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24Zum Beispiel auch zum Ersten Weltkrieg: Regulski, Christoph: Bibliographie zum Ersten Weltkrieg, Marburg 2005. Seit Erscheinen dieser Übersicht sind freilich schon derart viele neue Studien erschienen, dass diese Bibliographie in vielen Teilen (nicht aber im Quellen-Teil) veraltet ist.

25So etwa: Follner, Michaela: Papierkrieg. Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges in Archiven Österreichs, Deutschlands und Tschechiens, Innsbruck 2014.

26Darunter etwa: Schröter, Marcus: Erfolgreich recherchieren – Altertumswissenschaften und Archäologie, Berlin 2017; Kühmstedt, Estella: Klug recherchiert für Historiker, Göttingen 2013; Öhlmann, Doina: Erfolgreich recherchieren – Geschichte, Berlin 2012; Busse, Laura u. a. (Hg.): Clio Guide. Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, Berlin 22018 – digital via: https://guides.clio-online.de/guides (Stand: 24. Juni 2018).

27So umfasste der gedruckte Bestand der Universitätsbibliothek in Wuppertal im Jahr 2017 etwa 1,216 Mio. Titel – derjenige der Universitätsbibliothek in Tübingen hingegen 3,751 Mio. Titel. Solche und andere Zahlen sind für die meisten großen Bibliotheken zu ermitteln via: https://www.bibliotheksstatistik.de/.

28Jünger, Ernst: In Stahlgewittern. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Helmuth Kiesel, 2 Bände, Stuttgart 2013.

29Darunter: Jünger, Ernst (Hg.): Das Antlitz des Weltkrieges. Fronterlebnisse deutscher Soldaten. Mit etwa 200 photographischen Aufnahmen auf Tafeln, Kartenanhang sowie einer chronologischen Kriegsgeschichte in Tabellen, Berlin 1930.

30Kurz, Gerhard: „Wildgänse rauschen durch die Nacht“. Graue Romantik im Lied von Walter Flex, in: Stambolis, Barbara/Reulecke, Jürgen (Hg.): Good-Bye Memories? Lieder im Generationengedächtnis des 20. Jahrhunderts, Essen 2007, S. 79–97; Schepping, Wilhelm: „Wildgänse rauschen durch die Nacht“. Neue Erkenntnisse zu einem alten Lied, in: ebenda, S. 99–114.

31Oesterle, Günther: Das Kriegserlebnis im für und wider. „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque (1929), in: Laak, Dirk van (Hg.): Literatur, die Geschichte schrieb, Göttingen 2011, S. 213-223.

32Hinweise gibt etwa: https://www.historicum.net/themen/erster-weltkrieg/quellen/feldpostkarten-agv-muenchen/digitalisate (Stand: 24. Juni 2018).

33Die Versionsgeschichte zeigt zudem, dass ein übereifriger Bearbeiter durch die „Verbesserung“ eines vermeintlichen Tippfehlers den Text der zitierten Quelle änderte (besser gesagt: verfälschte!), bevor dies einige Zeit später wieder rückgängig gemacht wurde.

34https://de.wikipedia.org/wiki/Mythos_von_Langemarck (Stand: 24. Juni 2018).

35http://www.stahlgewitter.com (Stand: 24. Juni 2018). Diese Homepage bezeichnet sich als „Das Archiv zum 1. Weltkrieg“, ohne das zu leisten, was Aufgabe eines Archivs wäre: Quellen kompetent zu erschließen, das heißt unter Angabe ihrer Herkunft.

36Online verfügbar etwa bei der Französischen Nationalbibliothek: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k9437138k (Stand: 24. Juni 2018).

Lesen & Denken

Ad fontes!

Quellen sind der Rohstoff aller geschichtswissenschaftlichen Produkte: für Fachbücher, populäre Darstellungen, Schulunterricht, Fernsehsendungen oder ganz andere Formate. Deshalb führt der Weg des Historikers immer zu den Quellen, ad fontes. Unter diesem Motto suchten Humanisten seit dem 15. Jahrhundert emsig nach authentischen Texten aus der Vergangenheit – um fingierte auszuscheiden. Berühmt geworden ist die „Konstantinische Schenkung“, jenes vermeintliche Dekret Kaiser Konstantins, der dem Papst Silvester am Beginn des 4. Jahrhunderts auch die weltliche Herrschaft anvertraut habe: Auf diese angebliche Machtübertragung berief sich die Kurie später zur Rechtfertigung eigener Herrschaftsansprüche. Doch der Humanist Lorenzo da Valla entlarvte die schon zuvor bezweifelte Schenkungsurkunde um das Jahr 1440 als Fälschung.37 Seine exakte philologische Analyse wies nach, dass das Latein der Urkunde sich deutlich vom Latein der angeblichen Entstehungszeit unterschied, der Text mithin erst später entstanden sein konnte.

