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Читать книгу: «Die verlorene Handschrift», страница 3

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Jetzt hatte der Kobold, welcher zwischen beiden Häusern hin und her lief, Steine in den Weg werfend und den Menschen Eselsohren bohrend, auch die beiden freien Seelen seines Reviers gegeneinander aufgeregt. Aber sein Versuch blieb kümmerlich: die wackern Männer waren nicht fügsam, nach seiner mißtönenden Pfeife zu tanzen.

Früh am nächsten Morgen trug Gabriel einen Brief seines Herrn zum Doctor hinüber. Als er in den feindlichen Hausflur trat, kam ihm eilig Dorchen, das Dienstmädchen der Familie Hahn, entgegen, einen Brief ihres jungen Herrn an den Professor in der Hand. Die Boten tauschten die Briefe und zu gleicher Zeit lasen die Freunde ihre Zuschriften.

Der Professor schrieb: »Mein lieber Freund, zürne mir nicht, daß ich wieder einmal heftig wurde, die Veranlassung war so abgeschmackt als möglich. Was mich verstimmte, war, ehrlich gesagt, daß du so unbedingt verweigertest, einen Lateiner mit mir herauszugeben. Denn die Möglichkeit, Verlorenes zu finden, welche wir im gefälligen Traume durch einige Augenblicke annahmen, war mir doch auch darum so lockend, weil sie uns beiden eine gemeinsame Thätigkeit in Aussicht stellte. Wenn ich versuche, dich in den engern Kreis meiner Wissenschaft zu ziehen, so wirst du voraussetzen, daß ich dabei nicht nur durch persönliche Empfindungen, sondern weit mehr durch den naheliegenden Wunsch bestimmt werde, für die Wissenschaft, auf welche ich mich beschränken muß, deine Kraft zu gewinnen.«

Fritz dagegen schrieb: »Lieber theurer Freund, ich trage das peinliche Gefühl mit mir herum, daß meine Empfindlichkeit von gestern uns beiden einen schönen Abend verdorben hat. Meine nur nicht, daß ich dir das Recht bestreiten will, mir die Weitschweifigkeit und Systemlosigkeit meiner Arbeiten vorzuhalten. Gerade weil deine Aeußerungen eine Saite berührten, deren stillen Mißklang ich selbst zuweilen empfinde, verlor ich für einen Augenblick die Unbefangenheit. Du hast sicher in Vielem Recht, nur das Eine bitte ich dich zu glauben, daß meine Weigerung, mit dir eine große Arbeit zu übernehmen, weder selbstsüchtig noch unfreundschaftlich war. Ich bin mir bewußt, daß ich ein, wenn auch für meine Kraft zu umfangreiches, Gebiet nicht verlassen, am wenigsten aber mit einem neuen Kreis von Interessen vertauschen darf, in welchem mein mangelhaftes Können dir nur zur Last sein würde.«

Beide waren nach Empfang dieser Briefe doch etwas beruhigt. Da aber einzelne Aeußerungen derselben jedem von ihnen eine weitere Auseinandersetzung nothwendig machten, so setzten sich beide hin und schrieben einander wieder kurz und gedrungen, wie gedankenvollen Männern ziemt. Der Professor antwortete: »Für deinen Brief, mein theurer Fritz, danke ich dir von Herzen. Nur das Eine muß ich wiederholen, du hast von je deinen eigenen Werth zu niedrig angeschlagen, und wenn ich dir einen Vorwurf machen darf, so ist es nur dieser.«

Fritz endlich antwortete: »Wie tief und gerührt empfinde ich in diesem Augenblick deine Freundschaft für mich. Nur das will ich dir noch sagen, unter Vielem, was ich von dir zu lernen habe, ist mir nichts nöthiger als deine bescheidene ›Beschränkung‹. Und wenn du mit diesem Worte deine umfassende und resultatvolle Thätigkeit bezeichnest, so zürne nicht, daß auch ich für meine Arbeit darnach ringe.«

Der Professor ging nach Absendung seines Briefes unruhig in die Vorlesung und hatte das Bewußtsein, daß er zerstreut vortrage, Fritz eilte auf die Bibliothek und suchte emsig alle Notizen zusammen, welche über Schloß Bielstein aufzutreiben waren. Am Mittag nach der Heimkehr las jeder den zweiten Brief des Freundes, dann sah der Professor oft nach der Uhr, und als es drei schlug, setzte er schnell seinen Hut auf und ging mit großen Schritten über die Straße in das feindliche Haus. Während er den Thürgriff an der Stube des Doctors faßte, fühlte er von innen einen Gegendruck, kräftig riß er die Thür auf, Fritz stand vor ihm, ebenfalls den Hut auf dem Kopf, im Begriff, zu ihm hinüberzugehen. Ohne ein Wort zu sagen, umarmten einander die beiden Freunde.

