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Читать книгу: «Das Schweigen im Walde», страница 8

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Martin streckte die Beine, brannte sich eine frische Zigarette an und schielte über das flackernde Zündholz nach dem Jäger.

Pepperl stand wie ein Baum unter der Tür, die Daumen in die Hosenträger eingehakt. »Sie, Herr Kammerdiener! Tummeln S' Ihnen! Der Herr Fürst wird gleich heimkommen.«

»Also ist er noch nicht da? Na, dann wird's nicht so pressieren!« meinte Martin. Er stäubte eine Aschenflocke von seinem Frack, erhob sich, zog die Weste herunter und ging zur Tür. »Wollen Sie gefälligst den Weg freigeben?«

Pepperl rührte sich nicht. »Ja, gleich! Aber z'erst noch a Wörtl! Neulich auf d' Nacht hab ich an Rausch ghabt. Und da hab ich mich a bißl unghörig aufgführt. Dös reut mich, ja! Aber heut bin ich nüchtern.«

Martin runzelte die Brauen. »Was soll das heißen?«

»Es is nur, daß der Herr Kammerdiener weiß, wie er dran is mit mir.« Pepperl trat von der Tür weg. »So!«

»Sie scheinen zu glauben, daß ich an Ihr unqualifizierbares Benehmen von neulich eine Minute später noch gedacht habe? Da tun Sie sich zuviel Ehre an, junger Mann.«

»Is schon möglich! Unsereins halt eben a bißl was auf Ehr. Deswegen zwick ich Ihnen von der Ihrigen nix ab. Die tat mir net in d'Joppen passen.«

Martin zuckte hochmütig die Schultern, und während er zur Tür hinausschritt, grüßte er freundlich: »Adieu Burgerl!«

»Bhüt Ihnen Gott, Herr Martin!« klang es so dünn wie ein Zwirnsfaden vom Herd herüber.

Draußen waren Martins Schritte schon verhallt, und Pepperl stand immer noch stumm und regungslos neben der Tür.

Burgi tat, als wäre der Jäger Luft für sie. Bald hantierte sie mit dem Geschirr, bald wieder legte sie ein frisches Scheit in das flackernde Feuer, und bei allem drehte sie der Tür immer den Rücken zu.

»Jiija!« sagte Pepperl endlich, ging auf den Tisch zu, setzte sich auf den leer gewordenen Stuhl und begann in aller Gemütsruhe sein Pfeiflein zu stopfen. Als diese umständliche Arbeit erledigt war, hob er das Bein und strich an der Schattenseite seiner Lederhose das Zündholz an. »Ja, ja, ja, ja!« nickte er vor sich hin, während er nachdenklich den brennenden Schwefel betrachtete. »So geht's auf der Welt!« Mit langen Zügen begann er zu paffen.

Burgi schoß einen wütenden Blick nach dem Jäger. »Mußt denn du allweil grad bei mir da sitzen?«

»Da gfallt's mir halt, weißt!«

»Wär mir schon lieber, es tät dir woanders gfallen.«

»Die Zeit kann auch noch kommen.«

»Hoffentlich bleibt's net gar z'lang aus!«

»Is schon möglich. Es gibt Sacherln auf der Welt, die haben gschwinde Füß.«

Unter trockenem Lachen faßte Burgi den langen Holzlöffel, um den Inhalt des Kessels aufzurühren. Eine Weile hörte man nur das Knistern des Feuers und das angestrengte Paffen des Praxmaler-Pepperl. Dieses Schweigen zog sich immer zäher in die Länge.

»Heut macht's an staden Tag!« sagte Pepperl endlich. »Plauschen wir lieber a bißl was!« Ein kurzes Auflachen. »No also, wie geht's, wie steht's denn allweil, Frau Jagdverwalterin? Haben S' heut den herrschaftlichen Stall schon ausgputzt? Ja?«

Burgi fuhr auf wie von einer Natter gestochen. Im ersten Augenblick wußte sie nicht, was sie sagen sollte. Dann trat sie schneidig auf den Jäger zu, beugte den Kopf bis zu seiner Nase hinunter und zischelte ihm ins Gesicht: »Du! Jetzt will ich dir was sagen! Um alles andere frag ich net – aber beim Herrn Martin seiner Privatsach, die er mir anvertraut hat, da hab ich d' Hand drauf geben, daß nix weiterkommt. Und dös möcht ich mir verbitten, daß du jetzt an Tratsch machst, und daß's hintnach heißen tät: ich hab's gsagt! Verstehst mich?«

Pepperl blies ihr den Rauch ins Gesicht, daß sie husten mußte. »Dös kann ich halten, wie ich mag. Ich hab nix versprochen.«

»So? So?« Fuchtelnd wehrte sie mit beiden Händen den Rauch von sich ab. »Gleichschauen tät's dir schon, dir, daß d' umanand rennst in der ganzen Gegend und alles ausschreist! Gelt?«

Das Blut stieg ihm ins Gesicht, doch er blieb ruhig. »So? Schaut's mir gleich? No ja!« Und paff, hatte sie wieder eine Wolke unter der Nase.

