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Wintergatter als Kompromiss
Das Rotwild findet im Sommer in den Bergwäldern genügend Nahrung, im Winter nicht. Deshalb wanderte es früher aus dem Gebirge in die Tallagen, aus dem Bayerischen Wald hinaus in die Niederungen im Donauraum. Im Bayerischen Wald wurde das Rotwild durch die Fütterungen dazu gebracht, im Staatswald zu überwintern. Zäune und Fütterungen konnten aber die tief verschneiten Waldbestände nicht ausreichend schützen. So entwickelte man in Österreich die Idee der Wintergatter, um die Schäden am Wald zu reduzieren. Im Herbst werden die Tiere zu den Fütterungen in die Gatter gelockt und den Winter über mit Grassilage, Rüben und Heu gefüttert. Erst im Mai, wenn die Vegetation im Wald zu treiben beginnt, werden die Gatter geöffnet und die Hirsche wieder in die Freiheit entlassen.
Diese Lösung gefiel uns und mit Minister Eisenmanns Zustimmung wurden die ersten Wintergatter in Deutschland gebaut. Drei Stück von je ca. 30 Hektar Größe wurden im Nationalpark eingerichtet. Dafür verschwanden die 25 offenen Fütterungen. Das erste Wintergatter wurde bereits 1970 gebaut. Revierförster Lothar Hopfner setzte die Waldarbeiter seines Reviers dafür ein. Es wurde zusätzlich eine Beobachtungshütte errichtet und zwei Jahre später durch eine Fanganlage für Forschungszwecke ergänzt. Wintergatter während der kalten Jahreszeit sind ein Kompromiss zugunsten hoher Rotwildbestände und nur ein zweitrangiger Ersatz für die fehlenden Winterlebensräume, die in unserem dicht besiedelten Land praktisch nicht mehr existieren.
Postkarte, adressiert an Bernhard Grzimek, 1970.
Um die Rotwildbestände zahlenmäßig in Grenzen zu halten, reichte im geschlossenen Waldgebiet die herkömmliche Einzeljagd nicht aus. Deshalb war es sinnvoll, schwaches oder krankes Wild in den Wintergattern einzufangen und zu töten, ohne die anderen Tiere zu beunruhigen. Minister Eisenmann stimmte dieser Regelung im Dezember 1971 zu. Der Landesjagdverband versuchte mit allen Mitteln, dieses „unwaidmännische Treiben“ zu verhindern. Jagdverbandspräsident Seubert drohte, die Wintergatter aufzuschneiden. Ein hoher Funktionär des Jagdverbandes drohte mir einmal vor Zeugen, er könne nicht mehr für meine persönliche Sicherheit garantieren. In der Rechtsverordnung über den Nationalpark Bayerischer Wald vom 21. Juli 1992 wurde dann 20 Jahre später festgelegt, dass der Rotwildbestand in den Wintergattern reguliert werden kann. Ein vom Landesjagdverband beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellter Normenkontrollantrag, die Nationalparkverordnung für nichtig zu erklären, wurde vom Verwaltungsgerichtshof am 5. März 1996 abgelehnt.
Weil der Rotwildbestand in den Wintergattern reguliert wurde, konnte das Rotwild vom Frühjahr bis zum Herbst im Nationalpark ungestört leben. Die ständige Beunruhigung durch die monatelange Trophäenjagd war damit beendet. Schälschäden waren nicht mehr zu beobachten und große Teile der natürlichen Verjüngung – nicht nur der Weißtanne, sondern auch von Bergahorn und anderen Laubbaumarten – wuchsen wieder unverbissen auf. Auch Blumen wie etwa Weidenröschen und Hasenlattich siedelten sich wieder außerhalb von Zäunen an.
Dazu trug auch ganz entscheidend mit bei, dass die Rehwildfütterung im Nationalpark eingestellt wurde und den Rehen im Winter nichts anderes übrig blieb, als sich ihr Futter außerhalb des Nationalparks zu suchen. Die öffentliche Auseinandersetzung über den Umgang mit Rot- und Rehwild im Nationalpark und das Bekanntwerden der unvorstellbaren Schäden im gesamten Staatswald in Bayern führten unter Minister Eisenmann dazu, dass erstmals in einem Waldgesetz in Deutschland der Satz „Wald vor Wild“ festgeschrieben wurde.