»Ich bringe gute Nachricht vom Antiquar,« begann der Professor.

»Und ich vom alten Schlosse,« rief Fritz.

»Höre zu,« sagte der Professor, »der Antiquar hat das Buch des Fraters von einem Kleinhändler gekauft, der im Lande umherzieht, Geräth und alte Bücher zu sammeln. Der Mann wurde in meiner Gegenwart herbeigeholt, er hat das Büchlein in der Stadt Rossau selbst aus dem Nachlaß eines Tuchmachers erstanden, mit einem alten Schrank und einigen geschnitzten Schemeln. Es ist also wenigstens möglich, daß die handschriftlichen Bemerkungen am Ende, die sich ohnedies ungeübtem Blick entziehen, seit dem Tode des Fraters niemals Aufmerksamkeit erregt und niemals Nachforschungen veranlaßt haben. – Vielleicht gewährt noch ein Kirchenbuch in Rossau Nachricht über Leben und Tod des Mönches Tobias Bachhuber.«

»Wohl,« bestätigte Fritz vergnügt, »es besteht dort eine Gemeinde seiner Confession. Schloß Bielstein aber liegt eine halbe Stunde von der Stadt Rossau auf einer waldigen Anhöhe – sieh hier die Karte. Es war früher Eigenthum des Landesherrn, im vorigen Jahrhundert ist es in Privatbesitz übergegangen. Das Gebäude aber dauert noch, es wird in dieser Landeskunde als altes Schloß aufgeführt, welches gegenwärtig Wohnhaus eines Herrn Bauer ist. – Auch mein Vater weiß von dem Hause, er hat es auf einer Geschäftsreise von der Landstraße gesehen und schildert es als ein langgestrecktes Gebäude mit Erkern und hohem Dach.«

»Die Fäden verflechten sich zu einem guten Gewebe,« sagte der Professor, sich behaglich zurechtsetzend.

»Halt, noch eins,« rief der Doctor geschäftig. »Die Sagen dieser Landschaft sind von einem unserer Freunde gesammelt. Der Wackere ist zuverlässig. Laß sehen, ob er eine Erinnerung aus der Umgebung von Rossau ausgezeichnet hat.« Er schlug eilig nach, sah in das Buch und blickte den Freund sprachlos an.

Der Professor ergriff den Band und las die kurze Notiz: »In der Umgegend von Bielstein erzählt man, daß vor alten Zeiten die Mönche einen großen Schatz im Schlosse vermauert haben.«

Wieder stieg die alte unheimliche Handschrift vor den Freunden aus dem Boden, deutlich sichtbar, mit den Händen zu greifen.

»Unmöglich ist ja nicht, daß die Handschrift dort noch versteckt liegt,« bemerkte endlich der Professor mit künstlicher Ruhe. »An Beispielen für dergleichen Funde fehlt es nicht. Es ist noch nicht lange her, da wurde in dem alten Hause eines Gutsbesitzers meiner Heimat eine Zimmerdecke durchgeschlagen, es war eine Doppeldecke, der leere Raum dazwischen enthielt eine Anzahl Urkunden und Papiere über Eigenthumsrechte, daneben einigen alten Schmuck. Der Schatz war auch zur Zeit des großen Krieges versteckt worden, und durch Jahrhunderte hatte Niemand auf die niedrige Decke der kleinen Stube geachtet.«

»Natürlich,« rief Fritz, sich die Hände reibend, »auch in den Bekleidungen der alten Rauchfänge sind zuweilen leere Räume; ein Bruder meiner Mutter fand beim Umbau seines Hauses an solcher Stelle einen Topf mit Münzen.« Er zog seinen Beutel. »Hier ist eine davon, ein schöner Schwedenthaler. Der Oheim gab mir ihn bei der Einsegnung als Heckgroschen und ich trage ihn seit der Zeit in der Börse. Ich habe manchmal harte Versuchung ihn auszugeben bekämpft.«

Der Professor untersuchte genau den Kopf Gustav Adolphs, als ob dieser ein Nachbar des versteckten Tacitus gewesen wäre und in seiner Umschrift eine Kunde von dem verlorenen Buch brächte. »Es ist richtig,« sagte er nachdenkend, »wenn das Haus auf einer Anhöhe liegt, könnten selbst die Kellerräume trocken sein.«