Auf diese Weise betrieb Valla akkurate Quellenkritik, Kerndisziplin des Historisch Arbeitens. Zu den wesentlichen Aufgaben eines Historikers gehört es, echte von falschen Quellen unterscheiden zu können. Manchmal nimmt das spektakuläre Formen an: zum Beispiel bei den angeblichen Hitler-Tagebüchern, die der Kunstfälscher Konrad Kujau im Jahre 1983 an die Illustrierte „Stern“ verkaufte – ehe Forensiker erhebliche Zweifel an der Echtheit der Manuskripte durch den materiellen Nachweis bekräftigen konnten, dass Papier und Tinte erst nach Hitlers Tod hergestellt worden waren; zuvor hatten manche angesehene Fachhistoriker die vermeintliche Echtheit bestätigt, andere hingegen wegen inhaltlicher Unstimmigkeiten bezweifelt.

Selbst entlarvte Fälschungen lassen sich allerdings als historische Quellen nutzen, im Falle der Konstantinischen Schenkung etwa für die Analyse päpstlicher Legitimationsstrategien. Objektiv falsche Berichte über vermeintliche Tatsachen haben ihren eigenen Quellenwert. Auch Fake News geben relevante Auskünfte über ihren Urheber und dessen Zeit. Wer hatte ein Interesse an der Fälschung, wer wollte wen damit unter Zugzwang setzen? Kaum jemand wird wortwörtlich an das „Gespenst des Kommunismus“ geglaubt haben, das Karl Marx und Friedrich Engels im „Kommunistischen Manifest“ heraufbeschworen38 – gewirkt hat die Drohung mit der Weltrevolution durchaus, ohne dass es zur proklamierten internationalen Vereinigung aller Proletarier gekommen wäre.

Derart aufwendige Untersuchungen sind im Alltag des Historisch Arbeitens selten zu leisten. Die Gefahr, auf falsche Quellen hereinzufallen, ist allerdings seit dem Humanismus immens gestiegen. Am geringsten ist sie bei Studien in Archiven und bei der Benutzung wissenschaftlicher Quelleneditionen. Am höchsten ist sie im Internet: Unzählige Seiten bieten unzählige ungeprüfte Quellen an. Im günstigsten Falle fehlen „nur“ die Nachweise, die eine Quelle erst bearbeitungsfähig machen. Im ungünstigen handelt es sich um fehlerhafte Abschriften oder gar um Fälschungen (siehe das Cicero-Beispiel, S. 28). Bis heute kursieren im Netz zum Beispiel die antisemitischen, bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts fingierten „Protokolle der Weisen von Zion“, die ein angebliches Geheimtreffen einer jüdischen Weltverschwörung belegen sollten.39

Jede Quelle bildet nur einen kleinen Auszug aus der Geschichte ab – auch wissenschaftlich vorzügliche Quelleneditionen, in denen schon aus Platzgründen viele Dokumente nur teilweise wiedergegeben werden können. Für solche Kürzungen haben die Bearbeiter jeweils gute Gründe. Aber es wäre jeweils auch eine andere Auswahl denkbar. Bisweilen sind die ausgelassenen Passagen – „[…]“ – am interessantesten. Denn Auslassungen resultierten aus inter-pretatorischen Vorannahmen, ebenso kommentierte Korrekturen am Text (sogenannte Konjekturen). Eine weitere Unschärferelation betrifft übrigens die Sprache. Keine Variante oder Übersetzung ist deutungsneutral; so irgend möglich, sind Quellen in der Originalsprache zu erschließen. Darum sind Fremdsprachenkenntnisse für Historiker so bedeutsam, selbstredend auch besondere Fertigkeiten in der eigenen Sprache: „Freiheit“ um das Jahr 2000 bedeutet schon etwas anderes als „Freiheit“ im Jahre 1989, diese wiederum etwas anderes als „Freyheit“ im Jahre 1789 oder als „Libertät“ im Jahre 1689.40

