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ALEXANDER GEYRHOFER

Alexander Geyrhofer:

Kinder sicher im Internet

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: JaeHee Lee

Satz: Isabella Starowicz & Lucas Reisigl

Lektorat: Thomas Schrems

Korrektur: Valentina Bobi

ISBN 978-3-99001-324-3

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

INHALT

CYBER-TIME

Online-Sein immer und überall: Was das für unsere Jugend bedeutet

CYBER-CRIME

Oder: Wenn das organisierte Verbrechen zum Angriff auf unsere Geldbörsen bläst

INTERNET-FITNESS FÜR ALLE

Ja, Sie haben vollkommen Recht, liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Leserinnen und Leser – das Internet hat es in sich. Es weist bedeutend mehr Tücken auf und stellt uns bedeutend mehr Fallen, als wir wahrhaben wollen, als uns überhaupt bewusst ist. Auch, nein, gerade für unsere Kinder.

Eine Flut von Begriffen schwappt uns entgegen, begeben wir uns erst einmal tiefer hinein ins Netz, in Social Media und Co. Manche Begriffe werden Ihnen vertraut sein – allen voran dieser: Cybercrime. Oder dieser, wenn es um Online-Banking geht: Phishing. Andere womöglich schon etwas weniger, wie etwa: Cyberbullying. Sexting. Und dann erst solche Sprachmonster: Cybergrooming. Smack-Cam. Und so weiter.

Nein, liebe Eltern, liebe Lehrkräfte, liebe Leserschaft – Sie sollen nach Lektüre dieses Buches nicht zu Seitenschneider oder Zange greifen und die Internetverkabelung kappen. Oder auch nicht, weil alles längst drahtlos läuft, den WLAN-Router mit dem Vorschlaghammer zerdeppern. Das ist nicht das erklärte Ziel dieses Buches. Darum halten Sie es bestimmt nicht in Händen. Weil ich das keinesfalls möchte: Sie in helle Panik versetzen.

Mitnichten. Das Netz ist eine große Chance, die Fülle seiner Möglichkeiten ungeahnt. Es liegt allein an uns als Gesellschaft, einerseits die Vorzüge bestmöglich zu nutzen, andererseits jedoch den Schattenseiten mit ihren finsteren Darstellern keinen Zentimeter Spielraum zu geben. Darum ist genau das angesagt:

Fitness fürs Internet für Groß und Klein.

Wie erreichen wir diese Fitness für alle? Wie können wir verhindern, dass unsere Kinder zu Opfern werden? Wie schaffen wir es, dass sie sich nicht ohnmächtig ausgeliefert fühlen, im Fall des Falles, der rasch Wirklichkeit werden kann?

Wir schaffen es, indem wir den Hebel zuerst bei uns selbst ansetzen. Indem wir Erwachsene uns eingestehen weniger als nötig zu wissen, zugleich jedoch alles zu tun bereit sind, das zu ändern. Nein, wir sollten das Netz keinesfalls schlechtreden. Wir sollten uns vielmehr dafür sensibilisieren, uns Kompetenzen aneignen und diese eins zu eins an die Jugend weitergeben. Immer auch altersgerecht. Unsere Kinder von Anfang an begleiten. Das sollten wir. Vom allerersten Schritt an, den sie in das World Wide Web hineinsetzen. Und der erfolgt – ob wir es nun glauben wollen oder nicht – sehr viel früher, als wir in einem ersten Impuls annehmen würden. Noch lange vor Schule oder Kindergarten. Sie werden schon sehen.

Die Verantwortung für den richtigen Umgang mit dem Internet an Bildungseinrichtungen und Co. abtreten zu wollen, wäre zu billig. Auch wäre es der falsche Weg. Wollen wir etwas erreichen, müssen wir am selben Strang ziehen. Natürlich, wir alle haben, wie es so schön heißt, unsere Lebenserfahrungen selbst zu machen, damit sie auch nachhaltig wirken. Manches jedoch soll, nein, manches muss nach Kräften vermieden werden. Deshalb dürfen wir unsere Kinder nicht alleine lassen auf ihrem Weg in die digitale Welt.

Außerdem: Abgesehen davon, dass in den Schulen immer noch viel zu wenig, oder meist gar keine aktive Medienbildung betrieben wird, stünde mehr Fitness in Sachen Internet auch uns Erwachsenen ganz gut zu Gesicht. Oder in zeitgemäßen Worten:

Was es braucht, ist Medienkompetenz.

