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Читать книгу: «Hann Klüth: Roman», страница 18

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»Zu Mudding?« murmelte sie traumverloren.

»Ja, Lining, oder zu Paul.«

»Komm her, Hann, ich will dir was sagen.«

Und als er sich zu ihr hinabbeugte, näherte sie den Mund seinem Ohr, um ihm etwas zuzuflüstern. Doch unvermittelt hielt sie inne.

»Stell' die Laterne erst hinter uns.«

Still folgte er ihr.

So hockten nun beide zitternd da, vor ihnen Nacht und hinter ihnen das Licht. Dann näherte sie ihre Lippen von neuem seinem Ohr und flüsterte etwas. Erst stockend, dann heftiger, zum Schluß zornig, wie eine Anklage. Es war der Grund, warum sie für immer von einem Pastorenhause getrennt war – es war ihr Schicksal.

Hann saß da, still und geduckt, und sank immer tiefer in sich zusammen. Er nickte und nickte, und so oft sie, ihn beobachtend, eine Pause machte, nickte er stärker, wie jemand, der etwas Freudiges oder Natürliches hört. Über dem armen Burschen war jetzt die Stunde, wo das menschliche Herz langsam anfängt zu bluten, um nie mehr ganz zu verharschen.

Aber er nickte immer ernsthaft und beistimmend.

»Kann ich zurück?« fragte sie am Schluß.

»Lining,« erwiderte er mit halber Stimme, »über die Frage muß ich mich wundern. Wozu is ein Elternhaus da, als daß es Gutes und Schlechtes aufnimmt? Wär' es anders, könnt' es mich gestohlen werden. Komm, Lining.«

Eine Viertelstunde später hörte man die Ruder auf dem Fluß klatschen. Hann führte seine Pflegeschwester heim. Als ihr Fuß die Schwelle berührte, zuckte sie zurück, und noch einmal schien ihr die Nacht lieblicher als die fischdurchduftete Engnis, aber Hann schob sie sanft auf den Flur.

Rabenschwärze lagerte hier.

Furchtsam drängte sich die Heimgekehrte an ihn. – Und als er leise – leise die Tür schloß, damit Mudding nicht gestört würde, da fühlte er plötzlich unter Herzklopfen, wie eine weiche Hand über seine Wange fuhr, und wie neben ihm etwas leise aufschluchzte.

»O Lining,« murmelte er zerschmettert.

Allein ihre Zerknirschung dauerte nur einen Moment, dann vernahm der Fischer, wie das Mädchen, das er in der Finsternis nicht sehen konnte, rasch aufatmete und mit Bestimmtheit fragte: »Hann, was du mir versprochen hast, das bleibt so?«

»Natürlich, Lining.«

»Gut, dann gehe ich jetzt nach oben, in meine alte Kammer. Und morgen spreche ich mit Mudding. – Gut' Nacht.«

»Gute Nacht, Lining, schlaf wohl, es is die erste Nacht, die du wieder bei uns schläfst, hörst du?«

»Ja, geh du jetzt auch zu Bett, Hann.«

Dann huschten leichte Tritte die Stiege hinauf.

Hann horchte hinter ihnen her, dann griff er sich nach dem Herzen, als ob dort etwas nicht in Ordnung wäre. Schwer, schwer seufzte er auf.

Seine Laterne hatte er bereits vor dem Hause ausgelöscht, damit ihr Schein nicht zu Mudding dränge, die jetzt in der großen Stube neben dem Flur schlief.

Die Kranke aber mußte dennoch das Geräusch des Eintretens bemerkt haben, denn durch die Tür drang eine feine, zitternde Stimme: »Hann – bist du's?«

»Ja, Mudding.«

Ein Seufzer folgte in der Stube.

»Mudding, fehlt dir was?«

»Ach nein, mein Jung' – aber Siebenbrod – er is noch immer nich da.«

»Laß gut sein, Mudding, ich schließ' die Tür nich zu. Ich werd' hier warten.«

Drinnen die Kranke äußerte sich zu diesem Vorschlag nicht weiter – sie warf sich noch ein paarmal hin und her, dann wurde es still.

Draußen auf dem Flur stand ein ungefüger, blau angestrichener Holzkoffer, das einzige Gut, das Siebenbrod mit in die Ehe gebracht hatte. Auf diesen Schrein setzte sich Hann, stützte die Ellbogen auf die Knie und hielt seine Nachtwache.

Draußen summte der Wind, pfiff manchmal und heulte. Die Dorfuhr schlug, Viertel auf Viertel, der Fluß rauschte, und die Pappeln ächzten und schüttelten sich, Hann spann an seinen Gedanken fort.