»Jetzt hör amal auf!« fuhr sie ihn hustend an. »Blas mir net allweil dein Stinkadores ins Gsicht!«

»Freilich, du vertragst halt bloß so a feins Zigarettendampfl. Übrigens, wenn dir sonst kei' Sorg net aufliegt, als daß ich an Tratsch mach, da kannst dich trösten. Lugen red ich net weiter. Denn daß ich den Schwindel mit der Jagdverwaltung glaub, für so strohkalbldumm möcht ich mich von die Leut net halten lassen.«

Burgi atmete erleichtert auf und kehrte zum Herd zurück. Einen »Tratsch« brauchte sie nicht zu fürchten, das wußte sie jetzt. Und über das Loch, das Pepperl mit dem Wörtlein »Schwindel« in ihre halbe Hoffnung gerissen hatte, machten ihre Gedanken einen großen Sprung. »Bist ihm halt neidisch, gelt?«

»Dem? Na!«

»Und ärgern tust dich, daß er sich mit dir net abgibt.«

»Ich hab halt nix so ›Urrwixikäs‹ und ›Härzikäs‹, wie er's gern hat.«

»Natürlich, so a Lümmel wie du!«

»Freilich! Ich hab's ja hören können, daß dir net leicht einer so zwider is wie ich.«

»So?« Die Schadenfreude blitzte in ihren Augen. »Hast es aufgschnappt? Ich hab's eh nur gsagt, damit du's hörst.«

»Geh?«

»Ja! Meinst, ich hab dich net umraspeln hören hinter der Wand da draußen?« Als sie die verdutzten Augen sah, die er machte, versetzte sie der Wahrheit einen gelinden Puff und sagte: »Hätt's da herin was zum Verheimlichen geben, meinst, ich hätt den Herrn Martin weiterreden lassen, wenn ich weiß, wer draußen steht mit die gspitzten Luser! Übrigens, schenieren möcht ich mich! Mit die Ohrwascheln umanand rutschen hinter der Mauer! Aber – ›Der Lauscher an der Wand hört die eigene Schand!‹ – Kennst es ja, dös Sprüchl, gelt?«

»Ja!« Pepperl biß in die Pfeifenspitze, daß es knirschte. »Schand hab ich gnug ghört. Aber net die meinig.«

»Du!«

Das Wort war wie ein Dolch. Und das brennende Scheit, das Burgi gerade tiefer ins Feuer schieben wollte, hatte sie in der Hand behalten und aus der Glut gerissen. Der Rauch quoll an ihr hinauf, und die Flamme züngelte nach ihrer Schürze.

Da war es um Pepperls Ruhe geschehen. Ein Sprung, und er stand an ihrer Seite, riß ihr das Scheit aus der Hand, um es ins Feuer zu werfen, und schrie ihr mit aller Überzeugung eines ehrlichen Menschen ins Gesicht: »Madl! Er schmiert dich an! Der!«

Sie wurde bleich. »So was laß ich mir net sagen! Von dir schon gar net. Und zum Anschmieren ghören zwei. Da müßt ich auch noch dabei sein. Aber weil du vom Herrn Martin bloß allweil 's Schlechte glaubst, deswegen mußt noch lang net recht haben!«

»Madl! Madl!« Pepperl fuhr ihr mit den fuchtelnden Händen fast ins Gesicht. »Wie kannst denn so was glauben! Der? Und Jagdverwalter? Da macht man ehnder an Pudel zum Pfarrer! Und wieviel hat er gsagt? Viertausend Gulden? Ja! Viertausend Pfifferling mit Schneckensoß und den Buckel voll Prügel zum Eintunken! Dös verdient er! Der!« Der Brustton, mit welchem Pepperl predigte, schien den zornigen Trotz des Mädels schon ins Wanken zu bringen. Aber was der Jäger im heißen Eifer weiter noch vorbrachte, verdarb wieder alles. »Meinst, ich hab's net gmerkt, gleich am ersten Abend, wie er dich angschaut hat? Kümmern tut's mich freilich nix. Ich? Und von dir was mögen? Ah na! Fallt mir net ein! Aber als gute Seel, hab ich mir denkt, muß ich dös dumme Madl doch a bißl verwarnigen. Drum hab ich in der Nacht an deiner Kammer klopft. Ja! Sonst wegen nix. Aber hast dir ja nix sagen lassen. Natürlich, und jetzt is der Teufel los! Jetzt hat er dich anplauscht. Und glauben tust ihm auch schon und möchtest am liebsten gleich mit alle zwei Füß ins Unglück einihupfen, gelt? Aber da is noch was gut dafür! Da bin ich noch da! Verstehst mich? Du gehst mich net so viel an, weißt! Aber die gute Repadazion von unserer Gegend liegt mir am Gwissen. Und daß 's bei die Leut umanand heißen soll: auf der Tillfußer Alm, wo d' Jager hausen, geht's zu wie auf der ungraden Hochzeit, die der Pfarr verschlafen hat – dös laß ich net zu! Verstehst mich!«

