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Читать книгу: «Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band», страница 11

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»Ja wohl, Herr Baron – werd' ich ka Ürche haben, un a Staatsürche is es,« fuhr er fort, eine goldene Cylinderuhr aus der Tasche nehmend, »geht se doch um drei Minuten besser wie die Sonne – s' ist gerade sieben Minuten über dreiviertel auf elf – kennten wir damit vielleicht en Handelche machen?«

»Ich danke wirklich – ich habe selber eine ganz gute Uhr und brauche keine, wollte auch nur sehen ob die meinige richtig ginge.«

»Wenn Sie die Staincher emol sähen, würden Sie Appetit kriegen – se sain zum 'Reinbeißen,« fuhr aber Veitel, nicht so leicht abgewiesen, in seinem Anpreisen der Juwelen fort, »hob ich die Musik doch jetzt ganz an den Nagel gehängt un mich auf die Staincher gelegt. Wer die Sache versteht ist's a solides, prächtiges Geschäftge hier in Amerika – wenn mer sai Zeit kann abpasse.« Und er nahm dabei ein kleines Etui aus seiner Brusttasche, das er öffnete und dann, den Kopf schräg zur Seite davon zurückhaltend, die Sonnenstrahlen auf die wirklich schönen Steine, die in tausend Lichtern funkelten, wieder fallen ließ.

Hopfgarten hatte indessen die Levée auf und abgesehn, den so sehnlich Erwarteten endlich irgendwo zu erspähen, aber vergebens; Ledermann ließ sich nirgends blicken und der Zeiger seiner Uhr, den er ungeduldig und ununterbrochen fragte, schien nicht von der Stelle zu rücken.

»Ich danke Euch Veitel – ich brauche wirklich Nichts der Art,« sagte er zerstreut, »trage weder Ringe noch Tuchnadeln, und muß hier im Lande auf- und abreisen, wo man solche Sachen am allerwenigsten bei sich führen kann.«

»Aber so sehn Sie nur emol die Pracht an,« drängte Veitel.

»Ja, sehr schön – wirklich brillant,« sagte Hopfgarten, einen flüchtigen Blick darauf werfend, und dann durch das Feuer derselben doch verlockt sie aufmerksamer zu betrachten; »sehr schöne Steine in der That, aber wie gesagt, Nichts für mich.«

»Und das Stainche hier vor a Tuchnadel – ah?« sagte Veitel, vor Hopfgartens Augen ein Türquis in der Sonne blitzen lassend.

»Mensch, wo hast Du den Stein her?« rief aber Hopfgarten unwillkürlich erschreckt aus, als sein Blick auf einen sehr schönen großen dreieckigen Türquis fiel, den Veitel zwischen den Fingern hin und her drehte.

»Woher? – Gottes Wunder!« rief der Jude erschreckt, »ehrlich gekauft, soll mer Gott helfe.«

»Ich sage ja Nichts dagegen, Veitel,« rief Hopfgarten rasch, ihn zu beruhigen, »gewiß ist er ehrlich gekauft, aber von wem? ich kenne den Stein – habe wenigstens von ihm, oder einem ganz ähnlichen gehört, ich möchte gern – «

»Von wem? von em achtbaren, soliden Herrn, von em wahren Schentelmenn in sein Handeln und Geschäftcher,« sagte Veitel, immer noch in der Meinung, ein Verdacht ruhe auf ihm, »und wenn er nicht hait Morgen abgereist wäre, kennten Se ihn selber fragen, Herr Baron – ist en alter Bekannter von Sie, noch vom Schiff her.«

»Heute Morgen abgereist? – wohin Veitel?« sagte Hopfgarten, der sich krampfhaft mit der rechten Hand in die Seite griff, nur um ruhig zu bleiben und seine Aufregung nicht zu verrathen, »wer war es denn eigentlich – der – der Doktor Hückler?«

»Gott soll bewahren, der Herr Henkel, und mit dem Schtiemer ist er fort nach der Havanna.«

»Mit dem Postdampfer nach Havanna?« rief Hopfgarten, jetzt wirklich nicht mehr im Stande sich zu mäßigen – und der ist heute Morgen fort?«

»Hait Morgen wird er fort sain,« sagte Veitel, »Gottes Wunder was is jetzt dermehr?«

»Ledermann!« schrie da Hopfgarten, Veitel gar nicht mehr beachtend, den Freund an, der eben jetzt, so lang schon herbeigewünscht, gerade über die Levée herüber und auf Herrn von Hopfgarten zukam, »wann, um Gottes Willen, geht der Havanna Steamer?«

»Die Cuba? – um elf Uhr,« sagte dieser erstaunt.

