Читать книгу: «Briefgeschichte(n) Band 2», страница 3

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Nun habe ich doch eine weitere Seite angefangen. Vielleicht beende ich den Brief, um Dir meinen ehemaligen Tautenhainer Gartennachbarn etwas vorzustellen. Leider ist er voriges Jahr verstorben. Weiske Günter, Spitzname "Whisky-Weiske", aber das ist übertrieben! Eine Seele von Mensch! Er war viele Jahre Hofmeister bei der BHG (Bäuerliche Handelsgesellschaft) in Tautenhain, an der Frankenhainer Straße gelegen. Früher sagten wir ganz einfach "auf der Halle", heute ist es der Raiffeisenmarkt. Günter hat unser Gartenhäuschen 1979 gebaut. Durch ihn wurde das Riesenproblem der DDR- Wirtschaft, die Baustoffbeschaffung, für uns etwas gemindert. Günter war in praktischen Dingen sehr geschickt und er hat mir sehr oft geholfen. Mit dem Sprechen hatte er es weniger. Alles kam langsam und bedächtig, natürlich in breitestem Sächsisch, heraus. Trotzdem haben wir beide da draußen sehr oft politisiert und philosophiert - und ich habe mich oft über seine deftigen, aber treffenden Vergleiche amüsiert.

Hier ein Beispiel aus der Zeit, als alle mal wieder über bestimmte Preisregelungen der DDR-Regierung nur den Kopf schüttelten. Die Kleingärtner erhielten, wenn sie ihr Obst und Gemüse bei den zentralen Ablieferungsstellen verkauften, pro Einheit viel mehr als die Verbraucher in den Geschäften dafür zahlen mussten. Kuriose Folge: Manche klapperten alle Gemüsegeschäfte der näheren und weiteren Umgebung ab, kauften dort und verkauften es dann wieder an den Ablieferungsstellen. Das war aber nur ein Fall von unzähligen anderen Beispielen einer oft widersinnigen sozialistischen Markt- und Preispolitik. Günter verallgemeinerte das auf seine Art, als er einmal, mit dem Spaten, zu mir herüberkam:

"Guttfried, gucke, das is ä Spaten."

P a u s e - Günter nimmt den Spaten.

"Den packt mor so an!"

P a u s e - Er nimmt Arbeitshaltung mit dem Spaten ein.

" Dor Kummenismus, der saacht, du musst den so anpacken!

P a u s e - Er fasst den Spaten am Spatenblatt und tritt auf den Griff. (s. Bild 14)

So, jetzt muss ich aber wirklich den Brief beenden!

Teile mir bitte mit, ob ich selbst eine entsprechende Karte besorgen soll oder ob Herr von Larisch andere Möglichkeiten nutzen will.

Ganz herzliche Grüße auch von Karin an Euch beide! Sie muss ja in den nächsten Jahren noch arbeiten, während ich in wenigen Wochen Rentner bin! Wir wünschen Euch ein paar schöne Sommerwochen und - bleibt gesund! Euer Gottfried

17. Juni 1999

Lieber Gottfried, vielen Dank für Deinen Brief und für die Bemühungen um die gewünschten Landkarten für Wolfgang von Larisch. In zwei Tagen kommt unsere Tochter mit Günter. Sie wollen sich hier Häuser ansehen. Angelika bekommt möglicherweise eine Stelle bei „Schenker“ in Toronto (jetzt ist sie bei „Schenker“ in Hamburg angestellt). Sie haben ihre Grundstücke in Ochsenwerder verkauft und wollen nun zurück nach Kanada kommen. Angelika hat ja noch ihre kanadische Staatsangehörigkeit, und Günter (den sie im vorigen Herbst heiratete) bekommt als Ehemann die Einreiseerlaubnis. Sie bleiben genau zwei Wochen. Danach kommt ein Vetter von mir mit Frau für eine Woche. Deshalb beantworte ich Deinen Brief sofort, denn wenn der Besuch erst hier ist, wird nichts daraus.

