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Читать книгу: «Unter Palmen und Buchen. Erster Band.», страница 3

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»Soll ich was?«

»Wie Sie vorhin zurückkamen, ist Ihnen da Niemand im Haus begegnet?«

»Doch, Herr Justizrath –«

»Nun siehst Du, liebes Kind – und wie sah er aus?«

»Er!« sagte die Köchin etwas erstaunt – »es war die Heßbergern, dem Schuhmacher seine Frau von oben, die noch einmal unten in den Laden ging, um für ihren Mann Branntewein zu holen. Der kriegt Abends immer Durst, und sie trinkt dann auch mit.«

»Unsinn,« brummte der Justizrath – »was geht mich die Frau an – ich will wissen, ob Sie im Haus keinem Mann begegnet sind?«

»Einem Mann?«

»Einem anständig gekleideten Herrn in einem grauen oder dunklen Rock, der hier oben bei mir war?«

»Ich habe Niemanden gesehen,« sagte das Mädchen erstaunt mit dem Kopf schüttelnd »und so lange ich hier oben bin, ist auch Niemand fortgegangen, denn ich habe die Thür gleich hinter mir zugeriegelt und die Kette vorgehangen.«

Die Frau nickte leise vor sich hin, Bertling aber, ärgerlich darüber, daß er eine verfehlte Zeugenaussage veranlaßt, rief:

»Nun, denn ist er vorher gegangen; die Rieke kann ihm auch eigentlich gar nicht begegnet sein, denn er muß doch eine ganze Weile früher die Stube verlassen haben. So viel bleibt sicher, in den Boden hinein ist er nicht verschwunden – gehen Sie nur wieder an Ihre Arbeit Rieke – es ist gut –.«

Die Rieke zog sich an das Heiligthum ihres Heerdes zurück, griff dort die Wassereimer auf und ging nach dem Brunnen hinunter, um frisches Wasser zu holen. Unten im Haus begegnet ihr des Schusters Frau und das Mädchen, mit dem eben bestandenen Examen noch im Kopf sagte zu dieser:

»Haben Sie denn vorhin einen Mann gesehen, Heßbergern, der von uns herunterkam, wie Sie aus dem Haus gingen?«

»Ich? – nein,« sagte die Frau – »was für einen Mann?«

»Ja ich weiß es auch nicht, er soll einen grauen Rock angehabt haben.«

»Und was ist mit dem?«

»Gott weiß es,« brummte die Rieke – »er muß auf einmal weggewesen sein und Niemand hat ihn fortgehen sehen, und jetzt glaub ich, ängstigt sich die Frau darüber und ist sogar ohnmächtig geworden. – Na Nichs für ungut« und damit schwenkte sie mit ihren Eimern zur Thür hinaus.

Der Justizrath ging indessen ein paar Mal im Zimmer auf und ab, aber er dachte dabei nicht an den vollkommen gleichgültigen Fremden, sondern der Zustand seiner Frau beunruhigte ihn immer ernsthafter. So reizbar und erregt war sie noch nie gewesen, und während er geglaubt, daß sie all die alten Phantasieen längst und für immer vergessen hätte, fühlte er jetzt daß sie dieselben grade im Gegentheil still bei sich getragen und darüber vielleicht die ganze Zeit gebrütet habe. Wie um Gottes Willen konnte er ihr das nur aus dem Kopf bringen!

»Es ist doch merkwürdig« sagte die Frau endlich nach längerer Pause, »daß zwei Personen denselben Gegenstand gesehen haben sollten.«

»Gegenstand – Thorheit!« brummte aber der Justiz-Rath. »Thu' mir den einzigen Gefallen, liebes Kind, und sprich nicht von Gegenständen, wo es sich um eine einfache vollkommen gleichgültige Persönlichkeit handelt. Gedulde Dich nur eine kurze Zeit, der Mensch kommt wahrscheinlich morgen früh wieder zu mir, und dann erlaubst Du mir wohl, daß ich ihn Dir vorstellen darf –«

»Und bist Du wirklich überzeugt, daß es ein Mensch war?«

»Aber Auguste –«

»Hast Du ihn berührt?«

»Ich? – hm ich kann mich nicht besinnen – es war auch keine Gelegenheit dazu da, denn einem fremden Menschen giebt man doch nicht gleich die Hand – aber er ist doch wie andere Sterbliche hereingekommen.«

»Hat er sich selber die Thür aufgemacht?«

Der Justizrath sann einen Augenblick nach – »Nein« sagte er dann, »das konnte er nicht, sie war ja verschlossen – aber er muß sie selber wieder aufgemacht haben, um hinaus zu kommen; das wirst Du mir doch zugeben.«

