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2. Tathandlung

9

Die Tathandlung des § 239 Abs. 1 besteht darin, dass ein Mensch gegen oder ohne seinen Willen der persönlichen Fortbewegungsfreiheit beraubt wird. Dies kann durch Einsperren oder auf andere Weise geschehen.

10

a) Einsperren heißt, eine Person durch äußere Vorrichtungen am Verlassen eines umschlossenen Raums oder ein größeres Areal (z.B. das Gelände eines Krankenhauses oder einer geschlossenen Anstalt)[12] zu hindern.[13]

Beispiele:

Verriegeln der einzigen Tür, Versperren des Ausgangs durch Wachposten oder eine geschlossene „Menschenmauer“[14]

11

b) Daneben kann jemand auf andere Weise seiner Freiheit beraubt werden. Dafür kommt jedes Mittel in Betracht, das tauglich ist, einem anderen die Möglichkeit der Fortbewegung zu nehmen.[15] Es braucht dem Einsperren nicht ähnlich zu sein.

Beispiele:

Festhalten,[16] Festbinden auf einem Stuhl oder Bett,[17] Betäuben, Nichtanhalten eines fahrenden Fahrzeugs,[18] Vorspiegelung, eine Tür sei verschlossen – nicht aber das Fesseln nur der Hände, weil hierdurch die Möglichkeit des Fortbewegens vom Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen wird.[19]

12

c) Beide Handlungsmodalitäten der Freiheitsberaubung erfordern nicht, dass die geschaffene physische Barriere eine absolute, unüberwindliche ist.[20] Ausreichend ist es vielmehr, wenn das an sich mögliche Verlassen des Aufenthaltsorts im konkreten Einzelfall für das Opfer mit einer Gefahr für Leib oder Leben verbunden ist.[21]

Beispiele:

A schließt die 70 Jahre alte B in einem Raum ein, bei dem der Abstand zwischen der Unterkante des Fensters und dem Erdboden 1,70 Meter beträgt.

C hindert die D dadurch am Verlassen seines Pkw, dass er die Fahrt mit hoher Geschwindigkeit fortsetzt.[22]

E nimmt der nackt badenden F die Kleidung weg – keine Freiheitsberaubung auf andere Weise,[23] da es an der erforderlichen Gefahr für Leib oder Leben fehlt.

13

Daher kommen neben Gewalt (vgl. § 12 Rn. 5 ff.) auch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben sowie List in Betracht,[24] wenn hierdurch beim Tatopfer die – unzutreffende – Vorstellung einer solchen Gefahr hervorgerufen oder diesem gegenüber eine psychische Schranke errichtet wird, die ihm ein Verlassen seines Aufenthaltsorts als unzumutbar erscheinen lässt. Regelmäßig reicht die Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S. des § 240 Abs. 1 (vgl. § 12 Rn. 11 ff.) nicht aus, wohl aber die Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben.[25]

Beispiele:

A hält B eine geladene Pistole vor, um ihn am Verlassen des Raums zu hindern.

C hindert den 16 Jahre alten D mit der Ankündigung von weiteren Schlägen und der Drohung, sonst im Freien schlafen zu müssen, am Verlassen eines – unverschlossenen – Kellerraums.[26]

Merke:

Eine Mindestdauer der Freiheitsentziehung ist vom Tatbestand nicht vorausgesetzt, jedoch werden nach ganz h.M. völlig unbedeutende Beeinträchtigungen von diesem nicht erfasst.[27]

14

Als tatbestandsmäßig sind von der Rechtsprechung Zeiträume von einer halben Stunde,[28] zwei bis drei Minuten[29] und sogar einer Minute[30] Dauer angesehen worden. Maßgeblich sind aber stets die Umstände des Einzelfalls, so dass bei einer intensiven Einwirkung auf die Fortbewegungsfreiheit (z.B. Fesselung) ein sehr kurzer Zeitraum ausreichen kann,[31] während bei einer verbleibenden (Rest-)Bewegungsfreiheit eine Freiheitsentziehung von wenigen Minuten noch unterhalb der Erheblichkeitsschwelle liegen kann.