Also habe ich alles gängige, auf den neuesten Stand gebrachte Wissen für Sie zusammengetragen. So einfach aufbereitet wie möglich und zugleich maximal informativ und übersichtlich. Schließlich sollen weder wir, noch unsere Kinder, den zahllosen Phänomenen des Internets macht- und hilflos gegenüberstehen. Darum ist es dieser und kein anderer Ratgeber geworden. Einer, der mit zahllosen Beispielen aus dem echten Leben aufwartet. Mit anonymisierten Fällen und den entsprechenden Tipps, wie sich ähnliche Schicksale vermeiden lassen. Rechtzeitig und mit zumeist einfachsten Mitteln.

Bill Gates sagte einmal – das war in den Anfängen der Microsoft-Ära – in einem Interview: »Niemand wird mehr als 640 Kilobyte Speicherplatz in seinem PC brauchen.« Das war eine der wenigen öffentlichen Aussagen Gates‘, bei der der sonst brillante Visionär völlig danebenlag. Heute hat ein Durchschnittshaushalt oft schon Speicherkapazitäten im Terabyte-Bereich zur Verfügung.

Terabyte? Haben wir denn eine Vorstellung, um welch unglaubliche Datenmenge es sich dabei handelt?

Ein Kollege des Landeskriminalamtes in Oberösterreich, wo ich jahrelang im Kampf gegen Cyberkriminalität tätig sein und zugleich als Bundestrainer rund 400 Polizeibeamte in Sachen Prävention schulen durfte, hat sich einmal die Mühe gemacht und einen Vergleich hergestellt, um 400 Terabyte greifbar zu machen.

400 Terabyte, das ist ungefähr jene Datenmenge, die Ermittler der IT-Gruppe der Landeskriminalämter pro Jahr im Schnitt auszulesen haben. Nicht alle gemeinsam. Jeder Einzelne. Würde es sich ausschließlich um Textdateien handeln, müsste ein handelsüblicher Drucker – so die Berechnung – 85 Jahre lang nonstop ein Blatt ums andere ausspucken, um diesen Informations-Tsunami zu bewältigen. Vorausgesetzt, Wechsel von Papier und Druckerpatronen erfolgte fliegend. Wie bei der Air Force 1 des US-Präsidenten, wenn sie in der Luft aufgetankt wird.

Im Jahr 1973, ich selbst war damals noch ein Kind, kam das erste Handy auf den Markt. Es wog einen Kilogramm und war zwanzig Zentimeter lang. Ein richtiger Ziegel. Ende der 1980er-Jahre wiederum gab es tragbare Autotelefone mit Schultergurt und Hörer samt Spiralkabel, die, den Akku eingerechnet, sogar neun Kilo auf die Waage brachten und mehr kosteten als ein gebrauchter Mittelklassewagen. Heute verfügen wir über Smartphones, die uns als tragbare Minibüros dienen und über weit mehr Technologie verfügen, als die erste Rakete des Raumfahrtprogramms Apollo zu Beginn der 1960er-Jahre.

Ob Social Media und Smartphone, Notebook oder Tablet, PC, X-Box, Wii, Playstation oder Gameboy – sie alle üben mittlerweile enormen Einfluss auf die Gesellschaft aus. Wie sehr sich doch unser aller Zusammenleben in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert hat. Wie wäre es wohl der heute älteren Generation ergangen, die gerne über die sogenannte Handygeneration der Jungen schimpft, hätte sie in der Jugend selbst eine so rasante technologische Entwicklung erlebt? Hätte sie sich nicht ebenso fasziniert und in den Bann gezogen gezeigt? Hätte sie so ein Wunderding, wie ein Handy, nicht ebenso wenig aus der Hand legen wollen?

Im Jahr 1993, als mein Sohn Christoph sechs Jahre alt war, bekam er seinen ersten Gameboy. Ich selbst war 29 und, ich muss es gestehen, um nichts weniger begeistert als er. Spielergebnisse abspeichern, wie es heute eine Selbstverständlichkeit ist, war damals nicht möglich. Also lautete die Devise: Spielen bis zum bitteren Ende. Das tat ich dann auch, und zwar so lange, bis das Tetris-Raumschiff endlich startete. Nicht immer zur Freude meiner trotz allem geduldigen Frau.

Und heute?

