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Meditation und Hirnaktivität
Der Ausdruck „Meditation“ bezeichnet ein breites Spektrum an Techniken und Praktiken. Diese reichen von bloßen Entspannungsmethoden bis zu langjährigen Übungen mit dem Ziel, einen besonderen geistigen Zustand zu erreichen. Jede Form der Meditation beginnt mit einem Willensakt. Die passive Methode beginnt mit der willentlichen Absicht, den Geist von allen Gedanken, Gefühlen, Fantasien und Erinnerungen zu entleeren. Aktive Formen der Meditation hingegen wollen den Geist nicht entleeren, sondern die Aufmerksamkeit intensiv auf einen Gedanken, ein Mantra, ein Symbol, einen Vers aus der Heiligen Schrift oder einen Gegenstand, wie z. B. eine brennende Kerze oder eine Schale mit Wasser, richten. Dadurch soll ein völliges Absorbiert-Sein des Geistes durch den Gegenstand der Aufmerksamkeit erreicht werden. Andrew Newberg, der mit seinen Mitarbeitern seit Jahren den Zusammenhang zwischen meditativen Zuständen und Gehirnfunktionen erforscht, zählt zu den aktiven Methoden die transzendentale Meditation und verschiedene Meditationsformen des tibetischen Buddhismus.
Newberg und seine Mitarbeiter fragten sich: Was geschieht im Gehirn im Moment eines intensiven meditativen Erlebnisses? Solche Erlebnisse gehen häufig mit einer veränderten Wahrnehmung der eigenen Person, des Raumes und der Zeit einher. Den Betroffenen fällt es schwer, ihr unbegreifliches und höchst persönliches Erlebnis in passende Worte zu fassen. Sie spüren in solchen Momenten, dass sie keine isolierte Einheit, sondern ein Teil von jedem und allem sind, was existiert. Ihr Raum- und Zeitgefühl ist völlig verändert, und ein intensives Gefühl tiefer Ruhe stellt sich ein. Newberg meint, traditionelle Naturwissenschaftler würden derartige Beschreibungen als unbrauchbar für die empirische Forschung betrachten. Für sie gelte nur das als real, was objektiv erfassbar, messbar und berechenbar ist. Was mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht bewiesen werden kann, sei folglich nicht wirklich real. Newberg und sein inzwischen verstorbener Kollege Eugene d’Aquili gelangten in ihren Studien zur Überzeugung, dass mystische Erfahrungen mit einer Reihe neurologischer Prozesse einhergehen, die zwar ungewöhnlich sind, aber innerhalb des Spektrums normaler Gehirnfunktionen liegen. Für sie sind diese Erfahrungen biologisch real und naturwissenschaftlich wahrnehmbar (vgl. Newberg et al. 2003 a, 17).
Warum Gott nicht fortgeht: Experimente Andrew Newbergs
In einem kleinen dunklen Raum im Labor einer Universitätsklinik zündet Robert, ein gläubiger Buddhist und Praktiker der tibetischen Meditation, Kerzen und ein Räucherstäbchen an, verschränkt seine Beine zum Lotussitz und begibt sich auf eine meditative Reise nach innen, die er schon viele Hunderte Male unternommen hat. Gewinnt Robert den Eindruck, sich dem Höhepunkt seines meditativen Zustandes zu nähern, zieht er an einer Schnur. Für Newberg und seinen Mitarbeiter im Nebenraum, wo diese Schnur endet, ist dies das Signal, eine radioaktive Substanz in den langen intravenösen Schlauch zu spritzen, der in eine Vene in Roberts linkem Arm führt. „Wir warten noch einige Augenblicke, bis Robert seine Meditation beendet hat, und bringen ihn dann rasch in einen Raum in der Abteilung für Nuklearmedizin, in dem eine wuchtige, hochmoderne SPECT-Kamera bereitsteht. Kurz darauf streckt sich Robert auf einem Metalltisch aus, und die drei großen Kristallköpfe der Kamera surren in präzisen, roboterhaften Kreisbewegungen um seinen Schädel.“ (Newberg et al. 2003 a, 11 – 12)
SPECT steht für „Single Photon Emission Computed Tomography“, ein bildgebendes Verfahren, das radioaktive Strahlung registriert. Weil die radioaktive Substanz sich durch den Blutkreislauf bewegt und sich innerhalb kürzester Zeit in den Gehirnzellen festsetzt, kann man mit SPECT-Aufnahmen die regionale zerebrale Durchblutung sichtbar machen. Verstärkte Durchblutung in einer Gehirnregion, so die Annahme, geht in der Regel mit erhöhter Aktivität der Nervenzellen in dieser Region einher, und umgekehrt. Das SPECT-Verfahren besitzt eine relativ gute räumliche Auflösung, erfordert jedoch die Injektion eines radioaktiven Markierungsstoffes. Andere bildgebende Verfahren, wie die funktionelle Magnetresonanztomografie und die Positronen-Emissionstomografie, wären, so Newberg, zu lärmintensiv. Meditation erfordere eine ruhige und ablenkungsfreie Umgebung. Es dürfte schwierig sein, in einem Scanner zu meditieren.
