Читать книгу: «Das letzte Mahl», страница 3

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»Kannst du mich mit deinem Wagen zur Dienststelle fahren, Stefanie?«, säuselte ich.

»Erst in einer halben Stunde, wenn Melanie und Paul von der Schule da sind. Paul bekommt heute übrigens eine versetzungsrelevante Mathearbeit zurück. Und nächste Woche steht der Elternabend an.«

Da ich wenig erpicht auf die Ausreden meines Sohnes war, zog ich es vor, den brutal weiten Weg von fast einem Kilometer zu Fuß zurückzulegen.

»Wieso bist du nicht verletzt?«, fragte Jutta, als ich deren Büro betrat. Kollege Gerhard saß wie heute früh am Besprechungstisch und las seine Zeitschrift. »KPD hat vor ein paar Minuten von seinem Büro aus angerufen und gesagt, dass ihr schwerverletzt einem Attentat entkommen seid.«

»Der spinnt wie immer. Ein bisschen Gemüse ist auf uns gefallen«, spielte ich die Sache herunter »Zufall, Unfall, keine Ahnung. KPD wurde vorher in seiner angeblichen Wichtigkeit gedemütigt, daher geht er davon aus, dass man ihm nach dem Leben trachtete. Ihr kennt das ja, es ist jedes Mal dasselbe.«

»Gedemütigt?« Gerhard wurde hellhörig und legte das Heft weg. »Lass mal hören, Reiner.«

Zur Freude und zur Unterhaltung meiner Kollegen erzählte ich die Begegnung unseres Chefs mit dem Führungspersonal des Pfalzmarkts. »Und im Saal war kein Platz für ihn reserviert«, schloss ich den ein wenig ausgeschmückten Bericht. »Das gab ihm den Rest.«

»Kein Wunder, dass er so kurz angebunden war«, sagte Jutta. »Normalerweise wäre er sofort zu mir ins Büro gekommen. Ich habe mich gewundert, warum er nur angerufen hat.«

»Wahrscheinlich hat er ein kleines Bewegungsdefizit«, erklärte ich. »Ein paar blaue Flecken hat er abbekommen.«

»Du auch?«, wollte Gerhard wissen.

»Sportlich wie ich bin, konnte ich geschickt ausweichen und musste nur wegen des Geruchs unter die Dusche. In den riesigen Hallen gibt es nichts außer Gemüse. Das kann man sich als normaler Mensch gar nicht vorstellen.«

Ich erhielt schallendes Gelächter zur Antwort. »Du und sportlich«, meinte Gerhard. »Zwei Welten prallen aufeinander.«

»Wer ist diese Heidelinde Rustik?«, fragte Jutta, nachdem sie sich beruhigt hatte. »KPD sagte, dass wir alles über diese Frau in Erfahrung bringen sollen. Und alles über die Führungsriege des Pfalzmarkts.«

»Warum macht das nicht Jürgen?« Unser Jungkollege Jürgen war der Vierte in unserem Team und unter anderem für Recherchen zuständig. Was er nicht herausfand, das gab es nicht. Manchmal schoss er bei der Tiefe seiner Untersuchungen über das Ziel hinaus, doch seine Ergebnisse hatten stets Hand und Fuß.

»Der ist auf IT-Lehrgang beim LKA«, sagte Gerhard. »Das weißt du aber seit Wochen.«

»Hab’s vergessen«, knurrte ich.

»Was ist jetzt mit dieser Rustik?«, hakte Jutta nach.

»Eine Landwirtin, nichts weiter. Sie hat einen Aussiedlerhof zwischen Dannstadt und Hochdorf und war zufälligerweise dabei, als der Unfall mit dem Gemüse passierte. Kurz zuvor berichtete sie von Lastwagen, die in der Nähe ihres Hofes nachts angeblich umgeladen werden.«

»Und deswegen gehört sie zu den Tätern?«

»Täter? Wie kommst du auf den Schwachsinn?«

»Weil KPD es gesagt hat.«

»Ach was«, sagte ich leicht verärgert, »KPD spinnt, habe ich das vorhin nicht schon einmal gesagt? Leider hat die gute Frau KPD und mich für heute Abend zum Essen eingeladen.«

»Zum Essen?«

Mist, das mit dem Abendessen wollte ich meinen Kollegen eigentlich verheimlichen, um nicht noch mehr Häme zu kassieren. »Nur ein Imbiss«, verharmloste ich. »KPD will sich die Situation vor Ort anschauen, vor allem dort, wo die Lkws umgeladen werden.«

»Und Argumente für ihre Täterschaft suchen«, ergänzte Gerhard.

