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Читать книгу: «Bis an die Grenze», страница 15

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Gavina fühlte sich versucht, der Einladung zu folgen; doch Paska stieß sie an, und sie trat von der Torschwelle zurück.

»Es ist schon so spät, ich werde dieser Tage einmal kommen«, sagte sie beinahe schüchtern. »Was hat die Kleine?«

»O, nichts besonderes. Sie ißt zuviel.«

»Gute Nacht!« sagte sie und ging weiter.

Es war ihr, als würde sie von einer Macht getrieben, die stärker sei als ihr Wille. Paska hatte sie beim Arm gefaßt und zog sie fast mit Gewalt fort; sie folgte ihr in Gedanken, unbewußt – auf einmal aber bemerkte sie, daß die Alte vor Ärger zitterte.

»Aber sag’ doch, Paska, was hast du? warum eilst du so?«

Die Alte ließ sie los. Sie hatten die Landstraße erreicht. Vor ihnen, über dem steilen Felsen im Tal, war der Mond aufgegangen, und Gavina sah, daß Paska leichenblaß war. Sie hatte Mitleid mit ihr und sagte: »Entschuldige, du Trotzkopf! Ich wußte nicht, daß ich dir dadurch Verdruß bereitete.«

»Ich gehe nicht wieder mit dir an dem Hause vorüber! Denke nur daran, daß du selbst eine Zeitlang nicht daran vorübergehen mochtest.«

»Gut, so gehen wir nicht mehr vorüber!«

Diese allzugroße Nachgiebigkeit ärgerte Paska wiederum.

»Scherze nicht!« sagte sie. »Und rede nicht so leichthin. Du gehst in wenigen Tagen wieder fort; an denen, die hierbleiben, ist dir nichts gelegen! Gut, so laß’ die Dinge wenigstens wie sie sind und setze deinen Fuß nicht auf den Hund, der schläft!«

»Wo wäre denn dieser Hund?«

»In jenem Hause!«

»Ich verstehe dich nicht! Sage mir alles, Pà! Meine Jungfer in Rom sagt mir auch alles.«

Paska war eifersüchtig auf diese phantastische Jungfer, und teils aus Eifersucht, teils um nicht hinter jener zurückzustehen, wollte auch sie sprechen.

»Denke an eines! Ich habe Michela immer mißtraut. Erinnere dich nur, wie oft wir hier, auf dieser selben Straße miteinander gestritten haben! Du wolltest sie zur Freundin haben: gut! Aber sie, weißt du, was sie tat? Sie hielt sich schließlich für deinesgleichen. Und als du sie verachtetest, da fing sie an dich zu hassen, gerade weil sie den Abstand zwischen euch fühlte. Dann lockte sie Luca an: nun, das war eine leichte Eroberung. Sie dachte bei sich: ah, du verachtest mich? Dann will ich zu deiner Familie gehören. Und das wird ihr gelingen, Gavina, du sollst sehen, das wird ihr gelingen. Luca hat eine Raupe im Kopf: das ist sie! Bevor du wiederkamst, hatte er es schon aufgegeben, er war entschlossen, deiner Mutter nicht solchen Kummer zu bereiten. Aber seit du wieder hier bist, hat Michela ihm von neuem den Kopf verdreht. Sie hat ihm eingeredet, du wärest ausdrücklich deshalb gekommen, um deine Mutter gegen ihn aufzureizen. Sie hat ihm eingeredet, du wolltest die Mutter überreden, ihn zu enterben. Sie hat ihm eingeredet, du gingest an ihrem Hause vorüber, um sie zu verspotten und zu beschimpfen. Und das ist noch alles nichts, aber höre . . . jetzt ist das Kind krank . . . und um . . .«

Sie unterbrach ihren Redefluß. Gavina hatte ihr zugehört, ohne ihren Worten große Bedeutung beizulegen. Das Landschaftsbild war an diesem Abend so wunderschön in dem silbernen Mondlicht! Und die großen Sternbilder strahlten so klar am blauen Himmel, wie sie sich nicht erinnerte, sie je gesehen zu haben . . .