Newberg und seine Mitarbeiter untersuchten acht gesunde Personen, vier Frauen und vier Männer im Alter zwischen 38 und 52 Jahren, die eine Form tibetisch-buddhistischer Meditation praktizierten. Alle blickten bereits auf mehr als fünfzehn Jahre Meditationserfahrung zurück, einschließlich dreimonatiger und jährlicher einmonatiger Exerzitien. Sie meditierten täglich circa eine Stunde lang, und das mindestens an fünf Tagen der Woche. Alle acht Teilnehmer der Studie wurden der gleichen Prozedur unterzogen. Zuerst führten Newberg und seine Mitarbeiter 45 Minuten lang ein SPECT-Scanning der Meditierer im Ruhezustand durch, um das Ausgangsniveau (baseline) der Hirndurchblutung zu erheben. Dasselbe machten sie bei den neun gesunden Personen der Kontrollgruppe, die für andere Untersuchungszwecke rekrutiert worden waren, um deren Ausgangsniveau (baseline) mit dem der Meditationsgruppe vergleichen zu können. Nach der Erhebung des Ausgangsniveaus meditierte jede der acht Personen in ihrer gewohnten Art zirka eine Stunde lang, während der letzten dreißig Minuten der Meditation mit geschlossenen Augen. Nach der Injektion des Markierungsstoffes auf dem Höhepunkt der Meditation meditierte jede Person noch zehn bis fünfzehn Minuten in derselben Intensität weiter. Dreißig Minuten nach der Injektion wurden eine halbe Stunde lang SPECT-Aufnahmen gemacht (vgl. Newberg et al. 2001).
Später untersuchte Newberg drei Franziskanerinnen beim Gebet mit der gleichen Technik (vgl. Newberg et al. 2003 b).
Bei praktisch allen Teilnehmern der Studie zeigten die SPECT-Aufnahmen in den Spitzenmomenten der Meditation und des Gebetes einerseits eine erhöhte regionale Durchblutung im Stirnhirn (Präfrontalkortex und Orbitofrontalkortex) auf beiden Seiten und andererseits eine Abnahme der regionalen Durchblutung im linken, oberen Scheitellappen, dem sogenannten Orientierungsareal. Es bestand eine auffallende Umkehrbeziehung zwischen der erhöhten Durchblutung im Stirnlappen, dem Hirnbereich, der für die Willensbildung, die Konzentration der Aufmerksamkeit und die Gefühlskontrolle zuständig ist, und dem Orientierungsareal im Scheitellappen. Die Zunahme der Durchblutung im linken Präfrontalkortex korrelierte signifikant mit der Abnahme der Durchblutung im linken oberen Scheitellappen. Die Untersuchung erfasste die regionale Hirndurchblutung nur zu einem einzigen Zeitpunkt der Meditation und nicht während ihrer gesamten Dauer. Die Aufnahmen wurden nur während des angenommenen Höhepunktes der Meditation gemacht. Es kann tatsächlich sein, dass sie einen anderen Aspekt der Meditation widerspiegeln (Newberg et al. 2001, 118 – 121). Bei den Franziskanerinnen zeigten die SPECT-Bilder ähnliche Veränderungen, die während der intensivsten religiösen Erfahrung auftraten. Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Baseline-Scans der Meditationsgruppe und der Kontrollgruppe.