»Allerdings,« erwiederte der Doctor. »Häufig wurden auch die dicken Wände doppelt gemauert und der Zwischenraum mit Schutt ausgefüllt. Es ist in solchem Fall leicht, durch kleine Oeffnung einen hohlen Raum im Innern der Mauer hervorzubringen.«

»Für uns aber,« begann der Professor sich aufrichtend, »erwächst jetzt die Frage: Was haben wir zu thun? Denn eine solche Kunde, wie groß oder gering ihre Bedeutung auch werden möge, legt dem Finder doch die Pflicht auf, alles Mögliche zu thun, was die Entdeckung fördern kann. Und diese Pflicht haben wir ungesäumt und vollständig zu erfüllen.«

»Wenn du öffentliche Mittheilung von dieser Ueberlieferung machst, so gibst du die Aussicht, die Handschrift selbst zu entdecken, und Alles, was sich daran knüpfen mag, aus den Händen.«

»In dieser Sache muß jede persönliche Rücksicht schwinden,« entschied der Professor.

»Und wenn du jetzt die gefundenen Klosternotizen bekanntmachst,« fuhr der Doctor fort, »wer steht dir dafür, daß nicht die behende Thätigkeit eines Antiquars oder eines Ausländers allen weiteren Nachforschungen zuvorkommt? In solchem Falle mag der Schatz, selbst wenn er gefunden wird, nicht allein für dich, auch für unser Land, ja für die Wissenschaft verloren gehn.«

»Das letzte wenigstens darf nicht geschehn,« rief der Professor. – »Und auch, wenn du dich an die Staatsregierung jener Landschaft wendest, ist sehr zweifelhaft, ob dir Verständniß und guter Wille entgegenkommt,« erörterte der Doctor siegreich.

»Es fällt mir nicht ein, die Angelegenheit fremden Beamten zu überlassen,« erwiederte der Professor. »Wir haben aber ganz in der Nähe Jemand, dessen Glück und Scharfsinn im Aufspüren von Seltenheiten wunderbar sind. Ich habe Lust, dem Magister Knips von der Handschrift zu sagen: er mag seine Correcturen auf einige Tage bei Seite legen, für uns nach Rossau reisen und dort das Terrain untersuchen.«

Der Doctor fuhr in die Höhe: »Das darf niemals geschehen. Knips ist nicht der Mann, dem man ein solches Geheimniß anvertrauen darf.«

»Ich habe ihn doch stets zuverlässig gefunden,« entgegnete der Professor. »Er ist bei vieler Wunderlichkeit geschickt und wohlunterrichtet.«

»Mir wäre eine Entweihung deines schönen Fundes, den trödelhaften Mann dafür zu verwenden,«versetzte Fritz, »und ich werde es nie billigen.«

»Dann also,« rief der Professor, »bin ich entschlossen. Die Ferien sind vor der Thür, ich gehe selbst in das alte Haus. Du aber, mein Freund, auch du wolltest dir einige Reisetage gönnen, du mußt mich begleiten: wir reisen zusammen, schlag ein.«

»Von Herzen,« rief der Doctor, die Hand des Freundes fassend. »Wir dringen in das Schloß und citiren die Geister, welche über dem Schatze schweben.«

»Wir sprechen zuerst ein verständiges Wort mit dem Eigenthümer des Hauses. Was dann zu thun ist, wird sich finden. Unterdeß bewahren wir die Angelegenheit als Geheimniß.«

»So ist es recht,« stimmte Fritz bei; die Freunde stiegen vergnügt in den Garten des Herrn Hahn hinab und beriethen, um die weiße Muse gelagert, die Eröffnung des Feldzuges.

Fest eingedämmt durch methodisches Denken war die Phantasie des Gelehrten, aber in der Tiefe seiner Seele strömte doch reichlich und stark dieser geheimnißvolle Quell aller Schönheit und Thatkraft. Jetzt war in den Damm ein Loch gerissen, lustig ergoß sich die Flut über seine Saaten. Immer wieder flog ihm der Wunsch zu der räthselhaften Handschrift. Er sah die Maueröffnung vor sich und den ersten Schein der Leuchte, der auf die grauen Bücher in der Höhlung fiel; er sah den Schatz in seinen Händen, wie er ihn heraustrug und nicht mehr von sich ließ, bis er die unleserlichen Seiten entziffert hatte. – Seliger Geist des Frater Tobias Bachhuber! wenn du etwa deine Ferienzeit im Himmel dazu verwendest, auf unsere arme Erde zurückzukehren, und wenn du dann bei Nacht durch die Räume des alten Schlosses gleitest, deinen Schatz hütend und unberufene Neugierige schreckend, o so winke freundlich dem Manne zu, der jetzt naht, dein Geheimniß ins Sonnenlicht zu tragen, denn er sucht wahrhaftig nicht für sich Gewinn und Ehren, sondern er beschwört dich als ein Redlicher im Dienst guter Gewalten.