Heute ist der Einfluss des Internets allgegenwärtig. Oft genug bekommen wir von jungen Menschen als Berufswunsch diesen zu hören: Youtuber. Manche Eltern belächeln dies nur. Vermutlich, weil ihnen gar nicht bewusst ist, wie viele Menschen mittlerweile genau damit Geld verdienen. Viel Geld sogar. Denken wir nur an diese Namen: Lisa-Marie Schiffner, Dagi Bee, Die Lochis, Bibis Beauty Palace, LeFloid, Joyce Ilg und wie sie alle heißen mögen. Dabei haben wir jetzt noch gar nicht von den Hunderten von Gaming-Channels gesprochen.

Die drei Ebenen des World Wide Web

Das noch, bevor wir uns in die Höhle des Löwen genannt Internet, stürzen – ein paar Begrifflichkeiten, die uns auf unserer Reise immer wieder begegnen werden. Prinzipiell unterscheiden wir zwischen drei Ebenen des Internets:

Whitenet.

Deep Web.

Darknet.

Bei Vorträgen stelle ich gerne den Vergleich mit meinem geliebten Attersee an. Stellen Sie sich den See mit seiner glitzernden, vom Wind leicht gekräuselten Oberfläche vor und dazu dieses einfache Bild als Analogie:

Schwimmer, Bojen, Boote, Stockenten, ein Schwan – sie alle stehen für das Whitenet. Dafür, was wir bei raschem Blick an der Oberfläche ausmachen können. Darunter fallen beispielsweise die Suchmaschinen, alles, was Otto Normalverbraucher googelt, auf Wikipedia sucht oder mit anderen Browsern wie Opera, Firefox oder Edge et cetera findet.

Positionieren Sie sich nun in Gedanken am Ufer des Sees. Stieren Sie konzentriert unter die Wasseroberfläche. Fische, Steine in Ufernähe, Pflanzenbewuchs und so weiter. Alles, was nun sichtbar wird, ist das Deep Web. Jener Bereich des Internets, zu dem nicht jedermann einfach so Zutritt hat, der sich jedoch per Registrierungsschlüssel auf legale Weise betreten lässt. Zum Beispiel durch Zugang zu einer Universitätsbibliothek.

Und dann gibt es das tatsächlich Unsichtbare. Das berühmt-berüchtigte Darknet. Die Untiefen, die auch beim Attersee nicht ohne sind, wie Taucher wissen. Anders als im Wasser jedoch spielen sich im Darknet die wirklich üblen Dinge ab. Darknet ist, wo auch Kriminalität nicht allzu weit ist. Internetkriminalität.

Und dann wäre da noch dieser Begriff: Tor-Browser.

Wie alle anderen Browser (im Whitenet) lässt sich auch der Tor-Browser gratis runterladen. Sein Zweck? Das Anonymisieren von Netzwerk und Verbindungsdaten. Tor schützt seine Nutzer vor der Analyse des Datenverkehrs. Mit ihm lässt es sich anonym surfen. Das demnach ideale Werkzeug für das Darknet.

Übrigens: Strafbar ist die Verwendung eines solchen Browsers prinzipiell nicht.

Folgen Sie mir nun also in die Tiefen des Internets. Das muss nicht zwingend das Darknet sein. Einfach dorthin, wo die Gefahren lauern. Aber auch dorthin, wo es gilt, die vielen Chancen des Netzes sinnvoll zu nutzen. In unserem eigenen Sinne. Und im Sinne unserer Kinder.

Ihr Alexander Geyrhofer

CYBER-TIME

MEDIENKOMPETENZ – MEHR ALS EIN SCHLAGWORT

In der wohlvertrauten, analogen Welt behüten wir unsere Kinder wie Glucken. Bis sie junge Erwachsene sind und oft sogar darüber hinaus. Doch kaum tun sie erste Schritte in die Welt des Digitalen, lassen wir sie mutterseelenallein.

Warum nur?

»Ab wann, glauben Sie, kann es für Kinder gefährlich sein, sie mit Smartphone beziehungsweise Internet alleine zu lassen?«

Das ist eine beliebte Einstiegsfrage, mit der ich Elternabende zumeist eröffne. Dann setze ich sofort mit ein paar Fakten nach: Jeder Siebte, das sind 14 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen, hat bereits ein eigenes Smartphone. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen sind es vier von zehn. Und von da weg – bei den Elf- bis 15-Jährigen – fast schon jedes Kind. Genau genommen 90 Prozent. Als Spiegel dieser Entwicklung, ergänze ich noch, passt auch folgende Erhebung einer Jugendmedienstudie1 aus dem Jahr 2017. Die Frage lautete:

»Kannst du dir ein Leben ohne Handy vorstellen?«

Undenkbar, sagen acht von zehn Jugendlichen. In exakten Zahlen: 78 Prozent. Was nicht weiter verwundert.