Die Meditierenden beschrieben den Höhepunkt ihrer Meditation als ein Aufgehen des Selbst in etwas Größerem, als ein Gefühl, eins zu sein mit dem Ganzen oder mit Gott, und als den Verlust des normalen Raum- und Zeitgefühls. „Im Gegensatz zu den Buddhisten beschrieben die Schwestern diesen Moment jedoch meist als ein greifbares Gefühl der Nähe zu Gott und der Verschmelzung mit ihm.“ (Newberg et al. 2003 a, 16) Im mystischen Erleben, so Newberg, verschwinden die Grenzen zwischen Innen und Außen.
Die Aufnahmen der Hirnaktivität der beiden Gruppen zeigten auch markante Unterschiede. Bei den Franziskanerinnen war ein Anstieg der Durchblutung in ihren Sprachzentren zu beobachten. Das sei, so Newberg, auf das Rezitieren von Gebetsversen zurückzuführen. Im Moment der mystischen Erfahrung trat auch bei ihnen eine verminderte Durchblutung im Orientierungsareal auf, genauso wie bei den Buddhisten. Newberg zufolge überschreiten Augenblicke intensiver religiöser Erfahrung, neurobiologisch gesehen, die Unterschiede der Glaubensrichtungen.
Wie interpretiert Newberg die Ergebnisse dieser Untersuchung?
Meditierende und Betende schalten ihre Sinne für die Außenwelt ab. Die passive Methode beruhe auf dem bewussten Vorsatz, den Geist von allen Gedanken, Empfindungen und Wahrnehmungen zu entleeren. Das habe drastische Auswirkungen sowohl auf das Orientierungsareal im linken als auch im rechten Scheitellappen. Das linke Orientierungsareal trage wesentlich zur Entstehung des Selbsterlebens bei. Es erzeuge das räumliche Empfinden des eigenen Selbst, des eigenen Körpers, und unterscheide zwischen dem, was innerhalb der eigenen Haut ist und was außerhalb. Da es während der Meditation nicht mehr die nötigen Informationen aus den Sinnesorganen erhält, könne es die Grenzen des eigenen Körpers nicht mehr definieren. Es könne nicht mehr feststellen, wo der eigene Körper endet und die äußere Welt beginnt. Die Wahrnehmung des Selbst sei entgrenzt. Im Grunde gebe es kein subjektives Selbst mehr, sondern nur noch ein absolutes Gefühl der Einheit ohne Gedanken und Worte. Der Geist existiere ohne Ego in einem Zustand reiner, undifferenzierter Bewusstheit (vgl. Newberg et al. 2003 a, 166).
