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UNTERRICHT NACH FÜNFJÄHRIGER PAUSE

Der Lehrgang hatte bereits im September begonnen. Ich musste also den Unterrichtsstoff von vier Monaten nachholen. Zunächst gab es auch einige Anlaufschwierigkeiten. Nach relativ kurzer Zeit hatte ich aber den Anschluss geschafft. Das war einmal den ausgezeichneten Lehrkräften zu danken, zum anderen erwies sich das Fundament, das vor Jahren auf St. Augustin gelegt wurde, als sehr solide und tragfähig, und drittens war ich ja auch mit dem Vorsatz hier eingestiegen, die Zeit zu nutzen.

Neben den allgemeinen Unterrichtsfächern gab es an der Vorstudienanstalt auch eine Vorlesung „Einführung in die Geschichte und Volkswirtschaft“, durch die ich mit den philosophischen Grundlagen des Marxismus, mit dem Kommunistischen Manifest und der marxistischen Politökonomie bekannt gemacht wurde. Der Dozent, ein gewisser Dr. Sch., hatte die Gabe, diesen Stoff interessant zu gestalten und in einer lockeren Form seinen Zuhörern verständlich zu machen. Ich denke zuweilen heute noch oder wieder daran, nachdem wir in den letzten Jahren Gelegenheit hatten, das Für und Wider der globalen Marktwirtschaft kennen zu lernen.


Bescheinigung über den Beitrag des Autors beim Neuaufbau des Landes

In meiner Klasse strebten mit mir noch etwa 25 weitere, ausnahmslos männliche Personen, das gleiche Ziel an, nach bestandener Prüfung an einer Hochschule zu studieren. Fast alle waren noch Soldat gewesen, und fast alle waren jetzt Mitglied einer Partei, der Partei. Ein paar Scharfmacher waren auch darunter.

Unter dem 2. Juni 1948 findet sich in meinem Kalender eine Notiz: „Man spricht mit mir“. „Man“, das waren jene Scharfmacher, die aus mir unbekannten Gründen irgendetwas gegen mich hatten, wahrscheinlich, weil ich mich nicht entschließen konnte, einer Partei und noch nicht einmal der FDJ beizutreten. Zuvor hatte der als Klassenleiter eingesetzte Dozent, ein gewisser Dr. H., bereits versucht, mich dazu zu bewegen, die Vorstudienanstalt freiwillig zu verlassen. Wahrscheinlich war auch das auf Betreiben der „Scharfmacher“ geschehen. Weil ich aber in allen Fächern gute Leistungen vorweisen konnte, in Mathe hatte ich sogar eine 1, fand sich kein Vorwand, mich von der weiteren Teilnahme am Lehrgang auszuschließen. Als im August die letzten Prüfungen stattfanden, war bereits geklärt, dass ich mit dem Beginn des Wintersemesters 1948/49 ein Studium an der Architektur-Abteilung der Technischen Hochschule Dresden aufnehmen würde. Wegen der nicht befolgten Arbeitsverpflichtung gab es nach meiner Rückkehr aus der britischen Zone keine Schwierigkeiten. Erst später wurde meinem Vater zugetragen, dass mich gewisse Leute ganz gern noch angeschwärzt hätten. Die Namen sind bekannt, aber inzwischen ist das alles längst verjährt.


Die Eintrittskarte zum Abschlussball der Vorstudienanstalt Leipzig in der „Güldenen Aue“ in Leipzig-Sellerhausen.

Nach abgeschlossener Prüfung durften wir uns, sozusagen als Anerkennung, einen FDGB-Ferienplatz aussuchen. Mit meinem Klassenkameraden Klaus Z. hatte ich mich für Rathen in der Sächsischen Schweiz entschieden. Auf der Fahrt dorthin mussten wir in Dresden unser Gepäck von einem Polizeiaufgebot durchsuchen lassen. „Volkskontrolle“ nannte sich das, und nach Schieberware suchten sie. Ein Brot, das ich mir als Zusatzverpflegung für den Urlaub eingepackt hatte, durfte ich behalten. In Rathen kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch. Jahrgang 1926, wie ich. 1946 war er von den Russen verhaftet worden. Als angeblicher Angehöriger des „Werwolf“ hat er zwei Jahre in Buchenwald verbüßt, ohne Verhandlung, ohne Urteil.