Auguste war aufgestanden, ging auf den Justizrath zu, legte ihren rechten Arm um seinen Nacken und ihr Haupt an seine Brust lehnend, sagte sie leise und bittend:

»Sei nur nicht böse, Theodor, sieh ich kann ja Nichts dafür; und ich – mir möchte das Herz selber darüber brechen, aber – ich fühle es deutlich in mir, es ist eine Ahnung aus jener Welt, gegen die wir nicht ankämpfen können, mag sich der Verstand auch dawider sträuben wie er will. – Wenn mir der graue Mann zum dritten Mal erscheint – so sterb ich.«

»Auguste, ich bitte Dich um Gottes Willen« rief jetzt der Mann in Todesangst, indem er sie fest an sich preßte – »gieb nicht solchen furchtbaren Gedanken Raum. Sieh Kind, man hat ja Beispiele, daß Menschen nur allein einer solchen fixen Idee erlegen sind, wenn sie sich erst einmal in ihrem Geiste festgesetzt hatte. Erst war Trübsinn, dann Schwermuth die Folge und im Körper nahm Schwäche zu, je mehr jene Idee im Hirn seine verderblichen Wurzeln schlug.«

»Aber Du sprichst immer von einer Idee, Theodor,« sagte die Frau – »habe ich denn die Gestalt nicht zwei Mal deutlich gesehen, so deutlich, wie ich Dich selber hier vor mir sehe?«

»Das zweite Mal, ja, das gebe ich zu,« sagte der Mann in verzweifelter Resignation, und jetzt nur bemüht diese Phantasie durch Vernunftgründe zu bannen – »denn das unglückselige Menschenkind, das gerade in der Zeit zu mir kommen mußte – und ich wollte, Gott verzeih mir die Sünde, er hätte sonst was gethan – saß wirklich da. Aber das erste Mal, liebes gutes Herz mußt Du mir doch zugeben, daß es nur das Spiegelbild einer Deiner Träume gewesen sein kann.«

Die Frau antwortete nicht, schüttelte aber nur leise und kaum merklich mit dem Kopf.

»Sieh, liebes Kind,« fuhr Bertling, der die Bewegung an seiner Schulter fühlte, fort: »Du wirst mir doch zugeben, daß ein Geist – wenn wir wirklich annehmen wollen, es gäbe derartige Wesen, denen verstattet sei auf der Erde herumzuwandern und Unheil anzustiften – körperlos sein muß, also nur ein Hauch, verdichtete Luft höchstens. Was aber keinen Körper hat, kann man ja doch nicht sehen, wenigstens nicht mit unseren Augen, die ja doch auch nur körperlich sind.«

»Ich antworte Dir darauf durch ein anderes Beispiel,« sagte die Frau, sich von seiner Schulter emporrichtend. »Wir wissen doch, daß die Sterne am Himmel stehen, aber trotzdem sieht sie das Menschenauge am Tag nicht, mag der Himmel so rein sein wie er will – aber man hat Vorrichtungen für das Auge, wodurch man sie doch erkennen kann, und warum sollte nicht das Auge einzelner Menschen so beschaffen sein, daß sie einzelne Dinge sehen können, die Anderen unsichtbar bleiben.«

»Aber die Sterne sind auch Körper, liebes Herz, und noch dazu ganz respectable.«

»Du weichst mir aus,« rief die Frau, »und ich leugne, daß unser Auge nur allein für Körper geschaffen ist. Der Schatten ist kein Körper und wir sehen ihn doch.«

»Aber nur, wenn er auf einem Körper liegt, doch nie allein und selbständig in der Luft.«

»Ich habe auch jene Gestalt nicht frei in der Luft gesehen,« sagte die Frau, die fest entschlossen schien, den einmal gefaßten Gedanken auch festzuhalten, »sondern vielleicht nur auf dem Hintergrund der Wand –«

»Du bringst mich noch zur Verzweiflung, Herz, mit Deinem Gespenst,« sagte Bertling, während ein tiefer Seufzer seine Brust hob – »wer Dir nur in aller Welt die tollen Gedanken in den Kopf gesetzt haben kann.«

