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Auf der Fahrt vom Flughafen Hannover nach Bielefeld erinnerte Richard sich an seine bisherige berufliche Vergangenheit. Seine Abiturnoten waren im oberen Drittel. Die Ergebnisse vom Studium ebenso.

„Besser der erste im zweiten Drittel als der Letzte im ersten Drittel!“ war die Formel, die ihm sein Vater früher gesagt hatte, wenn es Zeugnisse gegeben hatte. Seine Zusatzausbildung und viele Lehrgänge hatten ihn besonders qualifiziert. Seine erste Stelle brachte ihm nach kurzer Zeit Prokura in einer mittelständischen Firma. Er hatte dort zwei Dutzend Ingenieure geführt. Im Vertrieb dieses Unternehmens hatte er Zeichen für eine nachhaltige Umsatzsteigerung gesetzt. Bis jetzt bin ich doch insgesamt erfolgreich gewesen. Und Erfolg gibt einem ja Recht. Wenn dann der Erfolg erforderlich macht, dass ein Standortwechsel notwendig wird, dann gehört es eben dazu. Es hat sich ja mit Berlin wunderbar ergeben. Ich fühle mich wohl mit der neuen Aufgabe. Und ich bin überzeugt, dass der Umzug nach Berlin für meine Familie sinnvoll und zumutbar ist.

Angelika hatte noch einmal alle Wohnungsangebote gesichtet. Besonders die Unterlagen von der Sybelstraße hatte sie mehrfach intensiv studiert. Richard besprach mit ihr noch einmal die übrigen Projekte. Beide fühlen sich zuletzt in der Vorentscheidung für die Wohnung in der Sybelstraße bestärkt und feierten ihre Entscheidung mit einem Glas Wein.

„Wir sollten morgen früh mit den Kindern sprechen. Sie sollen ja auch gerne mit uns zusammen nach Berlin ziehen.“

„Natürlich, ich möchte, dass die beiden mit uns zusammen glücklich werden in Berlin.“

„Glück, Richard, was ist das? Glück. Ein großes Ziel. Und wie lange dauert das?“

„Angelika, Dein Ansatz ist sehr kritisch. Wenn Du Glück auch noch mit Zeit verquickst, dann ist die Erwartung vielleicht zu hoch. Ich denke, dass wir zunächst eine Basis sichern wollen. Und die kann man bestimmt festhalten. Und siehe doch einmal, wir haben eine neue Basis in Berlin. Die können wir festhalten.“

„Man kann nicht viel festhalten.“

„Doch, Angelika, unsere Liebe und unser Glück. Mit guter Arbeit schafft man dafür eine Basis.“

Angelika hatte den Mut zu schweigen.

„Wir werden morgen noch einmal mit den Kindern sprechen.“

„Sie werden schöne große Zimmer bekommen. Sie müssen noch von ihren Freunden hier verabschieden. Wie sollen wir das machen?“

„Meine Mutter hat dazu eine Idee.“

Richard schwieg eine kleine Weile.

„Hat sie eine wirklich gute Idee?“

„Du kennst doch ihre Freundin, Frau Bockstette. Sie hat ein Umzugsunternehmen und eine Gaststätte. Wir kriegen einen Sonderpreis, wenn wir da feiern würden.“

„Einverstanden, Angelika. Morgen früh sprechen wir mit den Kindern und fragen sie, wie sie den Abschied feiern möchten. Dann sprechen wir mit Deiner Mutter.“

Grete Brömmelsiek, die Mutter von Angelika, hatte das Lieblingsgericht ihrer Tochter, Ochsenzunge in Madeirasauce, vorbereitet und den Tisch im selten genutzten Wohnzimmer gedeckt.