3.
Die Reise ins Blaue

Wer aus höhern Regionen auf die Gegend von Rossau herniederblickte, der konnte an einem sonnigen Erntemorgen des August zwischen den Weiden der Landstraße eine Bewegung wahrnehmen, welche den Thoren der Stadt zustrebte. Für nähere Betrachtung wurden zwei wandelnde Männer erkennbar, ein größerer und ein kleinerer, beide in hellen Sommerkleidern, welchen durch die Gewitterregen des letzten Tages aller Glanz abgespült war, beide mit ledernen Reisetaschen, welche am Riemen von der Schulter hingen; der größere trug einen breitkrempigen Filzhut, der kleinere einen Strohhut.

Die Wanderer waren Fremdlinge, denn sie hielten zuweilen an und beobachteten Thal und Hügel mit Genuß, was den Eingeborenen des Landes selten einfiel. Die Gegend war von Vergnügungsreisenden noch nicht entdeckt, in den Wäldern waren nirgend glatte Pfade für die Zeugstiefeln der Städter gebahnt, selbst der Fahrweg war keine Kunststraße, in den ausgefahrenen Wasserlöchern stand das Regenwasser, die Glöckchen der Schafherde und die Axt des Holzfällers wurden nur von den Bewohnern der Umgegend gehört, welche auf dem Felde arbeiteten oder zwischen zwei Orten ihrem Geschäft nachgingen. Und doch war die Landschaft nicht ohne Anmuth, die Umrisse der waldigen Hügel schwangen sich in kräftigen Linien, hier und da ragte Gestein zu Tage, ein Steinbruch zwischen Ackerflächen, ein Felshaupt zwischen den Bäumen des Waldes. Von den Bergen am Horizont zog ein kleiner Bach in gewundenem Lauf dem fernen Flusse zu, umsäumt von Wiesenstreifen, hinter denen sich die Ackerbeete bis zu den belaubten Höhen hinaufzogen. Fröhlich lag die einsame Landschaft im Morgenlicht, seitab von der großen Völkerstraße.

In der Niederung vor den Reisenden erhob sich rings von Hügeln umgeben der Ort Rossau, ein Landstädtchen mit zwei plumpen Kirchtürmen und dunklen Ziegeldächern, welche über die Stadtmauer ragten wie Rücken einer Rinderherde, die sich gegen ein Rudel Wölfe zusammengedrängt hat.

Die Fremden schauten von der Höhe mit warmer Theilnahme auf Schornsteine und Thürme hinter der alten Mauer, welche mißfarbig, geborsten und geflickt vor ihnen lag. Dort war einst ein Schatz bewahrt worden, der wiedergefunden die ganze civilisirte Welt beschäftigen und Hunderte zu begeisterter Arbeit aufregen würde. Die Landschaft sah durchweg aus wie andere deutsche Landschaften, der Ort durchweg wie andere arme Städtchen. Und doch war irgendein kleiner Zug in der Gegend, der den Reisenden eine fröhliche Hoffnung nährte. War es der lustige Zwiebelaufsatz, welcher die dicken alten Thürme krönte? oder war es das Thorgewölbe, welches gerade vor den Reisenden den Eingang zur Stadt in lockendes Dunkel hüllte? oder die Stille des leeren Thalgrundes, in welchem der Ort ohne Vorstadt und Außenhäuser lag, wie auf alten Karten die Städte abgebildet werden? oder die Viehherde, welche aus dem Thore ins Freie zog und aus dem Anger leichtfertige Sprünge machte? oder war es vielleicht die kräftige Morgenluft, welche den Wanderern um die Schläfe wehte? Beide empfanden, daß etwas Merkwürdiges und Vielverheißendes in dem Thale schwebte, welches sie als Suchende betraten.

»Denke die Landschaft, wie sie sich einst dem Auge bot,« begann der Professor, »der Laubwald schloß sich in alter Zeit enger um den Ort, er formte die Hügel höher, das Thal tiefer, wie in einem Kessel lag damals das Kloster mit den Hütten seiner abhängigen Landleute. Hier im Süden, wo das Gelände sich steil hinabsenkt, haben die Mönche sicher einst ihren Klosterwein gebaut. Um das Kloster schlossen sich allmählich die Häuser der Stadt. Nimm den Thürmen die Mütze, welche ihnen vor hundert Jahren aufgesetzt wurde, und gib ihnen die alten Spitzen zurück, an die Mauern setze hier und da einen Thurm, und du hast einen hübschen Steinkasten, der ein geheimnißvolles Stück Mittelalter einschloß.«

»Und auf demselben Weg, der uns hierher geführt, zog einst ein gelehrter Mönch mit seinen Handschriften in das stille Thal, um hier die Brüder zu lehren oder sich vor mächtigen Feinden zu verbergen,« sagte hoffnungsvoll der Doctor.