»Und nennst Du eine feste, innige Ueberzeugung mit diesem Namen, Theodor?«

»Meine liebe Auguste,« flehte der Mann dringend, »mißverstehe mich nicht. Ich will Dir ja bei Gott nicht wehe thun, aber wie in aller Welt soll ich Dich nur überzeugen, daß – daß Du Dich wirklich und wahrhaftig geirrt und ein körperliches Wesen mit einem geistigen in eine ganz unglückselige Verbindung bringst? – Aber das hätte Alles nichts zu sagen, Herz, denn von diesem Irrthum hoff' ich Dich mit der Zeit zu überzeugen; nur Das beunruhigt mich, und noch dazu in der peinlichsten Weise, daß sich bei Dir eine – ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll – eine solche unglückselige Idee festgesetzt hat, die Du für eine Ahnung nahen Todes hältst. Wenn Du mich nur ein ganz klein wenig liebst, so bekämpfe diesen Gedanken mit allen Kräften, und von dem Uebrigen fürchte ich Nichts für Dich. Willst Du mir das versprechen?«

»Aber lieber Theodor,« fragte die Frau – »kann man denn eine Ueberzeugung noch bekämpfen?«

Der Mann seufzte recht aus voller Brust. Endlich sagte er:

»Dagegen läßt sich nicht streiten, und wir können nur hoffen, daß der liebe Gott noch Alles zum Besten wendet. Ich selber werde mir aber jetzt die größte Mühe geben, um Dir den Patron, der mich heute Abend mit seinem Besuch beehrte, als ein sehr körperliches Wesen vorzustellen, und wenn ich erst einmal eine Flanke Deines Luftschlosses niedergerannt habe, dann hoffe ich auch mit dem Uebrigen fertig zu werden. Bis dahin bitte ich Dich nur um eins und das mußt Du mir versprechen: Dich nicht absichtlich trüben Gedanken hinzugeben, sondern sie, so viel das nur irgend in Deinen Kräften steht, zu bewältigen – das Uebrige findet sich dann. Thust Du mir den Gefallen?«

»Von Herzen gern,« sagte die Frau seufzend, »ach Du weißt ja nicht, Theodor, wie furchtbar schmerzlich mir selber das Gefühl ist und ich will ja gern Alles thun um es zu ersticken.«

»Dann wird auch noch Alles gut gehen, mein Kind,« erwiderte mit erleichtertem Herzen Bertling, indem er sie an sich zog und küßte – »und nun gilt es vor allen Dingen, meinen flüchtig gewordenen Besuch aufzutreiben, und da mir die Polizei zu Gebote steht, hoffe ich, daß das nicht so schwer sein soll.«

»Ich fürchte, Du wirst ihn nicht finden,« sagte Auguste.

»Das laß meine Sorge sein,« lächelte ihr Mann – »und nun wollen wir Thee trinken.«

Viertes Capitel
Die Kartenschlägerin

Bertling stand sonst nicht gern vor acht Uhr Morgens auf, und liebte es seinen Caffee im Bett zu trinken. Er gehörte auch zu den ruhigen Naturen, die sich durch kein Ereigniß, durch keine Sorge den Nachtschlaf rauben lassen, sondern Alles, was sie bedrücken oder quälen könnte, über Tag abmachen. Heute war er aber doch schon um sieben Uhr auf den Füßen und vollständig angezogen, und ging jetzt selber aus, um vor allen Dingen der Polizei eine genaue Personalbeschreibung seines gestrigen Besuches zu geben, wie ebenfalls eine gute Belohnung auf dessen Ausfindigmachung zu setzen. Natürlich durfte der Mann, wenn wirklich gefunden, durch Nichts belästigt werden; nur seinen Namen und seine Wohnung wollte er wissen, und ihn dann selber aufsuchen.

Die Polizei entwickelte auch eine ganz besondere Thätigkeit, denn zehn Thaler waren nicht immer so leicht zu verdienen. Nach allen Seiten breiteten sich ihre Diener aus und hatten auch in der That schon den ersten Tag in den verschiedenen Revieren einige zwanzig Leute aufgetrieben, die der gegebenen Beschreibung allenfalls entsprachen, den Justizrath aber in nicht geringe Verlegenheit setzten. Er bekam nämlich dadurch einige zwanzig Adressen von ihm völlig unbekannten Leuten, die in den verschiedensten Theilen der Stadt sämmtlich die 3te oder 4te Etage zu bewohnen schienen und wohl oder übel mußte er seine Wanderung danach beginnen, denn zu sich citiren konnte er sie natürlich nicht.

Wie man sich denken kann, fand er auch die Hälfte von ihnen nicht einmal beim ersten Besuch zu Haus, und wenn er sie fand, sah er sich wieder und wieder getäuscht, denn der Rechte war nicht unter ihnen. Vier Tage lang aber setzte er mit unverdrossener Mühe seine Versuche fort, immer aufs Neue getäuscht, aber immer auf's Neue hoffend, daß ihm der nächste Name den Gesuchten vorführen würde.