Beispiel:

A schließt B für drei Minuten in den Räumen der juristischen Fakultätsbibliothek ein.

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d) Ein Einverständnis des Betroffenen mit dem Entzug der Fortbewegungsfreiheit schließt bereits den Tatbestand aus, da § 239 Abs. 1 ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Betroffenen voraussetzt (sog. tatbestandsausschließendes Einverständnis).[32] Dies gilt nicht für das erschlichene oder durch Drohung erzwungene Einverständnis, soweit die eingesetzte Täuschung oder Drohung gerade Tatmittel der Freiheitsberaubung ist. Lässt die Täuschung jedoch das Bewusstsein, den Aufenthaltsort verlassen zu können, unberührt, schließt auch ein erschlichenes Einverständnis den Tatbestand aus.[33]

II. Subjektiver Tatbestand

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Es ist hinreichend, dass der Täter mit bedingtem Vorsatz handelt,[34] d.h. es für möglich hält, dass er mit seinem Verhalten verursacht, dass ein anderer Mensch die Möglichkeit verliert, seinen Aufenthaltsort zu verlassen.

III. Qualifikation, Erfolgsqualifikationen und minder schwerer Fall der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 3, 4 und 5)

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§ 239 Abs. 3 Nr. 1 ist nach der insoweit eindeutigen „aktivistischen“ Formulierung eine Qualifikation der Freiheitsberaubung, so dass der Täter auch insoweit zumindest bedingt vorsätzlich handeln muss.[35] Hingegen handelt es sich bei § 239 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 um Erfolgsqualifikationen, so dass § 18 anzuwenden ist. Hinsichtlich der spezifischen Voraussetzungen eines erfolgsqualifizierten Delikts gelten die Ausführungen zu den §§ 226, 227 entsprechend (vgl. § 7 Rn. 1, 8, 30 ff. und 38 f.).

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In minder schweren Fällen der schweren Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 3) ist der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4) auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren reduziert.

C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch sowie Konkurrenzen

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Bezüglich Täterschaft und Teilnahme bestehen keine Besonderheiten, so dass die §§ 25 ff. uneingeschränkt Anwendung finden. Die Freiheitsberaubung kann daher grundsätzlich in mittelbarer Täterschaft begangen werden, wenn der Hintermann die Tatherrschaft innehat, insbesondere deshalb, weil das „Werkzeug“ irrt. Praktisch bedeutsam ist dies, wenn staatliche Organe durch Täuschung zum freiheitsentziehenden Eingreifen veranlasst werden.[36]

Beispiel:

A bezichtigt B wahrheitswidrig des sexuellen Missbrauchs und erreicht so, dass dieser von der Polizei vorläufig festgenommen wird (§ 127 Abs. 2 StPO).

Beachte:

Beruht die Freiheitsentziehung auf einem Urteil, so liegt dagegen keine mittelbare Täterschaft vor. Das Gericht entscheidet jedenfalls in der Hauptverhandlung aufgrund einer umfassenden eigenverantwortlichen Prüfung aller erhobenen Beweise (vgl. §§ 261 und 264 Abs. 1 StPO) und ist daher nicht gutgläubiges Werkzeug eines Anzeigenden.[37]

20

Die Freiheitsberaubung kann grundsätzlich auch durch Unterlassen begangen werden, wenn der Unterlassende eine Garantenstellung innehat (§ 13).[38] Bloßes Zurücklassen an einem abgelegenen Ort reicht hierfür allein nicht aus.[39]

Beispiele:

Im obigen Beispiel (vgl. Rn. 14) bemerkt A zwar, B versehentlich in der Fakultätsbibliothek eingeschlossen zu haben, unternimmt aber nichts, um ihn zu befreien.

Der Leiter einer Justizvollzugsanstalt (JVA) veranlasst die Entlassung des Strafgefangenen C nicht, obwohl die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (§ 451 StPO) dies wegen vollständiger Verbüßung der Strafe angeordnet hat.

