Читать книгу: «Ohne mich», страница 2

Шрифт:

„Man kann doch nur traurig über den Verlust von etwas sein, wenn man wusste wie es war es zu besitzen, oder?“, fragte ich nachdenklich.

„Ja schon, aber was willst du mir damit sagen?“, fragte David zögerlich.

„Und wenn ich mir wünsche, dass ich nie gelebt habe? Dass sich niemand daran erinnern kann, dass es mich einmal gegeben hat? Dass es einfach so wäre, als wenn ich nie geboren wäre?“, fragte ich erwartungsvoll.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“, rief David überrascht.

„Doch! Und ob das mein Ernst ist! Was habe ich schon großartiges auf der Welt geleistet? Nichts! Wenn es mich nie gegeben hätte, wäre niemand schlechter dran. Im Gegenteil! Meinen Eltern würde es gut gehen. Tom würde es gut gehen. Laura würde es auch gut gehen! Niemand müsste um mich trauern“ Der Gedanke daran niemals existiert zu haben, sollte eigentlich traurig sein, doch ich wurde immer begeisterter von der Idee. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass man um mich trauerte. „Du hast doch gesagt, dass ich einen Wunsch frei habe! Und das ist es nun mal was ich mir wünsche!“

„Ich glaube du verstehst gar nicht was das bedeutet!“, gab David zu bedenken, „durch diesen Wunsch würdest du das Leben aller Menschen, die du irgendwie beeinflusst hast, verändern! Und das aller Wichtigste: Was auch immer du dir wünschst, es kann nicht so einfach rückgängig gemacht werden! Willst du nicht noch einmal darüber nachdenken?“

Stur schüttelte ich den Kopf. Welche Menschen hatte ich schon groß beeinflusst? Ich hatte niemandem das Leben gerettet, ich hatte keine Wunder vollbracht. Es gab keine nach mir benannte Straße und auch kein von mir in Afrika errichtetes Krankenhaus. Es gab nichts. Mein Leben war doch nur ein bedeutungsloser Wimpernschlag in der schier endlosen Geschichte der Menschheit. Ich machte keinen Unterschied. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war meinen Angehörigen den Abschied zu erleichtern.

„Ich sehe du bist nicht davon abzubringen“, seufzte David, „Mal sehen was Lucrezia zu deinem Wunsch sagt. Du kannst schon einmal zu ihr gehen, ich komme gleich nach.“

„Du wünschst dir WAS?“, fragte Lucrezia entsetzt. Sie glaubte sich verhört zu haben.

„Ich wünsche mir, dass ich niemals auf der Erde existiert habe“, wiederholte ich. Ich versuchte es so selbstverständlich wie möglich zu sagen.

Verblüfft blickte Lucrezia zu David, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte es mir nun mal in den Kopf gesetzt und davon war ich auch nicht mehr abzubringen.

„Und du bist dir wirklich ganz sicher?“, fragte Lucrezia zweifelnd.

Ich nickte.

„Gut, dann tritt dein Wunsch mit Betreten des Paradieses sofortig und unwiderruflich in Kraft. Ich wünsche dir eine angenehme Zukunft!“ Mit diesen Worten presste Lucrezia einen Stempel auf eines der unzähligen Papiere die vor ihr lagen und drückte es mir in die Hand.

„Und jetzt muss ich durch das Tor gehen?“, fragte ich unsicher.

„Ja, aber keine Sorge, ich begleite dich“, antwortete David und schob mich sanft in Richtung Tor.

Diesen einen Moment, kurz bevor ich durch das Tor trat, werde ich wohl nie vergessen. Diesen Moment, an dem die Spannung am größten ist, wie an Weihnachten kurz bevor man die Päckchen öffnete. In meinem Kopf schwirrten so viele Gedanken wirr durcheinander. Was würde mich erwarten? Würde es mir gefallen? Wie sah es aus?

In dem Moment in dem sich das Tor öffnete, waren meine Augen geschlossen und vor Aufregung hielt ich die Luft an. Dann war es so weit. Nervös öffnete ich meine Augen.

„So, da sind wir also! Das Paradies, der Ort des ewigen Glückes und der Zufriedenheit, der Ort an dem einfach alles möglich ist! Ist das nicht der Wahnsinn?“, schwärmte David und schon wieder sprühten seine Augen vor Begeisterung.