Dabei hegte er noch immer den stillen Glauben, daß der Mann, der an jenem Abend jedenfalls etwas von ihm gewollt, vielleicht sogar von selber wiederkehren würde – aber er sah sich darin ebenso getäuscht, wie in seinen eigenen Versuchen ihn aufzufinden. Der räthselhafte Mensch schien wie in den Boden hinein verschwunden.

Am Meisten beunruhigte ihn dabei seine Frau. Sie wußte recht gut, wen er die ganzen Tage über, mit Vernachlässigung aller seiner nothwendigsten Geschäfte, gesucht habe; nie aber, wenn er körperlich ermattet und geistig abgespannt zum Mittags- oder Abendbrot heim kam, frug sie ihn nach dem Resultat seiner heutigen Suche – sie schien das schon vorher zu wissen, sondern nickte nur immer still und schweigend mit dem Kopf, als ob sie hätte sagen wollen: Es ist ja natürlich – wie kannst Du ein Wesen in der Stadt finden wollen, das gar nicht auf der Erde körperlich existirt – und dem Justizrath war es dann jedesmal, als ob er wie ein Maschinenwerk frisch aufgezogen wäre, und die Zeit gar nicht erwarten könne, in der er wieder anfinge zu laufen.

Er war heute Nachmittag aber erst um vier Uhr fortgegangen, weil einige nothwendige Arbeiten erledigt werden mußten, um sieben Uhr hatte er außerdem eine Sitzung und seiner Frau gesagt, daß er heute nicht vor neun Uhr nach Hause kommen könne – wäre er aber im Stande sich früher loszumachen, so thäte er es sicher. Dann ging er jedoch zu Janisch hinüber und bat die junge Frau, ob sie heute Nachmittag nicht ein wenig die Freundin besuchen könne. Sie sei heute so merkwürdig niedergeschlagen, und da er durch nothwendige Geschäfte abgehalten wäre, würde es ihm eine große Beruhigung sein, wenn sie ihr Gesellschaft leisten wollte.

Die stets heitere und freundliche Hofräthin versprach das von Herzen gern, ja meinte, sie hätte es sich heute sogar schon selber vorgenommen gehabt, Augusten aufzusuchen, da sie – einen Scherz vorhabe bei dem sie ihre Mitwirkung wünsche.

»Sie sind ein Engel,« sagte der Justizrath mit einer, an ihm ganz ungewohnten Galanterie, denn durch die freundliche Zusage schien sich ihm eine Last vom Herzen zu wälzen, und vollständig versichert, daß seine Frau jetzt für den Nachmittag und Abend Zerstreuung und also keine Zeit habe, ihren trüben Gedanken nachzuhängen, ging er mit Ernst und gutem Willen auf's Neue an die undankbare Arbeit, eine unbestimmte Persönlichkeit, von der er weder Namen, Stand noch Wohnung wußte, in der ziemlich weitläufigen Stadt aufzusuchen.

Die Hofräthin Janisch hielt indessen Wort; kaum eine halbe Stunde später war sie drüben bei der Freundin und hatte ihr so viel zu erzählen und plauderte dabei so liebenswürdig, daß Auguste das sonst so schwer auf ihr lastende Gefühl endlich ganz vergessen zu haben schien. Bertling würde seine herzinnige Freude daran gehabt haben, wenn er sie in dieser Zeit hätte sehen können.

Indessen war die Dämmerung hereingebrochen. Eben aber wie Licht gebracht werden sollte, sagte Pauline:

»Hör einmal, liebes Herz, ich – ich habe etwas vor, bei dem Du mir helfen sollst – willst Du? – es ist nur ein Scherz.«

»Von Herzen gern, was ist es?«

»In Eurem Hause wohnt eine Frau – nun wie heißt sie doch gleich – eine Frau Heßling oder –«

»Heßberger? Das ist die Schuhmachers Frau, gleich über uns. Meinst Du die?«

»Ganz recht. Ihr Mann arbeitet für uns und die Frau – aber Du darfst mich nicht auslachen, Schatz – die Frau soll ganz vortrefflich Karten schlagen können.«

Auguste lächelte. »Ich habe auch schon davon gehört,« nickte sie leise vor sich hin, »und der Mann hat dabei die komische Eigenschaft, daß er das für eine Kunst des Teufels hält, es der Frau aber doch nicht verbietet, weil sie Geld damit verdient. Um aber das Unheil abzuwenden, das dadurch auf ihn fallen könnte, singt er jedes Mal, so lange die Frau mit solch unheiliger Beschäftigung hantirt, im Nebenzimmer und mit lauter Stimme geistliche Lieder, die in der Nähe schauerlich klingen müssen, denn schon aus der oberen Etage herunter haben sie uns oft zur Verzweiflung getrieben. Bei Gewittern macht er es ebenso.«