21

Nach § 239 Abs. 2 ist der Versuch der einfachen Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1) strafbar. Da es sich bei § 239 Abs. 3 und 4 um Verbrechen handelt, ist deren Versuch ebenfalls strafbar (vgl. §§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 2). Dies gilt sowohl für die Konstellation der versuchten Erfolgsqualifikation als auch für die des erfolgsqualifizierten Versuchs (vgl. hierzu die entsprechenden Ausführungen § 7 Rn. 42 ff.).

22

§ 239 ist gegenüber § 240 lex specialis, wenn sich das abgenötigte Verhalten allein auf die bloße Duldung der Freiheitsentziehung beschränkt.[40] Verfolgt die Handlung des Täters hingegen einen darüber hinausgehenden Zweck, liegt Idealkonkurrenz (§ 52) zwischen Freiheitsberaubung und Nötigung vor.[41] Tateinheit ist ferner möglich zwischen § 239 Abs. 1 und den §§ 153 ff., 164,[42] zwischen § 239 Abs. 3 Nr. 2 und den §§ 224 ff. bzw. § 239 Abs. 4 und den §§ 211 ff.[43] Soweit die Freiheitsberaubung dagegen nur typische Begleiterscheinung der Tatbestandsverwirklichung anderer Delikte ist, tritt § 239 als subsidiäres Delikt zurück.[44] Dies gilt nicht nur hinsichtlich der §§ 177, 239a, 239b, 249, sondern auch in Bezug auf § 240, wenn der Freiheitsentzug notwendige Begleiterscheinung des abgenötigten Verhaltens ist.[45]

Beispiel:

A überrascht B bei einem Ehebruch mit Frau A. Mit vorgehaltener Pistole zwingt er B, zu Frau B mitzugehen, um dieser sein Verhalten zu „beichten“.[46]

D. Kontrollfragen

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1. Welches ist das von § 239 geschützte Rechtsgut und in welchem Umfang wird dies geschützt? → Rn. 1 und 3 ff.
2. Setzt eine vollendete Freiheitsberaubung voraus, dass der Täter eine für das Tatopfer absolute, unüberwindliche Barriere errichtet? → Rn. 12
3. In welchem Konkurrenzverhältnis steht § 239 zu § 240? → Rn. 22 f.

Aufbauschema § 239


1. Tatbestand a) Objektiver Tatbestand (1) Mensch, der aktuell zur Bildung und Betätigung eines Fortbewegungswillens fähig ist (2) Einsperren oder auf andere Weise der Freiheit berauben b) Subjektiver Tatbestand – Vorsatz
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld

Empfehlungen zur vertiefenden Lektüre:

Leitentscheidungen: BGHSt 14, 314 – „Amandafall“; BGHSt 32, 183 – „Missbrauchsfall“; BGH NJW 1993, 1807 – „Arbeitsplatzfall“

Aufsätze: Geppert/Bartl, Probleme der Freiheitsberaubung, insbesondere zum Schutzgut des § 239 StGB, Jura 1985, 221; Park/Schwarz, Die Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Jura 1995, 294

Übungsfälle: Hecker, Examensklausur Strafrecht: Das brennende Hausboot, Jura 1999, 197; Mitsch, Der praktische Fall – Strafrecht: Kein Kavalier der Straße, JuS 1993, 222; Ziegler, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Freiheitsberaubung, Beleidigung, Körperverletzung (mit Todesfolge) – Femme Fatale, JuS 2018, 883

Anmerkungen

[1]

BGHSt 14, 314, 316 – „Amandafall“; BGHSt 32 183, 188 f. – „Missbrauchsfall“; Lackner/Kühl § 239 Rn. 1; MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 1.

[2]

Schönke/Schröder/Eser/Eisele § 239 Rn. 4; Geppert/Bartl Jura 1985, 221.

[3]

MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 1.

[4]

MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 7.

[5]

MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 13.

[6]

BayObLG JZ 1952, 237.