Ähnlich verhalte es sich bei den aktiven Meditationsmethoden. Im linken Orientierungsfeld seien die gleichen Auswirkungen wie bei der passiven Meditation zu beobachten. Das intensive Ausrichten der Aufmerksamkeit auf ein Mantra, einen Gegenstand oder einen bestimmten Gedanken sorge jedoch dafür, dass das rechte Orientierungsareal zusammen mit dem visuellen Assoziationsfeld den realen oder vorgestellten Gegenstand im Geiste fixiert. Dadurch werde der normale sensorische Informationsfluss zum rechten Orientierungsfeld blockiert. Das rechte Orientierungsareal schaffe die räumlichen Koordinaten, die dem Körper eine Orientierungsgrundlage bieten, ein Gefühl für den Raum vermitteln, in dem das Selbst existiert. Durch die fehlende Stimulation dieses Areals verschwinde der Bezug zu Raum und Zeit, und ein Gefühl der Zeitlosigkeit und Grenzenlosigkeit tauche auf. „Wenn es jeglicher sensorischer Daten beraubt ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als ein subjektives Gefühl absoluter Raumlosigkeit zu erzeugen, das der Geist als Gefühl des unendlichen Raums und der Ewigkeit oder umgekehrt als raum- und zeitlose Leere deuten kann.“ (Newberg et al. 2003 a, 166)
Beide Orientierungsareale gemeinsam verbinden die rohen Sinnesdaten zu einer lebendigen, komplexen Wahrnehmung des Selbst und einer Welt, in der sich dieses Selbst bewegt. Der Geist kann nur mit Hilfe dieser komplexen und konstanten Leistung des Gehirns das eigene Selbst empfinden und den Unterschied zwischen Selbst und der übrigen Realität erleben (vgl. Newberg et al. 2003 a, 45 – 46). Im Zustand des absoluten Einsseins selbst sei keine subjektive Wahrnehmung mehr möglich. Es komme zu einer Auflösung des Raumgefühls, des Zeitgefühls und des Selbstgefühls. Einerseits bestehe kein subjektives Selbst, das etwas wahrnehmen könnte, andererseits gebe es nichts Bestimmtes wahrzunehmen. Der Beobachter und das Beobachtete sind ein und dasselbe, es gibt kein „dies“ und kein „das“, wie der Mystiker sagen würde (vgl. Newberg et al. 2003 a, 170). Die Abnahme der Neuronenaktivität in beiden Orientierungsarealen habe eine verminderte Körperwahrnehmung zur Folge. Der Meditierende empfinde sich nur noch als reinen Geist, losgelöst von seinem Körper.
Zur Realität mystischer Erfahrungen
Betroffene beschreiben ihre mystische Erfahrung als geistige Vereinigung mit etwas Größerem als dem eigenen Selbst. Mystische Zustände werden häufig von widersprüchlichen Gefühlen begleitet, von großer Angst und überwältigender Freude. Zeit und Raum werden als nicht existierend wahrgenommen, und das Denken weicht intuitiven Formen des Verstehens. Mystiker haben nicht selten den Eindruck, die eigentliche Bedeutung der Dinge erkannt zu haben, „was zu einer Verzückung führt, die mitunter als ein inneres Aufleuchten der Wirklichkeit beschrieben wird, das zu absoluter Freiheit führt“ (Newberg et al. 2003 a, 143). Sie sind überzeugt, die materielle Existenz überwunden und sich geistig mit dem Absoluten vereinigt zu haben. Der erste Schritt zur mystischen Vereinigung besteht darin, das Bewusstsein zum Schweigen zu bringen und den Geist von den beschränkenden Leidenschaften und Täuschungen des Ichs zu befreien.
In der Antike und im Mittelalter wurden die Mystiker häufig als die weisesten Mitglieder der Gesellschaft geschätzt und verehrt. Die rationalistischen und empirischen Erfordernisse der westlichen Naturwissenschaften scheinen dem wissenschaftlichen Beobachter indes keine andere Wahl zu lassen, als die Mystiker für geistig verwirrt oder gestört zu halten. Sie würden unter einer Psychose, einer funktionalen Störung des Gehirns, leiden und hätten den Kontakt zur Realität verloren. Empirische Beweise dafür fehlen allerdings. Natürlich können Psychotiker religiöse Wahnvorstellungen haben, doch reagieren sie auf ihre Erlebnisse völlig anders als Mystiker. Mystiker schildern ihre Erfahrungen fast durchwegs als freudvoll und entzückend, und die spirituelle Vereinigung umschreiben sie mit Worten wie „Klarheit“, „Ganzheit“, „Transzendenz“ und „Liebe“. Psychotiker hingegen fühlen sich von ihren religiösen Halluzinationen zutiefst geängstigt. Beide deuten ihre Erfahrungen unterschiedlich. Psychotiker haben häufig einen religiösen Größenwahn, ein übersteigertes Geltungsbedürfnis, sehen sich als Gesandte Gottes mit einer Botschaft an die Menschheit oder im Besitz einer spirituellen Kraft zu heilen. Mystische Zustände bewirkten in der Regel ein Ablegen des Stolzes, eine Einkehr in die Stille und eine Auflösung des Egos (vgl. Newberg et al. 2003 a, 153 – 154).