»Das stimmt Alles,« lächelte Pauline, »und jetzt wollte ich Dir nur mittheilen, Schatz, daß ich gesonnen bin, Dich diesen musikalischen Ohrenschmaus ganz in der Nähe genießen zu lassen.«

»Mich,« frug Auguste erstaunt – »was hast Du denn vor?«

»Nichts weniger« lachte Pauline, »als mir von Frau Heßberger heute Abend die Karten legen zu lassen und in dem dunklen Buche des Schicksals zu lesen, während ihr Gatte durch ein paar passende oder unpassende Gesangbuchverse die bösen Geister fern hält.«

»Aber Pauline –«

»Und Du sollst mich begleiten,« rief diese muthwillig – »ich will mich nicht umsonst schon die ganze Woche darauf gefreut haben.«

Auguste schüttelte nachdenkend mit dem Kopf – es war ihr nicht ganz recht; die Aufforderung kam ihr aber auch so unerwartet und plötzlich, daß sie nicht gleich einen richtigen Grund wußte, sie abzulehnen.

»Man soll doch eigentlich nicht mit den Geheimnissen der Zukunft sein Spiel treiben« sagte sie endlich leise.

»Aber Herzensschatz,« lachte Pauline, »Du glaubst doch nicht etwa, daß Frau Heßberger, die den ganzen Tag über Schuhe einfaßt, oder ihrem Gatten den Pechdrath zu seiner Arbeit zurecht macht, Abends eine wirkliche Sybille würde und mehr von den Geheimnissen der Zukunft errathen könnte, als wir anderen armen Sterblichen auch?«

»Wozu dann aber einen solchen Versuch machen?«

»Verstehst Du denn keinen Spaß?« lachte Pauline – »ich freue mich wie ein Kind darauf, ihre geheimnißvollen Zubereitungen zu sehen und die Orakelsprüche, während ihr Gatte den Teufel fern hält, – aus ihrem Munde zu hören. So was erlebt man doch nicht alle Tage, und bequemer wie wir es von hier aus haben, bekommt man es auch sobald nicht wieder.«

»Aber was sollen die Leute dazu sagen, wenn wir hinauf zu der Frau gehen?«

»Und wer braucht es zu erfahren? – Deine Rieke schickst Du ein paar Wege in die Stadt, wobei sie immer so viel für sich selber zu besorgen hat, daß sie doch vor einer Stunde nicht wieder kommt, und in der Hälfte der Zeit haben wir unseren Besuch gemacht.«

»Und wenn die Frau selber darüber plaudert?«

»Das thun derartige Leute nie, denn sie wissen, daß sie sich dadurch ihre ganze Kundschaft vertreiben würden. Wo es aber ihren eigenen Nutzen betrifft, sind solche Menschen klug genug. Thu mirs nur zu Gefallen, Auguste; ich habe mich schon so lange darauf gefreut und kann doch nicht gut allein hinauf gehen.«

»Wenn es mein Mann erfahren sollte, würde er böse darüber werden – ich kenne Bertling.«

»Lachen wird er,« rief Pauline »wenn wir ihm nachher die ganze Geschichte erzählen – es giebt ja doch einen Hauptspaß und Du darfst ihn mir nicht verderben. Außerdem brauchst Du Dir ja auch gar Nichts prophezeihen zu lassen, wenn Du irgend glaubst, daß es Deinem Mann – den ich übrigens für vernünftiger halte – fatal sein könnte. Du gehst nur als Ehrendame mit, setzest Dich ruhig auf einen Stuhl – oder wenn der nicht da sein sollte, auf einen Schusterschemel und hörst zu.«

Auguste lächelte still vor sich hin, als sie sich das Bild im Geist herauf beschwor, die muntere Freundin ließ auch mit Bitten nicht nach, und wußte alle ihre Bedenken so geschickt und mit solchem Humor zu beseitigen, daß sie sich endlich nicht länger weigern konnte und mochte, und Pauline sprang jetzt, fröhlich in die Hände schlagend ordentlich wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hat, in der Stube herum.

Ein Auftrag für Rieke, um diese zu entfernen, war bald gefunden und kaum sahen sie das Mädchen über die Straße gehen, als die beiden Frauen ihre Tücher umhingen und in die dritte Etage hinanstiegen.