Schwere Gedanken, die nur ungern ein Gewebe werden wollten.

Da oben schlief sie nun.

Und er, er war ein Bräutigam und hatte sich doch täglich danach gesehnt, daß die Kammer wieder von ihrer Bewohnerin besetzt werden möge.

Hier war eine Lücke, ein Bruch in seinen Gedanken, an dessen spitzen Trümmern er sich die Stirn zerstieß, genau so wie damals, als er auf den Anker gestürzt war, und Klara Toll ihn gepflegt hatte.

»O Klara!«

Er hielt sich den Kopf, damit er nicht wirklich springe, dann lauschte er wieder nach der Stiege, ob da nicht ein leichter Schritt laut würde. Denn er mißtraute Line. Ihr konnte es einfallen, trotz aller seiner Versprechungen zu entwischen.

Lange starrte er hinauf und lauschte.

Aber nichts regte sich mehr, nur die Hauskatze hörte er auf samtnen Pfoten vorüberschleichen.

Schmerzlich wandte der Beobachter das struppige Haupt zurück, und seine Gedanken verknüpften sich wieder.

Mein Gott, wie war die Jugendfreundin, die er so lieb gelabt hatte, »so liebing,« wie war sie zurückgekehrt? In Schande, ins Elend gestoßen. Und von wem? – Von seinem Bruder, der sie hätte hochhalten müssen.

Er dachte weiter und fragte sich: »War sie nun wirklich schlecht? – Schlechter als früher?«

Je, wer konnte das wissen? – Ich weiß es nich. Denn ich hab' solch eine Stunde, nach der sich doch alle Menschen und selbst das Vieh heimlich sehnen, noch nich erlebt. Aber mich dünkt, wer ein Richter über was sein soll, der müßt' das auch alles erlebt haben.

Und is das nich eigentlich komisch, daß das »schlecht« sein soll, woran die Menschen doch so viel denken, und was sie sich wünschen? Und schließlich, solch einen neuen Menschen in die Welt gesetzt zu haben, is doch auch ein kleines Verdienst. Und wenn ich mir so überleg', was herrscht nich für Freude, sogar bei Siebenbrod, wenn eine Kuh kalbt, und da wollen sich nun viele Leute wirklich so vergehen, daß sie ein neugeborenes Menschenkind, was doch viel mehr is, nich gern in die Welt reinlassen wollen? »Oh, pfui – ne, dafür will ich woll sorgen.«

Aber bei dem Wort »sorgen« fiel ihm schwer aufs Herz, was er ohnehin schon alles gegen Line auf sich genommen hätte. Ach, was war sie doch anders, als er sich es vorgestellt hatte. Wie wild, wie trotzig, wie gar nicht ein bißchen demütig war sie. Und was hatte sie sich alles ausbedungen, bevor sie sich, noch immer ungern und sich sträubend, von ihm hatte in den Kahn ziehen lassen.

Er seufzte.

Sie war doch ganz anders, als er immer gedacht hatte, eigentlich so, wie ein rechter Mensch nicht sein sollte, denn sie dachte stets an sich. – Und wie würden nun die nächsten Tage werden? – Morgen schon, wenn Siebenbrod die neue Hausgenossin vorfinden würde.

Er kratzte sich verlegen hinter dem Ohr; draußen schlug die Dorfuhr einen mächtigen Schlag.

Eins.

Schon so spät, und Siebenbrod immer noch nicht da? Der Wartende kroch von dem Koffer herunter, machte ein paar Schritte, um sich die Glieder auszurecken, und zog sich wieder auf den blauen Schrein zurück.

Es hatte eben zwei geschlagen, als er von neuem auftaumelte: Herr Gott, es dämmerte schon. Ein neuer Sommermorgen guckte bereits durch das kleine Stückchen Glas, das oben an der Haustüre eingesetzt war. Draußen zirpten die Schwalben, und der Frühwind strich über den Fluß. Doch in dem Flur woben noch graue Schleier hin und her, aus denen sich undeutlich nur die roten Fliesen heraushoben.

War Siebenbrod schon da?

Ganz zerschlagen kletterte der Wächter von seinem Sitz herunter und wollte eben leise das Haupt an die Tür des großen Zimmers legen, als in der Ecke hinter der Haustüre etwas seinen Blick fesselte.

Zögernd richtete er sich auf, sah sich um, rieb sich die Augen und starrte wieder in die Ecke, die die Spinnen ganz mit grauen Geweben angefüllt hatten.

»Herr Gott!«

Er rief leise: »Siebenbrod.«

Nichts regte sich.

Aber das war er doch? Dort stand er doch in der Ecke, den breiten Rücken dem Beobachter zugekehrt und so sonderbar groß?

