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Читать книгу: «Es gibt kein Glück», страница 3

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Henner hatten diese vor heimlicher Erregung zitternden Worte seines Burschen seltsam berührt in der Zerrissenheit seines Empfindens. Das war doch noch e i n Mensch, der ihm mit Treue anhing. Er brachte es nicht über sich, Kulitz schroff abzuweisen. Mochte er denn mit ihm nach Teklenburg gehen und bei ihm bleiben, bis er den Schlußstrich unter sein Leben zog. So würde wenigstens eine treue Hand ihm die Augen zudrücken, wenn alles vorüber war. Er hatte Kulitz die Hand gereicht. Die höhnische Ironie war einen Augenblick aus seinem Antlitz verschwunden. Es lag eine gewisse Rührung darin ausgeprägt.

»Guter, braver Kerl! Ich habe es gewußt, daß Sie ein Mensch sind, der zu schade war, daß man ihn ins Elend taumeln ließ, deshalb hielt ich Sie damals fest — ich wollte, mich hätte auch mal einer so festgehalten. Aber Ihre Dankbarkeit haben Sie mir schon oft bewiesen — Sie sind mir nichts schuldig. Da Sie mich aber durchaus nicht allein lassen wollen — nun — mag es sein. Ich glaube selbst, daß ich mich schlecht ohne Sie behelfen könnte. Also — ordnen Sie alles, Kulitz, da liegt Geld. Der eine braune Lappen wird wohl hier für Miete und kleine Rechnungen aufgehen. Und dann schaffen Sie die Pferde fort — ›Sleipner‹ zur Bahn, daß er nach Teklenburg verladen wird. Morgen früh will ich abreisen.«

Kulitz strahlte über das ganze Gesicht.

»Zu Befehl, gnädiger Herr, es wird alles besorgt.«

Und so war Henner am nächsten Tag nach Teklenburg gereist. Seit drei Wochen weilte er nun hier, ohne bisher sein schlimmes Vorhaben auszuführen.

Als er heute von seinem Ausritt nach Hause kam, sah er Kulitz, wie schon während der ganzen Wochen, emsig arbeiten. Er hatte mit großem Eifer das kleine Stück Gartenland, das sich zwischen das Schloß und die verfallenen Wirtschaftsgebäude schob, bebaut. Allerlei nützliche Küchengewächse hatte er gepflanzt. Da er ein gelernter Gärtner war, ging ihm das schnell von der Hand. Jetzt stand er mit einer ziemlich verrosteten und verbeulten Gießkanne, die er irgendwo in einem Winkel gefunden hatte, und gab seinen Gewächsen Wasser.

Henner v. Teklenburg hatte ihm gleich in den ersten Tagen gesagt:

»Lassen Sie doch diese unnütze Arbeit, Kulitz, es hat doch keinen Zweck.«

Kulitz hatte stramm gestanden. »Zu Befehl, gnädiger Herr, aber es ist so schade um die gute, fette Erde. Hier wächst beinahe alles von allein. Es macht mir Freude — und ich habe sonst hier so viel freie Zeit.«

»Na schön — dann amüsieren Sie sich damit«, hatte Henner erwidert.

Als er nun mit ›Sleipner‹ vor dem Schloß hielt, kam Kulitz schnell herbei, um ›Sleipner‹ in Empfang zu nehmen. Da die ehemaligen Stallungen ganz verfallen waren, hatte Kulitz für ›Sleipner‹ im Schloß selbst ein großes Parterrezimmer als Stall eingerichtet.

»Sie graben ja schon wieder aus Leibeskräften in Ihrem sogenannten Garten, Kulitz«, sagte Henner spöttisch und verbissen.

Kulitz nickte mit zufriedenem Gesicht. »Gnädiger Herr wissen gar nicht, wie reich Sie noch sind. Wir brauchten gar nicht nach Amerika auszuwandern. Das Stückchen Erde, was Ihnen noch gehört, wollte ich bald zu einer Gärtnerei umwandeln. Das Parkland gäbe eine feine Baumschule, und hier würde ich gutes Gemüse ziehen und allerlei Blumen. Das könnte man in der nächsten Stadt gut zu Geld machen. Ich habe auch einen Stamm Hühner gekauft drüben auf der Waldecker Vorwerksmeierei. Die fressen alle Abfälle, und der gnädige Herr kann nun frische Eier haben.«

Kulitz hatte bisher alle Lebensmittel für seinen Herrn und sich und auch das Futter für ›Sleipner‹ auf der Meierei oder im Dorfe gekauft, ohne sich mit jemand in ein Gespräch einzulassen. So neugierig ihn die Menschen auch ausforschen wollten, er sprach kein Wort mehr, als nötig war.