Wenn Quellen der Rohstoff für alle geschichtswissenschaftlichen Produkte sind – dann ist die Literatur das Werkzeug für deren Bearbeitung: in ihren mannigfachen Formen, von kurzen Einträgen in Nachschlagewerken bis hin zu ausführlichen Darstellungen in Handbüchern oder ganzen Handbuchreihen, von kleineren Artikeln in Fachzeitschriften bis hin zu großen Monographien. Je umfangreicher der Werkzeugkasten, desto kunstvoller gelingt die Bearbeitung des Stoffes.

Das Produkt geschichtswissenschaftlichen Arbeitens an der Quelle ist eine These. These meint einen umsichtigen Deutungsvorschlag über historische Ereignisse oder Entwicklungen – aufbereitet für die Diskussion mit anderen. Sie antwortet auf eine spezifische Fragestellung, die am Anfang der Auseinandersetzung mit den Quellen stehen muss respektive in der Auseinandersetzung mit den Quellen entsteht. Die Funktion der Literatur besteht darin, der Quelle möglichst viele Erkenntnisse abzuringen – möglichst kundige und möglichst akkurate.

Literatur hilft zunächst beim Erschließen der Kontexte, der kleineren wie der größeren. Wer beispielsweise Quellen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs studieren möchte, wird sich zunächst einen Überblick über den Verlauf dieses epochalen Konflikts und dann gezielt Studien über das Umfeld der Quellen verschaffen: darunter das räumliche, das zeitliche, das politische, das militärische, das soziale, das wirtschaftliche, das kulturelle. Zudem bringt Literatur in die Lektüre der Quellen bereits Deutungsvorschläge ein. Nur Vertrautheit mit einschlägigen Fachpublikationen ermöglicht echte Neuentdeckungen und schützt vor vermeintlichen. Zu solchen Neuentdeckungen gelangen übrigens nicht nur Professoren – sondern auch Studenten oder Lehrer gemeinsam mit ihren Schülern. Denn sie stellen anhand des aktuellen Wissensstandes (den Schulbücher leider nicht immer zu vermitteln vermögen) kluge Fragen an die Quellen, die sie mit Thesen beantworten; sie bringen argumentative Ordnung in eine Vielzahl von Quellenbeobachtungen!

1. Quellen: Material des Historikers

Quellen sind Zeugnisse aus der Vergangenheit – und damit über die Vergangenheit. Alles Erhaltene ist eine Quelle, wirklich alles! Selbst Gebrauchsgegenstände, Gebäude oder Geländeveränderungen verraten viel über einstige Umstände, nicht nur buchförmige oder handgeschriebene Texte. Zwar behandeln die meisten Seminararbeiten reproduzierte Quellen, zwar basieren die meisten Schulstunden auf gedruckten Quellenauszügen. Das aber sind didaktische Sonderfälle. Archäologen arbeiten schließlich auch historisch, jedoch selten mit gedrucktem Material: Inschriften, Grabkammern, Abfallhalden und vieles mehr sind ihre Quellen. Warum steht auf Mülleimern noch immer „Keine heiße Asche einfüllen“? Weil bis weit in die 1960er Jahre viele Haushalte mit Kohle befeuert wurden, deren Asche dann entsorgt werden musste. Wer eines Tages über das 21. Jahrhundert arbeitet, wird sich wohl auf digitale Quellen konzentrieren – genauer gesagt: auf das, was davon am Ende übrigbleiben mag.

Quellen müssen immer wieder neu gesucht, kritisch gelesen und befragt werden – im Dienste einer spezifischen Fragestellung. Anders gesagt: Keine Quelle ist jemals zu Ende gelesen. Was sie über die Vergangenheit kundgibt, hängt von der Leseweise ab. Andere Generationen finden andere Phänomene der Vergangenheit spannend und entwickeln andere Methoden, um dieselben Quellen zu befragen. Jede Epoche trifft zudem Entscheidungen über ihre eigene Überlieferung und diejenige früherer Epochen; jedes Zeitalter hinterlässt seine eigenen, eigentümlichen Quellen. Welche davon weitergegeben oder eines Tages wiederentdeckt werden, darüber bestimmen Nachwelt und Zufall. Pfusch am Bau hat beispielsweise die sorgsame Arbeit von Generationen von Archivaren zunichte gemacht, die das eingestürzte Kölner Stadtarchiv aufgebaut hatten; klimatische Zufälle haben dafür die Ladung gesunkener Schiffe im Mittelmeer erhalten, anhand deren man die Handelswege des Römischen Imperiums rekonstruieren kann.