Es war als käme die weinerliche Stimme Paskas aus weiter Ferne, aus einer kleinen Welt der Lüge. Gavina kannte die Ursache von Michelas Haß wohl, und das Geschwätz der Magd vermochte ihr Mitleid wie ihre Gewissensbisse nicht zu verringern. Aber instinktmäßig begriff die Alte Gavinas Empfindungen, die für sie ein Zeichen von Schwäche, von Entartung waren; und in herberem Tone fuhr sie fort: »Du hörst nicht auf mich? Nun, sie sagt, das Kind wäre krank, weil du . . . weil du ihm Gift gegeben hättest!«

Gavina sah sie an. »Ich? Phantasierst du?«

»Hast du das Kind nie gesehen? Sag’ mir die Wahrheit: ist es wahr, daß du es durch den Zwerg zu Zia Itria hast holen lassen?«

»Ich habe es holen lassen? Ich war da und der Zwerg kam mit dem Kinde.«

»Ist es wahr, daß du ihm Zucker gegeben hast?«

»Ach, soll ich das noch wissen? Doch, ja, ich erinnere mich: Zia Itria gab ihm ein Stück Zucker.«

»Nein, du bist es gewesen!« sagte Paska in ironisch anklagendem Ton. »Und der Zucker war vergiftet!«

»Aber wenn der Zwerg ihn doch aus Zia Itrias Zuckerdose genommen hat! Was für Tollheiten sind das! Aber wer sagt so etwas?«

»Sie!«

»Zu dir? Nein? Also zu wem?«

»Das kannst du dir doch denken!«

»Zu Luca? Ach ja, auch er hat mich ja eines Tages beschuldigt, ich wollte ihn umbringen! Was für Narren! Alle sind sie Narren!« sagte Gavina. Dann aber wurde sie nachdenklich. »Und meine Mutter . . . weiß sie das?«

»Sie weiß es!«

»Ah, sie wußte es und hat mir nichts davon gesagt! Weshalb?«

»Eh, du gehst wieder fort! Was liegt dir an unserem Geschwätz?«

»So, ich gehe wieder fort?« entgegnete sie, als ob sie sich dessen erst erinnerte. »Soll das heißen, daß ihr alle glaubt, zwischen mir und euch bestände nichts Gemeinsames mehr? Mir läge nichts an euch? Soll es das heißen? Heraus mit der Sprache, du Sprachrohr!«

Sie schüttelte Paska; der Eimer auf dem Kopf der Alten schwankte, und sie erhob den Arm um ihn zu halten.

»Eh, du bist jung!« erwiderte sie, die betrübende Annahme Gavinas einfach gelten lassend und zugleich entschuldigend. »Und du lebst in der großen Stadt. Was wirst du an uns und unsere Schwätzereien denken? Was würde Francesco davon sagen?«

»Er hat ein viel besseres Herz als ihr!« sagte Gavina gereizt. »Er weiß, daß eine Tochter immer an ihre Mutter denkt, auch wenn diese sie nicht mehr lieb hat! Aber wozu mit dir streiten? Du bist eine alte Plaudertasche und nichts weiter! Geh!«

Sie wendete sich von ihr, trat an die Straßenbrüstung und blickte hinunter in das Tal. So gingen sie eine Weile getrennt weiter. Aber als Gavina zur Seite blickte, sah sie, daß Paska sich die Augen mit der Schürze trocknete.

»Nun weinst du!« sagte sie, sich ihr wieder nähernd. »Zuerst sagst du Dummheiten und dann vergießest du Tränen! Aber sage mir nur: ist es möglich, daß du und meine Mutter – von jenem einfältigen Menschen rede ich nicht – das geglaubt habt? . . . Aber nein, ich schäme mich, das nur zu fragen. Reden wir nicht mehr davon!«

Sie wandte sich wieder ab, doch Paska folgte ihr. »Daß wir was geglaubt haben? Nichts haben wir geglaubt! Aber deine Mutter . . . aber ich . . . nun, ich muß dir sagen: du tust Unrecht daran, zu deiner Tante Itria zu gehen. Das ist keine Frau, mit der man verkehren kann . . .«

»Zia Itria? Du, trotz deiner Rosenkränze, ja gerade mit deinen Rosenkränzen . . . Du bist nicht würdig, ihr die Schuhe zu binden!«

»Gavina! So sprichst du? Ach, dein Onkel hat also recht! . . .«

»Auch er jetzt? Was kann er denn anders gesagt haben als eine Albernheit? Und nun heraus damit: was hat er gesagt? Sage es sofort!«

»Er hat gesagt, wer nicht an Gott glaubt, ist zu allem fähig!«

»Und wer nicht an Gott glaubt, das wäre ich? Hat er das von mir gesagt? Ja? Ja? Ja? Das wäre ich? Zu allem fähig? Und ihr alle glaubt das?«

Sie hielt an und zwang auch die Alte, stehen zu bleiben: und jetzt war an ihr die Reihe, vor Ärger zu zittern. Das Gesicht dicht vor dem Paskas, preßte sie die mageren Arme der Magd mit ihren nervigen Händen; es sah aus, als wolle sie sie packen und über die Brüstung in das Tal hinabstürzen, sich auf diese Weise für all das Mißtrauen zu rächen, für all die Verleumdungen und ungeheuerlichen Vermutungen, mit denen man sie kränkte.

Ein kindlicher Schreck verzog das Gesicht der Alten, und Gavina hatte den Eindruck, sie habe Angst vor ihr. Es ward ihr dunkel vor den Augen. Sie dachte daran, wie ihre Mutter und Paska sie für fähig gehalten, Luca Übles zuzufügen; sie dachte an das Mißtrauen und die Kälte, mit der ihre Verwandten sie aufgenommen hatten. Sie war als eine andere, voll liebreicher Gesinnung zu ihnen zurückgekehrt; jene aber hatten sie so gesehen, wie sie sie immer gekannt und gescheut hatten: als kalt, grausam, zu allem fähig. Jegliches Bemühen war somit zwecklos. Sie ließ von Paska ab und wollte ihr Geschwätz nicht mehr anhören; es erschien ihr unwürdig. An der Brüstung lehnend, während die Alte den Eimer füllte, schaute sie über das Tal hinweg, nach den Toren hin, die sich zwischen Berg und Berg nach einer schöneren Ferne hin aufzutun schienen. Sie dachte an den Abend, da sie, um sich von den Fesseln zu befreien, mit denen der Haß sie umschlungen hielt, den Entschluß gefaßt hatte, sich zu verheiraten: auch jetzt wollte sie fort, so schnell wie möglich. Paska hatte recht: sie gehörte nicht mehr zu dieser Welt der Erbärmlichkeiten und des Hasses, in der die Vergangenheit bei jedem Schritt vor sie hintrat wie ein Feind, der sie zu erwürgen versuchte. Allmählich aber schwand ihr Zorn; und als sie wieder an Michelas Haus vorüberkamen, meinte sie das klägliche Weinen des Kindes zu hören, und ihr Unwille verflog vollends.

Zu Hause ging sie sogleich in ihr Zimmer hinauf und wartete auf die Rückkunft Lucas, der an diesem Abend besonders spät heimkam. Endlich hörte sie, wie er die Haustür öffnete und schwerfällig, stolpernd wie ein alter Mann die Treppe heraufkam. Vielleicht war er betrunken; und doch empfand sie, als sie den unsichern, müden Schritt hörte, unendliches Mitleid mit ihm. Sie nahm das Licht und trat auf den Vorplatz hinaus. Als Luca sie sah, hielt er auf der letzten Stufe an und betrachtete sie erschrocken; sie aber schritt zur Tür seines Zimmers und sagte ruhig: »Ich muß mit dir sprechen. Öffne!«

Er trug den Schlüssel seines Zimmers stets bei sich; er schloß auf und trat zögernd ein. Sie folgte ihm und stellte das Licht auf den mit seltsamen Dingen bedeckten Tisch: Bücher über Zauberei und Feuerwerkkunst, Knäuel Bindfaden in allen Farben, einbalsamierte Vögel, Teller mit geheimnisvollen Flüssigkeiten, Fellchen von Frischlingen und Mardern, Scheren; Messer, Schachteln mit Nägeln. Die Fenster waren geschlossen: eine erstickende Hitze und ein Geruch nach unreinem Alkohol machten es fast unmöglich, diese Luft zu atmen. Und über all den Dingen, mit denen das Zimmer vollgestopft war, lag es wie eine Aschenschicht. Zu Füßen des nur mit einem groben Leintuch bedeckten Bettes stand eine Retorte, etwas weiterhin eine Buchbindermaschine. Und das alles stand und lag in einer gewissen Ordnung da, einer ängstlichen Ordnung, die auf eine fixe Idee des Bewohners hindeutete.

Luca setzte sich auf sein Bett; Gavina öffnete das Fenster und sagte: »Hier erstickt man ja!«

Seit Jahren hatte sie das Zimmer nicht betreten, das wie die Werkstatt eines Alchymisten aussah. Es war ihr als sähe sie es zum erstenmal und verstände endlich Lucas Eigenart. Es war seine Bestimmung gewesen, irgend ein Ziel zu erreichen – aber niemand hatte ihn geleitet, und er hatte sich in dem Labyrinth seiner eigenen Ideen verirrt; sein Tätigkeitstrieb hatte eine anormale Richtung genommen, seine Phantasien waren zu Hirngespinsten entartet.

Kaum hatte sie das Fenster geöffnet, so stand er auf, in der Absicht, es wieder zu schließen; doch alsbald trat er wieder zurück und setzte sich auf das Bett: er schien müde, schläfrig, aber seine Augen wichen nicht eine Sekunde von dem hellen, sternbesäten Viereck, vor dem die Gestalt seiner Schwester sich abhob. Auch sie betrachtete ihn, und seine Gestalt, die wie die eines alten Mannes aussah, erinnerte sie an die ihres Vaters.

»Höre, Luca,« begann sie »in einigen Tagen werde ich wieder abreisen, und wer weiß, wann wir uns wiedersehen. Nicht im nächsten Jahr und gewiß auch im folgenden nicht. Ich weiß, daß meine Gegenwart dir unangenehm ist. Aber gerade deshalb möchte ich, bevor ich fortgehe, wissen, was du gegen mich hast. Morgen früh gehst du in den Weinberg, und es kann sein, daß auch ich früher fortgehe als du denkst . . . Sprich also!«

Er ließ sich nicht rühren: er schien nach Worten zu suchen, um auf die Frage zu antworten, wußte jedoch nichts weiter zu sagen als: »Ich? Ich habe nichts gegen dich!«

»Dann sage mir, was ich für dich tun kann, bevor ich wieder fortgehe. Denke einmal nach!«

Er dachte nach, senkte den Kopf, erhob ihn wieder, und sein Gesicht drückte kindliche Verwunderung aus.

»Aber ich . . . ich brauche nichts!«

»Irgend etwas wirst du doch brauchen. Letzthin abends sagtest du zu Francesco, vor unserer Abreise wolltest du ihn um eine Gefälligkeit bitten. Was war es?«

»Ich erinnere mich nicht. Ich weiß es nicht.«

»Gut, ich sehe, daß du von mir nichts willst. Jetzt möchte ich dich aber noch etwas anderes fragen. Zio Bustianu sagte, Michelas Kind wäre krank. Was fehlt ihm?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hast du es nicht gesehen?«

»Nein.«

»Es ist unmöglich, daß du es nicht gesehen hast! Liegt es zu Bett?«

»Ich weiß es nicht.«

»Haben sie den Arzt gerufen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kurz, du weißt nichts. Warum gehst du dann dorthin?«

Er sah zum Fenster hinaus, und sein Gesicht drückte kein Erstaunen noch Mißtrauen mehr aus, sondern nur große Müdigkeit, ein Verlangen nach Schlaf. Auf ihre letzte Frage antwortete er nicht. Um ihn aufzurütteln, sagte sie: »Ich wollte gerade über Michelas Kind mit dir reden. Ich wollte dich um einen Rat bitten.«

So merkwürdig dieser Fall auch war, Luca ließ sich nicht rühren, und sie fuhr fort: »Ich möchte gern ein Kind annehmen. Glaubst du, Michela würde mir das ihre geben?«

»Wer weiß!«

»Sie haben mir gesagt, sie hätte es nicht sehr lieb. Das wirst du auch wissen. Glaubst du, ich könnte den Vorschlag machen, ohne Michela und ihren Vater zu verletzen?«

»Ich? . . . Was weiß ich davon?«

Sie begriff, daß es zwecklos sei, in dieser Weise weiterzureden; und seltsam: sie wurde verlegen, es kam ihr vor, als mache Luca sich über sie lustig. »Du weißt wirklich gar nichts!« wiederholte sie ein wenig ärgerlich. »Du willst mich nicht verstehen. Dir zuliebe möchte ich Michelas Kind annehmen.« Da wunderte er sich von neuem: »Mir zuliebe? Aber was habe ich damit zu tun?«

»Aber du willst doch Michela heiraten! Antworte mir: ist das wahr oder nicht?«

»Es ist nicht wahr.«

»Jetzt lügst du! Ja, du sagst nichts anderes als Lügen. Du mißtraust mir. Ich dagegen möchte dir helfen. Wenn du Michela lieb hast und sie dich, so sehe ich keinen Grund, weshalb ihr euch nicht heiraten solltet. Unsere Mutter kann aber gewisse Dinge nicht verstehen. Sieh! sie hat mir nicht von dieser Sache gesprochen! Ich habe alles von andern gehört. Auf jeden Fall aber möchte ich das Kind adoptieren, Luca, und das würde schon ein Band zwischen uns und Michela sein. Mit der Zeit würde unsere Mutter sich auch an den Gedanken gewöhnen, sie zur Schwiegertochter zu haben. Hast du mich verstanden?«

»Ich denke nicht ans Heiraten.«

»Das ist nicht wahr! Francesco hast du das Gegenteil gesagt, aber mir, ich sage es dir nochmals, mir mißtraust du: du betrachtest mich als deine Feindin – doch warum sollte ich das sein? Ich möchte dir vielmehr zeigen, daß ich deine Schwester bin. Gewiß hätte ich gewünscht, dich als etwas Besseres zu sehen als das, was du geworden bist; aber ich bin überzeugt, daß wir nicht werden können, was wir wollen, sondern daß wir werden, was das Schicksal will. Wenn du kein großer Mann bist, so bist du nicht schuld daran. Und wenn ich nichts anderes erreichen kann, so möchte ich dich wenigstens ruhig sehen: du bist immer gereizt, mißtrauisch, furchtsam und eigentlich noch wie ein Kind. Was soll aus dir werden, wenn unsere Mutter einmal nicht mehr ist? Ich weiß es nicht! Du würdest wie ein verwaistes, von allen verlassenes Kind sein. Denn von mir willst du nichts wissen. Und dann?«

Er zuckte nicht mit der Wimper; es war als hätte er gar nicht zugehört oder nicht recht verstanden. Plötzlich aber sagte er: »Ah, du möchtest, daß ich mich verheiratete, damit du mich los wirst! Ich habe dich ganz gut verstanden.«

Da regte sich in Gavina ein heftiger Zorn, wie wir ihn gegen unverständige Kranke empfinden können, die sich gegen alle Pflege sträuben. Sie fing an im Zimmer hin und her zu gehen und sagte: »Luca! du stellst dich dumm, aber du bist es nicht. Wenn du begreifen willst, so begreifst du sehr gut. Und im übrigen ist es unnütz, daß du dich verstellst: ich weiß genau, was du denkst!«

»Und ich weiß auch, was du denkst!«

»Also laß uns offen miteinander reden! Ich hätte ja gar nicht nötig, mich um dich und um die andern zu bekümmern! Ich kann morgen wieder fortgehen und brauche von euch und euren Erbärmlichkeiten kein Wort mehr zu hören! Aber bevor ich fortgehe, möchte ich euch beweisen, daß ich nicht so bin, wie ihr glaubt. Hast du verstanden? Hast du verstanden? Und Michela magst du sagen, daß ich ihr Kind lieber habe als sie selbst. Hast du verstanden?«

»Warum gehst du nicht hin und sagst ihr das selbst?«

»Sicher werde ich hingehen! Sicher!«

»Geh nur, ja, geh nur!« sagte er spöttisch.

»Das will ich auch. Ich habe ihr verschiedenes zu sagen.«

»Sie dir auch!«

»Wirklich? Nun, um so besser! Sie soll mir sagen, wer ihr den Gedanken in den Kopf gesetzt hat, ich könnte einem Kinde etwas zu leide tun. Bist du es gewesen? Nein? Wer dann? Nur Narren können solche Dinge sagen!«

»Und wenn wir Narren sind, so laß uns doch zufrieden«, entgegnete er, stand auf und schloß das Fenster. Und nachdem er es geschlossen hatte, schien er ruhiger, aufmerksamer: seine Augen belebten sich, er setzte sich wieder aus das Bett und kreuzte die Arme über der Brust.

»Für dich sind wir alle Narren«, sagte er ruhig. »Warum belästigst du uns denn noch? Belästigen wir dich vielleicht? Wer fragt nach dir?«

»Was? Ihr tut ja nichts anderes als mich verleumden! Ihr behauptet, ich wollte euch Böses zufügen, während ich euch Gutes erweisen möchte. Ja, Gutes! And das werde ich auch tun, auch gegen euren Willen! Das sollst du sehen!«

»Du? Du kannst nur Böses tun! Du hast nur Böses getan und wirst immer Böses tun! Wir waren gerade ein wenig zur Ruhe gekommen, da kamst du wieder, und gleich ist wieder der Teufel los! Wenn ich etwas tun will, so werde ich dich nicht um deine Meinung fragen. Ich werde tun, was mir gut scheint. Und wenn unsere Mutter etwas Gutes tun soll, so wird sie es sicher nicht auf deinen Rat hin tun. Du hast ihr nur Verdruß bereitet . . . du hast nur Böses getan und wirst nur Böses tun, ihr . . . deinem Manne . . . Allen!«

Sie blieb stehen und lachte. »Ah, das ist gut! Das fehlte gerade noch! Ich habe unserer Mutter Verdruß bereitet? Wann?«

»Frage sie selbst, und sie wird dir sagen, wer ihr mehr Kummer bereitet hat, ich, der Trunkenbold, der Taugenichts, oder du mit all deiner Frömmigkeit. Geh’, geh’ und frage sie doch!«

Er hob die Hand und wies nach der Tür. Sie begriff, daß hier nichts zu machen war. Sie hätte die ganze Nacht dastehen und Worte des Friedens und der Liebe reden können – er würde sie immer als eine Feindin angesehen haben. Ja sie kam sich in ihren eigenen Augen lächerlich vor. Sie ging, ohne ein Wort weiter zu sagen und legte sich sogleich nieder; doch schlafen konnte sie nicht. Obwohl sie meinte, Lucas Worte und seine traurige Weissagung seien nur der Ausfluß sinnlosen Grolls, kränkten und demütigten sie sie doch gegen ihren Willen.

»Du kannst nur Böses tun!« Ein anderer hatte ihr an einem weit zurückliegenden Abend die selben Worte gesagt, und seine Prophezeiung hatte sich bewahrheitet: sie hatte Böses getan! Sie verspürte eine Regung abergläubischer Furcht; sie dachte, sie wäre wie gewisse ungeschickte Leute, die sich nicht bewegen können, ohne um sich her irgend ein Unheil anzurichten.

»Was tun?« fragte sie sich. »Ich müßte mich also gar nicht rühren, nicht denken, nicht handeln, nicht leben!«

Und sie dachte an die langen, müßigen Stunden an ihrem Fenster oder unter den Bäumen der Villa Borghese; das also war ihr Los: unbeweglich, wie eine Gelähmte, zuzusehen wie die andern sich regten!

III

Als Gavina am andern Morgen am Fenster stand, trat der Zwerg an Elias Tor und deutete ihr durch ein Zeichen an, er habe eine Botschaft für sie. Sie ging hinunter und er sagte ihr verstohlen, Zia Itria ließe sie bitten, auf der Stelle zu ihr zu kommen.

Sie folgte der Aufforderung, und der Zwerg schlich mit ängstlicher Miene hinter ihr her, machte jedoch an der Tür der Alten Halt. Sie saß in ihrem Höfchen, damit beschäftigt einen zerbrochenen Schemel zusammenzunageln.

Als sie Gavina erblickte, fragte sie: »Das kleine Scheusal steht da draußen? Warte nur, gleich werde ich dich zurichten wie diesen Schemel!« rief sie dem Zwerg zu, als dieser spähend zur Tür hereinschaute, und drohte ihm mit dem Hammer. »Setz dich, Nichte; ich muß dir etwas sehr Merkwürdiges sagen.«

Und ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, wiederholte sie das sonderbare Gerede, das Paska bereits berichtet hatte.

»Du weißt,« fügte sie hinzu, »Michela ist halb verrückt, und das ist sie immer gewesen; jetzt sollte man sie aber wahrhaftig in ein Irrenhaus tun.«

Gavina tat als wüßte sie von nichts; doch sie verwahrte sich nicht dagegen und ärgerte sich auch nicht. Sie erwiderte nur: »Lassen wir sie doch reden! Aber was hat das Kind?«

»Nichts! Ein wenig Halsweh und ein wenig Fieber wie alle Kinder in der Nachbarschaft. Weißt du, wer an all diesem Geschwätz schuld ist? Das kleine Scheusal da, das Kerlchen, der Angeber, der Taugenichts! Ich hatte ihm doch eingeschärft nicht zu sagen, daß du hier wärest, als er das Kind holte.«

Gavina rief den Zwerg; er kam zum Vorschein, getraute sich aber nicht den Hof zu betreten, weil die Alte ihm mit dem Schemel drohte. »Der Teufel soll dich holen! Hast du nicht genug an den Ohrfeigen, die du schon bekommen hast, so komm nur her!«

»Ruhig!« sagte Gavina. »Laßt ihn doch hereinkommen; tut es mir zu Liebe!«

Die Alte setzte den Schemel nieder, und der Zwerg schlich sich näher. Gavina fragte ihn: »Was ist’s mit dieser Geschichte?«

»Ich habe nichts gesagt! Ich schwöre es bei meiner Ehre!«

»Bei deiner Ehre? Der Ehre eines Zwergs!« schrie Zia Itria, und der Kleine fing an zu weinen.

»Tante!« bat Gavina und sah bald die Alte, bald den Zwerg an, »tut mir doch den Gefallen und laßt ihn reden! Er wird uns alles erklären. Nicht wahr, du wirst die Wahrheit sagen? Also: Heraus damit!«

Er rieb sich die Augen mit den Fäusten wie ein Kind und besann sich lange; endlich aber stotterte er: »Ja, es ist wahr! Ich habe ihr gesagt, daß die Kleine Zucker bekommen hat. Aber jene Frau versteht Einen auch gar nicht!«

»Aber hast du ihr gesagt, daß du den Zucker aus der Dose nahmst?«

»Ja . . . nein . . . So war es: Michela fragte: ›Hatte Gavina den Zucker?‹ Und ich . . . ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe.«

»›Ja‹, hast du gesagt, du Schurke!« schrie die Alte.

Er stöhnte vor Angst.

Gavina sagte gelassen: »Du hättest auf jeden Fall schweigen müssen, weil Zia Itria dich darum gebeten hatte. Aber jetzt ist es geschehen, und es kann nichts helfen, wenn du weinst: ein Mann muß nicht so weinen.«

»Ich bin ja kein Mann!« schrie er da, seinem Schmerz Luft machend. »Zu anderen Zeiten waren auch wir Männer; die Könige sogar suchten unsere Freundschaft, und wir hatten Häuser, die extra für uns gebaut waren . . . Ja, der Kanonikus Sulis hat mir’s erzählt. Aber jetzt! Jetzt will niemand mehr etwas von uns wissen . . . Niemand!«

»Weil du ein Lügner bist, das ist das Ganze!« sagte die Alte gerührt. »Und nun komm her!«

»Aber was kann man tun?« fragte Gavina. »Diese Geschichte ärgert mich sehr und ich sehe, daß schon viele darum wissen.«

»Ich würde Michela drohen, sie zu verklagen«, riet der Zwerg. »Oder sie prügeln!«

Doch sein Vorschlag wurde nicht nur nicht abgenommen, sondern nicht einmal gehört. Zia Itria hatte den Schemel, den Hammer, die Nägel wieder zur Hand genommen und hämmerte wütend darauf los.

»Weißt du, was ich dir sage, meine Nichte?« äußerte sie alsdann. »Du mußt über diese ganze Kanaille lachen! Ich ließ dich rufen, weil ich beinahe vor Wut platzte, aber jetzt tut es mir leid, daß ich dir die dumme Schwätzerei wiedergesagt habe. Was kann dir an uns allen liegen? Du bist eine Dame – wir sind Lumpen! Und jene erst! Ein Weib, das ein Verhältnis mit einem Priester gehabt hat!«

»Wir sind alle gleich, Tante, und alle dem Irrtum unterworfen!«

Die Alte blickte ihr ins Gesicht und sagte scherzend: »Es war einmal ein Prediger . . .«

»Aber Ihr, Tante, habt Ihr nicht immerfort den allererbärmlichsten Menschen Gutes erwiesen? Sie gerade bedürfen unserer Hilfe, und nicht die Guten, die Glücklichen. Warum lacht Ihr jetzt?«

»Ich habe nie jemand Gutes erwiesen«, wehrte die Alte ab. »Der Teufel soll sie holen, alle, vom ersten bis zum letzten; sie verdienen es nicht besser! Wenn die Schurken sich um meine Tür sammeln, so tun sie es nur, weil sie nicht wissen, wo sie sonst hin sollen. Oder sollten sie vielleicht an eure Tür klopfen? Es wäre freilich hübsch, wenn deine Mutter, meine Schwägerin, mit ihnen zu schwatzen anfinge. Das wäre wirklich zum Lachen.«

Auch Gavina mußte bei dieser Vorstellung lachen. »Nun,« sagte sie, sich erhebend, »es ist mir doch nicht recht, daß die Unglückliche so redet, und das um so weniger, weil sie selbst glaubt, was sie sagt. Ihr müßt mir den Gefallen tun, zu ihr zu gehen und mit ihr zu sprechen, Tante! Wollt Ihr? Wenn nicht, so gehe ich.«

Zia Itria antwortete nicht.

»Und du, komm mit mir, ich will dir etwas zu trinken geben«, sagte Gavina zu dem Zwerg.

Sie nahm ihn mit nach ihrem Hause und behielt ihn fast den ganzen Vormittag bei sich. Mit herunterbaumelnden Beinen saß er auf einem hohen Stuhl und blickte mit Bewunderung auf Gavina; um sie zu unterhalten, trug er ihr die Predigten vor, die der Kanonikus Sulis »für Männer allein« gehalten hatte. Ab und zu ging Paska durch das Zimmer und betrachtete ihn mit feindseligen Blicken.

Vor Mittag schickte Gavina ihn zu Zia Itria. »Nun gib wohl acht!« schärfte sie ihm ein. »Du sollst sagen: ›Signora Gavina läßt fragen, ob es etwas Neues gibt, und ob sie kommen soll oder nicht.‹«

Und er brachte die Antwort: »Zia Itria sagt, ›wenn Signora Gavina kommen will, so soll sie kommen, wenn nicht, nicht.‹«

»So geh’ noch einmal hin und bestelle Zia Itria: ›Signora Gavina sagt. Eure Antwort wäre keine rechte Antwort. Sie will etwas Bestimmtes wissen‹.«

Und die Antwort lautete: »Zia Stria sagt ›sie muß jetzt ihre Makkaroni kochen und will in Frieden essen.‹«

Darauf verabschiedete Gavina den Zwerg und ging nach Mittag selbst noch einmal zu Zia Itria hinüber, traf sie aber nicht an. An dem Tischchen im Hofe saß der Zwerg und verschlang den Rest der Makkaroni, die die Alte in Frieden essen wollte. Er wußte nicht, wohin sie gegangen war, vermutlich aber zu einem Kranken, denn sie hatte einen Topf Fleischbrühe mitgenommen.

»Ob sie wohl zu Michela gegangen ist?« fragte Gavina.

»Wahrscheinlich.«

Sie trat wieder an die Haustür und blickte die drei Straßen auf und ab, die von hier ausliefen: um diese Stunde lagen sie völlig verödet da. Die Sonne brannte noch heiß auf die Dächer der armen Nachbarschaft und die stille Luft roch nach verbranntem Unrat. Wie von einer Macht getrieben, die stärker war als ihr Wille, lenkte Gavina in die ihr so bekannte Gasse ein, deren elende Bewohner sich um diese Tageszeit in ihren Höhlen hielten. Sie nahm ihr Kleid auf und schritt mit gesenktem Blick über den Staub und Schmutz dahin.

Als sie das Ende der Gasse erreicht hatte, hörte sie plötzlich das Weinen eines Kindes und eine zornige Frauenstimme, und hielt an, um zu lauschen: das Kind jammerte herzzerreißend, die Frau schlug es und schrie und fluchte lauter als zuvor. Gavina schauderte: jene klägliche Kinderstimme und das wilde Geschrei einer barbarischen Mutter klangen gleichsam wie der Schrei und die Klage dieser Nachbarschaft, jenes schmutzigen Trümmerhaufens auf dem Boden eines dahingestorbenen Riesengeschlechts.

Tiefe Trauer über die Ohnmacht ihres Mitleids bewegte Gavina. Sie machte einige Schritte, blieb vor dem offenen Haustor Michelas stehen und blickte zu dem halbgeöffneten Fensterchen hinauf: graugrünes Nelkengerank hing von der Brüstung herab, zwischen dem rote Blüten leuchteten wie Glut unter der Asche. Sie durchschritt den Torweg und das Höfchen, ohne zu rufen, und schaute in die Küche hinein. Niemand war darin – sie aber fühlte ihr Herz pochen bei den Erinnerungen, die hier auf sie eindrangen. Auf dem Treppengeländer hing gelbliche Wäsche zum Trocknen; die Tür oberhalb der Treppe war nur angelehnt. Gavina stieg hinauf und öffnete den Mund, um Michela zu rufen: aber nur matt kam der Name von ihren Lippen. Sie klopfte an die Tür, ein schleppender Schritt kam durch das Zimmer, und Michela öffnete. Als sie Gavina erblickte, fuhr sie zusammen und starrte sie beinahe mit dem gleichen Ausdruck von Staunen und Schrecken an, mit dem sie an einem längst vergangenen Abend Gavinas Mitteilung gelauscht hatte. Auch diese verspürte eine Regung des Staunens: jene alte, abgemagerte Frau mit dem gelben Gesicht und den tiefliegenden, wilden Augen, die da vor ihr stand, kam ihr wie eine Fremde vor, die eine entfernte Ähnlichkeit mit ihrer alten Freundin hätte, und deren grünliche Augen sie ansahen wie die eines in seiner Höhle überraschten Tieres. Da begriff sie, welch ein Abstand jetzt zwischen ihnen lag, doch sie wich nicht zurück. Sie reichte Michela ihre Hand hin, die diese nicht nahm, und sagte: »Wie geht es dir? Ich glaubte Zia Itria wäre hier . . . Wie geht es der Kleinen?«

Michela zog sich zurück, und sie trat ein. Es war das selbe Stübchen, das Francesco als Student beherbergt hatte. Die Wände und die hölzerne Decke waren getüncht. Sieben Bildchen, jedes von einem schwarzen Kreuze überragt, hingen oben an den Wänden und stellten die Leidensgeschichte Jesu Christi dar. Auf dem mit einem gelben Tuch bedeckten Bett tag eine schwarze Katze, zusammengerollt wie ein Tragkissen. Durch die offenstehende Tür sah man in das größere und besser ausgestattete Nebenzimmer. Dort stand ein Bett mit einer grünen Decke und zwischen diesem und der Wand eine niedrige hölzerne Wiege, so plump, als wäre sie einfach aus einem Baumstamm ausgehöhlt. Das Fenster war geschlossen. Gavina hörte das beklommene Atmen des Kindes, das in der Wiege lag.

In dem ersten Stübchen war es drückend heiß: man hätte meinen können, der unter dem tiefblauen Himmel aschgrau erscheinende Berg hätte den heißen Hauch seiner von der Mittagsonne glühenden Felswände zu dem halboffenen Fenster hereingeströmt. Gavina setzte sich an das Fenster, Michela ein wenig weiter hin im Halbdunkel, die Hände unter der Schürze, und mit ihrem beunruhigenden Blick den Besuch unausgesetzt anstarrend.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
300 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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