»Großer Gott – es muß gleich schlagen – so ist er noch nicht fort?«

»Dort drüben können Sie ihn sehn,« sagte Ledermann, der von der hohen Levée aus ein paar Momente mit den Augen in den Fluß hinein gesucht hatte – gerade zwischen den beiden ausgezackten Schornsteinen jenes Bootes dort – das große Dampfschiff, aus dem der Rauch so dick aufsteigt.«

»Henkel ist an Bord!« war Alles was Hopfgarten herausbringen konnte, »großer Gott, daß wir nicht an das Havanna-Schiff gedacht.«

»Gott der Gerechte!« rief Veitel, seine Steine einsteckend und in Verwunderung die Hände zusammenschlagend, »was han Se uf amol vor a Eil; wird der Herr Henkel doch wiederkommen in vier oder fünf Woche, wie er mer hot gesagt.«

»Noch ist es vielleicht Zeit,« rief aber Ledermann, der indeß rasch das Terrain überschaut hatte; »so pünktlich gehen die Dampfer nicht ab; einzelne Passagiere zögern immer etwas länger am Ufer, oder der Capitain kann auch seine Geschäfte nicht so rasch besorgen. Dort fährt ein Cab – gegenüber dem Dampfer nehmen wir ein Boot, und einmal von den Schiffen frei, daß sie an Bord unser Tücherschwenken sehen können, und wir kommen noch zur rechten Zeit.«

»Veitel!« rief Hopfgarten, sich rasch nach diesem umdrehend, »kommt morgen früh zu mir in das St. Charles Hotel – verstanden? – bringt Euere Steine mit – und nun fort Ledermann, fort!« und diesem voran laufend winkte er schon von weitem dem kleinen einspannigen Cabriolet zu, dessen Kutscher, Passagiere suchend, langsam die Levée an der Dampfbootlandung hinabfuhr. Der Mann zügelte sein Pferd ein und Hopfgarten bot ihm einen Dollar, wenn er sie so rasch das Pferd laufen könne dem Havanna Steamer gegenüber die Straße niederführe.

»Halt, dort geht ein Constable!« rief ihm aber Ledermann zu, »den nehmen wir mit.«

»Kann nicht drei Passagiere fahren, Sir,« sagte der Kutscher.

»Du bekommst einen Dollar für jeden, wenn Du uns rasch an Ort und Stelle bringst!« rief der Deutsche, dem Angst und Aufregung fast die Sprache zu nehmen drohte. Ledermann lief indessen, so rasch ihn seine langen Füße trugen, und sehr zum Ergötzen der ihm Begegnenden, der nächsten Straßenecke zu, an der er einen ihm bekannten Constable erspäht hatte. Wenige Worte genügten, diesen mit Allem bekannt zu machen was Noth that, und zwei Minuten später galopirte das eben nicht sehr kräftige Pferd, von der wacker geführten Peitsche seines Herrn getrieben, in flüchtigen Sätzen die Straße nieder. Unterwegs unterrichtete der Constable diesen dabei, dem großen Dampfschiff gegenüber, das sie jetzt deutlich erkennen konnten, anzuhalten, wo er Miethboote wüßte.

»Ay ay Sir!« sagte der Mann, und hieb stärker auf sein Pferd, »kommen noch zurecht, wenn mein alter Jack nicht bis dahin zusammenbricht.« Das Pferd hielt sich aber wacker, und plötzlich gegen die Levée anfahrend, denn den Wasserrand konnten sie von da aus, des hochaufgeworfenen Dammes wegen nicht sehen, hielt er an.

»Boot Sir? – Boot für den Steamer?« riefen ihnen hier schon vier, fünf Bootsleute zu gleicher Zeit entgegen, die sich herbeidrängten, die geglaubten Passagiere nach dem Dampfschiff zu bringen; dieses konnte seines Tiefgangs wegen hier nicht dicht am Ufer anlanden, und mußte ein Stück draußen im Strom vor Anker liegen; »höchste Zeit, Gentlemen, aber wir bringen Sie hinüber.«

»Fünf Dollar, wenn wir zur rechten Zeit kommen.«

»Hier Sir! hier ist ein Boot das es thun kann!« schrie Einer Hopfgarten am Arm ergreifend.