Quellen lassen sich in Gattungen einteilen, prinzipiell, nach dem Material, nach der Form, nach der Funktion, bisweilen auch epochenspezifisch: von antiken Inschriften über mittelalterliche Codices bis hin zu gedruckten Texten aus der Neuzeit. Insbesondere Handbücher und Einführungsdarstellungen41 verschaffen Orientierung in der Gattungsvielfalt der Quellen zu unterschiedlichen Zeiten. Quellen unterscheiden sich in Material und Form, aber auch in der Funktion. Marktplätze verraten etwas über die Wirtschaftsform, Hinrichtungsstätten etwas über den Umgang mit Strafe und Schuld, Gemälde in Kirchen etwas über theologische Präferenzen, gedruckte Pamphlete in der Sprache des einfachen Volkes etwas über Öffentlichkeit, kostbare lateinische Schriftrollen etwas über Elitenbildung, Quelleneditionen selbst wiederum etwas über den bevorzugten Umgang einer Epoche mit ihrer Vergangenheit.

Je weiter man sich auf die Gegenwart zubewegt, desto umfangreicher werden die Quellen. Manche sind alternativlos. Über den Ausbruch des römischen Bürgerkriegs nach der Ermordung Caesars liegen nur wenige zeitgenössische Überlieferungen vor – über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs hingegen bereits abertausende Artikel aus der damaligen Tagespresse.

Kurzum

Wer die Wahl hat, hat keine Qual. Keine Quelle ist an und für sich besser als eine andere. Aber manche sind für Sie beziehungsweise für Ihre Fragestellung interessanter oder geeigneter.

Wie kann man unter vielen Quellen eine pragmatische Entscheidung treffen, die sich auch theoretisch rechtfertigen lässt? Eine erste Eingrenzung bei der Untersuchung eines umfangreichen Quellen-Corpus gibt die Fragestellung vor. Wer zum Beispiel die Ursachen des Kriegsausbruches im Jahre 1914 erforschen will, wird eher die Überlieferung der Regierungen als Quelle konsultieren; wer sich für die Darstellung der Julikrise und der ersten Kriegstage interessiert, wird eher Zeitungsartikel in den Blick nehmen – und dann vielleicht eine Auswahl nach Erscheinungszeitraum, Erscheinungsort, vielleicht auch nach dem mutmaßlichen Publikum vornehmen.

Die zweite Eingrenzung bestimmt das Quellenmaterial selbst. Was in den Quellen steht, kann man vorher nun einmal nicht wissen – und muss deshalb schlicht mit der Lektüre beginnen. Es gibt selten objektive Kriterien, mit denen man Quellen von vorneherein als besonders aussagekräftig identifizieren kann, aber dafür eben gute subjektive Indizien im gelesenen Nachhinein: Wie bei jedem Handwerk braucht es Material-Gefühl, das man durch geduldige Übung gezielt entwickeln kann.

Es gibt gleichwohl gewisse Indikatoren für Quellen, die sich lohnen. Ob die Quellen bekannt oder unbekannt scheinen, ob andere sie für interessant oder uninteressant erachten, ist zunächst irrelevant. Relevant ist, welche Quelle Sie zum Nachdenken bringt. In fast jeder Quelle gibt es unweigerlich bestimmte Passagen, die Ihre Neugier erregen werden: sei es, dass Sie sich damit identifizieren können oder gerade nicht, sei es, dass Sie sich über sie wundern, sei es, dass sie Ihnen in unterschiedlichen Hinsichten unverständlich, sinnlos oder gar sinnwidrig erscheinen. Wenn eine Quelle Sie auf eine dieser (oder auf andere) Weisen besonders fasziniert, haben Sie für sich die richtige entdeckt – und schon einen Ansatzpunkt für eine spannende und gute Analyse, die Ihrer Neugier wissenschaftliche Geltung verleiht.