Noch einmal rief Hann mit halber, heiserer Stimme, die ihm nicht recht aus der Kehle wollte, jedoch der riesige Fischer regte sich nicht. Er stand, um zwei Haupteslängen höher als Hann, den struppigen Kopf mit den schwarzen Haaren, von denen die Mütze heruntergeglitten war, eng der Ecke zugekehrt, wie wenn er sich schäme.

»Jesus – Christus,« sprach Hann ganz langsam, und mit vorgestreckten Armen, als ob er sich gegen Spuk schützen wolle, schlich er näher, bis er mit dem Finger scheu den Rücken des Riesen berühren konnte.

»Siebenbrod.«

»Siebenbrod, warum bist du heut so groß?«

»Gott erbarm sich, Siebenbrod, du stehst ja in der Luft?«

Aber als keine Antwort kam, sondern die Gestalt unter dem Druck von Hanns Finger unmerklich hin und her schaukelte, da versuchte der Bursche in seinem Entsetzen das letzte Mittel, das, wie er sich erinnerte, oll Kusemann als untrüglich gepriesen hatte.

Mit raschem Griff riß er dem Hängenden drei Haare aus und legte sie ihm in Kreuzform auf die Füße. Allein Siebenbrod hatte bereits die Klänge seiner Musikdose vernommen, nach denen er sich schon als Kind so leidenschaftlich gesehnt hatte, und schaukelte deshalb unempfindlich gegen Hanns Zauber weiter, ja, er begann sich jetzt sogar um sich selber zu drehen. Da schnitt ihn Hann kurz entschlossen herunter.

Als der Morgen graute, da lag vor dem blauen Koffer, den der Bootsmann einst als einziges Gut in die Ehe mitgebracht hatte, ein braunes Stück Segeltuch, unter welchem sich undeutlich die Umrisse eines hingestreckten Körpers abhoben, und auf dem Koffer saß Hann und hielt lautlos die Leichenwacht. Und immer wieder guckte er hinunter und fragte sich: »Da liegt er nun so still, so mucksenstilling, und soll doch mal auferstehen? – Und wenn Mudding man in den Himmel kommt, dann findet sie nun zwei Männer vor. – Wie das wohl is? – Und ob der liebe Gott wohl kleiner würd', wenn das Wiederfinden man solch ein Trostmärchen von die Pastoren wäre? – Ich weiß es nich. – Aber hör', da draußen kräht all der Hahn – und da noch einer und wieder einer.

O Siebenbrod, jetzt takeln die anderen Fischer ihre Boote ab und gehen zur Ruhe. Und du hast dich all so viel früher hingelegt. Darin liegt wohl das, was unrecht is, und was die Menschen nich verzeihen mögen. Denn ich denk mich man, durch das Leben kriegen wir doch erst all die anderen Gottesgeschenke. Und sieh, jetzt kommt es mich auch so vor, als ob das Leben selbst doch wohl mit das höchste Glück sei. Denn die Sonne und die Sterne und das Wasser nie gesehen und niemals eine menschliche Stimme gehört zu haben, wie zum Beispiel Line ihre, das is wohl das Aller – Allerschlimmste. Kuck, Siebenbrod, und all das wegwerfen, nein, ich muß dich sagen, darin liegt mehr als Sünde, darin liegt Dummheit.«

Und als er das sagte, da schmetterte laut und lebensvoll der Hahn, und immer heller fiel das Morgenlicht auf das braune Segeltuch.

V

Zwei Monate später.

Die Herbst- und Reisemonate sind vorüber. Oll Chronos schmierte um diese Zeit seine Karre. Er will den Sommer abholen und nebenbei die fauligen Ähren von den Feldern lesen, denn in solch mürbegewordenen Sommertrieben liegt neuer Dung.

In der Küche der kleinen Katenhütte, in der Hann und Line jetzt zur Miete wohnen, sitzt der Besitzer des Hauses, der riesige Fischer Klaus Muchow, auf seinem Schemel und hält sich mit weit ausgespannten Armen an zwei eisernen Haken der lichtblauen Mauer fest, weil ihm seine Frau sonst unmöglich die gewaltigen Transtiefel ausziehen könnte, die wie Pech an seinen Füßen kleben.

»Ne,« atmet Frau Fiek8 nach einigen vergeblichen Versuchen, und die starkknochige Frau, die ebenfalls eine blonde Riesin ist, wischt sich den Schweiß, »nein, wenn ich dich das nich seit dreißig Jahren angewöhnt hätt', und du mir nich bis jetzt jeden Stiefelzieher zerbrochen hättest, hör', Mann, ich würd's nich mehr tun. Da gehört ja ne Maschine dazu oder doch zwei Pferde.«

Der Riese grinst wohlgefällig, verzieht das blondumbärtete Maul und versucht, sich fester an den Haken zu klammern, wobei er aber das fußlange Eisen ausreißt.