„Aber es sieht aus wie auf der Erde! Also ich meine, das hier ist doch nur eine gewöhnliche Stadt. Es hat gar nichts Magisches“, stellte ich überrascht fest.

„Nichts Magisches?“, fassungslos schüttelte David den Kopf, „Ich glaube du verstehst nicht! Dieser Ort ist so wie du ihn siehst. Er kann alles sein und nichts. Eben genau so, wie du glaubst dass er ist. Wenn du willst, kann der Ort verdammt magisch sein, wenn du willst kann das alles hier aussehen, als wäre es aus rosa Zuckerwatte! Es ist DEIN Stückchen Himmel. DEINE Vorstellungskraft. Du musst daraus machen was du willst!“

„Aber ich habe mir nie ein Leben nach dem Tod vorgestellt! Und schon gar nicht so eins, das aussieht wie auf der Erde!“, protestierte ich.

„Aber das ist es doch! Du bist nicht bereit für ein Leben nach dem Tod. Also ist es für dich momentan am leichtesten, wenn es so aussieht, wie deine vertraute Umgebung. Wie das, was du kennst! Irgendwann wirst du bereit sein dich von all dem zu lösen und dann kannst du diesen Ort hier zu deinem Paradies machen.“

Sprachlos starrte ich David an. Mein eigenes Paradies? Und hier war wirklich alles möglich? So wie ich das wollte? Das alles war einfach noch viel zu unbegreiflich für mich. Daran würde ich mich wohl erst einmal gewöhnen müssen.

„Dieses Haus hier ist deins!“, David deutete auf ein hellgrünes Haus rechts vor uns, „dort wirst du leben. Komm mit, ich zeig dir was das Besondere in dem Haus ist.“

Ein ganzes Haus für mich alleine? Das nannte ich mal Luxus. Vor allem die Farbe gefiel mir ausgesprochen gut. Hellgrün, meine Lieblingsfarbe. Doch wie ich bereits richtig vermutete, war das kein Zufall. Gemeinsam betraten David und ich das Haus.

„Dieses Haus mag für dich zunächst einmal aussehen wie ein gewöhnliches Haus. So wie du es eben von der Erde kennst. Aber es gibt einige Besonderheiten. Zum einen, wenn dir die Einrichtung hier nicht gefällt, kannst du dir einfach eine andere wünschen. Aber das mit „alles ist hier so wie du es haben möchtest“ habe ich ja bereits versucht zu erklären. Doch stell dir einmal vor, heute magst du ein Himmelbett haben und morgen lieber ein Wasserbett, und Schwupp es ist immer genau so wie du es haben möchtest! Ist das nicht der absolute Wahnsinn? Gut, noch kannst du das Ganze nicht wirklich nachvollziehen, aber glaub mir, es IST der absolute Wahnsinn! Eine weitere Besonderheit ist dieser Raum hier!“ David deutete auf die einzige geschlossene Tür, die ich sehen konnte. Direkt daneben war wohl die Küche und gerade befanden wir uns im Wohnzimmer.

„Was glaubst du wohl, was sich hinter dieser Tür verbirgt?“, fragte David begeistert. Er schien aufgeregter zu sein als ich.

Ahnungslos zuckte ich mit den Schultern. Ich hasste es etwas erraten zu sollen, vor allem wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte.

„Dieser Raum ist voll mit Türen, die dich direkt zu deinen bereits verstorbenen Liebsten bringen. Verwandte, Freunde, Bekannte. Sie alle findest du im Himmel ganz schnell wieder, wenn du durch die jeweilige Tür gehst. Natürlich kannst du auch einfach aus deinem Haus rausgehen und irgendwelche Leute treffen. In einer Stadt sind schließlich auch immer Menschen unterwegs. Aber wenn du zu jemandem Bestimmten willst, bist du in diesem Raum genau richtig!“

Verstorbene Verwandte, Freunde oder Bekannte treffen? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber jetzt löste dieser Gedanke eine wohlige Wärme in meinem Herzen aus. Ich würde Oma wiedersehen. Endlich. Eigentlich war „endlich“ übertrieben, schließlich war sie erst vor einem Jahr verstorben. Aber eben deshalb war der Schmerz noch so frisch. Ich hatte sie so sehr vermisst. Und jetzt würde ich sie wiedersehen, dann wäre ich auch nicht so alleine an diesem so sonderbaren Ort. Ich atmete noch einmal durch, dann ging ich einen Schritt nach vorne und öffnete die Tür.

