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Читать книгу: «Unter Palmen und Buchen. Erster Band.», страница 6

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Die Folgen einer telegraphischen Depesche

Telegraphische Depesche
Dr. A. Müller Leipzig –straße 15
Herzlichsten Glückwunsch – heutigen Geburtstag noch oft wiederkehren – Alle wohl – tausendmal grüßen – Inniger Freundschaft
Mehlig.

Obige Depesche war Morgens Früh, sieben Uhr in Berlin aufgegeben worden, gelangte durch den Drath nach Leipzig und wurde dem erst gestern angestellten Depeschenträger Lorenz als erste Besorgung zur augenblicklichen Beförderung übergeben.

Lorenz lief was er laufen konnte, warf am richtigen Haus angelangt, noch einen flüchtigen Blick auf die Adresse, zog dann die Klingel an der Hausthür, und wurde ohne Weiteres eingelassen.

Wie er die Hausflur betrat, öffnete sich rechts eine Thür. Ein ältliches Fräulein mit weißer Haube und Schürze kam heraus, und trug einen Präsentirteller in der Hand, auf dem das, wahrscheinlich eben gebrauchte Kaffeeservice stand; Lorenz trat auf sie zu.

»Telegrafische Depesche!« sagte er und hielt ihr das Couvert mit dem rothen Streifen entgegen.

»Jesus Maria und Joseph!« schrie die Dame, schlug in blankem Entsetzen die Hände über den Kopf zusammen und ließ das ganze Kaffeeservice auf die Erde fallen.

»Bitte tausendmal um Entschuldigung,« sagte Lorenz, indem er sich bückte und die halbe Kaffeekanne aufhob, den Präsentirteller aber liegen ließ.

»Von wem ist sie denn?« schrie aber die Dame, ohne selbst in dem Augenblick des zerbrochenen Geschirrs zu achten.

»Ja das weeß ich Sie werklich nich,« sagte Lorenz, »aber sie is für den Herrn Doctor Müller.«

»Doctor Müller? – Sie Ungeheuer Sie, was bringen Sie mir denn da das entsetzliche Papier?« rief die Dame mit vor Zorn gerötheten Wangen.

»Aber ich bitte Sie um tausend Gottes Willen mein bestes Mamsellchen!«

»Jetzt kann mir Ihr Telegraph mein Service bezahlen,« zürnte aber die schöne Wüthende, »das ist ja ärger wie Einbruch und Diebstahl! oh, das herrliche Porcellan!« Sie kniete neben den Scherben nieder und begann die auseinander gesprengten Stücke, allerdings vergebens, wieder zusammenzupassen. Lorenz wurde es aber unheimlich und wenn er auch nicht recht begriff weshalb die Dame so erschreckt sei, hielt er dies doch für einen passenden Moment sich aus dem Staub zu machen. Doctor Müller wohnte jedenfalls oben. In Gedanken behielt er auch die halbe Kaffeekanne bis zur Treppe in der Hand, dort legte er sie aber vorsichtig auf die erste Stufe und stieg dann rasch hinauf in die Bel-Etage.

Hier mußte er wieder klingeln. Ein Dienstmädchen öffnete ihm die Thür.

»Telegrafische Depesche!« sagte Lorenz und hielt ihr das Papier entgegen. Kaum war aber das Wort heraus, als das Mädchen ihm die Thür wieder vor der Nase zuschlug und er hörte nur noch wie sie drin über den Gang stürzte und in ein Zimmer hineinschrie: »O Du lieber Gott eine telegraphische Depesche.« Ein lauter Schrei antwortete – ängstlich hin und wiederlaufende Schritte wurden drinnen laut und Niemand schien sich weiter um Lorenz zu bekümmern.

»Hm,« dachte dieser, »das is mer doch eene kuriose Geschichte – was se nur derbei haben? – wenn se nich bald kommen, bimmele ich noch eenmal.«

Schon hatte er die Hand zum zweitenmale nach der Klingel ausgestreckt, als es drinnen wieder laut wurde. Deutlich konnte er die Schritte einer Anzahl von Personen hören, die auf die Saalthür zukamen und diese wurde endlich wieder halb geöffnet.