Kurzum

Am Ende entscheidet die Lektüre. Der Anfang ist nebensächlich.

Alle Recherche-Wege führen auf ihre Weise zum Quellenziel. Als Ausgangpunkt können getrost Quellen und Quelleneditionen dienen, die Sie in der jeweiligen Lehrveranstaltung kennengelernt haben. Wählen Sie möglichst eine neue Quelle – und nicht eine bereits aus der Seminardiskussion bekannte: Voreingenommenheit verdirbt Ihnen das Forschervergnügen! Als Ausgangspunkt eignet sich aber auch die Fachliteratur. Dann ist es indes ratsam, sich eher von Quellenverzeichnissen als von der eigentlichen Darstellung leiten zu lassen: Literatur vermittelt bisweilen das unzutreffende Gefühl, dass manche Quellen gar nicht weiter analysiert werden müssten, gar könnten. Diese Illusion kann auch entstehen, wenn man die Recherche im Internet beginnt: Hier droht der trügerische Eindruck, als seien manche Quellen schon „zu Ende“ gedacht. Das sind sie aber niemals.

1.1 Quellen unterscheiden: Gattungen und Provenienz

Quellen lassen sich in verschiedene Gattungen einteilen, zunächst einmal nach dem Gegenstand. Die wenigsten Quellen lassen sich nur für eine Binnendisziplin beziehungsweise nur für eine Fragestellung nutzen. Selbst die zunächst einmal vor allem für wirtschaftsgeschichtliche Studien interessanten Rechnungsbücher eines Kaufmanns aus der Zeit des Ersten Weltkriegs ermöglichen Rückschlüsse auf unterschiedliche Aspekte: auf ökonomische Gegebenheiten, auf Konsumvorlieben mitsamt deren sozialer Bedeutung, auf staatliche Eingriffe, auf Versorgungsengpässe (so etwa der Rückgang des Kaffee-Umsatzes und der Anstieg des Ersatzkaffee-Umsatzes) – ja überhaupt auf den zeitgenössischen Umgang mit Gütern und Geld.

Quellen lassen sich dem Material nach unterscheiden. Epigraphische Studien gelten Inschriften, die besonders für die Antike relevant sind; Siegel wiederum dürften im Mittelalter eine höhere Bedeutung gehabt haben (erforscht von der Sphragistik, eine der zahlreichen weiteren sogenannten Historischen Hilfswissenschaften). Numismatische Quellen hingegen (von denen die Münzkunde handelt) finden sich von der Antike bis in die Neuzeit, die wiederum als einzige über audiovisuelle Aufzeichnungen als Quelle verfügt – selbst von Barockmusik sind eben nur Noten, zeitgenössische Berichte und musiktheoretische Darstellungen erhalten: Viele Kantaten-Partituren Johann Sebastian Bachs oder Autographen der Werke Wolfgang Amadeus Mozarts liegen uns heute noch immer vor, aufbereitet in kritischen Editionen – aber eben keine einzige Aufführung unter der Leitung der Komponisten.

Kurzum

Auch Musikstücke, Videoaufzeichnungen, Gemälde, Gebäude, Kleidung oder Besteck sind Quellen, ebenso Bräuche, Manieren und vieles mehr – nicht nur Texte!

Freilich ist die Unterscheidung nach dem Material nur eine unter vielen Klassifikationsmöglichkeiten. Gesetzbücher und Romane wurden in der Neuzeit auf Papier gedruckt, ohne dass aus dieser materiellen Gemeinsamkeit analytischer Mehrwert erwüchse. Die Unterscheidung nach dem Material ist also nur ein erster Schritt. Quellen lassen sich auch der äußeren Form nach einteilen: Gedruckte Quellen etwa in Zeitungen, Bücher und Flugblätter (und vieles mehr), Bildquellen in Gemälde, Stiche, Zeichnungen, Fresken, Drucke (und vieles mehr). Weil mit bestimmten Erscheinungsformen von Quellen meist bestimmte Funktionen verbunden waren, kann diese Klassifikation bereits bei der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes höchst hilfreich sein. Wenn Sie die Darstellung der Julikrise des Jahres 1914 in verschiedenen europäischen Ländern erforschen möchten, erzwingt die ungeheure Masse an möglichen Quellen eine Einschränkung Ihrer Fragestellung auf bestimmte Quellen. Beispielsweise könnten Sie Ihre Untersuchung auf Bilder oder Karikaturen in Zeitschriften beschränken – und Ihre Fragestellung also auf ein bestimmtes Genre oder eine bestimmte Provenienz-Region verengen. Damit das gelingt, bedarf es vorab der Überlegung, wie sich die Quellen einteilen lassen; die folgende (unvollständige) Aufstellung deutet an, wie Sie sich in dieser Vielfalt auch mit graphischen Mitteln orientieren könnten.