„Ich freue mich, dass wir noch ein wenig Zeit haben, bevor Dein Mann mit den Kindern kommt.“

„Ja, weißt Du, die Kinder wollten eine Abschiedsparty mit ihren Freunden machen und da gehört ein Besuch bei McDonalds dazu. Wir haben also noch genug Zeit.“

„Ich bin froh, dass wir Zeit mit uns alleine haben, mein Kind. Du bist hier aufgewachsen. Du hast hier Deine Schulfreunde. Du bist hier in die Kirche gegangen. Ich sehe noch Dein Gesangbuch mit dem Goldschnitt vor mir. Kind, ist das der richtige Weg? Nach Berlin? Du kennst doch so etwas nicht. Solche Großstädte. Da bist Du schnell allein. Der Sohn von der hiesigen Brotfabrik war immer hinter Dir her. Sogar Blumen hatte er Dir geschenkt, Und der Pfarrer hätte es auch gut gefunden.“

„Mama, das ist doch alles vergessen.“

„Aber Du bist doch von hier.“

„Ja, aber wir sind mittlerweile keine Dorf- und Stadtmenschen mehr, sondern Europäer oder Kosmopoliten.“

„Schmeckt es Dir?“

„Gut wie immer.“

„Siehst Du, das wirst Du dann nicht immer haben können.“

„Ich kann mittlerweile auch kochen, liebe Mama.“

„Ich kann Dir ja nichts verbieten oder vorschreiben. Vielleicht sind ja so zugereiste Männer wie der Richard ganz gut. Aber ich werde Dich sehr vermissen. Deswegen bin ich ein bisschen komisch. Wenn doch Berlin in Bielefeld wäre.“

Angelika spürte, dass ihre Mutter ein paar Tränen unterdrückte.

„Es ist doch gar nicht so weit bis Berlin. Du wirst uns bestimmt oft besuchen. Das wird Dir Spaß machen.“

„Du weißt, dass ich nicht mehr so ganz fit bin. Seit Papa gestorben ist, geht es mir nicht besser. Ich werde dann ganz alleine sein.“

„Du hast doch die Frauenhilfe und die Kirche.“

„Ja, ja.“

„Wenn man viel alleine ist, wird man leicht depressiv.“

„Mama, Du bist doch immer sehr viel unterwegs und hast alle Deine Freundinnen hier. Wir gehen jetzt nach Berlin. Und Du wirst uns oft genug sehen.“

„Es ist schon schade, dass die Familien so auseinander gehen.“

Angelika hatte nicht das Bedürfnis, dieses Gespräch weiterzuführen.

Richard, Andrea und Julian feierten zusammen mit ihren Freunden den Abschied von Bielefeld auf dem Spielplatz eines Schnellrestaurants. Nach dem Fest trennten sich die Freunde. Richard fuhr mit seinen Kindern Angelika und ihrer Mutter.

Unterwegs fragte Andrea:

“Ist Berlin schöner als Bielefeld?“

„Berlin ist viel, viel größer. Es gibt viele Seen und viele Wälder. Wir haben eine schöne neue Wohnung. Ihr beide bekommt eigene große Zimmer. Ihr werdet schnell neue Freunde finden. Und wir können zusammen schöne Ausflüge machen. Und außerdem könnt ihr bald mit der Mama zusammen nach Berlin fliegen.“

„Und die Oma, kommt die mit?“

„Ich glaube, die Oma wird uns viel besuchen.“

Andrea kuschelte sich an ihren Papa.

„Ich habe Angst. Das ist alles fremd.“

„Weißt Du, mein Kind, wenn man größer wird, so wie Du, dann kommen immer wieder neue Dinge auf einen zu. Man muss sich mit ihnen beschäftigen. So ist das auch mit Berlin und unserer neuen großen Wohnung.“

Richards Schwiegermutter erwähnte die Gaststätte ihrer Freundin Bockstette nicht mehr.

Julian schmiegte sich an seine Mama.

„Ich packe jetzt meinen Teddy ein.“

Die Umzugsfirma übernahm den Hausrat.

11

Wieder in Berlin. Noch ein paar Tage im Hotel. Dann wird die neue Wohnung bezogen. Der Start für eine neue Karriere. Ein neues Glück. Richard drückte seine Fäuste zusammen. Er fühlte sich stark und auf einem guten Weg. Das wäre in Bielefeld nicht möglich gewesen. Heute sollte der Mietvertrag für die neue Wohnung unterschrieben werden. In Bielefeld hatte Richards Familie in den letzten Jahren von Schwiegermutters Gnaden gewohnt. Symbolisch gehörte dazu der große Garderobenspiegel, den seine Schwiegermutter ihm geschenkt hatte, als er mit seiner jungen Frau die Bielefelder Wohnung bezogen hatte.