Kulitz hatte in dem fast leerstehenden Schloß einige Zimmer ganz wohnlich für seinen Herrn eingerichtet. In allen Ecken und Winkeln war er herumgeklettert, um noch einige brauchbare Möbel aufzutreiben. Bis zum Speicher hinauf hatte er alles durchsucht. Vergessene und verstaubte Gegenstände hatte er ans Licht gezogen und tagelang geputzt und gescheuert, geleimt und genagelt, bis sie wieder gebrauchsfähig waren. Und so hatte er schließlich zu dem einfachen Schlafzimmer noch einige andere Räume für seinen Herrn eingerichtet und auch für sich ein wohnliches Kämmerchen und sogar eine Küche instand gesetzt.

Henner hatte ihn ruhig gewähren lassen. Er merkte wohl, daß ihm Kulitz die Heimat behaglich machen wollte, um ihn von dem Vorsatz, nach Amerika auszuwandern, abzubringen. Es rührte ihn immer wieder, wie unverdrossen sich Kulitz für ihn mühte.

Überhaupt — etwas wie Ruhe und Frieden war über ihn gekommen, seit er wieder Heimatluft atmete. Sein verstörtes Wesen fiel manchmal von ihm ab wie eine Krankheit, und er war oft sehr weich gestimmt. Es kam oft wie eine Erschlaffung über ihn und damit das Gefühl der Reue, daß er sein Leben in verbissenem Trotz gegen das Schicksal selbst zerstört hatte. Und in dieser Reaktion seiner Empfindungen hatte er bisher gezögert, seinen Vorsatz, sich zu erschießen, auszuführen. Er ließ Tag um Tag vergehen und sagte sich immer wieder: Es hat noch Zeit — morgen wirst du es tun.

Daß es geschehen mußte, stand bei ihm fest.

Jetzt hatte er Kulitz gedankenverloren zugehört. Nun richtete er sich auf. »Also, ich bin noch reich nach Ihrer Ansicht, Kulitz?«

»Jawohl, gnädiger Herr.«

»Nun, dann haben Sie sicher eine andere Ansicht von Reichtum als ich. Zählen Sie doch mal meine Reichtümer auf«, forderte er ironisch.

Kulitz streichelte ›Sleipners‹ Mähne. »Da ist zuerst das Schloß, gnädiger Herr. Wenn es auch leer und nicht recht imstand ist, Sie haben doch darin eine feste Wohnung. Und da ist ›Sleipner‹ — ein gutes, tüchtiges Pferd, das gut ein paar tausend Mark wert ist. Dann ein Stück Gartenland. Und eine Menge gute Anzüge und feine Wäsche. Brennholz für den Winter liegt massenhaft auf dem Speicher. Und außerdem liegen in der Kasse, die der gnädige Herr mir anvertraut haben, noch bare eintausendvierhundertundachtzig Mark. Soviel Geld habe ich nie in meinem Leben besessen. Wenn das, was der gnädige Herr besitzen, mir gehörte, dann würde ich mich einen reichen Mann nennen. Und wenn der gnädige Herr nur wollten — ich schaffte noch eine Kuh und ein Schwein an und schaffte hier eine Gärtnerei — da könnten der gnädige Herr so bescheiden wie jetzt ganz in Ruhe hier weiterleben. Wer weiß, wie es in Amerika ist. Da soll es auch nicht mehr soweit her sein wie früher, wo die Leute alle mit einem großen Vermögen wieder heimkamen.«

Henner hörte zu, wie man dem unverständigen Plaudern eines Kindes lauscht, das weltfremde Ansichten hat. Wie er sich wohl selbst vorkommen würde in dem Idyll, das Kulitz ihm da vormalte?

Ein düsteres Feuer flammte plötzlich in feinen stahlblauen Augen auf, und feine Mundwinkel zogen sich herb und verächtlich herab. Jetzt wurde es Zeit, daß er ein Ende machte, sonst verlor er noch die letzte trotzige Kraft und ließ sich von Kulitz das ländliche Idyll immer verführerischer ausmalen. Nein — so weit durfte es nicht mit ihm kommen, daß er sich gewissermaßen von seinem Diener erhalten ließ.