Wenn Lorenz nicht selber so erschreckt gewesen wäre, hätte er gern gelacht, denn auf dem Gang drinnen stand die wunderlichste Procession, die er in seinem ganzen Leben gesehen. Vorn ein Herr mit einem dicken rothen Gesicht und feuerrothem Backenbart, einem sehr schmutzigen Schlafrock, darunter die zusammengebundenen Unterhosen und ein Paar niedergetretene Pantoffeln. Hinter ihm stand eine Dame, ebenfalls im höchsten Morgennegligée mit weißer Nachtjacke und Unterrock. Rechts und links von diesen beiden drängten sich zwei Dienstboten herbei, Neugierde und Furcht in den bleichen Gesichtern und vier oder fünf Kinder schauten dazu mit den noch ungewaschenen und ungekämmten Köpfen vor, wo sie irgend Raum finden konnten diese durchzuschieben.

»Telegrafische Depesche für Herrn Doctor Müller,« sagte Lorenz, um diesmal keine Verwechslung des Namens möglich zu machen.

»Müller? – Holzkopf!« schrie aber der Herr im Schlafrock und warf die Thür von innen wieder dermaßen in's Schloß, daß Lorenz kaum Zeit behielt zurückzuspringen.

Etwas erstaunt blieb er, mit seiner Depesche in der Hand, jetzt an der Schwelle stehn, fing aber doch nun an zu glauben, daß die ganze Sache irgend etwas Furchtbares und Gefährliches in sich trage, das mit den geheimnißvollen Telegraphendrähten natürlich in directer Verbindung stehen mußte, und daß jetzt mehr als je daran liege, die richtige Person dafür zu finden. Vor allen Dingen suchte er deshalb, ehe er sich weiteren Mißverständnissen aussetzte, die Wohnung des besagten Doctor Müller ausfindig zu machen und der Zeitungsjunge, der eben das Tageblatt brachte, diente ihm dabei als untrügliche Quelle.

»Doctor Müller?« sagte dieser – »eine Treppe höher, können gleich das Tageblatt mit hinaufnehmen – doch Treppen genug zu laufen.«

Lorenz übernahm die Besorgung und befand sich bald zu seiner innigen Beruhigung an der rechten Thür. Ein kleines weißes Schild mit dem Namen des Dr. Müller darauf zeigte ihm, daß er sein Ziel erreicht habe.

An dieser Vorsaalthür war keine Schelle. Er klopfte erst ein paar Mal, und da ihm Niemand antwortete, drückte er die Klinke nieder und trat ein. Auf dem Vorsaal sah er auch Niemanden und die Küche stand leer, in der nächsten Stube hörte er aber Stimmen, ging dort hinüber und klopfte an.

Wie sich die Thür öffnete glänzte ihm ein mit Blumen, Torten und Geschenken bedeckter Tisch entgegen und eine junge allerliebste kleine Frau frug ihn freundlich was er wünsche. Lorenz, der außerordentlich gutmüthigen Herzens war, dachte aber mit Zagen an die Verwirrung, die er parterre und im ersten Stock schon angerichtet hatte und wünschte, mit dem unbestimmten Bewußtsein, daß er der Träger irgend einer furchtbaren Nachricht wäre, diese der jungen hübschen Frau so vorsichtig als möglich beizubringen.

»Ach heren Se,« sagte er deshalb – »erschrecken Sie nich – es is Sie was vom Telegrafen.«

Die junge Frau sah ihn stier an, hob langsam den rechten Arm in die Höh und brach mit dem kaum hörbaren Schrei: »Er ist todt!« bewußtlos zusammen. Ihr Gatte hatte auch in der That kaum Zeit sie aufzufangen und vor einem vielleicht schlimmen Sturze zu bewahren.

»Um Gottes Willen, was ist?« frug er dabei den wie halb vom Schlag gerührten Depeschenträger »eine Telegraphische Depesche? – woher?«

»Nun, da Sie's doch schon einmal wissen,« sagte Lorenz, inniges Mitleid in den erschreckten Zügen – »es is Sie richtig vom Telegrafen.«

Der junge Mann trug sein armes, bewußtloses Frauchen auf das Sopha, wo er sie den Händen der jammernd herbeistürzenden Schwiegermutter übergab. Das Kind, das die Wärterin auf dem Arme trug, fing dabei an zu schreien, die Köchin war ebenfalls herein gekommen und stand schluchzend und händeringend an der Thür und mit zitternden Händen erbrach jetzt Dr. Müller die Depesche, deren Buchstaben ihm im Anfang vor den Augen flirrten und tanzten. Endlich las er leise vor sich hin:

Herzlichen Glückwunsch – heutigen Geburtstag – noch oft wiederkehren – Alle wohl – tausendmal grüßen – liebe Frau auch. Inniger Freundschaft
Mehlig.

