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3. Wie können wir die Krise überwinden?

Es ist nicht Aufgabe und Zuständigkeit der Kirche und der Theologie Vorschläge zu machen für eine Exit-Strategie und für die Bewältigung der ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen im Gefolge der Corona-Krise. Doch eine Grund­orientierung darf man erwarten. Sie ist in diesem Zusammenhang nur mit wenigen Stichworten möglich.18

1. Als Christen müssen wir in erster Linie wissen, wer wir sind, woraus wir leben und worauf wir hoffen. Es war für mich mehr als ein Zufall, dass die Krise besonders an Ostern offenkundig wurde. Denn Ostern hat den Stein vor dem Grab weggeräumt und die Botschaft von Gott, der die Toten lebendig macht, gebracht.19 Sie passt in kein Schema. Das Ostergeschehen ist Zeugnis von Gottes souveräner Freiheit, kontrafaktischer Stachel, der jede Anpassung an vorgegebene Schablonen ausschließt und neue Perspektiven aufschließt. Sie ist Kontingenz pur, und doch zugleich Zeugnis von Gottes unverbrüchlicher Treue, in der wir in der Unbeständigkeit der Welt im Glauben festen Stand und Halt gewinnen.

Wir können vom Reich Gottes nur in Bildern und Gleichnissen reden, aber die Rede vom »Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit« zeigt, dass diese Botschaft nicht gleichgültig ist gegenüber schreiendem Unrecht in der Welt. Sie ist mehr als die Erfüllung von Bedürfnissen, mehr als technokratisch geplante, von Computern gesteuerte Zukunft. Sie ist keine innerweltliche Utopie, kein Hurra, sondern ein Amen,20 ein »Ja, so ist es,« und damit Ruf zur Umkehr von falschen Götzen und zugleich Sendung hinaus in die Welt.

2. Die neue Schöpfung, die mit Ostern beginnt, verweist uns auf die erste Schöpfung. Bereits in der Genesis erhält der Mensch den Welt- und Kulturauftrag, die Erde zu hegen und zu pflegen. Doch der Auftrag wird sofort weitergeführt und überhöht durch die Grundlegung der Sabbatordnung, welche die Arbeits- und Wirtschaftsordnung unterbricht und den Rhythmus der Zeit begründet.

Die Heiligung des Sabbats besagt, dass der Mensch nicht nur Arbeitstier und die Sabbatruhe nicht allein Ausruhen von der ­Arbeit und Kraftschöpfen für neue Arbeit ist. Sie ist ein Innehalten, um Zeit zu haben für Gott wie für die Menschen, für Familie, Freunde, Geselligkeit. Gotteszeit ist des Menschen Zeit. Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch (Irenäus von Lyon). Kult und Muse, Kult und Kultur gehören zusammen. Einer Welt, die keine Zeit mehr hat, sondern nur noch rast und rennt, muss man sagen: Es ist Zeit, Zeit zu haben. Um menschlich zu überleben, tut eine neue Sabbatordnung not.

3. Die neue Schöpfung beginnt nicht erst mit dem Ostermorgen, sie setzt bereits am Karsamstag, dem Heiligen Samstag ein. Der Descensus ad inferos wird in der westlichen Kirche wenig bedacht, in den Ostkirchen steht er im Mittelpunkt des Ostergeschehens.21 Jesus steigt hinab ins Schattenreich des Todes und der Toten. Das ist der Sieg über die Macht und die Mächte des Todes und Solidarität mit den Toten, mit den Ermordeten, den Vergessenen, mit allen, die keine Zukunft haben und im Schatten des Todes leben, weil sie als wenig nützlich gelten und darum ausgemustert werden.

Das ist mehr als stilles Totengedenken und Erinnerungskultur, das ist memoria, vergegenwärtigende Erinnerung daran, dass wir auf den Schultern derer stehen, die uns vorausgegangen sind. Ihre Namen sind bleibend im Gedächtnis Gottes eingeschrieben, bei dem sie nun leben und im Frieden ruhen. Ohne diese Herkunft haben wir keine Zukunft. Das widerspricht einseitiger Fortschritts- und Zukunftsorientierung, die ohne Herkunft ihren Kompass verloren hat.