»Mit dem alten Kasten kommst Du nicht vor Abend hinüber,« überschrie ihn ein Anderer, »meins ist der Clipper, Gentlemen, der über das Wasser fliegt.«

Der Constable hatte indessen von der Levée aus mit einem Kennerblick die Boote rasch übersehen, und den beiden Fremden winkend ihm zu folgen, sprang er in das, was ihm am tüchtigsten schien, hinein, und hinten an das Steuer. Die beiden Bootsleute, die dazu gehörten, nahmen mit einem Hohnlachen über die besiegten Gefährten ihre Sitze ein, und wenige Sekunden später schoß das scharfe, wackere Boot, die gelbe Fluth zu beiden Seiten in Schaum hinauswerfend, zischend und spritzend über den breiten Strom dem Dampfer zu.

»Wir kommen wahrhaftig zu spät!« rief Hopfgarten in Todesangst mit der rechten Hand sein Tuch schwenkend, »dort pufft das Schiff schon seinen Dampf aus, und die Räder fangen an zu arbeiten.«

»Nur keine Furcht Sir,« sagte der eine der Bootsleute, der einen Blick über seine Schulter weg nach dem näher und näher rückenden Fahrzeug warf, »sie arbeiten nur gegen die Strömung langsam an, den Anker heraufzuheben; die Kette ist noch unten.«

»Er hat recht,« rief aber auch der Constable jetzt, »die Kette ist noch aus und wir kommen zur rechten Zeit.«

»Gott sei Dank,« sagte Hopfgarten leise, aber tief aufseufzend vor sich hin, und von dem Augenblick an schien es, als ob jede Unruhe, jedes Schwanken von ihm genommen sei. Ruhig ein Bein über das andere gelegt, beobachtete er ihre Annäherung an das keuchende, gewaltige Dampfschiff, und überflog mit seinem Blick nur manchmal rasch und forschend das aufgebaute Quarterdeck des Fahrzeugs, zwischen den dort auf- und abgehenden Passagieren den Gesuchten herauszufinden; aber er bemühte sich nicht mehr sein Gesicht zu verbergen – der Verbrecher konnte ihm nicht mehr entgehen.

An Bord traten jetzt ein paar Mann, das nahende Boot bemerkend, oben an die noch aushängenden Fallreeps; der eine von diesen hielt ein dünnes zusammengerolltes Tau in der Hand, und warf es dem einen der Bootsleute zu, der es durch den Ring vorn zog und um die vordere Queerbank schlug. Im nächsten Augenblick lag das kleine schwanke Boot, auf den kurzen Wellen tanzend, die das Starbordrad schlug, dicht an die steilaufsteigende Seitenwand des mächtigen Fahrzeugs an, und der Constable rief hinan:

»Ein Tau hier herunter, Boys, für den Gentleman; er hat einen kranken Arm und kann sich nicht halten.«

Wenige Secunden später war dem Rufe Folge geleistet; der Constable legte das Seil um Herrn von Hopfgartens Mitte, und während die Matrosen oben langsam anzogen und ihn dadurch stützten, lief derselbe rasch an der steil niederhängenden Fallreepstreppe auf.

»Danke – danke herzlich,« sagte dieser, während sein Blick an dem Quarterdeck hing; aber auch dort sah er nicht den, den er suchte, und sich an den Steuermann des Schiffs wendend, der seine Leute eben gefragt hatte, ob der Herren Gepäck schon an Bord sei, bat er diesen ihm zu sagen wo er den Clerk der Cuba fände.

»Dort oben, Sir – an der Starbordtreppe; der mit dem Panama-Hut auf, Sir, und dem kleinen Buch in der Hand.«

»Sie wünschen Plätze in der Cajüte, Sir?« frug ihn dieser freundlich, »der Steward soll Ihnen gleich Ihre staterooms anweisen.«

»Bitte, mein Herr,« sagte Hopfgarten, dem seine beiden Begleiter auf dem Fuße folgten, »können Sie mir nicht Auskunft geben, ob ein gewisser Soldegg an Bord ist?«

»Soldegg? – Soldegg?« sagte der Clerk nachdenkend sind dabei sein kleines Buch öffnend, eine dort eingetragene Liste mit den Augen überfliegend, »ist noch nicht notirt, Sir.«

»Oder Henkel?«

»Ebenfalls nicht,« lautete die Antwort, nach kurzer Pause.