Junger Wald kann wieder wachsen
Nach einigen Jahren war das Rot- und Rehwildproblem gelöst. Der Rotwildbestand wurde bis 1975 im Nationalpark auf 120 Tiere im Winter reduziert. Die Rehe wanderten in der schneereichen Jahreszeit ins Vorfeld. Dass wir unsere Pläne umsetzen konnten, war der Entscheidung von Minister Eisenmann zu verdanken, der 1971 die Zuständigkeit für die Tiere des Parks an das Nationalparkamt übertragen hatte.
1974 kam in der Regierung von Niederbayern in Landshut die Idee auf, mit der Abruzzen-Region in Italien ein Partnerschaftsabkommen zu schließen. Der Nationalpark Bayerischer Wald und der Abruzzen-Nationalpark sollten darin eine wichtige Rolle spielen. Mit einem Festakt wurde 1975 im Bayerischen Wald eine Patenschaft zwischen beiden Nationalparken beschlossen. 1974/75 wurden 19 Stück Rotwild als Patengeschenk in den Abruzzen-Nationalpark transportiert. Sie fühlten sich in der Bergregion, in der es noch Wölfe und Bären gab, offensichtlich sehr wohl. Die Hirsche haben sich rasch vermehrt, so dass heute dort wieder einige hundert Stück Rotwild leben. Gemeinsam mit Horst Stern habe ich 1978 in den Abruzzen an einem sonnigen Nachmittag eine eindrucksvolle Hirschbrunft erlebt. Da dort seit Jahrzehnten nicht mehr gejagt wurde, sind die Großtierarten nicht mehr so scheu und lassen sich auch tagsüber beobachten. Sogar ein Bär zeigte sich eines Abends.
Allerdings kam der Transport von Bayerwaldhirschen nach Italien nicht bei allen gut an. Im Magazin „Stern“ wurde darüber berichtet, dass eine Vertreterin des „Kampfbundes gegen den Missbrauch der Tiere“ den für die Ausbürgerung zuständigen Ulrich Wotschikowsky beschimpfte, weil er es wage, „deutsche Hirsche italienischen Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.“
Was ich damals noch nicht ahnte und was wir im Nationalpark Bayerischer Wald im Laufe der Jahre lernten, war die Tatsache, dass das Rot- und Rehwildproblem nur für Wirtschaftsforste gilt. In Naturwäldern, in denen Windwürfe und tote Bäume liegen bleiben, können Rehe und Hirsche nicht überall hinsteigen. So können genügend junge Bäume einzeln oder gruppenweise ohne Verbiss aufwachsen. Es entsteht auf diese Weise ein strukturreicher, ungleichaltriger, wilder Wald von viel größerer Stabilität als die Wirtschaftsforste. Naturwälder im Schutzwaldbereich der Hochgebirge dort, wo noch Wirtschaftsforste vorhanden sind, wieder entstehen zu lassen, wäre wohl eine bessere und billigere Lösung als die heute dort übliche „Schutzwaldpflege“, vorausgesetzt, die viel zu hohen Wildbestände würden zunächst aber einmal angemessen reduziert.
4 |ZWEI SCHRITTE VOR – EIN SCHRITT ZURÜCK
DER WEG ZUM WILDEN WALD BEGINNT
In manchen katholischen Regionen gab es einst die sogenannte Springprozession: Zwei Schritte vor – einen Schritt zurück… Ähnlich mühsam gestalteten sich die Veränderungen, die nötig waren, ehe aus dem bewirtschafteten Forst schließlich ein sich selbst überlassener Wald im Nationalpark wurde.