4. Ostern ist das Fest der christlichen Freiheit. Freiheit ist ein großes Wort, sie ist das Schlüsselwort der Moderne. Wir dürfen es nicht aufgeben; wie müssen es verteidigen. Doch christliche Freiheit hat nichts zu tun mit egoistisch kalt rechnender Freiheit, mit dem Kult persönlicher Selbstverwirklichung, die schnell zur Wehleidigkeit wird, schon gar nichts mit individualistischer Willkür. Sie ist befreite, erlöste Freiheit, die in der Liebe wirksam wird (Gal 5,1.6). Sie ist frei von eigener Anhänglichkeit und damit frei für andere. Sie zeigt sich im Teilen, in der Solidarität, in der einer des anderen Last trägt (Gal 6,2). Die Barmherzigkeit nimmt sich der kontingenten konkreten Not an. Sie betrachtet die Not nicht nur als einen in der Sozialordnung vorgesehenen Sozialfall; sie ist auf die konkrete Notsituation bezogene Gerechtigkeit. An seinen Wunden haben die Jünger den auferstandenen Herrn wiedererkannt.

Es ist das Identifikationskriterium der Christen, Jesus Christus an den Wunden des Leibes Christi, die die Kirche ist, die seit dem gerechten Abel verborgen in der ganzen Menschheitsgeschichte gegenwärtig ist (vgl. Lumen gentium 2), zu erkennen (Mt 25). Die Kirche muss in der Welt als Wagnis für andere präsent sein; sie ist nur Kirche als Kirche für die anderen.22 Ihre Zukunft hat sie in der Rückkehr der Kirchen in die Diakonie.23 Kirche als Feld- und Notlazarett (Papst Franziskus).

5. Der Auferstandene erschien seinen Jüngern bei Mählern. Ostern und Eucharistie gehören untrennbar zusammen. Das Schlimme beim diesjährigen Ostern war der Ausfall gemeinsamer Eucharistiefeiern und noch schlimmer, dass dies laut Umfragen nur relativ wenige so empfanden. Der Papst setzte auf dem Petersplatz ein Gegenzeichen. Er erteilte den Segen urbi et orbi nicht wie üblich; er erteilte ihn mit der Monstranz und demons­trierte, dass wir Zukunft und Leben nur vom eucharistischen Brot des Lebens haben werden. Die Eucharistie ist ein Mahl, und wir können das eucharistische Brot nicht teilen, ohne auch das tägliche Brot zu teilen. Paulus zeigt uns, dass wir die beiden Tische nicht scheiden, aber dass wir sie doch unterscheiden sollen (1 Kor 11,34).

Die Eucharistie ist darum nicht nur ein Mahl. So ging auf dem Petersplatz dem eucharistischen Segen die eucharistische Anbetung voraus. Jesus selbst hat das Letzte Abendmahl gefeiert im Ausblick auf das eschatologische Mahl im Reich Gottes. Das führt uns in die Apokalypse, das letzte Buch der Bibel, in dem die Feier der Eucharistie beschrieben wird als Echo und Vorausnahme der himmlischen Liturgie vor dem geschlachteten und erhöhten Lamm, das uns mit seinem Blut zu Königen und Priestern gemacht hat (Offb 5,8–10). Um das zu erfassen liegt noch ein längerer Weg der österlichen Erneuerung der Liturgie vor uns.

6. Bereits das älteste Osterzeugnis des Neuen Testaments zeigt, dass es das Osterzeugnis nicht ohne die Osterzeugen gibt, allen voran Petrus und die Zwölf (1 Kor 15,3–5). Gewiss, alle Christen erhalten bei der Taufe das Osterlicht und sollen davon Zeugnis geben. Aber es gibt die authentischen apostolischen Zeugen. Wie sie ihren unverzichtbaren Dienst tun sollen, dafür hat Jesus am Abend vor seinem Tod mit der Fußwaschung ein deutliches Exempel statuiert. Er hat die hierarchische Spitze auf den Kopf gestellt. Sie zeigt nach unten; sie soll nicht herrschen, ihr wird der Sklavenrolle des Dienens zugewiesen. Tatsächlich sind alle genannten Apostel den Märtyrertod gestorben. Das gilt es mit zu bedenken, wenn von der künftigen Lebensform der Priester (und der Bischöfe) die Rede ist.24