Er wandte sich plötzlich jäh ab und ging schnell durch eine schmale Seitenpforte ins Schloß. Das große Mittelportal benutzte er nie. Die hohe, weite Vorhalle war so gespenstisch leer und kalt, und er mochte sie nicht betreten. Er eilte in seine Zimmer und sah nicht den besorgten Blick, den ihm der treue Kulitz nachwarf. In seinem Zimmer angekommen, warf er sich, gleich im Reitanzug, ohne die Reitpeitsche fortzulegen, auf einen Diwan. Der war mit einer etwas verblichenen, aber sicher einst sehr kostbaren Decke verhüllt, die Kulitz aufgestöbert hatte.

Mit leeren, brennenden Augen sah sich Henner im Zimmer um. Kulitz nannte diesen Raum sein »Arbeitszimmer«. Henner erschien das wie ein Hohn auf sein untätiges Leben.

Höhnisch sah er auf seine vornehmen, schlanken Aristokratenhände herab. Was hatten sie bisher Großes geleistet? Ein Pferd zügeln — und Geld in alle Winde streuen. Nichtstuerhände!

Finster flog sein Blick wieder im Zimmer umher. Am Fenster stand ein alter Schreibtisch aus Eichenholz. Kulitz hatte die Platte neu mit einem Stück Tuch überzogen, das nur wenig verschossen war. Das Möbel sah noch ganz anständig aus. Davor stand ein Sessel, dessen Lehne Kulitz geleimt hatte. Mitten durch das geschnitzte Wappen der Freiherren v. Teklenburg ging der Riß. Und der Sitz war mit etwas brüchigem Leder bezogen.

Neben dem Diwan stand ein Bücherschrank, an dem die Glasfenster freilich fehlten. Kulitz hatte sie durch einen Vorhang ersetzt aus gemustertem Seidenstoff, den er von einer alten Portière abgeschnitten und gesäubert hatte. In diesem Bücherschrank standen die wenigen Bücher, die sich noch in Henners Besitz gefunden hatten.

Mitten im Zimmer ein achteckiger Tisch aus Eichenholz, mit schwerer Platte und einem stabilen, etwas plumpen Untergestell — einige Stühle, die nicht zusammengehörten, ein kleines Rauchschränkchen und eine bankartige Truhe, auf der sogar ein Kissen lag, vervollständigten die Einrichtung dieses ziemlich großen Zimmers. Und an den Fenstern hingen verblichene Damastgardinen mit ehemals vergoldeten Holzfransen.

Mit einem höhnischen Blick maß Henner diese Einrichtung. Ähnlich wie dies Zimmer war auch sein Schlafzimmer und das sogenannte Speisezimmer ausgestattet. Beim ersten flüchtigen Blick sah alles ganz behaglich aus. Aber Henners Augen blickten kritisch darauf hin. Sausend ließ er plötzlich die Reitpeitsche durch die Luft schneiden.

»Lumpenkram!«

Dies Wort stieß er verächtlich, mit schneidender Schärfe hervor.

Und dann warf er die Reitpeitsche auf den Boden und sprang mit einem Satz empor. Seine Zähne bissen sich fest aufeinander und in den Augen flammte eine düstere Entschlossenheit.

»Machen wir ein Ende«, sagte er ruhiger, und setzte sich an seinen Schreibtisch.

Ohne sich zu besinnen, ergriff er die Feder und schrieb mit seiner großen energischen Schrift auf einen Bogen Papier:

»Mein letzter Wille!

Schloß Teklenburg vermache ich dem Fiskus mit der Bitte, es als Erholungsheim für unbemittelte Kranke oder zu ähnlichen wohltätigen Zwecken zu benutzen. Alles, was sonst noch mir gehört, hinterlasse ich meinem treuen Diener Friedrich Karl Kulitz zum freien Eigentum, mit der Bestimmung, daß er mich in einem schlichten Sarge in der Gruft von Schloß Teklenburg zur ewigen Ruhe bestattet.

Teklenburg, den 15. Juni 1911.

Georg Henner, Freiherr v. Teklenburg. Einer, der sich selbst verlor.«

Dann warf er die Feder fort und zog das Mittelfach seines Schreibtisches auf. Dem entnahm er seinen eleganten Pistolenkasten, in dem zwei vollständig geladene und schußfertige Pistolen ruhten.

Ohne zu zögern, ergriff er die eine der beiden Waffen und setzte sie an die Schläfe. Er drückte ab.

Aber die Pistole versagte.

Nervös und unmutig ließ er die Hand sinken und sah die Waffe genau an. Woran lag es, daß sie nicht funktionierte? Da entdeckte er, daß sie nicht mehr geladen war.

Schnell nahm er die andere heraus und prüfte sie. Auch diese war entladen. — Betroffen und gereizt blickte er darauf nieder. Er wußte genau, daß er selbst beide Pistolen geladen und schußfertig in den Kasten gelegt hatte, gleich am Tage seiner Ankunft in Teklenburg. Seit der Zeit hatte er sie freilich nicht mehr berührt.

