Читать книгу: «Henrici», страница 2

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Das Problem

Als Henrici am Morgen beim Aufstehen daran dachte, dass er nun schon eine ganze Weile allein sei, weil alle seine Bekannten aus den verschiedensten Gründen verreist waren, fragte er sich, was ihm nun eigentlich fehle. Die naheliegende Erklärung, dass es einfach der Umgang mit seinen Freunden sei, wollte er so nicht gelten lassen, weil sie zu allgemein war und sofort die weitere Frage nach sich zog, warum ihm die Gesellschaft der anderen wichtig war. Beim Nachdenken darüber fiel ihm auf, dass die, denen er begegnete, meistens entweder mit einer Schwierigkeit beschäftigt waren oder aber die Schwierigkeit übersahen, die sich in ihrer Beschäftigung verbarg. Henrici fand dann jeweils, was ihm jetzt ein von Selbstgefälligkeit nicht ganz freies schlechtes Gewissen klarmachte, seine Rolle darin, die Probleme der einen zwar nicht zu lösen, aber zu entkräften und hinfällig erscheinen zu lassen, die anderen hingegen auf die Probleme aufmerksam zu machen, die ihnen entgangen waren. Es mussten also die Probleme der anderen sein, die ihm ihre Gesellschaft wertvoll machten. Als Henrici abends beim Zubettgehen merkte, dass er sich damit auf sein eigenes Problem aufmerksam gemacht hatte, das darin bestand, dass ihm die Probleme der anderen fehlten, ging ihm vor dem Einschlafen die Frage durch den Kopf, was er nun damit anfangen sollte.

Das Rad

Mit dem Rücken zur Fahrtrichtung im Zug zu sitzen mochte für Nostalgiker, denen das Ziel egal ist, oder für einen, der las und es in jeder Lage vor sich, im Buch, hatte, keine ernste Sorge sein, aber wie sollte ein Unentschiedener, dem sich noch beim Reden die Dinge im Kopf drehten, damit zurechtkommen, dass vorn auf einmal hinten war, ohne dass man doch annehmen konnte, man bewege sich dorthin, woher man kam, dachte Henrici, der froh sein musste, in dem von Heimwärtsstrebenden zum Bersten vollen Wagon wenigstens einen Sitzplatz gefunden zu haben. Draussen war es Nacht und nichts zu sehen, und da keine sichtbaren Gegenstände die Fahrtrichtung zu ermitteln erlaubten, setzte sich in ihm die Vorstellung fest, der Zug fahre in der Gegenrichtung, bis ein plötzlich irrsternartig vorbeiflitzendes erleuchtetes Fenster seinem Körpergefühl allen Halt entzog und für einen Augenblick die beiden gegenläufigen Bewegungen nicht etwa, sich aufhebend, zum Stillstand kamen, sondern gleichzeitig, jede die andere überlistend, mit gleicher Stärke erfahren, die einspurige Strecke in Anspruch nahmen, die der Zug, von einem doch wohl seinen Beruf ernstnehmenden Lokomotivführer gelenkt, befuhr. Henrici, innerlich stolpernd, hielt sich am Polster fest, um die Spirale, in die er schwindelnd geraten war, zu stabilisieren. Sein Blick fiel auf die Frau gegenüber, die einen Artikel las, von dessen Titel nur das Wort Radar zu erkennen war, während auf der ihm zugekehrten Frontseite der Zeitung die Schlagzeilen Wie es im Knast stank und Opfer rettet Täter nicht zu vermeiden waren. Es fielen ihm Filme von der alten, flimmernden Art ein, die nur noch selten liefen, und in denen man sehen konnte, wie Räder anfingen, sich rückwärts zu drehen, obwohl der Wagen, an dem sie angebracht waren, ohne auseinanderzubrechen weiterfuhr.