1840 wurden im Bayerischen Wald, nachdem sie in Staatsbesitz übergegangen waren, erstmals die damals vorhandenen Waldtypen dokumentiert. Dreiviertel der Flächen wurden als Urwald bezeichnet. Oberhalb 1.100 Meter wuchsen noch ursprüngliche Bergfichtenwälder. Die Hanglagen waren mit Fichten-Tannen-Buchen-Bergmischwäldern bedeckt. In den kalten Talmulden und an den Moorgebieten gab es sogenannte „Aufichtenwälder“, weil es dort für die Rotbuche zu kalt und zu nass war. Der Tannenanteil der Wälder im Nationalparkgebiet betrug damals 24 Prozent. Um 1850 begann nach Erlass von Wirtschaftsregeln für den Bayerischen Wald eine systematische Forstwirtschaft. Sie führte in wenigen Jahrzehnten zu einem massiven Rückgang der Weißtanne, deren Anteil zur Zeit der Nationalparkgründung nur noch vier Prozent betrug. Die strukturreichen ursprünglichen Wälder wurden großflächig in gleichaltrige Fichtenforste umgewandelt.
Als wir uns im Frühjahr 1970, wie bereits erwähnt, ein erstes Bild von den Waldbeständen im Nationalpark machten, stellten wir fest, dass die ursprünglichen Fichten-Tannen-Buchenwälder nur noch auf wenigen hundert Hektar existierten. Nur fünf Prozent dieses Bergmischwaldes waren erhalten geblieben. Anfang 1971 erklärte sich das Ministerium einverstanden, dass auf den Bergmischwald-Flächen keine alten Bäume mehr gefällt werden sollten. Minister Eisenmann entschied auf unseren Vorschlag hin außerdem, dass keine weiteren Forststraßen mehr gebaut werden durften. 115 Kilometer LKW-befahrbare Forststraßen waren damals noch geplant. Dadurch wurde der Einschlag in den noch nicht mit Forststraßen erschlossenen Waldbeständen, vor allem im Bergfichtenwald, eingeschränkt. So erreichten wir, dass die Forstamtsleiter – vor allem die der Staatsforstämter St. Oswald und Mauth-Ost ärgerte es besonders – in den naturnahen, ursprünglichen Altbeständen keine Bäume mehr fällen lassen durften. Oberforstmeister Franz Cronauer vom Staatsforstamt St. Oswald führte im Oktober 1971 aber trotzdem einen großen Kahlschlag im alten Bergfichtenwald am Lusen im „Naturschutzgebiet Simandlruck“ durch. Er ließ das Stammholz mit Pferden und Schleppern durch die angrenzenden Waldbestände talwärts zu den Forststraßen ziehen.
Im „Grafenauer Anzeiger“ wurde über den Kahlschlag am Lusen und die „Empörung“, die er hervorrief, ausführlich berichtet. In einem Leserbrief begründete Franz Cronauer den Kahlhieb dann damit, dass in dem „Vollnaturschutzgebiet“ die „ordnungsgemäße forstwirtschaftliche Nutzung uneingeschränkt zulässig“ sei. Bei einer Ortsbesichtigung bedauerte Ministerialdirektor Hermann Haagen zwar den Einschlag, wies aber die „Angriffe“ der Naturschützer als „maßlos übertrieben“ zurück. Landrat Karl Bayer aus Grafenau meinte: „Dieser Nationalpark gehört dem gesamten Volk und nicht einem Oberforstmeister. Wer gegen diesen Nationalpark handelt, der soll und muss aus dem Nationalpark verschwinden.“
Wir hatten zu der Zeit auch Besuch von Bundeslandwirtschaftsminister Josef Ertl, haben ihn zum Lusen begleitet und ihm diesen Kahlschlag gezeigt. Auch er war entsetzt über dieses Vorgehen in einem Nationalpark. (Übrigens ist es auch heute noch immer in großen Naturschutzgebieten in den Bergwäldern der Bayerischen Alpen erlaubt, Holznutzung durchzuführen, und die Bayerischen Staatsforsten betreiben diese auch alle Jahre wieder mit der fadenscheinigen Begründung, damit würden naturnähere Waldbestände geschaffen!)