»Das auch«, bejahte ich. »Da kann er aber lange suchen. Das Ganze ist ein absolut überflüssiger Abendtermin. Für mich schon der zweite oder dritte in diesem Jahr. Kein Wunder, dass mein Überstundenkonto bis zum Anschlag gefüllt ist. Wenn mir KPD das auszahlen würde, könnte ich bis zur Pension zu Hause bleiben.«

Meine Kollegen lachten erneut. »Jetzt übertreib mal nicht, Reiner. Unser Chef hat dich in letzter Zeit in Ruhe gelassen. Eine kurze Fahrt nach Dannstadt gemeinsam mit ihm wird dich nicht umbringen.«

»Hoffen wir’s. So sicher bin ich mir da nämlich nicht. Ich werde euch morgen berichten. Jetzt mache ich aber erstmal Pause, bis KPD sich meldet.«

Ich schaffte es, zwei Tassen Kaffee zu genießen. Währenddessen fachsimpelte ich mit Gerhard über unsere sportlichen Erfolge. Als Marathonläufer war er natürlich ein wenig fitter aufgestellt. Als ich ihm erzählte, dass ich vorhin den ganzen Weg zur Dienststelle zu Fuß zurückgelegt hatte, pfiff er erstaunt durch die Zähne. »Und das in deinem Alter ohne Pause? Oder hast du dir unterwegs eine Verpflegungsstation eingerichtet?«

In das allgemeine Gelächter klingelte das Telefon. Schon am Schrillen war mir klar, dass der Anrufer KPD sein musste.

»Haben Sie sich gut vorbereitet?«, fragte KPD, als ich in sein gigantisches Büro kam, das mehr als zwei Drittel des Obergeschosses einnahm. An der Wand hingen Baupläne, die mich neugierig machten. Als ich erkannte, was ich sah, musste ich hart schlucken, dann böse lächeln. Wenn KPD diese Pläne tatsächlich umsetzen würde, wäre er die längste Zeit Dienststellenleiter gewesen. Und vermutlich auch Beamter. Kein Polizeipräsident, kein Innenminister würde es zulassen, dass er die Außenfassade unserer zugegebenermaßen baulich sehr schlichten Dienststelle in ein zweites Schloss Neuschwanstein verwandelte. Sogar die diversen Turmbauten waren dem Original nachempfunden.

»Tolle Sache«, lästerte ich mit Blick auf die Pläne. »Dann haben wir endlich keine Raumnot mehr.«

KPD fühlte sich geschmeichelt. »Das ist aber alles noch streng geheim, Palzki. Ich habe die Baupläne gerade eben aufgehängt, um mir ein Gesamtbild verschaffen zu können. Außer Ihnen weiß noch niemand davon.«

»Nur der Architekt.«

»Welcher Architekt?«, fragte KPD sofort. »Mit meiner allumfassenden Kompetenz benötige ich keinen Fachmann.« Er ging zur Wand und hängte die Pläne ab. Während er sie vorsichtig in Papprollen verstaute, fragte er nach: »Was ist jetzt? Was haben Sie über diese dubiose Landwirtin herausbekommen?«

»Unsere Fachkraft für Recherchen ist zurzeit auf Fortbildung, und Frau Wagner ist überlastet. Auf die Schnelle konnten wir nichts Beunruhigendes finden, das für eine Untersuchungshaft reicht.«

»Die sind schlau, die Leute vom Pfalzmarkt«, sagte KPD mehr zu sich selbst. »Es hätte mich gewundert, wenn wir sofort das Motiv durchschauen könnten. Ich gehe davon aus, dass es äußerst verzwickte Ermittlungen werden, Palzki. Deswegen kann ich Sie nicht alleine losschicken. Ohne meine Erfahrung, mein Wissen und meine Kompetenz würden Sie hoffnungslos untergehen.«

»Keine Angst, Herr Diefenbach, ich werde mich im Hintergrund halten und Ihnen die Ermittlungshoheit überlassen. Ab morgen werden Sie ja bestimmt ohne mich auskommen.«

KPD hatte andere Pläne mit mir. »Im Prinzip stimmt das, was Sie sagen, Palzki. Ich komme immer bestens ohne Sie aus. Generell sind Sie sowieso ein unablässiger Störfaktor in der von mir sehr gut geführten Dienststelle. Aber dieses Mal brauche ich Sie, und das leider nicht nur heute.«

»Sie … Sie … äh … Sie brauchen mich?«, stotterte ich. Nie hätte ich gedacht, dass solche Worte über KPDs Lippen kommen könnten.