Das Unkraut

Henrici unterbrach seine Schreibtischarbeit, um im Garten das vernachlässigte Beet, das er im Frühjahr zu bepflanzen dachte, zu jäten. Er kauerte, die kleine Hacke in der rechten Hand, mit gekrümmtem Rücken wie ein grosses G über dem unerwünschten Grünzeug, das es, möglichst mit allen sich verästelnden oder pfahlartig in die Tiefe stechenden Wurzeln auszureissen galt, eine Arbeit, der etwas abzugewinnen ihm ebenso viel Mühe bereitete wie sie selbst, bis ihm einfiel, Unkraut sei doch eigentlich das Kraut, das keines ist und sozusagen gegen alles wirklich Krautige, es überwuchernd, wächst. Das liess ihn, warum auch immer, an seinen Schreibtisch denken. Konnte man nicht die vielen Arten von Unkraut als Laute oder Buchstaben auffassen, mit denen die Natur ihre Schwatzhaftigkeit auslebte und sich über die blumigen Figuren künstlich angelegter Gärten lustig machte? Aber das hiess auch, dass man den mit Unkraut beschriebenen Flecken Erde, den man jätete, las, indem man das Gewächsalphabet aus ihm entfernte und ihm Zeichen um Zeichen seines Textes entriss. Die Möglichkeit, Jäten als beseitigendes Lesen zu begreifen, beflügelte Henricis Eifer, und als er nach zwei Stunden seine steifen Glieder streckte und die Gestalt eines I zurückzugewinnen suchte, blickte er voller Befriedigung auf das leere Blatt, das er hergestellt hatte, und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.

Das Wirkliche

Voss vermied es, Meinungen zu äussern, indem er andere nach der ihren fragte, die er dann in langen Auseinandersetzungen zersetzen konnte. Wenn jemand ihm eine Frage stellte, antwortete er stets mit einer Gegenfrage, um doch noch eine angreifbare Aussage zu provozieren. Nachdem Henrici während anderthalb Flaschen Bordeaux alle seine Antworten hatte zerfragen lassen, wollte er, ungeduldig geworden, von Voss erfahren, was er sich von seinem pausenlosen Fragen verspreche. „Halten Sie Fragen für fragwürdig?“ fragte darauf Voss. „Ja und nein“, sagte Henrici, „es kommt drauf an, was Sie mit fragwürdig wirklich meinen.“ Wie immer hütete sich Voss, etwas zu meinen, und murmelte, sich seinem Weinglas zuwendend, er frage sich, woher er wohl wüsste, was wirklich sei, wenn nicht andere ihm immer wieder zu verstehen gäben, was sie darunter verstünden. „Aber das Wirkliche ist doch nicht etwas, wonach man fragen kann, es ist das, was zustösst“, rief Henrici beinahe wütend. „Sehen Sie?“ fragte Voss.

Der Apfel

Eine literarische Zeitschrift veranstaltete eine Umfrage, die ermitteln sollte, was Stil ist. Eine ganze Reihe wichtiger Schriftsteller beteiligten sich mit Beiträgen, in denen sie mit der ihrer Bedeutung angemessenen Ausführlichkeit ihre eigene Schreibweise beschrieben und diese, ohne zu zögern, weil sie es nicht bemerkten, mit dem Stil im allgemeinen gleichsetzten. Die einzige Antwort, mit der Henrici etwas anfangen konnte, stammte von einem unbekannten und daher wohl unbedeutenden Autor: „Stil ist das, was vom Apfel bleibt, wenn man ihn isst.“ Das Besondere an dieser Definition war, dass sie sich sogleich und einfach überprüfen liess. Als Henrici, um dies zu tun, in die Küche ging, musste er feststellen, dass kein Apfel mehr auf der Fruchtschale lag. In der Not verzehrte er stattdessen eine Birne. Als er damit fertig war, hielt er nichts in der Hand als das verholzte Ende, an dem die Frucht aufgehängt gewesen war. Während er es etwas enttäuscht betrachtete, fiel ihm ein, dass es vielleicht doch auf den Apfel ankomme.