Nach der Frau Heßberger aber brauchten sie nicht lange zu fragen, denn gleich rechts von der Treppe war die enge, dunkle Küche, in der die Dame eben beschäftigt schien die Abendsuppe anzurichten. Eine gewöhnliche Küchenlampe verbreitete ein mattes trübes Licht in dem niederen, eben nicht besonders sauber gehaltenen Raum, in den aber des Schusters Frau ganz vortrefflich hineinpaßte und sich auch wohl darin zu fühlen schien.

Wie sie die leichten Schritte auf der Treppe hörte, nahm sie aber mit der Rechten, während die Linke noch immer in der Suppe rührte, die Lampe auf und hielt sie über den Kopf, um darunter hinweg besser erkennen zu können, wer der fremde Besuch sei. – Unerwartet kam er ihr ja überhaupt nicht, denn es geschah gar nicht etwa so selten, daß sie von den verschiedensten Damen der Stadt und zwar von Damen jeden Ranges in der Gesellschaft, gerade um diese Zeit des Abends, oder auch noch später, aufgesucht und mit ihrer Kunst in Anspruch genommen wurde – und sie verdiente mehr damit wie ihr Mann, trotz allem Fleiß, mit Ahle und Draht.

Auguste schämte sich fast ein wenig des Besuchs und hielt sich noch immer scheu zurück, ihre keckere Freundin aber, die überhaupt die Leitung des Ganzen übernommen hatte, trat auf die Frau zu und wollte eben ihr Anliegen vortragen, als die Kartenschlägerin sie jeder Ansprache überhob, indem sie mit einer Höflichkeitsbewegung, die als ein Mittelding zwischen Knix und Verbeugung gelten konnte, sagte:

»Nun, da kommen Sie ja doch noch, Frau Hofräthin; habe Sie schon eine halbe Stunde erwartet, und dachte beinah es wäre etwas dazwischen gekommen. Bitte treten Sie näher Frau Justizräthin – freut mich ja recht sehr, Sie auch einmal oben bei mir zu sehen.«

Auguste erschrak beinahe, denn sie stand noch in dem halbdüsteren Vorsaal und zum Theil von der Freundin gedeckt, Pauline aber wandte ihr halblachend den Kopf zu und sagte dann:

»Schön, meine liebe Frau Heßberger, daß Sie uns erwartet haben; dann ist wohl auch bei Ihnen Alles hergerichtet?«

»Alles, beste Frau Hofräthin, Alles,« erwiderte aber Frau Heßberger, ohne sich außer Fassung bringen zu lassen. »Das versteht sich doch aber auch von selbst, wenn man so vornehmen Besuch erhofft; die Stühle sind schon zum Tisch gerückt; habe weiter nichts drin zu thun, wie nur die Lichter anzuzünden.«

Pauline wurde selber ein wenig stutzig, die Frau ließ ihr aber keine Zeit zu weiteren Fragen und nur mit den Worten: »Erlauben Sie, daß ich vorangehe« – öffnete sie die Thür zur Werkstätte, in welcher ihr Gatte und ein Lehrjunge hinter ein paar erleuchteten Glaskugeln arbeiteten.

Der alte Heßberger, eine kleine untersetzte Gestalt mit einer schwarzen, Gott weiß wie alten, fettglänzenden Mütze und eine Brille auf, kauerte auf seinem Schemel und schaute, als sich die Thür öffnete, von seiner Arbeit gar nicht auf. Mürrisch sah er vor sich nieder, und machte auch nicht den geringsten Versuch selbst zu irgend einer Art von Gruß. Der Besuch galt nicht ihm, so viel wußte er recht gut, weshalb also brauchte er sich darum zu kümmern.

Auch selbst der Lehrjunge warf nur einen raschen und scheuen Blick nach den Damen hinüber, denn der gegenüber sitzende Meister beobachtete ihn über die Brille weg dann und wann, und ein, auf dem offenen Gesangbuch dicht neben ihm liegender Knieriem mochte wohl eine versuchte Neugier von seiner Seite schon manchmal auf frischer That ertappt und bestraft haben.

Es ist möglich, daß das mürrische Temperament des Alten die einzige Ursache dieser Gleichgültigkeit war, viel wahrscheinlicher aber, daß er es eher aus Rücksichten für den Besuch selber unterließ, von diesem die geringste Notiz zu nehmen, oder nehmen zu lassen, denn er wußte recht gut, daß die Damen, die solcher Art bei Nacht und Nebel zu seiner Frau kamen, nicht erkannt und am Liebsten gar nicht gesehen sein wollten – warum ihnen also nicht darin willfahren, da sie doch immer gut bezahlten.