Mit einem jähen Ruck sprang er empor. Er besaß keine Ladung mehr, das wußte er. Im ganzen Hause war keine Kugel mehr aufzutreiben. Er war ja so sicher gewesen, daß er nicht mehr als eine Kugel jemals brauchen würde. Nur gewohnheitsmäßig hatte er jede Pistole mit sechs Kugeln geladen. Wo aber waren diese zwölf Kugeln geblieben?

Mit blassem, von Grimm entstelltem Gesicht starrte er auf die Waffen herab. Und dann riß er plötzlich die Tür auf und rief nach Kulitz.

Wie ein wütender Aufschrei klang dieser Name von seinen Lippen.

Kulitz kam sofort herbei. Und als er eintrat, sah er seinen Herrn mit verstörtem, verzerrtem Gesicht mitten im Zimmer stehen, in jeder Hand eine der entladenen Pistolen. Sein ehrliches, gutmütiges Gesicht verfärbte sich, und seine Augen starrten mit einem seltsamen Ausdruck in das Gesicht seines Herrn.

»Gnädiger Herr befehlen!« stammelte er gewohnheitsgemäß.

»Kulitz — was ist mit meinen Pistolen geschehen? Sie waren beide geladen, ich weiß es. Und nun ist keine Kugel mehr drinnen. Das haben Sie getan?« stieß Henner mit heiserer Stimme in wilder Erregung hervor. Kulitz blieb unbewegt stehen, nur seine Hände zitterten ein wenig in der vorschriftsmäßig militärischen Haltung.

»Zu Befehl, gnädiger Herr — ja — das habe ich getan«, sagte er tonlos.

»Warum? Zu welchem Zweck?« rief Henner außer sich und so zornig, wie ihn Kulitz noch nie gesehen.

»Ich — ich habe damit wilde Kaninchen geschossen, die im Garten ihr Unwesen trieben.«

Henner lachte heiser und zornig auf. Er machte eine Bewegung, als wollte er sich in wildem Grimm auf Kulitz stürzen. Der zuckte aber mit keiner Wimper. Da hielt Henner an sich mit aller Kraft. Nur die Pistolen warf er mit einem halb unterdrückten Wutschrei auf den Boden, daß es krachte, und dann verschwand er, sich jäh umwendend, im Nebenzimmer. Krachend flog die Tür hinter ihm zu.

Kulitz lauschte mit blassem, angstvollem Gesicht hinüber. Dann hörte er, daß drüben das Bett in allen Fugen krachte, als wenn sich jemand in wildem Zorn darauf niederwarf. Und einzelne hervorgestoßene Zornesworte klangen noch undeutlich herüber. Kulitz atmete tief auf.

Dann hob er leise die Pistolen auf und legte sie wieder in den Kasten, der noch auf dem Schreibtisch stand. Er klappte ihn zu und stellte ihn in das Fach zurück.

Dabei gewahrte er das Schriftstück, das Henner vorhin geschrieben hatte.

Kulitz hatte noch niemals neugierig in den Briefschaften seines Herrn herumgeschnüffelt. Aber jetzt widerstand er der Versuchung nicht, zu lesen, was auf dem Briefblatt stand. Denn daß sein Herr eben erst geschrieben hatte, ehe er entdeckte, daß die Waffen entladen waren, merkte er an der achtlos hingeworfenen Feder.

Kulitz hatte die Waffen schon am Tage nach der Ankunft in Teklenburg entladen, und zwar nicht, um wilde Kaninchen zu schießen, sondern weil er ahnte, daß sein Herr mit Amerika ein anderes Land meinte, von dem es keine Wiederkehr gab. In treuer Sorge um seinen Herrn hatte er es getan, damit er sich kein Leid antun sollte.

Und nun er die wenigen Zeilen gelesen hatte, wußte er genau, daß jetzt die dunkle Stunde über seinen Herrn gekommen war. Er wischte sich hastig mit der verkehrten Hand über die Augen, die ihm feucht geworden waren.

Und dann schlich er wieder zur Tür und lauschte hinüber. Er hörte tiefe, erregte Atemzüge und ab und zu noch ein halb verklingendes zorniges Wort.

Da atmete er wieder auf und fuhr sich durch das Haar.