Jetzt gerät er in Zorn, besieht sich das Eisen, schleudert es in den Holzkorb und brüllt, daß der kleine, kaum sieben Fuß hohe Raum erzittert: »Stäwelwichs – Stäwelwichs!«9

»Hast recht,« antwortet darauf Frau Fiek ruhig, »der Schmied hat sie nich ordentlich eingehauen.«

Hier könnte man nun einsenden, daß Frau Fiek ihrem Klaus ganz unlogisch antwortete, denn der Riese hat doch augenscheinlich Stiefelwichse verlangt, von deren Anwendung er vielleicht eine Erlösung von seinen Transtiefeln erwartete. Aber wer das denkt, der zeigt eben, daß er das stärkste Moorluker Ehepaar gar nicht kennt, denn eben hat Frau Fieks eiserne Faust das Leder dennoch heruntergezogen, und der Gatte brüllt nun in allen Tönen der Freude: »Eierkauken – Eierkauken.«10

Damit ist Klaus Muchows Wortschatz beendet, denn das blonde Neptunshaupt ist taubstumm, und erst nach langen Mühen hat ihm Frau Fiek diese beiden Worte beigebracht, die er nun für jede Gemütsregung anwendet.

Klaus Muchow ist seelensgut, er hat alles lieb, mit Ausnahme einer Büchse Stiefelwichse, die ihm einstmals in der Dunkelheit und in der Abwesenheit seiner Frau an den Mund geriet, um dann allerdings von ihm in höchstem Grimm in den Rick geschleudert zu werden. Dieser Gemütserschütterung verdankt er das Wort.

»Stäwelwichs.«

Stäwelwichs bedeutet seitdem alles, was ihm schlecht dünkt. Der Teufel – ein zerrissenes Netz – ein betrunkenes altes Weib – Leibschmerzen – alles ist Stäwelwichs.

Dagegen haben ihm sein Magen und seine Leckerzunge auch das Wort für alle Idealität und die Erscheinung des Guten geliefert.

Eierkauken stellt nämlich Klaus Muchows Leibgericht dar, denn der Riese ist ein Leckertähn, und da dieser Kuchen nirgends so lieblich mit Butter und Eiern bereitet wird, als bei Frau Fiek, so drückt Eierkauken jedes gute Prinzip aus, zum Beispiel den Himmel – einen scharfen Priem – einen Bummelschottschen mit Frau Fiek, denn sobald der Fußboden und die Decke fest sind, dann tanzt das Riesenpaar gern miteinander; Eierkauken ist ferner ein schattiger Platz in der Kirche – die Sparbüchse, und ein Faustschlag, den oll Kusemann wegen seiner Lügen und Neckereien zu empfangen hat.

Das Merkwürdigste aber in dieser Ehe bleibt, daß Klaus Muchow nur seiner Riesin auf die Lippen zu sehen oder ihren heftigen Gebärden zu folgen braucht, um tatsächlich jedes Wort zu verstehen.

»Na, Männing,« fragt Frau Fiek, nachdem ihr Gatte mit den Füßen in ein Paar Holzpantoffel gefahren ist und nun den Kaffeetopf in der Hand hält: »Schön was gefangen heut?«

Klaus Muchow schlürft laut den Kaffee und schüttelt mißmutig das struwlige Lockenhaupt.

»Na,« tröstet die Riesin und schlägt ihm dabei schallend aufs Knie, was aber eine Liebkosung bedeuten soll, »schadet nich – wir haben ja erst gestern aus der Räucherei Geld bekommen; man muß auch nich zuviel verlangen.«

Jetzt grunzt der Fischer zum Zeichen der Zustimmung ein bißchen, während das Schlürfen erstirbt. Dann setzt er den Topf hin, zeigt auf die Seitenwand, schließt die Augen und beginnt einen Augenblick laut zu schnarchen, worauf Frau Fiek, die bereits am Herd hantiert, den Kopf schütteln und antworten muß: »Nein, sie is noch nich aufgestanden. Kann sich das Langschlafen aus ihre vornehme Zeit noch immer nich abgewöhnen.«

»Eierkauken,« murmelt Klaus mitleidig und macht mit der Hand die Gebärde des Streichelns.