»Ich wollte, es wäre anders«, meinte KPD. »Aber da Sie offensichtlich diesen Aufsichtsratsvorsitzenden persönlich kennen, muss ich über meinen Schatten springen.«

Jetzt wusste ich, was los war. Mein Chef dachte, dass ich Christian Deyerling kennen würde, weil er sich mit mir, aber nicht mit ihm unterhalten hatte. Ich beschloss, diesen Joker zunächst für mich zu behalten, auch wenn mir KPD deswegen bestimmt einen unangenehmen Job aufbürden würde. »Ich kenne viele prominente Bürger und bin fast überall beliebt«, sagte ich allgemein gehalten.

»Das verstehe, wer will«, brummte KPD mürrisch. »Jedenfalls werde ich Sie undercover im Pfalzmarkt einschleusen. Dann kann ich Sie nach Gutdünken lenken, und Sie berichten mir täglich, was passiert.«

»Das ist eine ganz schlechte Idee, Herr Diefenbach. Christian Deyerling kennt mich gut und weiß, dass ich ein erfolgreicher Kriminalhauptkommissar bin. Er wird sofort Lunte riechen.«

KPD lachte kurz auf. »Erfolgreich, da habe ich andere Vorstellungen. Der Chefclan des Pfalzmarkts kann gerne wissen, dass ich ihm auf der Spur bin. Irgendwann werden die sich verraten. Und Sie werden mir das dann brühwarm weiterleiten. Aber so weit sind wir noch nicht. Heute will ich mir zunächst ein Bild von dieser Landwirtin machen. Ich gehe davon aus, dass sie nicht nur eine Genossin des Pfalzmarkts ist. Es muss eine weitere Verflechtung zum Großmarkt geben.«

»Die Sache mit den Lastwagen?«

KPD winkte ab. »Das ist bestimmt nur eine falsche Spur, um von dem Attentatsversuch auf mich abzulenken. Können wir fahren, Palzki?«

Kapitel 3
Vegetarier leben kürzer

Leider hatten wir keinen Chauffeur zur Verfügung. KPD verzichtete darauf, seinen Dienstwagen selbst zu fahren. »Ich muss mein rechtes Bein schonen, das heute früh etwas ramponiert wurde. Außerdem sieht es besser aus, wenn ich nicht selbst am Steuer sitze, wenn wir auf dem Hof ankommen. Kennen Sie den Weg?«

»Halbwegs«, antwortete ich korrekt. Äußerst gefühlsvoll fuhr ich den nagelneuen Dienstwagen meines Chefs im Schneckentempo vom Hof hinter der Dienststelle vor zur Straße. Auf dem Waldspitzweg angekommen, tippte ich das Gaspedal eine Nuance fester an. Das Resultat war, dass wir brutal in die Sitze gedrückt wurden und den Bruchteil einer Sekunde später am Verkehrskreisel der Salierstraße standen. Das allerdings nur, weil ich im Reflex die Bremse bis zum Anschlag durchgetreten hatte. Eine Autofahrerin, die an der Ausfahrt des Lidl-Supermarkts stand und in den Kreisel fahren wollte, fuhr panisch rückwärts auf den Parkplatz. Auf der anderen Seite des Kreisels waren zwei Radfahrer gerade noch rechtzeitig abgesprungen.

»Passen Sie doch auf«, motzte KPD aus dem Fond.

Ich tat mein Möglichstes. Auf der Rehhofstraße, keine 200 Meter vom Kreisel entfernt, gab es eine Warntafel. Unter 50 Stundenkilometern leuchtete ein grünes Smiley auf, darüber ein roter. Seit dieser Fahrt wusste ich, was das zweistellige Display bei dreistelligen Geschwindigkeiten anzeigte.

Erstaunlich schnell kamen wir bis Dannstadt. Da ich nach der Ortsdurchfahrt auf der rechten Seite den von Heidelinde Rustik erwähnten Parkplatz entdeckte, konnte ich direkt auf der gegenüberliegenden Seite in den Aussiedlerhof einfahren.

Das mächtige Haupthaus stand ein gutes Stück weiter hinten im Feld, ringsherum befanden sich diverse Scheunen und Nebengebäude. Der einzige Zufahrtsweg war durch einen Kleinbus blockiert. Er parkte in Straßennähe neben einem belebt wirkenden Containerdorf. Bestückte Wäscheleinen verbanden die Wohncontainer, überall sah ich Tische mit großen Töpfen und anderen Küchenutensilien. Rund ein Dutzend Personen stand beisammen und gestikulierte wild herum.

Ich hielt hinter dem Kleinbus an und stieg aus. Die Erntehelfer kümmerten sich nicht um mich. Sie diskutierten lautstark in einer mir unbekannten Sprache. Aufgrund der Situation und dem Aussehen der Leute vermutete ich eine osteuropäische.