Es würde ja später ein hagelscharfes Donnerwetter auf ihn herniederprasseln, wenn sich der gnädige Herr erst wieder gefaßt und beruhigt hatte. Aber das wollte er gern in den Kauf nehmen. Für den Augenblick war die Gefahr beseitigt. Aber was dann? Würde sein Herr nicht bei nächster Gelegenheit ausführen, was er jetzt verhindert hatte? Und diesmal würde er sicher sorgen, daß Kulitz ihn nicht hindern konnte.

Was konnte er nur tun, um seinen gnädigen Herrn von seinem schlimmen Entschluß abzulenken? Er war ja nur ein Diener, ein schlichter Mensch, der keinerlei Einfluß auf seinen Herrn hatte. Und selbst wenn er sich ein Herz fassen wollte und einmal mit ihm redete, wie er es meinte — dann würde ihm sein Herr einfach den Mund verbieten.

Kulitz sann ehrlich bekümmert nach, was er wohl tun könnte, um seinen Herrn zur Vernunft zu bringen.

Und plötzlich kam ihm ein kühner Gedanke. Er zog hastig sein dickes Notizbuch hervor und entnahm diesem den Bleistift. Mit diesem Bleistift schrieb er, sich über den Schreibtisch neigend, unter seines Herrn letztwillige Verfügung:

»Mein gnädiger Herr hat mir am Tage, ehe wir nach Teklenburg reisten, gesagt: Ich wollte, mich hätte auch mal einer so festgehalten. Und daran hab' ich immer denken müssen. Und mein Herr Leutnant ist niemals nicht ein Feigling gewesen und wird es auch nie sein. Einmal, als ich beinahe eine schwere Dummheit gemacht hätte, vor der mich mein guter Herr Leutnant behütet hat, da hat er zu mir gesagt: Ein guter Soldat nimmt es mit allen Feinden auf, auch mit sich selber. Und mein gnädiger Herr wird deshalb auch den Kampf mit sich aufnehmen und sich nicht unterkriegen lassen. Es ist ja noch gar nicht so schlecht um meinen gnädigen Herrn bestellt, und es kommen gewiß auch wieder bessere Zeiten. Und ich bitte vielmals um Entschuldigung, weiß mir in meiner Angst um meinen gnädigen Herrn nur nicht mehr zu helfen.

Meines gnädigen Herrn treulich ergebener

Kulitz.«

Das war ein mühseliges Werk für den des Schreibens ungewohnten Menschen.

Er wischte sich mit seinem buntgewürfelten Taschentuch den Schweiß ab, als er fertig war, und atmete tief auf. Dann steckte er seinen Bleistift wieder zu sich und legte das Blatt Papier zu dem Pistolenkasten in das Schreibtischfach. Dann wollte er sich leise zum Gehen wenden. Aber in demselben Augenblick trat Henner hastig in das Zimmer. Er sah sehr blaß aus und hatte die Zähne fest aufeinander gebissen. In seinem Gesicht zuckte noch die Aufregung.

Scharf und forschend sah er Kulitz an.

»Wo sind die Pistolen?« fragte er schroff.

»Ich habe sie wieder in den Kasten gelegt, gnädiger Herr.«

Henner trat rasch an den Schreibtisch heran. Es war ihm eingefallen, daß er das Papier mit seinem letzten Willen offen hatte liegenlassen. Nun war es verschwunden.

»Hier lag ein beschriebener Briefbogen — wo ist der?« fragte er wieder sehr schroff.

»Bei dem Pistolenkasten, gnädiger Herr.«

Mit einem Ruck wandte sich Henner nach Kulitz um.

»Ich hoffe, Sie haben nicht gelesen, was ich aufgeschrieben hatte?« fragte er weiter, Kulitz scharf ansehend.

Dieser hielt seinem Blick ruhig stand.

»Doch, gnädiger Herr — ich habe es gelesen!«

»Kerl — was fällt Ihnen ein! Ist das eine Art, mir nachzuspüren? Gestehen Sie nur — die Pistolen haben Sie nicht auf wilde Kaninchen abgeschossen!«

Kulitz atmete tief auf.

»Gnädiger Herr haben recht — ich habe die Pistolen entladen — aus Angst —, daß gnädiger Herr — — ich war immer so in Sorge, daß gnädiger Herr noch weiter wollten — als nach Amerika. Und aus Angst und Sorge habe ich auch dies eine Mal etwas gelesen, was ich nicht hätte tun dürfen. Gnädiger Herr verzeihen mir — ich konnte nicht anders.«

Henner lachte ingrimmig auf. »Na — dann wissen Sie nun wenigstens, was Sie für ein Esel waren, daß Sie die Pistolen entladen haben. Sonst wären Sie nun nach Ihren Begriffen bereits ein reicher Mann«, sagte er höhnisch.