»Ja, ja, ich weiß woll,« fährt Frau Fiek fort, »du magst sie gern leiden, und die beiden haben ja auch viel Unglück gehabt. Erst ihr bißchen Hab und Gut verloren, dann das Unglück mit dem Stiefvater, der sich aufgehangen hat. Zwei Tage später noch eine zweite Leiche im Haus. Die gelähmte alte Frau Klüth – der ja der Tod von Siebenbrod den Rest gegeben haben soll, zum Schluß das mit dem jungen Ding selbst – o je, o je – was soll man dazu sagen? Aber ich mein, nun könnte sie sich doch auch ein bißchen in die Verhältnisse schicken und sich nich mehr so vornehm aufspielen. Nu hör' bloß! Schlägt all sieben. Und sie schläft noch immer. Nimmt doch von einem Fischer ihr Brot an, da müßt sie sich auch so haben, wie eine Fischerfrau.«

Sie unterbricht sich, denn ihr Klaus grunzt laut und vollführt mit seinen Händen derartige Bewegungen, als wenn er zwei Stricknadeln in der Hand hielte.

»Ja, ja,« versteht ihn die Riesin sofort, »ich weiß all, was du willst. Sie strickt seit ein paar Tagen neue Strümpfe für Hann. I, ja, das is aber auch man so ne Arbeit für vornehme Damens. Ihr Fräulein Dewitz war ja ne Handarbeitslehrerin. Weshalb soll sie denn so was nich verstehen?«

»Huh – huh,« brummte hier Klaus Muchow laut auf und fuhr mit dem rechten Arm eng im Kreise herum, dann fuscherte er unter den Kochtöpfen des Herdes.

»Ach so,« sagte Frau Fiek und legte den Finger an die Nase, »du meinst, daß sie neulich für ihn gekocht hat. I, das war auch danach. Hat mir ja allein ein halbes Pfund Butter verbraucht. Und seitdem hat sie sich auch nich wieder daran gewagt. Und überhaupt« – hier wandte sie sich und setzte beide Hände in die Seiten – »ich muß dich man was sagen. Aber du bist mucksenstill und hast keine Widerwörter! Gestern war die Frau Hafenmeistern bei mich, hat mich wieder Klein-Kinderzeug zum Waschen gebracht. Und bei die kleinen Hemden, da kamen wir auch auf das – nun auf das, was bei der da – « jetzt zeigte die Riesin ebenfalls auf die Seitenwand – »erwartet wird. Und da fragten wir uns so, ob so was überhaupt für mich im Hause paßlich wäre? Und die Frau Hafenmeistern meinte, daß das für ne Frau wie mich un – unmorastig wär'! Und nun frag ich man, bin ich nich immer ne reinliche Frau gewesen auch beim Waschen? Und nun soll ich mit einmal Morast im Hause haben? Ne, Klaus, entweder, oder – mehr sag' ich nicht; ich sag' bloß – entweder – oder.«

Aber Klaus Muchow, dem es das zarte, schmale Gesichtchen seiner Mieterin angetan hatte, erhob sich, so daß sein Haupt hart an die Decke stieß, streckte die Faust vor und brüllte: »Stäwelwichs!«

»Ne,« schrie jetzt auch Frau Fiek, »diesmal geb' ich nich nach. Die Dirn soll mir aus dem Hause.«

»Stäwelwichs!« schrie Klaus kirschbraun im Gesicht und schmetterte einen Kochtopf auf die Erde.

»Is mir auch recht,« lachte die Riesin wütend, ergriff ebenfalls einen Topf, aber vorsichtigerweise einen kleineren, und schleuderte ihn ebenfalls auf den Boden.

»Soll mir aus dem Hause,« tobte sie. »Und ich weiß es jetzt auch – die hat der Teufel hier hereingeführt – kein anderer as de Düwel.«11

Das war die besondere Eigenart der guten Riesin, daß sie felsenfest an den Teufel glaubte, ja, daß sie ihn überall herumschleichen sah, in ihrem Schrank, auf der Straße, ja sogar in ihrem Bett.

»De Düwel – de Düwel.«

»Stäwelwichs.«

Der Streit der Riesen hätte diesmal ausarten können. Aber plötzlich begann auf der Dorfstraße eine Leier zu spielen. Und der Italiano sang dazu:

 
»Du, du liegst mir im Herzen,
Du, du liegst mir im Sinn« —
 

Klaus Muchow sah ihn zuerst durch das Küchenfenster. – Er riß die Augen weit auf.

Musik hat etwas Versöhnendes, besonders aber bei dem Riesenpaar, dessen Herzensbedürfnis Lied und Tanz ausmachte.

Zuerst zog ein seliges Lachen über des Mannes Züge. Obwohl er die Melodie nicht hörte, hob er das rechte Bein.