Die Reisenden schritten am Anger vorüber, der Hirt sah gleichgültig nach den Fremden, aber die Kühe stellten sich an dem Grabenrand auf und starrten auf die Wanderer und das halbwüchsige Volk der Herde brummte ihnen fragend zu. Sie traten durch die dunkle Thorwölbung und sahen neugierig die Gassen entlang, welche hier zusammenliefen. Es war eine kleine ärmliche Stadt, nur die Hauptstraße war mit schlechten Feldsteinen gepflastert. Unweit des Thores ragte hoch der schräge Balken eines Ziehbrunnens, daran hing eine lange Stange mit dem Eimer. Von Menschen war wenig zu sehen, wer nicht in den Häusern arbeitete, war auf dem Feld beschäftigt. Denn die Halme, welche in den Steinritzen der Thorwölbung hingen, verriethen, daß Erntewagen die Feldfrucht zu den Höfen der Bürger fuhren; neben vielen Häusern waren hölzerne Thore geöffnet, dann sah man in die Hofräume, in die Scheuern und über Düngerstätten, aus denen kleines Federvieh pickte. Die letzten Jahrhunderte hatten so wenig als möglich an dem Orte geändert, noch standen die niedrigen Häuser mit dem Giebel gegen die Straße, zuweilen streckte sich eine hölzerne Dachrinne über den Weg, statt der Schilder reichten noch die Zeichen der Handwerker, aus Blech und Holz geschnitten, farbig bemalt, in die Straße hinein, ein großer hölzerner Stiefel, ein Greif, welcher eine ungeheure Schere in der Hand hielt, ein schreitender Löwe, der eine Brezel anbot, und als schönstes Stück ein regelmäßiges Sechseck, aus bunten Glasrauten zusammengesetzt.

»Hier hat sich Vieles erhalten,« sagte der Professor.

Die Freunde kamen auf den Marktplatz, einen unregelmäßigen Raum, dessen kleine Häuser sich durch bunten Anstrich herausgeputzt hatten. Dort starrte von einem unansehnlichen Gebäude ein rothbemalter Drache mit geringeltem Schwanz, aus einem Bret geschnitten, von einer Eisenstange gehalten, in die Luft. Darauf stand mit übelgeschwungenen Buchstaben: Gasthof zum Lindwurm.

»Sieh,« sagte Fritz, auf den Lindwurm weisend, »die Phantasie des Künstlers hat ihm einen Hechtkopf mit dicken Zähnen ausgeschnitten. Der Wurm ist der älteste Schätzehüter unserer Sage. Es ist merkwürdig, wie fest die Erinnerung an dies Sagenthier überall im Volke haftet, wahrscheinlich stammt auch dieses Schild aus einer Ueberlieferung des Ortes.«

So stiegen sie auf ausgetretener Steintreppe in das Haus, ohne zu ahnen, daß sie schon längst von scharfen Augen beobachtet wurden. »Wer mögen die sein?« frug den dicken Wirth ein Bürger, der seinen Morgentrunk einnahm, »wie Geschäftsreisende sehen sie nicht aus, vielleicht ist einer der neue Pastor vom Kirchdorfe.«

»So sieht kein Pastor aus,« entschied der Wirth, welcher Menschen besser kannte. »Es sind Fremde, zu Fuß, kein Wagen und keine Sachen.«

Die Fremden traten ein, setzten sich an einen rothgestrichenen Tisch und bestellten das Frühstück. »Eine hübsche Gegend, Herr Wirth,« begann der Professor, »kräftige Bäume im Walde.«

»Bäume genug,« versetzte der Wirth.

»Die Umgegend scheint wohlhabend,« fuhr der Professor fort.

»Die Leute klagen, daß sie nicht genug verdienen,« antwortete der Wirth.

»Wieviele Geistliche haben Sie am Orte?«

»Zwei,« sagte der Wirth höflicher. »Der alte Pastor ist aber gestorben. Es ist unterdeß ein Candidat hier.«

»Ob der andere Pfarrer zu Haus ist?«

»Ist mir unbekannt,« sagte der Wirth.

»Sie haben doch ein Gericht hier?«

»Einen Ortsrichter, er ist jetzt auf dem Amt, es ist heut Gerichtstag.«

»Hat nicht vor Zeiten ein Kloster in der Stadt gestanden?« nahm der Doctor das Verhör auf.