»Hallo, Herr Palzki!«

Im ersten Moment erschrak ich, doch dann erkannte ich Heidelinde Rustik, die ich zuvor in dem Menschenpulk nicht gesehen hatte.

»Sie sind aber früh dran«, meinte sie. »Ich bin noch gar nicht so weit.«

»Kein Problem«, beruhigte ich sie. »KPD, äh, Herr Diefenbach wollte so früh fahren. Vielleicht dürfen wir uns ein wenig auf Ihrem Hof umsehen. Wir sind beide landwirtschaftlich sehr interessiert«, log ich.

»Na klar«, freute sich Frau Rustik. »Bei uns gibt es keine Geheimnisse. Gehen Sie gerne in alle Gebäude rein. Nur bei Barbie müssen Sie ein wenig aufpassen.«

»Barbie? Ist das Ihre Tochter?«

Sie schüttelte sich vor Lachen. »Barbie ist unser verspielter Rottweiler. Solange man keine Angst zeigt, ist sie harmlos. Man muss ihr nur energisch entgegentreten, sonst schnappt sie zu, leider manchmal richtig heftig. Bedauernswerterweise weiß ich nicht, wo sie gerade rumrennt. Also passen Sie einfach ein bisschen auf.«

Ich glaubte, nicht recht zu hören. Auf dem Gelände, das zudem nicht eingezäunt war, rannte eine Mörderbestie herum. Das war ein weiteres Argument, KPD bei der Begehung den Vortritt zu überlassen.

»Wo ist übrigens Herr Diefenbach?«, fragte Rustik.

Diese Frage stellte ich mir auch. Saß er im Wagen und führte ein vertrauliches Telefonat? Ich ging zum Auto und öffnete schwungvoll die Tür zum Fond. »Wollen Sie nicht aussteigen, Herr Diefenbach?«

»Na endlich«, motzte KPD vorwurfsvoll. »Warum haben Sie mir nicht gleich die Tür geöffnet?« Er stieg aus und blinzelte gegen die Sonne.

»Der Wagen hat auch auf der Innenseite Türgriffe«, konterte ich.

»Wollen Sie mich gleich bei der Ankunft blamieren?«, pflaumte er mich aggressiv an. Dann winkte er mit einer debil aussehenden Armbewegung ab: »Über Etikette zu sprechen, hat bei Ihnen sowieso keinen Sinn.«

»Hallo, Herr Diefenbach.« Heidelinde Rustik war zu uns getreten. In der Hand trug sie eine Steige mit Gemüse, das ich zwar von der Form her kannte, mir namentlich aber unbekannt war. »Pablo hat gerade neue Erntehelfer aus Rumänien gebracht.«

»Mit dem Bus?«, fragte KPD, obwohl das auch für einen Außenstehenden offensichtlich war.

Rustik bestätigte. »Pablo Miro ist Spanier und arbeitet bei einer Vermittlungsagentur für Erntehelfer. Je nach Saison bringt er alle ein oder zwei Wochen neue Erntehelfer vorbei und nimmt andere wieder mit zurück. Im Moment beschäftigen wir vorrangig Rumänen, doch das wechselt immer mal wieder.« Sie schaute in Richtung der Erntehelfer und rief: »Pablo, fährst du bitte deinen Bus zur Seite? Du kannst gerne bei uns übernachten, wenn du erst morgen früh fahren willst.«

Der Angesprochene kam fröhlich pfeifend zu uns. »Hallo«, begrüßte er uns nahezu akzentfrei. »Ich muss heute Abend los, Heidi«, sagte er zur Landwirtin. »Die Leute wollen nur noch zu Abend essen und sich verabschieden. Du weißt ja, wegen der Touränderung bin ich bereits übermorgen wieder bei euch.« Fröhlich pfeifend stieg er in den Kleinbus und fuhr ihn neben dem Zufahrtsweg auf die Grasnarbe.

»Das müssen wir so machen«, erklärte Rustik. »Die Erntehelfer dürfen immer nur eine gewisse Zeit in Deutschland im gleichen Betrieb arbeiten. Das hat mit dem Arbeitsrecht, aber auch mit den diversen Sozialversicherungsbestimmungen zu tun. Jedes Jahr wird das komplizierter, zum Glück ist meine Steuerberaterin fit.«

»Kommen jedes Jahr die gleichen Helfer zu Ihnen?«, fragte ich neugierig.