Erst am Schluß und wie ihm das Bewußtsein dämmerte um was es sich hier handele, knitterte er das Papier in der Hand zusammen, drehte einen Ball daraus und schleuderte diesen mit aller Gewalt auf den Boden.

»Ist er todt?« sagte Lorenz in theilnehmendem Mitgefühl.

»Gehen Sie zum Teufel,« rief Dr. Müller in leicht verzeihlichem Aerger – »Sie und Ihre telegraphische Depesche – solchen Glückwunsch möcht ich mir nächstes Jahr noch einmal zum Geburtstag wünschen – meine arme Frau kann den Tod davon haben.«

»Bitte tausendmal um Entschuldigung,« sagte Lorenz, Niemand bekümmerte sich aber mehr um ihn, denn die Uebrigen waren jetzt sämmtlich um die Ohnmächtige beschäftigt, so daß er die Gelegenheit für passend hielt, sich so rasch und unbemerkt als möglich zu entfernen. Durch das Haus mußte er aber noch einmal förmlich Spießruthen laufen.

»Ach Sie Unglücksvogel,« sagte das Kindermädchen, das ihm mit einer Vase frischen Wassers, um der Frau zu helfen, an der Thür begegnete.

»Das nächste Mal erkundigen Sie sich vorher nach dem Namen, Sie Dingsda« – sagte der Herr in dem schmutzigen Schlafrock, der an der Saalthür in der ersten Etage ganz besonders auf ihn gewartet haben mußte, als er dort rasch und geräuschlos vorbeigleiten wollte, und unten in der Hausflur saß die Mamsell noch immer bei den Scherben, die sie vergebens zusammenpaßte.

Auch diese empfing ihn wieder mit einer Fluth von Vorwürfen, Lorenz aber hielt sich nicht auf und floh aus dem Haus hinaus, als ob er hätte stehlen wollen und dabei erwischt worden wäre.

Erst nach langer Zeit gewöhnte er sich auch an diese unausbleiblichen Folgen derartiger Depeschen, und als ich ihn neulich sprach, hatte er sogar eine Art statistischer Tabelle aufgestellt, nach der er berechnet haben wollte, daß durchschnittlich auf je vier telegraphische Depeschen – denn nicht alle laufen so unglücklich ab, – eine Ohnmacht und zwei zerbrochene Tassen, nur auf die sechste oder siebente aber ein ernstlicher Unfall folge.

»S'is was Scheenes um en Telegrafen,« sagte er dabei, »aber Gott bewahre Eenen vor ener telegrafischen Depesche!«

Der Polizeiagent

I
Im Packwagen

Es war im Juli des Jahres 18–, als der von Cassel kommende Schnellzug in Guntershausen hielt und dort solch eine Unzahl von Passagieren vorfand, daß die Schaffner kaum Rath und Aushilfe wußten. Alle Welt befand sich aber auch gerade in dieser Zeit unterwegs und die Züge – da das andauernd schlechte Wetter bisher die Reisenden zurückgehalten – waren bei dem ersten warmen Sonnenstrahl gar nicht auf einen so plötzlichen Andrang berechnet gewesen.

Uebrigens machte man möglich, was eben möglich zu machen war. Alle vorhandenen Wagen wurden eingeschoben, jeder noch freie Platz dritter Klasse – zum großen Aergerniß mit Hutschachteln und Reisetaschen reich bepackter Damen – auf das gewissenhafteste ausgefüllt und dann in die zweite, ja sogar selbst in die erste Klasse hineingeschoben was eben hineinging. Die nächsten Stationen nahmen ja auch wieder Reisende ab, und nach und nach regulirte sich alles.

Durch diesen Aufenthalt hatte sich der Schnellzug aber auch um eine gute halbe Stunde verspätet und war eben zum Abfahren fertig, als noch ein leichter Einspänner angerasselt kam und ein einzelner Herr, eine kleine lederne Reisetasche in der Hand, heraus und darauf zusprang.

»Zu spät,« rief ihm der Oberschaffner entgegen und gab den verhängnißvollen schrillenden Pfiff; »wir haben alle Personenwagen besetzt.«

Der Fremde, der augenscheinlich kein Neuling auf Reisen war, warf einen raschen, prüfenden Blick über die lange Wagenreihe und sah Kopf an Kopf in den Fenstern – aber die Schiebethür des Packwagens stand noch halb geöffnet.

