Читать книгу: «Tambara und das Geheimnis von Kreta», страница 3

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„Wie hast du das denn geschafft?“, wunderte sich Botoja.

Soul grinste.

„Mit den richtigen Argumenten.“

„Nun mach es bitte nicht so spannend“, schimpfte die Freundin.

Mortues und Botoja wollten wissen, wie Soul nun doch an eine Reisegenehmigung für Kreta gekommen war.

„Sammlung von Informationen, Stilrichtung ‚altgriechische Musik mit Schwerpunkt kretischer Tanz‘. Tambara könnte zum Thema Kreta einen akustischen Beitrag leisten. Das wäre die Sensation! Wo das Projekt in der Öffentlichkeit doch so gut eingeschlagen ist.“

„Ich verstehe, Bauchpinselung der Eitelkeiten“, ergänzte Mortues.

Umgeben von Kaffeetassen, Saftgläsern, Chipstüten und Tellern mit Sandwiches und Kuchenstückchen saßen die Freunde in Souls Wohnraum auf dem Fußboden, so wie sie es immer taten, wenn es etwas zu besprechen gab.

„Und wie willst du mit Sir W.I.T. Kontakt aufnehmen?“, überlegte Botoja. „Er hat dir doch nie seine Armbandadresse verraten.“

„So wie ich ihn kenne, wird er sich melden, wenn er sieht, dass ich auf Kreta bin. Meine Daten hat er ja noch, das heißt, er kann mich jederzeit an jedem Ort des Planeten erreichen und weiß auch immer, wo ich mich gerade aufhalte.“

„Gemeldet hat er sich trotzdem nicht“, rutschte es Botoja heraus.

Mortues warf seiner Freundin einen tadelnden Blick zu.

„Notfalls schaffe ich es auch alleine“, ergänzte Soul voller Tatendrang und richtete sich auf.

Botoja wurde hellhörig.

„Alleine? Was soll denn das nun schon wieder heißen?“

„Wieso wieder?“, wich Soul aus. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Und ob du das weißt. Das letzte Mal, als du alleine losgebraust bist, hat sich daraus die reinste Horrorgeschichte entwickelt.“

„Ich war nicht allein. Du warst dabei.“

„Weil du mich mal wieder überredet hattest, dich zu begleiten.“

„Und?“, fragte Soul trotzig. „Ist nicht alles gut gegangen?“

„Ja, schon, aber nur dank Sir W.I.T.s Eingreifen. Wenn er nicht gewesen wäre, würdest du heute noch unter Aufsicht der Klone das Tal bewirtschaften.“

„Die Arbeit im Tal war nicht das Schlechteste.“

„Jedenfalls wird er dir nicht noch einmal aus der Patsche helfen, das bilde dir bloß nicht ein. Dazu hat er nämlich gar keinen Grund.“

„Ich sag ja auch, ich schaffe es allein“, ereiferte sich Soul.

„Könntet ihr einem Unwissenden vielleicht einmal erklären, worum es hier eigentlich geht?“, mischte sich Mortues in die Diskussion der beiden Frauen ein. „Was willst du denn so unbedingt alleine schaffen?“

Soul dachte an den alten Mann.

„Was weiß ich, etwas Ungewöhnliches entdecken, etwas Verborgenes enthüllen“, sprudelte es aus ihr heraus. „Ich bin überzeugt, die Insel birgt ein Geheimnis.“

„Der berühmte Soul‘sche Spürsinn“, spottete Botoja.

„Ihr werdet schon sehen“, insistierte Soul, „es gibt ein Geheimnis.“

„Lass bloß die Finger davon, hörst du?“, schimpfte Botoja.

„Ach, ich will mich nur ein wenig umhören. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“

„Das macht mir ja gerade Sorgen“, murrte Botoja aufgebracht, ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und schenkte sich einen Schnaps ein.

