Читать книгу: «Fleischbrücke», страница 3

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»Des kannst abber vergess’n!«

»Genau, so ist das. Wir kommen nur weiter, wenn wir genau so ein Verhaltensmuster irgendwo anders finden. Harald, Cem, wie weit seid ihr?«

»Die Geschichten aus dem Ausland habt ihr ja schon verwendet. Mehr war da nicht. In Russland hatte es da mal einen ähnlichen Schlächter gegeben, der hätte zu unserem Fall super gepasst. Aber der wurde erschossen. Ansonsten Fehlanzeige. Und bei dir, Harald?«

»Na ja, es sitzt einer in Ansbach in der Psychiatrie. Ich war da gestern und habe mich mit dem Chefarzt unterhalten. Der war von Kind an gestört. Diebstähle, aggressives Verhalten, ständiges Lügen. Als Jugendlicher kamen dann Drogen und Alkohol dazu. Und kleinere Einbrüche. Der hat geklaut, was ihm in die Finger kam. Dann kamen die Jugendstrafen. Da hat er das Einbrechen erst richtig perfektioniert.«

»Und gleich weitergemacht?«

Hannah will das wissen.

»Klar. Da kamen die richtig großen Sachen, aber deswegen sitzt er da natürlich nicht. Dabei hatten die ihn nicht erwischt. Er war 25, als er Vater und Großvater erschlug und brutal verstümmelte. Zwar nicht genau so, wie der am Samstag es getan hat, aber der Arzt hält so was für möglich.«

»Das ist eine dissoziale Persönlichkeitsstörung gefolgt von psychotischen Schüben. Früher hieß das schlicht Psychopathie. Der Begriff war aber zu wenig differenziert, weswegen die Wissenschaft ihn heute eher nicht verwendet.«

Alle sehen Hannah erstaunt an.

»Genau so ein Zeugs hat der Arzt erwähnt. Deswegen war der schuldunfähig und sitzt seit fünf Jahren in Ansbach ein!«

»In der Regel führt ein starkes kindliches Trauma wie etwa Missbrauch oder Gewalt zu einem solchen Verhalten im jugendlichen Alter. Auch enorme Aggressionen sind nicht ausgeschlossen. Dass aber einer solche Sachen wie in unserem Fall veranstaltet, ist bisher noch nicht dokumentiert.«

Hannah de Fries beendet ihre Vorlesung.

»Das ist alles schön und gut, aber es nützt uns nichts, weil der da sitzt und nicht raus kann.«

Da hat Ilse jetzt auch wieder Recht.

»Davon konnte ich mich gestern überzeugen. Da kommt keiner an die Luft. Die Abteilung ist hermetisch abgeriegelt. Keine Chance. Der Typ hat auch keinerlei Erleichterungen bekommen, weil seine Gewaltfantasien noch immer da sind. Das dauert mindestens noch zehn Jahre, sagt der Arzt, wenn das überhaupt noch was wird mit dem.«

»Hast du ihn gesehen? «

»Nein. Die lassen niemanden zu ihm. «

»Ich fahre morgen mit nach Erlangen«, sagt Hannah mit einem fest entschlossenen Ton, »ich muss noch mal mit dem Dr. Rosser reden. Und ich will die Akte von dem in Ansbach.«

Ilse wirft mir schon wieder einen scharfen Blick zu.

»Dann kann doch auch ich mit Hannah nach Erlangen fahren!«

»Wie sieht’s mit deiner Recherche der ungeklärten Fälle aus?«

Ich Idiot. Das hätte ich jetzt genau an diesem Punkt nicht fragen dürfen.

»Die ist noch nicht abgeschlossen.«

»Dann loss halt den Wolff fohr’n. Der geht scho net verlor’n.«

»Da bin ich mir nicht mehr so sicher, Herbert.«

Hannah quatscht scheinbar unbeteiligt mit Cem. Irgendwie muss ich die Situation retten.

»Genau, Herbert. Was ist mit deinen Straßeninterviews?«

»Ja. So. Die ham etz a wen’g warten müssen, weil du ja net g’wusst hast, was du dene Presseheinis sag’n sollst. Da iss mei ganze Zeit draufgangen. Dud mer leid.«

»Ja. Geht in Ordnung.«

»Ilse, mogst mir vielleicht helfen? Ich zieh morgen los!«

Der Herbert als Retter.

»Herbert, ich helfe dir. Ein wenig frische Luft kann mir nicht schaden.«

Und wieder ernte ich einen ernsten Blick.

Wieder auf dem Flur.