Immerhin lernen Kinder von klein auf, dass Smartphones unverzichtbare Bestandteile des Lebens sind. Sie lernen es durch das Medienverhalten älterer Geschwister oder der Eltern, und das erste Gerät im Leben eines Kindes ist oft genug ein geerbtes – vom älteren Bruder, der älteren Schwester, von Vater oder Mutter oder anderen Verwandten.

Wie sieht nun dieses Erlernen von Medienverhalten in der Regel aus?


Aus der Praxis

Kurt, 37, ist Lehrer. Neben ihm auf dem Beifahrersitz sitzt seine Frau Anna. Im Fond des Wagens die beiden Söhne: Maximilian, 3, und Sebastian, 5. Heimaturlaub in Österreich ist angesagt und die junge Familie gerade in Kärnten unterwegs. Eine Szene, die jeder Elternteil bestimmt hundertfach erlebt hat. Hunger überfällt die Kleinen, ein Gasthaus muss her. Und zwar jetzt. In der Sekunde.

Kurts Handy ist über Bluetooth mit dem Auto synchronisiert. Er hat von Arbeitskollegen von einem Gasthaus gehört, das in der Nähe sein soll. Ein Geheimtipp. Also läuft es so ab: Google-Spracheingabe aktivieren, Namen des Gasthauses sagen. Google liefert prompt. Adresse. Telefonnummer. Anruf folgt. Wenig später ist alles geritzt, ein Tisch reserviert.

Was haben Maximilian und Sebastian hinten im Wagen gelernt?

Sie haben fürs Leben gelernt. Nämlich: Wenn ich den richtigen Knopf drücke und etwas hineinsage, bekomme ich eine Antwort. Und zwar sehr schnell.


Tipp Machen Sie zur Einschätzung der Gefahren für Ihre Kinder einen Selbstversuch. Nehmen Sie das Smartphone zur Hand, betätigen Sie die Spracheingabe. Sagen Sie laut: »Porno.« Oder auch: »Penis.« Ergebnis? Eine blitzartig bereitgestellte Flut von Fotos oder Links zu Pornoseiten. Dasselbe können Ihre Kinder auch, sobald Sie sprechen und sich halbwegs klar artikulieren können.

Sprachsteuerung ist das eine, Onlinespiele sind das andere. Vor allem, wenn Kinder erst einmal lesen und schreiben können, ist solcher Zeitvertreib ausgesprochen reizvoll. Nicht, dass diese Spiele prinzipiell zu verurteilen wären, doch die Gefahr lauert in einem Feature, das die meisten bereitstellen: die Chatfunktion.

Denn natürlich haben auch Pädophile Onlinespiele längst für sich entdeckt. Vor allem solche mit Chatfunktion. Sie ist es, die es Erwachsenen, fast ausnahmslos Männern, erlaubt, sich an Minderjährige heranzumachen. Fachbegriff dafür: Cybergrooming.

Internet-Streicheln. Eine fast verharmlosende Übersetzung dafür, was den Tätern im Sinn steht. Die sexuelle Anmache von Kindern. Sei es verdeckt. Sei es auch ganz offensiv.


Aus der Praxis

Bei einer internationalen Schulung, an der ich als Polizist teilnahm, wurde folgendes Szenario simuliert: Ein deutscher Kollege loggte sich um 9 Uhr vormittags in ein Online-Rollenspiel für Kinder ein. Er gab sich als zwölfjähriges Mädchen aus. Natürlich mit Nicknamen. Sweetrose 12.

Es war auch für uns erfahrene Ermittler unglaublich: Nach genau fünf Minuten geschah es bereits – Sweetrose 12 wurde angeschrieben. Über die Chatfunktion des Spieles. Das Muster, nach dem der Kontakt ablief, war uns wohlvertraut. Fazit: Mit der größten Wahrscheinlichkeit hatten wir einen Pädophilen an der Angel.