Da konnte auch die Riesin nicht länger widerstehen; sie ließ den Kochlöffel fallen und lehnte sich an die Schulter des Fischers:

 
»Du, du machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich dir bin.«
 

Sie lachten, faßten sich an den Händen und drehten sich.

Line und der Teufel waren vergessen.

Sie tanzten.

– —
– —

Eine Stunde später erhob sich Line von ihrem Lager. Sie sah sich mißmutig in dem engen Verschlage um, den Hann nach dem Beispiel von Frau Fiek ein »Stübing« nannte, schüttelte verächtlich die Betten des Wandschragens zurecht, der ihr als Lagerstatt diente, während Hann in einer Bodenkammer hauste, und setzte sich dann vor einem Stückchen zerbrochenen Spiegelglases nieder, das auf einer rohen Fichtenkommode stand, um sich die Haare aufzustecken.

Sie beeilte sich sehr damit, denn der Tag schien bereits hell in ihre Kammer, und jeden Augenblick konnte Hann von der See heimkehren. Hastig fuhr sie in ihre Bluse und zog den Stoff seufzend stramm. Draußen auf der Dorfstraße hörte man aus der Ferne noch immer die Leier spielen. Rasch öffnete sie das niedrige Fenster und lehnte sich einen Augenblick hinaus.

Aber das Katenhäuschen der Muchows lag weit ab vom Dorfe, und seine Fenster gingen direkt auf die Seewiesen und den Bodden hinaus.

Line verzog die Stirn.

Hier vernahm man die Leier nur ganz verschwommen.

Blauschimmernd wiegte sich wohl die See, im grellen Sonnenschein glitzerten die feuchten Wiesengräser, und eine Wolke gelber und brauner Schmetterlinge gaukelte in der stillen Luft umher, aber Line bemerkte das alles nicht.

Diese Einsamkeit!

Sie verschränkte die Hände, drückte sie gegen die Stirn und wandte sich heftig ab, als hätte die Ruhe draußen sie verletzt.

Aus dem Nebenraum war inzwischen ein scharfer Fischgeruch gedrungen.

Das roch so schlecht.

Schon als Kind hatte sie eine Abneigung gegen den Duft empfunden; und jetzt, wo sie ihn immerfort roch – jetzt schien er ihr beinahe unleidlich.

Sie setzte sich auf einen Schemel am Fenster und starrte auf die See hinaus.

Oh, wie schön und vornehm hatte es doch bei Fräulein Dewitz geduftet. Jeden Sonnabend nach dem großen Säubern hatte sie Lavendelessenz sprengen müssen. Und hier? —

Dieses verwünschte kleine Katenhaus! Und diese ungebildeten Riesenleute. Oh, sie wußte ganz gut, daß sie der Frau ein Dorn im Auge war, denn das Schicksal Lines hatte sich bereits herumgesprochen.

Man munkelte, ohne zu wissen.

Line biß sich auf die Lippen und ballte langsam die Faust.

Warum? Warum krochen die Monate so? Wie lange mußte sie hier noch sitzen? Wann war sie endlich frei und erlöst? Sie rechnete an den Fingern. Denn hier – hier blieb sie keinen Tag länger, als sie mußte. Hier war ja nur ein Versteck für sie, ein Unterschlupf. Hier band sie ja nichts! – Oder Hann vielleicht?

Sie zuckte die Achseln.

Freilich, sie wußte sehr genau, daß es Hanns größte Freude im Leben ausmache, ihr ins Gesicht schauen zu dürfen. Es war lächerlich – sie tat nichts dazu – aber es war einmal die Angewohnheit des ihr so ungleichen Bauern.

Und dann dachte sie sich auch, dabei könne man ihn lassen, das schadete ja keinem, und Hann müsse ihr schließlich noch dankbar sein, wenn sie diese elende Hütte mit ihm teile.

»Tag, Fräulein,« klang es von draußen.

Line fuhr auf.

Über den Wiesenweg zur Mole schritt oll Kusemann vorüber, der übertrieben tief seine zierliche Lotsenmütze zog und mit den Augen zwinkernd, wohlwollend fragte: »Na, ümmer noch gut zu Wege, Mamselling?«

Line sah ihn an, wurde blutrot und schlug klirrend die Scheiben zu.

»Kuck, wie nett,« sprach der Lotse, unbekümmert um ihre Wut, und dienerte rückwärts, wie ein Krebs, an ihr vorüber. »Na, solche Zornigkeit verschwindet aber bald wieder. Das bringen manchmal die Umstände mit sich. Ich komm und kuck mich mal abends nach dem Mamselling um.«

Damit ging er ehrbar seines Weges.

»Solch ein Kerl!«

Line kratzte mit den Nägeln an ihrer Schürze herum.