»Wolff, warum willst du ständig mit der zusammen sein. Genüge ich dir nicht?«

»Was soll das, Ilse. Die Hannah hat eine psychologische Vorbildung und kann mit dem Pathologen ganz anders reden als wir alle zusammen. Und wenn ich mit ihr zusammen sein wollte, dann muss ich das nicht dienstlich bei einer Fahrt nach Erlangen organisieren. Wenn ich das will, dann gehe ich heute Abend mit ihr weg oder treffe mich mit ihr in ihrer Wohnung. Aus. Ich gehe heute Abend zum Kuchelbauer. Gehst du mit?«

»Ja.«

*

Eine Vermisstenmeldung ist bis heute, dem sechsten Tag nach dem Verbrechen, nicht eingegangen, was dafür spricht, dass Dr. Rosser mit seiner Theorie vom Obdachlosen richtig liegen kann. Diese Menschen treffen sich zwar oft abends und übernachten gemeinsam an einem geschützten Platz, aber wenn einer nicht mehr auftaucht, dann ist das halt so. Da kümmert sich dann keiner besonders. Wir können auch schlecht mit einem Foto von der Leiche an den uns bekannten Treffpunkten dieser Leute auftauchen und nachfragen. Ohne Gesicht wird das schwierig. Vielleicht hat der Rechtsmediziner noch ein besonderes Merkmal entdeckt.

Unsere Fahrt nach Erlangen verläuft bis Eltersdorf wortlos. Hannah sieht nur geradeaus oder tippt auf ihrem Telefon herum. Dann dreht sie sich zur mir herum.

»Wolff Schmitt. Deine Frau ist nicht begeistert davon, wenn wir beide zusammen ermitteln?«

»Nein, ist sie nicht. Sie ist eifersüchtig. Ich kann das auch nicht verstehen. Früher war sie nie so.«

»Da war ich auch noch nicht bei eurer Truppe. Ich kenne das. In meiner letzten Abteilung gab’s auch Trouble mit der Frau vom Chef.«

»Mit der Frau vom Landmaier Josef? Der ist doch schon 65 und kurz vor der Pension. Ich glaub’s nicht. Der hat dir gefallen?«

»Er mir nicht, aber ich ihm!«

»Der alte Bock. Aber so war der schon immer. War was?«

»Nein. Man hat schon bemerkt, dass er speziell was für mich übrig hatte, aber sonst hat er sich schon korrekt verhalten. Bei der Weihnachtsfeier letztes Jahr musste ich zweimal mit ihm tanzen, obwohl ich Tanzen hasse. Als ich beim dritten Mal dankend ablehnte und er enttäuscht dastand, hat sich seine Alte eben aufgeregt. Der war ja auch blöd, die zur Feier mitzunehmen und dann ständig bei mir anzuklopfen.«

»Kann ich mir bildhaft vorstellen. Ich kenn’ die. Da durfte keine andere mit ihm auch nur reden, schon war die auf 180. Der Josef! Wolltest du deswegen die Abteilung wechseln?«

»Nein. Als von euch die Anfrage kam, habe ich nicht lange überlegt. Mordkommission war schon immer mein Traum. Hat bis dahin nur nie geklappt.«

»Das freut uns auch sehr. Du hast in deiner alten Abteilung auch gute Arbeit geleistet.«

Dr. Rosser bittet uns in sein Büro.

»Also, Herrschaften. Dann fange ich mal von vorne an. Das Opfer, männlich, etwa Ende fünfzig, war nach einem heftigen Schlag mit einem flachen, metallenen Gegenstand sofort wehrlos. Dieser Schlag zerschmetterte den zweiten Halswirbel, sodass sofort eine Querschnittslähmung eintrat. Auffällig ist, dass sich am Wirbelkörper Einkerbungen zeigen, was dafür spricht, dass der Gegenstand scharfe Zacken hatte. Doch dazu noch später. Dieser Mann muss sofort zusammengesackt und wehrlos auf dem harten Boden aufgeschlagen sein. Dafür spricht eine stumpfe Verletzung am Hinterkopf, in der wir Partikel des Pflasters von der Brücke fanden. Ob das Opfer dadurch bewusstlos war, kann nicht mehr geklärt werden. Wir nehmen an, dass er mit dem Rücken auf den Boden fiel und der Kopf dann hart auf dem Steinboden aufschlug, was sehr für einen Bewusstseinsverlust spricht.