Kulitz schluckte einige Male. Dann sagte er leise: »Um solchen Preis mag ich nicht reich werden, gnädiger Herr. Ich bin auch so zufrieden, und wenn Sie mir nur gestatten wollen, daß ich hier alles weiter ein bisschen aufmuntern und in Ordnung bringen kann, dann können gnädiger Herr noch lange hier in Ruhe und Frieden leben und erst mal abwarten, ob nicht doch noch alles wieder gut werden kann.«

»Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« rief Henner, noch immer schwer gereizt über die Vereitelung seines Vorsatzes.

Schweigend zog sich Kulitz zurück.

Henner warf sich, als er allein war, aufstöhnend in den Sessel vor dem Schreibtisch und vergrub das Gesicht in den Händen.

»So ein verwünschter Kerl! Herrgott noch mal — er läßt mich mit seiner verdammten Anhänglichkeit nicht einmal in Frieden sterben. Nun wäre längst alles vorbei — und ich hätte meine Ruhe. Was denkt sich der dumme Kerl nur?«

Trotz seines Zornes flog ihn plötzlich die erschlaffende Weichheit wieder an, die ihn schon einige Male in der Heimat überfallen hatte. Es begann ihn wider Willen zu rühren, daß Kulitz so in Angst und Sorge um ihn war.

Dummer Kerl! Hängt sein ehrliches Herz an einen Menschen, der es ihm nicht einmal dankt. Verzichtet lieber nobel auf die allerdings schäbige Erbschaft, dachte er weiter, und sich aufrichtend, zog er das Fach des Schreibtisches auf, um nachzusehen, ob seine Pistolen bei dem zornigen Hinwerfen nicht zu Schaden gekommen waren, denn auf seine selbstmörderischen Absichten hatte er durchaus nicht verzichtet.

Da kam ihm jedoch der Briefbogen mit seinem letzten Willen in die Hand. Und er erblickte das Bleistiftgekritzele unter seinen Worten.

Erstaunt las er, was Kulitz geschrieben hatte. Und es zuckte dabei sonderbar in seinem schmalen Gesicht. Zu seiner Rührung gesellte sich eine tiefe Beschämung.

Hatte dieser schlichte Mensch nicht recht, wenn er es eine Feigheit nannte, sich aus dem Leben zu stehlen? War es nicht ehrenhafter, wenn er den Kampf mit dem Leben aufnahm und in ehrlicher Arbeit zu sühnen suchte, was er sich selbst angetan hatte? Denn nur gegen sich selbst hatte er eine Schuld zu sühnen — anderen Menschen gegenüber war sein Gewissen rein. Nichts als die Furcht vor dem Leben zwang ihm die Pistole in die Hand. Und war solch eine Furcht nicht Feigheit?

Aber wie sollte er den Kampf mit dem Leben aufnehmen? Er hatte nicht übermäßig viel gelernt — wenigstens nichts, womit er sich eine neue Existenz gründen konnte. Und so, wie sich das Kulitz dachte, hier in Teklenburg, ging es ganz bestimmt nicht auf die Dauer. Als Offizier war er auch erledigt, weil er den nötigen Zuschuß nicht mehr aufbringen konnte. Also was dann? Landwirt werden? Dazu hätte er noch die meiste Lust gehabt, denn der Landwirt steckte ihm gewissermaßen im Blute. Aber ein Landwirt ohne eigene Scholle — konnte er sich damit eine erträgliche Existenz schaffen?

Oder sollte er wahrmachen, womit er nur gespielt, sollte er nach Amerika oder nach den Kolonien gehen?

Da war ihm aber, als hielt ihn plötzlich die Heimat mit tausend Banden fest. Er streckte die Arme aus.

Ach — nur noch einmal auf derselben Stelle stehen wie damals, als er zuletzt in der Heimat gewesen war, damals, als man da drüben Ernst v. Waldeck in die Gruft senkte. Der hatte ihn geliebt, dem hatte er alle Sorgen und Nöte anvertrauen können wie einem Vater. Und er hatte ihm so oft gesagt, er solle den Offizier an den Nagel hängen und zu Hause tüchtig drauflos wirtschaften. Er wollte ihm sogar Geld vorstrecken, daß er Teklenburg wieder hochbringen konnte. Aber damals war er noch so jung und sorglos leichtsinnig gewesen und hatte da draußen in der Welt nach einem großen, lachenden Glück gesucht.

Das glaubte er auch gefunden zu haben, in Alice Sternfeld. Tor, der er war!