Menschen seien von Natur aus Mystiker und besäßen eine angeborene Gabe zur mühelosen Selbsttranszendenz. Wer erlebt habe, wie ein Musikstück ihn verzauberte oder wie er sich von einer patriotischen Rede mitreißen ließ, habe im Ansatz das Wesen der mystischen Einheit gekostet. Wer sich verliebt habe oder von der Schönheit der Natur ergriffen sei, wisse, wie es sich anfühlt, wenn das Ego entweicht und man für ein paar beglückende Augenblicke lebhaft begreift, dass man Teil eines größeren Ganzen ist.
„Indem wir die mystische Erfahrung als neurologische Funktion erklären, wollen wir aber nicht zu verstehen geben, dass sie nicht auch etwas anders sein könnte. Eines wollen wir jedoch ganz klar signalisieren: Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Möglichkeit, dass ein Geist ohne Ego, dass ein Bewusstsein ohne ein Selbst existieren kann.“ (Newberg et al. 2003 a, 175) Die Mystiker beteuern, dass sie eine Wirklichkeit erfahren haben, die realer ist als die materielle Welt, der wir fraglos vertrauen. Die Naturwissenschaften und der gesunde Menschenverstand sagen uns aber, dass so etwas nicht möglich ist. Nichts könne realer sein als das materielle Universum, das alle realen Dinge enthält. Newberg betont, dass er und seine Mitarbeiter bei der eigenen wissenschaftlichen Forschung zunächst von derselben Annahme ausgingen. Die Ergebnisse ihrer Studie führten sie jedoch zur Schlussfolgerung, dass die Mystiker möglicherweise etwas Besonderem auf der Spur sind und dass die neurobiologische Grundlage des Geistes vielleicht tatsächlich ein Fenster bereithält, durch das wir, wenn auch nur flüchtig, die absolute Wirklichkeit von etwas wahrhaft Göttlichem ausmachen können. Dieser Schluss beruhe auf deduktivem Denken, und nicht auf religiösem Glauben (vgl. Newberg et al. 2003 a, 193).
Es herrsche Einigkeit darüber, dass es zwei Arten von Realität gibt: die objektive äußere Realität, die wir als „die Welt“ bezeichnen, und das subjektive innere Erleben der Realität, das wir auf „das Selbst“ zurückführen. Gehen wir von der Alltagserfahrung aus, so können wir weder bestreiten, dass beide real sind, noch leugnen, dass sich die eine Realität grundlegend von der anderen unterscheidet.
Newberg meint: „… entweder ist die objektive äußere Welt oder unser subjektives Bewusstsein dieser Welt die wahre, ursprüngliche Wirklichkeit. Per Definition muss die ursprüngliche Wirklichkeit der Ausgangspunkt alles Realen sein; subjektive und objektive Realität können also nicht gleichzeitig als wahr gelten. Die eine muss die Quelle der anderen sein.“ (Newberg et al. 2003 a, 197) Philosophen versuchen seit Jahrhunderten, das Verhältnis von subjektiver und objektiver Realität zu ergründen. Den meisten Menschen gelinge es jedoch problemlos, sich in beiden einzurichten.