Anschließend durchtrennte der Täter die Halsschlagader auf der linken Seite. Er wartete aber nicht, bis sein Opfer so viel Blut verlor, dass er daran starb, sondern er machte sich sofort an die übrigen Verstümmelungen. Letztlich ist der Mann zwar an Blutverlust gestorben, aber nicht wegen des Schnitts durch die Halsschlagader alleine. Sonst hätte ich vor Ort dort eine größere Blutlache finden müssen. Blut war aber praktisch überall. Also, der Täter muss anschließend mit einem extrem scharfen Gegenstand brutal von vorne auf die Sehnen und die Muskulatur im Hüftbereich eingeschlagen haben, also genauer auf die oberen Oberschenkelmuskeln, sodass diese durchtrennt wurden. Dann hat er die Kapsel des Hüftgelenkes angeschnitten. Danach bog er dem Opfer, das jetzt auf dem Bauch gelegen haben muss, die Beine mit brachialer Kraft so nach hinten, dass die Hüftköpfe aus den Pfannen sprangen und die Kapseln vollständig aufplatzten. Das kostet erhebliche Kraft, sodass ich jedenfalls eine durchschnittliche Frau als Täter ausschließen möchte.«

»Warum macht der so was?«

»Mmhh. Da müssen wir wohl noch einen Forensiker hinzuziehen, der sich mit Täterpsychologie bestens auskennt. Also ich meine einen Profiler, wie das jetzt heißt. Ich kann mir nur vorstellen, dass er dem Opfer genau an diesen Stellen heftigen Schmerz zufügen wollte. Er wollte sagen, da soll es dir am meisten weh tun.«

»Vielleicht wurde ihm da früher sehr weh getan?«

»Ja, genau, Frau de Fries. Das ist wohl ein richtiger Ansatzpunkt. Machen wir aber weiter. Er hat dann die Leiche, also zu diesem Zeitpunkt war der Tod ganz sicher eingetreten, mit dem Rücken auf die Beine gelegt. Die Knochen standen nach vorne raus. Aber das haben wir ja gesehen, Herr Schmitt.«

»Leider.«

»Dann ging alles sehr schnell. Er schlitzte die Arme der Länge nach auf und schabte die Gesichtszüge ab. Dafür muss er ebenfalls einen bestimmten Grund gehabt haben. Keinen Sinn macht allerdings, dass er den Unterleib aufschnitt. Das erfolgte ohne Konzept, einfach kreuz und quer. Ich nehme an, dass er sich einfach noch sicher fühlte und aus Wut oder Genugtuung diese tiefen Schnitte vollführte.«

»Und die Waffe? Wir können wohl nicht annehmen, dass er allerlei Besteck dabei hatte!«

»Warum nicht? So etwas gab es schon einmal in London! Aber nein. Ich habe die Schnitte und Wunden genau vermessen. Es war ein schwerer Gegenstand aus Metall. Es war ein sehr scharfer und langer Gegenstand. Eine Seite hatte eine Art Zacken oder Sägezähne, oder wie sie das nennen wollen.«

»Ein Jagdmesser!«

»Nun, es gibt solche Messer für die Jagd. Aber die sind zu klein und zu leicht. Ich habe mich daraufhin im Waffenbereich umgesehen. Für mich kommt nur ein sogenanntes Bowiemesser in Frage.«

»Wie im Wilden Westen?«

»Ja, ja. Aber die werden auch heute noch gerne gekauft. Also das sind fast Schwerter. So ein Messer hat eine Klinge mit etwa 30 Zentimetern Länge, die bis zu sechs Millimeter stark sein kann. Dazu kommt der Griff, also die Dinger sind so um die 40 Zentimeter lang und können über ein Kilo wiegen. Die Klingen sind extrem gehärtet und extrem scharf und spitz. Viele haben am Messerrücken diese typischen Sägezähne. Für mich passt eine solche Waffe perfekt zu allen Verletzungen.

Vor allem der Schlag in den Nacken mit dem Ergebnis eines Wirbelbruches ist für mich mit einer solchen Waffe absolut nachvollziehbar. Die kann man mit voller Wucht einsetzen.«

»Und die kann man einfach so mit sich rumtragen?«

»Hannah, man merkt, dass du bei der Sitte warst. Kann man, wenn’s keiner sieht. Das ist rechtlich eine richtige Grauzone. Aber jetzt fällt es mir ein. Da war doch in der Nacht ein Einbruch in einem Outdoorladen. Der hat sich das Ding vielleicht aus dem Schaufenster geholt. Wir müssen morgen gleich dahin. Was war mit den Laborwerten?«

»Nun, wie ich vermutete. Die Werte weisen auf sehr einseitige Ernährung und Alkoholismus hin. Hohe Leberwerte, so um die 90, hoher Cholesterinspiegel an die 300, erhöhte Harnsäure und so weiter. Weitere Werte sprechen für häufige Infektionen, wie sie bei einem Leben im Freien oft auftreten. Also meine erste Annahme, dass es sich um einen ›Nichtsesshaften‹ handeln könnte, dürfte bestätigt sein. Auch an dem Zustand der Haut kann man erhebliche Mangelerscheinungen ablesen.«

»Kann man die Gesichtszüge rekonstruieren?«

»Das kann man, Frau de Fries. Sogar ziemlich zuverlässig. Das würde aber nur Sinn machen, wenn sie den Täter im Umfeld des Opfers suchen und es deswegen eindeutig identifizieren müssen. Der arme Mann hier kreuzte rein zufällig den Weg dieses Monsters. Das ist meine Meinung.«

»Können Sie uns ein Fazit mit auf den Weg geben?«

»Es ist das Werk eines Psychopathen, der sich wahllos ein Opfer sucht, ein männliches Opfer, um irgendwelche erlebte und nie verarbeitete Traumata abzureagieren und seiner Umwelt dadurch etwas mitzuteilen. Mehr kann nur ein forensisch geschulter Psychologe dazu sagen.«

»Es geht weiter?«

»Wenn so einer einmal angefangen hat, dann können Sie damit rechnen. Hier oder anderswo. Aber es wird passieren.«

»Sie haben Recht, Dr. Rosser. Es dauert oft Jahre, bis solcher Wahnsinn aus dem Täter herausbricht. Latent ist er vorher immer gefährlich. Aber wenn das erste Opfer erledigt ist, dann will er immer mehr.«

»Sie ...«

»Einige Semester Psychologie.«

»Ah. Ich verstehe.«

»Bevor ich es vergesse. Einen ganz wichtigen Aspekt haben wir noch gar nicht angesprochen. Es gibt keine verwertbaren Täterspuren. Keine fremde DNA. Ich vermute, der Täter hat Schutzkleidung und Handschuhe getragen. Da gibt es so gummierte ABC-Schutzanzüge, die man sogar über die Schuhe ziehen kann. Die können sie bei ebay bestellen. Genau so einen muss er getragen haben, weil wir auf dem Pflaster frischen Gummiabrieb gefunden haben, der mit dem Material der Anzüge vergleichbar ist. Kein Wunder, der Täter wird sich hingekniet haben, um die Tathandlungen auszuführen.«

»Das sind keine guten Nachrichten. Ich muss gleich anschließend mit dem Chef reden. Wir müssen uns wegen der Sicherheit in der Stadt gründlich Gedanken machen.«

»Da könnt ihr alles versuchen. Verhindern können wir das nicht.«

Ich widerspreche Hannah nicht.

»Das mag zutreffen. Aber wir sind Organe des Staates. Und niemand darf uns vorwerfen können, dass wir nichts getan haben. Das ist wie mit diesen Terrorgeschichten. Verhindern kannst du es letztendlich nicht. Aber wenn du untätig warst, dann rollt der Kopf!«

»Komm, wir gehen noch in das Café da vorne, ich lade dich ein. Deine Frau sieht es ja nicht.«

Und wieder sehe ich Hannah lächeln.

Als ich auf dem Parkplatz den Wagen aufsperren will, der Schlüsselsender funktioniert mal wieder nicht, fällt mir der Schlüssel aus der Hand und ich hebe ihn vom Boden auf. Als ich mich wieder aufrichten will, legt Hannah ihre Arme um mich und zieht mich kräftig zu sich hin. Bevor ich reagieren kann, ist ihr Mund auf dem meinen. Sie drückt ihre festen Lippen gegen meinen Mund und ich öffne ihn. Gierig schiebt sie ihre Zunge hinein und ich erwidere die Zärtlichkeit.

Wir küssen uns so für Minuten. Ich kann es einfach nicht glauben, aber ich genieße es. Sie zieht mich fester an sich. Meine Hände greifen unter ihr T-Shirt an ihre schmale Taille und ich fühle ihre sanfte Haut. Ich spüre, dass ich sie haben will. Aber mein Verstand sagt nein.

»Hannah, lass jetzt. Das ist nicht der richtige Ort.« Ich glaube nicht, was ich da sage. »Das ist überhaupt nicht richtig, was wir da machen. Wir dürfen das nicht!«

»Warum nicht? Ich will es und du willst es auch. Es kommt die Zeit.«

Mit diesen Worten setzt sie sich auf den Beifahrersitz und tippt wieder in ihr Telefon. Völlig unbeteiligt. Als ob nichts gewesen wäre.

*

Bei Dr. Ruschka im Büro.

»Chef, es könnte ein ernstes Problem geben. Nach allen bisherigen Erkenntnissen müssen wir mit einer weiteren Tat rechnen. Ich muss es so deutlich sagen. Wenn der Täter sich hier aufhält, dann macht er hier weiter. Wenn er herumreist, dann bekommen andere ein Problem, was mich aber auch nicht beruhigt. Wir brauchen Schutz in der Stadt und wir brauchen ein genaues Täterprofil, das wir mit anderen Fällen vergleichen können.«

»Einen Profiler, Schmitt, so etwas?«

»Genau das. Da reicht unsere Ausbildung nicht und unsere Erfahrung auch nicht. Und die Rechtsmedizin ist ebenfalls überfordert.«

In diesem Moment geht die Tür ganz auf und Hannah kommt herein.

»Ich mache das. Ich kann das. Und ich will das machen.«

»Wird jetzt schon an der Tür gelauscht? Frau de Fries?«

»Sie haben das wohl gar nicht bemerkt, Chef, aber Sie waren hier sehr laut und die Tür stand halb offen. Jeder, der am Flur vorbeigegangen ist, konnte Ihr Gespräch hören. Es wird sehr eng, oder? Und da wird man dann laut, ohne es zu bemerken!«

»Ich möchte nicht, dass Hannah das macht, wir brauchen einen Externen.«

»Das sehe ich anders, Schmitt. Das spricht sich rum. Das ist in der gegenwärtigen Situation unklug.«

»Frau de Fries, ich habe von Ihrer Qualifikation gehört. Machen Sie sich an die Arbeit.«

»Chef!«

»Nein, Schmitt, das ist entschieden.«

»Was unternehmen wir in der Stadt?«

»Gute Frage. Wenn wir massiv Streife laufen lassen, dann kommt die Presse und schürt Panik. Wir brauchen Sondereinheiten in Zivil. Und das schnell. Ich regle das.«

*

Das ist der schwierigste Fall in meiner ganzen Laufbahn. Und jetzt passiert mir das mit Hannah auch noch. Ich bin ein Idiot. Ich habe am vergangenen Freitag die Frau geheiratet, nach der ich ewig gesucht hatte und die ich liebe. Und jetzt das. Was zieht mich zu Hannah hin? Klar. Sie ist sehr jung, sehr schön, irrsinnig attraktiv und betörend sinnlich.

Aber Ilse kann da doch locker mithalten. Ganz sicher. Ich denke, es ist diese Verletzlichkeit, die Hannah ausstrahlt, wenn sie einen ansieht mit dem leicht traurigen Gesichtsausdruck. Sie sendet das Signal »hilf mir«, wenn sie ihren Blick auf einen wirft. Dazu kommt ihre kompromisslose Annäherung. Sie braucht kein Spiel, sie will nicht flirten, nicht umworben werden. Sie zeigt, was sie will, und sie nimmt es sich. Sie gibt einem das Gefühl, dass man begehrt wird, dass man sofort bekommt, was ein Mann will.

Herbert reißt mich aus meinen Gedanken.

»Gut, dass du mich gleich ang’rufen hast, wecher dem Einbruch in des Wandergeschäft. Ich bin gleich hin.«

»Äh, ja, und?«

Ich bin noch immer nicht zurück in der Wirklichkeit.

»Da hat nix weiter g’fehlt als a großes Messer.«

»Lass mich raten, ein Bowiemesser!«

»Woher wasst etz du des scho widder.«

»Deswegen hab ich dich dahin geschickt. Wir gehen davon aus, dass so ein Messer die Tatwaffe ist.«

»Leck mich am Arsch. Ka Wunder, dass der so herg’richt war. Der Verkäufer hat mir a gleiches Modell gezeicht. Des sind drümmer Dinger. Ein ›Herbertz Bowie Messer Master Ranger‹. Des Ding iss 40 Zentimeter lang und sauschwer. Des iss wie a glans ...«

»Schwert. Ich weiß. Und hinten hat es so ein Sägeprofil. Richtig?«

»Wolff, du erstaunst mich!«

»Ganz einfach. Der Rechtsmediziner hat alle Verletzungsspuren vermessen und ausgewertet. Für ihn kommt nur so ein Messer in Betracht. Hast du sonst noch was rausfinden können?«

»Bis etz no nix. Ich bin mit der ganzen Nordseite am Hauptmarkt durch. Etz anschließend mach i die Westseit’n, also direkt den Bereich um die Fleischbrück’n.«

»Du machst das schon, Herbert.«

Kapitel 4 – Seelenkunde

Seit dem Mord sind zwei Wochen vergangen. Nachts ziehen die Kollegen von den Sondereinheiten durch die Nürnberger Innenstadt. Die Streifen kontrollieren verstärkt verdächtige Personen und Fahrzeuge, auch am Tag. Es ist aber eine trügerische Sicherheit, weil man eine Stadt mit der Größe von Nürnberg einfach nicht bewachen kann.

Herberts Streifzüge sind bisher erfolglos verlaufen, obwohl er den Drogenfahndern einige schöne Hinweise geben konnte, als er so manchen Hinterhof besichtigte, wo allerlei Gewächse gedeihen.

»So weit bin ich durch. Do sinn noch a boor im Urlaub, also zur Tatzeit wor’n die scho do, die konn’ ich erscht nächste Woch’n aufsuchen. Die Leit’ worn insgesamt sehr kooberativ. Und viele ham richtig Angst. Die sag’n, mir kaaf’n uns a Bier und bleib’n abends derham, do konn nix bassier’n.«

»Ich weiß schon, Herbert. Die Situation ist mehr als unschön. Aber wir kommen nicht recht weiter. Harald und Cem sind noch unterwegs und recherchieren vor Ort die ungeklärten Fälle, die Ilse gefunden hat. Ilse selbst ist damit beschäftigt, zu rekonstruieren, wie der Täter unbemerkt zum Tatort und wieder wegkommen konnte. Sie sitzt stundenlang über Stadtplänen und vergleicht dann an Ort und Stelle. Welche öffentlichen Verkehrsmittel könnten in Frage kommen, welche Zufahrtsmöglichkeiten könnte er benutzt haben und so weiter. Ein Aufruf an alle Taxifahrer brachte kein Ergebnis. Dann die Frage, wo ist die Tatwaffe? Wo sie herstammt, das wissen wir zu 99 Prozent, also gut, 100 Prozent. Aber wo ist sie jetzt? Warum hat keiner was von dem berstenden Schaufenster in dem Laden mitbekommen?«

»Da geht noch a wen’g was, Wolff. Ausg’rechned in dem Haus sind drei Familien miteinander in Urlaub g’fahrn. Noch in der Dadnacht. Mallorga, mit der Maschine um 5 Uhr 30. Des hast, die sind so um die Dadzeit weg, könnten abber vorher noch was g’merkt ham.«

»Sehr gut, Herbert!«.

Harald stößt zu uns.

»Die Hannah hab’ ich seit vier Tagen nicht mehr gesehen.«

»Die büffelt über dem Bericht der Rechtsmedizin und vergleicht mit den Ergebnissen von Ilse. Sie wollte Auskünfte über alle Insassen in den psychiatrischen Abteilungen hier in der Gegend, die auch nur im Entferntesten in Frage kommen, aber du weißt ja, ärztliche Schweigepflicht!«

»Und was machst du grad, Wolff?«

»Ich wehre mit dem Chef alle Anfragen der Presse und unserer Freunde in der Politik ab. Der OB hier in Nürnberg ist o. k. Mit dem hatten wir ein langes Gespräch und er hat Verständnis gezeigt. Noch. Und schon sind auch die Damen und Herren in München neugierig geworden. Dass wir das ja alles richtig machen. Aber mit denen wird der Ruschka schon fertig. Kennst ihn ja.«

»Ach ja. Der dunkle Gummianzug. Du glaubst gar nicht, wie viele Durchgeknallte sich so ein Zeug bestellen, weil sie Angst vor einem Atomkrieg oder Ebola oder sonst was haben. Die stammen noch aus NVA-Beständen. Allein hier im Großraum wurden 284 Stück verkauft. Die Leute von ebay haben natürlich heftig gemauert. Bis der Chef über das LKA insistierte. Die werden jetzt alle überprüft. Dazu haben wir sofort drei Kollegen von der Fahndung eingesetzt. Die Spur ist nicht zu unterschätzen!«

Als Harald wieder weg ist, fragt Herbert leise.

»Du Wolff. Wos issn do los, mit der Ilse und dir? Die hot sich a wen’g ausg’weint bei mir. Host du wos mit dera Hannah?«

»Nein, Herbert. Die Ilse war früher nie so, erst als die Hannah zu uns kam. Auf einmal war sie so eifersüchtig. Nur weil ich mit dem Mädel zweimal nach Erlangen gefahren bin. So kenn’ ich sie nicht. Sie ist doch eine starke Frau!«

»Ich hob euch a wen’g beobachtet, die Hannah und dich. Ich waas fei net.«

»Ich denke, ich bin der Fuchs! Aber du hast richtig beobachtet. Irgendetwas, was ich mir nicht erklären kann, zieht mich zu dieser Frau hin. Und ihr geht es wohl ähnlich.«

»Mensch Wolff, mach kann Scheiß. Des konnst der Ilse net antun!«

»Ich weiß, Herbert. Das will ich auch nicht. Also es war noch nichts Strafbares zwischen Hannah und mir. Ich drück’s mal so aus. Aber es knistert heftig und ich kann nicht mehr lange widerstehen!«

»Au weh. Des klingt net gut. Wolff, bitte denk’ da gründlich drüber nach. Des kannst net machen.«

»Fragt sich, wer da was nicht machen kann.«

»Wie maanst etz des?«

»Die Ilse fährt mit einem Mann im Auto weg. Schon das zweite Mal. So ein komischer, gelackter Typ mit großem Mercedes.«

»Du spinnst!«

»Nein, Herbert. Ich komm’ vor vier Tagen von der Burgstraße ’runter, da steht dieser Wagen vor unserem Haus. Er sitzt drinnen und wartet. Ilse kommt aus dem Haus, sie steigt zu ihm ein, dann fahren sie weg. So nach gut zwei Stunden ist sie wieder da. Sie sei noch etwas besorgen gewesen. Auf meine Frage, ob sie zu Fuß in der Stadt war, antwortet sie, Laufen sei gesund!«

»Etz legst di nieder!«

»So in etwa. Und vor zwei Tagen sah ich sie auch aus diesem Auto steigen.«

»Wolff, macht mer bloß kaan Scheiß!«

*

Und so kommt die dritte Woche ohne greifbare Erfolge.

Ich hatte mich von Hannah ferngehalten, was recht einfach war, da sie immer noch über den Akten brütete. Zwischenzeitlich konsultierte sie einen früheren Professor, bei dem sie studiert hat, und sie saßen dann beide in dem kleinen Büro im Präsidium, das sie in Beschlag genommen hatte.

Zwischen Ilse und mir ist es wieder einigermaßen gut und wir gehen abends zusammen aus und lachen. Wie früher. Also fast. Ich habe nicht den Mut, sie nach dem Mercedesmann zu fragen. Ist ja auch Blödsinn. Ilse und so ein Typ! Und wenn ich ehrlich bin, befürchte ich die Gegenfrage wegen Hannah. Wir planen sogar eine Hochzeitsreise nach Südtirol. Exotischer muss es nicht sein.

Der Anruf kommt um 4.26 Uhr am Morgen. Wir waren gestern Abend in der Kneipe bei Helmi und ich hatte etwas zu viel Weißbier. Ilse geht ran. Das Gespräch dauert nur etwa eine Minute.

»Wolff, anziehen. So ein verdammter Mist.«

»Oh nein, mein Kopf. Was ist?«

»Am Prinzregentenufer liegt ein Toter.«

»Wie?«

»Zerstückelt, wie sonst!«

»Quatsch, das meinte ich nicht. Wer hat ihn gefunden?«

»Eine Streife, die haben die gesamte Polizeimaschinerie, so wie wir es vorbereitet haben, schon in Gang gesetzt.«

»Gut. Ich brauche erst eine kalte Dusche und dann deinen starken Kaffee!«

»Jetzt!«

»Ja, jetzt. Sonst brauch’ ich da gar nicht hin, in meinem Zustand. Bitte!«

Den Kaffee trinke ich im Wagen. Wir kommen kaum durch die ganzen Absperrungen durch und hätten auch gleich zu Fuß gehen können. Unser Team, außer Hannah, ist schon vor Ort, der Chef fehlt auch noch. Das Opfer liegt unten an der Böschung zur Wöhrder Wiese. Absperrbänder wurden schon verankert, an der Leiche ist noch niemand dran.

»Wer hat die Leiche gefunden?«

Es kommen zwei junge Streifenpolizisten auf mich zu.

»Klaus Neumann, Polizeimeister, und meine Kollegin, Polizeiobermeisterin Dalya Schaller. Hallo, Herr Schmitt. Normalerweise sieht man da unten nichts im Vorbeifahren. Aber es rannte eine dunkle Gestalt über die Wiese, da haben wir nachgesehen.«

»Sie haben den Täter noch gesehen?«

»Na ja, eine dunkle Gestalt eben. Den Toten da unten haben wir erst entdeckt, als wir die Böschung runter sind. Wir haben dann sofort die Sondernummer angerufen, die Sie eingerichtet hatten. Das war irgendwie eindeutig, so wie der aussieht.«

»Sie haben schon den Flüchtenden durchgegeben?«

»Herr Schmitt«, die Polizistin spricht mich direkt an, »das dürfen Sie uns schon zutrauen. Ich habe sofort den Leichenfund gemeldet, eine knappe Beschreibung und die Fluchtrichtung des vermeintlichen Täters durchgegeben und die genaue Uhrzeit. Schau’n Sie da mal rüber, da ist die Hölle los!«

Tatsächlich, auf der anderen Seite des Wiesengrunds ist ein Meer von Blaulicht zu sehen.

»Tut mir leid, ich bin noch nicht richtig wach. Das haben Sie vorbildlich gemacht. War sonst noch jemand bei der Leiche?«

»Nein, wir haben die Meldung abgesetzt und dann abgesperrt.«

Ich steige den Abhang hinab. Ilse folgt mir.

»Magst du das wirklich sehen?«

»Jetzt und heute, ja.«

Es sind schon Scheinwerfer aufgestellt worden und der Tatort ist fast taghell. Der leblose Körper liegt im Laub, das noch vom Herbst übriggeblieben ist. Der Unterleib ist noch unversehrt. Das sagt mir mein Geruchssinn.

Es ist nicht ganz so schlimm wie auf der Fleischbrücke. Aber das ist wohl Ansichtssache. Die Beine sind noch dran, aber es klaffen entsetzlich große Wunden im Hüftbereich und an den vorderen Oberschenkeln. Die Arme sind der Länge nach aufgeschlitzt, wie bei dem anderen, die Gesichtszüge entfernt. Die Leiche ist nackt. Es ist wieder ein Mann. Ich blicke zur Seite, wo ein Bündel Kleidung im Gebüsch liegt.

»Das ist entsetzlich, Wolff. Was für ein Tier muss das sein, das einen Menschen so grausam zurichtet. Ach was rede ich, kein Tier macht so etwas.«

Ilse nimmt ihre Hände vors Gesicht und schüttelt kurz den Kopf.

»Der hatte keine Zeit mehr, weil er offenbar gestört wurde«, stellt Ilse fest, »schau mal da, eine Tasche. Die hat er liegenlassen.«

»Eher ein Beutel. Die Spurensicherung soll sich das Ding gleich vornehmen, egal, was da drin ist, es kann einen erheblichen Zeitvorteil für uns bringen, wenn wir daraus Informationen bekommen.«

»Die Adresse des Täters?«

»Jetzt bist du fast wieder die alte Ilse!«

»Die Alte. Du Charmeur!«

Wir verlassen die Absperrung und gehen zu den Kollegen.

»Jetzt haben wir die Katastrophe, Herrschaften, die Leiche ist genauso zugerichtet wie die auf der Fleischbrücke! Nur zu den Beinen ist er nicht mehr gekommen. Aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.«

»Ein Trittbrettfahrer?«

»Nein, Harald. Ich glaube nicht, dass wir zwei solche Verrückte in der Stadt haben. So einen Zufall gibt es nicht.«

»Er hat die Reihenfolge nicht eingehalten!«

Hannah taucht plötzlich hinter Ilse und mir auf.

»Die Reihenfolge der Verletzungen. Zuerst kommt der Nackenschlag, dann die Halsschlagader. Und dann gleich die Beine nach hinten. Das hat er diesmal anders gemacht. Er war erst an den Armen und dann am Gesicht. Er musste wahrscheinlich flüchten und hat die Kleidung und den Beutel da zurücklassen müssen.«

»Der muss schon gestört worden sein, bevor die Streife angehalten hat. Denn die haben ihn bereits wegrennen sehen.«

Die Spurensicherung macht ihre Arbeit.

»Hauptkommissar Schmitt, bitte kommen Sie herunter, da ist etwas, das Sie sehen müssen!«

Ich ziehe mir jetzt so einen weißen Schutzanzug an. Das hatten wir vorhin weggelassen. Eigentlich war das sehr unprofessionell, aber da war wohl mein Alkoholpegel schuld. Hannah folgt mir, ebenfalls in Weiß. Ein Kollege macht uns auf etwas aufmerksam.

»Hier, sehen Sie. Ein Stofffetzen an dem Ast da. Der muss es eilig gehabt haben.«

»Wie kommt ihr darauf, dass der ausgerechnet vom Täter stammt?«

»Die kommen gar nicht drauf. Aber der ist vom Täter. Gummibeschichtetes Gewebe. Also wieder ein Schutzanzug.«

Hannah ist am tiefsten in den Fall eingearbeitet.

»Gleich ins Labor damit. Vielleicht haben wir Glück und da ist was von ihm hängengeblieben.«

»Und hier, der Beutel.«

Der Kollege von der Spusi zeigt mir den Inhalt.

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23 декабря 2023
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