8

„Du wirst uns wieder in Schwierigkeiten bringen“, schimpfte Botoja. „Warum lasse ich mich nur immer wieder darauf ein?“

„Weil du meine Freundin bist“, antwortete Soul ebenso nüchtern wie einleuchtend.

Ein weiteres Mal hatte Botoja sich überreden lassen, Soul auf einer ihrer abenteuerlichen Reisen zu begleiten, dieses Mal freilich nur unter der Bedingung, dass ihr Verlobter Mortues mitfuhr. So waren sie immerhin zu zweit, und es bestand die berechtigte Hoffnung, Souls unberechenbares Temperament durch die Übermacht an Freundschaft einigermaßen in Schach halten zu können. Außerdem arbeitete Reb auf der Insel, auf ihren Bruder hatte Soul bisher noch immer gehört.

Äußerst schwierig war es gewesen, für Mortues eine Genehmigung durchzusetzen. Gerade in der Zeit der Renaturierung wollte man in seinem Krankenhaus auf keinen Arzt, der schon einmal mit der Natur Bekanntschaft gemacht hatte, verzichten. Man konnte ja nie wissen, ob die zwischen der Insel und dem Festland hin- und herpendelnden Städter nicht vielleicht irgendwelche gefährlichen Keime einschleppten. Doch gerade diese Angst führte schließlich zur Bewilligung des Antrags, denn Mortues versprach, an Ort und Stelle Erkundigungen über naturbedingte Krankheiten und deren Heilung einzuholen.

Botoja hatte es leichter. Als Angestellte der Boulden’s Group of Fantasy and Nostalgia Products war sie häufiger auf Reisen und immer auf der Suche nach Ideen für Reproduktionen ehemaliger Verkaufsschlager. Naturnachbildungen – ob als Spielzeug für Kinder oder Raumschmuck für Erwachsene – erfreuten sich seit jeher großer Beliebtheit und hatten stets für einen guten Umsatz gesorgt. So sollte sie erkunden, was die Insel an Ideen hergab. Vielleicht ein alter Bauernhof mit Eseln und Olivenbäumen oder ein mehrstöckiges Hotel mit Swimmingpool, süßen kleinen Sonnenliegen und Touristenpüppchen darauf – mittels Computertechnik und modernem Kunststoff war heutzutage alles herstellbar, nur möglichst exotisch musste es aussehen.

Vielleicht kam der Regierung die Reise der jungen Leute nach Kreta auch ganz gelegen, denn immerhin hatte das Quartett durch die Befreiung der Gefangenen aus dem Kornreservat einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt und auf der Insel, weitab der Großstadt, bei einem schon genehmigten offiziellen Projekt, konnten die vier sicher weniger anstellen als in Tambara, wo sie, einmal neugierig geworden, vielleicht doch wieder ein Türchen in Sachen Vergangenheit aufgestoßen hätten.

Da die Freunde keinen Direktflug mehr bekommen konnten, landeten sie auf dem nächstgelegenen Stadtflughafen, um dort in einen Daily-Jet der Luxusklasse umzusteigen. Diese komfortabel eingerichteten Hubschrauber standen normalerweise ausschließlich den Managern der großen Konzerne zur Verfügung, doch die Regierung hatte die Simpson’s Group – Means of Transport angewiesen, nur eine begrenzte Anzahl von Fluggeräten zur Verfügung zu stellen und diese bis auf Widerruf auch nicht für andere Zwecke zu nutzen. Da man für die vielen Regierungsvertreter, die mittlerweile das Kreta-Projekt inspizierten, diesen Komfort anbieten musste, setzte man die Helikopter auch gleich für den Normalbetrieb ein, um nicht noch mehr von den häufiger gemieteten und wesentlich mehr Gewinn bringenden kleineren Flugkörpern aus dem Verkehr ziehen zu müssen. Hinter vorgehaltener Hand freilich wurde gemunkelt, dass es sich um eine reine Sicherheitsmaßnahme handelte. So konnten die wenigen zwischen der Insel und dem Festland pendelnden Hubschrauber besser auf Keime und Samenkörner hin untersucht werden. Die Kontrolle der Helikopter kostete Zeit, die Reinigung dem Unternehmen viel Geld, da transportierte man lieber gleich größere Gruppen in den wenigen Daily-Jets der Extraklasse, die sowieso höchst selten in der Stadt eingesetzt wurden, so reduzierte man die Ansteckungsgefahr und gleichzeitig die Ausgaben. Dass nun auch auf den Heimatflughäfen Sicherheitsschleusen eingebaut wurden, in denen jeder Gast sich entkleiden, duschen, seine Kleidung samt Einmalunterwäsche zur Einschmelzung freigeben und gegen provisorische Garderobe austauschen musste, nahmen die Bürger gelassen hin, kannten sie die Kontrollen doch von ihren Ausflügen in die Museumsparks her.