[7]

Überblick bei Geppert/Bartl Jura 1985, 221, 222 f., und Park/Schwarz Jura 1995, 294, 296.

[8]

Otto § 28 Rn. 3; Park/Schwarz Jura 1995, 294, 296.

[9]

BGHSt 32, 183, 187 f. – „Missbrauchsfall“; BGH NStZ 2015, 338, 239; OLG Köln NStZ 1985, 550, 551; Lackner/Kühl § 239 Rn. 1; MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 13; Fahl Jura 1998 456, 461.

[10]

MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 16.

[11]

Gerke HRRS 2009, 373, 375.

[12]

BGH NStZ 2015, 338, 339.

[13]

Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 347.

[14]

OLG Köln NStZ 1985, 550, 551.

[15]

Schönke/Schröder/Eser/Eisele § 239 Rn. 6; Park/Schwarz Jura 1995, 294, 296.

[16]

OLG Hamm JMBlNW 1964, 31

[17]

OLG Koblenz NJW 1985, 1409.

[18]

BGH NStZ 1992, 33, 34; 2005, 507, 508.

[19]

BGH Beschluss vom 30. Oktober 2007 – 4 StR 470/07.

[20]

LK12/Träger/Schluckebier § 239 Rn. 13 f.

[21]

BGH NStZ 2015, 338, 339; SK/Horn/Wolters § 239 Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen § 14 Rn. 5.

[22]

BGH NStZ 1992, 33, 34.

[23]

BGH NStZ/M 1995, 225; LK12/Träger/Schluckebier § 239 Rn. 16.

[24]

MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 26; Schönke/Schröder/Eser/Eisele § 239 Rn. 6; Krey/Hellmann Rn. 352f.

[25]

BGH NJW 1993, 1807 f. – „Arbeitsplatzfall“; Lackner/Kühl § 239 Rn. 2.

[26]

BGH NStZ 2001, 420.

[27]

BGH NStZ 2003, 271; NStZ-RR 2003, 168; OLG Hamm JMBlNW 1964, 31 f.; Geppert/Bartl Jura 1985, 221.

[28]

BGHSt 14, 314, 315.

[29]

RGSt 33, 324, 325.

[30]

BGH NJW 1967, 941.

[31]

Krey/Hellmann Rn. 350; Park/Schwarz Jura 1995, 294, 297.

[32]

BGH NJW 1993, 1807 – „Arbeitsplatzfall“; Lackner/Kühl § 239 Rn. 5; a.A. Otto § 28 Rn. 9: rechtfertigende Einwilligung.

[33]

Lackner/Kühl § 239 Rn. 5; Park/Schwarz Jura 1995, 294, 297 f.

[34]

Lackner/Kühl § 239 Rn. 6.

[35]

SK/Horn/Wolters § 239 Rn. 16; a.A. Lackner/Kühl § 239 Rn. 9; Otto § 28 Rn. 11: § 18.

[36]

BGHSt 3, 4, 5 f.; 42, 275, 276; OLG Schleswig NStZ 1985, 74.

[37]

So auch Otto § 28 Rn. 7.

[38]

BGH GA 1963, 16; NStZ-RR 2009, 366; MüKo/Wieck-Noodt § 239 Rn. 28.

[39]

BGH NStE Nr. 3 zu § 239 StGB.

[40]

BGHSt 30, 235; OLG Koblenz VRS 49, 347, 350; Park/Schwarz Jura 1995, 294, 298.

[41]

Krey/Hellmann Rn. 362; Otto Jura 1989, 497, 498.

[42]

Park/ Schwarz Jura 1995, 294, 298.

[43]

SK/Horn/Wolters § 239 Rn. 23.

[44]

BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 5 und 8; § 239 Abs. 1 Konkurrenzen 8; Schönke/Schröder/Eser/Eisele § 239 Rn. 14 – jedoch Tateinheit, wenn die Freiheitsentziehung über das zur Verwirklichung des anderen Tatbestands Erforderliche hinausgeht; BGH NStZ 1999, 83; StraFo 2005, 82.

[45]

Otto Jura 1989, 497, 498.

[46]

Nach Otto Jura 1989, 497.

Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit › Kapitel 3. Freiheitsberaubung, Nötigung und Hausfriedensbruch › § 12. Nötigung (§ 240)

§ 12. Nötigung (§ 240)

Inhaltsverzeichnis

A. Grundlagen

B. Tatbestand

C. Täterschaft und Teilnahme, Begehung durch Unterlassen, Versuch und Vollendung sowie Konkurrenzen

D. Kontrollfragen

A. Grundlagen

1

Die Nötigung (§ 240) schützt das Rechtsgut der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit, und zwar in seiner Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit.[1]

B. Tatbestand

2

Der Tatbestand der Nötigung ist erfüllt, wenn der Täter vorsätzlich einen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung veranlasst (§ 240 Abs. 1).


Grundstruktur des Nötigungstatbestands
Objektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand
Tathandlung Taterfolg Vorsatz (Rn. 28)
Nötigen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel (Rn. 2 ff.) Handlung, Duldung oder Unterlassung (Rn. 9 ff.)
Kausalität (Rn. 26)

I. Objektiver Tatbestand

1. Tatobjekt

3

Tatobjekt der Nötigung kann jede (lebende) natürliche Person sein, die zur natürlichen Willensbildung und –betätigung fähig ist.[2] Die Tat kann daher auch gegen Kinder, betrunkene und geistig eingeschränkte Personen begangen werden.[3] Hingegen können juristische Personen als solche nicht Opfer einer Nötigung sein,[4] genötigt werden können jedoch deren (menschliche) Organe, d.h. Vorstände und Geschäftsführer, sowie sonstige Vertreter.

2. Tathandlung

4

Die Tathandlung des § 240 Abs. 1 ist das Nötigen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel. Nötigen bedeutet, einem Menschen ein von ihm nicht gewolltes Verhalten aufzuzwingen, ihn gegen seinen Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen bestimmen.[5]

5

a) Als Zwangsmittel kommt zunächst Gewalt in Betracht. Gewalt i.S. des § 240 Abs. 1 liegt vor, wenn der Täter durch Entfaltung körperlicher Kraft unmittelbar oder mittelbar auf den Körper eines anderen wirkenden Zwang ausübt, um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden oder von vornherein auszuschließen.[6]

Vertiefungshinweise:

Die ganz h.M. unterscheidet entsprechend der Wirkung der Gewalt zwei Erscheinungsformen: Vis absoluta liegt vor, wenn die Gewaltanwendung zur Folge hat, dass dem Opfer die Willensbildung und -realisierung unmöglich wird. Hingegen wird bei vis compulsiva zwar ein Motivationsdruck auf den Betroffenen ausgeübt, dennoch verbleibt ihm ein Handlungsspielraum.[7] Dieser Differenzierung kommt im Rahmen des § 240 Abs. 1 lediglich theoretische Bedeutung zu (anders etwa bei § 253; vgl. § 46 Rn. 19).

Beispiele:

A schlägt B bewusstlos und durchsucht dessen Wohnung – vis absoluta.

C schlägt D so lange, bis dieser ein vorgelegtes Dokument unterzeichnet – vis compulsiva.

Die einzelnen Aspekte des Gewaltbegriffs sind im Grundsatz anerkannt. Ihr Bedeutungsgehalt unterliegt jedoch in der historischen Entwicklung bis in die jüngste Zeit Veränderungen.[8]

6

aa) Für das Vorliegen von Gewalt ist es nicht erforderlich, dass der Täter erhebliche körperliche Kraft entfaltet.[9] Ein nur geringfügiger körperlicher Kraftaufwand ist bereits ausreichend.[10]

Beispiele:

A schließt die Tür und sperrt B ein, indem er den Schlüssel im Schloss dreht.[11]

C schüttet D sog. K.O.-Tropfen ins Glas.[12]

E blockiert in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit anderen den Straßenverkehr, indem sie sich auf die Fahrbahn niedersetzen.[13]

7

bb) Gewalt i.S. des § 240 Abs. 1 setzt einen auf das Opfer körperlich (physisch) vermittelten Zwang voraus; ein lediglich seelisch vermittelter Zwang genügt nicht.[14]

8

Einer unmittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers bedarf es daher nicht,[15] so dass auch eine Einwirkung auf Sachen genügt, wenn sie vom Betroffenen körperlich wahrgenommen wird.

Beispiel:

Vermieter A entfernt im Winter die Türen und die Fenster der Wohnung des B, um ihn zum Auszug zu zwingen.[16]

9

Für die umstrittene Behandlung der sog. Blockadefälle (vgl. Beispiel Rn. 6) folgt daraus, dass Gewalt immer dann, aber auch nur dann zu bejahen ist, wenn einer von der Blockade betroffenen Person die beabsichtigte Fortbewegung durch tatsächliche Hindernisse nahezu unmöglich gemacht wird.[17] Solche Hindernisse begründen deshalb einen körperlich wirkenden Zwang, weil das Tatopfer die Sperre mit seinen Kräften entweder überhaupt nicht oder zumindest nur unter Gefährdung der eigenen körperlichen Integrität überwinden kann.[18] Hierbei ist wie stets bei der Bewertung einer Handlung als Gewalt eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich.[19]

Beispiele:

A blockiert in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit mehreren hundert Menschen eine Kreuzung – Gewalt.[20]

Die Insassen eines Kleinbusses verteilen sich auf die Fahrbahnen einer Autobahn und blockieren so den Verkehr – Gewalt nur gegenüber den Fahrern, die durch die vor ihnen blockadebedingt haltenden Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert werden.[21]

B legt sich auf ein Gleis der Deutschen Bahn AG, um einen Zug an der Weiterfahrt zu hindern – keine Gewalt.[22]

C, D und E stemmen sich gegen die Motorhaube des von F geführten Pkw, um ihn an der Einfahrt in eine Parklücke zu hindern – keine Gewalt.[23]

10

Der körperliche Zwang muss vom Opfer nicht notwendig als solcher empfunden werden, so dass auch Schlafende, Bewusstlose oder Betrunkene als taugliches Tatobjekt der Nötigung in Betracht kommen, wenn die Gewalt zur Überwindung eines erwarteten Widerstands eingesetzt wird.[24]

Vertiefungshinweis:

Damit setzt der Tatbestand des § 240 Abs. 1 Gewalt gegen eine Person voraus,[25] so dass ein einheitlicher Gewaltbegriff im StGB zur Anwendung kommt (§ 46 Rn. 20).[26]

Merke:

Gewalt i.S. des § 240 Abs. 1 setzt dreierlei voraus, nämlich

erstens die Entfaltung von Körperkraft durch den Täter,

die zweitens einen unmittelbar oder mittelbar auf den Körper eines anderen wirkenden Zwang ausübt und

drittens einen geleisteten oder erwarteten Widerstand überwinden oder ausschließen soll.[27]

11

b) § 240 Abs. 1 stellt der Gewalt als Nötigungsmittel die Drohung mit einem empfindlichen Übel gleich.

Merke:

Drohung ist das Inaussichtstellen eines Übels, dessen Eintritt der Drohende als von seinem Willen abhängig darstellt.[28] Es kommt nicht darauf an, ob der Täter die Drohung wahr machen will oder kann.[29]

12

Ausreichend hierfür ist es, dass die Drohung objektiv ernstlich erscheint und vom Bedrohten ernst genommen werden soll.[30] Der Täter muss das angedrohte Übel in der Weise zur Disposition stellen, dass es nicht eintritt, wenn der Bedrohte sich dem Täterwillen fügt.[31] Unerheblich ist es hierbei, ob die Drohung ausdrücklich oder konkludent erfolgt.[32]