»Zum Teil«, antwortete die Landwirtin. »Genau kann Ihnen das meine Tochter erklären, die kommt allerdings erst morgen von einem Messebesuch zurück.« Der Spanier winkte uns zu, der Weg war frei. »Sie können vor zum Haupthaus fahren. In einer guten Stunde ist das Essen fertig. Wir erwarten übrigens einen Überraschungsgast.«

Da ich Überraschungen wie die Pest hasste, stieg ich wortlos und ohne groß nachzudenken in KPDs Dienstwagen und fuhr vorsichtig die letzten Meter bis zu einem Parkplatz neben der größten Scheune. Im Rückspiegel sah ich meinen Chef toben.

»Wo bleiben Sie denn?«, fragte ich höflich, als KPD zu Fuß bei mir ankam. Frau Rustik verschwand im Haus.

»Das wird Konsequenzen haben!«, motzte KPD. »Sie können doch nicht einfach Ihren guten Chef zu Fuß laufen lassen. Was hat das jetzt für einen Eindruck bei Frau Rustik gemacht!«

»Ich habe streng nach Ihren Anweisungen gehandelt, Herr Diefenbach.« Ich wartete einen Moment ab, währenddessen er mich anstierte, als käme ich vom Mond. »Sie selbst haben auf der Dienststelle gesagt, dass wir früher losfahren, damit wir uns diesen verdächtigen Hof genau anschauen können. Hoffentlich haben Sie auf dem Weg alles ganz genau untersucht? Ich bin nur vorgefahren, weil ich hinter der Scheune etwas Rätselhaftes entdeckt habe. Es hat sich leider nur als ausrangierter Traktor herausgestellt, völlig harmlos.«

KPD brummelte unzufrieden und unverständlich vor sich hin. Ich nutzte die Gelegenheit, meine Überlebenschance zu vergrößern. »Da Sie von uns beiden nachweislich über den wesentlich größeren Erfahrungsschatz verfügen, Herr Diefenbach, schlage ich vor, dass ich hier vor dem Haupthaus die Stellung halte und alles genau protokolliere, während Sie mit Ihren geübten Adleraugen die Umgebung absuchen. Ihnen bleibt bestimmt nicht die geringste Spur verborgen. Wenn es an diesem potenziell kriminellen Ort nicht mit rechten Dingen zugeht, dann sind Sie der Einzige, der in der Lage ist, dies herauszufinden. Ich bin ja so stolz darauf, meinen guten Chef dabei zu haben.« Ups, hoffentlich hatte ich mit dem letzten Satz nicht übertrieben. Solch einen überzogenen Schwachsinn zu erzählen, fiel mir alles andere als leicht. In KPDs Mimik erkannte ich, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Es hätte mich gewundert, wenn er gegen meine Lobhudelei aufbegehrt hätte.

»Genauso, wie ich es gerade vorschlagen wollte, Palzki«, bestätigte Naivling KPD. »Ich werde mich alleine umschauen. Die Container mit den Erntehelfern schauen wir uns nach dem Abendessen gemeinsam an, damit Sie von meinem Erfahrungsschatz auch mal profitieren können.«

Während KPD die Gegend unsicher machte und teilweise wie ein Indianer zwischen den landwirtschaftlichen Maschinen umherschlich, machte ich es mir im Schatten auf einem Holzstapel bequem. Ein kühles Weizenbier wäre jetzt okay. Ab und zu hörte ich ein energisches Hundegebell, das mir aufgrund der Entfernung keine Sorgen bereitete. Vielleicht kam es heute Abend zum Finale Barbie gegen KPD.

Ein etwa 60-jähriger Mann im Blaumann und mit auffällig wettergegerbtem Gesicht trat aus dem Haus heraus. »Sinn Sie Herr Palzki?«, fragte er. Nachdem ich nickte, drückte er mir einen voluminösen Karton in die Hand. »Dess soll ich Ihne vun meiner Fraa Heidelinde gewwe: Ä kleeni Zusammestellung vun unsere Produkte, die mer zurzeit im Agebot hawwen.«

Im Reflex nahm ich den oben offenen Karton. Was ich sah, schockte mich. »Das kann ich nicht annehmen, ich bin im Dienst.«

»Ach was«, wehrte Herr Rustik ab. »Des hot doch nix mit Bestechung zu due. Ihr Fra freet sich bestimmt iwwer des Gemise-Potpourri. Sie sinn doch verheirat, oder?«

Um dieses unschöne Thema zu beenden, bedankte ich mich artig und wuchtete den Karton in KPDs Kofferraum. Da ich nicht davon ausging, dass mein Chef dort jemals hineinschaute, würde er sich in ein paar Tagen über einen eigenwilligen Geruch freuen können.