»Du, mir scheint, dir hat d' Sonn a bißl z'heiß aufs Dachl brennt!« fiel Burgi mit zornbebender Stimme ein. »Komm her, du, ich kühl dich ab!« Und ehe Pepperl den Sinn dieser Worte zu deuten vermochte, hatte sie den Tränkzuber gepackt und schüttete dem Jäger einen Guß ins Gesicht, daß das Wasser in plätschernden Fäden an ihm hinuntertroff.

»So? No, wart nur, du!« Pepperl schüttelte sich, daß die Tropfen nach allen Seiten flogen. »Wir zwei sind fertig mitanander! Du und ich! Für ewige Zeiten! Jetzt soll dir an andrer ins Gewissen reden! Jetzt muß dein Vater her! Dein Vater soll's wissen, wie's steht um dich! Ja, schau mich nur an, du! Heut noch laß ich ihm Botschaft sagen. Dein Vater muß her! Und jetzt bin ich fertig, so!« Er quetschte das Wasser aus den Ärmeln und schleuderte die Tropfen von den Händen. »Mich siehst nimmer in deiner Hütten!«

Wie er zur Tür hinauskam, das schien er selber nicht recht zu wissen. Er merkte nur plötzlich, daß er draußen in der Sonne stand, und da schob er das Hütl zurück und griff sich an die Stirn, als müßte er sich erst besinnen, was denn eigentlich geschehen wäre. Der Anblick seiner pritschelnassen Kleider schien ihm alles wieder in Erinnerung zu bringen. »An saubern Dank hat man von der moräulischen Gwissenhaftigkeit!« Er zog die Joppe herunter, trocknete mit dem Sacktuch das Gesicht und drückte das Wasser aus der Lederhose, die sich anfühlte wie ein vollgesogener Schwamm. Und da er in dem Zustand, in dem er sich befand, das Försterhäuschen nicht betreten wollte, sprang er gegen den Wald hinunter und legte sich auf einer kleinen, versteckten Lichtung in die Sonne, um trocken zu werden. »Grad zerreißen könnt ich dös Weiberleut!« murrte er mit geballten Fäusten vor sich hin, als er zwischen den Stauden hockte und sich von der Mittagshitze braten ließ.

Er hatte »seine Schuldigkeit getan«, hatte sein Gewissen entlastet. Aber der Ausdruck seiner Züge war nicht der friedliche des guten Hirten, der sein bedrohtes Schäflein gerettet weiß.

Es dauerte eine gute Stunde, bis Pepperl in der sommerlichen Backofenhitze trocken wurde – wenn auch nicht trocken bis auf die Haut. »Unterschichtig« klebte ihm noch das Gewand am Körper, aber auswendig, meinte er, »tut's es schon!«

Um nur ja nicht an der Sennhütte vorüber zu müssen, machte er zum Försterhäuschen einen weiten Umweg durch den Wald, bis hinunter zum Bach. Da begegnete ihm der Bote, der für den Fürsten die Post aus Leutasch gebracht hatte und jetzt wieder heimwanderte. Pepperls Augen funkelten vor Freude. »So! Du kommst mir recht. Kannst mir Botschaft tragen?«

»Was denn?«

»Triffst den alten Brenntlinger heut noch?«

»Der Burgi ihren Vater?«

»Ja.«

»Heut nimmer, na! Aber morgen, wann ich am Wirtshaus vorbeikomm, da hockt er schon drin.«

»Richt ihm aus, daß ich ihm ganz ebbes Wichtigs sagen muß. Er soll mich aufsuchen. Je bälder, je lieber.«

»Sagen tu ich's ihm schon.« Der Mann lachte. »Ob ihm der Schnaps aber Urlaub gibt, dös weiß ich net.«

»Versprich ihm halt, daß er bei mir auch sein Stamperl kriegt.«

»No, da kann's sein, daß er kommt!«

Pepperl lüftete die Joppe, lachte spöttisch vor sich hin und spähte durch den Wald hinauf. »Gelt, sag's ihm fein gwiß! Ich tu dir an andersmal auch wieder an Gfallen dafür. Und tummel dich, daß d' heimkommst und den Postwagen net versaumst. Hast viel mitkriegt vom Herrn Fürsten?«

»Schier gar nix, na! Bloß a Telegramm, dös er gschwind noch gschrieben hat, grad jetzt, wie er heimkommen is.«

»No also, da mußt doppelt flinke Füß machen! Bhüt dich Gott!«

Während Pepperl seine Lederhose auf ihre »unterschichtige« Feuchtigkeit prüfte, wanderte der Bote davon.