Botoja warf beim Einsteigen einen interessierten Blick auf die Armaturen der Maschine und erwähnte ganz nebenbei ihre Fluglizenz, woraufhin recht schnell eine Einladung in das Cockpit folgte. Während Soul und Mortues es sich mit den übrigen Fluggästen in den komfortablen Sesseln des Konferenzraumes bequem machten, unterhielt sich die Freundin unbefangen mit dem Piloten. Botoja erfuhr, dass ihr Gesprächspartner als Konzernangestellter viel unterwegs war, oft weite Strecken zurücklegte und anscheinend für einen finanzkräftigen Chef arbeitete. Wer sein eigentlicher Arbeitgeber war, konnte sie allerdings nicht herausfinden.

9

Die jungen Leute hatten sich einen alten Jeep gemietet und starteten nach ein paar aufreibenden Fahrstunden auf dem hoteleigenen Parkplatz ihre erste Erkundungstour in die ländliche Umgebung. Sie waren alle in demselben Haus untergebracht und hatten bereits einige anstrengende Arbeitstage hinter sich und sich eine kleine Pause redlich verdient.

Der offene Wagen war zumindest äußerlich eine exakte Nachbildung seines historischen Vorbildes. Soul fragte sich, wie die Ingenieure von Tambara in Zeiten des totalen Kunststoffes so schnell an die veralteten Materialien herangekommen waren. Aber in einer Stadt, in der der Mensch vom Nano-Chip bis zum Raumschiff alles produzieren konnte, was sich im Computer entwerfen ließ, war es sicherlich auch möglich, das Verfahren zur Produktion von alten Blechkarosserien für kurze Zeit wieder aufleben zu lassen. Um die Untersuchungsergebnisse nicht zu verfälschen – so die offizielle Version –, sollte sich das Straßenbild auf der Insel zunächst nicht zu sehr verändern. Der Jeep fuhr sogar mit Benzin, eine Maßnahme, die sich die Kreta-Kommission, wie Soul fand, auch gut und gerne hätte sparen können, denn der Gestank war unerträglich. Soul fragte sich, ob es unterwegs überhaupt genügend Tankstellen für diese Art von Treibstoff gab, aber vielleicht sorgte ja auch gerade das Fehlen geeigneter Tankmöglichkeiten dafür, dass der Bewegungsradius allzu neugieriger Städter erst einmal begrenzt blieb.

Die vier erkundeten zunächst das Straßennetz in der näheren Umgebung, so konnten sie im Bedarfsfall schnell Hilfe über das Computerarmband anfordern, falls es mit der Technik Probleme geben sollte. Mortues, der, warum auch immer, mit dem Wagen am besten zurechtkam, saß am Steuer und bewegte das Gefährt über eine staubige Straße zum nahe gelegenen Strand. Während der Wagen mit einem schier ohrenbetäubenden Lärm über den Asphalt donnerte, lauschten die Freunde ein wenig skeptisch auf das Scheppern der alten Blechkarosserie und das Knirschen des mit kleinen Kieseln durchsetzten Sandes unter den Rädern des behäbigen Fahrzeugs. Argwöhnisch beobachteten sie ihren Freund, wie er seine Hand in regelmäßigen Abständen auf die Gangschaltung legte, seine Füße auf die Pedalen vor seinem Sitz drückte und von Minute zu Minute sicherer wurde, bis schließlich alle Griffe in eine fließende Bewegung übergingen. Erst als das Vorderrad über einen größeren Gesteinsbrocken rollte und der Wagen sich an der rechten Seite ein wenig in die Höhe hob, ertönte ein vierstimmiges „Ohhoohooohhh“ von den Sitzen.