Ich danke Dir sehr, dass Du meine „Erinnerungen 1945“ in einer LVZ-Fortsetzungsreihe publik machst. Wie Du das alles schaffst ist doch erstaunlich: Deine Lehrtätigkeit, Deine Reisen, sowohl mit Schülern, als auch privat. Deine Tätigkeit im Heimatverein, Dein Radwandern, Haus und Garten in Tautenhain! Wie machst Du (und Karin, of course) das, ohne überfordert zu sein? Dank für die Tautenhain-Photos. Was für ein hübsches Grundstück!

Zu Deinem letzten Brief: „Die Zeit“ ist voller hochinteressanter Artikel über Kosovo. Da kommt jeder zu Wort. Ich habe den Eindruck, dass das Eingreifen der Nato, trotz aller Ungeregeltheiten, einmal als ein Schritt zur Befriedung der Welt gesehen werden wird. Auch ist es richtig, dass Russland mit dabei ist. Irgendwann, hoffentlich bald, muss Russland der Nato beitreten. Dieses große Land darf nicht vor den Türen Europas stehenbleiben, man muss es herein lassen. Wie lange soll oder darf man mit Diktatoren verhandeln? Im Zeitalter der Atomwaffen muss man da vorsichtiger sein als vor 60 Jahren. Hitler hätte man ein Ultimatum stellen sollen, als er ins Rheinland einmarschierte: entweder bist Du morgen wieder raus mit Deinen Truppen oder Du hast einen Krieg am Hals. Das hätte die ganze Hitlerei zerplatzen lassen. Heute ist das schwieriger. Doch kann man letzten Endes nur mit Ehrenmännern (und Frauen) verhandeln, und Milosevic ist keiner. Ein Eingreifen Westdeutschlands am 17. Juni 1953? Das wäre sicherlich schief gegangen. Ich fand es besser, dass sich das russische Imperium quasi selbst aufgelöst hat. Gorbatschow war die große Ausnahme und das Gegenteil von unbelehrbaren Leuten. Er sah, dass das System, das ihn selbst groß gemacht hatte, nicht mehr zu halten war. Er wollte es reformieren, doch gibt es Systeme, die nicht zu reformieren sind. Denke doch nur an den französischen Absolutismus am Ende des 18. Jahrhunderts, oder an Russland unter Kerenski. Wenn so ein nur auf Bespitzelung gegründetes Staatsgebäude ins Wanken kommt, ist kein Halten mehr. Die Gräfin Dönhoff bezeichnet Gorbatschow als großen Staatsmann und Menschen, und sie hat Recht damit. Die größten Menschen sind die, die über ihren Schatten springen können. Kannst Du Dir einen amerikanischen Präsidenten vorstellen, der dem mitleidlosen Kapitalismus den Kampf ansagt?

Die „Spaten“- Geschichte zur Preis- und Geldpolitik in der DDR ist köstlich. Herr Weiske verkörpert die Stimme des Volkes!

Also, Schluss für heute. Gisela und ich wünschen Karin und Dir alles Schöne und Gute für den Sommer. Mit herzlichsten Grüßen und „much love“ from John

Geithain, 01.10.99

Liebe Gisela, lieber John, herzlichen Dank für den Brief vom 17. Juni. Nach meinem Brief vom 04.06. erhielt ich von Dir fast postwendend Antwort.

Während ich seit August in Rente bin, hat Karin seit Schulbeginn wieder viel Arbeit und wenig Zeit. In Erfurt gibt es bei der Tochter wahrscheinlich mit der Arbeit in der nächsten Zeit Probleme. Sie ist beim zweitgrößten deutschen Baukonzern Philipp Holtzmann AG als Bauingenieurin angestellt. Hier stehen Entlassungen in Größenordnungen an! Mal sehen, wie die Sache ausgehen wird. Es müssen in der Führungsetage in Frankfurt schlimme Dinge gelaufen sein, aber auch insgesamt sieht es zur Zeit in der Baubranche nicht so gut aus! Ich lege einen Zeitungsausschnitt bei. Die andere Beilage zum Handwerk in unserer Region wird Dich vielleicht auch interessieren.