In den Jahren 1970 und 1971 wurde von der Oberforstdirektion Regensburg zusammen mit den fünf Staatsforstämtern vor Ort ein „Waldpflegeplan“ – so wurde das Forsteinrichtungswerk benannt – für das Nationalparkgebiet erarbeitet. Er sollte für die nächsten zehn Jahre, vom 1. Januar 1972 bis zum 1. Januar 1982, gelten. Wir vom Nationalparkamt hatten darauf kaum Einfluss. Immerhin wurde aber der Jahreshiebsatz im Nationalparkgebiet, der in den 60er Jahren bei 68.000 Festmeter pro Jahr lag, auf 55.000 Festmeter reduziert. Tatsächlich betrug er dann in den ersten zehn Jahren im Durchschnitt nur 45.000 Festmeter, bei einem Zuwachs von über 80.000 Festmeter pro Jahr. Dass es dazu kam, war vor allem Dr. Hubert Zierl als neuem Leiter des Nationalparkforstamtes St. Oswald zu verdanken. Darüber später noch mehr.
Nach Inkrafttreten des Waldpflegeplans wurde vom Landwirtschaftsministerium öffentlich behauptet, dass die „nicht genutzte Fläche“ im Nationalpark über 4.000 Hektar betragen würde. Tatsächlich waren es nur 1.800 Hektar. Aus 1.320 Hektar war wegen fehlender Rückewege und Forststraßen kein Holzab-transport möglich und nur 480 von 13.000 Hektar wurden um des Naturschutzes willen als Naturwaldbiotope geschützt. Im Dezember 1976 stellte ich den Antrag, auf weiteren 1.800 Hektar naturnaher Altbestände in felsigen Regionen und auf Feuchtgebieten den Holzeinschlag einzustellen. Der Antrag wurde abgelehnt. Noch im November 1977 vertrat der zuständige Ministerialrat Seitschek bei einer Inspektion des Ministeriums die Auffassung, dass „der Landtagsbeschluss von 1969, den Wald naturgemäß zu pflegen, für die ganze Fläche des Nationalparks verstanden werden müsse. Wenn nach dem gegenwärtigen Stand auf rund 2.500 Hektar keinerlei Nutzungen mehr stattfänden, so gehe dies bereits zugunsten des Naturschutzes über die ursprüngliche Konzeption hinaus.“
Internationale Richtlinien dürfen nicht beachtet werden
Im Jahr 1969 veröffentlichte die Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) erstmals ihre Empfehlungen für die Zielsetzung von Nationalparken. Darin wurde festgelegt, dass dort „wo ein oder mehrere Ökosysteme durch menschliche Nutzung oder Inanspruchnahme in der Substanz nicht verändert wurden, … und wo die oberste zuständige Behörde des Landes Maßnahmen getroffen hat, um im gesamten Gebiet baldmöglichst die Nutzung oder Inanspruchnahme zu verhindern oder zu beseitigen und die Erhaltung ökologischer, geomorphologischer oder ästhetischer Eigenarten durchzusetzen“, dieses Gebiet als „Nationalpark“ bezeichnet werden kann. Die IUCN wurde am 5. Oktober 1948 als „International Union for the Protection of Nature“ (IUPN) gegründet und ist eine internationale Nichtregierungsorganisation. Ihr Ziel ist die Sensibilisierung der menschlichen Gesellschaften für den Natur- und Artenschutz. Eine nachhaltige und schonende Nutzung der Ressourcen soll sichergestellt werden. 1956 änderte sie ihren Namen in „International Union for Conservation of Nature and Natural Resources“ (IUCN), welcher heute rechtlich immer noch gültig ist. Auf der Nationalpark-Weltkonferenz 1972 wurden die erarbeiteten Richtlinien von den IUCN-Mitgliedern bestätigt.