Dafür gibt es ein Vorbild, es ist der Patron meiner Heimatkirche und meiner Heimatdiözese, der heilige Martin von Tours. Mit der Mantelteilung hat er sich als Ikone christlicher Nächstenliebe bis heute ins Gedächtnis eingeprägt. Ein Mosaik in San Vitale in Ravenna zeigt ihn zudem als Ersten in der Reihe der Bekenner aus der Schule des Kirchenvaters Hilarius, der gegen die Arianer die wahre Gottheit Jesu Christi verteidigt hat. Folgt man schließlich seiner Lebensbeschreibung bei Sulpicius Severus, so hat er nach der konstantinischen Wende, als sich die meisten Bischöfe erstaunlich rasch in die imperiale Kirche einpassten, das vorkonstantinische mönchische Ideal des Bischofs beibehalten. Für mich ist der heilige Martin als Bischof zwischen den Zeiten das Leitbild eines Bischofs in einer nicht-klerikalistisch bischöflich verfassten Kirche in nachkonstantinischer Zeit, der Patron einer nach dem Corona-Virus sich erneuernden Kirche.

Kurt Kardinal Koch
Die Corona-Krise mit den Augen des Glaubens betrachtet
1. Dunkle Seite des Karsamstags

Unter sehr schwierigen, gleichsam coronaren Bedingungen haben wir Christen in diesem Jahr die Karwoche und das Osterfest begangen. Die wichtigsten Gottesdienste im Kirchenjahr mussten aufgrund staatlicher Verbote in Abwesenheit der Gläubigen bei geschlossenen Kirchentüren gefeiert werden und wurden per Stream nach Hause übertragen. Auch Papst Franziskus hat in der St. Peters-Basilika hinter ihren geschlossenen Portalen die Gottesdienste gefeiert und den großen Apostolischen Segen urbi et orbi ohne die sichtbare Anwesenheit der Stadt und des Erdkreises gespendet. Viele Menschen sind in ihren Wohnungen eingeschlossen gewesen, weil sie in der Quarantäne leben mussten, die bereits von ihrer Wortherkunft (quadraginta, lat.: »vierzig«) her an die vierzigtägige Österliche Bußzeit erinnert. Auf diesem außergewöhnlichen und düsteren Hintergrund ist mir wie selten zuvor ein Detail in der biblischen Ostergeschichte neu bewusst geworden. Der Evangelist Johannes beginnt seinen Bericht über die Erscheinung des auferstandenen Christus bei seinen Jüngern mit den Worten: »Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten …« (Joh 20,19). Wiewohl der Herr bereits auferstanden und auf dem Weg zu den Jüngern war, lebten sie noch ganz am Karsamstag, wie die Angst und die verschlossenen Türen dies anschaulich zum Ausdruck bringen.

Die Zeit der Corona-Krise, die in unseren Breitengraden kurz nach dem Beginn der Fastenzeit virulent geworden ist, hat auf viele Menschen wie ein verlängerter und ausgedehnter Karsamstag gewirkt. Der Karsamstag ist in der christlichen Liturgie der Tag des Begräbnisses Gottes, seiner Verborgenheit und seines Schweigens in der Geschichte der Menschen und damit der Tag, an dem die großen Hoffnungen infrage gestellt worden sind. Für viele Menschen heute ist der Karsamstag zum Symbol für ihre Lebenssituation in der Corona-Krise geworden, genauer zum Symbol für die vielen Ängste, die im Blick auf das eigene Leben und dasjenige von vielen lieben Mitmenschen wach geworden sind, und für die große Ungewissheit im Blick auf die Zukunft, vor allem im Blick auf die Frage, ob und wann die Krise zu Ende gehen und wie das Leben nach der Krise sein werde.

Angesichts dieser existenziellen Herausforderung stellt sich die Frage, wie man auf diese Krise antworten soll und reagieren darf. Soll man die Corona-Krise einfach als eine Erscheinung der Natur nehmen, die ungefähr alle hundert Jahre in solchem Exzess stattfindet, die gewiss auch diesmal vorübergehen wird und die man so gut wie möglich überstehen soll? Soll man alle Hoffnung auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, vor allem der Virologen setzen, auf die Erfindung eines wirksamen Impfstoffes warten und in der Zwischenzeit jene Verhaltensweisen praktizieren, die uns von den Experten nahegelegt werden? Oder soll man die Corona-Krise auch religiös deuten und spirituell zu leben und überwinden versuchen?