Leer. Der ganze Raum war leer! Es gab keine einzige Tür, außer die mit der man den Raum betreten konnte. Ansonsten war der Raum einfach komplett leer. Es gab nichts! Sollte das ein schlechter Scherz sein? Irritiert blickte ich zu David. Dieser schob sich nun an mir vorbei in den Raum. Verblüfft schaute er sich um. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Also sollte es wohl kein Scherz von ihm sein. Aber wieso zur Hölle gab es dann keine einzige Tür? Es gab doch verstorbene Menschen an denen mir etwas lag, Menschen die ich sehr gerne wiedersehen würde!

„Da stimmt anscheinend irgendetwas nicht. Da muss wohl irgendein Fehler vorliegen. Ich meine, das kann doch gar nicht sein!“, stellte David nachdenklich fest, „Ich werde mich am besten sofort bei meinem Vorgesetzten darüber informieren. Warte am besten hier im Haus irgendwo.“ Kopfschüttelnd verlies David den Raum. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Ich beschloss ins Wohnzimmer zu gehen und etwas zu fernsehen, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich wusste nicht genau was ich erwartet hatte, als ich den Fernseher anschaltete, doch als ich die gleichen Programme sah die es auch auf der Erde gab, war ich doch überrascht. Hier ist alles möglich. Ist das nicht der Wahnsinn? Davids Worte hallten in meinen Ohren wieder. Wann ich mich daran wohl gewöhnen würde? Ich zappte durch die Fernsehprogramme und musste feststellen, dass es doch nicht genauso war wie auf der Erde. Hier liefen genau die Dinge die ich sehen wollte! Ich war so begeistert von dem Fernseher, dass ich gar nicht merkte wie David das Haus betrat. Auf einmal stand er neben mir.

„Und?“, fragte ich erwartungsvoll, doch Davids Anblick ließ mich zögern. Wo war die Begeisterung? Das „Alles-ist-der-absolute-Wahnsinn“ Gefühl?

„Es liegt kein Fehler vor“, antwortete David trocken, „Es ist wegen deinem Wunsch. Wenn du niemals auf der Erde existiert hast, gibt es niemanden den du hast. Es gibt keinen einzigen Toten, der dich kennt oder dem du viel bedeutest, schließlich hast du dir gewünscht, dass es dich niemals gegeben hat. Deshalb bist du türenlos.“

Wortlos starrte ich David an. Ich konnte einfach nicht begreifen was er gerade gesagt hatte. Und dann war da wieder diese Leere. Unfähig traurig zu sein, aber viel zu traurig um fröhlich zu sein, fühlte ich einfach nichts. Nicht einmal weinen konnte ich, auch wenn ich es jetzt gerne getan hätte. Dieses Paradies sollte der glücklichste Ort überhaupt sein, aber selbst hier wollte es mir nicht gelingen glücklich zu sein. Stattdessen fühlte ich nichts.

„Aber das kann doch nicht sein! Ich meine, meine Oma gibt es doch trotzdem. Magdalena Rosenberg. Sie muss doch auch irgendwo hier im Himmel sein. Kann ich sie nicht besuchen?“, fragte ich schließlich.

„Natürlich ist die Frau die du als deine Oma kennst auch irgendwo hier“, antwortete David, „Aber für Magdalena Rosenberg bist du eine völlig Fremde. Du bist nicht mehr ihre Enkelin. Das klingt hart, aber nach deinem Wunsch ist sie auch nicht mehr deine Oma. Es wird das Beste sein, wenn du sie nicht besuchst. Es tut mir leid.“

Oma Leni würde mich also nicht einmal erkennen, wenn ich jetzt vor ihr stünde. Ich war alleine. Mutterseelenalleine, an einem Ort der für mich so eigenartig und neu war. Es war nicht leicht.

„Und jetzt?“, fragte ich David.