Wie schnell das mitunter gehen kann, zeigte ein weiterer Versuch. Diesmal fälschten wir ein Profil (mit Foto) unter dem Nicknamen Sexysusi 13. Platt und auffällig, könnten Sie nun dagegenhalten. Doch der Account verfehlte seine Wirkung nicht.

Gleich zwei User mit eindeutig pädophilen Neigungen kontaktierten uns innerhalb von 24 Stunden. Der eine schrieb:

»Hey, cooles pic von dir, gibt’s weitere pics?«

»Welche pics willst denn?«

»Ich will normale Fotos von dir. Ich glaube ja nicht, dass du Nacktfotos hast. Und wenn du welche hättest, würdest du sie ja nicht schicken. Oder?«

Der andere Cybergroomer ging gleich ordentlich zur Sache. Er bot uns 150 Euro an. Für ein Livetreffen mit Oralsex.

Was sagen uns diese beiden Beispiele?

Sie zeigen vor allem auf: Seit es das Internet gibt, ist in Sachen Pädophilie kein Stein auf dem anderen geblieben. Nicht, dass es diese Neigungen nicht immer schon gegeben hätte. Das World Wide Web jedoch hat die Möglichkeiten für Menschen mit sexuell krankhaften Neigungen regelrecht explodieren lassen. In einem geschützten, weitgehend anonymen Raum obendrein.

Wer in Vor-Internet-Zeiten sexuellen Kindesmissbrauch betrieb, war darin stark limitiert. Verwendet wurden analoge Kameras, ob Foto oder Video. Die wenigsten kannten sich mit dem Entwickeln von Filmen aus, mussten sich demnach an Vertraute oder Eingeweihte mit eigener Dunkelkammer wenden. Mit dem heißen Material zum nächsten Drogeriemarkt zu gehen, um es dort ausarbeiten zu lassen, war ausgeschlossen.

Weitgehend begrenzt war damals auch noch die Community. Alles lief mehr oder minder auf persönlicher, oft auch regionaler Ebene ab. Man kannte sich. Man tauschte sich postalisch aus, per Brief oder Paket. Oder bei Geheimtreffen auf irgendwelchen unbeleuchteten Parkplätzen mitten in der Nacht.

Und heute?

Heute sind die Möglichkeiten des Austauschs unter Pädophilen fast unbegrenzt. Er erfolgt blitzartig, über eine 100mbit-Leitung im Darknet zum Beispiel. Weltweite Vernetzung mit Gleichgesinnten inklusive. Hinzu kommt die enorm weiterentwickelte Technologie bei Foto und Video. Wer nur ein klein wenig Ahnung vom Darknet hat, erkennt rasch: Will die Polizei in diesen Untiefen des Netzes Straftäter ausforschen, sind die Möglichkeiten sehr limitiert. Ein langer und steiniger Weg, der oft genug nicht ans Ziel führt.

Was ist die Konsequenz?

Die Konsequenz ist, dass wir als Gesellschaft mehr denn je gefordert sind. Indem wir uns so früh wie möglich in das digitale Leben unserer Sprösse einblenden. Doch gerade da fühlen sich die allermeisten überfordert. Seien es die Eltern. Seien es die Lehrer.

Die Wischergeneration

Die verhältnismäßig junge Geschichte des Internets bringt es naturgemäß mit sich. Unsere Gesellschaft ist zersplittert in Gruppen mit unterschiedlichstem Wissensstand. Am höchsten ist er natürlich bei ihnen:

Den Digital Natives.

Die Ureinwohner der digitalen Welt, dank ihrer Jugend von Anfang an dabei. Zu ihren allerersten prägenden Erfahrungen im Leben zählt es mitunter, zu sehen, wie wir Erwachsene, oder Schwester und Bruder auf seltsamen kleinen Dingern mit den Fingern herumwischen und sich Erstaunliches tut. Diese Bewegungen nachzuahmen ist den Kleinen ein Leichtes. Sobald ein Bildschirm in der Nähe ist, geht es los. Der Kabarettist Günter Grünwald hat dafür diesen Ausdruck geprägt:

Wischergeneration.