»Dann werde ich mich bis zur nächsten Station bei den Koffern einquartiren,« lachte er und ohne die Einwilligung des Schaffners abzuwarten, der übrigens auch nichts dagegen hatte, sprang er auf den Wagentritt und in den Packwagen hinein. Bei einem solchen Andrang von Personen mußte sich ein jeder helfen so gut er eben konnte.

»Das ist eigentlich nicht erlaubt –« sagte der Packmeister; aber der Fremde kannte genau die Sprache, die hier alleinige Geltung hatte, und dem Packmeister ein Stück Geld in die sich unwillkürlich öffnende Hand drückend, lachte er:

»Ich führe ganz vortreffliche Cigarren bei mir und wenn ich nicht im Wege bin, erlauben Sie mir wohl eine Viertelstunde Ihnen hier Gesellschaft zu leisten.«

»Haben Sie denn ein Billet?« frug der Mann und sein Gefühl sagte ihm, daß er ein großes Silberstück in der Hand hielt.

»Noch nicht – ich bin eben erst, wie der Zug abgehen wollte, mit einem Einspänner von Melsungen herüber gekommen. Mein Billet nehme ich auf der nächsten Station.«

»Na da setzen Sie sich nur da drüben auf den Koffer, in Treysa gibt's Platz,« bemerkte der Packmeister, während der Fremde seine Cigarrentasche herausnahm und sie dem Manne hinhielt.

»Mit Erlaubniß – danke schön« – die Bekanntschaft war gemacht, der Zug überdies in Bewegung und der Passagier, bis ein anderer Platz für ihn gefunden werden konnte, rechtsgültig untergebracht.

Eine Cigarre wirkt überhaupt oft Wunder und die Menschen, die sich diesen Genuß aus ein oder dem andern Grunde versagen, wissen und ahnen gar nicht, wie sehr sie sich oft selber dadurch im Lichte stehen. Mit einer Cigarre ist jeder im Stande, augenblicklich auf indirecte Art eine Unterhaltung anzuknüpfen, indem man nur einen Reisegefährten um Feuer bittet. Ist dieser in der Stimmung, darauf einzugehen, so giebt er die eigene Cigarre zum Anzünden. Paßt es ihm aber nicht, so bleibt ihm immer noch ein Ausweg – er reicht dann dem Bittenden einfach ein Schwefelholz. Der Empfänger dankt, zündet seine Cigarre an, wirft das Holz weg und betrachtet sich als abgewiesen.

Mit einer dargebotenen Cigarre gewinne ich mir außerdem das Herz unzähliger Menschen, die der nicht rauchende Reisende in gemeiner Weise durch schnöde Fünf- und Zehn-Groschenstücke gewinnen muß. – Sitz' ich auf der Post neben dem Postillion auf dem Bock, so öffnet mir eine Cigarre sein ganzes Herz; ich erfahre nicht allein die außerordentlichen Eigenschaften seiner Pferde, sondern auch die Familiengeheimnisse des Posthalters und erweiche ich dasselbe sogar noch mit einem Glase Bier, so liegt sein eigenes Innere offen vor mir da. Selbst der gröbste Schaffner wird rücksichtsvoll, sobald er die ihm dargereichte Cigarrentasche erblickt – man soll nämlich derartigen Leuten nie eine einzelne Cigarre hingeben, weil sie außerordentlich mißtrauisch sind und leicht Verdacht schöpfen können, man führe besondere »Wasunger« Sorten bei sich für solchen Zweck und das verletzt ihr Ehrgefühl.

Auch der Packmeister war gesprächig geworden – die Cigarre schmeckte ausgezeichnet – und erzählte von dem, was ihm natürlich am nächsten lag, von der ewigen unausgesetzten Plackerei, so daß man seines Lebens kaum mehr froh werden könnte. Die ganze Welt reise jetzt – wie er meinte – in die Bäder. Er reiste auch in einem fort – alle Wochen drei Mal in die Bäder, kam aber nie hin und hatte kaum Zeit, sich Morgens ordentlich zu waschen, viel weniger zu baden. In seinem Packwagen stecke er dazu wie eine Schnecke in ihrem Haus, nur daß die Schnecke nicht ununterbrochen Koffer und Hutschachteln ein- und auszuladen hätte. »Sehen Sie« – setzte er dann hinzu – »so gewöhnt man sich aber daran, daß ich schon Nachts in meinem eigenen Bett – wenn ich meine Nacht daheim hatte und ich schlafe dicht am Bahnhof – im Traum, sowie ich nur die verdammte Locomotive pfeifen hörte, Bettdecke und Kopfkissen in die Stube hineingefeuert habe, weil ich glaubte, es wäre Station und ich müßte ausladen. Es ist Sie ein Hundeleben.«

Wieder pfiff diese nämliche Locomotive. Der Zug hielt an einer der kleinen Stationen und drei Koffer gingen hier ab, und ein anderer Koffer mit zwei Reisesäcken und eine Kiste kam hinzu. Der Fremde mußte aber noch sitzen bleiben, denn der Aufenthalt dauerte zu kurze Zeit, um ein Billet lösen zu können.