Das war nun der einzige, der sich nach ihr erkundigte. Paul, der neue Pastor, der jetzt auf dem Walsin amtierte, hatte seinen Bruder wohl schon einigemal besucht, aber immer wenn er eintrat, war Line rasch in Hanns Bodenkammer hinaufgesprungen oder durch die Küche auf die Seewiesen hinausgelaufen, um nicht mit dem Geistlichen zusammenzutreffen. Auch zu Siebenbrods wie Muddings Leichenbegängnis war sie nicht mitgegangen, sondern hatte sich, wie erschreckt, auf dem Boden des alten Hauses, das nun auch bereits dem Barbier gehörte, verkrochen. Und niemand hatte nach ihr gefragt. Selbst Hann schien dies Verstecken natürlich gefunden zu haben, denn er war nie mehr darauf zurückgekommen.

Die Einsame stieß ein zorniges Lachen aus.

Warum wohl Fräulein Dewitz nicht einmal herauskam? – Ach die! Die mochte bleiben, wo sie war! – Aber nicht ein einziges Mal sich erkundigen lassen? Das alte Fräulein hätte doch die Verpflichtung gehabt! – Und nun gar der Konsul Hollander oder Dina?

Line bedeckte plötzlich die Augen mit der Hand, denn das Gefühl des Ausgestoßenseins war übermächtig über sie hereingebrochen, dann jedoch, als ob sie sich dieses kurzen Nachgebens schäme, griff sie ebenso schnell nach dem Scherben von Spiegelglas und schleuderte ihn heftig auf die Erde.

An allem war nur Hann und dieses Katenhaus schuld.

»Da lieg.«

Die Splitter flogen herum.

»Lining,« sprach der eintretende Hann vorwurfsvoll und blieb breit unter der niedrigen Tür stehen.

Er trug noch ein feuchtes Netz in der Hand. Das Wasser lief an seinen großen Transtiefeln herunter.

»Guten Tag, Lining,« fuhr er nach einiger Zeit des Wartens fort.

»Guten Tag,« entgegnete sie gleichgültig, ohne sich nach den Trümmern umzublicken, und hob die Arme, um sich die gelockerten Flechten wieder zu festigen.

»Du hast wohl Ärger gehabt?« fragte Hann von neuem, indem er unausgesetzt die Scherben betrachtete, und ohne das Netz hinzulegen. Line rückte auf ihrem Stuhl hin und her. Wollte er sie etwa ausschimpfen?

»Nein,« erwiderte sie abgewandt, während sie zum Fenster hinaussah, »ich tat es nur aus Langerweile.«

»Aus Langerweile, Lining?«

Langsam ließ Hann das Netz zu Boden gleiten, fuhr sich schwerfällig durch die Haare und senkte dann in Gedanken das Haupt.

So lange lebten sie nun schon beieinander, Tag und Nacht war es sein eifrigstes Bestreben gewesen, sie auf bessere Wege zu bringen, und immer hatte er es nicht gewagt, ihr ein Wort der Mahnung vorzuhalten. Sie war so kurz angebunden, und sie stand ja auch so hoch über ihm, wenn auch jetzt das Unglück über ihr war. Aber heut, wo er wieder nur ein paar Heringe gefangen – kümmerlichen Pfennigerwerb – heute, wo ihm das Drückende seiner Armut immer deutlicher wurde, da beschloß er, ihr seine Lage zu beschreiben.

Vielleicht, daß das junge Weib, das er so gern ansah, einer Bitte zugänglich war.

»Langeweile, Lining?« hob er nochmals mit Anstrengung an: »Sieh, Lining, wenn du dich nun beschäftigen wolltest. Zum Beispiel mit Kochen für uns beide. Das wäre recht gut. Sieh, ich fang nun mal so wenig, ich bin eben viel ungeschickter, als die anderen Fischers. Und den Muchow-Leuten muß ich für unseren Unterhalt auch bezahlen. Aber wenn du zum Beispiel kochen wolltest, dann wäre mir schon geholfen. Natürlich, es is bloß so eine Idee von mir,« setzte er sofort besorgt hinzu, als er bemerkte, wie Line die weiße Stirne kräuselte.

»Nur eine Idee, Lining,« wiederholte er besänftigend. Aber sie warf bereits den Stuhl herum und rieb an ihren Händen.