Von nun an war der Bann gebrochen. Jede Bewegung wurde ab jetzt mit lautstarken Geräuschen kommentiert, die Freunde stöhnten, juchzten und quiekten. Mortues ließ den Wagen auf dem Asphalt Schlängellinien fahren oder ein Stück über die Wiese am Straßenrand holpern, er bremste unerwartet, fuhr wieder an und drosselte erneut die Geschwindigkeit, nur um kurz darauf umso mutiger auf die Pedalen zu drücken. Zum Schluss hielt er den Wagen in der Spur und brauste davon. Die jungen Leute gaben sich dem Geschwindigkeitsrausch hin. Sie hielten ihr Gesicht in den Wind, fühlten das Flattern der Haare auf ihrer Haut, legten sich bei jeder Kurve demonstrativ zur Seite oder streckten juchzend ihre Arme gen Himmel. Erst als Soul sich bei voller Fahrt auf die Rückenlehne setzte, mahnte Botoja zur Ordnung und zog sie am T-Shirt auf ihren Platz zurück. Selbst Mortues, der sonst der Vernünftigste unter ihnen war – Soul hatte Botoja einmal gefragt, wie eine Beziehung bei so viel Vernunft überhaupt funktionieren könnte, da würde doch sicher die Spannung auf der Strecke bleiben, was ihrer Freundin ein vielsagendes „Ach, du kennst meinen Mortues nicht“, entlockte –, ließ sich durch die Zähmung des Jeeps zu einem männlichen Urton verleiten.

„Na, alter Junge, was machen die Recherchen?“, erhob er seine Stimme bei anschwellender Brust.

Reb wiegelte ab.

„Es gibt nichts Weltbewegendes zu berichten.“

„Also hör mal, du bist doch sonst so fix. Irgendetwas wirst du doch wohl herausgefunden haben“, wunderte sich Mortues.

„Schön wär’s, aber das Net gibt nichts her. Ich denke, wir müssen erst die Interviews abwarten.“

Reb warf seiner Schwester einen warnenden Blick zu und biss demonstrativ in ein Brötchen. Interviews waren etwas Offizielles, damit konnte er nichts falsch machen und mit vollem Mund sowieso nicht sprechen. Soul verstand und verteilte auch an die anderen Brot und Obst, denn man konnte nie sicher sein, ob in den Fahrzeugen nicht irgendwelche Wanzen versteckt waren. Auch winzige Kameras hatten Platz in einer Schraube im Innenraum, im Griff der Handschuhfachklappe, ach, eigentlich überall. So langten denn alle beherzt zu, und schon waren sie wieder die vier jungen Leute, die neben der Arbeit bei einer Fahrt in die Wildnis ihre Abenteuerlust stillten.

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Die restlichen Leckereien aus dem Picknickkorb wollten sie am Strand verspeisen. Mortues lenkte den Wagen über einen holprigen, von grobem Unkraut bewachsenen Weg direkt auf den Sand und brachte ihn hinter einem vertrockneten Grünstreifen mit einem „Voila!“ zum Stehen. Zufrieden stellte er den Motor ab.

Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, bis die jungen Leute ihre Technikarmbänder abnahmen, sie auf den Sitz legten und den Wagen verließen, so sehr überwältigte sie der Anblick des Meeres. Selbst Soul, die auf der Museumsinsel schon über Sand gelaufen war und auch im Tal der Klone in einem natürlichen See gebadet hatte, konnte sich an der unendlichen Weite der Landschaft nicht sattsehen. Sehen bis zum Horizont! Welcher moderne Mensch hatte je in seinem Leben den Horizont gesehen?