Die Depesche, die er mit forttrug, war an den Grafen Sternfeldt adressiert und lautete: »Erkundige Dich, bitte, nach einem Maler Emmerich Petri, der vor zehn oder fünfzehn Jahren in München lebte. Jedes Wort, das Du über ihn erfahren kannst, hat Interesse für mich. Dank und herzlichen Gruß. Ich bin gesund und guter Dinge, wie ein Fisch in klarem Wasser. – Heinz.«

Achtes Kapitel

Ein stiller Tag verging, an dem das Blau des Himmels gegen die Nebel kämpfte, die überall aus der Luft herauswuchsen und sich wie graue Kappen über alle Zinnen der Berge stülpten.

Gegen Abend begann es zu regnen.

Förster Kluibenschädl war im Fürstenhaus zu Tisch geladen. Als er sich nach heiter verplaudertem Mahl von seinem Jagdherrn verabschiedete, erbat er sich Urlaub für den nächsten Tag. Neue Jagdsteige wären zu bauen, und da müßte die Zustimmung der weideberechtigten Gemeinde eingeholt werden.

»Sie gehen nach Leutasch?« fragte der Fürst. »Wollen Sie mich mitnehmen?«

»Wollen? Ich bitt, Duhrlaucht, es wär mir ja die größte Ehr! Aber 's Wetter, mein' ich, wird Mannderln machen. Und viel is in der Leutasch draußen net zum Sehen.«

Ettingen lächelte.

»Es wär net der Müh wert, daß Duhrlaucht naß werden.«

»Ich hoffe, das Wetter bessert sich wieder bis morgen, und dann gehen wir.«

Der Wunsch des Fürsten erfüllte sich. Die halbe Nacht währte das Strömen und Gießen, aber der Morgen brachte wieder klares Wetter, sonnig und dennoch kühl.

Auf zehn Uhr morgens war der Abmarsch nach Leutasch festgesetzt – für Pepperl ein triftiger Grund, schon um neun Uhr von der Frühpirsche heimzukehren. Wenn der Fürst das Jagdhaus verließ, hatte der Kammerdiener einen freien Tag, und da mußte ein Riegel vor die Tür der Sennhütte geschoben werden. Freilich war Pepperl mit »der da drunten« für alle Ewigkeit »fertig«. Aber er hatte nun einmal die »Verantwortigung« auf sich genommen, und solch eine Gewissenspflicht wirft ein ehrlicher Christenmensch nicht von sich ab, bevor er nicht sicher ist, daß ein anderer sie auf seine Schultern nimmt. Für diesen anderen war bereits gesorgt. »Leicht kommt er schon heut, der Brenntlinger? Da bin ich's endlich amal los, die verwünschte Sorg! Bei so was hat man Tag und Nacht kei' Ruh!«

Als Pepperl in die Hüttenstube trat, machte Kluibenschädl sich wegfertig. »Gelten S', Herr Förstner, heut därf ich mich ausschnaufen und daheim bleiben?«

»Ja, Bub! Hast a paar harte Täg hinteranander ghabt. Laß dir d' Ruh heut schmecken!«

»Ruh?« brummte Pepperl vor sich hin, während der Förster zum Fürstenhaus hinaufstieg. »Wenn ich mein Schmarren drunten hab, hock ich mit'm Gheimnis vom Wohdekastl vors Hüttentürl her. Den ganzen Tag! Da kommt mir nix aus.«

Eine Viertelstunde später wanderte Ettingen mit dem Förster über das Almfeld hinunter. Als sie an der Sennhütte vorübergingen, kam Burgi mit einem Schaff Wasser vom Brunnen und grüßte stumm, bevor sie in den Stall trat. »Ist das die Sennerin?« fragte Ettingen. »Ein hübsches Mädel!«

»Ja, gar net übel! Aber was in dös Madl einigfahren is, dös weiß der Kuckuck. Sonst hat's den ganzen Tag allweil gsungen wie a Starl im Fruhjahr. Jetzt macht's a Gsicht wie neun Tag Regenwetter. Sie muß krank sein!«

»Oder verliebt. Das gäb eine schmucke Jägersfrau.«

»Die?« Kluibenschädl machte große Augen. »Die hat ja nix!«

Ettingen lachte. »Was haben? Gehört das zum Glück? Auch hier im Dorf? Ich dachte, daß die Leute in den Bergen das Leben natürlicher nehmen als wir verbildeten Kulturkinder der Stadt.«