Als wir diese internationalen Regelungen als Grundlage für unsere Argumentation zur Einschränkung der Holznutzung benutzten, wurde dies von Ministerialdirektor Hermann Haagen abgelehnt: „Rechtsgrundlage für den Nationalpark Bayerischer Wald ist der Landtagsbeschluss. Solange dieser nicht geändert wird, werden internationale Richtlinien für den Nationalpark Bayerischer Wald nicht akzeptiert.“
Das bekamen die Nationalparkbesucher zu sehen. Auf den Parkplätzen wurden schon 1970 riesige Mengen von frisch geschlagenem Holz gelagert. Entlang des neu geschaffenen Lehrpfades in der Waldabteilung Tanzboden bei Neuschönau wurden mächtige alte Tannen gefällt, obwohl dort auf einem Lehrpfad die naturnahen alten Fichten-Tannen-Buchenbestände des Bayerischen Waldes den Besuchern nahe gebracht werden sollten. Am Waldschmidthaus am Gipfel des Rachel wurden alte Fichten eingeschlagen und lagen den Sommer über dort, wo viele Nationalparkbesucher vorbei kamen. Nicht wenige fragten nach, warum in einem Nationalpark solche alten Bäume nicht stehen bleiben dürften.
Sturmwurf 1972
Im Jahr 1972 riss ein Herbststurm im Nationalparkgebiet ungefähr 5.000 Fichten zu Boden. Wir wollten, dass wenigstens ein paar Hundert davon nicht aufgearbeitet werden sollten, sondern als Biomasse im Wald verbleiben durften. Zur Kennzeichnung umwickelten wir diese mit Plastikschleifen. Obwohl die Forstamtsleiter dem zustimmten, wurden dann in drei Revieren im Forstamt St. Oswald trotzdem viele der markierten Windwürfe aufgearbeitet und als Stammholz verkauft. In einer Vormerkung für das Nationalparkamt schrieb Hartmut Strunz damals: „Ich vermute, dass es sich um eine „Demonstration“ der betroffenen Revierbeamten gegen meine Außendiensttätigkeit handelt, um zu zeigen, dass sie selbst in ihrem Revier alleinige Ausweisungsbefugnis haben. Revierförster Liegl gebrauchte in einem Gespräch mit einem Dritten bei der Trophäenschau in Freyung den Ausdruck: „Wenn die Deppen vom Nationalparkamt nicht wären…“ “
Ein Windwurf aus dem Jahr 1972 (Bild oben) zeigt, wie in wenigen Jahren auf solchen Flächen neuer, abwechslungsreicher Wald entsteht. 1983 (Bild Mitte) sind Vogelbeeren bereits wieder 2 Meter hoch und darunter siedeln sich Buchen und Fichten an. 1986 (Bild unten) sind die Stämme bereits nahezu niedergebrochen. Der neue Wald wächst auf.
(Fotos: Hans Bibelriether)
Immerhin blieben im Forstamt St. Oswald ungefähr 30 Fichten liegen, und zwar bei der Graupsäge an der Abzweigung von der Nationalparkstraße nach Waldhäuser. Selbst uns im Nationalparkamt war damals noch nicht bewusst, dass durch die Aufarbeitung von Windwürfen mit Maschineneinsatz und dem Abtransport der Stämme fast sämtliche junge Bäumchen vernichtet werden. Auf der nicht aufgearbeiteten Windwurffläche war schon wenige Jahre später zu sehen, welch abwechslungsreicher junger Wald zwischen den nebeneinander und übereinander liegenden Stämmen aufwuchs. Als es zehn Jahre später um die Frage ging, ob im Nationalpark auch großflächig Sturmwürfe als Biomasse im Wald bleiben könnten, überzeugte der kleine Windwurf an der Graupsäge mit seinem jungen Wald und den vielen Weißtannen und Buchen auch Minister Eisenmann: Wo Windwürfe nicht aufgearbeitet werden, kann ein wilder Wald entstehen.