2. Natur und Gnade erkennen und anerkennen

Alle diese Wege werden heute beschritten. Dass es sich dabei jedoch nicht um Alternativen, die sich gegenseitig ausschließen, handeln kann, wird dann einsehbar, wenn wir uns an einer Grund­überzeugung des katholischen Glaubens orientieren, die besagt: Gratia supponit naturam et perficit eam – Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie. Denn in dieser Glaubensüberzeugung ist zusammengehalten, was sich nicht trennen lässt.

Wenn wir diese Wegweisung ernst nehmen, sind wir in erster Linie gehalten, auf die Natur zu achten und auf die Experten zu hören, die uns helfen, das Natur-Phänomen des Corona-Virus zu verstehen, und die uns raten, wie wir mit diesem Phänomen umzugehen, und vor allem, welche hygienischen Schutzmaßnahmen wir anzuwenden haben. Diese Ebene der Natur darf man auch und gerade als gläubiger Mensch nicht überspringen, indem man sich auf die Gnade Gottes allein berufen und der Devise folgen würde, dass Gott allein aufgrund der Gebete der Gläubigen die Krise überwinden werde und dass es deshalb Anzeichen von Unglauben wäre, wenn man seine Hoffnung auch auf die vom Staat angeordneten Schutzmaßnahmen setzt. Mit einem solchen Überspringen der Ebene der Natur läuft man Gefahr, zur weiteren Verbreitung des Virus beizutragen. Damit würde man jedoch ein Handeln an den Tag legen, das quer zur Botschaft des christlichen Glaubens von einem Gott steht, der das Leben der Menschen und der ganzen Schöpfung liebt, das deshalb auch von uns Menschen geschützt werden muss.

Eine solche Haltung wird mit Recht als fundamentalistisch und extrem eingestuft. Es gibt heute aber auch die andere extreme Einstellung, die allein auf die Natur und ihre Experten vertraut und sich deshalb jede religiöse Deutung der Corona-Krise verbietet und die Gnade Gottes außenvor lässt. Die Vertreter dieser Haltung werfen den sogenannten Fundamentalisten vor, sie würden Gott versuchen und mit ihren Gebeten ihn zum Eingreifen in die Natur zwingen wollen. Umgekehrt müssen sich aber die Vertreter dieser Sicht die Frage gefallen lassen, ob nicht auch sie auf ihre Weise Gott versuchen, indem sie ihm vorschreiben, wie und wo er auf keinen Fall handeln darf und dass er sich auf jeden Fall an die Naturgesetze zu halten habe. Solche Extrempositionen sind heute leider auch aus Studierstuben von Theologen zu vernehmen, so wenn beispielsweise schlicht behauptet wird, man solle seine Hoffnung auf die Virologie und nicht auf den Glauben, auf die Erfindung einer Impfung und nicht auf das ­Gebet setzen, wenn man nicht ein veraltetes Weltbild vertreten wolle. In eine ähnliche Richtung zielt das Verdikt, Formen der katholischen Frömmigkeit wie eucharistische Anbetung und eucharistischer Segen würden heutigem aufgeklärtem Bewusstsein nicht entsprechen und seien deshalb als »retrokatholisch« zu denunzieren.

Woher aber wissen solche theologische Stimmen denn so genau, wie Gott wirkt und wo seine Grenzen sind, die er nach menschlichen Vorstellungen zu respektieren habe? Steht dahinter nicht jene Annahme, die sich in der neuzeitlichen Theologie immer mehr durchgesetzt hat, Gott könne allein in den Geist des Menschen hinein handeln, mit allem Materiellen könne er sich aber nicht befassen? Diese Mentalität, die das Handeln Gottes nur im Geistigen zulässt, ihm aber das Materielle und Leibliche nicht zugesteht, hat Papst Benedikt XVI. treffend als »subtilen neuen Gnostizismus« beurteilt, der Gott und seiner Macht die Materie prinzipiell entzieht und der heute ausgerechnet trotz und bei aller Lobpreisung des Materiellen und Leiblichen propagiert wird. Während Gott auf die Innerlichkeit der menschlichen Subjektivität reduziert wird, hat er in der Welt der Materie nichts zu suchen, da die objektive Welt anderen Gesetzen gehorche. Es ist aber nicht einzusehen, wie mit solchen weltanschaulichen Vorentscheidungen theologisch überhaupt noch von Wundern und erst recht vom größten Wunder der Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod gesprochen werden kann. In der Konsequenz rechnet man dann auch im Blick auf die Auferstehung des Herrn nur noch mit göttlichem Einwirken auf den Geist und verkündet nicht mehr, dass Christus lebt, sondern redet nur noch davon, dass »die Sache Jesu weitergeht«.

Die Heilige Schrift geht demgegenüber von einer viel großzügigeren Sicht vom Wirken Gottes auch in der Schöpfung aus, wenn beispielsweise Paulus bekennt: »Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden« (Röm 8,22–23). Und es ist kein Zufall, dass diese sehnsüchtige Hoffnung in die Zuversicht des Gebetes mündet: »So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können« (Röm 8,26).

In dieser Zuversicht liegt es begründet, dass die Heilige Schrift bei aller Respektierung der Natur großes Vertrauen auf die Gnade Gottes setzt und uns deshalb immer wieder zu inständigem Gebet einlädt, und zwar in der Überzeugung, dass das innerste Wesen des Gebetes der SOS-Ruf um Hilfe im ursprünglichen Sinn Save our Souls ist. In dieser Grundhaltung mutet uns die Heilige Schrift zu, dass wir Menschen alle unsere Nöte und Leiden vor Gott tragen, es dabei aber ihm überlassen, was er mit unseren Gebeten anfängt, dass wir also ihm weder etwas vorschreiben noch etwas verbieten. Diese Gebetshaltung wird uns in exemplarischer Weise mit Maria und ihrem Verhalten bei der Hochzeit zu Kana vor Augen geführt. Maria bittet hier nicht um irgendetwas Bestimmtes; sie bittet Jesus auch nicht darum, er solle Wein produzieren und damit ein Wunder wirken. Maria sieht ihre Aufgabe vielmehr darin, die Sorgen der Hochzeitsleute Jesus anzuvertrauen und es dann ihm zu überlassen, was er daraufhin tun will.

In dieser biblischen Grundhaltung versteht es sich für gläubige Christen von selbst, dass sie die schwere Not, in die uns die Corona-Krise gebracht hat, in großem Vertrauen vor Gott tragen und seinen Segen, auch und gerade den eucharistischen Segen, wie ihn Papst Franziskus in eindringlicher Weise auf dem leeren St. Petersplatz gespendet hat, empfangen in der Hoffnung, dass Gott mit unseren Gebeten und Bitten das Beste für uns anfangen wird. Solches Vertrauen auf Gottes Gnade und das Ernstnehmen der Weisungen der Experten der Natur sind keine Gegensätze. Natürlich ersetzt das Gebet nicht die notwendige Suche nach einem wirksamen Impfstoff. Aber auch alle hygienischen und gesundheitlichen Vorkehrungen ersetzen nicht das Gebet. Wer hier in Alternativen oder Gegensätzen denkt, erweist sich als ebenso fundamentalistisch wie diejenigen, die der aufgeklärte Theologe heute ansonsten als solche zu bezeichnen pflegt.

In dieser ganzheitlichen Sicht sollte man auch die religiöse Frage, ob man in der Corona-Krise eine Strafe Gottes sehen kann oder gar muss, nicht vorschnell verbieten und auf die Seite legen. Natürlich ist Corona keine Strafe Gottes in dem Sinne, dass Gott das Virus erfunden und in die Menschheit geschickt hätte, um sie für ihre Sünden zu bestrafen. So kann es sich bereits deshalb nicht verhalten, weil auch die Corona-Krise, wie so viele andere Kata­strophen, die Armen und ohnehin schon Leidenden und damit Gottes besondere Lieblinge am schwersten trifft. Dennoch redet die Heilige Schrift von Gottes Strafe, freilich in dem Sinne, dass Gott die Menschen den Konsequenzen ihres eigenen Fehlverhaltens preisgegeben sein lässt. Insofern strafen Menschen sich selbst, wenn sie Lebensweisungen Gottes nicht beachten, und werden von daher zur Umkehr gerufen. In diesem Sinn ist es nicht nur angebracht, sondern sind wir verpflichtet, auch in ­religiöser Sicht danach zu fragen, was Gott uns wohl mit dieser Krise sagen möchte und was wir aus ihr für die Zukunft zu lernen haben.