»Die Bauern? O du mein! Wann a Bauer heiret, wird um jeden Kuhschwanz ghandelt. Und d' Leut haben recht. Von der Lieb hat noch keiner zehrt. Steigen d' Sorgen zum Fenster eini, so fahrt d' Liebsfreud auf'm Besenstiel zur Haustür aussi! Und nachher wird grauft und gscholten.«

Ettingen sah den Förster von der Seite an. »Sie waren wohl nie verliebt?«

»Ich?« Kluibenschädl schlug ein Kreuz. »Gott soll mich bewahren!« Dem Ton dieser Worte war es anzumerken, daß der Förster über eine böse Erinnerung seines Lebens wegsprang. »Na na! Mein Dienst, meine Berg und mein Wald! Mehr verlang ich mir nimmer im Leben.«

Ettingen nickte.

»Schauen S' ihn nur an, unsern Wald! Kann's denn was Schöners geben? Oft, wenn mich 's Leben völlig verdrossen hat, da hab ich mir gsagt: ›Marsch, Brüderl, naus in dein Wald, da verleidst es schon wieder!‹« Er lachte. »Und wahr is gwesen. Wieder lustig bin ich worden. Noch jedsmal!«

Sie waren aus dem Schatten des Waldes in die Sonne getreten und hatten die Straße erreicht, die am Ufer des rauschenden Wildbaches hinlief. Die beiden Wegstunden bis zum Dorfe vergingen dem Fürsten so rasch, daß er, als das weite Wiesental der Leutasch sich vor ihnen öffnete, verwundert fragte: »Wir sind schon da?«

Sie konnten das schöne Tal bis zu den Bergen, die es in der Ferne begrenzten, frei überblicken. Gleich blinkenden Silberwürfeln lagen die weißgetünchten Häuser zwischen dem Grün der Obstgärten, zwischen dem gelben Geröll des Bachlaufes und den Goldgevierten der reifenden Haferfelder. Auf den Wiesen waren die Leute mit dem Heu beschäftigt, und die kleinen Figürchen in Hemdärmeln, die Wagen, die beladen wurden, die Zugtiere, alles flimmerte im Sonnenglanz. Eine Kette sanft gerundeter Waldberge schloß das Wiesental, und hinter ihren zierlichen Wipfelkämmen hoben sich die Felsenpaläste des Karwendelgebirges empor, die einsame Seefeldspitze und am Horizont die langgestreckten Inntaler Berge, deren fernste Zinnen nur noch wie bläulicher Hauch in die schimmernde Luft gezeichnet waren.

Bei den ersten Häusern sagte der Förster: »Duhrlaucht! Vor wir ins Dorf einimarschieren, müssen S' mir was versprechen!«

»Was?«

»Daß ich wegen die Steigbauten allein mit'm Bürgermeister reden därf. Zu dem laß ich Ihnen net in d' Stuben eini.«

»Halten Sie es nicht für gut, daß ich als Jagdherr selbst mit den Leuten spreche?«

»Gott bewahr! Wann die Bauern an Jagdherrn sehen, wissen s' gleich gar nimmer, was s' verlangen müssen. Schaut wo a Zehner aussi, so reißt der Bauer d' Augen gleich auf für an Tausender. Deswegen is er net schlechter und net besser wie andere Leut. Aber einbilden tut er sich: er is der Gscheite, und der Stadtherr is allweil der Dumme. Und hat er ihn übers Ohr ghaut, so lacht er ihn hintnach aus. Jetzt gar noch a Jagdpächter! Der is eh schon der Kiniglhaas! Von dem wird abigrissen, was runter geht an Woll. Na na! Bleiben S' davon, Duhrlaucht! Sie mit Ihrer Güt möchten schön grupft ins Jagdhaus zruckkommen! Aber a Stündl wird's allweil dauern, bis ich d' Erlaubnis für unsere Steigbauten ohne Blutgeld aussidruckt hab. Wie wollen S' Ihnen denn derweil unterhalten, Duhrlaucht?«

»Ich mache einen Spaziergang durch das Dorf. Oder – neulich am Sebensee hab ich eine junge Dame kennengelernt, ein Fräulein Petri – «

»Ah so! Die Fräuln Lo?« Der Förster blieb stehen, und es leuchtete warm in seinen Augen. »Net, Duhrlaucht, die muß Ihnen doch gfallen haben? Dös is a Frauenzimmerl, dös sogar ich gelten laß, und dös will viel sagen! Aber mit der Fräuln Lo, da wird's schlecht ausschaun heut. Die is an so eim Tag allweil im Wald oder z'höchst in die Berg droben. Die treffen S' heut net daheim, Duhrlaucht!«