Die Frau bog indessen rasch zwischen einem Haufen der verschiedensten Leisten und Lederstücke und dem Ofen hindurch nach der dort befindlichen Thür, öffnete diese und entzündete zwei auf dem mit einer alten verwaschenen Caffeeserviette bedeckten Tisch stehende Talglichter; Auguste und Pauline waren ihr indeß gefolgt, und ehe sie die Thür hinter ihnen schloß, rief sie nur noch dem Lehrjungen zu, die Suppe für den Meister herein zu holen und drehte dann den Schlüssel im Schloß um.

Pauline, während ihre Freundin kaum aufzuschauen wagte, sah sich indessen in dem kleinen Gemach um, das allerdings nicht glänzend genannt werden konnte, aber doch sehr zu seinem Vortheil gegen Küche und Werkstätte abstach.

Es war ein nicht sehr großes Gemach, das allem Anschein nach zum Wohn- und Schlafzimmer der Eheleute diente. Zwei Betten standen – Fuß- und Kopfende an der einen Wand, durch nichts als ein paar alte Decken von buntem Kattun verhüllt. An den Fenstern hingen aber Gardinen, ja standen sogar zwei Blumentöpfe mit den ersten Kindern des Frühlings, Primeln und Hyacinthen, und an beiden Seiten des kleinen Spiegels, aus dem eine Ecke fehlte, waren ein paar schauerliche Oelgemälde angebracht, die jedenfalls »Herrn und Madame Heßberger« im Sonntagsstaat – vielleicht als junge Eheleute darstellen sollten. Waren sie indessen mit der Zeit so nachgedunkelt, oder verhüllte die jetzige Düsterheit des Gemachs ihre vielleicht sonst sichtbaren Umrisse: in diesem Augenblick ließ sich auf dem einen Bilde Nichts als die Contour eines Kopfes und ein riesiges Jabot erkennen, während auf dem anderen nur die weit ausflügelnde Haube der Frau und eine Hand sichtbar blieb, in der sie ein weißes Taschentuch emporhielt.

Unter dem Spiegel hingen noch ein paar Silhouetten in unkennbaren Formen.

Daß die Frau übrigens auf einen Besuch vorbereitet gewesen, wenn sie das überhaupt nicht jeden Abend war, zeigte in der That die ganze Vorrichtung des Tisches neben dem für die beiden Gäste zwei gepolsterte Stühle mit altmodischen hohen Lehnen standen und auf diese nöthigte auch die Frau Heßberger ihren Besuch und sagte freundlich:

»Setzen Sie sich, meine Damen, Sie brauchen mir gar Nichts vorher zu sagen, ich weiß schon ohnedies weshalb Sie hergekommen sind – bitte nehmen Sie Platz, und wir wollen dann gleich einmal versuchen ob ich Ihnen helfen kann.«

»Und wissen Sie wirklich was ich Sie fragen will, Frau Heßberger?« frug Pauline, die in dem Augenblick doch etwas von ihrer vorherigen Ausgelassenheit verloren zu haben schien.

»Warum sollt ich nicht, Frau Hofräthin, warum sollt ich nicht und wie könnte ich mich unterfangen Zukünftiges voraus zu sagen, wenn ich nicht das Vergangene und wirklich Geschehene wüßte –«

»Aber ich begreife nur nicht –«

»Lieber Gott« sagte des Schusters Frau, mit einem frommen Blick nach oben, »wir begreifen Manches nicht auf dieser Welt, Frau Hofräthin, und leben in unserer Unschuld so in den Tag hinein. – Wenn man aber ein Bischen tiefer sehen lernt, Frau Hofräthin, dann bekommt man eine andere Meinung von der Sache – Gottes Wege sind wunderbar.«

Es war ordentlich als ob das das Stichwort für ihren Gatten im Nebenzimmer gewesen wäre, denn in demselben Moment begann er mit seinem schauerlich näselnden Ton, das gewöhnliche Präservativmittel gegen den bösen Feind und dessen Einwirkungen, irgend ein endloses Lied aus dem Gesangbuch. Der würdevolle Vortrag wurde aber heute leider durch etwas gestört; der Schuhmacher hatte nämlich noch keine Zeit bekommen, um seine Suppe zu essen, und daß er Beides mit einander zu verbinden suchte, that dem Einen Eintrag und ließ ihn das Andere nicht recht genießen – aber es mußte eben gehen.