Noch während ich damit beschäftigt war, den Karton zu verstauen, wurde ich durch ein lautes und aggressives Hundebellen in meiner nächsten Nähe überrascht. Intuitiv sprang ich in den Kofferraum, dabei schrammte eines meiner Schienbeine über die Ladekante. Aus meiner Deckung heraus beobachtete ich ein bizarres Schauspiel: Nicht der Hausherr bändigte den Rottweiler Barbie, sondern zwei niedlich wirkende schwarz-weiß gestreifte Katzen, die zeitgleich aus der Scheune gerannt kamen. Knurrend und mit hochgestellten Schwänzen bauten sie sich vor dem mörderischen Hund auf. Barbies Bellen wurde immer leiser, bis es komplett verstummte. Mit eingezogenem Schwanz trottete sie von dannen. Ich weiß nicht, ob mir meine Fantasie einen Streich spielte: Aus meinem Blickwinkel sah es so aus, als würden sich die beiden Siegertiere mit den Tatzen abklatschen.

»Nanu, was machen Sie denn im Kofferraum des Wagens?«, rief eine Stimme aus der anderen Richtung. Ich kannte diese Stimme leider nur zu gut. Mies gelaunt stieg ich aus dem Kofferraum und rieb mir das lädierte Schienbein.

»Sind Sie auch eingeladen?«, fragte ich, obwohl ich mir die Frage selbst beantworten konnte.

»Frau Rustik ist eine sehr gute Köchin«, erklärte Dietmar Becker. »Ich bin bereits zum dritten Mal zum Essen eingeladen. Immer wieder finde ich einen Weg, eingeladen zu werden. Als sie mir beiläufig erzählte, dass Sie und Herr Diefenbach kommen, war es klar, dass ich selbst ebenfalls dabei sein muss. Leider habe ich Sie bei der Eröffnungsfeier im Pfalzmarkt verpasst, Herr Palzki. Frau Rustik sagte mir, dass es einen kleinen Unfall gab.«

»Kein Unfall«, widersprach ich. »Ein Attentat auf KPD.«

Der Krimi schreibende Student schaute doof aus der Wäsche. »Ich verstehe nicht ganz. Was hat Herr Diefenbach damit zu tun?«

»Nichts«, erklärte ich. »Für KPD war es ein Mordversuch, für alle anderen ein Unfall. So wie es in der Vergangenheit schon öfter der Fall war.«

»Ich verstehe«, meinte Becker, sah aber dabei aus, als verstehe er rein gar nichts. »Ich bin auch nicht wegen des Unfalls hier, sondern weil ich einen Krimi über den Pfalzmarkt schreiben darf. Ist das nicht der Hammer, Herr Palzki?«

»Ja«, antwortete ich knapp. Jede Geschichte, die Becker schrieb, war der Hammer. Nur dass ich unter Hammer etwas anderes verstand als er.

»Mal schauen, ob ich den Unfall mit Ihnen und Frau Rustik in meinem neuen Krimi einbaue. Vielleicht bausche ich das tatsächlich als Mordversuch an Ihrem Chef auf. Damit hätte ich den Bogen zu den Protagonisten gespannt. So wird’s noch glaubwürdiger.«

»Ob das Ihre Leser aushalten?«

»Da muss ich Ihnen recht geben, Herr Palzki. Für einige meiner Stammleser ist es schwierig, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Wegen der vielen Realpersonen, die mittlerweile in meinen Romanen auftreten und der authentischen Handlungsorte wird es tatsächlich immer schwieriger, das eine von dem anderen zu unterscheiden.«

»Dann lassen Sie es doch einfach«, schlug ich vor. »Bevor Sie Ihre Fans noch mehr verwirren, lassen Sie einfach Ihre Hauptpersonen sterben. Wie wäre es mit einer bestialischen Ermordung von KPD? Zerfleischt von einer Bestie von Hund. Hier direkt auf dem Hof von Rustiks. Ein Riesenköter lebt hier ja.«

Becker lachte kurz auf. »Sie meinen Barbie, nicht wahr? Eine absolut harmlose Hündin. Das würde keiner meiner Leser glauben, wenn KPD durch Barbie zu Tode käme. Außerdem ist fest eingeplant, dass diese Krimireihe noch einige Jahre fortgesetzt wird. Ideen habe ich mehr als genug.«

Ich seufzte deprimiert. Ob mich Becker bis zu meiner Pension verfolgen würde?

»Herr Palzki, hat Ihnen Frau Rustik von den Lastwagen erzählt, die nachts heimlich umgeladen werden? Ich bin zweimal auf der Lauer gelegen, habe aber nichts Verdächtiges entdeckt. Mal schauen, ob ich aus dieser Geschichte den Nebenplot der Kriminalhandlung stricken kann. In der ersten Exposé-Version wollte ich Frau Rustik ermorden lassen, weil Sie diese Entdeckung machte und an die Polizei weitergab. Aber irgendwie erschien mir das bisher nicht logisch genug.«

»Seit wann haben Ihre kruden Geschichten etwas mit Logik zu tun?«, ärgerte ich ihn.