Abb. 17: Schriftliche Quellen zum Ersten Weltkrieg: Ansätze zu einer schematischen Aufstellung

Quellen lassen sich zudem der Funktion nach unterteilen: zum Beispiel in öffentliche und private, in staatliche und literarische. Material und Form sind damit eng verbunden, je auf eigene Weise. Schließlich haben die Zeitgenossen jeweils überlegt, welchen Aufwand welche Zwecke erforderten. Verwaltungsdokumente wurden gewöhnlich nicht in Marmor gehauen. Wo sie in der Antike bisweilen eben doch in Stein gemeißelt und damit dauerhaft gemacht wurden, muss es sich um besonders bedeutsame Informationen gehandelt haben.

Quellen lassen sich auch der sozialen Herkunft nach unterteilen: Die meisten Überlieferungen stammen in der Regel von den jeweiligen Eliten beziehungsweise sind von ihnen gelenkt worden. Aber es gibt es eben auch Versuche, die Lebens- und Denkweisen der „einfachen“ Bevölkerung festzuhalten – beispielsweise das britische „Mass Observation Archive“ in Brighton,42 das tausende Zeitzeugeninterviews mit Arbeitern und Hausfrauen aufbewahrt.

Schon diese generellen Einteilungen machen deutlich: Bereits bei der Quellensuche hilft Kontextwissen immens – angefangen mit der Überlegung, welche Quellen in der untersuchten Epoche überhaupt entstanden sein könnten. So ist in der Moderne die staatliche Überlieferung besonders umfangreich, in der Vormoderne sucht man danach eher vergeblich. Briefe römischer Soldaten sind nur wenige erhalten; dafür künden viele steinerne Epitaphe von ihrem Leben und Sterben. Je weiter man in die Geschichte zurückgeht, desto spärlicher werden schriftliche Quellen. Gegenständliche Quellen wie etwa Grab- und Denkmäler haben indes auch für den Neuzeit-Historiker eine große Bedeutung!

Eine prinzipielle Unterscheidung der Quellen steht über allen diesen Binnendifferenzierungen, nämlich die Unterscheidung der Herkunft nach, der sogenannten Provenienz. Diese Differenzierung hat insbesondere der einflussreiche deutsche Historiker Johann Gustav Droysen entfaltet, als er im 19. Jahrhundert Geschichte als methodengeleitete Wissenschaft zu verankern suchte.43 Sie ist angeleitet von der Überlegung: Wie sind die Quellen jeweils auf uns gekommen? Prinzipiell lassen sich Quellen in Tradition und Überrest einteilen. Tradition setzt eine Überlieferungsabsicht voraus beziehungsweise handlungswirksame Entscheidung der Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen zugunsten der Weitergabe der betreffenden Quellen(n) – etwa Archivalien, Bücher in Bibliotheken, Denkmäler oder Sagen, deren Weitergabe lieb und teuer erschien. Damit ist eine Selektion verbunden, die umgekehrt auch Zerstörung bedeutet: in Archiven etwa die alltägliche Praxis der Kassation, bei der gezielt Quellen vernichtet werden, die für redundant oder wenig relevant befunden werden,44 in der Politik bisweilen gar die Praxis der Bücherverbrennung, die nicht nur im Dritten Reich üblich war, oder der Damnatio Memoriae, also der gezielten Tilgung des Andenkens; manche römische Kaiser beispielsweise wurden nach ihrem Tod aus Schriftstücken getilgt, aus Inschriften gehauen, ihre Bildnisse zerstört oder umgewandelt. Selbst Quellenvernichtung gehört zur vollzogenen Traditionsbildung. Überreste hingegen verdanken ihre Existenz letztlich dem Zufall. Sie sind nicht absichtlich konserviert worden, sondern aufgrund günstiger Umstände – darunter etwa Privatbriefe, Rechnungsbücher oder Funde auf dem Dachboden der Urgroßeltern.