»Die junge Dame hat mir manches von ihrem Vater erzählt, und das merkwürdige Schicksal dieses Mannes interessiert mich lebhaft. Es wäre mir eine Freude, die Bilder zu sehen, die von ihm noch vorhanden sind.«

»Nix leichter wie dös! D' Frau Petri hat die größte Freud, wann einer kommt und die Sachen anschaut.«

»Sind die Bilder verkäuflich?«

»Na, Duhrlaucht, da wird sich nix machen lassen. Es hätt schon oft a Sommerfrischler so a Taferl gern mitgnommen. Aber was vom Herrn Petri noch da is, dös halten die zwei Frauenleutln fest wie mit eiserne Händ.«

»Also ist die Familie in guten Verhältnissen und hat ohne Sorge zu leben?«

»Aber gwiß. Erstens amal sind s' zfrieden mit allem und verstehen sich drauf, wie man 's Leben schön sparsam einrichten muß. Und nacher haben s' auch a bißl was. Der Herr Petri is a fleißigs Mannsbild gwesen. Der hat sich in die fufzehn Jahr bei uns da schön was verdient. So gut wie der hat's net leicht einer verstanden, wie man die Marterln macht, die Votivitaferln und die Heiligen an die Häuser. Von der ganzen Gegend hat er die Kundschaft kriegt und is gut zahlt worden, acht Gulden für a Marterl, zwölfe für an ganzen Heiligen. Freilich, diemal hat er seine narrischen Zeiten ghabt und hat wochenlang bloß für ihm selber gmalen. Da hat er Sachen gmacht, auf die der Herr Pfarr net gut zum reden war. Und ich muß selber sagen – ich bin keiner von die Mucker, die meinen, es müßt alles zuknöpfelt sein bis zum Nasenspitzl – aber da hat er vor drei, vier Jahr so an Endstrumm Tafel gmalen: die Versuchung Christi – und da hat er a Frauenzimmer vor unsern Heiland hingstellt – Kreuzsakra, die hätt a Gwandl brauchen können! Und so was hängt er mitten in d' Wohnstuben eini, daß 's jeder Mensch gleich sehen hat müssen. Was sagen S' jetzt zu so was, Duhrlaucht?«

Ettingen schwieg.

»Aber da is der Pfarr eingruckt über ihn! Da hat's in dem stillen Häuserl a hitzigs Stündl geben. Z'erst is der Herr Petri grob worden. Und 's Grobsein, dös hat er doch sonst net in der Manier ghabt, is allweil a guter, freundschäftlicher Patron gwesen. Aber selbigsmal hätt er den Pfarr bald zur Tür aussi gworfen. Der hat aber net auslassen und hat ihm androht, daß er ihn aussidruckt zum Dorf, wann dös Bild net wegkommt. Da müssen dem Herrn Petri doch die Grausbirn aufgstiegen sein. Gahlings hat er 's Gsicht in d' Händ einidruckt und hat zum weinen angfangen.«

In Gedanken nickte Ettingen vor sich hin, als verstünde er diese Tränen und die zerbrochene Seele, aus der sie geflossen waren. »Und das Bild?«

»Dös is verschwunden. Was er angstellt hat damit, dös weiß ich net. Gsehen hab ich's nimmer derzeit. Und a Glück war's für'n Herrn Petri, daß er selbigsmal in der Feuerkapellen den schönen heiligen Laurenzi am Bratspieß gmalen hat, dem aus'm Göscherl raus a Bandl geht, wo draufgschrieben is, was der Heilige im Martyri gsagt hat zu die Schindersknecht: ›Schüret das Feuer noch heißer, es brennet mich nicht, denn mir ist kühl!‹ Ja, der schöne Laurenzi, der hat den Pfarr wieder ausgsöhnt. Aber wissen S', Duhrlaucht – der Pfarr hat mir's selber gsagt – dös unschenierte Frauenzimmer hätt ihn noch gar net amal so arg verdrossen. Was den Pfarr am schiechsten g'ärgert hat, dös war der Teufel. Der is viel schöner gmalen gwesen als wie der Heiland. Und dös geht ja doch net, daß eim der höllische Versucher besser gfallt als wie der Herrgott. Na na! Der Herr Petri wär gscheiter bei seine Heiligen blieben. Auf die hat er sich verstanden. Schauen S', Duhrlaucht, da kommt grad so a Haus, dös er gmalen hat!«

Ein großer Bauernhof trat mit der fensterreichen Giebelfront an die Straße vor. Bis unter das Dach war die Wand mit Darstellungen aus dem Leben der heiligen Maria geschmückt.

