Читать книгу: «H. G. Wells – Gesammelte Werke», страница 42
18 – Im Sonnenschein
Bald sahen wir, dass die Höhle sich auf eine neblige Leere öffnete. Im nächsten Moment waren wir auf eine Art schiefer Galerie hinausgetaucht, die in einen riesigen kreisrunden Raum vorsprang, einen ungeheuren zylindrischen Schacht, der senkrecht auf und ab lief. Um diesen Schacht lief die schiefe Galerie ohne jede Brustwehr und ohne Schutz anderthalb Windungen herum und tauchte dann hoch oben wieder in den Felsen hinein. Irgendwie erinnerte sie mich damals an einen jener großen Spiraltunnels der Eisenbahn durch den St. Gotthard. Es war alles ungeheuer riesenhaft. Ich kann kaum hoffen, die titanischen Verhältnisse dieses ganzen Raumes klarzumachen, seine titanische Wirkung. Unsere Augen folgten dem ungeheuren Absturz der Schachtmauer, und zu Häupten weit oben erblickten wir eine runde Öffnung, die mit blassen Sternen besetzt war, und ihre halbe Lippe nahezu blendend durch das weiße Licht der Sonne. Da schrien wir gleichzeitig auf.
»Kommen Sie!«, sagte ich und führte.
»Aber da?«, sagte Cavor und trat dem Rande der Galerie sehr vorsichtig näher. Ich folgte seinem Beispiel und reckte mich vor und blickte hinab, aber ich war von dem Lichtglanz oben geblendet und konnte nur eine bodenlose Dunkelheit mit darin schwimmenden roten und purpurnen Spektralflecken sehen. Aber wenn ich nicht sehen konnte, so konnte ich hören. Aus dieser Dunkelheit drang ein Schall heraus, ein Schall wie das zornige Summen, das man hören kann, wenn man das Ohr an einen Bienenkorb legt, ein Schall aus jener ungeheuren Höhle, vielleicht vier Meilen unter unseren Füßen …
Einen Moment lauschte ich, dann fasste ich meine Stange fester und führte die Galerie hinauf.
»Dies muss der Schacht sein, in den wir hinuntergeblickt haben«, sagte Cavor. »Unter dem Deckel.«
»Und da unten, da haben wir die Lichter gesehen.«
»Die Lichter!«, sagte er. »Ja – die Lichter der Welt, die wir nun nie sehen werden.«
»Wir kommen wieder«, sagte ich, denn jetzt, da wir so weit entkommen waren, war ich übereilt sanguinisch in dem Glauben, dass wir die Sphäre wiederfinden würden.
Seine Antwort hörte ich nicht.
»Eh?«, fragte ich.
»Es kommt nicht drauf an;« sagte er und wir eilten schweigend weiter.
Ich glaube, dieser schräge Weg war, seine Kurve berücksichtigt, vier oder fünf Meilen lang, und er stieg mit einem Gefälle, das ihn auf der Erde beinahe unmöglich steil gemacht hätte, das man aber unter den Verhältnissen des Mondes leicht hinauf schritt. Während dieses ganzen Teils unserer Flucht sahen wir nur zwei Seleniten, und so wie sie uns bemerkten, liefen sie jäh davon. Es war klar, dass die Nachricht von unserer Kraft und Gewalttätigkeit sie erreicht hatte. Unser Weg nach außen war unerwartet einfach. Die Spiralgalerie streckte sich in einen steil ansteigenden Tunnel, dessen Boden reichlich Spuren der Mondkälber zeigte, und er war im Verhältnis zu seinem weiten Bogen so gerade und kurz, dass er nirgends absolut dunkel war. Fast sofort begann er heller zu werden, und dann erschien weit voraus und hoch oben und ganz blendend hell die Öffnung nach außen, ein Hang von alpiner Steilheit, der von einem Kamm von Bajonettgestrüpp überragt wurde, das hoch und niedergebrochen, und trocken und tot in stachliger Silhouette gegen die Sonne stand.
