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Читать книгу: «Der Mann von Eisen», страница 2

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3. Kapitel

Gleich nach Mittag ritt Wolf nach Bialla, um seine aus Russland ankommenden Schnitter in Empfang zu nehmen. Er hatte einen alten, starkknochigen Gaul unter sich, der seines hohen Alters wegen das Gnadenbrot erhielt, es sich aber noch reichlich verdiente; denn im Sommer zog er das kleine Wägelchen, in dem Frau Stutterheim fast täglich ins Feld fuhr. Beim Einfahren des Getreides musste er ins Scheunenfach und unablässig hin und her wandern, um es fest zu trampeln. Und wenn er lange untätig gestanden hatte, wurde er auch zu einem kurzen Ritt in Anspruch genommen. Für große Schnelligkeit war er nicht zu haben, aber die verlangte man ja auch von ihm nicht.

Und da er noch reichlich Zeit hatte, machte Wolf den kleinen Umweg über Andreaswalde, um sich nach Hannas Befinden zu erkundigen. Christel hatte ihn aus der Giebelstube kommen sehen und stand schon vor der Tür, als er auf den Hof ritt.

»Es geht Hanna nicht sehr gut, sie hat hohes Fieber und heftige Kopfschmerzen. Wir haben schon ein Fuhrwerk nach dem Arzt geschickt…«

Sie trat an sein Pferd heran und streichelte ihm den Hals.

»Das wäre so ein Pferd für Hanna, wenn sie noch einmal Lust verspüren zu reiten«, meinte sie mit einem schelmischen Lächeln. »Du würdest nicht springen, alter Groneberg?«

»Nein«, erwiderte Wolf, »dafür ist er nicht mehr zu haben. Für Hanna ist doch keine Gefahr?«

Christel zuckte die Achseln.

»Mit solch einer schweren Erkältung ist nicht zu spaßen. Da kommt jetzt immer gleich die neumodische Krankheit, die Influenza, dazu, und vor der habe ich allen Respekt. Nun mach’ dir bloß keine Gedanken, lieber Wolf, ich werd’ sie schon zum Schwitzen bringen.«

Er reichte ihr Vom Pferd herab die Hand.

»Hab’ Dank, Christel, für deine Samaritertätigkeit…«

»Die ist doch selbstverständlich, Wolf…«

Mit einem langen Blick sah sie ihm nach. Ein Zorn war in ihr aufgestiegen, den sie mehr fühlte als dachte. Ein Zorn auf ihre ältere 5chwester, die eine so treue Liebe nicht zu schätzen wusste… Noch vor kurzem hatte sie ihr, als sie von einem Dragonerrittmeister, der ihr eifrig den Hof machte, schwärmte, vorwurfsvoll gesagt, dass sie ein schweres Unrecht beginge, und Hanna hatte lachend darauf erwidert:

»Der Wolf läuft mir nicht fort. Der wartet so lange, bis ich ihn brauche … Aber hoffentlich werde ich ihn nicht als Notnagel brauchen.«

Und dann hatte sie der jüngeren Schwester mit hässlichem Lachen gesagt:

»Aus dir spricht ja nur die Eifersucht. Du solltest mir doch dankbar sein, dass ich dir das Feld frei lasse…«

Wie eine Flamme war Christel die Röte ins Gesicht gestiegen. Wortlos hatte sie sich abgewandt, um hinauszugehen und eine verschwiegene Ecke aufzusuchen, wo sie sich ausweinen konnte. Und dabei war es ihr zum ersten Mal klar geworden, dass es nicht bloß Freundschaft war, was sie für den Jugendgespielen empfand, sondern ehrliche, tiefe Liebe … Und sie wusste, dass sie hoffnungslos war, dass Wolfs Herz ihrer Schwester Hanna gehörte, dass er um sie warb…

Was half es, dass Hanna ihn zurückwies? Er würde doch für sie, die Christel, nie mehr empfinden als für eine Schwester … Und ihr Gefühl sagte ihr das Richtige. Während der alte, nach seinem letzten Besitzer genannte Gaul langsam und gemächlich dahinschritt, wanderte Wolfs Herz zurück nach dem Gutshause, wo das geliebte Mädchen in wirren Fieberträumen lag … Gewiss, sie war oberflächlich, sie war übermütig und stets dazu aufgelegt, einen Menschen zu necken … oder verbarg sich hinter dem leichtfertigen, lustigen Ton wirklicher Ernst? Er richtete sich straff im Sattel empor und schüttelte den Kopf, als wollte er die Gedanken verscheuchen.