Unsere Woche in Bad Birnbach war großartig! Die Werbung spricht vom "ländlichen Bad" und hat alles gehalten: eine herrliche Ruhe, schöne Fahrten mit eigenem Auto oder mit Bus nach Salzburg, Passau und zu dem einmaligen Museumsdorf im Bayerischen Wald, die meiste Zeit jedoch Erholung in den Thermalbädern des Ortes, mit Sauna, Kneippbad, Unterwassermassage ... Alles wirklich sehr angenehm - Hotel mit Bademantelgang zu den Bädern - und trotzdem preiswert! Wir haben für die Winterferien im Februar schon wieder eine Woche gebucht.

Viel Zeit habe ich in den letzten Wochen gebraucht, um die Paul-Guenther-Materialien erst einmal - nach langer Pause - wieder zu sichten und etwas weiterzuführen. Auch Deinen Briefwechsel zur Suche nach Virginia habe ich mir noch einmal genau angesehen. Es war eine aufwendige Arbeit damals für Dich! Da machen sich viele gar keine Vorstellung und für manchen sind allein die Spendengelder relevant! Nun ja, es gibt eben solche und solche!

Neulich erhielt ich die Trauerrede des Geithainer Pfarrers von 1912 zur Beerdigung von Bruno Guenther. Er starb am 23.5.1912 nach langer, schwerer Krankheit. Elf Jahre war er gelähmt, Folge eines Unfalls beim Obstpflücken. Es verwundert schon etwas, dass der einzige Sohn weder zur Goldenen Hochzeit seiner Eltern im Jahre 1909 noch zum Tode seines Vaters 1912 nach Geithain gekommen ist. In diesen Jahren war Paul Guenther doch schon sehr reich und finanzielle Gründe dürften es sicher nicht gewesen sein, die eine Reise von USA nach Deutschland im Wege standen. War er im Betrieb zu sehr eingespannt? War es die lange Reisezeit? Unmittelbar nach dem Tod der Mutter (18.11.1918) reiste Paul Guenther nach Geithain und errichtete die "Bruno-und Therese-Guenther-Stiftung". Ein zweiter und letzter Besuch in Geithain erfolgte 1929, als er sich zu einer Kur in Deutschland aufhielt. Ob die Auswanderung in die USA mit oder ohne Wissen der Eltern geschah, ob mit oder ohne deren Billigung – zu all dem kann man eben zum jetzigen Zeitpunkt nur Vermutungen anstellen. Es muss natürlich weiter geforscht werden.

Nächste Woche nehme ich an einer Veranstaltung des Heimatvereins in Limbach teil. Ich hoffe ja immer noch, die Schülerlisten der Wirkereischule aus den 1870er Jahren irgendwann einmal zu bekommen. Auch mit Thalheim und dem Amtsgericht Chemnitz (Grundbuchamt, das im Testament erwähnte Grundstück in Neukirchen betreffend) wurde Verbindung aufgenommen bzw. weitergeführt. Übrigens, warum ist von der Spende Guenthers an die Universität in Princeton - habe ich alles noch einmal in Deinem Briefwechsel gelesen - an der Uni selbst nichts bekannt? Es stand doch nicht nur im Testament, sondern wurde auch in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Und noch etwas: Ich habe mit Frau Shuler in Dover wieder Verbindung aufgenommen und erwarte von ihr nicht nur ihre Email- und Fax-Adresse, sondern auch die von der Bibliothek in Dover, vom Schulamt und anderen Stellen! -

-- Es ist gerade mal 10 Jahre her, als die Welt außerhalb der DDR für uns wirklich "eine andere, geradezu außerirdische, uns nicht zugängliche Welt" darstellte!