Warum ist diese Unterscheidung wichtig, warum verdient sie bei jeder Quelle Aufmerksamkeit? Sie schärft das Bewusstsein einerseits dafür, dass Historiker bei aller systematischen Vorgehensweise von Zufällen abhängig sind – und andererseits dafür, dass manche dieser Zufälle selbst Methode haben. Wer Quellen gezielt überliefert, möchte ein bestimmtes Bild (s)einer Epoche gezeichnet wissen: ein positives oder ein negatives, eines, in dem Eliten oder aber einfache Leute prominent erscheinen, eines, das eher kulturelle oder aber ökonomische Entwicklungen akzentuieren möchte. Anders gesagt: Jede Quelle bildet nur einen winzigen Ausschnitt aus der Geschichte ab – und bei Traditionen einen absichtsvoll gewählten, von dem man sich als Forscher leicht verleiten lässt, wenn man nicht auch nach Überresten Ausschau hält.

Kurzum

Der einfachste Weg zur Quelle ist derjenige, der Tradition zu folgen. Zugleich ist es meist auch der eintönigste.

Welche Erwägungen einer Traditionsbildung jeweils zugrunde liegen, erforscht übrigens eine eigene Binnen-Disziplin: Rezeptionsgeschichte befasst sich mit Phänomenen der stets selektiven Konstruktion von Traditionen (oder auch der gänzlichen Ablehnung von Traditionsbildung überhaupt). Sie macht zudem deutlich, dass die Grenzen zwischen Tradition und Überrest fließend verlaufen. Die Zuordnung ist jeweils eine Momentaufnahme. Traditionen können zu Überresten werden und umgekehrt. Schon deshalb lässt sich mitnichten sagen, dass Quellen aus der Tradition mehr oder weniger bedeutsam wären als Überreste; vielmehr ist die Unterscheidung meist eng mit der Funktion des Textes verschränkt – politische ausgebeutete Heldentaten gehörten meist zur Tradition, Alltagsquellen meist zu den Überresten.

Fließende Grenzen: Tradition und Überrest im Wandel

Zufällig entdeckte Feldpostbriefe auf dem urgroßelterlichen Dachboden sind Überreste – aber geraten zur Tradition, sobald sie fortan absichtsvoll aufbewahrt, für alle Nachfahren kopiert oder gar ediert werden.

Das Schlachtfeld von Verdun war ein Überrest des Ersten Weltkriegs. Die Entscheidung, diese zerstörte Landschaft nicht zu rekultivieren, sondern zur Mahnung künftiger Generationen so zu belassen, hat sie zur Tradition gemacht. Vielleicht werden sich künftige Generationen indes anders entscheiden?

Das Forum Romanum in Rom war ein als Viehweide genutzter Überrest aus Steinruinen gewesen, ehe es die Humanisten zur bewahrenswerten Tradition erhoben haben.

Trennen kann man auch Primär- und Sekundärquellen. Primärquellen sind in unmittelbarer Nähe zu den berichteten Ereignissen entstanden, Sekundärquellen erst mit einem gewissen Abstand. Strikt definiert ist der Zeitpunkt indes nicht, der eine Quelle in eine der beiden Kategorien zwänge. Das ist insofern unproblematisch, als diese Unterscheidung zunächst keine Konsequenzen hat: Quellen sind so oder so subjektiv, egal, wann sie entstanden sind. Zeitliche Nähe oder Ferne tangieren den Quellenwert a priori nicht. Er hängt vielmehr von der jeweiligen Fragestellung ab. Just bei dieser Einordnung kann die Unterscheidung hermeneutisch hilfreich sein. Eine Feldpostkarte eines Soldaten ist per se nicht „wahrer“ oder „realitätsnäher“ als Memoiren, die Jahre später rückblickend entstanden sind – beide Quellen eignen sich lediglich für unterschiedliche Fragestellungen. Die Überlegung, ob es sich um eine Primär- oder Sekundärquelle handle, hat also einen Erkenntnismehrwert: Sie lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass der Kontext der Entstehung für die Quellenanalyse mindestens so wichtig ist wie die Quelle selbst.