„Was du jetzt machst, ist deine Entscheidung. Ich würde einfach rausgehen und neue Leute kennenlernen, das geht hier schließlich genauso wie auf der Erde. Es gibt ein Café, wenn du willst kann ich es dir zeigen, dort treffen sich andere Tote mit wenigen Türen. Türenlose gibt es zwar so gut wie nie, aber wirklich alleine bist du nicht. Kinder die kurz nach der Geburt verstorben sind, bevor sie jemanden kennenlernen konnten. Waisenkinder die ihre Eltern nie kennengelernt haben. Menschen die sich abschotten, Einzelgänger sind und kaum Freundschaften geschlossen haben. Menschen, die wenige Türen haben, suchen hier oft nach neuen Freunden und dann bekommen sie Türen. Eine nach der anderen. Man muss nur bereit sein sich zu öffnen. Wenn du das auch möchtest, kann ich dir dieses Café zeigen, jeder Zeit. Du kannst natürlich auch an anderen Orten versuchen Menschen kennenzulernen. Falls du das möchtest.“

Ich nickte. Das alles war viel zu viel um es verstehen und akzeptieren zu können. Ich war also türenlos. Mein Wunsch hatte dafür gesorgt, dass ich hier im Himmel niemanden mehr hatte. Aber es gab noch andere die kaum jemanden hatten. Aber wollte ich diese Menschen wirklich kennenlernen? Ich könnte auch hierbleiben. In meinem Haus. In meinem eigenen kleinen Paradies. Das erschien mir zunächst als das Einfachste, aber war es auch das Beste? Ich konnte doch nicht für immer alleine bleiben. Ich sollte mir diese anderen Menschen zumindest einmal anschauen. Vielleicht würde es ja ganz nett werden.

„Kannst du mir dieses Café zeigen?“, fragte ich schließlich.

„Aber natürlich!“, antwortete David und man konnte ihm ansehen, dass er erleichtert darüber war, dass ich nicht alleine hierbleiben wollte. Er schien sich um mich zu sorgen und das bereits seit ich sehen wollte, wie es meiner Familie auf der Erde ging. Mein daraus resultierender Wunsch und nun die Tatsache, dass ich keine einzige Tür hatte, schienen seine Sorgen noch mächtig zu verstärken. „Lauf mir einfach nach!“

Wie von ihm empfohlen, lief ich David einfach hinterher. Ich versuchte mir den Weg den wir gingen gut einzuprägen, um wieder zurück zu finden. Aus dem Haus raus, die Straße entlang, rechts, zweimal links, die Kreuzung gerade überqueren und dann noch einmal rechts. Unterwegs betrachtete ich alles neugierig. Doch ich konnte nicht den geringsten Unterschied zu einer gewöhnlichen Stadt auf der Erde feststellen. Alles sah so normal aus. Dann waren wir da. Café Nr.0. Passender Name. David blieb vor der Tür stehen und drehte sich zu mir.

„So, ab hier musst du alleine weiter. Ich kann dich leider nicht mit in das Café begleiten, aber das schaffst du schon! Wenn etwas ist, musst du in deinem Haus nur den Hörer des Telefons abnehmen, dann wirst du automatisch zu mir durchgestellt. Aber ich bin mir sicher du wirst dich ziemlich schnell hier im Himmel zurechtfinden! Früher oder später gefällt es einfach jedem hier! Ist das nicht-“

„-der absolute Wahnsinn!“, vollendete ich grinsend seinen Satz.