Die vielen Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag des Mauerfalls, die Fernsehfilme, Debatten und Talkshows, die Flut von Zeitungsartikeln und Rundfunkberichten ebben nun langsam ab. Es gab viel Gutes und Interessantes, aber ebensoviel Schrott!! Und wie schnell vergessen die Leute! Manche Diskussion bewegte sich ähnlich wie in Hammers Buch über das Leben an der Juri-Gagarin-Schule! Unbeteiligte müssten sich fragen: Warum ist eigentlich die DDR untergegangen? Es war doch alles so gut geregelt!? --- Vielleicht sollte ich doch nicht nur in der Biografie Guenthers etwas weitermachen, sondern aus meiner Sicht einige Aspekte des Schullebens in der DDR darstellen. Mich ärgert schon die abermals einseitige Betrachtung und überhaupt die ganze kleinliche Ossi-Wessi-Klagerei! Ein Titel einer Fernsehdiskussion in der letzten Woche gefiel mir besonders:

"Deutschland einig Jammerland!"

Das ist auch eine Erfahrung meiner Irland- Wochen: Fast nur mit Leuten aus USA, Kanada und Westeuropa zusammen, immer nur höchstens drei bis vier Deutsche und davon ich stets als einziger Ostdeutscher --- einhelliger Tenor: Was wollt Ihr Deutschen bloß? Sind Eure Probleme wirklich echte Probleme? --------

Ich setze den Brief heute fort. Gestern Abend wurde es dann doch zu spät. Wir sind gerade von einem Winterspaziergang zurück. Heute ist Totensonntag und wir waren am Grab unserer Oma auf dem Geithainer Friedhof. Herrliches Winterwetter. Wir sind an der Damm-Mühle und der Stadtmauer die Promenade entlang, dann durch die Pforte wieder in die Stadt und durch die Laachgasse, am Pulverturm vorbei, nach Hause gegangen. Geithain ist schon eine sehr schöne alte Stadt! Das sagen mir meine E-mail-Partner aus USA und Kanada immer, obwohl sie nur die Homepage von Geithain im Internet kennen. Dort sind sehr schöne Farbbilder von Geithain zu sehen, leider z. Zt. alles nur in Deutsch beschrieben. Ich werde bei der Redaktion einen "link" vorschlagen, damit die Erklärungen in Englisch abrufbar sind.

Zum Schluss noch eine kleine Bitte an Dich. Es ist eigentlich mehr ein Spaß. Die hier sehr beliebte Popgruppe "Die Prinzen" (alles ehemalige Thomanerchor-Mitglieder!) sind mit einem frechen Song zum Radfahren in aller Munde. Unser Enkel hat die CD von den „Prinzen“ und kann alles auswendig. Daher kenne ich den Text. Die Norweger von der letzten Irlandwoche verstehen etwas Deutsch. Aber den Amerikanern sagt er absolut nichts. Es wäre ein Gaudi, wenn ich in den nächsten mails ihnen den Text in Englisch schicken könnte. Für mich ist die Übersetzung zu schwer. Hilfst Du? Vielleicht lässt sich manches gar nicht übersetzen. Mal sehen, wie gesagt, es ist mehr ein "joke"! Füll` einfach nach Deinem Ermessen die Zeilen in dem beiliegenden Blatt aus.

Herzlichst Eure Geithainer

01. November 1999

Lieber Gottfried, liebe Karin,

wir danken sehr herzlich für den langen Brief mit Bildbeilagen vom 1. Oktober. Auch gratulieren wir zum Rentnerleben. Wann ist Karin ebenfalls soweit? Ich bin es seit 10 Jahren und das waren, in mehr als einer Beziehung, schöne und ereignisreiche Jahre, die uns, zum Beispiel, die Freundschaft mit Euch einbrachten, und nicht einen Moment von langer Weile! Ich glaube nicht, dass Dir die Umstellung schwerfallen wird. Dafür bist Du zu interessiert und neugierig an allem, was Dir in den Weg kommt. Wer sich in dieser aufregenden Zeit, in der wir leben, langweilt, muss schon etwas beschränkt sein. Leider sind das nicht wenige.