Der Bürger und der Wirth sahen einander an. »Das ist lange her,« versetzte der Herr der Schenke.

»Hier in der Nähe liegt das Schloß Bielstein?« frug Fritz weiter. Wieder sahen der Bürger und der Wirth einander bedeutungsvoll an.

»Es liegt so etwas hier in der Nähe,« erwiederte der Wirth zurückhaltend.

»Wie lange geht man bis zum Schloß?« frug der Professor, geärgert durch die kurzen Antworten des Mannes.

»Wollen Sie dorthin?« entgegnete der Wirth, »kennen Sie den Gutsbesitzer?«

»Nein,« antwortete der Professor.

»Haben Sie denn etwas bei ihm zu thun?«

»Das ist unsere Sache, Herr Wirth,« versetzte der Professor kurz.

»Der Weg geht eine halbe Stunde durch den Wald, er ist nicht zu fehlen,« schloß der Wirth die ungemüthliche Unterhaltung und verließ die Stube. Der Bürger folgte ihm.

»Viel haben wir nicht erfahren,« sagte der Doctor lächelnd, »ich hoffe, der Pfarrer und Richter sind redseliger.«

»Wir gehen geradezu nach dem Gute,« entschied der Professor.

Draußen steckten der Wirth und der Bürger die Köpfe zusammen. »Wer die Fremden sein mögen?« wiederholte der Bürger, »geistlich sind sie nicht, und an dem Richter war ihnen auch nicht viel gelegen. Hast du gemerkt, wie sie nach dem Kloster und dem Schlosse frugen?« Der Wirth nickte. »Ich will dir meinen Verdacht sagen,« fuhr der Bürger eifrig fort: »sie kommen nicht umsonst her, sie suchen etwas.«

»Was sollen sie suchen?« frug der Wirth nachdenkend.

»Es sind verkleidete Jesuiten, sie sehen mir sehr apropos aus.«

»Nun, wenn sie mit den Leuten auf dem Gute anbinden wollen, die sind Manns genug, mit ihnen fertig zu werden.«

»Ich habe mit dem Inspector zu thun, ich will ihm doch einen Wink geben.«

»Menge dich nur nicht in Geschichten, die dich nichts angehen,« warnte der Wirth. Der Bürger aber drückte die Stiefeln fester, die er unter dem Arm trug, und fuhr um die Ecke.

Schweigend schritten die Freunde aus der gemeinen Nüchternheit des Lindwurms auf die Straße. Sie erfrugen von einem Mütterchen am entgegengesetzten Stadtthor den Weg nach dem Schlosse. Hinter der Stadt erhob sich der Pfad vom Kiesbett des Baches zu einer waldigen Höhe. Sie traten an einen Schlag Buschholz, aus dem einzelne hohe Eichen emporragten. Der Regen des letzten Abends lag noch in Tropfen auf den Blättern, das dunkle Grün des Sommers glänzte im Sonnenstrahl einzelne Vögelstimmen, das Hämmern des Spechts unterbrachen die Stille.

»Das gibt eine andere Stimmung,« rief der Doctor erfreut.

»Es gehört wenig dazu, ein gut besaitetes Menschenherz in neuer Melodie klingen zu machen, wenn nicht gerade das Schicksal mit rauher Hand darauf spielt. Etwas Baumrinde mit grauem Flechtenbart, eine Handvoll Blüthen im Grunde und wenige Noten aus der Kehle eines Vogels,« versetzte der Professor weise. »Horch, das ist kein Gruß, den die Natur dem Wanderer gönnt,« unterbrach er sich lauschend. Von fern klangen menschliche Stimmen, ein leiser Choral tönte wie aus den Baumgipfeln in ihr Ohr.

»Höher hinauf,« rief der Doctor, »zu der geheimnißvollen Stätte, wo alte Kirchenlieder aus den Eichen rauschen.«

Sie stiegen noch einige hundert Schritt in die Höhe und standen auf einer Terrasse des Waldhügels, die an der Seite von Bäumen umschlossen, in der Mitte gelichtet war. In der Lichtung stand eine kleine hölzerne Kirche, von einem Friedhof umgeben, dahinter erhob sich auf einem massigen Felsblock ein langes altes Gebäude, das Dach durch viele spitze Giebel gebrochen.

»Das fügt sich gut zusammen,« rief der Professor und sah neugierig über die Waldkirche nach dem Schlosse hinauf.

Aus der Kirche scholl ein Trauergesang stärker in das Ohr. »Laß uns hineingehen,« sagte der Doctor, auf die geöffnete Pforte des Friedhofs weisend.