Jetzt konnte Richard erstmals eine Heimstatt für seine Familie ohne Einfluss Dritter schaffen. Es war für ihn so, als wenn er Verliebtsein, Hochzeit und die Geburt der Kinder verdichtet erleben würde. Seine Erfolgsfreude packte ihn. Jetzt konnte er seiner Familie endlich zeigen, dass er ihnen ein schönes Leben gestalten könne. Weit weg von Bielefeld. In einem neuen Heim. In Berlin. Mit einem neuen wichtigem beruflichen Schritt, bei dem die Schwiegermutter endlich keine Rolle mehr spielen würde.

Er war mit der Maklerin verabredet. Marianne von Bülow, Immobilien Hengst. Sie trug ein dunkelgraues Kostüm kombiniert mit einer engen schmalkragigen Bluse, die die Wölbung ihrer Brüste betonte. Sie genoss, dass Richard während ihrer Unterredung seinen Blick nur selten woanders hinlenkte. Sie trafen sich im reste-fidèle, um den Mietvertrag zu unterzeichnen.

“Wollen wir den Abschluss nicht mit einem Gläschen begießen?“

Richard nickte und hatte Wohlgefallen an ihrer Figur gefunden. Er fühlte sich bestätigt. Er war zum ersten Mal in seinem Leben in einer Situation, die sein gewachsenes Selbstbewusstsein verstärkte. Er entschied mit seiner Unterschrift über das neue Heim für seine Familie. Er würde mit seinem neuen Beruf für eine schönere, wohlhabendere Zukunft sorgen. Er schaute die Maklerin an und glaubte, dass sie ihn mochte, als sie ihm ihre private Karte beim Abschied sanft in die Hand drückte.

Richard war überzeugt, dass er von nun an mit seiner neuen Aufgabe ein besseres Ansehen genießen würde. Schließlich war er jetzt Marketing Manager in einem weltweit arbeitenden Konzern. Marianne von Bülow hatte zu Drink und Imbiss eingeladen. Das war ein guter und selbstverständlicher Abschluss der Vertragsunterzeichnung. Eine Art gefühlter Erfolgsprämie. Erfolg ist süß und macht hungrig. Er dachte an Morgen.

Das war sein erster Tag in der neuen Firma. Auf dem Weg zum Besprechungszimmer fiel ihm, dass er die Firma, in der Jeannette arbeitete, immer noch nicht angerufen hatte.

„Meine Damen und Herren, hiermit möchte ich ihnen den neuen Marketingchef vorstellen. Es ist Diplom-Ingenieur Richard Benn. Er verfügt über besondere, wenn nicht einzigartige Kenntnisse in Fernüberwachungssystemen, einem, wie Sie wissen, Schwerpunktbereich für die Zukunft. Ihnen ist ja bekannt, dass für diesen Bereich ein Vorprojekt existierte. Dieses ist noch nicht abgeschlossen, sondern wird nun mit neuer Energie aufgegriffen und fortgeführt. Dazu werden Sie zu gegebener Zeit weitere Informationen erhalten. Herr Benn wird sich Ihnen in Einzelgesprächen selbst vorstellen. Dann können Sie auch Ihre etwaige Neugierde befriedigen. Ich möchte Sie bitten, konstruktiv mit ihm zusammenzuarbeiten. Er wird zunächst einige Tage im Unternehmen als Fragender verbringen, um unsere Strukturen kennen zu lernen. Danach übernimmt er die volle Verantwortung für den Bereich Marketing und Vertrieb.“

Dr. Hartweich schaute in die Runde der Mitarbeiter und deutete auf Richard Benn. Richard verneigte sich vor der Schar seiner neuen Mitarbeiter:

„Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich freue mich, im Hause der SignaTec AG diese große Verantwortung übernehmen zu können. In den nächsten Tagen werde ich mit jedem von Ihnen Einzelgespräche führen. Danach kann ich Ihnen etwas über die weiteren Aktivitäten in unserer zukünftigen Zusammenarbeit sagen. Frau Brammert wird die entsprechenden Termine rechtzeitig mit Ihnen abstimmen.“

Frau Elisabeth Brammert war die Vorzimmerdame für den Bereich Marketing und Vertrieb. Sie begleitete Richard Benn zu seinem neuen Büro.