Auch wir hatten einen „richtigen“ Sommer, wie Du sagst. Sehr heiß und sehr trocken. Unbedingt erfreulich ist das nicht. Ich denke da an den „Greenhouse Effect“. Doch ist es schön, wenn man auf Reisen ist. Frankreich ist schon ein außerordentliches Land. Es zieht uns dort immer wieder hin. Ob wir`s noch einmal schaffen? Wir hatten eine herrliche Woche in Neufundland, aber darüber schrieb ich sicherlich schon.

Angelika und Günter sind seit dem 17. September hier. Sie kauften ein Haus in Georgetown, zu Fuß 20 Minuten von uns, 10 Minuten mit dem Rad, 2-5 Minuten mit dem Auto. Natürlich mussten sich die beiden sogleich ein Auto zulegen. Nun steht das die meiste Zeit herum. Auf Arbeitssuche geht Angelika demnächst. Bisher hatten sie zu viel damit zu tun, sich einzurichten. Wir sehen sie fast jeden Tag, und das ist natürlich sehr schön. 31 Jahre lang war sie in Deutschland.

Ich fand beim Umräumen ein kleines vergilbtes Heft und las es wieder. Es enthielt die rasante Rede, die der große Sozialdemokrat Kurt Schumacher auf dem ersten Nachkriegs–Parteitag der SPD gehalten hat. Ein klarer, unbestechlicher Geist, der sofort erkannte – schon 1946! - in welche Sackgasse die SED führen würde. Diese Rede machte 1946 einen großen Eindruck auf mich und sie tut es, beim Wiederlesen, noch. Kein Wunder, dass die „Aufarbeitung der SED-Vergangenheit“ vielen in Ost und West Schwierigkeiten macht. Eins ist klar, ohne die Macht der Russen im Rücken hätten sich Ulbricht und Genossen und Nachfolger nicht 40 Jahre lang halten können. Möglicherweise wäre das Regime der SED schon 1953 zu Ende gegangen. Interessant finde ich auch die 89/99 -Artikelfolge in der „Zeit“. Es wird noch mindestens 20 Jahre dauern, bis die zwei Deutschland wieder gemeinsame Erinnerungen haben, auf die sie stolz sind.

Zu Guenthers Testament von 1932 nehme ich an: Paul Guenther verkaufte seine Fabriken im Jahre 1927. Olga lebte seit Anfang der zwanziger Jahre nicht mehr in Dover. Möglicherweise war Guenther 1927 schon leidend. Der Verkauf der Fabriken muss ihm einen schönen Batzen Geld eingebracht haben. Den hat er natürlich nicht zu Hause rumliegen lassen, sondern hat dafür Wertpapiere (Aktien) gekauft. Zwei Jahre später kam der Börsenkrach, der die Stagnation der dreißiger Jahre zur Folge hatte. Ich bin sicher, dass Guenther damals einen großen Teil seines Vermögens verloren hat. Auf jeden Fall war nach seinem Tode nicht genug Geld da, um alle im Testament vermerkten Spenden auch auszuzahlen. Princeton bekam nichts. Olga lebte in einem Apartment am Central Park in New York, der teuersten Gegend der Stadt. Sie hatte ein Auto mit Chauffeur und reiste mit denen (per Schiff) nach Europa, und das nicht nur einmal. Als wir einmal mit Virginia und Robert zusammensaßen, fragte ich Virginia, wo sie war, als 1939 der Krieg ausbrach. „Da waren wir in Garmisch. Den ganzen Sommer 39, einem herrlichen Sommer mit schönstem Wetter, reiste ich mit meiner Großmutter im Auto durch Deutschland. Als der Krieg ausbrach, fuhren wir von Garmisch nach Amsterdam, um dort per Schiff nach den Staaten zu kommen. Doch mussten wir zwei Wochen in Amsterdam warten, ehe wir auf einen Dampfer kamen, der auch das Auto mitnahm.“ Virginia weiß von ihrer Großmutter viel mehr als von ihrem Großvater. Deshalb freut sie sich über unsere Forschungen zur Biografie Paul Guenthers. . …Alles erdenklich Gute wünschen wir Euch. Kommt einmal wieder her. Much love from John + Gisela

