Tribunen diente es zur Ermunterung seiner Söldner in Dalmatiens Presse, Beamtenschaft und Volk, dem Priester als Vergütung für die ersten schüchternen Hilfeleistungen der Geistlichkeit. Es reichte nicht weit; darauf verblieben ihr die Einkünfte aus ihren sizilianischen Besitzungen, um Caltanissetta und bei Trapari.

Pavic hatte die Rechnungen zu führen, aber das Exil machte ihn faul und genusssüchtig. Er fühlte sich als Erster Minister einer entthronten Königin, — und war er nicht von Rechts wegen sogar ihr Geliebter? Misshandelt als Liebhaber und als Staatsmann, aus Reich und Schlafzimmer verbannt, konnte er seine schmerzliche Größe unmöglich schlecht nähren und billig kleiden. Aus Achtung vor seinem Seelenleiden schonte er seinen Körper und schaffte ihm ein wattiertes Dasein. Sein tragisches Geschick war etwas ausgesucht Vornehmes, er hüllte sich weich darin ein, wie in die teuren englischen Stoffe, deren Gebrauch er von Piselli erlernte. Seufzend setzte er sich auf die Samtpolster der feinsten Speisehäuser und verzehrte, trübe und geringschätzig, die köstlichsten Diners. Er ließ sich in den Cercle des Prinzen Maffa einführen und verlor beim Baccara ansehnliche Summen, nicht so sehr aus Prahlerei wie aus Nichtachtung für alles, was nicht in seiner Psyche vor sich ging. Seines Kindes beraubt, büßte er viel von der sittlichen Festigkeit des Familienvaters ein; bald kannte man ihn allgemein unter Damen mit heiteren Sitten. Sein Gemüt befriedigten sie nicht, es sehnte sich oft nach edlerem Austausch. Dann lud er die Fürstin Cucuru und ihre Töchter an den mit Damast gedeckten Tisch irgendeines roten Hotelsalons. Beim Dessert hatte Vinon zu viel Champagner im Kopf. Pavic fing das junge Mädchen gerührt in seinen Armen auf. Bei diesem Anblick berechnete die Cucuru, ein wie segensreicher Gebrauch unter Umständen von der herzoglichen Kasse gemacht werden könne. Doch empört mischte Lilian sich ein. Sie nahm alles von oben herab, die Gerichte, die Weine und den Gastgeber. Die Mutter bemühte sich ganz vergeblich, sie zu entfernen. Schließlich erheuchelte sie einen Erstickungsanfall und fiel vom Stuhl. Lilian ließ sie einfach liegen; sie behauptete, nüchtern und weiß, ihren Posten zwischen ihrem erhitzten Schwesterchen und dem reichen Herrn.

Es kamen Pavic manchmal unklare Bedenken, als ob seine neue Lebensführung in keinem richtigen Verhältnis stehe zu der Höhe des Gehaltes, das seine Herrin ihm aussetzte. Doch wich er peinlichen Entdeckungen aus, und es ward ihm leicht, denn seine persönlichen Ausgaben waren seit langem mit seinen amtlichen hoffnungslos verwirrt. Sogar die Herzogin wunderte sich einmal über den Betrag seiner Forderungen,

"Sie streuen unsere Saat noch dorthin aus, wohin keine Sonne und kein Regen fällt. Wozu?"

"Ich bin ein slawisches Gemüt," erklärte er. "Ich weiß wohl, ich kann nicht rechnen. Bin viel zu träumerisch und zu nachgiebig."

"Ach ja, Sie sind ein Romantiker."

"Die Kasse muss in festeren Händen sein," sagte er, und überzeugte dadurch sich selbst von seiner Uneigennützigkeit. Gleich darauf gab er dem undeutlich gefühlten Wunsch nach, sie in Freundeshänden zu wissen.

"Wenn Hoheit sie einer praktischen Persönlichkeit übergaben … zum Beispiel der Fürstin Cucuru…"

"Praktisch ist sie … Ich will sie lieber der Contessa Blà geben."

Piselli stand dabei, als die Blà die Verwaltung des Geldes übernahm. Er zählte die Banknoten, mit geübten Fingern. Es war nicht mehr viel. Die Briefe und Belegstücke stimmten nicht zusammen. Piselli erklärte kurzerhand alles für ordnungsgemäß, ohne Pavic anzublicken, der errötend wegsah. Zum Schluss trat er, noch in Anwesenheit der Herzogin, frei und ritterlich auf den gewesenen Geschäftsführer zu.

"Lieber Freund, wenn Sie etwa noch Forderungen an die Kasse haben … Sie wissen, wir erledigen das freundschaftlich."