»Oder Holwich?«

»Keiner der drei Herren; aber es sind einige Gentlemen erst in der letzten halben Stunde an Bord gekommen, deren Namen ich noch nicht eingeschrieben habe. Sie werden unterwegs Zeit genug bekommen deren Bekanntschaft zu machen; soll ich Ihnen indessen – «

»Bitte, mein Herr, mein Besuch ist anderer Art,« sagte Hopfgarten ruhig; »ich habe einen Verhaftsbefehl mit gegen einen gefährlichen Verbrecher, und ich glaube, ja ich weiß ihn an Bord.«

»Oh wenn das ist,« lachte der Clerk, »dann hat der Herr auch vielleicht einen andern Namen angegeben; nichts leichter als das. Wohl ein Constable, der eine der Herren?« – dieser nickte mit dem Kopf – »well, dann bemühen Sie sich nur gefälligst selber in die Cajüte hinunter, und sehn Sie sich dort um; ich werde es indessen dem Capitain melden, und Ordre geben, daß das Schiff nicht unterwegs geht.«

Hopfgarten blieb einen Augenblick stehn, Athem zu holen, so preßte ihm die Aufregung dieses Momentes Brust und Herz zusammen, äußerlich aber war er vollkommen ruhig, und Ledermann und den Constable bittend, ihn vorangehn zu lassen, und erst nach ein paar Minuten zu folgen, stieg er mit festen, ruhigen Schritten die Quarterdeckstreppe hinauf, und die breiten Mahagonystufen, die von da in die untere Cajüte führten, wieder hinunter, und öffnete, von dem Steuermann begleitet, dem der Clerk ein paar Worte über den Zweck dieses Besuches zugeflüstert, die Thür der Cajüte, in der einige zwanzig Passagiere in den verschiedensten Stellungen umhersaßen und standen, und ziemlich ruhig die nahe Abfahrt des Dampfers, dessen Maschine schon unter ihnen arbeitete, zu erwarten schienen.

Aber Hopfgarten sah nur Einen von allen diesen; auf dem mittleren Sopha, das eine Bein behaglich über das andere gelegt, und neben sich auf einem kleinen Tisch eine Flasche mit Rothwein und ein Gefäß mit großen, klaren Eisstücken, ein Buch in der Hand, in dem er nachlässig blätterte, lag Henkel und schien so sorglos und unbekümmert die Abfahrt des Bootes zu erwarten, so sicher seiner Umgebung zu sein, daß er nicht einmal aufsah, als Hopfgarten langsam auf ihn zuging, bis dieser neben seinem Tische stehn blieb und Henkel jetzt, mit einem leisen Schrei der Überraschung emporfahrend, ganz plötzlich seinen alten Reisegefährten neben sich erkannte.

»Alle Wetter! Herr von Hopfgarten,« sagte er aber, sich rasch sammelnd; »das ist ein prächtiges Zusammentreffen, und wir sind auf's Neue Reisegefährten? – Schade, daß Frau von Kaulitz nicht da ist, für den dritten Mann.«

»Wir bekommen noch Gesellschaft,« sagte Hopfgarten, sich ruhig umsehend und den jetzt eben eintretenden Ledermann heranwinkend – »Herr Henkel oder Soldegg oder Holwich – ich weiß nicht unter welchem Namen Sie jetzt reisen – ich habe ihnen hier einen alten Bekannten vorzustellen, der eine weite Reise im Auftrag seiner Regierung gemacht hat, nur das Vergnügen Ihrer werthen Begleitung zu haben.«

»Was soll das? – was wollen Sie von mir?« sagte Henkel finster, sich aber doch leicht entfärbend, als er den Aktuar von Heilingen plötzlich hier erkannte. Einen forschenden, unruhigen Blick warf er dabei in der Cajüte umher, der indeß weiter Nichts Beunruhigendes bot, da der Steuermann an die Bar getreten war, und der Constable, der Gruppe die Seite zudrehend, eine Zeitung aufgenommen hatte, als ob er mit zu den Passagieren gehörte – »ich bin gerade nicht aufgelegt zu scherzen, sonst könnte ich Ihnen vielleicht wieder meinen – Zwillingsbruder schicken, sich mit dem abzufinden.«

»Herr Henkel,« sagte Ledermann ruhig – »wir haben ein Boot unten liegen, und ersuchen Sie, uns gutwillig und ohne weiteres Aufsehn zu erregen, da hinein zu folgen, das Weitere werden wir an Land abmachen. So viel genüge Ihnen zu wissen, daß wir autorisirt sind, in dieser Weise zu handeln – ich habe einen Verhaftsbefehl für Sie in der Tasche.«

»Haho!« rief Soldegg aber, dem im Nu die ganze Größe der über ihn hereinbrechenden Gefahr klar wurde – »Herr von Hopfgarten will sich revangiren – hahaha – aber die Herren haben sich verrechnet – lebendig bekommen sie mich nicht – und überdieß – wer giebt Ihnen das Recht, mich hier verhaften zu wollen?« Seine rechte Hand glitt dabei rasch und verstohlen unter die Weste, die Bewegung aber war dem Constable, der ihn indessen scharf und aufmerksam von der Seite beobachtet hatte, nicht entgangen, und seinen Rock zurückwerfend, unter dem er sein Polizeizeichen trug, ging er auf den wild und drohend zu ihm aufblickenden Verbrecher zu und wollte, mit den Worten: »You are my prisoner!«5, die Hand auf dessen Schulter legen, als Henkel, unter dem Arm fortgleitend, einen Schritt zurücksprang; mit der rechten aber zu gleicher Zeit ein mächtiges, blitzendes Bowiemesser aus der Weste riß, und mit wildem, höhnischen Lachen schrie:

»Lebend nicht – Bahn frei, oder, beim Teufel, ich hacke Pastetenfleisch aus Euch!« Zu gleicher Zeit führte er einen Hieb nach dem Constable, dem dieser nur durch ein jähes Zurseitespringen entgehn konnte, und warf sich auf Hopfgarten, wieder die Klinge zum Hieb gehoben. Dieser aber, ohne einen Zoll breit zu weichen, hatte eine gleiche Waffe gezogen, und bereitete sich, den Schlag zu pariren, als der Steuermann, etwas Ähnliches schon lange erwartend, ohne sich aber selber zwischen die gehobenen Messer hineinzuwagen, einen Stuhl aufgriff und Henkel so geschickt vor die Füße schleuderte, daß dieser im vollen Wurf darüber hinflog.

»Brav gemacht!« schrie der Constable, der indeß einen Revolver aus seinem Gürtel gerissen hatte, Gewalt mit Gewalt zu begegnen – »jetzt bekommen wir den Burschen lebendig.« Und um den Stuhl flog er herum, zwischen die Thür und den Gefangenen zu kommen, und diesem den Weg abzuschneiden. Henkel aber, zum Äußersten getrieben und recht gut wissend, was ihn erwartete, wenn er in die Hand der Feinde fiel, schnellte im Nu, sein Messer noch fest im Griff haltend, vom Boden wieder auf und sprang gegen die Thür an, von der fort die zufällig dort herabkommenden Passagiere, vor der drohenden Gestalt mit der geschwungenen Waffe scheu zur Seite stoben.

»Halt!« schrie der Constable, »im Namen des Gesetzes!«

Henkel hatte die Thür erreicht und stieß sie vor sich auf, als ein scharfer Knall, und gleich darauf weißer Pulverrauch den Raum füllte – ein wilder Schrei und eine blutende, todtenbleiche Gestalt, der die blanke Waffe entfiel und klirrend die Stufen zurückrollte, taumelte die Treppe hinauf an Deck, zwischen die entsetzten Passagiere.

»You are my prisoner Sir!« schrie der Constable, den Flüchtling einholend und an der Schulter fassend.

»Ready for hell!«6 stöhnte dieser, ließ die Arme sinken, drehte sich einmal im Kreise herum und brach, wo er stand, zusammen.

»Den Passagier könnt Ihr von der Liste streichen, Clerk,« sagte der Steuermann ruhig zu diesem, als er an Deck kam – »steht bei hier, Jungen, und hebt den Cadaver einmal in's Boot hinunter, und zwei von Euch waschen die Flecken hier weg und die Treppe rein. Marsch mit Euch und ein Bischen schnell – ist der Anker auf?«

»Alles klar, Sir!«

»Gut, in fünf Minuten müssen wir unterwegs sein – die Herren mögen die Geschichte dann selber an Land ausmachen.«

Hopfgarten stand neben der Leiche und sah tief aufseufzend in die bleichen Züge, in die stieren zu ihm aufgedrehten Augen – aber er sprach kein Wort; nur das Messer, das er noch offen in der Hand trug, barg er wieder in der Scheide, und einen kleinen weißen Handschuh aus seiner Brust nehmend, bog er sich nieder, und netzte das zarte schneeige Leder mit dem quellenden Blut des Gerichteten.

Zwei Matrosen faßten die Leiche jetzt auf und trugen sie zu der Fallreepstreppe, wo Andere mit den Tauen standen und sie hinunter ließen; der Constable hatte sich indessen vom Clerk das Gepäck, das dem Gericht verfallen war, ausliefern lassen.

»Hallo, da kommt noch ein Passagier!« rief der eine Bootsmann, als die Seeleute die Leiche rasch nach unten viehrten – »dacht' es mir beinah, wie ich den Schuß hörte.«

»Hast eine gute Nase, Kamerad,« rief Einer der Matrosen nieder, »das aber da ist nur Ballast; schlagt die Taue los!«

Die Koffer folgten dem Körper, und diesen die Passagiere – oben läutete die Glocke, die Räder rauschten und peitschten den gelben Schaum zu wirbelnden Wellen auf – stromauf arbeitete das gewaltige Schiff, einen weiten Bogen beschreibend in der kochenden, zischenden Fluth, und während es sich stromab wandte, und das flatternde Banner der Vereinigten Staaten lustig im Winde wehte, ruderte das kleine Boot mit seiner traurigen Last langsam dem Lande wieder zu.