3. Was wir in der Krise lernen sollten

An erster Stelle darf man dankbar feststellen, dass während der Corona-Krise auch viel Gutes und Positives ans Tageslicht kommt. Im Allgemeinen ist deutlich bewusst geworden, dass wir Menschen alle aufeinander angewiesen sind, dass wir gleichsam in demselben Boot sitzen und dass wir angerufen sind, einander und vor allem den besonders von der Corona-Krise Betroffenen beizustehen. Gerade weil wir Menschen voneinander genügend Abstand einnehmen müssen, spüren wir, wie nahe wir einander verbunden sind und dass wir zu mehr Solidarität untereinander gerufen sind. Ein besonderer Dank gilt allen Ärzten und allen Pflegern und Pflegerinnen, die sich bis zur Erschöpfung um die kranken Menschen kümmern. Dankbar dürfen wir auch sein für die Priester, die viel Phantasie dafür aufwenden, wie sie in dieser schwierigen pastoralen Situation den Menschen in ihrem Leben und Sterben nahe sein und ihnen das Kostbarste geben können, das der katholische Glaube für uns bereithält, nämlich die liebende Nähe Gottes, die er uns in den Sakramenten, vor allem in der Eucharistie, in der Buße und in der Krankensalbung, schenkt.

Unter diesen Vorschlägen muss man allerdings auch Ideen zur Kenntnis nehmen, denen ich als Theologe und Bischof widersprechen muss. Es ist für mich nicht verständlich, dass man die Feier einer Heiligen Messe, die ein Priester in der heutigen Situation allein, aber für die ihm anvertrauten Gläubigen feiert, infrage stellen oder gar als »Geistermesse« diskriminieren kann. Ist denn Liturgiewissenschaftlern nicht mehr bewusst, dass diese Art der Feier in einer Notsituation nur sichtbar macht, was ohnehin zum Wesen christlicher Liturgie gehört, dass sie nämlich immer auch in Stellvertretung für die Menschheit, ja für die ganze Schöpfung gefeiert wird? Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wenn ein Bischof dem Bedauern von vielen Gläubigen, dass sie während der Corona-Krise die Eucharistie nicht mitfeiern und den Leib Christi nicht empfangen können, eine »Fixierung auf die Eucharistie« und deshalb eine »Engführung« vorhält – zumal während der Heiligen Woche, in der wir am Hohen Donnerstag der Einsetzung der Heiligen Eucharistie gedenken und im Mittelpunkt des wichtigsten Gottesdienstes in der Osternacht die Oster­eucharistie steht. Als völlig verfehlt und dem katholischen Glauben widersprechend muss ich den Aufruf von Theologen verstehen, während der Corona-Krise die Eucharistie zu Hause ohne Priester zu feiern und auf diesem Weg eine sogenannte ­»Reform« voranzubringen.

Notsituationen sind nicht dazu da, das Lebensnotwendige im menschlichen Leben (wie das alltägliche Brot in Kriegszeiten) und im Leben des Glaubens (wie das Brot des ewigen Lebens) zu relativieren oder gar infrage zu stellen. Sie sind vielmehr vitale Anlässe, es sich neu bewusst zu machen, gerade weil man es schmerzlich vermisst. Krisenzeiten sind deshalb immer auch Stunden der Wahrheit, die es an den Tag bringen, wie es um die Prioritäten in unserem menschlichen Leben und im Leben des Glaubens steht. In dieser Hinsicht erlaube ich mir noch einige Hinweise, was wir aus der Corona-Krise für unsere Zukunft lernen könnten und sollten, wobei ich die Hinweise bewusst in Frageform formuliere.

Haben wir uns in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der großen Fortschritte in Wissenschaft und Technik bis in die digitale Welt hinein nicht selbstsicher daran gewöhnt, dass alles machbar ist und dass wir unser Leben und die Gestaltung der Welt in der Hand haben? Nun aber treibt in der ganzen Welt ein winzig kleines Virus sein Unwesen und schlägt uns vieles und vor allem Elementares aus der Hand, so dass wir auf uns selbst zurückgeworfen sind und in neuer Weise danach fragen müssen, wie es um unsere condition humaine steht. Um nur ein besonders gravierendes Beispiel zu erwähnen: Unmittelbar vor Ausbruch der Corona-Krise in unseren Breitengraden, genauer am 26. Februar 2020, hat der oberste deutsche Gerichtshof das bisherige »Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« als Verstoß gegen das Grundgesetz beurteilt, es außer Kraft gesetzt und entschieden, dass der Mensch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben hat. Der katholische Theologe und Bioethiker Ralph Weimann hat diesen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts mit Recht als »totalen Dammbruch« und dementsprechend den 26. Februar als »dunklen Tag für die deutsche Rechtsprechung« bezeichnet. Die von diesem Gericht gepriesene Autonomie des Menschen im Blick auf sein eigenes Sterben ist kurz danach von der Corona-Krise, die so vielen Menschen den Tod bringt, massiv infrage gestellt worden. Wäre die Corona-Krise nicht ein vitaler Anlass, uns neu auf die Verletzlichkeit unseres Lebens und damit auch auf die konstitutionellen Grenzen unserer Autonomie zu besinnen?

Haben wir uns nicht auch selbstverständlich angewöhnt, uns in unserem Leben auf das zu verlassen, was sichtbar, materiell und greifbar ist? Nun aber zeigt ein für unsere Augen und selbst mit herkömmlichen Mikroskopen nicht sichtbares Virus, welche zerstörerische Folgen es auf der ganzen Welt zu entfalten vermag. Wäre es da nicht angezeigt, uns auch in positiver Hinsicht vermehrt am Nicht-Sichtbaren und Nicht-Materiellen zu orientieren? Denn auch viel Gutes ist in unserem Leben und in der Welt nicht sichtbar und möchte doch in uns weiterwirken. Dies gilt in erster Linie vom unsichtbaren Gott selbst, der in unserem Leben gegenwärtig ist und von uns wahrgenommen werden möchte und der zu uns auch durch seine Schöpfung spricht, die eben nicht stumm ist, sondern nur als stumm wahrgenommen wird, wenn der Mensch für ihr Sprechen taub ist.

Die Corona-Krise stellt auch Fragen an die Art und Weise, wie wir unseren christlichen Glauben heute verstehen und leben und welchen Prioritäten wir besondere Achtung schenken. In den vergangenen Jahren ist mir beispielsweise immer wieder die Aussage begegnet, Gott habe keine anderen Hände als die unseren. Dieses Wort ist in der Tat sehr wahr; denn Gott will und kann in unserer Welt – zumal in der gegenwärtigen Corona-Krise – durch uns Menschen an anderen Menschen handeln. Dennoch ist dieses Wort – Gott sei es gedankt! – nur die halbe Wahrheit. Der Trost des Glaubens besteht doch in der Zuversicht, dass Gott noch ganz andere Hände hat, wenn unsere Hände schwach geworden sind. Dies gilt zumal, wenn unsere Hände im Tod schlaff geworden sind und nichts mehr ausrichten können. Dann dürfen wir darauf bauen, dass Gott selbst an uns hand-elt. Im Glauben dürfen wir wissen, dass wir auf jeden Fall in der Hand Gottes sind – in unserem Leben und in unserem Sterben. Wäre es nicht an der Zeit, uns neu auf die christliche Botschaft vom ewigen Leben zu besinnen, das Christus uns verheißen hat und schenken wird und das das Ziel des christlichen Lebens ist? Und ruft uns die Corona-Krise, die uns täglich massenhaftes Sterben vor Augen geführt hat, nicht neu in Erinnerung, dass ein Christ, der am Grab eines Menschen nichts zu sagen hat, wahrscheinlich überhaupt nichts Hilfreiches zu sagen hat?

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