»Wozu soll das erst?« fragte sie ärgerlich dagegen. »Hann, sag' selbst, wozu soll ich mich erst hier in der Katenküche mit der Fischersfrau zusammenstellen und den Trangeruch riechen, der mir so widerlich ist, da ich ja doch nur kurze Zeit hier bleibe? – Lieber verkaufe ich die Kleider und die paar Schmucksachen, die mir Fräulein Dewitz nachgesandt hat. – Hörst du? Da – in dem Schrank, nimm sie.«

»Gott soll mich bewahren, Lining, wo werd' ich?«

»So nimm dir den Plunder doch.«

»Aber wo werd' ich mich denn an deinen Sachen vergreifen?« wehrte er mit beiden Händen ab. »Nein, Lining, wenn du nich willst, dann wird es ja auch so gehen. Ich meinte nur, Beschäftigung bringt den Menschen so schön auf andere Gedanken.«

Sie sah ihn beinahe feindselig an. »Ich mach' mir aber gar keine Gedanken, Hann. – Über nichts! Und nun nimm dir die Sachen und hör' mit solchen Ermahnungen auf. Mich machst du doch nicht anders, als ich mal bin.«

Der Fischer senkte den Kopf auf die Brust. Dann seufzte er tief auf. »Nimm's nich übel, Lining,« brachte er endlich hervor, »ich hab' mich das bloß so gedacht.« Dann sah er sich schüchtern nach einem Stuhl um, der in der Ecke stand.

»Darf ich mich hier ein bißchen bei dir niedersetzen, Lining?« fragte er nach einer Weile des Schweigens.

Sie hatte bereits den Arm wieder auf das Fensterbrett gestützt und nickte kurz.

Er ließ sich auf den knarrenden Stuhl nieder. Und eine Pause trat ein, in der er darüber nachdachte, warum er ein ganzes Leben daransetzen wollte, um ein Geschöpf willfähriger zu machen, das doch gewiß nicht mehr zu ändern war. Aber das war ja gerade das Verhängnis dieses unpraktischen, versonnenen Naturkindes, daß es zu dem Schluß gekommen war, das Glück ruhe in einem Weibe.

Und dies – gerade dies Weib mußte es sein. Zu ihr leitete ihn der dunkle, unerkannte Trieb.

»Lining,« begann er endlich wieder leichthin, »hast du all Kaffee getrunken?«

»Ja,« murmelte sie durch die Finger.

»Is für mich auch welcher geblieben?«

»Das weiß ich nicht. Aber,« setzte sie achselzuckend hinzu, »ich kann ja mal nachsehen.«

»Ja, ja, tu das,« stimmte Hann heimlich erfreut bei.

Nach einer Weile kehrte das Mädchen aus der anstoßenden Küche mit einer Tasse zurück, die ihr Hann sorglich abnahm.

»Sieh, ordentlich eine Tasse,« lobte er geschmeichelt, und in seiner Dankbarkeit machte er eine unbeholfene Bewegung, als wollte er leise über ihre Hand streichen, aber Line zuckte hochmütig zurück.

»Laß.«

»Ich wollt auch nichts, Lining,« murmelte er erschrocken.

Eine Zeitlang hörte man nichts als das Schlürfen von Hann und das Summen der Fliegen, die unter der Decke herumkrochen. Dann wandte sich Line ruckartig vom Fenster zurück und stieß heraus: »Bist du nicht gestern in der Stadt gewesen?«

»Ja, warum, Lining?« fragte Hann, verwundert über diese neue Teilnahme.

»Damit man einmal etwas anderes hört,« fuhr sie in halber Verzweiflung fort. Dabei sprang sie auf und reckte die Arme: »Damit man mal wieder etwas hört, für das man sich interessieren kann.«

Hann sah sie betrübt an.

»Hier kannst du dich wohl nich einleben, Lining?« brachte er bedrückt hervor.

»Nein, Hann, das weißt du ja. Hier hab' ich schon als Kind nichts leiden mögen.«

»Ja, ja, Lining, das weiß ich.«

Seine Lippen bebten leise. Und als er jetzt seine Tasse unter den Stuhl stellte, wie das Fischerart ist, da blieb er in der gedrückten Stellung sitzen. Aber Line konnte ihre Wildheit nicht länger in sich verschließen, sie stampfte vor Leidenschaft mit den Füßen und fuhr noch heftiger fort: »Manchmal möcht ich mit den Fäusten an die Wand schlagen, daß ich das alles von dir annehmen muß. Ja, muß – ja, muß,« wiederholte sie in vollem Zorn. »Und daß du so viel für mich aufgegeben hast, die ich das doch alles gar nicht will. Zum Beispiel deine Braut, Klara Toll. Ist das nicht so?«

Hann rührte sich nicht in seiner Ecke.

»Laß Klara,« bat er nur, »laß Klara Toll.«

8.Abkürzung von Sophie.
9.Stiefelwichse.
10.Eierkuchen.
11.Als der Teufel.
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
11 августа 2017
Объем:
360 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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