Capitel 9.
Das Haus im Walde

Wieder keimten und sproßten die Blumen im lieben deutschen Vaterland; die Wiesen hatten sich mit frischem Grün gedeckt, im Wald rauschte und flüsterte der Wind gar so traulich und heimlich durch die jungen, saftigen Blätter, und schaukelte die langen, duftenden Zweige der Birke, und trug die wirbelnde Lerche hoch in die blaue, sonnige Luft hinein.

Wie das draußen in den Feldern so regsam schaffte und arbeitete; wie die Heerden so fröhlich blökten, die wieder hinaus durften in die warme, sommerliche Flur; wie die Schwalben – die lieben, lieben Schwalben so froh durch den Äther strichen und die Störche, von den Kindern mit scheuer Ehrfurcht betrachtet, klappernd und von ihren Reisen erzählend, auf den Dächern standen, oder langsam über die feuchten Wiesenflächen schritten, alte Jagdgründe zu revidiren.

Wie das zwitscherte und klang und sang und schmetterte in dem weiten, lichtdurchflutheten Raum, und die Luft mit seinem Glanz und Jubel füllte, jeder Ton ein Loblied dem Herrn, jedes grüne Blatt, jeder duftende Kelch, jeder Thautropfen am schwankenden Halm, ein Dankesopfer seiner Allmacht und Güte. Oh wie sich auch die Menschenbrust da so froh und fröhlich hebt, und das Herz mit jauchzt und jubelt, und hinauf möchte, höher und höher hinauf, der steigenden Lerche nach, die mit zitterndem Flügelschlag, ein lebendiges Bild der Lust und Wonne, dort oben steht und betet. Wie es da stammelnd danken und preisen möchte auch in seiner Weise, und nicht Worte, nicht Ausdruck findet für die Seligkeit, die in ihm glüht und lebt, und seine Adern füllt, und deren Wiederglanz nur in der Thräne zittert, die heiß und doch so lindernd da in's Auge steigt.

Der Winter war vorbei – die Natur erwacht, und Gottes Odem wehte, ein Segen, über das weite, wundervolle Land, Luft und Frieden in der Menschen Herzen gießend – aber nicht in alle. – Den schmalen Pfad der, das Dorf Waldenhayn umgehend, nach dem dunklen, die Hügel deckenden Kieferwald hinaufführte, schritt eine schlanke, bleiche Frau, einsam und allein; sie sah krank und hülfsbedürftig aus, und die bloßen, wegwunden Füße ließen hie und da in den Spuren Blutflecken zurück, wo ein scharfer Stein sie verletzt; der Straßenstaub deckte dabei ihr Gewand, und die weiße, fast durchsichtige Hand klammerte sich fest und wie krampfhaft an den rohen Eichenstock, der ihr zur Stütze diente.

Neben ihr auf stieg wirbelnd die Lerche, und im Korn lockte das Rebhuhn und die Wachtel; – sie blieb stehn und horchte dem Laut, aber nicht vom Boden nahm sie den Blick, schauderte zusammen, als ob selbst diese süßen Töne nur furchtbare Erinnerungen für sie hätten, und schritt langem weiter ihre stille Bahn, dem Walde zu.

Nur einmal blieb sie noch stehn, und zitterte, und wäre fast in die Knie gesunken, als vor ihr, bis jetzt von Birken- und Weidenbüschen verdeckt, ein kleines, einsam gelegenes, ödes Häuschen, mit halb geöffneter Thür und ausgebrochenen Fenstern sichtbar wurde; aber wie gewaltsam raffte sie sich zusammen, faßte ihren Stab fester und schritt auf das niedere, verlassene Gebäude zu.

Als sie die Schwelle erreichte, läuteten unten die Glocken den Nachmittagsgottesdienst aus, und als ob die Töne sie mit furchtbarer, unwiderstehlicher Gewalt getroffen, brach sie zusammen in die Knie, und lag lange Minuten wie betend da. Dann erhob sie sich langsam wieder, warf noch einen scheuen Blick über das, unten das kleine Thal füllende Dorf, und verschwand dann in dem dunklen Raum der Hütte.