Das unbekümmerte Gebühren eines bedeutenden Finanzmannes stand Piselli zum Entzücken. Die Herzogin verzieh seiner Anmut die Leerheit der Kasse. Die Blà hatte nichts zu verzeihen; sie fühlte sich in seiner Schuld, weil er da war.

Kurz darauf erschien Pavic mit einer rettenden Nachricht. Ein dalmatinischer Flüchtling in Rom, ein Schuster, hatte einen Brief erhalten von seinem Vetter, einem Viehhändler, dem ein jüdischer Wucherer in Ragusa gesagt hatte, er wolle der Herzogin so viel leihen, als sie gebrauche. Der Zinsfuß war nicht einmal hoch. Niemand nahm den Zwischenfall ernst; da kam ein Scheck auf die römische Bank und ward ausbezahlt. Monsignor Tamburini, äußerst wissbegierig in Geldsachen, zog Erkundigungen ein. Eines Tages, im Zimmer der Herzogin, sagte er:

"Nur Baron Rustschuk kann der Geber sein. Was für ein bedeutender Mann!"

Pavic wusste es längst und verschwieg es aus Eifersucht auf den Finanzmann.

"Dieser Verräter!" rief er sofort. "Dieser doppelte Verräter! Er hat uns verleugnet, so oft unser Glück ins Schwanken kam. Hoheit erinnern sich, wie er Sie laut verleugnete, damals als…"

"Als der Bauer gespießt wurde," so ergänzte die Herzogin.

Er schnappte nach Luft.

"Wer war der erste, der uns nach unserer Niederlage verließ? Rustschuk! Sofort hat er sich den Koburg angeboten, vollständig ohne Gewissen. Ich begreife es nicht, wie man ohne Gewissen leben kann: ich bin ein Christ…"

Piselli bezeugte es ihm.

"Gewiss, das sind Sie."

"Nun nennt man ihn den kommenden Mann, den Retter der schiffbrüchigen Dynastie. Er ist auf dem Wege zum Finanzminister!"

Aller wunde Ehrgeiz des Tribunen kreischte auf in diesem Wort.

"Und in eben diesem Augenblick erfrecht er sich zu einem zweiten Verrat! Er bietet uns Geld an! Er verkauft uns diejenigen, an die er uns eben noch verraten hat!"

"Wir zahlen ihm Zinsen," meinte begütigend die Blà. "Das entschuldigt ihn."

"Ein hoch bedeutender Mann!" wiederholte Tamburini. Pavic geriet vollends außer sich.

"Sie finden ihn bedeutend, einen Abtrünnigen und einen Käuflichen, — Sie, Monsignore, der Priester der Wahrheit?"

Tamburini hob die Schultern, gemächlich und stark. "In der Politik gibt es keine Wahrheit, es gibt nur Erfolge."

Pavic, der Erfolglose, senkte den Kopf. Er sehnte sich nach Freunden, in denen das gleiche halb erstickte Rachegefühl gegen die Glücklichen schwelte, wie in ihm selbst. Nun trafen ihn lauter fremde Blicke. Die Herzogin erklärte ihm:

"Sie müssen doch zugeben, Herr Doktor, dass mein Hausjud gescheit ist. Er richtet sich so ein, dass er auf alle Fälle Finanzminister werden kann. Sollte es wider Erwarten mit den Koburg schief gehen, dann wird er meiner. Ja, ich glaube fast, ich mache ihm die Freude."

"Hoheit könnten es tun?"

"Er beweist mir ja täglich seine Talente … Ganz abgesehen davon, dass ich ihn ungewöhnlich grotesk finde."

"Grotesk! Ja ja, grotesk!"

Pavic lachte laut auf. Er vollführte eine jähe Willensanstrengung und setzte sich, mit einer Gelassenheit, die noch fieberte.

"Sie nehmen ihn als lustige Person. Wenn Sie erst wüssten, wie weit er's darin gebracht hat. Kürzlich hat er den königlichen Hausorden bekommen."

"Worin liegt die Komik?" fragte Tamburini befremdet.

"Warten Sie nur."

Pavic kicherte erregt.

"In den Verdiensten, die die Auszeichnung begründen. Er verdankt sie seinen Dummheiten, die ja am Scheitern unserer Revolution schuld sind. Die Herrschaften erinnern sich der Pächterunruhen. Rustschuk war albern genug, unser bewährtes Pachtsystem abschaffen zu wollen. Sie kennen auch die Geschichte mit dem Schauspieler, den er als geisteskrank einsperren ließ. Seit alle diese Dummheiten ihm einen Orden eingetragen haben, spricht er davon wie von Intrigen. Er hält sich allen Ernstes für einen verräterischen Ränkeschmied und ist seitdem in seinen Augen unermesslich gewachsen."