Erinnerung im Wandel: Ein Beispiel

Der Offizier Ernst Jünger hat im Ersten Weltkrieg Tagebücher geführt – und später bearbeitet publiziert: „In Stahlgewittern“ betitelte er sein vielfach aufgelegtes Erfolgsbuch. Die Druckversion unterscheidet sich signifikant vom Manuskript, die verschiedenen Auflagen wiederum weichen voneinander ab. Sie taugen alle als Quelle, doch eben mit spezifischen Fragestellungen zur jeweiligen Entstehungszeit: weil die Eingriffe in den Text jeweils aus dem Kontext der Jahre 1920, 1922, 1924, 1934, 1935, 1961 sowie 1978 zu erklären sind. In jeder Version betrieb Jünger eine Umdeutung der Vergangenheit, bemühte sich also um eine alternative Tradition.

Die verschiedenen Auflagen machen einerseits Entwicklungen im Schreiben des Autors nachvollziehbar, andererseits gewandelte Kontexte. Für Historiker gibt es – anders als für manche Literaturwissenschaftler – keine „authentische“ oder „echte“ Version, sondern viele Ausgaben, die im Lichte ihrer Erscheinungszeiten zu deuten sind. „In Stahlgewittern“ vermittelt als Quelle manches über den Ersten Weltkrieg – aber aus der rückblickenden Sicht der jeweiligen Publikationszeit und ihrer wechselvollen Umstände.

Dieses Beispiel eröffnet eine weitere Dimension in der schwierigen Abwägung, was zur Tradition und was zum Überrest gehöre. Was als „Quelle“ und was als „Literatur“ dient, hängt letztlich nicht vom einzelnen Buch ab, sondern davon, wie Sie es verwenden.

So können beispielsweise die Bände der Publikationsreihe, mit der das Reichsarchiv der Weimarer Republik die Geschehnisse des Weltkriegs aufzubereiten suchte, ganz unterschiedlich genutzt werden. Der sechste Band daraus, der auch die Schlacht bei Langemarck behandelt,45 lässt sich als Literatur nutzen: wenn Sie daraus den Verlauf einzelner Gefechte rekonstruieren. Er kann indes auch zu einer Quelle werden: wenn Sie eine Rezeptionsgeschichte der Schlacht bei Langemarck verfassen, also sich dafür interessieren, wie dieses Gefecht später neu bewertet und gedeutet wurde. Wenn Sie eine Geschichte der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg schreiben, werden sogar all’ jene Darstellungen, die Sie für andere Forschungszwecke als Literatur einsetzen, auf einmal zu Quellen. Wer die Geschichte der Geschichtswissenschaft erforscht, macht jede Literatur zur potentiellen Quelle!

1.2 Quellen suchen: Strategien der Recherche

Je sorgfältiger die Suche nach Quellen, desto spannender auch die Funde. Viele Wege führen dabei zum Ziel, systematische wie unsystematische (siehe oben, S. 30 ff.). Am besten gehen Sie diese Wege parallel – und vor allem: reflektiert. Recherche kann beginnen:

im Alltag. Alles um uns herum ist Geschichte: die Anlage von Städten, einzelne Gebäude, prominente Denkmäler, Straßennamen, die längst niemand mehr erklären kann, und so vieles mehr!

im Museum – oder in allem, was Geschichte anschaulich macht, bis hin zu Dokumentarfilmen. Lassen sich von dem leiten, was beim Besichtigen Ihr Interesse weckt!

im Archiv. Das muss kein staatliches Archiv sein. Der Dachboden Ihrer Großeltern, auf dem Feldpostbriefe Ihres Urgroßvaters lagern, kann gewissermaßen Ihr persönliches Archiv sein – mit unpublizierten Quellen, über die noch kein anderer geforscht hat!

mit persönlichen Begegnungen: zum Beispiel mit Erzählungen Ihrer Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern – also mit Zeitzeugen, deren Befragung Wissenschaftler als „Oral History“ bezeichnen.46

mit Quellen beziehungsweise Quelleneditionen beziehungsweise Quelleneditionsreihen, die Sie in den Lehrveranstaltungen kennengelernt haben. Gleich mehrere Epochen der deutschen Geschichte deckt etwa die Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe ab. Dieser Weg ist oft der einfachste, aber mitunter auch der langweiligste und darum langwierigste: weil Sie vom Zufall abhängig sind, welche Editionen in den Lehrveranstaltungen selbst eingeführt worden sind.

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9783846350393
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