Unten im Dorf läuteten die Glocken den Nachmittagsgottesdienst aus, und der würdige Pastor Donner, dessen Haar die letzten drei Winter doch um ein Bedeutendes gebleicht, kam freundlich, rechts und links die noch vor der Kirche stehenden Kinder und Gemeindemitglieder grüßend, die ihn, mit dem Hut in der Hand, vorbeiließen, seiner kleinen Wohnung, dem duftigen, schattigen Garten zu, wo ihn zu dieser Zeit der Nachmittagskaffee in der blühenden Fliederlaube erwartete. Aber mehr als das harrte heute sein.

»Vater – lieber Vater!« jubelten ihm die Kinder entgegen, Blätter Papier hoch und jauchzend empor haltend – »Brief von Georg ist gekommen – Brief vom Bruder Georg; er kommt herüber in ein oder zwei Jahren mit seiner Frau! – er hat geheirathet, Vater – Bruder Georg hat geheirathet und es geht ihm gut!«

Der Pastor blieb stehn, und als die Kinder auf ihn zugesprungen kamen und ihm in ihrer frohen Kindeslust den Brief entgegen hielten, bog er sich zu ihnen nieder und küßte sie, aber die Mutter folgte ihnen, und barg ihr Haupt an des Gatten Brust. Sie hatte sprechen – erzählen – mit den Kindern jubeln wollen, und kein Wort brachte sie jetzt vor Thränen über die Lippen – aber es waren Freudenthränen.

»Georg hat geheirathet!« jubelte Fritz dabei, der jüngste Sohn, den Brief in der Hand schwenkend, und um die Anderen herumspringend – »ich bin jetzt ein Schwager geworden, und Du, Louise und Du Trinchen, Ihr seid Schwägerinnen – hurrah, Bruder Georg soll leben!«

»Und es geht ihm gut?« flüsterte der Pastor, der Gattin an ihn gelehnte Stirn wieder und wieder küssend.

»Gut – recht, recht gut, Gott sei ewig gelobt und gedankt,« schluchzte die Frau – »da, lies nur selbst – ich habe vor Thränen nicht weiter lesen können.«

Auch Louise, die ältere Tochter, kam mit ihrem Bräutigam, einem jungen Geistlichen aus Heilingen, dem Vater freudestrahlenden Auges entgegen, und während die Glocken von dem alten Thurm noch klangen und tönten, und den tiefen harmonischen Laut weit aus über das stille Dorf und an die sonnbeschienenen Hänge der blühenden Hügel sandten, saßen die glücklichen guten Menschen in der duftenden Laube, und horchten der lieben, lieben Botschaft des fernen Bruders und Sohnes, der ihnen Grüße und Küsse weit über das Meer herübergesandt, und ihre Herzen mit Glück und Wonne und Dank, heißem Dank gegen den Höchsten erfüllt hatte.

– »Seit drei Tagen bin ich jetzt mit meiner Marie vermählt, und der glücklichste Mensch unter der Sonne. In den angenehmsten Familienverhältnissen dabei, hat sich unsere Farm, die mein Schwiegervater schon im Begriff war um ein Spottgeld zu verschleudern, auf eine ganz unerwartete und kaum geahnte Weise verwerthet, denn ich habe beim Graben eines Brunnens, in der Nähe einer neu errichteten Mühle, selber ein Kohlenlager entdeckt, das, wenn auch noch nicht für den Augenblick, doch für die Zukunft einen bedeutenden Ertrag verspricht. Ein Amerikaner hat mir schon für die Bearbeitung eine sehr bedeutende Summe baar geboten, aber ich zögere noch sie anzunehmen. Dabei bin ich ganz gegen meinen Willen, und durch einige glückliche Kuren in den Ruf eines geschickten Arztes gekommen, und da sich unsere Gegend, durch die Unmasse der hier eintreffenden Einwanderer, sehr belebt, bleibt mir schon gegenwärtig kaum mehr Zeit, meinen ländlichen Arbeiten so obzuliegen, wie ich es eigentlich wünschte – «

– »Noch eine andere Nachricht aus unserer Familie, die auch Euch interessiren wird, habe ich Euch mitzutheilen. Meine Schwägerin Anna, die ältere Schwester Mariens und ein sehr liebes, braves Mädchen, hat ganz unerwarteter Weise einen Heirathsantrag aus Deutschland und zwar aus Heilingen, von dem frühern Kürschnermeister Kellmann bekommen. Kellmann ist, so weit ich ihn kenne, ein braver, rechtschaffener Mann und Anna scheint ihm auch gut zu sein. Er hat geschrieben, wenn sie ihm ein freundliches Ja schicke, wolle er ungesäumt herüberkommen – ich denke, wir werden ihn wohl nächstens hier sehn – «