David lächelte mich noch einmal an, nickte mir zu, drehte sich um und ging. Dann stand ich alleine da. Wieder einmal vor einer geschlossenen Tür und wieder einmal fragte ich mich was sich wohl dahinter befand. Hoffentlich etwas Besseres als hinter der letzten Tür. Endlich konnte ich mich überwinden das Café zu betreten. Sofort scannten meine Augen den Raum nach einem freien Platz ab. Treffer. Ein kleiner Tisch für zwei Personen, an dem noch niemand saß. Zielstrebig lief ich darauf zu, ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen. Ich fühlte mich so beobachtet und ich hasste dieses Gefühl. Am Platz angekommen, ließ ich mich auf einen der Stühle fallen und atmete erst einmal durch. Na toll, jetzt saß ich ganz alleine an einem Tisch in dem Café, in das ich gegangen war, um Menschen kennenzulernen. Das hab ich ja mal wieder ausgezeichnet hinbekommen. Mir ist es noch nie leicht gefallen auf Menschen zuzugehen, aber jetzt wo ich ganz alleine war, wäre es nicht schlecht, wenn ich ein wenig offener wäre. Wäre ich in meinem neuen Haus gewesen hätte ich vermutlich sofort den Telefonhörer abgenommen und David gesagt, dass er gefälligst wieder zurückkommen soll. Aber ich war nicht in meinem Haus, ich war hier im Café. Da musste ich jetzt einfach alleine durch. Ich ließ meinen Blick durch das Café schweifen. Überwiegend junge Leute, auch einige die aussahen als wären sie in meinem Alter. Ich fragte mich, warum sie hier waren, also warum sie so wenige Verwandte oder Freunde hier im Himmel hatten. Bedeutete das nicht automatisch, dass sie ein trauriges Leben hatten? Eine Frau, die wie ich richtig vermutete Kellnerin dieses Cafés war, kam an meinen Tisch, begrüßte mich und stellte mir eine Tasse Schokomilch hin. Ich staunte nicht schlecht, denn nach genauso einer Schokomilch hatte ich mich gerade gesehnt. Das war also das Paradies. Die Schokomilch schmeckte einfach himmlisch. Ich fühlte mich gleich ein ganzes Stück besser. David hatte sicher Recht wenn er sagte, dass es früher oder später jedem hier gefallen würde.

„Hallo! Ist der Platz noch frei?“

Erschrocken zuckte ich zusammen. So in Gedanken versunken hatte ich das Mädchen das direkt vor mir stand gar nicht bemerkt. Sie sah etwas jünger aus als ich, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt. Sie hatte dunkles, kurzes Haar, das ein wenig durcheinander war. Sie hatte grüne, katzenartige Augen und einige Sommersprossen auf der Nasenspitze. Sie sah frech aus, machte aber gleichzeitig einen sehr netten Eindruck. Erst als sie mir fragend zunickte fiel mir auf, dass ich ihr noch keine Antwort gegeben hatte.

„Ja natürlich ist der Stuhl frei. Setz dich doch“, antwortete ich hastig.

„Cool! Ich heiße Lotte und du? Du bist neu hier, oder?“, sprudelte sie hervor.

„Ich heiße Sabrina und ja, ich bin erst seit heute hier“, antwortete ich etwas verlegen.

„Wusste ich doch, dass ich dich hier noch nie gesehen habe!“, grinste Lotte frech, „Und wie findest du es bis jetzt hier? Wahrscheinlich brauchst du ein wenig Zeit, um dich einzugewöhnen, aber du wirst sehen, dass es gar nicht so übel ist wie man erst denkt! Was hast du dir eigentlich gewünscht? Das mit dem Wunsch fand ich am aller Besten! Ich habe mir gewünscht, dass ganz viele Leute auf meine Beerdigung gehen! Sogar Frau Knobloch, die Leiterin des Kinderheims, die mich eigentlich noch nie ab haben konnte ist hingegangen! Und sie hat allen Kindern des Heims erlaubt zu kommen. Ohne den Wunsch wäre wohl kaum jemand gekommen, aber so haben ganz viele Leute an mich gedacht! Also was hast du dir gewünscht?“

Erwartungsvoll haftete Lottes Blick an mir. Sie war mir auf Anhieb sympathisch. Sie hatte von der Leiterin eines Kinderheims erzählt, ob Lotte wohl in einem Heim gelebt hatte? Das würde erklären, warum sie hier im Café Nr.0 war. Warum sie so wenige Türen hatte. Irgendwie tat sie mir ein wenig Leid und gleichzeitig wusste ich, dass es keinen Grund dafür gab, denn man konnte ihr so deutlich ansehen wie glücklich sie nun war.

„Ich habe mir gewünscht, dass es ist, als hätte ich niemals existiert, als wäre ich niemals geboren worden. Ich wollte, dass sich auf der Erde niemand mehr an mich erinnern kann und niemand wegen meines Todes trauern muss“, antwortete ich schließlich.

Lotte starrte mich mit großen Augen an. „Das ist das aller Dümmste was ich je gehört habe!“, entfuhr es ihr plötzlich lachend.

„Wieso denn?“, fragte ich irritiert.