Ettingen mußte etwas anderes erwartet haben, als es hier zu sehen gab; der erste Blick auf die bunte Bilderei enttäuschte ihn so sehr, daß er schweigend den Kopf schüttelte. Diese Heiligen mit ihren blauen und grünen Mänteln, mit ihren roten Gesichtern und schwefelgelben Strahlenkronen, mit ihren eckigen Bewegungen und grellen Farben unterschieden sich wenig von den handwerksmäßigen Malereien, die in den Gebirgsdörfern zahlreich auf den Wänden der Häuser zu finden sind. Hatte der Künstler seine Sache nicht besser verstanden? War er von jenen Unglücklichen einer, die zum Schaffen allen Willen haben, und denen nur eines fehlt: die Kraft? Hatte er sich, ein schwärmerischer Stümper, in die Rolle des verkannten Genies hineingeredet, für dessen Geisteshöhe und Seelentiefe der »Unverstand des Pöbels« zu kurze Augen hat – in eine Rolle, in der ihn alle verlachten, zwei Menschen ausgenommen: die Frau, die in ihm den Gatten liebte, und das Kind, das in ihm den Vater vergötterte?

Während Ettingen in Gedanken diese Fragen stellte, fiel seinem Blick ein nebensächliches Detail auf, das ihn fesselte: ein kleines, stilisiert geflecktes, drolliges Hündchen, das die flüchtende Maria am Mantel zurückhalten will – ein Hündchen von einer Rasse, die der Natur nicht eingefallen war, nur der spielenden Laune einer krausen Künstlerphantasie. Und wie dieses unmögliche Tierchen lebte! Wie es die Füße zornig in den Sand stemmte! Wie es an dem Mantel zerrte, als ob es sagen wollte: »Du heilige Frau, wenn auch die Menschen dich verkannten, ich, das Tier, ich fühle, wer du bist, und möchte dich bitten, dich zwingen: bleib!«

Und dort das kosende Taubenpaar! Oder waren es weiße Raben? Wie natürlich ihre Schwingen sich bewegten! Mit wie zärtlichem Leben sie sich aneinanderschmiegten! Und jener Star? Oder war's ein Spatz, der in die Tinte gefallen? Wie er wütend eine Blumenknospe der Girlande zerzauste, die sich in sonderbaren Schlangenwindungen um alle figuralen Szenen ringelte! Das waren Blätter von seltsamer Form, Blumen von merkwürdiger Farbe und wunderlicher Gestalt – Blumen, die sich ansahen wie werdende Vögel und Schmetterlinge – und dennoch waren es Blumen, die auf gesunder Erde gewachsen und nicht nur zu blühen, auch zu duften schienen.

Wer dieses naiv gedankenvolle, so unwirkliche und doch so lebendig berührende Beiwerk schaffen konnte, mußte auch die künstlerische Kraft besessen haben, um die Gestalten dieser Heiligen leben und sprechen zu machen. Und wenn er sich selbst verleugnet und diesen schreienden Unwert gepinselt hatte, weshalb tat er es? Weil er sich nach dem Geschmack der Besteller richten mußte, um zu verdienen? Oder weil er in Selbstironie sich sagte: »Jene anderen, die mich verstießen, mußten nehmen, was ich zu geben hatte – euch aber, ihr Einfältigen des Geistes, will ich geben, was ihr verlangt von mir!« Ob nun das eine oder das andere der Fall war – die Arbeit, die der weltflüchtige Künstler auf der Wand dieses Bauernhauses geleistet hatte, mußte ein Martyrium gewesen sein.

Je länger Ettingen die grellen Schildereien und ihr schönes Beiwerk betrachtete, desto deutlicher erwachte in seiner Erinnerung jedes Wort, das er draußen am Sebensee gehört hatte. Und aus dem Anblick dieser Farben floß eine Stimmung auf ihn über, die er empfand wie einen Schmerz. Er wandte sich ab und folgte schweigend der Straße.

Der Förster musterte das nachdenkliche Gesicht seines Herrn. »Mir scheint, Duhrlaucht, die Heiligen haben Ihnen net gfallen?«

Da lächelte Ettingen wieder. »Sie gefallen doch dem Pfarrer und gewiß auch dem Bauer, der sie bezahlte. Da sind sie wohl so, wie sie sein müssen. Aber sagen Sie mir, lieber Förster – der Teufel auf jenem Bilde war so schön, daß er den Pfarrer ärgerte?«

»Ja! A bißl a verruckts Frauenzimmer hätte sich in so an Satanas über Hals und Kopf verlieben können!«

»Sie sind doch ein guter Christ?«

»Ich?« Der Förster war über diese Frage ganz verblüfft. »No ja, es tut's! Der Mensch is a schwachs Röhrl. Aber gar so leicht laß ich mich net biegen von der Sünd, und mit Wissen tu ich nix Unrechts.«