Die Forstreform und ihre Folgen
Im Jahr 1973 wurde in Bayern die erste Forstreform durchgeführt. Die Zahl der Staatsforstämter wurde auf die Hälfte reduziert. Im Nationalparkgebiet wurden fünf Forstämter aufgelöst und zu einem Nationalparkforstamt zusammengefasst. Zum Leiter des Nationalparkforstamtes wurde Hubert Zierl ernannt, mit dem ich schon seit meiner Assistentenzeit am Waldbauinstitut an der Universität München engen Kontakt hatte. Ich überredete ihn, sich für die Stelle zu bewerben, denn er hatte volles Verständnis für die Zielsetzung des Nationalparks. Nach vier Jahren Arbeit im Nationalpark Bayerischer Wald wechselte er am 1. Februar 1977 als Leiter an den neu gegründeten Nationalpark Berchtesgaden. Hubert Zierl war es zu verdanken, dass ab 1973 wesentlich weniger Holz eingeschlagen wurde als die Planung der Oberforstdirektion von 1972 vorgeschrieben hatte. Er ließ naturnahe Altbestände unberührt und verkaufte jährlich nur 40.000 Festmeter Holz, davon 15.000 Festmeter aus Durchforstungen in jüngeren Beständen. Durchschnittlich 5.000 Festmeter blieben alljährlich im Nationalpark als tote Bäume, einzelne Windwürfe und Schneebruch liegen.
Die Forstreform hatte auch für uns personelle Folgen. Sie war Anlass für Georg Sperber, seinen Dienst als stellvertretender Leiter des Nationalparkamtes aufzugeben und in seine Heimat nach Franken in den Steigerwald zurückzukehren. Uns beiden war bereits 1971/72 bewusst, dass Sperber von dieser Ministerialforstabteilung nie mehr zum Leiter eines Forstamtes ernannt werden würde. Wenn nun auch noch die Zahl der Forstämter um etwa die Hälfte reduziert würde, hätte Sperber keine Chance mehr.
Zwischen Minister Eisenmann und mir hatte sich ein vertrauensvolles Verhältnis entwickelt. Er hatte mich ermuntert, in kritischen Fragen direkt mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ihm schilderte ich im Herbst 1972, welche Folgen die Forstreform für meinen Kollegen Sperber haben würde. Ich bat ihn, sich dafür einzusetzen, dass er als Leiter an ein Forstamt versetzt würde, das nach der Forstreform weiter bestehen würde. So wurde Georg Sperber auf Anweisung von Minister Eisenmann die Leitung des Forstamtes Ebrach im Steigerwald übertragen. Er hat dort 25 Jahre lang sehr oft zum Ärger der Ministerialforstverwaltung im besten Sinn und wirklich konsequent naturnahe Waldwirtschaft realisiert, alte Rotbuchenbestände aus der Nutzung genommen und so die Grundlage für die hoffentlich in den nächsten Jahren doch noch stattfindende Ausweisung eines Nationalparks Steigerwald geschaffen.
Die Verwaltungsreform hatte für den Nationalpark weitere Folgen: Die fünf Forstämter wurden wie erwähnt zu einem „Nationalparkforstamt“ in St. Oswald zusammengelegt und dieses mit dem „Nationalparkamt“ Spiegelau zu einer in zwei Abteilungen gegliederte „Nationalparkverwaltung“ zusammengefasst. Im Juni 1973 erließ die Ministerialforstverwaltung eine Dienstordnung für diese neue Nationalparkverwaltung, die als Sonderbehörde dem Ministerium direkt unterstellt wurde. Die Leitung der Nationalparkverwaltung wurde als Sonderaufgabe dem Leitenden Forstdirektor Dr. Hans-Heinrich Vangerow, Referatsleiter an der Oberforstdirektion Regensburg, übertragen. Als Leiter des Nationalparkamtes wurde ich zum stellvertretenden Leiter der Nationalparkverwaltung vor Ort ernannt. Am 1. September 1976 wurden dann das Nationalparkamt Spiegelau und das Nationalparkforstamt St. Oswald unter ein Dach ins freigewordene Rathaus nach Grafenau verlegt.
Dr. Vangerow kam nur gelegentlich nach Grafenau. Er hielt sich streng an die Vorgaben des Haber-Gutachtens und des Ministeriums. 1978 schrieb er in einer Sonderausgabe der „Allgemeinen Forstzeitschrift“: „Somit ist es unabdingbar, im Weg der Waldpflege aktive Maßnahmen zu verwirklichen, die auf eine Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts im dortigen Ökosystem abzielen. Überließe man den gesamten Nationalpark sich selbst, so würde seine Entwicklung zum naturnahen Wald langsamer und ungewisser voranschreiten als unter der behutsamen Hand von Forstleuten.“ Und: „Wir sollten den jetzt vorgeschriebenen Weg erst einmal einige Jahrzehnte begehen, ehe wir Wechsel auf die Zukunft ausstellen. Auch von daher betrachtet wäre es sicherlich falsch, nach nur sechsjährigem Bemühen im Sinne einer nationalparkgerechten Waldpflege auf ganzer Fläche von einem Urwald als Endziel zu träumen.“
Vangerow war überzeugt, dass nur Förster in einem Waldnationalpark tätig sein sollten. So wollte er sich dem Ministerium gegenüber auch nicht für die Weiterbeschäftigung unseres Zoologen Wolfgang Scherzinger einsetzen, nachdem dessen Arbeitsvertrag am 1. April 1978 endete. Auf Anweisung von Minister Eisenmann wurde dann zum 1. Januar 1979 eine neue Dienstordnung für die Parkverwaltung vom Ministerium erlassen. Das Nationalparkamt und das Nationalparkforstamt wurden aufgelöst und es gab nur noch eine Nationalparkverwaltung. Vangerow versuchte, meine Ernennung zum Leiter der Nationalparkverwaltung zu verhindern, indem er mir schon in der beamtenrechtlichen Beurteilung vom Januar 1977 die Fähigkeit zu einer Amtsleitung schriftlich absprach. Meine Beschwerde dagegen beim Ministerium hatte Erfolg und die Beurteilung wurde korrigiert. Am 1. Dezember 1979 wurde Vangerow von seiner Aufgabe entbunden und ich wurde zum Leiter der Nationalparkverwaltung ernannt. Maximilian Waldherr, seit 1977 Nachfolger von Hubert Zierl, wurde mein Stellvertreter als Nationalparkforstamtsleiter.
Es war ein Glücksfall, dass zu der Zeit im Nationalparkamt schon Herbert Altmann als Büroleiter tätig war. Er stammte aus Kirchdorf vorm Wald bei Klingenbrunn, arbeitete in der Bezirksregierung in Landshut und nutzte 1973 die Gelegenheit, als wir die Stelle eines Leiters für das Verwaltungsbüro besetzen durften, in seine Heimat zurückzukehren. Er entwickelte für die neue Nationalparkverwaltung einen sachbezogenen Geschäftsbetrieb, für dessen Struktur es ja noch kein Vorbild gab. Außerdem wurde er als Mitglied des „Verein der Freunde des ersten deutschen Nationalparks Bayerischer Wald“ (siehe nächstes Kapitel) 1982 zu dessen Schatzmeister gewählt. Er arbeitete an der Optimierung von Projekten im Nationalpark mit, die vom Verein finanziell unterstützt wurden, und kümmerte sich um den Einsatz von Zivildienstleistenden, Praktikanten und ABM-Kandidaten. Mit seinem Kollegen Helmut Jordan aus der Ministerialforstverwaltung, der ebenfalls Vereinsmitglied war, arbeitete er eng zusammen. Von Seiten der Kassenprüfer gab es nie irgendwelche Beanstandungen. Als 1995 die Diskussion um die Nationalparkerweiterung begann, lag das Heimatdorf von Herbert Altmann im potentiellen Erweiterungsgebiet und er konnte als Kreistagsmitglied im Landkreis Regen, später noch als Bürgermeister von Kirchdorf dort wichtige Kontakte mit Persönlichkeiten pflegen. Rückblickend bestätigt sich für mich immer wieder, was ich in meiner so vielfältigen beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeit erfahren habe, dass dann, wenn ein Netzwerk von Persönlichkeiten zusammenarbeitet, die sich für die gleiche Sache engagieren und kein Eigeninteresse verfolgen, wirklich auch schwierige Vorhaben umgesetzt werden können.
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