Und es ist seltsam, dass wir Menschen eben diese Vegetation, die uns noch vor einer kleinen Weile so unheimlich und furchtbar erschienen war, jetzt mit der Bewegung anblickten, die ein heimkehrender Verbannter beim Anblick seines Heimatlandes fühlen mag. Wir bewillkommneten selbst die Dünne der Luft, unter der wir im Laufen zu keuchen hatten, und bei der das Sprechen nicht mehr so leicht war, wie es gewesen war, sondern zu einer Anstrengung wurde, um sich vernehmbar zu machen. Größer wurde der sonnenerleuchtete Kreis über uns und größer, und der ganze nähere Teil des Tunnels versank in einen Rand von ununterscheidbarem Schwarz. Wir sahen den Bajonettstrauch nicht mehr mit dem geringsten Anflug von Grün darin, sondern braun und trocken und dick, und der Schatten seiner oberen Zweige, die hoch außer Sicht waren, warf ein dicht verschlungenes Muster auf die krausen Felsen. Und unmittelbar an der Mündung des Tunnels lag ein weiter niedergetretener Raum, wo die Mondkälber gekommen und gegangen waren.
Wir kamen schließlich in ein Licht und in eine Hitze auf diesen Raum hinaus, die uns bedrückten und quälten. Wir gingen mühsam über die kahle Fläche und kletterten zwischen den Strauchstämmen einen Hang hinauf, und setzten uns schließlich atemlos an einer hohen Stelle unter dem Schatten einer wirren Lavamasse nieder. Selbst im Schatten fühlte der Fels sich heiß an.
Die Luft war intensiv heiß, und wir spürten großes physisches Unbehagen, aber trotz alledem waren wir nicht mehr in einem Alb. Wir schienen wieder in unsere Provinz gekommen zu sein, unter die Sterne. All die Angst und die Anstrengung unserer Flucht durch die dunklen Gänge und Spalten war von uns gefallen. Jener letzte Kampf hatte uns, soweit die Seleniten in Frage kamen, mit ungeheurem Selbstvertrauen erfüllt. Wir blickten fast ungläubig auf die schwarze Öffnung zurück, aus der wir eben aufgetaucht waren. Da unten war es, in einem blauen Schein, der uns jetzt in der Erinnerung gleich nach dem absoluten Dunkel zu kommen schien, dort waren wir Wesen begegnet, die wie tolle Hohnbilder auf Menschen waren, helmbehäupteten Geschöpfen, und dort waren wir in Angst vor ihnen einhergegangen und hatten uns ihnen unterworfen, bis wir uns nicht mehr unterwerfen konnten. Und siehe, sie waren wie Wachs zerspritzt, wie Spreu verweht, waren wie die Geschöpfe eines Traumes geflohen und geschwunden!
Ich rieb mir die Augen und zweifelte, ob wir nicht geschlafen hätten und diese Dinge infolge der Pilze, die wir gegessen hatten, geträumt, und plötzlich entdeckte ich das Blut auf meinem Gesicht, und dann, dass mir das Hemd schmerzhaft an Arm und Schulter klebte.
»Zum Henker!«, sagte ich und bemaß meine Schäden mit einer untersuchenden Hand; und plötzlich wurde die ferne Tunnelmündung gleichsam ein beobachtendes Auge.
»Cavor!«, sagte ich, »was werden Sie jetzt tun? Und was wollen wir tun?«
Er schüttelte den Kopf, die Augen auf den Tunnel geheftet. »Wie kann man wissen, was sie tun werden?«
»Es kommt darauf an, was sie von uns denken, und ich sehe nicht, wie wir es anfangen können, das zu erraten. Und es hängt davon ab, was sie in Reserve haben. Es ist, wie Sie sagten, Cavor, wir haben bloß erst die Außenseite dieser Welt berührt. Selbst schon mit diesen Schießapparaten könnten sie uns die Hölle heiß machen …«
»Aber schließlich«, sagte ich, »selbst wenn wir die Sphäre nicht finden, bleibt eine Möglichkeit für uns. Wir könnten durchhalten, selbst bei Nacht. Wir könnten wieder hinuntergehn und die Sache durchkämpfen.«
Ich blickte mit spekulativen Augen um mich. Der Charakter der Szenerie war infolge des ungeheuren Wachstums und nachherigen Vertrocknens der Büsche völlig verändert. Der Kamm, auf dem wir saßen, war hoch und beherrschte eine weite Aussicht auf die Kraterlandschaft, und wir sahen sie jetzt ganz dürr und trocken im späten Herbst des Mondnachmittags. Hintereinander erhoben sich lange Felder niedergestampften Brauns, wo die Mondkälber geweidet hatten, und weithin sonnte sich schläfrig eine Herde von ihnen, zerstreute Gestalten, jede mit einem Schattenfleck neben sich, Schafen gleich auf einem Dünenhang. Aber kein einziges Zeichen von einem Seleniten war zu sehen. Ob sie bei unserem Auftauchen aus den inneren Gängen geflohen waren, oder ob sie gewohnt waren, sich zurückzuziehen, wenn sie die Mondkälber hinausgetrieben hatten, das kann ich nicht sagen. Damals glaubte ich das erstere.
»Wenn wir all dies Zeug anzündeten«, sagte ich, »könnten wir die Sphäre unter der Asche finden.«
Cavor schien mich nicht zu hören. Er blickte unter seiner Hand her nach den Sternen, die immer noch, trotz des intensiven Sonnenscheins, am Himmel sichtbar waren. »Wie lange, meinen Sie, sind wir hier?«, fragte er schließlich.
»Wo?«
»Auf dem Monde.«
»Vielleicht zwei irdische Tage.«
»Näher an zehn. Wissen Sie, die Sonne ist über den Zenith hinaus und sinkt im Westen. In vier Tagen oder noch weniger wird es Nacht sein.«
»Aber – wir haben nur einmal gegessen.«
»Das weiß ich. Und – – Aber da sind die Sterne!«
»Und warum sollte die Zeit anders erscheinen, wenn wir auf einem kleineren Planeten sind?«
»Ich weiß nicht. Es ist so!«
»Wie zählt man die Zeit?«
»Hunger – Ermüdung all das ist anders. Alles ist anders – alles. Mir scheint, seit wir die Sphäre verlassen haben, das ist nur eine Frage von Stunden – langen Stunden – höchstens!«
»Zehn Tage«, sagte ich, »da bleiben – –« Ich blickte einen Moment zur Sonne auf und sah dann, dass sie vom Zenith halbwegs bis an den westlichen Rand der Dinge gesunken war. »Vier Tage! … Cavor, wir dürfen nicht hier sitzen und träumen! Wie meinen Sie, können wir anfangen?«
Ich stand auf. »Wir müssen einen festen Punkt nehmen, den wir wiedererkennen könnten – wir könnten eine Flagge hissen oder ein Taschentuch oder irgend etwas – den Boden vierteilen und daherum arbeiten.«
Er stand neben mir auf.
»Ja«, sagte er, »es bleibt nichts, als die Sphäre zu suchen. Nichts. Wir können sie finden – gewiss, wir können sie finden. Und wenn nicht – –«
»Wir müssen fortwährend ausschauen.«
Er blickte hierhin und dorthin, spähte zum Himmel empor und zum Tunnel hinab und erstaunte mich durch eine plötzliche Geste der Ungeduld. »O! aber wir haben es töricht angefangen! Dass wir in diese Lage kommen konnten! Denken Sie nur, wie es hätte sein können und was wir alles hätten tun können!«
»Wir können noch immer einiges tun.«
»Nie, was wir hätten tun können. Hier unter unseren Füßen liegt eine Welt. Denken Sie, was für eine Welt das sein muss! Denken Sie an die Maschine, die wir sahen, und an den Deckel und an den Schacht! Das waren nur erst ferne, vorgeschobene Dinge, und diese Geschöpfe, die wir gesehen und mit denen wir gekämpft haben, waren nichts als unwissende Bauern, Tölpel und Arbeiter, die halb mit Tieren verwandt sind. Tief unten! Höhlen unter Höhlen, Tunnels, Bauten, Wege … Da muss es sich ausweiten, größer und weiter und volkreicher werden, je mehr man hinabsteigt. Sicherlich. Ganz hinunter schließlich bis zum Zentralmeer, das das Herz des Mondes umspült. Denken Sie an die tintigen Wasser unter den spärlichen Lichtern – wenn ihre Augen überhaupt Lichter nötig haben! Denken Sie an die stürzenden Zuflüsse, die ihre Kanäle niederrinnen, um sie zu speisen! Denken Sie an die Gezeiten auf ihrer Oberfläche und an den Sturm und Wirbel ihrer Ebbe und Flut! Vielleicht haben sie Schiffe, die auf dem Meere fahren, vielleicht liegen da unten mächtige Städte und wimmelnde Straßen, und es gibt dort Weisheit und Ordnung, wie sie Menschenwitz übersteigen. Und wir können hier oben sterben, ohne je die Herren zu sehen, die es geben muss – die über diese Dinge herrschen! Wir können hier erfrieren und sterben, und die Luft wird über uns gefrieren und tauen, und dann –! Dann werden sie auf uns stoßen, auf unsere steifen und stillen Leichen stoßen, und sie werden die Sphäre finden, die wir nicht finden können, und sie werden schließlich zu spät all das Denken und Mühen begreifen, das hier vergeblich endete!«
Seine Stimme klang während dieser ganzen Rede wie die Stimme eines, den man durch ein Telefon hört, schwach und fern.
»Aber die Dunkelheit«, sagte ich.
»Darüber könnte man wegkommen.«
»Wie?«
»Das weiß ich nicht. Wie soll ich das wissen? Man könnte eine Fackel tragen, man könnte eine Lampe haben. – Die anderen – sie begriffen vielleicht.«
Er stand einen Moment mit gesenkten Händen und kläglichem Gesicht da und blickte über die Wüste hin, die ihm trotzte. Dann wandte er sich mit einer Geste des Verzichts und mit Vorschlägen zu einer systematischen Suche der Sphäre zu mir.
»Wir können wiederkommen«, sagte ich.
Er blickte um sich. »Zu allererst werden wir auf die Erde kommen müssen.«
»Wir könnten Traglampen und Klettereisen und hundert notwendige Dinge mit zurückbringen.«
»Ja«, sagte er.
»Wir könnten ein Zeugnis des Erfolgs in diesem Gold mitnehmen.«
Er blickte meine goldenen Hebestangen an und sagte eine Zeit lang nichts. Er stand mit hinter dem Rücken geballten Händen da und starrte über den Krater. Schließlich seufzte und sprach er! »Ich habe den Weg hierher gefunden, aber einen Weg finden, heißt nicht immer, Herr eines Weges sein. Wenn ich mein Geheimnis auf die Erde zurückbringe, was wird geschehen? Ich sehe nicht, wie ich mein Geheimnis auch nur ein Jahr bewahren kann, auch nur einen Teil eines Jahres. Früher oder später muss es herauskommen, selbst wenn andere Menschen es von neuem entdecken. Und dann … Die Regierungen und Mächte werden hierherzukommen ringen, sie werden gegeneinander kämpfen und gegen dies Mondvolk; das wird nur Krieg verbreiten und die Anlässe des Krieges vermehren. In kurzer Zeit, in sehr kurzer Zeit wird dieser Planet, wenn ich mein Geheimnis sage, bis in seine tiefsten Galerien hinein mit menschlichen Leichen besät sein. Andere Dinge sind zweifelhaft, aber das ist sicher … Es ist nicht, als ob der Mensch irgend etwas mit dem Mond anfangen könnte. Was könnte der Mond den Menschen nützen? Selbst aus ihrem eigenen Planeten haben sie nichts gemacht als ein Schlachtfeld und einen Schauplatz unendlicher Narrheit. So klein seine Welt ist, und so kurz seine Zeit, trotzdem hat er noch in seinem kleinen Leben da unten weit mehr, als er tun kann. Nein! Die Wissenschaft hat sich zu lange abgeplagt, Waffen zum Gebrauch für Narren zu schmieden. Es ist Zeit, dass sie innehält. Mag er es selber wiederfinden – nach ein paar tausend Jahren!«
»Es gibt Methoden des Geheimnisses«, sagte ich.
Er blickte zu mir auf und lächelte. »Im Grunde –«, sagte er, »warum sollte man sich plagen? Dass wir die Sphäre finden, dazu ist wenig Aussicht vorhanden, und da unten brauen die Dinge. Es ist eben nur die menschliche Angewöhnung zu hoffen, bis man stirbt, wenn wir an Rückkehr denken. Unsere Mühen beginnen erst gerade. Wir haben diesem Mondvolk Gewalt gezeigt, wir haben ihm unsere Art zu kosten gegeben, und unsere Aussichten stehen etwa so gut wie die eines Tigers, der losgekommen ist und im Hydepark einen Menschen getötet hat. Die Nachricht von uns muss von Galerie zu Galerie hinunterlaufen, hinunter zu den zentralen Teilen … Keine vernünftigen Wesen werden uns je die Sphäre auf die Erde zurücknehmen lassen, nachdem sie so viel von uns gesehen haben.«
»Wir verbessern unsere Aussichten nicht«, sagte ich, »wenn wir hier sitzen bleiben.« Er stand neben mir auf.
»Schließlich«, sagte er, »müssen wir uns trennen. Wir müssen auf diesen hohen Dornen hier ein Taschentuch befestigen und das zum Zentrum nehmen und den Krater durchsuchen. Sie müssen nach Westen gehen und nach der untergehenden Sonne hin Halbkreise hin und her schlagen. Sie müssen erst mit dem Schatten rechts gehen, bis er mit der Richtung Ihres Taschentuchs einen rechten Winkel bildet, und dann mit Ihrem Schatten auf der linken Seite. Und ich werde das gleiche nach Osten tun. Wir wollen in jede Spalte blicken, jede Felsenklippe untersuchen; wir wollen tun, was wir können, um meine Sphäre zu finden. Wenn wir Seleniten sehen, wollen wir uns, so gut wir können, vor ihnen verbergen. Zum Trinken müssen wir Schnee nehmen, und wenn wir das Bedürfnis fühlen zu essen, so müssen wir, wenn wir können, ein Mondkalb töten und essen, was es an Fleisch hat – roh – und so wird jeder seinen eigenen Weg gehn.«
»Und wenn einer auf die Sphäre stößt?«
»So muss er zu dem weißen Tuch zurückkehren und sich daneben aufstellen und dem anderen signalisieren.«
»Und wenn keiner von beiden – –«
Cavor blickte zur Sonne auf. »Wir suchen weiter, bis uns die Nacht und die Kälte überfallen.«
»Wenn aber die Seleniten die Sphäre gefunden und versteckt haben?«
Er zuckte die Schultern.
»Oder wenn sie nun kommen, um uns zu jagen?«
Er gab keine Antwort.
»Sie sollten lieber eine Keule mitnehmen«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf und starrte über die Wildnis von mir fort.
Aber einen Moment lang ging er noch nicht davon. Er blickte sich heimlich nach mir um. »Au revoir«, sagte er.
Ich fühlte einen ungeheuren Stich der Rührung. Ein Gefühl davon, wie wir einander geärgert hatten, überkam mich. »Zum Henker!«, dachte ich, »wir hätten Besseres tun können!« Ich stand im Begriff, ihn zu bitten, mir die Hand zu schütteln – denn das war gerade meine Stimmung – als er die Füße zusammentat und nach Norden von mir fortsprang. Er schien wie ein totes Blatt durch die Luft zu schweben, fiel leicht auf und sprang weiter. Einen Moment blieb ich stehen und sah ihm nach, dann wandte ich mich widerstrebend nach Westen, nahm mich zusammen, wählte, etwa mit dem Gefühl eines Mannes, der in eisiges Wasser springt, einen Springpunkt aus und tauchte nach vorn, um meine einsame Hälfte der Mondwelt zu durchforschen. Ich sank ziemlich plump mitten zwischen Felsen nieder, richtete mich auf und blickte um mich, kletterte auf eine Felsenspalte und sprang weiter …
Als ich mich bald darauf nach Cavor umsah, war er meinen Augen verborgen, aber das Taschentuch hing wacker auf seiner Höhe, weiß im Sonnenglanz.
Ich beschloss, was auch geschehen mochte, das Taschentuch nicht aus den Augen zu lassen.
19 – Mr. Bedford allein
Nach einer kleinen Weile war es mir, als sei ich immer allein auf dem Mond gewesen. Ich suchte eine Zeit lang mit einer gewissen Spannung, aber die Hitze war noch sehr groß, und die Dünne der Luft lag einem wie ein Reifen um die Brust. Dann kam ich in ein hohles Becken, das um seinen Rand herum von großem, braunem, trockenem Laube starrte, und unter ihm setzte ich mich hin, um auszuruhen und abzukühlen. Ich legte meine Keulen neben mir nieder und setzte mich, indem ich das Kinn in die Hände stützte. Ich sah mit einer Art farblosem Interesse, dass die Felsen des Bassins, wo hier und dort die knisternden, trockenen Flechten zusammengeschrumpft waren und den Stein sehen ließen, ganz mit Gold durchädert und gesprenkelt waren, und dass hier und dort Buckel runden und runzligen Goldes aus der Spreu hervorragten. Was kam noch darauf an? Eine Art Mattigkeit hielt Glieder und Geist gefangen, ich glaubte einen Moment lang nicht daran, dass wir die Sphäre in dieser ungeheuren vertrockneten Wildnis jemals finden würden. Es war, als fehle mir das Motiv zur Anstrengung, bis die Seleniten kämen. Dann, glaubte ich, würde ich mich anstrengen und jenem unvernünftigen Imperativ gehorchen, der den Menschen vor allen anderen Dingen drängt, sein Leben zu erhalten und zu verteidigen, wenn er es auch nur erhält, um nach einer kleinen Weile umso schmerzhafter zu sterben.
Warum waren wir auf den Mond gekommen?
Die Sache stellte sich mir als ein verblüffendes Problem dar. Was ist dieser Geist im Menschen, der ihn ewig drängt, sich von Glück und Sicherheit zu trennen, sich zu plagen, sich in Gefahr zu begeben, selbst eine ziemliche Gewissheit des Todes zu riskieren? Dort auf dem Monde dämmerte es mir als etwas auf, was ich immer hätte wissen müssen, dass der Mensch nicht einfach geschaffen ist, sicher und behaglich und wohlgenährt und amüsiert umherzulaufen. Fast jeder Mensch wird, wenn man ihm die Frage vorlegt, nicht mit Worten, sondern unter der Form von Gelegenheiten, zeigen, dass er das weiß. Gegen sein Interesse, gegen sein Glück wird er beständig getrieben, unvernünftige Dinge zu tun. Eine Kraft, die nicht er ist, treibt ihn, und er muss gehen. Aber warum? Warum? Als ich dort mitten unter jenem nutzlosen Mondgolde saß, mitten unter den Dingen einer anderen Welt, da habe ich über mein ganzes Leben abgerechnet. Ich nahm an, ich werde als Schiffbrüchiger auf dem Monde sterben, und da konnte ich durchaus nicht einsehen, welchem Zweck ich gedient hatte. Ich erhielt kein Licht über diesen Punkt, aber auf jeden Fall war es mir klarer, als es mir je zuvor in meinem Leben gewesen war, dass ich nicht meinem eigenen Zwecke diente, dass ich in Wahrheit mein ganzes Leben lang nie den Zwecken meines eigensten Lebens gedient hatte. Wessen Zwecken, was für Zwecken diente ich? … Ich spekulierte nicht mehr darüber, warum wir auf den Mond gekommen waren, sondern ich griff weiter aus. Warum war ich auf die Erde gekommen? Warum hatte ich überhaupt ein eigenes Leben? … Ich verlor mich schließlich in bodenlosen Spekulationen.
Meine Gedanken wurden unbestimmt und wolkig und führten nicht länger in bestimmte Richtungen. Ich hatte mich nicht schwer oder müde gefühlt – ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das auf dem Monde tat – aber ich denke mir, ich war sehr angestrengt. Auf jeden Fall schlief ich ein.
Der Schlummer dort, glaube ich, ruhte mich sehr aus, und all die Zeit, während ich schlief, sank die Sonne, und die Gewalt der Hitze ließ nach. Als ich schließlich durch ein fernes Geschrei aus dem Schlafe erwachte, fühlte ich mich wieder kräftig und fähig. Ich rieb mir die Augen und reckte die Arme. Ich erhob mich auf die Füße – ich war ein wenig steif – und machte sofort Anstalt, meine Suche wieder aufzunehmen. Ich schulterte meine goldenen Keulen, auf jeder Schulter eine, und verließ die Schlucht aus dem goldadrigen Fels.
Die Sonne stand sicherlich niedriger, viel niedriger, als sie gestanden hatte; die Luft war sehr viel kühler. Ich merkte, dass ich einige Zeit geschlafen haben musste. Mir schien, um die westlichen Klippen hinge ein leichter Hauch nebliger Bläue. Ich sprang auf einen kleinen Felsbuckel und überblickte den Krater. Ich konnte kein Anzeichen von Mondkälbern oder Seleniten sehen; auch Cavor konnte ich nicht sehen, aber ich sah weit weg mein Taschentuch auf einem Dornendickicht ausgebreitet. Ich blickte um mich und sprang dann zum nächsten passenden Aussichtspunkt weiter.
Ich schlug meinen Halbkreis um den Ausgangspunkt, und dann zurück in einem noch weiteren Bogen. Es war sehr anstrengend und hoffnungslos. Die Luft war wirklich sehr viel kühler, und mir schien, der Schatten unter der westlichen Klippe wurde breit. Hin und wieder stand ich still und rekognoszierte; aber ich sah kein Zeichen von Cavor, kein Zeichen von den Seleniten; und mir schien, die Mondkälber mussten wieder ins Innere getrieben sein – ich konnte keine von ihnen sehen. Mein Verlangen, Cavor zu sehen, wurde immer größer. Der geflügelte Umriss der Sonne war jetzt so weit gesunken, dass sie kaum noch um ihren Durchmesser vom Himmelsrand entfernt war. Mich bedrückte der Gedanke, die Seleniten würden alsbald ihre Deckel und Tore schließen und uns in dem unerbittlichen Ansturm der Mondnacht ausschließen. Es schien mir hohe Zeit zu sein, dass er sein Suchen aufgab, und dass wir uns miteinander berieten. Ich fühlte, wie dringlich es war, dass wir uns bald über unseren Weg entschieden. Die Sphäre zu finden, war uns nicht gelungen, wir hatten keine Zeit mehr, sie zu suchen, und waren diese Tore einmal geschlossen und wir noch draußen, so waren wir verlorene Menschen. Die große Nacht des Raums musste sich auf uns senken – jene Schwärze der Leere, die der einzige absolute Tod ist. Mein ganzes Wesen schrak vor ihrem Nahen zurück. Wir mussten wieder in den Mond zurück, und wenn wir dabei auch erschlagen wurden. Mich verfolgte die Vision, wie wir zu Tode erfroren, wie wir mit unserer letzten Kraft gegen die Tore des großen Schachtes hämmerten.
Ich dachte mit keinem Gedanken mehr an die Sphäre. Ich dachte nur noch daran, Cavor wiederzufinden. Ich war halb geneigt, lieber ohne ihn in den Mond zurückzukehren, als ihn zu suchen, bis es zu spät wäre. Ich war schon halbwegs bis zu unserm Taschentuch zurück, als ich plötzlich – –
Die Sphäre sah!
Ich fand sie nicht so sehr, wie sie mich fand. Sie lag viel weiter nach Westen als ich gegangen war, und die schrägen Strahlen der sinkenden Sonne, die von ihrem Glase widerstrahlten, hatten mir ihre Gegenwart plötzlich durch einen blendenden Strahl offenbart. Einen Moment dachte ich, dies sei ein neuer Anschlag der Seleniten gegen uns, und dann begriff ich.