„Deine Familie hat dich sicher über alles geliebt! Und jetzt haben sie nicht nur dich verloren, sondern auch noch alle Erinnerungen an dich!“, erklärte Lotte energisch.

„Aber ich wollte doch nur, dass es ihnen gut geht! Ich wollte ihnen das Leid ersparen. Sie waren so fertig wegen meines Todes!“, entgegnete ich.

„Und jetzt? Weißt du wie es ihnen jetzt geht? Ich meine jeder Mensch hinterlässt doch seine Spuren auf der Erde. Jeder trägt einen kleinen Teil zum Ganzen bei. Woher willst du wissen, dass es jetzt ohne dich besser ist?“, fragte Lotte skeptisch.

„Ich weiß nicht“, gab ich verlegen zu, „Aber, es muss ihnen doch besser gehen! Ich hab nichts Großartiges vollbracht. Ich glaube die Welt kann sehr gut auf meinen Beitrag verzichten und ohne mich auskommen.“

„Wenn du dich da mal nicht täuschst“, bezweifelte Lotte, „vielleicht sollten wir uns mal anschauen, wie es deinen Leuten jetzt so auf der Erde geht? Komm einfach mit zu mir. Das wird bestimmt lustig! Wie ein DVD-Abend von zwei Freundinnen! Was hältst du davon?“

Lotte strahlte. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung.

Ich erinnerte mich an all die lustigen DVD-Abende die ich mit Laura verbracht hatte und dann dachte ich daran wie alleine ich bis gerade eben noch gewesen bin. Außerdem interessierte es mich tatsächlich wie es nun so auf der Erde aussah, so ganz ohne mich. Lottes Vorschlag war also gar keine schlechte Idee und so kam es, dass ich zusagte und wir schon eine Viertelstunde später bei Lotte Zuhause waren. Lottes Haus sah im Grunde genauso aus wie das was David mir gezeigt hatte, nur sehr viel unordentlicher.

„Ich hoffe das kleine Chaos hier stört dich nicht“, sagte Lotte beiläufig während sie in der Küche an der Popcornmaschine hantierte.

„Nö. In meinem Zimmer, auf der Erde, sah es immer genauso aus. Und hier im Himmel wird es bei mir wohl auch nicht anders werden. Ich hasse aufräumen einfach!“, antwortete ich.

„Aber hier im Himmel musst du doch nicht aufräumen!“, rief Lotte belustigt, „Hier im Himmel musst du eigentlich gar nichts. Ich müsste nicht einmal Popcorn machen, sondern könnte uns einfach Popcorn wünschen und *Schwupp* es wäre da. Aber das wäre wohl ziemlich langweilig. Und in einem perfekt aufgeräumten Haus würde ich es wohl kaum einen Tag aushalten! Ich liebe das Chaos einfach. Da fühl ich mich gleich viel wohler. Außerdem sieht man so sofort, dass hier jemand wohnt.“

„Oh. Ja die Sache mit ‚Hier im Himmel ist alles möglich‘ hab ich irgendwie noch nicht so ganz raus“, gab ich verlegen zu, „Daran werde ich mich wohl erst noch gewöhnen müssen.“

„Ist schon in Ordnung. So geht es doch allen, wenn sie neu hier sind und die meisten stellen sich noch viel dümmer an als du!“, kicherte Lotte.

Dann war das Popcorn auch schon fertig und wir machten es uns auf Lottes Sofa gemütlich.

„Ich würde sagen wir fangen erst einmal harmlos an“, schlug Lotte vor, „Wie bist du noch einmal umgekommen? Du wurdest von einem LKW überfahren, oder? Wie wär’s wenn wir uns zuerst einmal anschauen, wie es dem LKW-Fahrer nun geht. Ohne den Unfall kann es ihm ja eigentlich nur besser gehen!“

Ich nickte zustimmend. Ich brannte zwar darauf meine Familie und auch Laura zu sehen, aber irgendwie hatte ich auch ein wenig Bammel davor. Peter der LKW-Fahrer war für den Anfang genau richtig.

Lotte zeigte mir welche Tastenkombinationen sie drücken musste, damit wir genau das sehen konnten, was wir auch wollten und dann ging es auch schon los.

238,44 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
180 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783738078121
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают