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Читать книгу: «Der Herzog», страница 9

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Still gehalten hat Joseph Moritz mit rechtschaffener Genauigkeit. Entweder hat er nichts notiert zu dem Thema, trotz inneren Drängens; oder er hat wirklich Enthaltsamkeit geübt; oder er hat sich wirklich daran gewöhnt, warten zu müssen. Behutsam warten zu müssen auf das ‚Erwachen des Herzogs’.

KAPITEL 10

Im Sommer 1819 bietet uns Joseph Moritz ein sehr vermischtes Programm, dessen Schwerpunkt zur Abwechslung einmal nicht beim Herzog liegt. Wir erzählen es aber dennoch, da es den Herzog zwar nicht als persönlichen, aber doch als fast allgegenwärtigen geistigen und gefühlsmäßigen Mittelpunkt hat. Und wenn es nicht Joseph Moritz ist, der den Herzog in den Mittelpunkt stellt, dann bleibt es dem Leser nicht erspart, die dauernde Anwesenheit des Herzogs zu spüren. Wir sind bereits so weit eingelesen, dass wir, während Joseph Moritz gar nicht an den Herzog denkt, sehr wohl die Brücke über seine Gedankenlosigkeit zu schlagen vermögen. Uns ist es beim Durchlesen des Tagebuchs jedenfalls so ergangen; und ganz genau nach diesem Kriterium haben wir die Auswahl des folgenden auch getroffen, wie bisher, unter aufmerksamer Wahrung der Reihenfolge der Vorgänge. Zudem stolpern wir immer wieder über Details, die der Schreiber wollüstig nur einem Tagebuch anvertraut und die wir weggelassen haben, der einmal geäußerten Bitte des Joseph Moritz folgend, die er für den Fall ausgesprochen hat, dass dies doch jemand fürderhin lesen würde.

Und schon müssen wir uns bezüglich der Methode des Vorgehens einer kleinen Lüge zeihen. Die Einleitung des Sommers nämlich ist aus mehreren Sätzen aus der Feder des Joseph Moritz zusammengestoppelt.

Also nichts mit der Sommerfrische. Vater muß dableiben, den Franz durcherziehen den ganzen Sommer über.

Mutter ist recht unglücklich, leidet unter der Hitze. Unser sonst so kühles Palais ist aufgeheizt wie das Innere eines Backofens.

Vater hat Mutters Gejammere rechtens satt. Er meint, sie möge doch nach Erlauf an den See reisen; nur die Köchin, die möge sie dalassen. Mutter antwortet aber empört: „Was mach’ ich denn in Erlauf ohne Köchin?“

Vater stellt dann als Fazit fest: „Dann muß die Frau Mutter eben da bleiben. Bei der Familie!“

Familie! Die ist nun in diesen Tagen der Hitze- und Gewitter-trächtigen Sommerzeit so gar nicht merkbar. Nur weil wir beisammen sind? Und nicht auf Sommerfrische? Wir sprechen kaum miteinander.

Dienstag den Franz getroffen. Belangloses geredet. Floskeln. Der Bub ist blaß. Nur kurz. Gewitter nahte.

Dienstag den Franz gesehen. Waren grantig, er und ich.

Kürzer und belangloser geht’s wohl nimmer. Der Herzog war in den hochsommerlichen Alltag gerutscht. Hitze und Herzog und keine Sommerfrische und grantiger Vater und erschöpfte Mutter.

Vater bleibt hart. Habe wieder gefragt, ob nicht wenigstens ich ein paar Tage Sommerfrische machen könne. Nein. Die Familie. Junger Herr auf dem Lande? Das könnte mir so passen. Wenn ich mich schon vergnügen wolle, dann biete Wien wohl genug. Zudem fände ich mir dann wohl auch noch eine zum Heiraten auf dem Lande. Das auch noch. Erst so lange keine in Sicht, und dann womöglich noch eine vom Lande. Vater nennt mir doch glatt die Hermine, eine von Almwiesen. Die Hermine mit dem kleinen Gesichterl und dem furchtbar großen Hinteren. Mutter schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. Vater soll nicht den Teufel an die Wand malen. Schon recht, daß der Bub noch überlegt. Gut so. Für den Vater war ich heiratsfähig, für die Mutter ist noch Zeit zum Überlegen. Ich danke dir, Mutter. Ich küsse dich. Herzklopfen, ängstliches. Jetzt.

Wir erinnern uns an die 3 Grazien auf der Insel in Dubrovnik? Hier begegnen wir in Hermine von Almwiesen dem zweiten Namen, den er dort in seiner Erzählung verwendet hat. Wie die 3 Inseldamen zu den Namen gekommen sind, denen wir erst viel später realiter begegnen, bleibt ein Geheimnis.

Aber da war doch noch etwas! Es war das erste mal in meinem achtzehnjährigen Leben, daß Vater mich auf die Vergnügungen der Stadt aufmerksam machte. Also dafür bin ich wenigstens nun reif genug.

Ich ging auch gleich groß drauf los.

Walpurga -

- Mutters Gesellschafterin -

- verwies mich auf die Bälle in den Redoutensälen: „Wann dort auch immer mehr Leut’ von draussen sich d’runtermischen!“

Wieder gefiel mir der gesenkte Blick der Walpurga, der so gar nicht zu ihrer derb-ländlichen Ausdrucksweise passen wollte.

Walpurga kann ihre Wimsbacher Herkunft nicht verleugnen.

Mutter lächelt darüber, Vater bemängelt sie manchmal, und mir gefällt sie: „Naja, die Leut’ herinn’ ham’s Geld. Aber da muß man erst einmal eing’lad'n werd’n. Na und die jungen G'schäftsleut’ von draussen ham ja bald mehr Geld als wie die herinn’!“

Ganz kannte ich mich in Walpurgas Äußerungen nicht aus. Aber immerhin, das war sie, die Schilderung der Unterhaltungsmöglichkeiten von hoher Seite.

Die Anna -

- eines der Küchenmädel -

- wiederum meinte, als ich sie nach ihren Ausgängen fragte, zuerst schelmisch und dann neckisch: „Haben der Herr Graf niemand anderen zum Fragen?“

Als ich verlegen tat, wurde sie dreist: „Will mich der Herr Graf leicht gar einladen?“

Gerade noch dämpfte ich meinen aufkommenden Zorn und machte in Galanterie: „Das kommt darauf an, was sie mir erzählt.“

Worauf sie sich mit Feuereifer ins Erzählen stürzte. Sie zählte mir alles an ihren Fingern vor, wobei sie immer mit den Fingern der einen Hand den jeweiligen Finger der anderen Hand hoch hielt.

Der Daumen: „Vergeß’ der Herr Graf auf die Redouten in der Stadt. Dort kaufen die G’schäftsleut’ g’rad den Adel ein.“

Da schlug sie sich mit der Hand auf den Mund, und über der Hand blickten mich erschreckte Augen groß an. Aber ich glaubte den Schrecken nicht ganz.

Schon wieder die Geschäftsleute von draußen. Die Walpurga hat sie auch erwähnt.

Also ermunterte ich die Anna: „Sprech’ sie nur weiter, ohne Scheu.“

Der Zeigefinger: „Geh’ er in die Vorstädte. Dort aber braucht er wen, der ihn einführt!“

„Wieso?“, brauste ich auf, „wenn ich bezahle und meinen Namen sage...“

„Das Geld vergess’ der Herr Graf“, winkte sie geringschätzig ab, „das haben dort draußen so manche mehr.“

Auch das hat die Walpurga angedeutet. Langsam verstand ich das Gerede.

Der Mittelfinger: „Und sag’ er dort nur nicht, wer er ist. Entweder die kommen drauf, oder nicht. Geheimnisvoll, das ist das einzige, was vielleicht zieht. Vielleicht.“

Dann sah sie mich kokett an, wobei sie vorsichtig den Ringfinger hochhielt: „Na? Wie wär’s?“

Ich wußte nicht. was sie meinte.

„Hab’ ich gut erzählt?“

Jetzt begriff ich erst: „Aha! Sie will mich dort draußen also einführen?“

Da schlug das Luder die Augen nieder und flötete mit gespitztem Munde: „Wenn der Herr Graf befehlen.“

Nächsten Samstag gehen wir.

Mitten in diesem Schwung lag aber noch ein Dienstag.

Dienstag den Franz getroffen. Er stöhnt unter dem Französisch-Lernen. Aber es ist die Sprache, in der sein Vater die Welt zu befehligen vorgehabt hat. So habe ich es dem Franz natürlich nicht gesagt.

Ich erzählte ihm, daß ich am Samstag auf einen Ball gehe.

„Ach ja“, sagte er nur, und „da muß er mir das nächste mal erzählen, wie’s war!“

Das ‚nächste mal’ war allerdings auch noch vor dem Ball-Samstag. Ein Ausritt in den Prater am Freitag.

Nur vorbeigeritten: „Wie war’s?“

Was meinte der Franz?

„Der Ball.“

„Erst morgen.“

„Ach so. Ja. Nicht vergessen, alles erzählen!“

Ich versprach es. Alles?

Dann aber kam er endlich, der Samstag. Joseph Moritz notiert Nervosität.

Wie aber verhalte ich mich da? Sie hat gesagt, ich solle sie am Burgglacis aufnehmen. Um acht. Sie würde schon warten, wenn ich pünktlich wäre. Der Kutscher Johann ist für den Vater, muß ich also den Josef nehmen. Was kann ich ihm sagen? Ganz einfach, ich fahr’ aus, zuerst zum Burgglacis, dort nehmen wir jemand auf; hier sollte ich wohl zwinkern, oder nein, das wäre denn doch zu vertraulich; ich werde ihm Schweigen gebietend fest in die Augen schauen.

Und dann würde es wohl geschehen.

Ich bin sehr neugierig. Das ist nun einmal etwas ganz außer meiner sonstigen Art.

Vater nennt das wohl „Entwicklung“ und „Endlich Entwicklung!“

Joseph Moritz ist also auf dem Weg zu neuen, für ihn gänzlich unbekannten Gestaden. Der Konflikt mit dem Vater ist offensichtlich immer noch am Schwelen, denn sofort zitiert Joseph Moritz eine abfällige Bemerkung des Vaters, die dieser jetzt wohl gemacht hätte, hätte der Sohn mit dem Vater das anstehende Thema durch besprochen. Hat er aber nicht.

Was aber lege ich an für die Vorstadt? Für einen Ball dort?

Wie ‚aber’ verhalte ich mich da? Was ‚aber’ lege ich an für dort? Vorsicht und Unsicherheit verrät der Stil, den Joseph Moritz hier einschlägt.

Bezüglich der Bekleidung erinnern wir uns lebhaft an des Vaters verächtliche Bemerkung über Joseph Moritz’ „Rüschchen und Bändchen“. Putzsüchtig war er wohl, so hätte man es damals genannt.

Gibt man sich einfach? Oder einfach, wie man ist? Wenn man einfach ist? Da müßte man erst einmal wissen, wie man überhaupt ist. Einfach? Einfach so? So einfach?

Zwar, die Plebs kleidet sich sicher sehr vornehm. Wahrscheinlich übertrieben vornehm. Sind ja nichts, müssen also aus sich was hermachen. Umso mehr lasse ich nach. Ist es für die da draußen einer ihrer höchsten Anlässe, ist es für mich das nicht. Ein Ausflug. Ein Entgegenkommen. Eine Ehre für die. Mehr nicht.

Hätte Joseph Moritz nicht seinen Stand, er hätte wohl manchmal überhaupt kein Bewusstsein. Aber auch keine Orientierung. Es ist vermutlich systemimmanent, dass Adel sich einigelt.

Jetzt bin ich plötzlich ganz erschrocken. Diese Anna hat mir kein Wort gesagt, wo der Ball überhaupt stattzufinden gedenkt.

Oh Abenteuer, daß du mir nicht zu viel werdest!

Es ist das Vorrecht des romantischen Schreibers, plötzlich in unvermutete ‚Oh’s und ‚Ach’s auszubrechen.

Übrigens ist nur eine Zeile Zwischenraum, den Joseph Moritz zwischen heute und morgen, oder - aus der anderen Sicht - gestern und heute gelassen hat. Aber dazwischen war eine ganze Nacht und wohl auch ein durchschlafener Vormittag, denn,

- Mutter hab' ich versprochen, die Abendmesse in Sankt Stephan zu besuchen.

Und als der Vater das Fehlen des Sohnes beim Frühstück minierte, hat Joseph Moritz das so erklärt:

„Abendliche Unterhaltung und das Frühstück sind halt manchmal zweierlei!“

Worauf mich Vater dann, allein, schnell gefragt hat: „Er war doch allein beim Früh-stück, oder?“

„Ja“, antwortete ich mit der Attitüde des gelangweilten Lebemannes oder Liebhabers, der es selbstverständlich nicht zu einem gemeinsamen Frühstücke kommen hat lassen.

„Und er war daheim?“, fragte der Vater noch einmal voller Sorge; und voller Neugierde.

„Ja“, antwortete ich ebenso gelangweilt, daß ich glaubte, in meines Vaters Antlitz ein kleines Staunen entdecken zu können; über die Reife seines Sohnes vielleicht? Staunen? Wohl auch Beruhigung, wie mir scheint.

Wenn wir jetzt an die Naivität denken, mit der der Joseph Moritz noch gestern in die Nacht gezogen ist, dann muss er in dieser einen Nacht doch einiges dazugelernt haben. Das ausgelassene Frühstück als Gradmesser für eine gelungene Nacht anzubieten spricht für einschlägige Erfahrung. Oder es spricht für Aufgeschnapptes, was man eben so gehört hat. Zweiteres trauen wir unserem Helden eher zu. Das bedeutet aber, dass auf dem Ball auch wohl für damalige Begriffe lose Reden geführt wurden. Vorstadt halt, würde Joseph Moritz vielleicht antworten. Aber rufen wir uns in Erinnerung, wie Joseph Moritz und seine Freunde Czernin, Belcredi und noch einer aus dem Hochadel über die drei adeligen Mädchen gesprochen haben. Einer von diesen werden wir sogar bald begegnen. Ganz im Stile eines Tagebuches eines jungen Mannes, der diese Nacht noch nicht hinter sich hatte, überschrieb der Joseph Moritz seinen Bericht „Mein erster Ball“ oder „Die Schwierigkeiten, in die man kommt, wenn man keine Ahnung hat“.

KAPITEL 11

25. August 1819

Mein erster Ball

oder

Die Schwierigkeiten, in die man kommt, wenn man keine Ahnung hat.

Es ist sehr, sehr schwer für mich, mir jetzt, am Nachmittage, alles aus der vergangenen Nacht in die Gegenwart zu rufen.

Das Datum oben stimmt übrigens nicht. Das war gestern. Der Ball. Heute haben wir Sonntag, den 26. August.

Der Josef hat den Einspänner fertig gemacht. Eine Kutsche wollte ich nicht in die Vorstadt. Er hat auch gar nichts gefragt, ja ich glaube, nicht einmal gedacht.

„Zum Burgglacis“, habe ich ihm gesagt und wir sind losgefahren.

Es rumpelte sehr stark-

Die Straßen Wiens waren damals noch nicht gepflastert, sondern im Naturzustand, was bedeutete, dass je nach vorangegangener Witterung viele Löcher auf den Straßen waren. Der Sommer dieses Jahres war, wie Joseph Moritz beschrieben hat, recht gewittrig; also wird es auch allerhand Löcher gegeben haben.

Es rumpelte also sehr stark -

- und ich dachte nach. Dann war es also doch wahr, daß der Adel begann, seine alten Bastionen aufzugeben, wie ich es so geschwollen wo gelesen habe. Hat mein Vater das auch getan, was ich jetzt tue? In die Vorstadt? Eingeführt von einem Kucheltrampel namens Anna Hausleitner? Ich habe im Personalbuch nachgesehen, so heißt sie. Hausleitner. Aus Melk ist sie. Anna Hausleitner aus Melk geht heute mit dem jungen Grafen Joseph Moritz von Dietrichstein auf einen Ball in der Vorstadt.

Mein Vater hat das nicht getan. Nie. Hat die Bastion des Adels gehalten. Hochgehalten. Ich aber tu’s. Ich tue, was die Väter nicht getan haben. Damit bringt man wohl Bastionen ins Wanken.

Da rief der Josef vom Bock herunter: „Die Anna, Herr Graf!“

Ich erschrak. Woher wußte er? Ich Tölpel, der Josef wird doch die Anna kennen. Wahrscheinlich besser als ich. Er weiß wahrscheinlich, was für Haare sie dort hat, wo ihre Scham ist. Da fiel mir kurz ein, daß auch der Josef ein recht stattlicher Bursche war. Ich konnte aber nicht so weit denken wie bei der Anna, denn da war sie schon.

Sie stürmte herein und warf sich auf die Bank neben mich.

„Keine Kutsche?“, nörgelte sie gleich los.

Ehe ich noch antworten konnte, schwätzte sie aber munter weiter: „Ach, so ein Einspänner hat auch seine Meriten!“

„Ja?“, fragte ich ratlos.

„Man muß z’sammruck’n!“

Dabei stieß sie mir ihr von viel gebauschtem Stoff umgebenes Unterteil in die Seite.

„Au“, rief sie, „mei sie san mager“, wobei sie mir an die Hüfte tappste und mir fest auf den dort befindlichen Knochen klopfte.

Ich holte eben Luft, um mich gehörend zu entrüsten, da fragte der Josef herunter: „Zögernitz?“

„Wohin denn sonst“, keppelte die Anna, „warum fahrt er denn noch nicht? Sollen wir da Wurzeln kriegen?“

Da schnalzte die Peitsche und mit einem überaus kräftigen Ruck, der uns beide in die hart gepolsterte Rückenlehne warf, fuhren wir los.

„Na!“, schrie ich.

„Entschuldigen Herr Graf!“, rief der Josef herunter, sodaß ich es gerade noch hörte über das Gepolter.

Jetzt wurde aber die Fahrt dennoch gleich ruhiger, wohl weil der Josef doch aufpaßte.

„Schau, wie er gleich folgt, wenn der Herr befiehlt!“, sagte die Anna.

Ich bemerkte wohl den leise doppelten Unterton, meine Gedanken aber liefen doch in die andere Richtung; wie sie doch gleich respektlos werden, wenn ihresgleichen in der Nähe ist. Der Josef hat nicht mich gefragt, wo es hin geht. Er hat gar nicht gefragt. Er hat es schon gewußt und sich nur versichert. Bei der Anna, nicht bei mir. Gut, ich hätt’s auch gar nicht gewußt. Die Anna hat’s gewußt. Und der Josef hat’s auch gewußt. Wohin ging es jetzt?

„Wohin geht’s?“, fragte ich also.

„Casino Zögernitz“, antwortete die Anna. „Ein Seidenball.“

„Seidenball?“

„Ein Seidenfabrikant macht einen Ball für seinen Buben. Und da gemma hin.“

„Erwartet er uns denn?“

„Was heißt erwarten. Er hofft! Er hofft, daß wer aus der Stadt kommt.“

Jetzt kicherte sie: „Und ich bring’ gleich einen echten Grafen mit.“

Sie kuschelte sich an mich: „Aber wir sagen nix. Und wenn die nicht draufkommen, dann haben wir unsere Gaude gehabt.“

„Welche Gaude?“, fragte ich verwundert.

Die Anna war auf ihrem Höhepunkt: „Das Raten! Das Flüstern! Wer ist denn der. Das ist die Gaude. Schöner als jede Maskerad’. Einfach so.“

Sie blickte zum Fenster hinaus: „So, und jetzt wird’s finster. Bis Hernals ist es eine halbe Stund’.“

Ich staunte: „Eine halbe Stunde?“

Sie drückte sich zerstreut an mich: „Eine schwache!“

So saßen wir nebeneinander und rumpelten durch die Finsternis. Wieder zogen Gedanken durch meinen Kopf. Was hatte denn meinereiner da verloren?

„Gut so?", fragte sie.

Ich nickte. Und sie hat es gespürt, denn sehen konnte sie es nicht. In einer finsteren Nacht in einem finsteren Gefährt mit einem Kucheltrampel, der soeben seinen Kopf an meine Schulter legt, sodaß ich den ganz eigenen Geruch ihres Haares direkt in der Nase hatte. Was sage ich da von eigenem Geruch? Ich habe noch nie Haar gerochen. Ich war noch nie einem Menschen so nahe, daß ich sein Haar hätte riechen können. Die Warze hinten am Hals des Franz, die habe ich wohl gesehen. Aber Haar riechen?

„Was denkt er jetzt?“, fragte sie leise.

„Nichts“, antwortete ich.

„Man kann nicht nix denken!“, erklärte sie mir.

„Dann denk’ ich mir halt was, was sie nichts angeht“, gab ich ihr Bescheid.

„Sie Schlimmer“, kicherte sie da.

Was dachte sie denn, daß ich dachte? Sicher waren es irgendwelche unzüchtigen Gedanken, die sie mir da unterschob. Unzüchtig, wie sie’s wohl gerne gehabt hätte. Ich würde aufpassen müssen, dachte ich mir da. Das Luder hatte sicherlich Erfahrungen, die ich nicht hatte.

Dann fuhren wir also, und ich dachte eigentlich nur voll Spannung, wie es am Ziel hergehen würde. Ich wußte ja nicht einmal, was die Anna anhatte. Ihre Wärme kam langsam durch das Kleid durch. Ihre Wärme und die meine trafen sich, glichen sich aus, und ergaben einen angenehmen Hin- und Her-Fluß zwischen unseren beiden Körpern.

Ich schüttelte unmerklich den Kopf. Wahrscheinlich schüttelte ich ihn nur innerlich, denn sonst hätte es die Anna sofort gemerkt.

Was würden wir für ein Paar abgeben? Als was trat ich auf? Der Galan der Mamsell Anna? Der geheimnisvolle Gönner? Als ihresgleichen? Oder der Geheimnisvolle von hohem Stande, der eben darum geheimnisvoll bleiben wollte? Letzteres konvenierte mir genau besehen am meisten.

„Ich bin ihr adeliger Gönner, der unbekannt bleiben will, so machen wir’s“, dachte ich laut.

Sie aber antwortete trocken: „Gar nix machen wir. Sie sind der Herr, der mich ausführt. Kein Name, kein Titel, nur ‚Sie’, sonst nix!“

Aha, dachte ich bei mir. Nicht nur ein Luder, sondern sogar ein raffiniertes Luder.

„Gut“, sagte ich, „wie Mademoiselle befehlen.“

„Mademoiselle“, kicherte sie, „das ist gut!“

Damit richtete sie sich auf und rief zum Josef: „Jetzt könnt’ ma’ aber bald da sein!“

Josef brummte zurück: „Die Mamsell wird’s wohl derwarten können.“

„Wie lange dauert es wirklich noch, Josef?“, fragte jetzt ich.

„Noch zehn Minuten, Herr Graf“, antwortete der Josef, wie ich vermeinte zu hören, besonders höflich.

Ich hatte wohl nicht falsch gehört, denn die Anna reagierte entsprechend giftig: „Hosenscheißer!“

Und dann laut: „Und das mit dem ‚Herr Graf’ hat sich jetzt für heut’, gell?“

Jetzt wandte sie sich an mich: „Sonst wär’ ja die ganze Gaude hin.“

Draußen waren wieder Lichter, Straßenlichter, andere Fahrzeuge, Menschen.

Dann ruckte es und der Josef rief: „Wir sind da!“

„Beim Tor?“, fragte ich.

„Das Vorfahr’n dauert ein bissel, weil es ist ein rechtes Gedränge da.“

Die Anna nahm das Heft in die Hand: „Und wenn’s ihm hundertmal lang dauert, wir fahren vor!“

Und jetzt zu mir gewendet: „Nicht wahr?“

Ich nickte recht ergeben.

Wir fuhren also Ruck für Ruck vor. Wo, das wußte ich ja nicht.

Hier sei die Erzählung des Joseph Moritz einmal kurz unterbrochen. Uns fällt die Überdeutlichkeit und Ausführlichkeit auf, mit der er diese Tagebuchnotiz führt. Denn es sind ja nur Tagebuchnotizen. Wahrscheinlich ist, dass es sich hier wieder um Dichtung und Wahrheit handelt. Joseph Moritz schreibt das, was er da erlebt hat, nicht nieder, er schreibt es. Er vollzieht Dialoge nach und ergänzt sie dort wohl, wo sie ihm in der Realität vielleicht etwas dürftig vorgekommen sein mochten. Joseph Moritz’ Charakter kennen wir mittlerweile so gut, dass wir annehmen dürfen, dass er dort, wo alles gut geht, ausschmückt, dort aber, wo etwas schief geht, die ganze Wahrheit schreibt, um sich in bewährter Manier selbst zu quälen und dann bemitleiden zu können.

Dann hatten wir endlich unseren letzten Ruck gemacht. Wir waren da. Es ging alles sehr schnell. Der Josef sagte: „Wir sind da.“

Dann riß einer den kleinen Schlag auf, klappte das Trittbrettchen hinunter und wir stiegen aus.

„Ich laß ihn rufen, Josef“, sagte ich.

Da fragte auch schon ein Livrierter, der uns nach dem Aussteigen in Empfang nahm, um uns zu geleiten: „Und für wen darf man dann rufen lassen?“

„Das wird er schon noch erfahren. Dann!“, gab die Anna spitz zurück.

Ich ergänzte noch eine Spur mehr oben hinaus: „Oder eben auch nicht!“

Der Livrierte verbeugte sich: „Ganz wie die Herrschaften wünschen.“

Er ging uns voraus. Wir betraten ein Haus, das rundherum und auch innen hell erleuchtet war. So viel ich von außen sehen konnte, war da eine Art Vestibül und dahinter ein Hauptsaal mit einer Kuppel und links und rechts mit je einem Seitentrakt. Das Ganze lag in einem Garten, der von hohen Hecken umgeben war. Den Garten erblickte ich nur auf dem kurzen Wege vom Hecken-Eingang zum Vestibül-Tor. Er war effektvoll und recht unterschiedlich in seiner Helligkeit beleuchtet, wenngleich das Licht auch noch nicht voll zur Geltung kam, weil es, so finster es mir auf dem Herwege erschienen war, doch noch ein wenig dämmerte.

Von drinnen erklang schon Musik heraus von einem erstaunlich großen Orchester gespielt. Und alle zehn Schritte übernahm uns ein anderer Livrierter.

„Alles die Leut’ vom Hornbostel!“, flüsterte die Anna achtungsvoll.

„Von wem?“, fragte ich.

„Horn-bo-stel!“, sagte sie Silbe für Silbe.

„Der Seidenfabrikant?“

„Er gibt den Ball für seinen Sohn.“

Das hatte mir die Anna schon gesagt.

So würde ich also den sagenhaften Hornbostel kennenlernen. Den fortschrittlichsten Seidenfabrikanten, der andauernd Arbeiter entließ, weil er längst alles auf allein arbeitende Maschinen umstellt. Eine Maschine, so habe ich gehört, macht die Arbeit von elf Arbeitern. Das muß man sich vorstellen!

Diese Gedanken gingen mir dort auf dem Ball nicht mit der Ausführlichkeit durch den Kopf. Dort hatten sie im besten Falle Zeit, sich wie Blitze zu zeigen. Blitze, die ich mir gemerkt habe. Jetzt habe ich sie ergänzt. Beim Ball aber ging alles auf einmal sehr schnell.

Wir wurden auf einen älteren Herrn zugeleitet mit sehr soigniertem Äußeren, einer würdevollen, väterlichen Figur. Seine Leibesfülle war nicht eben gewaltig, dennoch aber war da genügend Platz, um eine sehr schmuckreiche und schwere Uhrkette auf einer dunkelrot samtenen Weste ausreichend präsentieren zu können. Seltsam war auch der graue Backenbart, der etwas wirr vom sonst runden, festen Gesichte wegstand.

In mir keimte soeben Verwirrung auf, wie es wohl jetzt mit dem Vorstellen gehen würde, da ich annahm, daß wir uns soeben auf den Gastgeber zu bewegten. So war es denn auch, es war der berühmte Seidenfabrikant Hornbostel. Ich hatte vorher den neben ihm stehenden jungen Mann gar nicht gesehen, der wie die zwanzig oder dreißig Jahre jüngere Ausgabe des Herren neben ihm aussah und sich auch prompt als der junge Hornbostel herausstellen sollte.

Aber so weit waren wir noch gar nicht.

Als wir eben beim ‚alten’ Hornbostel anzulangen begannen, da stürzte ein junger, geckenhafter Mann herbei, packte die Anna an den Schultern und schob sie vor den Hornbostel, wobei er rief: „Das ist sie, Herr Direktor, die Anna Hausleitner, die beim...“

Anna unterbrach ihn scharf: „Gustl, glaubt er denn, daß den Herrn Direktor meine Profession ästimiert? Als ob einer nur was zählt ob der Profession. Pfui, Gustl, wie gewöhnlich!“

Der Gustl schien jedenfalls mehr zu verstehen als ich. Er blickte nämlich ganz schnell auf mich, lächelte ebenso schnell, ich lächelte, ohne recht zu wissen, warum, zurück, er wandte sich wieder dem Hornbostel zu und meinte: „Naja, das ist sie jedenfalls. Ich hab’ von ihr erzählt, daß ich sie bitt’, herzukommen.“

„Kann schon sein“, lächelte der Hornbostel verwirrt und begrüßte die Anna, die einen schnellen Knicks machte und sich gleich dem Sohn und dem sogenannten Gustl zuwandte, die einander alle sichtlich recht gut zu kennen schienen.

„Und der Herr?“, fragte der Hornbostel jetzt mich.

„Es ist mir ein Vergnügen“, sagte ich, ohne den Rücken zu beugen.

Hornbostel richtete sich voll auf, lächelte dann, deutete eine kleine, diskrete Verbeugung an und sagte: „Wenn es Ihnen ein Vergnügen ist, dann ist es mir eine Ehre.“

Dann wies er um sich, vor allem in Richtung der jungen Leute: „Ich nehme an, er wird sich an die jungen Leut’ halten. Schau’ er vor allem auf seine Dame, daß sie ihm nicht abhanden kommt!“

Das war mir, wenn auch mit angenehm sonorer Stimme vorgetragen, denn doch etwas zu plebejisch; ich verbeugte mich also leicht und begab mich zur Anna, die mit dem sogenannten Gustl und dem jungen Hornbostel plauderte.

Als ich bei ihr anlangte, fuhr sie aber gleich zu mir herum, als hätte sie schon die ganze Zeit gewartet: „Na?“, sagte sie leise, „das hat er sehr gut gemacht!“

„Sie hat alles gehört? Aber sie hat doch - “

„Mit dem Mund geredet und mit den Ohren gehorcht. Eine Kunst, die wir Unteren recht gut beherrschen müssen.“

Ich fügte dem nichts hinzu.

Es erstaunt uns immer wieder, dass der Joseph Moritz das alles mit solcher Genauigkeit erlebt haben will und nun imstande ist, es mit ebensolcher Genauigkeit zu Papier zu bringen. Das ist, wir haben es schon vermutet, kein Tagebuch, das grenzt an die Ausführlichkeit eines Romane. Joseph Moritz weist ja sogar selber darauf hin.

Glaub’ der, der sich getraut, dieses zu lesen, nur ja nicht, daß mir alles, was da gestern vorgegangen ist, immer so in dem Augenblicke klar war, wie es mir jetzt klar ist und wie ich es hier niederschreibe. Manches Licht ist mir erst viel später aufgegangen. Und jetzt, wo ich zurückblicke, schieben sich die Dinge zu ihrem folgerichtigen Bild zusammen. Zuerst durcheinander und dann zusammen. Daher berichte ich es auch genau so, wie es sich mir jetzt darstellt. Aber vielleicht ist das ganz falsch, wie ich es hier notiere. Vielleicht sollte ich doch beim Berichten bleiben. Vielleicht versuche ich es. Wie die Feder halt läuft. Soll sie laufen. Hat ja was zum Laufen. Also: es war wirklich ein recht glänzendes Fest. Gute Getränke. Kalte Speisen, wunderbar angerichtet. Die Kleider vom Protz bis zum Chique. Mehr Neues, als bei uns in der Stadt. Und es war lustiger als bei uns.

Joseph Moritz, du warst ja noch auf gar keinem Ball!

Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß es bei uns’resgleichen so vergnüglich hergehen kann. Hier sind auch die Galoppaden noch erlaubt, die man bei uns verboten hat, weil sich die Damen und Herren bei der Hetz’ verletzt haben; weil sie hingeflogen sind der Reihe nach, hat mir der Vater erzählt. Hier fällt keiner hin.

Ich konnte auch endlich meine Tanzlehre ausführen und ich erntete viel Lob bei den Tänzerinnen; manche von denen hätte, als sie mich eben lobte, wahrscheinlich allzu gerne gewußt, mit wem sie da getanzt habe. Aber ich mußte ja nur darauf warten, bis ich auf eine traf, die wußte, wo die Anna in Arbeit stand.

„Wieso?“, war die Anna verblüfft, „wer sagt denn, daß ich mit dem Herrn des Hauses ausgeh’? Könnt' ja auch ein and’rer sein, nicht?“

Perfekt, perfekt, dachte ich, jetzt schon mit neidvoller Bewunderung. Nach und nach aber bemerkte ich, daß der sogenannte Gustl der Schwarm der Anna war und daß sie mich also nur gleichsam als Kutscher verwendet hatte. Der Gustl war es, der die Anna immer holte, wenn ich bei ihr war. Und der Gustl war es auch, mit dem die Anna am meisten tanzte. Weiß der Gustl, wer ich bin, daß er mich für so gefährlich hält, fragte ich mich in einer ruhigen Minute, die ohnedies selten waren. Wer er ist, der Gustl, das weiß ich nicht. Aber vielleicht begegne ich ihm noch einmal in klarerer Umgebung. Die Anna war jedenfalls allerliebst in einem Kleid in tiefem Dunkelgrün mit zartrosa kleinen Blümchen drauf. Da ich von der Mode der Damen nichts verstehe, weiß ich nicht, ob das gerade geschmackvoll oder gar der letzte Schrei ist. Anna sah sehr hübsch aus, bewegte sich natürlich, graziös, und paßte mit ihrem ganzen Habit sehr gut zu den anderen hier.

Meine Kleidung wirkte wie geplant und erhofft. Sie machte Wirkung, indem sie eine Spur extravaganter war als die der anderen Herren hier, und dabei aber einfacher.

Ein Gespräch an der Anrichte mit dem jungen Hornbostel bestätigte mir das sehr schnell.

Er meinte: „Mein Vater hat mir bedeutet, es sei eine Ehre, daß er hier bei uns ist.“

Ich darauf: „Und mir ein Vergnügen, auf seinem Ball zu sein. Auch das habe ich dem Herrn Vater gesagt.“

Jetzt er: „Ja, ja. Aber Stand gibt mir nichts, mit Verlaub. Aber ich bewundere seine Garderobe. Eine gute Garderobe macht doch gleich was aus einem!“

Jetzt aber ich: „Nicht, daß unsereiner das notwendig hätte, aber sich nach eigenem Geschmack anzuziehen ist doch keinem verwehrt, wenn er den nötigen Geschmack dafür hat und das nötige Geld.“

Er hielt den Kopf leicht zur Seite geneigt: „Er meint also, Geschmack ist eine Frage des Geldes?“

Jetzt war er aber doch etwas eisig, da wollte ich höflich sein: „Seine Garderobe ist aber auch nicht zu verachten!“

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