– »Der Rosensenker von Mutters Strauch vor dem Fenster, den mir Louise noch an jenem schmerzlichen Abend der Trennung gegeben, hat den Ehrenplatz in unserm freundlichen Garten, und grünt und blüht, daß es eine Lust und Freude ist, – die einliegende Knospe hat er getragen. Oh, wie mich der Blüthenstock an Euch erinnert; ich habe ihn so lieb, und doch treten mir jedes Mal Thränen in die Augen, wenn ich ihn ansehe. Meine Marie pflegt ihn selber; sie wird Euch auch gefallen. Hat sich das Geschäft mit dem Kohlenlager erst geordnet, und sich dasselbe so einträglich erwiesen, wie ich es jetzt wirklich glauben muß, dann komme ich mit ihr hinüber, Euch zu besuchen. Lieber Gott, es ist ja doch unser Aller Wunsch, später einmal wieder nach Deutschland zurückkehren und dort unsere Tage beschließen zu können. – «

Unten am Brief in einer Nachschrift stand:

– »Über den Steffen, der bei uns der schwarze Steffen hieß, und von dem ich Euch schon früher schrieb, wie ich mit ihm zusammengekommen, habe ich nichts Näheres erfahren können. Auch seine Frau, die sich von ihm getrennt hatte, ist aus dem kleinen Städtchen, wo sie die letzte Zeit still und fleißig, und mit keinem Menschen verkehrend, gearbeitet hatte, spurlos verschwunden; Amerika ist zu groß, solche Leute im Auge behalten zu können. – «

»Du guter, barmherziger Gott,« sagte die Frau Pastorin, seufzend die Hände faltend, »ich begreife, wie schlechte Menschen einen Anderen aus Geldgier oder Rache, oder sonst in böser, sündhafter Leidenschaft morden können, aber daß Eltern im Stande sein sollen, ihre Kinder auf solche Art zu verlassen, begreife ich nicht. Das unvernünftige Thier thut das ja nicht, sorgt für seine Jungen, und vertheidigt sie in Gefahr, und der Mensch soll schlechter sein, als das Thier?«

»Für die Kinder war es ein Glück,« sagte der Pastor, seufzend mit dem Kopfe nickend – »was hätten sie von solchen Eltern gelernt, wie wären sie von ihnen erzogen worden, und jetzt sind sie bei guten Menschen untergebracht und versorgt.«

Ein paar Knaben aus dem Dorfe kamen in diesem Augenblick athemlos an den Garten gerannt, rissen die Mützen vom Kopfe, und schauten mit den roth erhitzten, dicken, gutmüthigen, jetzt aber jedenfalls durch irgend etwas sehr erregten Gesichtern durch die Gitterthür hinein, wo der Geistliche saß.

»Was wollt Ihr, Kinder?« sagte dieser freundlich, indem er von seinem Sitze aufstand und auf sie zuging.

»Oben am Berge spukt's!« rief aber der Eine von ihnen, in aller Eile und Geschäftigkeit ganz den sonst gewiß nicht versäumten Gruß vergeßend – »am schwarzen Steffen seinem Hause geht's um!«

»Am Hause des schwarzen Steffen?« rief Pastor Donner, erstaunt den Platz gerade jetzt, wo sie sich selber damit beschäftigt, genannt zu hören – »wer hat Euch den Unsinn weiß gemacht?«

»Ne, wahrhaftig,« rief der Andere betheuernd aus – »Hollebens Liese und Gutegrunds Annamarie haben den Geist von der »stolzen Jule« gesehn, der oben herumgeflogen ist.«

Nur mit Mühe bekam der jetzt aufmerksam werdende Geistliche heraus, daß zwei Mädchen aus dem Dorfe oben am Wald auf dem kleinen, dem Haus gerade gegenüber liegenden Hang gewesen waren, Blumen zu suchen, und an der, von den Dorfbewohnern ängstlich gemiedenen Hütte des schwarzen Steffen eine Gestalt gesehen hätten, von der sie erklärten, daß sie der Geist der »stolzen Jule« sei. Sie habe keine Ruhe im Grabe, und ginge dort an der Stelle um, wo sie ein Verbrechen begangen, für das wir in der sonst so reichen deutschen Sprache nicht einmal einen Namen haben. Die Hütte lag auch noch, gefürchtet und gescheut, unberührt so, wie man die Kinder damals darin gefunden, und nur mit dem Bettzeug und dem besten Hausgeräth herausgenommen hatte, und die Leute in den Spinnstuben erzählten sich Abends schauerliche Geschichten von dem Ort.

5.Sie sind mein Gefangener.
6.Fertig für die Hölle!
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
27 сентября 2017
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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