Und dann – bestimmt ergeht es Ihnen da ganz ähnlich – bekomme ich von Bekannten oder Freunden immer wieder Sätze wie diese zu hören:

»Ein Wahnsinn, die Jugend von heute! Die können gar nicht mehr kommunizieren. Die befassen sich doch nur noch mit dem Smartphone.«

Das sehe ich entschieden anders. Jugendliche kommunizieren auch mit dem Handy. Sie tun es zusätzlich, kommunizieren in Summe also deutlich mehr als wir Erwachsene. Allein schon die Vielzahl der WhatsApp-Gruppen, in denen sich die meisten jungen Leute tummeln. Bis zu fünfzig und sogar noch mehr. Die jungen Menschen unterscheiden in der Regel sehr genau, mit wem sie wo chatten. Und wem sie was schreiben. Mit wem sie welche Dinge teilen und mit wem lieber nicht.

Hinzu kommen weitere Freizeitaktivitäten als Quelle von Kommunikation unter jungen Menschen. Während des Unterrichts dürfen sie üblicherweise ohnehin nicht online sein. Die Hausordnungen in Schulen untersagen das. Und dass beim Verlassen des Schulgebäudes drauflosgechattet wird, ist völlig normal. Ausnahmen gibt es natürlich auch da – vor allem, wie in allen anderen Lebensbereichen auch, wenn der Gebrauch so krankhaft exzessiv wird, dass es an die Gesundheit geht.

Dabei genügt es oft, wenn wir uns selbst an der Nase nehmen. Wenn wir unser eigenes Internet- oder Smartphone-Verhalten selbstkritisch überdenken und hinterher unsere Vorbildfunktion neu bewerten.

Bleiben wir beim Beispiel WhatsApp: Warum verwenden wohl so viele Kinder und Jugendliche genau diesen Kanal und keinen anderen? Obwohl doch der Gebrauch – die Allgemeinen Geschäftsbedingungen strenggenommen – lange Zeit erst ab dem vollendeten 16. Lebensjahr erlaubt war, bevor das Limit auf 13 Jahre gesenkt wurde?

WhatsApp und Co. – Kinder und Jugendliche tun es, weil wir es auch tun. Wenn wir es tun, kann es weder gefährlich noch bedenklich sein.

Genauso lernen und sehen die Jungen das. Im Prinzip ist es auch richtig: Gefährlich sind weder Social Media, noch WhatsApp und Co. per se. Gefährlich sind ganz allein ihre User.


Aus der Praxis

Machen Sie erneut einen Selbstversuch! Laden Sie doch wieder einmal Gäste ein. Nehmen Sie Ihren Freunden die Garderobe ab und im nächsten Moment das Telefon. Halten Sie ihnen mit ein paar netten Worten eine Schachtel hin, auf der geschrieben steht: Handyparkplatz.

Heute, sagen Sie zu Ihren Gästen charmant lächelnd, wünschen wir uns eine handyfreie Zeit. Ein Beisammensein ohne die lästigen Dinger. Und beobachten Sie zugleich die vielen, bestimmt sehr unterschiedlichen Reaktionen.

»Ich muss unbedingt erreichbar sein«, wird der Klassiker unter den Antworten sein. Jene, die ihr Handy besonders widerwillig ablegen, können Sie bestimmt dabei beobachten, dass sie ungewöhnlich oft zur Toilette müssen. Um sich in Richtung Handyparkplatz zu stehlen.

Soweit müssen wir aber gar nicht gehen. Oft genügt bereits ein aufmerksamer Blick ringsum, um sich des längst eingefahrenen Handyverhaltens der Menschen zu vergewissern. In der U-Bahn. Im Bus. Auf der Straße. Überall Menschen, die Ohrstöpsel oder Kopfhörer tragen oder einfach gebannt nach unten starren. Da wird gesurft, gestreamt und Musik gehört, was das Zeug hält.

Als die Firma Sony 1979 den ersten Walkman auf den Markt brachte, war das eine Sensation. High-Tech pur nach damaligen Maßstäben. Und zugleich der Tribut an ein Bedürfnis von immer mehr Menschen, auch in aller Öffentlichkeit Musik hören zu können – ohne Zwangsbeglückung der Umwelt. Die einen wollten lauschen, die anderen nicht von der Musik gestört werden.

Heute hat sich der Gebrauch der High-Tech-Dinger beinahe ins Gegenteil gekehrt. Die meisten Menschen verwenden die Geräte aus einem völlig anderen Grund, nämlich: Sie selbst sind es, die nicht gestört werden wollen. Fast könnte man sagen: der neue Zeitgeist.

Was macht das mit unseren Kindern?