10. Januar 2000

Lieber Gottfried,

hier ist noch einmal eine „verbesserte“ Übersetzung des Biker-Songs der „Prinzen“. Ich hatte hier einigen Erfolg damit. Aber einige leidenschaftliche Autofahrer sind etwas pikiert, wenn ihnen der Refrain („Jeder Popel fährt nen OPEL …“ vorgesetzt wird.

Die „Affäre Kohl“ ist ein starkes Stück, aber überrascht bin ich nicht. Der Mann ist m.E. ein Schwindler und über das „Ehrenwort“, das er seinen geheimen Bestechern gegeben hat, kann man nur lachen. Der „große Kanzler der Wende“ war ein Geschöpf der Medien. Auch „Die Zeit“ hat an dieser Stilisierung mitgearbeitet. Ich kann es nicht oft genug sagen: die CDU faselt ständig vom Rechtsstaat und vom Recht auf Eigentum, aber in ihren „Handlungen“ handelte die Partei unter Kohl diktatorisch: Wie da in Ostdeutschland mit enteignetem Besitz umgegangen wurde (nach der Wende!) ist ein Skandal, der vielleicht eines Tages auch für die Medien interessant werden wird. „Gorbatschow machte es zu Bedingung, dass die „Bodenreform“ unangetastet bleiben muss“. Der Mann stellte diese „Bedingung“ nie. Er überließ es den ost– und westdeutschen Regierungen, das auszuhandeln, und die hatten nichts anderes als ihren Vorteil im Sinn. Früher oder später kommen solche Machenschaften ans Licht. Man wundert sich, warum solche Tricks immer wieder versucht werden. Das, was Schaden erleidet bei solchem Handeln, ist die Demokratie, und das sind letzten Endes wir alle.

Das neue Jahr hat weder Hoffnungen noch Befürchtungen erfüllt. Es geht alles so weiter wie bisher. Der große Computer-Crash zur Jahrtausend-Wende ist nicht eingetreten und ein „Weltenende“ erst recht nicht! Ist es nicht merkwürdig, dass sich gewisse Leute so sehr nach dem „Ende“ sehnen, dabei gehört unser Planet doch zu einem riesigen System sich untereinander bedingender Himmelskörper. Unser Gottbegriff dreht sich um so kleine Einheiten. In Wirklichkeit ist alles viel größer und mächtiger und auch ferner von unseren persönlichen Wünschen und Leiden. Dir und Karin wünschen wir alles Gute und Schöne. Habt ihr vor, einmal wieder nach Nordamerika zu kommen? Herzliche Grüße von John + Gisela

06. Februar 2000

Lieber Gottfried, liebe Karin,

vielen Dank für die durch Angelika vermittelten interessanten Nachrichten. Die Buchstaben ä, ö, ü, werden von der Fax- oder E-Mail-Maschine nicht übermittelt. An dieser Stelle setzt die Maschine ein Fragezeichen. Abgesehen von diesen kleinen Schönheitsfehlern haben mich Deine Forschungsergebnisse natürlich gefesselt. Leider sind auch die Photos nicht übermittelt worden. Unsere Tochter hat dafür nicht das richtige Gerät.