"Auch in meinen," sagte lächelnd die Herzogin. Alle lächelten mit. Aber Pavic presste sich die Seiten, unsäglich erleichtert. Rustschuk war glücklich, daran war nichts zu ändern. Aber er war auch lächerlich, und das machte vieles gut. Die Blà versetzte:

"Und er baut vor sich her einen Wall von Viehhändlern, Wucherern und Schustern. Durch ein Labyrinth geheimnisvoller, nicht sehr sauberer Hände sickert sein Geld, unsichtbar und geräuschlos, bis…"

"Bis es endlich zu uns gelangt," so vollendete Piselli, sichtlich befriedigt.

"Eine offizielle Persönlichkeit! Spielt doppeltes Spiel und fürchtet sich zu kompromittieren," flüsterte die Herzogin vor sich hin, und durchkostete den Sinn der Tatsache.

"Was aus einem Hausjuden alles werden kann!"

"Mehr als aus dir, du Arme," dachte Monsignor Tamburini, auf sie herabblickend.

Öfter als die andern zeigte sich die Blà in dem weißen Häuschen auf dem Caelius. Sie trat unangemeldet zu der Herzogin in die hängende Vigne, wo das Weinlaub sich färbte. Die jungen Frauen waren beide weiß gekleidet, die schwarzen Flechten der Herzogin von Assy hoben und senkten sich im Nacken auf einer Veilchenstickerei, die aschblonden ihrer Freundin über einem Kragen von Rosen, und ohne einander zu berühren, gingen sie hin und her im Schatten ihres biegsamen Daches: kleine blattförmige Himmelsausschnitte durchleuchteten ihn blau. Am Ende des Ganges, bei den Pfeilern, blieben sie manchmal stehen und lehnten die leichten Schultern zusammen, um gemeinsam hindurchzuspähen durch die Spalten des verführerisch roten Vorhanges, den die Reben herabließen. Die Blà sah drunten im Garten einen Strauch, oder vielleicht nur eine seiner Blüten, die eben einen Falter trug. Der Blick der Herzogin fand alsbald in der Ferne das Forum, er tauchte dort in Gewölbe und erstieg Säulen, ohne dass es ihm schauerte oder schwindelte. Es war ihr Traum, den sie entsandte, ihr Traum von Freiheit und irdischem Glück. In eine Toga geworfen, feierlich und stumm, bewegte er sich zwischen jenen leeren Sockeln, über jene vom Moose gesprengten Fliesen, auf denen er, — so fühlte sie, — zu Hause gewesen war, ehe sie versanken und zerbrachen.

Nach mehreren solchen Stunden, als einige Male der weinrote Vorhang der Träumerei sich vor ihren beiden Seelen geöffnet hatte, waren sie Schwestern und nannten sich Du. Die Herzogin meinte jetzt mit ihrer Beatrice schon lange Hand in Hand gegangen zu sein, nämlich nahe dem Meeresstrande, in jener kleinen Kirche voller Engel, wo zwei Frauen in Lichtgelb und Blassgrün einem Knaben nachfolgten mit goldenen Locken und langem, pfirsichrotem Gewande. Die Stunde, die sie damals an das Ende des Laubganges führte, vor ein weißes Haus, unter ein sich öffnendes Fenster und zu einer befreundeten Stimme, die Stunde jener flüchtigen und seltsam bewegten Mondnacht war prophetisch gewesen. "Gewiss," dachte die Herzogin, "Beatrice ist jene andere im Schein der silbernen Ampel." Doch sprach sie der Blà niemals davon, aus einer lächelnden Scham, aus Selbstverspottung und beinahe auch aus Aberglauben.

Die Freundschaft der Blà war sanft und duftig; ein feiner, flinker Geist trat oft unerwartet aus ihrem Herzen hervor. So stand in ihrem Arbeitszimmer unter Garben von Orchideen und Rosen, in reinem Marmor der schmallendige, beschwingte Hermes aus dem Sockel von Cellinis Perseus, einen magern Fuß erhoben zum Aufflattern. Schon auf der Treppe wehten Blumengerüche der Herzogin entgegen. Sie erstieg bald täglich die fünf Stockwerke in dem Eckhause der Via Sistina. Es saß sich gut auf den schlanken Möbeln, vor den hell lackierten Tischchen, wo von geraden Vasen herunter Blüten rot und weiß auf zerblätterte Bücher tropften. Zu dem weiten Atelierfenster strömte ein Meer von Blau herein. Drunten blitzte das Leben auf der Spanischen Treppe.

Piselli war immer zugegen. Er rückte Stühle, beschaffte Tee und Gebäck und betätigte sich dazwischen im schmeichlerischen Wiegen hoher Worte.

100,60 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
830 стр.
ISBN:
9783849660048
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

Дом лжи
Хит продаж
4,9
971