»Ich begreife nicht,« sagte der Fremde, »wie Sie sich da immer so zurecht finden, daß Sie gleich wissen was expedirt wird und was dableibt. Kommt da nicht auch oft ein Irrthum vor?«

»Doch selten,« meinte der Packmeister, indem er seine bei der Expedition ausgegangene Cigarre wieder mit einem Schwefelhölzchen anzündete – »man bekommt Uebung darin. Nur heute wär mir's in dem Wirrwarr bald schief gegangen, denn in Guntershausen hatte ich aus Versehen den nämlichen Koffer hinausgeschoben, auf dem Sie da sitzen. Glücklicherweise kriegte ihn der Eigenthümer noch zur rechten Zeit in die Nase – und das bischen Spectakel, was der machte! Aber es war ja noch kein Malheur passirt und so schoben wir ihn wieder herein. Den Packmeister möchte ich überhaupt sehen, dem nicht schon einmal ein falscher Koffer entwischt ist – der Telegraph bringt das aber alles wieder in Ordnung. – Staatseinrichtung das mit dem Telegraphen.«

Der Fremde hatte sich, während der Mann sprach fast unwillkührlich den Koffer angesehen, auf dem er saß, und stand jetzt auf und las das kleine Messingschild. Es enthielt nur die zwei Worte »Comte Kornikoff

»Und wie sah der Herr aus, dem der Koffer gehörte?« frug er endlich.

»Oh, ein kleines, schmächtiges Männchen,« meinte der Packmeister, »mit einem pechschwarzen Schnurrbart und einer blauen Brille.«

»Wohin geht denn der Koffer heute?«

»Nach Frankfurt – ich war ja ganz confus und glaubte, er ginge nach Cassel, weil ich gestern den Packwagen dorthin hatte.«

Wieder pfiff die Locomotive und während der Packmeister von seinem Geschäft in Anspruch genommen wurde, betrachtete der Fremde das Schild noch genauer, aber er sprach nichts weiter darüber und da sie gleich darauf in Treysa hielten, mußte er dort aussteigen und ein Billet lösen. Hier war auch eine große Zahl von Passagieren abgegangen und Platz genug geworden.

»Wohin fahren Sie?«

»Frankfurt –«

»Die vorderen Wagen.«

Der Fremde schritt an der Reihe hinauf und sah in die verschiedenen Coupés hinein. In dem einen saß ein Herr und eine Dame. Der Herr trug eine blaue Brille. Er öffnete sich selber die Thür, stieg ein, grüßte und nahm dann in der einen Ecke Platz.

Der Herr mit der blauen Brille schien das nicht gern zu sehen – er schaute aus dem Wagenfenster als ob er einen Schaffner herbeirufen wollte, und warf dann einen forschenden Blick auf den Fremden. Dieser aber kümmerte sich nicht darum, legte seine kleine Reisetasche in das Netz hinauf und machte es sich dann vollkommen bequem.

»Bitte, Ihr Billet, mein Herr –«

»Hier –«

»Sie haben aber erste Klasse.«

»Es sitzen einige Damen erster Klasse,« sagte der Fremde, »und da ich den Herrn da rauchen sah, nahm ich hier Platz. Die Dame wird mir wohl das Anzünden einer Cigarre erlauben.«

Die letzten Worte waren, wie halb fragend an die Dame gerichtet, deren Gesichtszüge sich aber nicht im Geringsten dabei veränderten. Sie mußte den Sinn derselben gar nicht verstanden haben.

Der Schaffner coupirte das Billet und die Passagiere waren allein; da aber der Fremde der Artigkeit Genüge leisten wollte, nahm er seine Cigarrentasche heraus und aus dieser eine Cigarre und sagte dann noch einmal, sich an den Herrn wendend:

»Die Dame scheint meine Frage nicht verstanden zu haben. Sie erlaubt mir wohl, daß ich rauche?«

»Sprechen Sie Englisch?« frug der Herr in dieser Sprache zurück – »ich verstehe kein Deutsch –«

»Ich muß sehr bedauern,« sagte der Fremde achselzuckend, aber wieder in deutscher Sprache. Die Unterhaltung war dadurch unmöglich geworden, die Pantomine indeß zu deutlich gewesen und der Herr mit der blauen Brille reichte dem, wie es schien eben nicht willkommenen Reisegefährten seine brennende Cigarre zum Anzünden, die dieser dankend annahm und dann zurückgab.