Ich warf die Arme in die Höhe, stieß einen gespenstischen Schrei aus und flog in weiten Sätzen auf sie zu. Ich fehlte bei einem der Sprünge, stürzte in eine tiefe Schlucht und verrenkte mir den Fußknöchel, und von da an stolperte ich fast bei jedem Satz. Ich war in einem Zustande hysterischer Erregung, zitterte heftig und war längst, ehe ich hinkam, völlig außer Atem. Wenigstens dreimal musste ich, mit den Händen an den Seiten, stehen bleiben, und trotz der Dünne der Luft stand mir der Schweiß nass auf dem Gesicht.
Ich dachte an nichts als an die Sphäre, bis ich sie erreicht hatte, ich vergaß sogar meine Unruhe über Cavors Verbleib. Mein letzter Sprung warf mich mit den Händen hart gegen ihr Glas; dann lag ich keuchend an ihr und versuchte vergebens zu rufen: »Cavor! hier ist die Sphäre!« Als ich mich ein wenig erholt hatte, spähte ich durch das dicke Glas, und die Dinge drinnen schienen durcheinandergeworfen. Ich bückte mich, um aus größerer Nähe zu blicken. Dann versuchte ich, hineinzukommen. Ich musste sie ein wenig kippen, um den Kopf durch das Einsteigeloch zu bringen. Der Schraubdeckel lag drinnen, und ich konnte sehen, dass nichts angerührt war, nichts gelitten hatte. Sie lag da, wie wir sie verlassen hatten, als wir mitten im Schnee hinausgestiegen waren. Eine Zeit lang war ich ganz damit beschäftigt, dies Inventar wieder und wieder aufzunehmen. Ich merkte, dass ich heftig zitterte. Es tat gut, wieder dies vertraute dunkle Innere zu sehen! Ich kann nicht sagen wie gut. Alsbald kroch ich hinein und setzte mich unter die Dinge. Ich blickte durch das Glas auf die Mondwelt hinaus und schauerte. Ich legte meine goldenen Keulen auf den Ballen und suchte und nahm ein wenig Nahrung zu mir; nicht so sehr, weil ich das Bedürfnis fühlte, als weil sie da war. Dann fiel mir ein, dass es Zeit sei, hinzugehen und Cavor Signale zu geben. Irgend etwas hielt mich an der Sphäre fest.
Nun kam doch noch alles zurecht. Noch würde Zeit genug sein, mehr von dem magischen Stein zu holen, der einem Gewalt über die Menschen gibt. Da hinten, nah zur Hand, lag Gold zum Aufnehmen umher; und die Sphäre machte ihre Reise, wenn sie halb voll Gold war, so gut, wie wenn sie leer war. Jetzt konnten wir zurückgehen, Herren über uns und unsere Welt, und dann –
Schließlich raffte ich mich auf und stieg mit einer Anstrengung aus der Sphäre heraus. Ich schauerte, als ich auftauchte, denn die Abendluft wurde sehr kalt. Ich stand in der Höhlung still und starrte um mich. Ich sah mir die Büsche rings sehr sorgfältig an, ehe ich zu dem Felsenrande nahebei davonsprang und den Sprung noch einmal machte, der mein erster auf dem Mond gewesen war. Aber jetzt machte ich ihn ohne jede Anstrengung.
Das Wachstum und der Verfall der Vegetation war rasch vorgeschritten, und der ganze Anblick der Felsen war verändert, aber noch war es möglich, den Hang herauszufinden, auf dem die Samen gekeimt hatten, und die Felsenmasse, von der aus wir unsern ersten Umblick im Krater gehalten hatten. Aber das Dorngesträuch auf dem Hange stand jetzt braun und dürr da und dreißig Fuß hoch, und es warf lange Schatten, die sich bis über das Gesichtsfeld hinaus erstreckten, und die kleinen Samen, die wie Trauben an seinen oberen Zweigen hingen, waren braun und reif. Seine Arbeit war getan, und es war zerbrechlich und bereit, unter der gefrierenden Luft abzufallen und zu zerbröckeln, sowie die Nacht herabsank. Und die riesigen Kakteen, die unter unsern Augen aufgeschwollen waren, waren längst geborsten und hatten ihre Sporen längst in die vier Richtungen des Mondes zerstreut. Ein erstaunlicher kleiner Winkel im Weltall – der Landungsplatz von Menschen!