Erklärtes Ziel der Autoren ist es, so gut wie möglich zu verstehen, was die neurobiologische „Wirklichkeit“ der spirituellen Erfahrung bedeuten könnte. Der Begriff der „wissenschaftlichen“ bzw. objektiven Realität beruhe auf der Überzeugung, dass nichts realer sein könne als die materielle Welt. Mystiker haben dagegen eine völlig andere Vorstellung davon, was wahrhaftig real ist. Sie glauben, eine ursprüngliche Wirklichkeit erfahren zu haben, die sowohl die weniger bedeutende Realität der äußeren Welt als auch des subjektiven Erlebens einschließt und beide übersteigt. Für die Wissenschaft kann diese Wirklichkeit nicht als real betrachtet werden, weil sie objektiv nicht verifizierbar ist. Newberg und seine Mitarbeiter gelangten durch ihre Forschungsarbeiten zur Überzeugung, dass die Aussagen der Mystiker genauso wahr sein können. Sie glauben, dass das Gehirn über einen neurologischen Mechanismus der Selbsttranszendenz verfügt, der im Extremfall sogar das Selbstempfinden und jedes Bewusstsein der äußeren Welt ausschalten kann. Sie sehen diese Hypothese durch ihre SPECT-Studien bestätigt, die ein erstes Licht auf die neurologischen Korrelate der spirituellen Erfahrung geworfen haben. Ihr Verständnis des Gehirns erlaube es aber nicht, diese auf Hirnprozesse zu reduzieren. „Wer spirituelle Erfahrung als bloße neurologische Aktivität abtun wollte, müsste auch all den Wahrnehmungen der materiellen Welt durch das eigene Gehirn misstrauen. Wenn wir aber unseren Wahrnehmungen der dinglichen Welt trauen, haben wir keinen triftigen Grund, spirituelle Erfahrung zu einer Fiktion zu erklären, die nur im Kopf existiert.“ (Newberg et al. 2003 a, 200 – 201) Die tatsächliche Existenz des absoluten Einsseins könne man nicht objektiv beweisen, doch ihr Verständnis des Gehirns und seiner Art, zu beurteilen, was real ist, spreche eindeutig dafür, dass die Existenz einer absoluten höheren Realität zumindest genauso möglich ist wie die Existenz einer rein materiellen Welt.
Newberg zieht aus den Ergebnissen den Schluss, dass mystische Erfahrungen biologisch real und naturwissenschaftlich registrierbar sind. Dies sei jedoch kein Beweis für eine absolute spirituelle Wirklichkeit. Er glaubt, mit den Ergebnissen seiner Untersuchung gezeigt zu haben, dass der Glaube an Gott schon allein deshalb nicht verschwinden werde, weil das menschliche Gehirn auf solche Erfahrungen ausgelegt sei. Es besitze einen neurologischen Mechanismus zur Selbsttranszendenz.
Verändert Meditation das Gehirn?
In seinen neueren Veröffentlichungen befasst Andrew Newberg sich mit der Frage, inwiefern Meditation und Gebet das Gehirn verändern (vgl. Newberg et al. 2010 a, 2010 b). Buddhisten und Christen konzentrieren sich während der Meditation und dem Gebet auf Glaubensinhalte. Wenn diese jahrelange Meditations- und Gebetspraxis Glaube und Denken verändert, dann sollte diese Veränderung auch in der Hirnaktivität feststellbar sein. Es gebe nur wenige Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren, welche die Langzeitwirkungen der Meditation zum Gegenstand haben. Newberg wollte herausfinden, ob die Grundaktivität (baseline) des Gehirns von Menschen, die jahrelang regelmäßig meditieren, sich von der Grundaktivität derer, die nicht meditieren, unterscheidet. Dazu untersuchte er zwölf gesunde Personen, sieben Frauen und fünf Männer im Alter zwischen 38 und 52 Jahren. Alle meditierten und beteten seit mehr als fünfzehn Jahren täglich eine halbe oder eine volle Stunde lang, wobei sie sich entweder auf ein Bild, auf verschiedene Worte oder auf ein Mantra konzentrierten. Alle Teilnehmer wurden aufgefordert, am Tag der Durchführung der SPECT-Aufnahmen nicht zu meditieren, um ein wahres Bild vom Durchblutungsmuster ihres Gehirns im Ruhezustand zu gewinnen. Sie verweilten in Ruhe fünf bis zehn Minuten mit geschlossenen Augen in einem Raum. In dieser Zeit wurde ihnen eine Tracersubstanz in die Vene des Arms injiziert. Fünfzehn Minuten nach der Injektion wurden bei jedem Teilnehmer 45 Minuten lang Gehirnscans (SPECT-Aufnahmen) durchgeführt. Die Kontrollgruppe bestand aus vierzehn gesunden Nichtmeditierern, sieben Frauen und sieben Männern, zwischen 22 und 60 Jahren.