Alles war dann in ihm und um ihn her zusammengebrochen, und wie ein Unsinniger hatte er gegen sich selbst gewütet, bis er sich pekuniär völlig vernichtet hatte. Nun war er ratlos und zerschmettert und — hatte sich feig aus dem Leben stehlen wollen. Wenn Ernst v. Waldeck noch am Leben wäre, er würde zu ihm gehen und ihn fragen, ob er in Waldeck als Eleve eintreten und sich zum Landwirt ausbilden dürfe, damit er vielleicht später eine Stelle als Verwalter annehmen konnte. Aber — lebte ihm nicht noch ein anderer alter Freund in der Heimat, an den er diese Frage richten konnte? War Jobst v. Steinau nicht auch seines Vaters Freund und auch der seine gewesen? Hatte er nicht auch schon versucht, zu ihm zu dringen?

Ob er zu Jobst v. Steinau ging?

So begann Henner v. Teklenburg zu grübeln und sich wieder, vorläufig noch wie ein Blinder, ins Leben zurückzutasten. Stundenlang saß er, mit aufgestütztem Haupte, und überlegte zum ersten Male ernstlich, ob es noch eine Lebensmöglichkeit für ihn gab.

Zu einem Endresultat kam er heute freilich nicht. Aber Kulitz hatte ihm ja gesagt, daß er noch lange hier in Ruhe und Frieden überlegen könne. Und wenn er es recht besah, diese Ruhe, dieser Frieden taten ihm wohl — so wohl, daß er sich nur gezwungen hatte, seinen Entschluß auszuführen und seinem Leben ein Ende zu machen.

Hastig barg er schließlich den Pistolenkasten in dem Schreibtisch und steckte den beschriebenen Briefbogen ebenfalls fort. Und dann erhob er sich, streckte die Arme weit von sich, als wollte er ihre Kraft prüfen, und ging im Zimmer auf und ab. Ein wunderliches Gefühl nahm Besitz von ihm. Er fühlte sich, als sei er einer großen Gefahr glücklich entronnen.

Dann klopfte es ganz schüchtern an die Tür. Auf Henners lauten Zuruf trat Kulitz ein.

»Gnädiger Herr — das Essen ist fertig, darf ich es auftragen?« fragte er, unsicher in das Gesicht seines Herrn sehend.

Henner sah ihm voll und groß in die Augen.

»Kulitz — kommen Sie einmal her zu mir«, sagte er mit bewegter Stimme.

Der Bursche trat näher.

»Befehl, Herr Leutnant«, sagte er, in der Erregung in die Gewohnheit seiner Burschenzeit verfallend.

Henner v. Teklenburg streckte seine Hand aus.

»So, Kulitz, nun geben Sie mir mal Ihre Hand.«

Mit einem hellen Aufblick wischte Kulitz hastig seine Hand an der blauen Schürze ab, die er zum Schutz über seinen Anzug trug, und legte sie in die seines Herrn.

»Gnädiger Herr!« rief er freudig.

Henner drückte kräftig seine Hand. »So, Kulitz — nun sind wir quitt. Diesmal haben Sie mich am ›Schlafittchen‹ genommen, wie Sie so schön sagen. Es ist allerdings nur bildlich geschehen — aber es hat dieselbe Wirkung gehabt, als wenn es wirklich der Fall gewesen wäre. Und — ich danke Ihnen, Sie sind eine gute, treue Seele. Nun sollen Sie aber außer Sorge sein. Jetzt w i l l ich den Kampf aufnehmen.«

Kulitz strahlte über das ganze Gesicht. »Gott sei Dank, gnädiger Herr! Ich wußte ja, daß es nur so ein Rumpelschuß war, der über den gnädigen Herrn gekommen war wie eine schlimme Krankheit. Nun wird schon alles wieder gut werden. Und — dann wollte ich auch bitten, daß der gnädige Herr nun essen. Ich habe ein junges Hähnchen gebraten.«

Es zuckte gerührt in Henners Gesicht.

»Na, und Sie, Kulitz? Was haben Sie denn zu essen heute mittag?«

»Gebratenen Speck und Kartoffeln — fein, gnädiger Herr.«

Henner sah ihn mit sonderbarem Ausdruck an.