Der Baum

Beim Spazieren im Wald bemerkte Henrici einen Baum, der in den Himmel wuchs. Nach Hause zurückgekehrt, rief er die Forstverwaltung an und meldete seine Beobachtung. Der Mann am anderen Ende zeigte sich kaum beunruhigt und meinte, es komme darauf an, wo der Himmel anfange, und auch wenn man die Krone nicht mehr erkennen könne, sei das bei dem nebligen Wetter, das wir ständig haben, und bei der allgemein unsicheren Weltlage noch kein schlüssiger Hinweis. Und selbst wenn es so wäre, was konnte man dagegen tun? Henrici schlug vor, das Übel an der Wurzel zu packen und den Baum zu fällen. Das sei, gab man ihm zu verstehen, aus technischen Gründen nicht möglich, denn man könne nicht wissen, wo die jetzt vielleicht im Himmel befindliche Spitze des Baums den Erdboden erreichen oder eben vielleicht Häuser, Menschen oder einen Hund treffen würde. „Und warum reden Sie von der Wurzel eines Übels? Sogar wenn Übel Wurzeln hätten, wären Bäume noch lange keine Übel, mindestens nicht für uns, die Forstverwaltung. Wir lassen die Bäume wachsen, wohin sie wollen, sonst kommen wir auf keinen grünen Zweig.“ Henrici sagte nur noch, wenn er nicht in der Baumschule gelernt hätte, es sei die Aufgabe der Forstverwaltung, zu verhindern, dass die Bäume in den Himmel wachsen, hätte er sich nicht so weit auf die Äste hinaus gewagt. Bevor er aufhängte, hörte er den Forstverwalter noch brummen, er solle aufpassen, dass er den nicht absäge, auf dem er sitze.

Der Besuch I

Der Mann im schon etwas abgenützten Anzug aus bestem Stoff, der bei Rotlicht die Strasse überquerte, zögerte, auf der anderen Seite angekommen, einen Augenblick und ging dann, bei jedem Haus auf die Nummer achtend, nach links. Vor dem Haus Nummer 18 blieb er stehen, brachte seine etwas verrutschte Krawatte in Ordnung und ging dann auf dem mit Unkraut überwachsenen Kiesweg auf den Eingang zu. Schreiber, der, in gedankenloser Untätigkeit am Fenster stehend, die Bewegungen des Fremden seit längerem beobachtet hatte, starrte, als er ihm in der Öffnung der Haustür gegenüberstand, den Besucher einige Zeit an, bevor er sagte: „Ich weiss nicht, ob ich Sie hereinbitten soll, Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“ „Henrici“, sagte, sich leicht verbeugend, Henrici. „Dass ich Ihnen bekannt vorkomme, darf ich vielleicht so verstehen, dass wir uns noch nicht gut genug kennen.“Der Besuch II

Der Besuch II

Der Besucher entfernte sich. Er ging langsam, und sein Oberkörper schien sich kaum zu bewegen. Er trug einen steifen Hut, der mit einem schwarzen Seidenband umspannt war und kaum merklich schief auf seinem Kopf sass. Der Rücken gab, mehr als sein Gesicht, Aufschluss über ihn. Die Spitzen seiner zum grauen Kammgarnanzug passenden schwarzen Schuhe waren beim Gehen nach aussen gewendet, was seinem Gang etwas leicht Schlingerndes gab und bei jedem Schritt eine leise Unsicherheit über die Richtung entstehen liess, die er einschlagen würde. Ein altmodischer Stockschirm, dessen Bespannung in einem teleskopartig zusammenschiebbaren Bambusfutteral versorgt war, das ihn bei trockenem Wetter als Spazierstock geeignet machte, hing unbenützt am Arm des älteren Herrn und wurde durch dessen Bewegungen beim Gehen in eine sanfte Schwingung versetzt. „Er geht langsam, weil er ohnehin überholt ist“, dachte Henrici, der dem Weggehenden nachblickte und in ihm zu erkennen glaubte, was auf ihn zukam. Plötzlich stand der Mann still, und seine Erscheinung straffte sich in der Konzentration auf die aufrechte Haltung, in der jetzt alle Einzelheiten seiner Ausstattung verschwunden waren. Es war nicht zu entscheiden und gleichgültig, ob etwas Äusseres seine Aufmerksamkeit geweckt hatte, oder ob ein Gedanke in ihm Gestalt annahm, bevor die Spannung sich löste und er seinen Weg fortsetzte.

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9783906050140
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