Dass nicht Internet oder Smartphone an sich das Problem darstellen, sondern unser Mangel an Medienkompetenz, unsere Sorglosigkeit und unser Verhalten, das unsere Kinder oft spiegeln, zeigt sich auch, wenn wir Bilder wie diese aus dem Gedächtnis abrufen: Mütter, und Väter, die den Nachwuchs vor sich im Kinderwagen sitzen haben und lieber aufs Handy stieren, anstatt die Aufmerksamkeit den Kleinen zu schenken.

Die Folge: Es wird ziemlich bald gequengelt. Die Botschaft von oben nach unten ist auch unmissverständlich.

Du bist nicht wichtig.

Wichtiger ist mein Smartphone.


Aus der Praxis

Sie sind ein junges Paar. Sie freuen sich, alle beide, dass die junge Liebe Früchte trägt. Nach langen Monaten des Entgegenfieberns kommt ihr Kind zur Welt. Es macht rasch Fortschritte, beginnt zu krabbeln, sich hochzuziehen. Bald schon tut es auch die ersten Schritte. Anfangs nehmen sie es noch bei der Hand, um Stürze und Verletzungen zu vermeiden.

Dann bekommt es sein erstes Laufrad. Mitsamt Schutzausrüstung. Ein Sturzhelm. Dazu Ellbogenschützer. Auch das erste Fahrrad ist gesichert. Mit Stützrädern. Später werden sie abmontiert.

Bei mir und meinen Kindern war es nicht anders. Auch ich bin besorgt hinter ihnen hergelaufen, als sie allein die ersten, wackeligen Meter zurückgelegt haben. Ich habe sie vorerst am Gepäckträger gehalten. Das Gleichgewicht fürs Radfahren zu halten, will eben erlernt sein.

Beim Skifahren, Snowboarden und anderen Sportarten schlagen wir oft andere Wege ein. Da schicken wir unseren Kleinen zu Profis, die sie den Umgang mit den Sportgeräten lehren. Dazu auch gleich alle Sicherheitsvorkehrungen, die man eben so braucht. Im Straßenverkehr, wo bekanntlich besonders viele Gefahren lauern, ist es genauso. Zu Beginn zeigen noch wir ihnen, worauf es ankommt. Etwa beim Queren einer Straße auf dem Schutzweg. Oder auch, wo sonst Gefahren auf dem Schulweg lauern. Hier kommen auch schon die Verkehrserzieher der Polizei ins Spiel. Sie machen Schulbesuche. Später folgen Fahrradprüfung, Mopedführerschein. Dann der Führerschein. Der L17 womöglich, wo wir selbst mit der Jugend viele Kilometer abspulen. Dreitausend mindestens. Graue Haare, die uns dabei auf dem Beifahrersitz spontan wachsen, sind keine Seltenheit. Das alles, weil wir letzten Endes unsere Kinder beschützen, sie auf die Gefahren auf dem Highway vorbereiten wollen.

Nun die Frage der Fragen:

Warum lassen wir unsere Kinder dann auf diesem anderen Highway, dem Datenhighway, allein? Wo ist da auf einmal unsere Verantwortung abgeblieben?

Vermutlich zählen Sie als Leserinnen und Leser dieses Buches zu den sogenannten Digital Immigrants. So wie ich. Zu jenen Menschen also, die nicht mit der digitalen Welt aufgewachsen sind. Die erst hineinwachsen mussten. Oftmals nicht ohne große Mühen.

Können wir uns als digitale Zuwanderer so einfach der Verantwortung entziehen? Sind wir, weil es nicht von vornherein unsere Welt gewesen ist, davon befreit, andere Bewohner zu beschützen? Gelten Ausreden wie »Ich kenne mich da nicht aus.«? Dürfen wir eigene Verpflichtungen ohne weiteres auf andere abwälzen? Auf den Schulbetrieb zum Beispiel?

Beantworten wir auch nur eine dieser Fragen mit Ja, so zählen wir zu ihnen: den digitalen Verweigerern. Den digitalen Außenseitern.

Kritische Situationen gibt es für Kinder auch in ihrer Internet-Existenz immer und überall. Sie damit allein zu lassen, ist grundfalsch. Wie sonst auch, benötigen Heranwachsende immer wieder Ansprechpartner. Jemand, dem sie uneingeschränkt vertrauen können. Wie solch kritische Situationen im World Wide Web aussehen können, möchte ich Ihnen in den folgenden Kapiteln in allen Einzelheiten offenlegen.