Die Dame hatte den Kopf halb abgewandt und sah zu dem geöffneten Fenster hinaus. Der Fremde warf unwillkürlich den Blick nach ihr hinüber und mußte sich gestehen, daß er selten, wenn je in seinem Leben, ein schöneres Gesicht, regelmäßigere Züge, feurigere Augen und einen tadelloseren Teint gesehen habe. Und wie schön mußte das Mädchen oder die Frau erst sein, wenn sie lächelte, denn jetzt zog eine Mischung von Trotz und Stolz – vielleicht der Unwille über des Fremden Gegenwart, die fein geschnittenen Lippen zusammen und gab dem lieben Antlitz etwas Finsteres und Hartes, was ihm doch sonst gewiß nicht eigen war.

Ein kurzes Gespräch entspann sich jetzt zwischen dem Herrn und der Dame, auf welches der Fremde aber nicht zu achten schien, denn er nahm ein Eisenbahnbuch aus der Tasche und blätterte darin. Die Dame sagte, ohne jedoch den Blick von der Landschaft wegzuwenden, ebenfalls in englischer Sprache:

»Wer ist der Fremde?«

»Ich weiß es nicht,« lautete die Antwort, »aber wir brauchen uns seinetwegen nicht zu geniren; er versteht kein Englisch.«

»Aber er sieht englisch aus.«

»Bewahre,« lachte der Mann – »er hat auch nicht ein einziges englisches Stück Zeug an seinem Körper – die Reisetasche ist ebenfalls deutsch, gerade so wie sein Handbuch.«

»Er ist lästig, wir hätten erster Classe fahren sollen.«

»Liebes Herz, das schützt uns nicht vor Gesellschaft, denn der Herr hat ebenfalls ein Billet erster Classe und ist nur hier eingestiegen, weil er mich rauchen sah.«

»Dein fatales Rauchen.« – Die Unterhaltung stockte und der Herr mit der blauen Brille warf noch einen prüfenden Blick nach seinem Reisegefährten hinüber, der aber gar nicht auf ihn achtete und sich vollständig mit seiner Cigarre und seinem Buch beschäftigte. Nur dann und wann hob er den Blick und schaute nach beiden Seiten auf die Landschaft hinaus und streifte dann damit, wenn auch nur flüchtig, den Fremden.

Es war eine kleine, aber zierliche schlanke Gestalt, sehr elegant, aber fast zu sorgfältig gekleidet, auch mit mehr Schmuck als ein wirklich vornehmer Mann zu zeigen pflegt. Die Hände aber hatten etwas wirklich Aristokratisches – sie waren weiß und zart geformt und wenn er den Mund zum Sprechen öffnete, zeigte er zwei Reihen auffallend weißer Zähne. Sein Haar war braun und etwas gelockt, der Schnurrbart aber von tiefer Schwärze, jedenfalls gefärbt. Die Augen ließen sich nicht erkennen, da sie von der blauen Brille bedeckt wurden. Trotzdem aber, daß er nur englisch zu sprechen schien, war er vollkommen nach französischer Mode gekleidet. Nur die junge Dame trug in ihrem Putz und Reiseanzug den entschieden englischen Charakter, wie auch entschieden englische Züge. Ihren Begleiter würde man weit eher für einen Franzosen als für einen Sohn Albions gehalten haben.

Mehrere Stationen blieben die Drei allein in ihrem Coupé. Die Dame war müde geworden und hatte – soweit es die Bewegung des Wagens erlaubte – ein wenig geschlafen. In Gießen aber kamen noch eine Anzahl Passagiere hinzu und zwei von diesen, ein Herr und eine Dame, stiegen in dies nämliche Coupé. Wieder ein Paar Engländer und die Dame, wenn auch schon ziemlich in den Jahren, doch mit den unvermeidlichen, langen Hobelspahnlocken, die ihr vorn fast bis zum Gürtel nieder hingen; der Herr mit einem breitränderigen, schwarzen Filzhut, einem kleinen, sehr mageren Schnurrbart und einer Cigarre im Munde – lauter continentale Reiseerinnerungen, die wieder fallen müssen, sobald der Eigenthümer derselben den Boden seines Vaterlandes aufs neue betritt.