„Viele haben sich das Leben genommen, vor ein paar Wochen wurde ich entlassen.“

Die Zeit bis zum Beginn des ersten Semesters in Dresden wurde genutzt, um die immer noch schmale Ernährungsgrundlage etwas aufzubessern. Eine Notiz aus jenen Tagen besagt:

„Wieder von Rathen zurück, beginnt sofort das Kartoffelstoppeln. Zu Hunderten und Tausenden ziehen die Menschen durch die Fluren und überfallen die Felder wie Heuschreckenschwärme. Die Stimmung ist äußerst gereizt.

***

VERBOTENE ZEITSCHRIFTEN

In diesen Tagen erregten wir, unsere Familie, aus uns unverständlichen Gründen erstmalig die Aufmerksamkeit der Volkspolizei. Am 2. Oktober 1948 erschien ein Volkspolizist in der Wohnung meiner Eltern, in der Hand eine Liste, worauf die Abonnenten von Zeitschriften vermerkt waren, die in den westlichen Besatzungszonen erschienen. Das betraf meine Person mit der Zeitschrift „Die neue Stadt“, einer Fachzeitschrift für Städtebau und meinen Vater mit dem „Polygraf“, der Titel sagt es schon, einer Zeitschrift für das grafische Gewerbe. Beide kamen aus Frankfurt am Main. Am liebsten wollte der junge Mann sämtliche uns vorliegenden Nummern dieser Zeitschriften gleich mitnehmen. Nach Protesten unsererseits beließ er es bei aufklärenden Worten, dass es verboten sei, Zeitschriften westlichen Ursprungs zu abonnieren, was wir, verwundert bis verständnislos, zur Kenntnis zu nehmen hatten. Die bezeichneten Zeitschriften wurden schließlich ganz legal durch die Post angeliefert. Das löste aber auch Betrachtungen über die Befugnisse der Polizei im Allgemeinen und im Besonderen darüber aus, auf welche Weise sich die Polizei Kenntnis über den verdächtigen Personenkreis verschafft hatte. In späteren Jahren haben wir uns über Derartiges nicht mehr gewundert.

Im Gegensatz dazu konnte man noch im Sommer des Jahres 1948 in Leipzig ganz offiziell im Zeitschriftenhandel den Westberliner „Telegraf“ kaufen. An einem Stand vor dem Alten Rathaus in Leipzig hatte ich für 50 Pfennige die Broschüre „Offen gesagt“ des ehemaligen US-Außenministers John F. Byrnes erworben. Darin wurden den Sowjets sehr offen ihre Sünden vorgehalten. Dieser Freizügigkeit war nach der Währungsreform und mit der Berlinblockade ein Ende gesetzt worden. Dass es trotzdem noch Schlupflöcher gab, sollten wir bald erfahren. Der Postverkehr funktionierte noch, und meinen Vater erreichten nun regelmäßig Paketsendungen aus Westberlin, deren Inhalt aus besonders für diesen Zweck in Kleindruck und Miniformat hergestellten Westberliner Tageszeitungen bestand.

Nach welchen Gesichtspunkten gerade mein Vater als Empfänger dieser höchst brisanten Sendungen ausgewählt wurde und von wem, vermochten wir nicht zu ergründen.

***

WÄHRUNGSREFORM

Der Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen, am 20. Juni 1948, folgte wenige Tage später, am 23. Juni, der Geldumtausch in der sowjetischen Besatzungszone. Das waren wesentliche Voraussetzungen für die ein Jahr später erfolgten Gründungen der beiden deutschen Staaten3 und damit bedeutsame Stationen auf dem Wege zur Teilung Deutschlands. Weil auch heute, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung4, der Begriff „Währungsreform“ bei einigen Bürgern der alten Bundesrepublik reflexartig die Vorstellung auslöst, dass sie allein mit 40 DM beginnen mussten, während die im Osten …, will ich hier einfügen, was die meisten Menschen nicht mehr wissen, wie das damals im Osten war.

Während am Tage der westlichen Währungsreform das neue, in den Vereinigten Staaten gedruckte Geld (und so sah es auch aus) bereits zur Verfügung stand und ausgegeben werden konnte, wurden in der SBZ zunächst die alten Reichsmarkscheine beibehalten, durch eine aufgeklebte Marke aufgewertet und so zur neuen DM-Ost umfunktioniert. Jedem Bürger standen 70 Mark der neuen Währung zu, alles Übrige wurde 1:10 abgewertet. Sparguthaben aus der Zeit ab Mai 1945 bis zu einer Höhe von 100 Reichsmark wurden im Verhältnis 1:1 umgewertet, darüber hinausgehende Beträge bis zu 1000 Reichsmark im Verhältnis 1:5 und dann weiter 1:10. Auf diese Weise wurden aus einem Guthaben von 1131,58 Reichsmark, das sich nach 1945 auf meinem Sparkonto angesammelt hatte, 293,00 DM-Ost. Das war der Gegenwert für zwei Jahre Arbeit auf dem Bau. Das Umtauschverhältnis war für die Ostdeutschen zweifellos günstiger als für die Westdeutschen. Aber, was bei dieser Bewertung nicht berücksichtigt ist:

Den Bewohnern der SBZ hatte man gleich 1945 ihre Sparkonten gesperrt. Für sie traf nicht zu, was Autor Hans Riehl in seinem Buch „Requiem für eine Währung“ schreibt:

„Gerade in den Nachkriegsjahren mußten viele Menschen auf Erspartes zurückgreifen. Um einigermaßen über die Runden zu kommen, mußte oft der letzte Pfennig ausgegeben werden – beim Hamstern, und wenn es sein mußte, auch einmal auf dem Schwarzmarkt.“5

Die Ostdeutschen hatten nichts Erspartes mehr, auf das sie zurückgreifen konnten.


Das Sparbuch von Hans Hüfner

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STUDENTENZEIT 1948 – 1954
ARCHITEKTURABTEILUNG TH DRESDEN BIS ZUM
VORDIPLOM

Die Jahre 1948 und 1954 sind Anfang und Ende meiner schließlich erfolgreichen Bemühungen, an der Architekturabteilung der Technischen Hochschule Dresden den akademischen Grad eines Diplomingenieurs zu erlangen. Aber nicht nur davon soll hier die Rede sein, sondern auch vom Alltag jener Jahre, der uns Studenten trotz zeitbedingter Probleme und Schwierigkeiten auch beachtliche Freiräume bot.

Am 11. Oktober 1948 sollten mit dem Beginn des Wintersemesters 1948/49 an der Technischen Hochschule Dresden die Vorlesungen beginnen. In einem Brief vom 12. Oktober 1948 an meine Eltern teilte ich ihnen folgende Eindrücke mit:

„Ich bin gut in Dresden angekommen. Die Bahnfahrt war kein Vergnügen, die Fenster im Abteil nicht verglast. In Riesa ging es nicht weiter, weil die Lokomotive einen Schaden hatte. Ankunft in Dresden mit einer Stunde Verspätung.“

Erst am 25. Oktober war es dann tatsächlich so weit.

***

DIE STUDENTENBUDE

Bereits im August war ich das erste Mal in Dresden, um mir eine Bleibe für die kommenden Jahre zu sichern. Beim Studentenrat gab es einen Zimmernachweis, aber das Angebot bestand fast ausschließlich in möblierten Zimmern, die mehr oder weniger am Stadtrand lagen. Deswegen war ich, als schließlich mein dritter Versuch von Erfolg gekrönt war, bereits zweimal mit der Straßenbahn von einem zum anderen Ende durch Dresden gefahren und auch ein ganzes Stück durch die zerstörte Innenstadt gelaufen.