„Ich kenne den Doktor schon einige Jahre. Bis vor einem Jahr saß ich noch in seinem Vorzimmer.“

Richard hielt seine spontane Frage nach dem Grund für diese Veränderung zurück und ließ sich in die Büroorganisation einweisen.

„Hier habe ich ein Organigramm für Sie. Da sind auch die Namen Ihrer Mitarbeiter eingetragen. Wenn Sie jetzt schon Näheres über die Damen und Herren wissen wollen, kann ich die Personalakten jederzeit aus der Personalabteilung holen.“

Richard winkte ab.

„Ich werde erst einmal die Gesprächsrunde wahrnehmen. Danach schauen wir weiter. Ich sehe hier, dass Herr Santier als Produktmanager für die Fernüberwachungssysteme arbeitet. Ihn würde ich gerne als ersten Mitarbeiter zum Gespräch bitten.“

Frau Brammert nahm die Wünsche auf und organisierte die Gesprächsrunde. Richard arbeitete konzentriert. Er hatte während seiner bisherigen beruflichen Laufbahn viele Mitarbeiter kennen gelernt, erlebt und beurteilt. Jetzt saß er demjenigen gegenüber, der als Produktmanager zu den Schlüsselfiguren seiner eigenen Zukunft gehörte.

„Sie sind Diplom-Ingenieur wie ich, Herr Santier.“

„Seit Abschluss meines Studiums arbeite ich für diese Firma.“

„Wie ich aus ihrer Akte sehe, leben sie mit Ihrer Familie in Berlin Hennigsdorf.“

Ferdinand Santier trug einen kleinen Kinnbart und eine Nickelbrille.

„Ich liebe unser Haus dort, eine Doppelhaushälfte mit Garten. Dort können die Kinder spielen. Das gibt mir die Basis für die Arbeit und den Willen zum Erfolg.“

„An dem Projekt Fernüberwachung ist ja schon lange gearbeitet worden.“

„Ja, natürlich. Ich war auch involviert. Aber es ist vor einiger Zeit stillgelegt worden. Ich weiß nicht genau warum. Es soll mit der Budgetierung zu tun gehabt haben. Man hatte vermutet, dass die Koordination zwischen der Planung und der Produktion nicht so richtig funktioniert hat.“

„Wer war der Projektleiter?“

„Es war mehr ein Projektkonsulat. Das waren Ihr jetziger Chef, der Doktor Hartweich und der Produktionsleiter, Herr Breuer.“

Richard merkte sich den Tonfall dieser Antwort, wollte aber wegen des Vorprojektes im Moment nicht weiter hinterfragen.

„Mir ist Ihr Name aufgefallen. Er klingt französisch.“

„Ja, das kann ich verstehen, ich werde oft deswegen gefragt. Meine Ahnen sind französische Protestanten. Die wurden auch Hugenotten genannt.“

„Ich habe erfahren, dass Sie immens viele eigene Ideen in das bisherige Projekt eingebracht haben. Ohne die wären wir jetzt nicht so weit, wie wir sind.“

„Ich hätte gerne weiter gemacht, weil noch einige Überlegungen nicht genutzt worden sind. Wir haben ja auch einige entscheidende Laborergebnisse vorliegen. Ich hoffe, dass ich die Ergebnisse jetzt werde einbringen können. Auf jeden Fall bin ich scharf darauf, in dem neuen Projekt aktiv mitzumachen.“

„Ich habe in den letzten Jahren in dem Gebiet der Fernüberwachung eine Konkurrenzübersicht aller Hersteller erstellt. Das wird uns in dem Projekt sicherlich helfen.“

Herr Santier nickte.