Wenn sich die beiden Herren aber auch ziemlich kalthöflich gegeneinander verneigten, so schienen die Damen dagegen schon beim ersten Blick die gemeinsame Nationalität erkannt zu haben, und kaum saß die Neuhinzugekommene, als sie auch ein lebhaftes Gespräch mit ihrer jungen Nachbarin begann, an dem sich diese ebenfalls zu freuen schien, denn ihr Gemahl oder Begleiter hatte sie wenig genug unterhalten.

Engländer auf dem Continent – wie könnte es ihnen auch an Stoff zur Unterhaltung fehlen – Vereinigt sie nicht ein gemeinsames Leid und Elend? Werden sie nicht gleichmäßig von allen Wirthen, Kellnern, Droschkenkutschern, Gepäckträgern und Lohnbedienten geprellt, und kann ein wirklicher Engländer ohne Lohnbedienten auf dem Continent durchkommen, denn spricht er je die Sprache des Landes, auf dem er eine freie Zeit zubringen will? – Unter hunderten kaum einer.

Das Gespräch – sowie nur die ersten Fragen über woher und wohin erledigt waren, drehte sich auch nur um diesen Gegenstand, und der Herr mit dem breitkrämpigen Hut nahm bald lebhaften Theil daran.

Er kam mit seiner Frau natürlich von London, hatte vier Wochen zur Reise bestimmt, zwei davon schon nützlich verwandt, und schien fest entschlossen, auch die andern beiden noch daran zu setzen, um sich in jeder nur erreichbaren Stadt Deutschlands über die Wirthe im Einzelnen und das Volk im Allgemeinen zu ärgern, und dann mit dem stolzen Bewußtsein nach Hause zurückzukehren, daß es doch nur ein England in der Welt gäbe.

Die junge Frau kam, wie sie sagte, mit ihrem Mann von Hannover, wo sie ein Jahr bei Freunden zugebracht. Sie beabsichtigten jetzt auf einen Monat nach Frankfurt oder auch vielleicht in ein benachbartes Bad zu gehen, um ihre Gesundheit, die durch den längeren Aufenthalt in dem rauhen Lande angegriffen sei, wieder herzustellen.

»Und wo werden Sie in Frankfurt wohnen?«

Sie wußten es noch nicht – der Herr mit dem breiträndrigen Hut schlug die »Stadt Hull« als ein sehr billiges, ihm besonders empfohlenes Gasthaus vor. Uebrigens könne man ja vorher über den Preis von »board and lodging« akkordiren – er thäte das immer, wenn es auch ein wenig »schäbig« aussehe – den deutschen Wirthen gegenüber sei man sich das aber schuldig.

Beide Parteien beschlossen deshalb, in Stadt Hull zu übernachten und gemeinschaftlich zu essen – »es sei das billiger.« Morgen konnte man dann auch zusammen einen Lohnbedienten nehmen, und sparte dadurch die halbe Auslage – der morgende Tag würde überhaupt ein sehr angestrengter werden, denn es gab in Frankfurt – nach Murray – eine Unmasse von Sehenswürdigkeiten, die nun einmal durchgekostet werden mußten, wenn man nicht die Reise umsonst gemacht haben wollte.

Der Herr mit der blauen Brille hatte sich nicht sehr an der Unterhaltung betheiligt. Er schien keine Freude daran zu finden. Auch die Aufforderung, gemeinsam in Stadt Hull zu logiren, beantwortete er zweideutig, während die junge Dame augenblicklich bestimmt zusagte. Dann lehnte er sich in seine Ecke zurück und schlief – er verhielt sich wenigstens von da an vollkommen ruhig, wenn man auch der blauen Brillengläser wegen nicht einmal sehen konnte, ob er nur die Augen geschlossen hielt.

Es war indessen dunkel geworden – die übrigen Passagiere wurden ebenfalls müde, und nur auf der vorletzten Station unterbrach der Schaffner noch einmal die Stille, indem er die Billete nach Frankfurt abforderte.

Der Fremde mit der blauen Brille schien wirklich eingeschlafen zu sein. Er fuhr, als ihn der Schaffner, der neben ihm durch das Fenster sah, auf die Schulter klopfte, ordentlich wie erschreckt in die Höhe und sah sich wild und verstört um – er hatte jedenfalls geträumt, und suchte dann, als er begriff was man von ihm wolle, in der Westentasche nach seinem Billet.