Bei den Langzeitmeditierern war der durchschnittliche zerebrale Blutfluss signifikant höher als bei den Mitgliedern der Kontrollgruppe, und zwar in folgenden Bereichen: im Stirnhirn (Präfrontalkortex), in den Scheitellappen, im Thalamus, in den Stammganglien (nucleus caudatus und putamen), in den unteren Schläfenlappen, im Kleinhirn (cerebellum) und in Regionen des Hirnstamms. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe zeigte sich bei den Langzeitmeditierern auch eine stärkere asymmetrische Durchblutung im Thalamus: bei fünf von ihnen stärker auf der rechten als auf der linken Seite, und bei sieben stärker auf der linken als auf der rechten Seite.
Die Hypothese, dass Langzeitmeditation mit einer höheren Aktivität im Stirnhirn, vor allem im Präfrontalkortex, einhergeht, konnte durch die Ergebnisse bestätigt werden. Interessanterweise zeigte sich bei den Langzeitmeditierern eine stärkere zerebrale Durchblutung in den Scheitellappen. Newberg vermutet, dass dies mit der intensiven Abnahme der Durchblutung dort während der tatsächlichen Meditation zu tun habe. Die Aktivitätsabnahme in den Orientierungsarealen während der Meditation führe dann zu dem veränderten Raum- und Zeiterleben. Den stärkeren Blutfluss im limbischen System und in den Basalganglien deutet Newberg dahingehend, dass diese Hirnbereiche an der Beeinflussung und Kontrolle der Emotionen beteiligt sind. Religiöse und spirituelle Praktiken würden sich beträchtlich auf die Emotionen auswirken. Die höhere Durchblutung im Thalamus könnte damit zu tun haben, dass wichtige Funktionen des vegetativen Nervensystems auf Dauer verändert wurden. Der Thalamus, das so genannte Tor zum Bewusstsein, ist eine paarige Struktur im Zentrum des Gehirns, die vor allem für die Verarbeitung sensorischer Informationen und für die Regulierung des vegetativen Nervensystems zuständig ist.
Bemerkenswert, so Newberg, sei, dass die Langzeitmeditierer, die aus verschiedenen religiösen Traditionen stammen, ähnliche Durchblutungsmuster im Ruhezustand aufweisen. Das deute darauf hin, dass die von den Einzelnen angewandten Methoden zu ähnlichen Hirnveränderungen führen. Nicht klären konnte diese Untersuchung die Frage, ob die festgestellten Durchblutungsmuster darauf zurückzuführen sind, dass Langzeitmeditierer von Natur aus ein anderes Gehirn besitzen als Nichtmeditierer, das sie zur Meditation prädisponierte, oder ob ihr Gehirn sich erst durch die langjährige Meditationspraxis so verändert hat. In beiden Fällen sei das wichtig für das Verständnis der Beziehung zwischen Gehirn und Meditationspraxis.
In seinem gemeinsam mit Waldman herausgegebenen Buch mit dem Titel How God Changes Your Brain (Wie Gott dein Gehirn verändert) betont Newberg, er sei fest davon überzeugt, dass Gott das Gehirn verändern könne. Je mehr wir über Gott nachdenken, desto stärker verändern sich die Schaltkreise in bestimmten Bereichen unseres Gehirns. Dabei spiele es keine Rolle, welcher Religion man angehöre, denn dies treffe sowohl auf Christen, Muslime und Juden als auch auf Hindus, Atheisten und Agnostiker zu (vgl. Newberg & Waldmann 2010 b, 12). Ob Gott wirklich existiert und uns mit ausgestreckter Hand zu erreichen versucht, wie Gottvater im Deckengemälde von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, oder ob unser Gehirn versucht, sich zu einem Gott zu bekennen, den es gar nicht gibt, darauf könne uns die Hirnforschung keine Antwort geben. Sie könne uns jedoch sehr wohl einiges darüber sagen, wie der religiöse Glaube und wie religiöse Erfahrungen sich auf das Gehirn auswirken. Seine eigenen Forschungen an Patienten mit Gedächtnisstörungen würden zeigen, dass Meditation potenziell das strukturelle Gleichgewicht des Gehirns instand halten und Alterungsprozesse verlangsamen könne (vgl. Newberg & Waldman 2010 b, Kap. 1).