„Glauben Sie, dass ich das einsehen kann?“

„Das ist doch selbstverständlich.“

Frau Brammert betrat den Raum und fragte nach, ob die Herren noch einen Wunsch hätten. Sie sollte noch etwas frischen Kaffee bringen. Während sie etwas Geschirr vom Tisch räumte, und den Raum wieder verließ, betrachtete Herr Santier sie ausgiebig.

„Sie hat immer noch eine tolle Figur.“

„Was hat das mit dem Projekt zu tun?“

„Nun, bei dem Vorprojekt spielte das eine Rolle. Sie war sehr engagiert. Auch in der Projektleitung.“

Richard ging nicht auf diese Anmerkung ein. Entweder hatte sie wirklich einen Einfluss auf das Projekt und damit eine besondere Beziehung zur Projektleitung oder Herr Santier hatte eine Schwäche für Frau Brammert oder für Frauen mit Figuren wie die ihre. Als Santier sich verabschiedete, hatte Richard ein etwas mulmiges Gefühl. Er wollte von etwaigen alten Beziehungen zwischen den Mitarbeitern nichts wissen. Und schon gar nicht, wenn es eventuell seinen neuen Chef, den Co-Leiter des Vorprojektes, betraf. Er räumte weiter seine mitgebrachten Unterlagen ein.

12

Elvira gesellte sich zu zwei Damen an der Champagnerbar im KaDeWe. Hinter ihnen entdeckte sie Rico, der sich einen blauen Schal umgelegt hatte. Er hatte schon zwei Gläser Champagner bestellt.

„Champagner rosé, in Blau können sie leider noch nicht liefern.“

„Rico, Du bist ein Spinner. Danke, auf Dein Wohl!“

„Auf unser Wohl!“

„Hast Du inzwischen eine konkrete Vorstellung für das Bild in Blau?“

Elvira schaute auf seinen blauen Schal, fühlte den Stoff zwischen zwei Fingern, schmiegte sich kurz an den Kaschmirstoff und schaute Rico über dem erhobenen Glas an.

„Du hast Dich heute noch gar nicht rasiert, mein Lieber.“

„Ich hatte einfach keine ruhige Hand, weil ich so aufgeregt war wegen unseres Treffens.“

„Wahrscheinlich hast Du zu lange geschlafen.“

„Nein, ehrlich, ich bin gut geduscht, habe ein wenig Obst gefrühstückt und stehe mit offenem Herzen vor dir. Alles für Dich.“

Elvira stellte fest, dass sie seine Stimme mochte.

„Alles für mich? Was würdest Du für mich tun?“

„Verehrte Elvira, wisse, dass ich Dir gehöre. Du bist mein Traum. Für diesen Traum gebe ich alles. Meine Bilder sind nicht von mir. Sie sind unsere Kinder. Wenn ich male, führst Du meine Hand. Du bist meine Muse. Können wir nicht im Atelier weiter sprechen?“

Elvira nickte, hakte sich unter und behielt das Ende seines blauen Schals in ihrer Hand. Bis zum Atelier in der Wichmannstraße war es nicht sehr weit. Das Atelier ist von der Straßenseite nicht einsehbar. Die große Arbeitsfläche mit einigen Staffeleien, wenigen Skulpturen aus Sandstein und zwei Werkbänken mit allerlei Werkzeug grenzen an einen offenen Raum, der als Ruhezone dient. Ihm gegenüber ist eine Küche mit einem schweren Holztisch und einer Bestuhlung aus verschiedenen Stilrichtungen eingerichtet. Ein Barwagen befindet sich vor der Küche. Rico reichte Elvira eine Flute.

„Blau ist eigentlich die Farbe aller denkbaren Sehnsüchte. Nicht umsonst haben die Menschen in vielen Kulturen diese Farbe ...“

Sie nahm das Glas aus seiner Hand, stellte es auf den Barwagen, ergriff beide Enden seines blauen Schals und zog Rico an sich, bis sich ihre Lippen trafen.