Die „Lässigkeit der amerikanischen Soldaten“, wie wir sie 1945 erlebten, war wirklich eine große Überraschung für uns Deutsche! Wir kannten die krachende Zackigkeit des Militärs und der SS. Ich war einmal mit meiner Mutter beim Kommandanten, der ein kleines Büro hatte neben dem Büro des damaligen Bürgermeisters Müller (dem Stiefvater von Frau Thiemann). Das war wohl im Mai 45. Ein Soldat kam ins Büro und setzte sich mit einer Hinterbacke gemütlich auf den Schreibtisch des Kommandanten und unterhielt sich mit ihm. Wir waren natürlich sehr erstaunt. Vor amerikanischen Krankenhäusern und Kasernen standen Schilderhäuschen, aber die Wachhabenden saßen meist daneben auf einem zurück gekippten Stuhl und sahen sich Comicbooks an. Es geht also auch anders. Bei den Russen ging es dann wieder zackig zu. In allen Diktaturen herrscht „Ordnung“, auch besteht in denen ein mächtiges Rangsystem. Es ist doch sehr merkwürdig, dass im Arbeiter- und Bauernstaat DDR, viel mehr aber in der Sowjetarmee, diese erstaunlichen Rangunterschiede bestanden zwischen Offizieren und Mannschaften. Es gibt ja immer noch Leute, die das vergangene Russische System als „links“ bezeichnen. Die Russen unter Stalin (und später) lebten - wie die Deutschen unter Hitler - in einem Staatskapitalismus, waren also „rechts“. Da kamen die zwei schlimmsten Sachen, Diktatur und Kapitalismus, zusammen! Unser Kapitalismus braucht die Demokratie, um halbwegs erträglich zu sein.

Zur Affäre Kohl, die unterdessen auch eine Affäre der CDU geworden ist: „Die Zeit“ vom 27. Januar hat eine hoch interessante Artikelserie darüber: „Parteichef Helmut Kohl“ (Roger de Weck), „Schaden, Freude“ (Christoph Dieckmann), „Was heißt eigentlich Ehre?“ (Marion Gräfin Dönhoff), „Immer noch schlimmer“ (Tobias Dürr), „Alles in bar“ (Jochen Buchsteiner). … Es ist zum Weinen. Andererseits wären diese Machenschaften eines Politikers, der viel zu lange an der Macht war, in einer Diktatur in Geheimarchiven verschwunden. Ich hoffe, dass der jetzt beginnende Reinigungsprozess die zwei Deutschland näher zusammenbringt, zumal wenn Biedenkopf zum Zuge kommen sollte.

Was in Österreich (Jörg Haider) vor sich geht, ist nicht schön, doch ist es ironisch, dass ausgerechnet die Amerikaner so scharf reagieren. Ich denke da an den vom amerikanischen Geheimdienst unterstützten Putsch gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Allende in Chile, der den grässlichen Faschisten Pinochet zur Macht brachte und Tausenden das Leben kostete. Im Garten des Kalten Krieges wuchsen merkwürdige und schrecklich aussehende Blüten!

Zum Antisemitismus: Ich bin immer noch der Meinung, dass ein katholisches Milieu diesen in der Vergangenheit mit verursacht hat. Die Protestanten hatten immerhin eine innerkirchliche Bewegung (die „Bekennende Kirche“), die sich Hitler und seinen Lehren entgegenstemmte. In Rom gab es, abgesehen von einzelnen Priestern und Katholiken hier und da, keinen Widerstand gegen die Nazis. Mit der Lehre, dass Juden den „Heiland“ ermordeten, fängt das Unheil an.

Hoffentlich ist dieser schnell geschriebene Brief leserlich. Im April werden wir wohl für drei Wochen nach England fliegen, Ende August vielleicht nach Deutschland. Doch ist das noch unbestimmt. Alles erdenkliche Gute und Schöne wünschen wir Euch. Mit herzlichen Grüßen von John + Gisela

399
480,36 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
329 стр. 32 иллюстрации
ISBN:
9783961450459
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