Dicht neben ihm hatte sich vom schwarzen Acker eine Lerche emporgeschwungen und sang oben im blauen Äther ihr kleines Lied. Es klang so tapfer und hoffnungsfreudig … aus der im Sonnenschein leuchtenden, frisch ergrünenden Saat strahlte ihm die Bejahung des Lebens entgegen. Er streckte die Hand aus und winkte der Lerche zu…

An ihm vorbei rasselten die Wagen von Andreaswalde, die auch auf den Bahnhof fuhren, um russische Schnitter abzuholen. Hinter ihnen ritt der Inspektor Brinkmann. Er schloss sich Wolf an und erzählte, dass er das schöne Reitpferd von seiner Qual durch einen Schuss erlöst habe. Dann fragte Wolf, wie viel Schnitter er in diesem Jahr bekomme.

»An hundert Stück sollen es sein, Herr Stutterheim«, erwiderte der Inspektor. »Ja, wir brauchen so viel. Uns fehlen mindestens sechs verheiratete Instleute und auch einige Knechte. Könnten Sie nicht mit dem Herrn darüber sprechen? Die Gnädige kümmert sich nicht darum, die Mamsell tut, was sie will. Und die Leute machen heutzutage Ansprüche, die Knechte sind mit dem Essen nicht zufrieden und gehen weg…«

Wolf zuckte die Achseln.

»Lieber Brinkmann, ich wollte Ihnen eben gerade ins Gewissen reden, dass die Meierei nicht genügend beaufsichtigt wird.«

»Ach Herr Stutterheim, Sie wissen doch, dass ich nicht alles schaffen kann … Die ganze Hofwirtschaft, die Rechnungsführung, die Amtsgeschäfte, die Außenwirtschaft, das kann ein Mensch nicht bewältigen. Und der Herr, je älter er wird, desto weniger kümmert er sich um den Betrieb. Er studiert in den Büchern, hält lange Vorträge im landwirtschaftlichen Verein, und in seiner eigenen Wirtschaft kann es gehen wie es will. Ich labe gestern gekündigt.«

Wolf drehte sich im Sattel zu ihm.

»Aber Brinkmann!«

»Nein, Herr Stutterheim, ich habe auch Ehre im Leibe. Im Winter ist alles verkauft worden, was an Getreide vorhanden war, und jetzt muss nicht nur Saat, sondern auch Futtergetreide gekauft werden. Das fällt auch auf mich zurück … Ich bin in Andreaswalde grau geworden und habe meine beste Kraft hiergelassen, aber nun mach’ ich Schluss, und Sie müssen mir das Zeugnis ausstellen, dass ich ehrlich und treu für meinen Herrn gearbeitet habe.«

»Ja, das kann ich … Aber was soll denn aus Andreaswalde werden, wenn Sie gehen?«

Der Inspektor zuckte die Achseln.

»Herr Stutterheim, da gehört eine junge Kraft hinein, die auch Geld hinter sich hat, und eine junge, tüchtige Frau … Die beiden Mädel könnten ja manches Gute schaffen. Die Hannachen hat leider gar keinen Sinn dafür … die Christel möchte ja, aber die gnädige Frau sieht es nicht gern, dass sie in die Wirtschaft geht. Das wissen die Mamsells, in der Küche wie in der Meierei, und sind frech gegen sie … Nein, nein, Herr Stutterheim, das geht keinen guten Gang.«

Wolf schwieg. Alles, was der Graubart ihm sagte, wusste er ja selbst … Schweigend ritten sie auf dem Bahnhof ein, stiegen ab und banden ihre Pferde an. Der Vorsteher kam ihnen entgegen.