»Mir ist gottseliger hier draußen zu Muthe,« erwiederte der Professor, »und mir widersteht’s, unberufen in Freude und Leid Fremder einzudringen. Das Lied ist zu Ende, jetzt kommt des Pfarrers Sprüchlein.«

Fritz aber war auf die Steine der niedrigen Mauer geklettert und betrachtete die Kirche. »Sieh die massiven Strebepfeiler. Es ist der Rest eines alten Baues, sie haben ihn durch Tannenholz ergänzt, Thurm und Holzdach blau vor Alter, es lohnt das Innere zu sehen.«

Der Professor hielt die lange Ranke eines Brombeerstrauches, welche über die Mauer herabhing, in der Hand und sah bewundernd auf weiße Blüthen, grüne und gebräunte Beeren, welche in dicken Büscheln beieinander standen. Undeutlich drangen die Laute einer Männerstimme an sein Ohr, und unwillkürlich neigte er das Haupt, den Sinn aufzufassen.

»Laß uns doch hören,« sagte er endlich und betrat mit dem Freunde den Friedhof. Sie zogen die Hüte und öffneten leise die Kirchthür. Es war ein sehr kleiner Raum, der Ziegelbau des alten Chores von innen weiß getüncht, das übrige von gebräuntem Holz, die Kanzel, eine Galerie, wenige Bänke. Vor dem Altar stand ein offener Kindersarg, die Gestalt darin ganz mit Blumen bedeckt, wenige Landleute in schmuckloser Tracht daneben, auf den Stufen des Altars ein alter Geistlicher mit weißem Haar und treuherzigem Gesicht, am Haupt des Sarges aber die schluchzende Frau eines Arbeiters, die Mutter des Kleinen. Und neben ihr eine kräftige Frauengestalt in städtischer Tracht, sie hatte den Hut abgenommen, hielt die Hände gefaltet und sah auf das Kind unter den Blumen hernieder. So stand sie regungslos, die Sonne fiel schräge auf das gelockte Haar und die regelmäßigen Züge des jungen Gesichts. Fesselnder aber als der hohe Wuchs und das schöne Haupt war der Ausdruck tiefer Andacht, welche über sie ausgegossen war. Unwillkürlich faßte der Professor den Arm des Freundes, ihn zurückzuhalten. Der Geistliche sprach sein Schlußgebet, die stattliche Frau neigte das Haupt tiefer, dann beugte sie sich noch einmal zu dem Kleinen herab und legte einen Arm um die Mutter, welche sich weinend an die Trösterin lehnte. So stand die Fremde und sprach leise über dem Haupte der Mutter, während ihr selbst die Thränen aus den Augen herabrollten. Wie Geisterlaut klang das Murmeln der tiefen Frauenstimme in das Ohr der Freunde. Dann hoben die Männer den Sarg vom Boden und folgten dem Geistlichen, der auf den Friedhof führte. Hinter dem Sarge ging die Mutter, das Haupt an der Schulter ihrer Führerin. Die Frau schritt bei den Fremden vorüber, verklärt vor sich hinschauend, sie flüsterte ihrer Gefährtin Bibelworte zu. »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. – Lasset die Kindlein zu mir kommen,« vernahmen die Freunde. Die Mutter hing gebrochen am Arme der Fremden und, wie durch den leisen Ton fortgeführt, wankte sie zu dem Grabe. Ehrfürchtig schlossen sich die Freunde dem Zuge an. Der Sarg wurde in das Grab gelassen, der Geistliche sprach den Segen, jeder der Anwesenden warf drei Hände voll Erde auf das geschwundene Leben. Dann traten die Landleute auseinander und machten der Mutter und ihrer Begleiterin den Weg frei. Die Fremde reichte dem Geistlichen die Hand und geleitete die Mutter langsam über den Friedhof auf den Weg, der zum Schlosse führte.

In einiger Entfernung folgten die Freunde, ohne einander anzusehen. Der Professor fuhr sich über die Augen: »Dergleichen macht immer weich,« sagte er traurig.