Blick aus der Münzgasse auf die Ruine der Frauenkirche im Jahr 1962

Drei Jahre nach den Angriffen vom Februar 1945 war hier das Leben noch nicht zurückgekehrt, sieht man einmal von den jungen Birken, der Goldrute und sonstigen Kräutern ab, die sich auf dem Trümmerschutt angesiedelt und hier eine ausreichende Lebensgrundlage gefunden hatten. Die Hauptstraßen waren zwar von Trümmern beräumt, aber ausgebrannte Ruinen säumten die Straßenränder. Es gab keine bewohnbaren Gebäude, es gab keine Geschäfte, und zwangsläufig gab es auch keine Menschen in dieser Trümmerwüste. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Nur der allgemeine Eindruck dieses bis dahin unvorstellbarem Chaos hat sich meinem Gedächtnis für alle Zeiten eingeprägt.


Der Postplatz in Dresden mit Ruine der Sophienkirche Hintergrund der Schlossturm ohne Haube Ende der 1950er Jahre

Mit Vorlesungsbeginn im Oktober bezog ich dann auch meine Studentenbude in einem freistehenden Doppelhaus in der Brunnenstraße in Dresden A 20, Leubnitz-Neuostra, einem Stadtteil mit ländlichem Charakter, in dem es damals noch richtige Bauernhöfe gab, eine stattliche Dorfkirche und nur vereinzelt auch einige Ruinengrundstücke. Meine „Studentenbude“ war ein ziemlich unzweckmäßig möblierter Raum, der nur über das Wohnzimmer meiner Wirtsleute erreichbar war, was die uneingeschränkte Kontrolle meiner Person und der Personen, die bei mir ein- und ausgingen, ermöglichte.


Der Blick aus dem Fenster der „Studentenbude“ in Leubnitz-Neuostra

Aber als Neuling auf diesem Gebiet hatte ich das erst später erkannt. Monatlich waren 25,00 DM (Ost) als Miete zu entrichten. Immerhin lag meine Wohnung im Grünen, abseits vom Verkehrslärm, aber gleichfalls ziemlich weit entfernt von den öffentlichen Verkehrsmitteln, so dass es sich als zweckmäßig erwies, den täglichen Weg zur Hochschule in jeweils 45 Minuten für Hin- und Rückweg zu Fuß zurückzulegen. Das wiederum wertete ich als der Gesundheit dienlichen und auch nötigen Ausgleich, weil ich doch nun in erster Linie geistig tätig sein sollte.

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DER UNTERMIETER

Meine Wirtin, mit Namen Frau Käte, war ohne Zweifel der Herr im Hause. Sie war ein guter Mensch und hegte mir gegenüber starke mütterliche Gefühle, was sie dadurch zum Ausdruck brachte, dass sie mich in Ermangelung eigener Kinder und ohne meine Einwilligung zu ihrem „Vizesohn“ ernannte.

Daraus leitete sie in der Folgezeit auch mütterliche Rechte ab. Aus ihren angemaßten Rechten wurden für mich schließlich Pflichten, denen ich mich kaum entziehen konnte. Das erstreckte sich über meine Mitwirkung an der Vorbereitung der Mahlzeiten wie Kartoffelstampfen und anderen Hilfsdiensten in der Küche bis zur Schnellreparatur von defekten Schuhen, wenn sich wieder einmal die Sohlen gelöst hatten. Die Hasen waren zu füttern, und einmal, ich mag gar nicht daran denken, wurde ich dazu ausersehen, eines dieser armen Tiere zu schlachten, zu töten. Es war das erste und gleichzeitig das letzte Mal in meinem Leben, dass ich mich zu einer solchen ruchlosen Tat überreden ließ. Diese Aufzählung meiner Pflichten ließe sich beliebig erweitern.

Aus einem Brief an meine Eltern vom 30. Januar 1949:

„Nächste Woche fährt meine Wirtin für drei Wochen zur Erholung. Ihrem „Männelein“ gibt sie nun gute Ratschläge, was und wie er kochen soll, daß er Staub wischen und auch den Keller sauber machen soll. ,Nicht wahr, Herr Hüfner, Sie kümmern sich auch mal ein bißchen mit drum’.“

Ich möchte nur noch erwähnen, dass sie, nämlich Frau Käte und ihr „Männelein“, wie sie ihren Ehemann liebevoll nannte, sich auch meiner noch schlummernden künstlerischer Fähigkeiten bedienten, wenn sie Entbehrliches aus ihrem Haushalt gegen lebenswichtige Naturalien eintauschen wollten. Jeder musste damals zusehen, sich über Wasser und am Leben zu erhalten. Das traf auch und besonders für meine Wirtsleute zu.


Meine Wirtin Frau Käte und ihr „Männelein“

…rastlos tätig in Haus und Hof und Garten und jederzeit besorgt…


um das Wohlergehen des Untermieters und Vizesohns

Er nannte sich noch immer „Obertelegrafeninspektor“, hatte aber diesen klangvollen Titel mit dem Zusatz „a.D.“ versehen müssen, weil er als einstiges Mitglied einer großen Partei nun kein Obertelegrafeninspektor mehr war und überhaupt, weil es nun keine Beamten mehr gab.

Jedes Mal, wenn sie sich zum Verkauf eines weiteren Stückes ihrer gut bürgerlichen Wohnungseinrichtung gezwungen sahen, wurde ich beauftragt, dasselbe zur Veranschaulichung für potenzielle Käufer „abzumalen“, das heißt, eine Bleistiftskizze davon anzufertigen. Mein Können wurde auf eine harte Probe gestellt, als es galt, ein formloses Gebilde aus Hirschgeweihen darzustellen, welches bis dahin die Wohnzimmerleuchte umschlang. Dann erinnere ich mich noch an einen Friedhofsengel aus Marmor in voller Lebensgröße, der offenbar seinen Zweck erfüllt hatte und der nun gegen Kartoffeln aufgewogen werden sollte. In beiden Fällen war mein Werk zur vollen Zufriedenheit der Auftraggeber gelungen. Mit einem Topf voller Pellkartoffeln zum Abendessen wurde ich dafür belohnt. Es war zwar eine brotlose, aber dennoch nahrhafte Kunst.

***

WIE MAN SO LEBTE ALS STUDENT

Das Studium der Architektur brachte zunächst keine außergewöhnlichen Belastungen mit sich. Bestenfalls zu Prüfungszeiten spitzte sich die Situation zu, aber so weit waren wir noch nicht. In meinem Kalender machte ich die Notiz:

An den Betrieb an der TH haben wir uns bald gewöhnt, der Stoff ist zu bewältigen, bis auf Physik“.

Aber Physik war ohnehin kein Prüfungsfach. Vorläufig bestand für uns der Ernst des Lebens in erster Linie darin, dass wir uns mit den zeitbedingten Schwierigkeiten herumschlagen mussten.

Durch die Vorlesungen wurden wir zunächst nicht überfordert. Herr Diplomingenieur Preis brachte uns bei, wie man mit einem Rechenschieber hantiert. In den Vorlesungen und Übungen für „Werklehre“ beschäftigten wir uns unter der Anleitung von Herrn Diplomingenieur K. mit dem Entwurf, der Gestaltung und der Konstruktion eines Wochenendhauses, auch wie man exakt einen Schatten konstruiert, was offenbar für unser künftiges Berufsleben als außerordentlich bedeutsam angesehen wurde. Nach heutigen Maßstäben war unser Wochenendhaus eine kümmerliche Hütte, die uns allein dadurch einige Probleme bereitete, dass wir unsere neu gewonnenen Erkenntnisse in Form einer bautechnischen Zeichnung auch zu Papier bringen sollten. Das war deshalb so schwierig, weil wir in diesem Handwerk blutige Anfänger waren und unsere Vorhaben mit altertümlichen Werkzeugen realisieren sollten, mit einer Reißfeder, wie sie vermutlich bereits die großen Baumeister der Vergangenheit für ihre Entwürfe verwendet hatten, mit denen sie dann in die Geschichte der Baukunst eingingen.

So hoch gesteckt war unser Ehrgeiz nicht, konnte er nicht sein, weil es die, dem 20. Jahrhundert entsprechenden Zeichengeräte nur im Westen gegen harte Währung gab. Schließlich gelang es uns trotzdem, nach etlichen missratenen Versuchen, eine Zeichnung zu produzieren, die wenigstens als Beleg anerkannt wurde. Was uns noch an Wissen vermittelt wurde, war ganz gut zu bewältigen, und die ersten Prüfungen lagen noch in beruhigender Ferne. Es blieb also genügend Zeit, sich erst einmal mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Meinem Kalender entnehme ich, dass ich die erste Erkundungstour bereits im Oktober des Jahres unserer Ankunft startete, allein und zu Fuß von Leubnitz aus über das Blaue Wunder nach Bühlau.


Dresden. Technische Hochschule. Bauingenieur-Gebäude – Aufnahme vor 1945

Dort habe ich in einer Gaststätte gegessen, es könnte im „Trompeter“ gewesen sein, gegen Abgabe von Fleisch- und Fettmarken und 500 Gramm Kartoffeln, die man stets in einem Beutel mit sich führte. Dann ging es weiter durch die Heide über Klotzsche und Hellerau bis nach Radebeul und erst von dort aus mit der Straßenbahn zurück nach Leubnitz. Das war mit rund 25 bis 30 Kilometern und knurrendem Magen eine Leistung, die sich sehen lassen konnte. Im Oktober 1948 lag das Kriegsende bereits mehr als drei Jahre zurück. An einen Friedensvertrag mit Deutschland war nicht zu denken, weil es dieses Deutschland, mit dem ein derartiger Vertrag abgeschlossen werden könnte, nicht mehr gab und vermutlich in absehbarer Zeit nicht wieder geben würde. Die einstigen Alliierten waren auf Konfrontationskurs gegangen, der um diese Zeit mit der Berlinblockade seinen ersten Höhepunkt erreichte. Die bereits erfolgten Währungsreformen in Ost und West hatten auch uns die D-Mark gebracht, allerdings nicht die harte, und somit blieb zunächst erst einmal, die wirtschaftlichen Probleme des Alltags betreffend, alles wie es war: Kalte Bude, knurrender Magen, Stromsperren, abgetragene Klamotten, der allgemeine Mangel. Wir haben das hingenommen, mit fröhlicher Gelassenheit und in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Immerhin hatten wir die Sicherheit, dass wir jeden Monat unser Stipendium in Empfang nehmen konnten. Und auch meine Eltern haben geholfen, soweit das ihnen möglich war.

Brief an meine Eltern vom 7. November 1948:

„Ich habe natürlich gestaunt, als ich am Donnerstag nach Hause kam und zwei Sack Briketts, Kartoffeln und andere gute Sachen für mich angekommen waren. Ich danke Euch ganz herzlich dafür, dass Ihr Euch so um mich sorgt.“

Angekündigt hatte mir diesen Segen meine Mutter bereits von ein paar Wochen, weil für den Transport dieser Kostbarkeiten doch einiges zu bedenken war.

Aus einem Brief meiner Mutter vom 3. Oktober 1948:

„Gestern abend besuchten uns Tante Lotte und Onkel Otto. Onkel Otto will morgen nach Dresden fahren und Dir gleich etwas mitnehmen. Wir wollten Dir gern zwei Zentner Brikett mitgeben. Wir waren deshalb heute auf dem Rathaus wegen einer Bescheinigung. Diese gibt es aber nur, wenn die Briketts direkt ab Werk geholt werden. Jetzt ist der Papa bei Hessen Otto und berät mit ihm darüber. Wenn er keinen Nachweis hat, kann es bei eventuellen Volkskontrollen möglich sein, daß er die Briketts bei der nächsten Volkssolidarität ausschütten muß. Aus Deinem Brief ersehen wir, daß Du die Feuerung gut gebrauchen kannst. Wir bedauern Dich wirklich, daß Du so frieren mußt.

In meinem Kalender findet sich unter dem 8. Dezember 1948 diese Notiz:

Zwei Monate bin ich nun in Dresden. Mir gefällt es hier trotz der Trümmer, trotz kalter Bude, trotz leerem Magen und trotz meiner Wirtin.“

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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189 стр. 82 иллюстрации
ISBN:
9783961456345
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