Becker wollte gerade antworten, doch noch vor der ersten Silbe brach er ab. »Hallo, Herr Diefenbach«, rief er über meine Schulter hinweg, »es freut mich, dass Sie ebenfalls eingeladen sind.«

KPD begrüßte Becker mit Handschlag. »Ich muss noch ein Hühnchen mit Ihnen rupfen«, begann er streng. »In Ihrem letzten Werk sind meine Vorzüge und positiven Charaktereigenschaften als guter Chef nicht richtig zur Geltung gekommen, obwohl ich Ihnen die wichtigsten Adjektive diktiert habe.«

»Da muss im Lektorat des Verlags etwas schiefgegangen sein«, entschuldigte sich Becker. »Ich werde das überprüfen, damit Sie in den Folgeauflagen korrekt beschrieben werden.«

»Das habe ich längst getan«, sagte KPD. »Nachdem ich mit meinen Anwälten gedroht habe, hat der Verlag eingelenkt. Ansonsten hätte ich eine einstweilige Verfügung erwirkt, und der Verlag hätte die komplette Auflage einstampfen müssen.«

»Ach, die paar Bücher«, mischte ich mich ein. »In China fällt jeden Tag ein Sack Reis um.« Beide warfen mir wütende Blicke zu.

Der Archäologiestudent nutzte die Gelegenheit, das Thema zu wechseln. »Riechen Sie auch schon das Essen von Frau Rustik? Vielleicht sollten wir langsam mal reingehen.«

Wir folgten Becker in das Haupthaus. Die Eingangstür stand weit offen und wurde von den beiden Katzen bewacht. Uns ließen sie ungehindert eintreten.

»Sie kommen gerade rechtzeitig«, rief Heidelinde Rustik aus dem Hintergrund. »Ist Herr Becker schon da?«

»Ja«, rief Becker, »ich bin vor ein paar Minuten gekommen. Kann ich Ihnen etwas helfen?«

»Passt alles«, kam die Antwort. »Mein Mann hat den Tisch gedeckt. Gehen Sie bitte durch ins Esszimmer.«

Das Esszimmer nahm die komplette vordere Hälfte des Erdgeschosses ein. Die großen Panoramascheiben wirkten untypisch für einen landwirtschaftlichen Hof, ließen dafür aber jede Menge Tageslicht herein. Am Tisch, an dem man locker zwei Dutzend Gäste unterbringen konnte, war für fünf Personen eingedeckt. Der Hausherr saß bereits an seinem Platz und trank ein Bier aus der Flasche. »Unsre Tochter Sonja un de Schwiechersohn kumme erscht morje zurick. Mei zwee Brieder und derre Fraue sinn in Urlaub. Sunscht däden die heit a do hocke zum Esse.« Er machte eine großzügige Geste. »Setzen eich. Will jemand ä Bier?«

Ich war der Einzige, der die Frage bejahte.

»Heidi, bringscht ämol ä Bier, hä?«

Kurz darauf brachte Heidelinde Rustik das gewünschte Bier nebst einem Glas. Wortlos stellte sie es auf den Tisch. Mit vorwurfsvollem Blick wandte sie sich an ihren Mann. »Kümmerst du dich bitte um den Wein?«

»Eijo«, erwiderte er. »Weißer oder Roter?«, fragte er in die Runde.

»Welche Qualitäten aus welchen Anbaugebieten haben Sie denn?«, fragte KPD vorsichtig.

»Kä Ahnung«, kam zur Antwort. »Mir sinn jo kä Woitrinker, mei Fraa unn ich. Am beschte hol ich mol alles, was mer in de Speiskammer stehe hawwen. Dort sammeln mer des Zeich, wu ma zum Geburtstag unn annere Gelecheheite gschenkt bekumme hawwen.«

Ich begann, mich innerlich zu amüsieren. Allein die Weinfrage würde meinen Abend retten.

KPDs Kinnlade fiel nach unten, als der Hausherr fünf verstaubte Flaschen auf den Tisch knallte. »Suchen Se sich was aus«, sagte er. »De Korkezieher liegt do vorne newer dem Flascheöffner. Gläser hab ich schunn uff de Disch gstellt.«

Während Becker und ich stumm die Szene beobachteten, holte KPD ein Taschentuch aus seinem Sakko und wischte halbherzig über eine der Flaschen. »Ich denke, ich lege einen alkoholfreien Tag ein und begnüge mich mit Mineralwasser.«

»Heidi, bringscht a noch ä Flasch sauer Wasser?«, brüllte Rustik in Richtung Küche.