Die Landschaft war längst nicht so hübsch, wie die von Sir W.I.T.s Insel, sie war wesentlich karger, fast ein wenig herb, der Sand zwar ohne die in der einschlägigen Literatur angekündigten dicken Kiesel, aber auch nicht so fein wie der von ihr so geliebte Nordseesand. Aber das Land war flach und weit, von derber Wiese und niedrigem Buschwerk bedeckt, und der Strand zog sich in einem breiten, schnurgeraden Streifen kilometerweit an der Küste entlang.

Soul machte schließlich den Anfang und sprang aus dem Jeep direkt auf den Sand. Die anderen wollten nicht nachstehen, kletterten zögernd hinaus, schlossen beim Sprung auf das unbekannte Material im letzten Moment doch noch die Augen und wunderten sich über die Sanftmut, mit der sie der natürliche Untergrund empfing. Voller Begeisterung liefen sie ein paar Schritte voraus, kamen stampfend, hüpfend oder tanzend zurück, Mortues vollführte ein paar Radschläge, Reb schlug mit der Hacke ein Loch in den Boden und Botoja bückte sich, hob so viel von den winzigen Kieseln auf, wie sie fassen konnte, und ließ sie durch ihre Finger rieseln.

Schließlich breiteten sie am Rande des Grünstreifens eine Decke aus und bestückten sie mit den Köstlichkeiten aus dem Picknickkorb. Soul hatte auf landestypische Spezialitäten bestanden und das Küchenpersonal gebeten, mehrere kleine Portionen Moussaka, Souvlaki, Keftedes, Gyros, griechischen Salat, Tsatsiki, Käse, Oliven und Weißbrot einzupacken. Verteilt auf unterschiedlich große Keramiktöpfchen verbreiteten die Leckereien nun einen verführerischen Duft. Soul stellte noch zwei Flaschen Mineralwasser und Rebs Rotweinflasche dazu.

„Bist du sicher, dass damit alles in Ordnung ist?“, fragte Mortues und deutete auf den Weidenkorb.

Es hörte sich an, als spräche er von der Bekömmlichkeit des Weines, doch sein Freund wusste natürlich, dass er die Wanzen meinte.

„Du übertreibst, ein Schlückchen Wein hat noch niemandem geschadet“, antwortete Reb möglichst harmlos und stellte den Korb in den Jeep zurück. Nun dürfte sie niemand mehr abhören können.

Mortues wollte endlich wissen, was Reb herausgefunden hatte, und sein Freund erzählte von der Verbindung zwischen dem alten Mann und der Tochter des Hotels.

„Wie, das soll alles sein?“, mokierte sich Mortues enttäuscht. „Nach dem Theater, das du vorhin im Wagen veranstaltet hast, habe ich mit einer Katastrophe mittleren Ausmaßes gerechnet.“

„Am Anfang sieht immer alles ganz harmlos aus.“

„Am Anfang? An welchem Anfang?“

Mortues war nicht gewillt, diese Kleinigkeit als den Beginn eines großen Abenteuers anzusehen. Missmutig biss er in eine Olive.

„Auuuu!“

„Dein erstes Abenteuer könnte zum Beispiel der Besuch des hiesigen Zahnarztes sein“, konterte Soul schadenfroh.

„Woher soll ich denn wissen, dass da noch Kerne drin sind. So etwas kennt unsereiner ja nicht.“

„Siehst du“, erklärte Soul, „genauso unbedarft laufen wir wahrscheinlich an Informationen vorbei, die für unsere Recherchen von Bedeutung sein könnten.“

„Habe verstanden“, brummte Mortues, „Mund zu, Augen auf! Na, immerhin schmecken diese gefährlichen Dinger zehnmal besser als die in der Stadt.“

Ein Motorengeräusch ließ die jungen Leute aufblicken. Ein Schnellboot raste in einer Affengeschwindigkeit an der Küste entlang. Kaum hatte es die Gruppe passiert, bremste es, kam zurück und fuhr nun direkt auf den Strand zu. Soul stand auf und ging die paar Schritte zum Ufer.