„Du kannst mich ruhig kratzen mit Deinem Bart, Du blauer Künstler.“

Rico umarmte sie im Kuss. Sie schwebten. Elvira ließ die blauen Blätter um sich wachsen und spürte das ersehnte große Blau auf ihrer warmen, nach und nach entblößten Haut. Die vierte Dimension und eine weitere nahm sie gefangen. Elvira wusste, dass ein Bild nie fertig ist, auch wenn es einen Rahmen hat. Es gibt eine unendliche Auswahl an Blautönen. Und da kann es stimmen, dass eine Komposition gefällt, wie die Komposition aus Küssen und Berührungen. Das ist wie erfülltes Sehnen. Kommen die Farben der Bilder auch aus dem Gefühl des Sehnens auf die Leinwand? Elvira hörte auf, darüber nachzudenken. Sie ließ einfach die Zeit weg.

Es gibt Zeiten, die ohne Raum sind. Es gibt Räume ohne Zeit.

13

Axel Breuer, Vorstand und Produktionsleiter der SignaTec AG, bat seine Assistentin, Frau Evelyn Zerr, ihn mit Dr. Hartweich zu verbinden.

„Guten Tag, mein lieber Ferdinand. Wie ich höre, gibt es einen neuen Mitarbeiter im Marketing.“

„Die informelle Post arbeitet besser als die reguläre, Axel. Aber Du bist richtig informiert. Ich habe da einen klugen Jungen an Bord geholt.“

„Kennt er sich mit unserem Projektthema aus?“

„Du kommst schnell zum Punkt“

„Sonst säße ich nicht hier.“

„Also, Axel, wir sind ja mit unserem Projekt nicht zu einem vernünftigen Ende gekommen. Ich habe den Aufsichtsrat überzeugen können, dass wir das Projekt neu auflegen. Dabei wurde zur Auflage gemacht, dass wir einen externen Fachmann anheuern. Das ist mir gelungen. Er ist an Bord. Seit heute.“

„Das habe ich verstanden. Ich wünsche Glück. Wer ist im Team für das neue Projekt?“

„Zunächst die Mitarbeiter von vorher. Wir beide sind erst einmal draußen.“

„Dann ja auch Santier, oder?“

„Ja, sicher, der hat doch mitten drin gestanden in unserem Projekt.“

„Das ist gefährlich. Ist jemand bei Dir im Büro?“

„Nein, was meinst Du?“

„Santier ist ehrgeizig. Der will sich und der Welt noch etwas beweisen. Als Fachmann. Er hat alle Kenntnisse vom Projekt. Er kennt auch unsere Fehler.“

„Sage bitte nicht Fehler. Es war eine Fehlkalkulation.“

„Lassen wir das. Wir müssen Folgeschäden vermeiden. Der Aufsichtsrat darf nicht erfahren, was wirklich der Grund für die Beendigung unseres Projektes war.“

„Richtig, also?“

„Santier darf nicht ins Plaudern kommen. Der neue Mann, wie heißt er noch?“

„Richard Benn, kennst Du den?“

„Er war auf einem internationalen Seminar. Hat eine gute Figur gemacht. Ist pfiffig.“

„Dann habe ich eine gute Wahl getroffen.“

„Du meinst das Personalberatungsunternehmen!“

„Lassen wir die Eitelkeiten.“

„Also, der Santier darf mit dem Benn nicht zu innig werden. Wenn der anfängt, zu plappern, könnte es für uns auf irgendeine Art komisch werden.“

Hartweich schwieg einen Moment und reagierte:

„Ich kenne Santier auch gut. Er wird kurzfristig an die Leine genommen.“

„Gut, was denkst Du über den Neuen, diesen Benn? Kann man ihn lenken?“

„Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, ist sehr, wirklich sehr ehrgeizig. Kommt mir streng katholisch vor. Ist ein aufrichtiger Schaffer.“

„Ich werde trotzdem beobachten, was um ihn herum geschieht. Also, Du kümmerst Dich um Santier, okay?“

„Wir sind uns einig. Einen schönen Tag.“

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