»Wenn nun der Teufel erschiene, um Sie zu versuchen?«

»Mar und Joseph! Duhrlaucht! Malen S' ihn net an d' Wand!«

»Und er käme, wie ihn der Pfarrer von der Kanzel herab den Bauern schildert: mit schwarzer Kaminfegerfratze und langer Zunge, mit Ziegenhörnern, Kuhschweif und Pferdefüßen? Würden Sie sich von dem verführen lassen?«

»Na, Duhrlaucht! Da möcht ich gschwind sagen: ›Pfui Teufel, fahr ab, du!‹«

»Nun also? Muß denn die Versuchung nicht schön sein, wenn sie uns gewinnen will? Zu unterlassen, was wir selbst für abscheulich halten, das ist doch kein Verdienst. Wenn wir uns einer Sünde in die Arme werfen? Welche Entschuldigung hätten wir denn, wenn nicht die eine: daß die Sünde schön war?« Ettingens Stimme bebte, als hätten seine Worte noch einen anderen Sinn als nur jenen, den der Förster hören konnte.

Der runzelte die Stirn, ein Zeichen, daß ihm ein Gedanke zu schaffen machte. Dann rückte er verlegen den Hut. »Duhrlaucht! Jetzt haben S' mich auf ebbes bracht. Aber so is der Mensch! Zu meine Jagdghilfen kann ich allweil sagen: z'erst denken und nachher reden! Und ich selber hab jetzt grad so blind in Tag einigredt. Jetzt schaut sich die Sach mit dem Herrn Petri seiner Versuchungstafel anders an. Dös is ja grad, als ob er sagen hätt wollen: ›Schauts amal her, so wunderschön is die Verführung zu unserm Heiland kommen, und dengerst hat er sich zruckghalten – da nehmts enk a Beispiel dran!‹ Ja, meiner Seel, da is eigentlich der Herr Petri viel christlicher gwesen als wie der Pfarr!«

Ettingen schien auf die Worte des Försters nicht mehr gehört zu haben; plötzlich verhielt er den Schritt und sagte erregt: »Das hier? Das muß das Haus sein! Nicht wahr?«

Sie hatten einen grünen Staketenzaun erreicht; gleichlaufend mit einer gestutzten Holunderhecke umschloß er einen kleinen Besitz, der sich zwischen den anderen Häusern und Gehöften ausnahm wie ein schöngefaßter Schmuckstein neben den grauen Kieseln der Straße. Das Haus, das im Garten stand, war früher wohl ein bescheidener Bauernhof gewesen. Das verriet noch die an den Wohntrakt angebaute Tenne. Aber es hatte größere Fenster und ein grünliches Schieferdach bekommen, dessen Kanten und Firste geschmückt waren mit wunderlichen Tierzieraten. Das Unterdach und die vorspringenden Balken, das Tennentor, die Kreuzstöcke und Fensterläden waren blaugrün bemalt und mit weißen und blaßroten Linienornamenten ausgezeichnet. Vor allen Fenstern, durch deren spiegelnde Scheiben die schneeweißen Vorhänge herausleuchteten, waren zierlich gegitterte Blumenbretter mit blühenden Stöcken angebracht, und daneben verschwanden die weißen Mauern unter dem Grün der sorgsam gezogenen Obstspaliere, deren Zweige von der Erde bis zum Schatten des Daches mit reifenden Früchten behangen waren.

Heiter und farbig, schmuck und freundlich, erhob sich das kleine Haus wie auf einem breiten Sockel blühender Blumen. Geranienbüsche zogen sich am Fuß der Mauern hin, und der Vorgarten war in vier große Beete geteilt, mit Rosen und Nelken in allen Farben. Zwei lange Blumenbeete liefen zu beiden Seiten des Hauses gegen den weiten Hintergarten, zwischen dessen Obstbäumen und Gemüsebeeten eine große schattige Laube und ein luftiges Sommerhäuschen stand, das ganz aus wunderlich gewachsenen Ästen geschränkt und geflochten war. Silberweiße Kieswege schieden die Beete voneinander und umzogen in der Mitte des Vorgartens ein mit Tropfsteinen ausgelegtes Wasserbassin, in dem zwei murmelnde Brünnlein über eine moosige Felsgruppe niederrannen. Aus diesen Felsen erhob sich ein hoher, buntbemalter Balken und trug das Taubenhaus, das mit seinen Türmchen und Erkern sich ansah wie das Modell einer gotischen Burg. Überall in den Kronen der Bäume und auf schlanken Stangen waren Starenhäuschen und Meisenkästen angebracht, und mit dem Gezwitscher der hundert Vögel, die hier nisteten, mischte sich das Geflatter und Gurren der weißen Tauben.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 октября 2017
Объем:
410 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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