Die Frau, ohne auf den plötzlichen Gesangsausbruch auch nur im Mindesten zu achten, holte indessen von dem kleinen Tisch unter dem Spiegel, auf dem einige vergoldete Tassen, zwei blaue Glasvasen mit Schilfblüthen und ein paar grell bemalte Gypsfiguren standen, ein Spiel ziemlich oft gebrauchter Karten, mit denen sie sich in einer Art von geschäftsmäßiger Eile auf einen hohen Rohrschemel setzte und dabei links und rechts auf die Lehnstühle wieß, um die Damen dadurch einzuladen Platz zu nehmen.

Pauline hatte im Stillen gehofft in dem Zimmer der Kartenprophetin eine Menge wunderbarer und unheimlicher Dinge zu finden, die mit ihrer Kunst in Verbindung standen – einen schwarzen Kater z. B. der schnurrend neben der Wahrsagerin saß und auf ihre Worte horchte – düstere Tapeten vielleicht und einen Todtenkopf von magischen Zeichen umgeben. Aber von alledem zeigte sich nichts, denn der bunt gemalte Gipspapagei und Napoleon I., die auf dem Tisch unter dem Spiegel standen und sich – beide von einer Größe – einander starr ansahen, konnten doch wahrlich nicht als derartige Symbole gelten. Das ganze Zimmer zeigte überhaupt Nichts, was nicht auch in der Wohnung jedes anderen Handwerkers zu finden gewesen wäre – die Karten selber vielleicht ausgenommen.

Die Aufmerksamkeit der kleinen lebendigen Frau wurde aber bald ausschließlich auf die Karten gelenkt, denn die Frau Heßberger begann jetzt in feierlicher Weise sie zu mischen, und dazu tönte der, nur zeitweise von der Suppe unterbrochene Gesang des Schusters dazwischen – und wie laut die alte Schwarzwälder Uhr an der Wand da mit hinein tickte.

Endlich war das Spiel gehörig vorbereitet und die Frau sagte plötzlich, indem sie die Karten der rechts von ihr sitzenden Hofräthin zum Abheben hinlegte:

»Also Sie wollen vor allen Dingen wissen, meine verehrte Frau Hofräthin, ob Sie etwas Gestohlenes wieder bekommen werden und – wo der Dieb zu suchen ist.«

»Das allerdings« lächelte die kleine Frau – »aber es wird doch wohl nöthig sein zu sagen was es ist.«

»Das sehen wir ja aus den bunten Blättern« erwiderte ruhig die Kartenschlägerin.

»In der That?«

Die Frau antwortete nicht mehr; sie legte in der gewöhnlichen Weise ihre Karten auf den Tisch und während sie sich mit den gerade nicht überreinlichen Fingern der rechten Hand das Kinn strich, betrachtete sie die Kombination der verschiedenen Blätter mit leisem und prüfendem Kopfnicken.

Augustens und Paulinens Blicke hafteten jetzt wirklich mit Spannung auf den Zügen der Alten, die aber ihre Gegenwart ganz vergessen zu haben schien, wie sie selber auch in diesem Augenblick gar nicht mehr das schauerliche Lied des Schuhmachers in der nächsten Stube hörten.

Endlich brach die Alte das Schweigen und sagte:

»Jawohl – ich hab es mir gleich gedacht – das kann nur ein Hausdieb sein – aus dem Secretair heraus –«

»Hat sie Recht?« frug Auguste nur mit einem Blick über den Tisch hinüber die Freundin und diese nickte ihr halbverstohlen zu.

»Nur ein Hausdieb – aber er hat es schlau angefangen – da die Treff Sieben mit der Caro sechs, die den Coeur Buben in der Mitte haben – aber der Bube selber war es nicht, doch hat er es fortgetragen und es wird nie wieder zum Vorschein kommen –«

»Ja aber beste Frau Heßberger,« sagte Pauline mit einem schelmischen Blick auf die Künstlerin – »daß es Jemand fortgetragen hat, wußte ich schon vorher, und jetzt möchte ich nur erfahren wer; dann ist es doch vielleicht möglich dem gestohlenen Gegenstand auf die Spur zu kommen.«

»Nicht so leicht,« sagte die Frau kopfschüttelnd – »da liegt es, die Caro zehn sagt es deutlich – ein Corallen-Halsband mit goldenem Schloß – das ist leicht versteckt. – Aber der Dieb hat seine Spuren zurückgelassen – da gehen sie Treff zwei, Pike zwei, Treff vier, Pike vier, – deutlich hin zu der Pike-Dame – ich sehe ein Mädchen mit grünem Band auf der Haube, die etwas in die Taschen steckt und dann langsam die Straße hinunter geht. –«

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 сентября 2017
Объем:
220 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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