Ein kleiner weißer Streifen Papier fiel dabei auf die Erde und der Fremde mit der Reisetasche, der jenem schräg gegenüber saß, stellte den Fuß darauf. Dann war wieder alles still; der mit der blauen Brille lehnte sich in seine Ecke zurück und sein halbes Vis-à-vis nahm sein Taschentuch heraus, ließ es wie zufällig fallen und hob den Zettel damit auf – es war der Gepäckschein.

Bald darauf rasselte der Zug mit einem markdurchschneidenden Pfeifen – daß Einem die eigene Lunge weh that, wenn man es nur hörte – in den Frankfurter Bahnhof ein, und der Fremde mit der kleinen Reisetasche war der erste, der aus dem Wagen sprang und zu dem Güterkarren eilte. Hatte er indessen unredliche Absichten dabei gehabt, so sollte er die vereitelt sehen, denn es dauerte eine Ewigkeit, bis der, wie es schien, wohlgemerkte Koffer, auf den der Schein lautete, zum Vorschein kam, und bis dahin war der rechtmäßige Eigenthümer schon ebenfalls herbei gekommen und erkannte sein Gepäck. Vergebens suchte er indessen in allen Taschen nach seinem Schein und fluchte auf deutsch, englisch und französisch, daß ihm die Beamten sein Gepäck nicht ohne denselben ausliefern wollten.

Der Fremde hatte sich etwas zurückgezogen und stand im Schatten eines Pfeilers – jedenfalls machte er da die Entdeckung, daß der Herr mit der blauen Brille nicht allein vollkommen gut deutsch, sondern auch französisch sprach, und sich in beiden Sprachen erbot, seine Koffer zu öffnen und dadurch zu beweisen, daß er der Eigentümer sei.

Der Inspektor kam endlich heran und ersuchte ihn sehr artig, nur so lange zu warten, bis das übrige Gepäck fortgenommen sei; wenn er dann die passenden Schlüssel producire, möge er seine Koffer mit fortnehmen.

Der Fremde zeigte Anfangs viel Ungeduld, und erklärte mit dem nächsten Zuge nach Mainz noch weiter zu wollen, der Inspektor bedeutete ihm aber, daß er dann hätte besser auf seinen Gepäckschein Acht geben sollen – den Zug nach Mainz erreiche er indessen doch nicht mehr, da derselbe schon vor einer Viertelstunde abgegangen, weil sich der Schnellzug verspätet habe. Es blieb ihm zuletzt kein anderer Ausweg, als dem gegebenen Rath zu folgen, und als seine Koffer wirklich zurückgeblieben, und er sich durch seine Schlüssel als der rechtmäßige Eigenthümer legitimiren konnte, bekam er endlich sein Gepäck und ließ es – einen großen und einen kleineren Koffer – in die durch die Dame schon in Besitz genommene offene Droschke schaffen.

Dicht dahinter hielt noch eine verschlossene Droschke ohne Gepäck; sonst hatten sämmtliche Wagen, selbst die Omnibusse, schon die Bahn verlassen, und der Kutscher fuhr jetzt, auf die Anweisung des Reisenden, nicht nach der Stadt Hull, sondern nach dem »Hôtel Methlein

Die andere Droschke folgte in etwa zwanzig Schritt Entfernung nach, und hielt, als die erste in den Thorweg einfuhr. Ein Reisender mit einer kleinen Reisetasche in der Hand stieg aus, befahl dem Droschkenkutscher zu warten, und betrat dann zu Fuß das nämliche Hotel.

Dort angekommen legte der Reisende nur eben in dem ihm bezeichneten Zimmer sein geringes Gepäck ab, bestellte sich unten im Speisesaal etwas zu essen und verließ dann noch einmal das Hotel, um nach dem Telegraphenbureau zu fahren. Dort gab er folgende Depesche auf:

Mr. Burton, Union Hôtel, Hannover

Ist ein Graf Kornikoff ein Jahr in Hannover gewesen? – Fremdenliste nachsehen. Kommen Sie so rasch als möglich hierher. – Bin ich abgereist, liegt ein Brief im Hotel. –

H.

Dann kehrte er ins Hotel zurück und verzehrte sein Abendbrod, das ihm der Kellner brachte.

Der Saal war leer; nur vier Herren saßen an einem Tisch und schienen, schon ziemlich angetrunken, den Geburtstag des einen zu feiern, der mit schwerer Zunge noch eine Flasche moussirenden Rheinwein bestellte. Um den Fremden bekümmerte sich Niemand.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 сентября 2017
Объем:
220 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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