Immer wieder bin ich auf Eltern oder Lehrkräfte getroffen, die es mir offen ins Gesicht gesagt haben: »Facebook? WhatsApp? Keine Ahnung. Da kenne ich mich nicht aus. Interessiert mich auch nicht. Ich will mich erst gar nicht damit befassen.« Allesamt Menschen, die täglich mit Kindern zu tun haben.

Solche Signale erreichen dann nicht nur mich in einem einmaligen Gespräch. Sie werden im Gegenteil an die Kinder dieser Menschen, an ihre Schutzbefohlenen ausgesendet. Tag für Tag. So werden aus anfangs vielleicht noch kleinen Problemen rasch größere. Weil niemand da ist, der sich ihrer annimmt.

Würde ich mit meinem Auto in die Tischlerei fahren, wenn die Motorkontrollleuchte blinkt? Sicher nicht. Kinder tun das ebenso wenig. Sie haben feine Antennen dafür, wer im Problemfall für ihre Anliegen da ist. Und vor allem, wer nicht. Wenn wir das doch sein wollen, bleibt nur dieser eine Weg:

Auf in Richtung Medienkompetenz!

Kinder müssen immer dafür gerüstet sein: für den Worst Case. Sie müssen genau wissen, an wen sie sich im Notfall wenden können. Seien es die Eltern. Seien es die Lehrer. Ein Onkel. Eine Tante. Pate oder Patin, Freunde der Familie. Wer sich in der Medienlandschaft auskennt und zugleich das Gefühl vermittelt, ein immer offener, vertrauenswürdiger Gesprächspartner zu sein.

Natürlich gibt es auch zu diesem Thema Studien. Eine davon, für den gesamten EU-Bereich erstellt, ergab beispielsweise in punkto Mobbing: Kinder und Jugendliche erwarten sich da am ehesten Hilfe unter ihresgleichen, in der Peergroup. Bleibt diese Unterstützung aus, werden Erwachsene zu Rate gezogen. Wenn es denn welche gibt, die in Frage kommen. Denn die (oft nicht unberechtigte) Angst davor, Eltern etwa könnten überreagieren, verhindert diesen Schritt. Etwa, weil verlangt würde, den Facebook-Account zu löschen, weil der Internetzugang gesperrt oder das Smartphone überhaupt einkassiert würde.

Was ist der nächste Schritt?

Oft genug dieser: das Outing in einem x-beliebigen Internetforum. Auch dort haben sich längst jene dunklen Charaktere eingenistet, mit denen unsere Kinder besser nicht in Kontakt kämen. Erinnern wir uns nur an das besonders tragische Beispiel von Amanda Todd, das Mädchen aus dem kanadischen Vancouver. Amanda wurde nur 15 Jahre alt. Zu Tode gemobbt. In einem achtminütigen, bewegenden und um die Welt gehenden Video erzählte sie auf Karteikarten ihr Schicksal, nahm Abschied. Danach beging sie Selbstmord.

Ihre Geschichte entstammt nur auf den ersten Blick einer fernen Welt. In Wirklichkeit ist es eine Allerweltsgeschichte. Ebenso gut hätte sie in Österreich oder Deutschland spielen können. Und sie hat auf besonders tragische Weise klargemacht:

Kinder müssen aktiv auf das Internet vorbereitet werden. Auf seine Vorteile.

Und auf seine Gefahren.

Kinder müssen wissen, was es mit der Anonymität im Netz auf sich hat. Kinder müssen wissen, dass es Phänomene wie dieses gibt: Genderswapping. Dass dies nichts anderes bedeutet, als dass Männer sich als Frauen und Frauen sich als Männer ausgeben.

Doch damit nicht genug: Kinder müssen auch wissen, dass sie niemals schuld sind, wenn sie Opfer einer Straftat im Internet werden. Kinder müssen wissen, dass ihnen keine Gefahr droht, wenn sie sich jemandem anvertrauen. Dass sie deshalb nicht ihren Zugang zu Social Media verlieren. Weil Social Media und Co. ein wichtiger Teil ihrer Entwicklung sind. Weil Social Media und Co. zu ihnen gehören wie vieles andere auch. Weil Social Media und Co. ebenfalls zur sozialen Entwicklung eines modernen Menschen zählen. Weil das außer Streit stehen muss. Strittig sein sollte allein, wie wir damit umgehen.

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9783990013243
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