»Wie sie am Altare stand,« rief der Doctor, »eine Seherin der Vorzeit, als trüge sie einen Eichenkranz auf dem Haupt. Sie zog das arme Weib sich nach durch ihr Murmeln. Es waren zwar unsere ehrlichen Bibelsprüche; aber jetzt verstehe ich, was das Wort raunen in alter Zeit bedeutete, wo man auch den Worten eine zauberische Kraft zuschrieb. Sie beherrschte der Trauernden Seele und Leib, und ihre Stimme regte auch mir das Herz auf. Wer war dieses Weib, war es Mädchen oder Frau?«

»Es ist ein Mädchen,« erwiederte der Professor nachdrücklich. »Sie wohnt im Schloß und wir werden sie dort treffen. Laß sie voraus und uns am Fuß des Felsens warten.«

Sie saßen lange auf einem vorspringenden Stein, der Professor wurde nicht müde, ein Büschel Moos zu betrachten, er bürstete es mit der Hand und legte es bald nach der einen, bald nach der andern Seite. Endlich stand er schnell auf. »Was auch kommen möge, jetzt gehen wir.«

Sie stiegen einige hundert Schritt bis zur Höhe. Die Landschaft vor ihnen war plötzlich verwandelt. Zur Seite lag das Schloß mit einem gemauerten Hofthor und großen Wirtschaftsgebäuden, vor ihnen neigte sich eine weite Fläche Ackerlandes von der Höhe hinab in ein flaches Thal. Das einsame Waldbild war verschwunden, um die Wanderer rührte sich kräftig das Leben des Tages, der Wind trieb Wellen durch das Aehrenmeer, Erntewagen fuhren auf den Feldwegen heran, Menschenstimmen riefen, die Peitsche knallte und die Garben flogen von starker Hand geschwungen über die hohen Leiterbäume.

»Holla, was suchen Sie hier?« frug hinter den Fremden eine tiefe Baßstimme in befehlendem Ton. Die Freunde wandten sich schnell um. Vor dem Hofthor stand ein mächtiger breitschultriger Mann mit kurzgeschorenem Haar und sehr energischem Ausdruck im sonnenbraunen Gesicht. Hinter ihm steckten Wirthschaftsbeamte und Knechte neugierig die Köpfe durch das Thor und ein großer Hund fuhr bellend gegen die Fremden. »Zurück, Nero,« rief der Landwirth und pfiff den Hund zu sich, dabei sah er mit kaltem Polizeiblick auf die Fremden.

»Herr Gutsbesitzer Bauer?« frug der Professor grüßend.

»Der bin ich, und wer sind Sie?« gab der Gutsherr die Frage zurück.

Der Professor nannte die Namen und den Ort, von dem sie kamen. Der Wirth trat einen Schritt näher und prüfte das Aussehen der Beiden von oben herab.

»Dort wohnen ja wohl keine Jesuiten,« sagte er; »wenn Sie aber hierher kommen, Verborgenes zu finden, so war die Reise unnütz, hier finden Sie nichts.«

Die Freunde sahen einander an, sie standen nahe am Hause, aber fern vom Ziel.

»Sie machen uns fühlbar,« erwiederte der Professor, »daß wir ohne Vermittlung eines Dritten an Ihre Wohnung treten. Obgleich Sie aber über den Zweck unseres Herkommens bereits eine Vermuthung ausgesprochen haben, ersuche ich Sie doch, uns deshalb eine Erklärung vor weniger Zeugen zu gestatten!«

Die feste Haltung des Professors verfehlte nicht ganz die Wirkung. »Wenn Sie in der That ein Geschäft zu mir führt, so werden wir das allerdings besser im Haus abmachen. Folgen Sie mir, meine Herren.« Er lüftete ein wenig seine Mütze, wies mit der Hand nach dem Thor und schritt voraus. »Nero, Teufelshund, kannst du nicht Ruhe halten!«

Der Professor und der Doctor folgten, an sie schlossen sich Wirthschaftsbeamte und Knechte und der knurrende Hund. So wurden die Fremden in einem ungemütlichen Zuge nach dem Wohnhaus geführt. Trotz ihrer mißlichen Lage sahen sie doch mit Neugierde auf den großen Hof, auf die Arbeit des Einscheuerns, auf einen Trupp Gänse, welcher, durch den Zug gestört, breitbeinig und schnatternd über den Weg schritt. Dann überflog ihr Auge das Wohnhaus, die breiten steinernen Stufen mit Bänken an beiden Seiten, die gewölbte Thür, das übertünchte Wappen am Schlußstein. Sie traten in einen geräumigen Hausflur, der Gutsherr hing seine Mütze auf einen Kleiderrechen, drückte mit schwerer Hand die Klinke der Wohnstube und machte wieder eine Handbewegung, welche höflich sein sollte und die Fremden zum Vortritt einlud. »Jetzt sind wir allein,« begann er, »womit kann ich Ihnen dienen? Sie sind mir bereits als zwei Schätzesucher angekündigt. Wenn Sie das sind, so muß ich Ihnen rundheraus erklären, daß ich von solchen Thorheiten nichts wissen will. Im übrigen bin ich bereit, mich Ihrer Bekanntschaft zu freuen.«

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06 декабря 2019
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