„Komm lieber vom Wasser weg“, meinte Botoja ängstlich. „Das könnte gefährlich werden.“

Soul rührte sich nicht. Das Boot raste in unverminderter Geschwindigkeit geradewegs auf sie zu.

„Komm zurück“, meldete sich nun auch Reb. „Wer weiß, welcher Idiot da am Steuer sitzt.“

Soul lächelte. Schneeweiß, makellos, blitzsauber, schnittig, schnell wie ein Pfeil und fast so elegant wie der Spezialflieger, mit dem sie damals aus dem Kornreservat abgeholt worden war. Während die anderen aufstanden, um im Ernstfall zur Seite zu springen, verharrte Soul an ihrem Platz.

Endlich wurde der Motor abgestellt. Das Boot wurde langsamer, glitt fast lautlos über die Wellen, drehte sich, kurz bevor es das Ufer erreicht hatte, zur Seite und schob sich mit einem eleganten Schwung auf den Strand. Direkt vor Souls Füßen kam es zum Stehen. An der Backbordseite öffnete sich eine Klappe, und Sir W.I.T. sprang heraus. Er trug eine weiße Hose und ein weißes Oberhemd mit hochgekrempelten Ärmeln, an seinem schlanken Handgelenk glänzte sein silbernes Technikarmband.

„Ich wusste, Sie würden mich erwarten“, begrüßte er die junge Dame.

„Ja, besonders nachdem ich gelesen hatte, dass Sie sich auf Kreta aufhalten“, bestätigte Soul und drehte sich zu den Freunden um. „Kommt her, ihr seht doch, wer da ist!“

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„Also sind Sie auch der Meinung, dass die Insel ein Geheimnis birgt“, wandte sich Reb an Sir W.I.T., der sich zu ihnen auf die Decke gesetzt hatte.

„Es sind die Kleinigkeiten, die mich stutzig machen“, erklärte dieser. „Die Bevölkerung begegnet den Fremden betont freundlich, gleichzeitig aber auch sehr reserviert. Das steht in krassem Gegensatz zu dem, was ich in der Literatur gelesen habe. Dort werden die Kreter als offen gegenüber allem Neuen und interessiert an Gesprächen mit ihren Gästen charakterisiert.“

„Die Einheimischen sind skeptisch“, gab Mortues zu bedenken, „weil sie nicht wissen, was die Großstädter mit ihrer Insel anstellen werden.“

„Stimmt“, pflichtete Reb ihm bei. „Immerhin haben die Touristen durch ihren Massenansturm die Insel schon einmal fast zum Kippen gebracht. Nur der Tatsache, dass in der Großstadt die Natur in Vergessenheit geraten ist, haben sie es zu verdanken, dass die Zerstörung zum Stillstand kam.“

„Sie unterbrechen ihre Gespräche, sobald man in ihre Nähe kommt“, stellte Soul fest.

„Das ist auch mein Eindruck“, ergänzte Sir W.I.T. „Einmal zum Beispiel habe ich beobachtet, wie ein Grieche mit der Hand in eine bestimmte Richtung deutete. Ich hätte mir nichts dabei gedacht, hätten er und sein Gesprächspartner, als sie mich entdeckten, nicht angesehen, als wären sie bei einem Verbot ertappt worden.“

„In welche Richtung deutete der Grieche?“, wollte Soul wissen.

„Dort gibt es nichts, außer Landschaft“, erklärte Sir W.I.T.

„Auch Landschaften können Geheimnisse bergen“, entgegnete Soul, stand auf und holte eine alte Landkarte aus dem Jeep.

„Wo hast du die denn her?“, wunderte sich Reb.

„Aus einem Trödlerladen in Iraklion. Der Händler hielt sie für wertlos.“

Soul breitete die Karte auf der Decke aus. Der historische Druck, der noch mit veralteten Farben auf organisches Papier gedruckt worden war, roch ein wenig nach Schuhwichse, ließ aber ein erstaunlich präzises Straßenbild erkennen. Minutenlang durchforsteten die fünf den Plan in der Hoffnung, irgendetwas Ungewöhnliches zu entdecken.

„Wie ich es gesagt habe“, erklärte Sir W.I.T., „nichts als bergige, unbedeutende Landschaft.“

Sie kamen zu keinem Ergebnis. Nachdem Sir W.I.T. sich verabschiedet hatte, packten auch die jungen Leute ihr Picknick ein. Während Botoja und die beiden Männer das schmutzige Geschirr im Weidenkorb verstauten, saß Soul immer noch vor der Karte und studierte die dort aufgedruckten Zeichen.

„Dadurch dass du so lange auf den Plan starrst, ändert sich darauf auch nichts“, brummte Botoja ungeduldig.

„Braucht es auch nicht“, flötete Soul. „Ich habe längst etwas gefunden.“

Die anderen schauten sie verdutzt an.

„Schaut mal, wenn ihr mit dem Finger die Richtung verfolgt, in die Sir W.I.T. gezeigt hat, wo kommt ihr dann hin?“

„Na, nun sag schon, wo?“, murrte Mortues.

„Zu dieser Schlucht! Sie ist tief und zerklüftet, dort traut sich kein Städter hinein.“

Nachdenklich stiegen die Freunde in den Jeep und begaben sich auf den Heimweg. Sie waren schon eine Weile gefahren, da drosselte Mortues plötzlich den Motor und fuhr an den Rand.

„Wisst ihr was“, überlegte er laut, „heute werden wir eh nichts mehr auf die Beine stellen, da können wir doch ebenso gut zu dieser Schlucht fahren.“

Ohne die Antwort der anderen abzuwarten, wendete er den Jeep und fuhr zurück. Soul breitete die Landkarte auf ihrem Schoß aus und verfolgte die Fahrt auf dem Papier.

Zunächst lief alles glatt. Die Straße war gut ausgebaut, und sie kamen zügig voran. Die Karte war äußerst exakt und zeigte ihnen jeden Weg, jede Abzweigung und jede Kreuzung genau an. Doch nach ungefähr drei Kilometern fing der Wagen plötzlich an zu stottern.

„Ohooooo, du wirst uns doch jetzt nicht im Stich lassen“, flötete Mortues.

„Bist du sicher, dass du alles richtig gemacht hast?“, fragte Reb.

„Absolut, aber das Gefährt scheint keine Lust mehr zu haben.“

Wieder stotterte der Motor.

„Kommt, lasst uns nach Hause fahren“, bat Botoja.

Sie begann die Hitze in ihrem Körper zu spüren. Die anderen murrten zwar ein wenig, stimmten aber zu. Die Vorstellung, stundenlang im offenen Fahrzeug auf Hilfe warten zu müssen, ließ sie schnell einig werden. Enttäuscht kehrten sie um. Doch kaum waren sie auf dem Heimweg, da lief der Wagen wie geschmiert. Auch als Mortues die Geschwindigkeit erhöhte, gehorchte der Jeep ihm aufs Wort.

„Wie seltsam“, wunderte er sich.

Sie waren schon eine Weile gefahren, als Mortues plötzlich den Fuß vom Gaspedal nahm und den Wagen ausrollen ließ. Das Fahrzeug kam am Rande der Straße zum Stehen. Fragend blickte er in die Runde.

„Sollten wir nicht vielleicht doch …?“

„Mit diesem unsicheren Gefährt?“, protestierte Botoja. „Das meinst du doch nicht wirklich, oder?“

„Na ja, Zuverlässigkeit ist etwas anderes“, bestätigte Reb ihre Zweifel.

Auch Soul, die sonst meist die Erste war, wenn es darum ging, Neuland zu erkunden, zögerte. Nachdenklich lauschte sie dem gleichmäßigen Brummen des Motors.

Doch Mortues war nicht gewillt, seine, wie er fand, recht brauchbare Idee so schnell fallen zu lassen.

„Also jetzt wollen wir doch mal sehen“, entrüstete er sich, wendete den Wagen ein weiteres Mal, trat aufs Gaspedal und brauste in Richtung Schlucht davon.

Eine Zeit lang ging alles gut. Die jungen Leute betrachteten skeptisch die Landschaft. Struppiges Buschwerk machte sich neben der Fahrbahn breit, üppige Olivenbäume, grobe Wiesen, die man sicher auch mit festem Schuhwerk nur ungern hätte betreten wollen, ab und zu eine Bambusreihe, nichts Ungewöhnliches. Sie waren vielleicht einen Kilometer weiter gefahren als beim ersten Mal, da stotterte der Motor aufs Neue. Der Jeep wurde langsamer, zuckelte nur noch und blieb schließlich ganz stehen.

„Na, Prost Mahlzeit“, kommentierte Botoja den erneuten Stopp.

Mortues versuchte, das Fahrzeug wieder in Gang zu bringen. Der Motor heulte auf, ging aber sofort wieder aus. Nach mehreren Startversuchen röhrte die Maschine nur noch und verstummte schließlich ganz. Die Freunde überlegten, wen sie zu Hilfe rufen könnten. Reb wollte schon in sein Technikband sprechen, da legte Soul ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn entschlossen hinunter.

„Ach, würde dieses verdammte Ding doch endlich anspringen“, sagte sie laut und deutlich. „Mortues, versprich mir, wenn wir diesen blöden Kasten wieder in Gang kriegen, fahren wir auf der Stelle nach Hause.“

Natürlich pflichtete der Freund ihr bei. Wer wollte schon in einem unzuverlässigen Jeep durch die Wildnis brettern. Erneut drehte er den Zündschlüssel, aber der Motor gab keinen Ton von sich.

Für einen Moment saßen die jungen Leute ratlos im Wagen. Die Sonne hatte an Kraft gewonnen und ließ die Hitze unerträglich werden. Die Blätter der umstehenden Bäume flimmerten in dem gleißenden Licht, ihr Rascheln erinnerte an das Flüstern menschlicher Stimmen. Ganz in der Nähe war das Zirpen der Zikaden zu hören, die mit ihrem Gesang die Weibchen anlockten. Soul hatte einmal gelesen, dass die Insekten diesen eindringlichen Ton mithilfe einer trommelfellartig ausgespannten Hautplatte an der Unterseite ihres Hinterleibes erzeugten. Durch Muskelkraft würden diese kleinen Schallmembranen in schnelle Schwingungen versetzt. In dem Artikel1 verglich der Autor dieses Phänomen mit einer Blechdose, deren Deckel eingedrückt wurde und mit einem lauten Klick-Ton zurückschnellte.

Mortues unterbrach ihre Gedanken.

„So, mein guter Junge“, betörte er den Wagen, „nun bring uns bitte schnell nach Hause.“

Beherzt ergriff er den Autoschlüssel und drehte ihn entschlossen nach rechts. Der Jeep röhrte, ratterte, knatterte … und sprang an.

Sie wendeten den Wagen und fuhren zurück. Wieder lief der Motor wie geschmiert. Schweigend saßen die Freunde im Auto. Während der Fahrtwind ihre erhitzten Gemüter kühlte, dachte Soul nach über einen Jeep, der seinen eigenen Willen zu haben schien und sich ihren Anweisungen konsequent widersetzte.

1 Schäfer, Horst: Die Natur Griechenlands – Die auffälligsten Insekten und Reptilien, Verlag der Griechenland Zeitung, Athen 2017

399
573,60 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
270 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783969405390
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Правообладатель:
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