13

Eine Drohung liegt auch dann vor, wenn der Täter ankündigt, ein Dritter werde das in Aussicht gestellte Übel verwirklichen, und beim Opfer die Vorstellung erweckt, er könne den Dritten in dieser Richtung beeinflussen und wolle dies auch.[33] Hingegen liegt keine Drohung, sondern lediglich eine Warnung vor, wenn der Täter nicht vorgibt, auf den Eintritt des Übels Einfluss zu haben.[34]

Beispiel:

A wirbt für seine Betriebsratsliste. Sein Mitbewerber B erklärt C und D, er habe vom Chef gehört, dass im Falle eines Siegs der Liste des A bei den anstehenden Betriebsratswahlen zahlreiche Entlassungen erfolgen werden.

14

Mit einem empfindlichen Übel wird gedroht, wenn die in Aussicht gestellte negative Folge geeignet ist, einen besonnenen Menschen in der konkreten Situation zu dem erstrebten Verhalten zu bestimmen.[35]

15

Dem genügt auch die (aktive) Drohung mit einem Unterlassen,[36] d.h. das Inaussichtstellen eines Übels, das eintritt, sofern der Täter in einen für das Opfer nachteilig verlaufenden Kausalprozess nicht eingreift, obwohl er vorgibt, dies zu können.

16

Beispielsfall 4 – Diebstahl mit Folgen:

Gegen Studentin A, die in der Universitätsbibliothek zum wiederholten Mal beim Diebstahl eines Buchs gestellt wird, formuliert die Bibliotheksleitung eine Strafanzeige (§ 158 StPO). Bibliotheksrat B wendet sich daraufhin an A und erklärt, er könne die Anzeige aus der Welt schaffen, wenn sie mit ihm schlafe, was sie auch tut.

Strafbarkeit des B wegen Nötigung?

Lösung:

17

Eine Strafbarkeit des B wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1) setzt zunächst voraus, dass er A mit einem empfindlichen Übel gedroht hat.

18

Die Einleitung eines Strafverfahrens stellt für A wegen der damit einhergehenden Belastungen und der zu erwartenden Verurteilung ein empfindliches Übel dar. Fraglich ist es jedoch, unter welchen Voraussetzungen die von B in Aussicht gestellte Passivität als Drohung i.S. des § 240 Abs. 1 zu bewerten ist.

19

Teile des Schrifttums und der Rechtsprechung qualifizieren die Ankündigung eines Unterlassens nur dann als Drohung mit einem Übel, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln besteht.[37] Hiernach scheidet eine Drohung des B aus, weil diesen keine Pflicht trifft, die Weiterleitung der Strafanzeige zu verhindern. Angeführt werden folgende Argumente:

20



21



22

Nach der Gegenauffassung kommt es nicht darauf an, ob das angekündigte Unterlassen eine Rechtspflicht zum Handeln verletzen würde, so dass auch – wie im Beispielsfall – in einem rechtmäßigen Unterlassen die Drohung mit einem empfindlichen Übel liegen kann.[40] Die Argumente der Vertreter dieser Auffassung sind:

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24



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26

Stellungnahme: Das Täterverhalten entspricht unabhängig davon, ob eine Rechtspflicht zum Handeln besteht, der Modalität des § 240 Abs. 1. Der Täter stellt den Eintritt eines Übels als von seinem Willen abhängig dar.[44] Zudem gewährleistet nur die Einbeziehung (auch) eines rechtmäßigen Unterlassens eine Erfassung aller Fälle einer Willensbeeinflussung, die wegen der Koppelung von Mittel und Zweck als sozial unerträglich erscheinen (vgl. hierzu Rn. 33 f.).[45] Mithin droht B der A mit einem empfindlichen Übel.

27

c) Gewalt und das angedrohte Übel können sich auch gegen einen Dritten richten, wenn diese vom Empfänger der Drohung für sich als Übel empfunden werden.[46]

Beispiel:

Der Strafgefangene A droht dem Leiter der JVA mit der Tötung des im gleichen Haftraum untergebrachten B, falls ihm kein Funkgerät ausgehändigt wird.[47]

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9783811487291
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