»Daß Sie es für sich an nichts fehlen lassen, Kulitz! Lieber schränken Sie meinen Küchenzettel noch etwas ein. Es wäre mir schlecht gedient, wenn Sie von Kräften kommen.«

»Keine Sorge, gnädiger Herr, ich futtere schon ordentlich. Ist ja alles spottbillig hier. In der Stadt bezahlt man das alles drei- und vierfach.«

Henner ging nun in das »Speisezimmer« hinüber. Dort hatte Kulitz schon sauber den Tisch gedeckt und trug nun eifrig das von ihm bereitete Mahl auf. Dann zog er sich in die Küche zurück und machte sich mit einem Hochgefühl ohnegleichen über seine frugale Mahlzeit her. Der Speck duftete mit den Kartoffeln um die Wette. Henner saß drinnen an dem gedeckten Tisch, und obwohl er sich mit einem Gefühl daran niedergelassen hatte, als schnüre sich ihm die Kehle zu, bemerkte er zu seinem eigenen Erstaunen, daß er nur den ersten Bissen schwer hinunterbrachte. Nachher ging es viel besser, und er bekam Hunger und Appetit. Kulitz hatte ihm zu dem Hähnchen von den guten Kartoffeln und ganz jungen, zarten Blattsalat serviert.

Kulitz entwickelte täglich neue Talente. Ganz selbstverständlich hatte er auch das Amt eines Koches übernommen, seit sie in Teklenburg weilten. Und alles, was er zubereitete, war schmackhaft und gut, wenn auch nicht mit den Finessen eines perfekten Koches zubereitet.

Henner verzehrte das aufgetragene Mahl bis auf den letzten Bissen und wunderte sich, daß es ihm so gut schmeckte. Überhaupt, wenn er es sich so ruhig überlegte — das einfache, natürliche Leben, das er jetzt führte, bekam ihm außerordentlich. Er sehnte sich nicht nach dem sinnlosen, verschwenderischen Leben zurück, das er in den letzten Jahren geführt hatte. Wie von einem inneren Zwang, von einer törichten treibenden Wahnvorstellung befreit, kam er sich heute vor, nun er den Entschluß gefaßt hatte, zu leben und den Kampf ums Dasein aufzunehmen.

Wie er das machen wollte, darüber kam er heute nicht zur Klarheit.

* *

*

Gleich nach Tisch ging Henner v. Teklenburg durch den abgeholzten Park zum Flußufer hinüber. Mit finsteren Blicken sah er auf die zwischen wertlosem jungen Unterholz hervorleuchtenden Baumstümpfe. Da hatten früher herrliche, uralte Buchen und Eichen gestanden, die er hatte fällen lassen, um sie zu Gelde zu machen.

Wie sinnlos er in den letzten Jahren gewirtschaftet hatte — bis er ein Bettler geworden war, und alles nur, um sich zu betäuben, um die Treulosigkeit eines Weibes und eines falschen Freundes zu vergessen.

Heute zum ersten Male fragte er sich ernüchtert, ob es die beiden treulosen Menschen wert gewesen waren, daß er ihretwillen sein eigenes Leben so ganz zerstörte.

Der Gedanke an Alice Sternfeld hatte keine Macht mehr über ihn. Ihr Treubruch war verwunden, und er fühlte, daß er im Herzen fertig war mit ihr, für alle Zeit. Er konnte jetzt ohne Erregung daran denken, daß sie sich mit dem Freunde, der ihn betrogen, vermählt hatte. Dieser Gedanke hatte ihn oft halb sinnlos gemacht. Er fühlte, daß er auch von dem Gefühl tiefster Erbitterung und quälender Eifersucht genesen war. Mochten sie glücklich sein oder nicht — für ihn sollte das keine Bedeutung mehr haben. Er strich sie aus der Reihe der Menschen, die sein Schicksal noch berühren konnten in Gutem und Bösem.

Langsam ging er durch den geschändeten Park, der einst der Stolz der Teklenburgs gewesen war. Ein tiefes Bedauern erfaßte ihn beim Anblick der Baumstümpfe. Der Park erschien ihm wie ein Friedhof, die glatten Flächen der Baumstümpfe wie Leichensteine.

Wenn seine Eltern das hätten sehen müssen!

Er warf mit einem tiefen Atemzug den Kopf zurück.

»Nichts bereuen!« sagte er laut vor sich hin und zog den Mund herb zusammen.

»Reue ist ein schwächliches Gefühl — und ein unfruchtbares. Ich will keine Schwäche mehr Herr über mich werden lassen«, dachte er.

So kam er am Flußufer an. Er hatte mit seinem alten Boote ein Stündchen rudern wollen, um sich Bewegung zu schaffen. Aber nun ließ er sich zwischen dem Unterholze auf einen der Baumstümpfe nieder und sah gedankenverloren auf die flimmernden Sonnenstrahlen, die über das fließende Wasser huschten. Er befand sich an der Stelle, wo der Fluß ein Knie bildete, und so konnte er ihn nach beiden Seiten hin übersehen.

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