Heidelinde Rustik brachte das Gewünschte. In ihrer zweiten Hand trug sie eine Pfanne, in der mehrere Koteletts lagen. Meine Magensaftproduktion legte einen Blitzstart hin. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich das Essen heute ausnahmsweise etwas lieblos präsentiere. Leider bin ich alleine in der Küche.«

»Das ist doch kein Problem«, sagte Becker. »Ich rieche schon, wie gut es schmecken wird.«

Frau Rustik schenkte ihm ein Lächeln. »Ich hole die Beilagen, dann können wir loslegen.« Sie blickte ihren Mann an. »Soll ich dir noch ein Bier mitbringen?«

»Eijo«, kam zur Antwort.

Die diversen Beilagen, die Heidelinde Rustik auftischte, waren wenig geeignet, meine Stimmung zu heben. Manches kannte ich sogar namentlich.

»Mann, was sinn des fer Mordsapparate«, rief Herr Rustik. »Sinn die vun uns?«

Seine Frau antwortete nicht, stattdessen fragte sie KPD: »Möchten Sie auch von den Zucchini?«

KPD nickte. »Sehr gerne, aber bitte nicht so viel. Das sind wirklich große Portionen.«

Auch Dietmar Becker und ihr Mann wurden mit dem Gemüsepotpourri versorgt. »Herr Palzki, was darf ich Ihnen auf den Teller legen?«

»Mir bitte nur ein Kotelett und zwei, drei kleine Kartöffelchen«, antwortete ich. »Ich habe leider diverse Al­lergien, da muss ich in der Auswahl der Lebensmittel sehr vorsichtig sein. Meine Frau weiß auch nie, was sie für mich kochen kann.«

Niemand am Tisch ging auf meine offensichtliche Lüge ein. Jeder war mit seinem Essen beschäftigt. KPD ebenfalls, aber anders als der Rest redete er hauptsächlich, statt zu essen. Ausschweifend klärte er uns über die verschiedenen Gemüsesorten auf, die vor uns auf den Tellern beziehungsweise in den Schüsseln lagen. Nur ab und zu wanderte eine Gabel mit Gemüse in seinen Mund, während er das Fleisch nicht anrührte. Frau Rustik rollte aufgrund der Diefenbachschen Aufklärung mit den Augen, während sie sich über ihr selbstgekochtes Gemüse hermachte. Ihr Mann hatte sein Kotelett bereits bis auf den Knochen abgenagt und begann, die diversen Beilagen zu verschlingen. Mein eigenes Kotelett hatte ich ebenso schnell wie der Hausherr gegessen. Heidelinde Rustik legte mir wortlos lächelnd ein zweites auf den Teller.

Dietmar Beckers Verhalten fand ich sonderbar. Trotz seines Lobes über Rustiks Kochkünste stocherte er mit der Gabel eher lustlos im Essen herum, während er wie hypnotisiert aus dem Fenster blickte.

»Ist es draußen interessanter als bei uns?«, fragte ich mit sarkastischem Unterton. »Hat Barbie jemanden gerissen?«

»Ach was«, winkte der Student ab. »Ich dachte, dass ich jemanden gesehen habe, den ich kenne.«

»Einer von den Erntehelfern?«, fragte Heidelinde Rustik.

»Nein«, antwortete Becker. »Kennen ist auch nicht der richtige Ausdruck, ich habe den Kerl dabei …« Er verstummte für einen Moment. »Das ist er ja tatsächlich.« Becker spritzte von seinem Platz auf und rannte aus dem Zimmer.

»Ihm hat’s bestimmt nicht geschmeckt«, sagte ich in die Runde. »Herr Becker handelt manchmal wenig rational.«

»Was ist denn mit ihm los?«, fragte KPD. Da er die ganze Zeit in einer Art Selbstgespräch über das Gemüse referierte, hatte er nichts von dem Geschehen mitbekommen.

»Er hat einen Geist gesehen«, beruhigte ich ihn. »Sie müssen wegen ihm nicht ins Schwitzen kommen.« KPD standen mehrere Schweißperlen auf der Stirn.

»Ich habe wohl zu schnell gegessen«, meinte er entschuldigend. »Mir ist irgendwie komisch.«

In meinen Augen war mein Chef immer komisch. Mein Blick schweifte zu Heidelinde Rustik. Sie hatte sich auf ihrem Stuhl nach hinten gelehnt und atmete schwer. Auch ihre Stirn war feucht. »Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte ich besorgt.

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25 мая 2021
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9783839267844
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