»Der Zug hat eine Viertelstunde Verspätung, meine Herren. Mit dem Einladen der Russen hat er sich so lange aufgehalten.«

Langsam wanderten die beiden Landwirte auf dem Bahnsteig auf und ab. Sie sprachen wieder über Andreaswalde. Dazwischen fragte Wolf:

»Wie werden Sie bloß mit der Bande von hundert Menschen fertig werden?«

»Ach Herr Stutterheim, diesmal kommt noch so eine Art Inspektor mit. Er hat die ganze Gesellschaft angeworben und soll sie auch beaufsichtigen…«

»Ein Russe?«

»Wahrscheinlich doch, aber er schreibt ganz gut Deutsch. Wissen Sie, was ich meine? Das ist wohl so ein Vertrauensmann der russischen Regierung.«

»Glauben Sie wirklich, dass die russische Regierung sich darum kümmert, wie es den Arbeitern bei uns geht?«

»Wer kann das wissen, Herr Stutterheim? Es hat ja schon geheißen, dass die russische Regierung ihren Leuten verbieten will, nach Deutschland zu gehen. Dann sind wir in Ostpreußen mit der Landwirtschaft aufgeschmissen.«

Aus der Ferne wurde ein Pfiff hörbar. Der Zug rollte heran und hielt. Aus dem Wagen vierter Klasse ergoss sich eine Menschenmasse auf den Bahnsteig. Männer, Frauen, halbwüchsige Bengel und Mädchen … Schreiend und fluchend und sich stoßend und drängend schleppten sie Kasten und Säcke aus dem Wagen … Vor dem Bahnhofsgebäude standen einige masurische Bauern und Arbeiter. Mit unverhohlener Geringschätzung sahen sie auf den Schwarm Russen.

Und sie hatten alle Ursache dazu. Denn nicht nur in der Kleidung, sondern auch im Gesichtsausdruck unterschieden sich die Ankömmlinge sehr zu ihren Ungunsten von den Landesbewohnern … Kein Gesicht, das etwas Intelligenz verriet … Der Ausdruck stupid und roh wie ihr Benehmen.

Aus dem Wagen dritter Klasse war ein junger, hochgewachsener Mann gestiegen. Trotz der guten Kleidung war ihm der Russe anzusehen … Er trat auf Wolf zu, lüftete den Hut und fragte in fremd klingendem, hartem Deutsch:

»Bitte, sind Sie aus Andreaswalde?«

Der Gutsbesitzer schüttelte den Kopf und wies auf den Inspektor, der eben eine Unzahl Männer und Frauen vom Bahnsteig zu seinem Wagen führte…

Einige Minuten später hörte Wolf einen scharfen, lauten Wortwechsel. Er ging an die Ecke des Hauses und sah, wie der Russe den Pferden des vordersten Wagens in die Zügel fiel, während er auf Russisch seinen Leuten abzusteigen befahl. Dazwischen rief Brinkmann dem Knecht zu:

»Du fährst los!«

Grinsend richtete sich der Knecht im Sattel auf, knallte mit der langen Peitsche und ließ die vier Pferde antraben … Der Russe sprang fluchend zur Seite, während der Inspektor sich lachend in den Sattel schwang.

»Wenn Sie nicht wollen, können Sie zu Fuß marschieren.«

»Was ist denn da los, Brinkmann?« rief Wolf und ging näher.

»Ach, Herr Stutterheim, der Herr Inspektor ist zu fein, mit seinen Leuten zu fahren. Er verlangt einen eigenen Wagen.«

»Jawohl, das verlange ich«, rief der Russe, »und ich glaube, dass man in Deutschland Leute, die man braucht, anständiger behandeln könnte.«

»Noch viel zu anständig«, rief Brinkmann, gab seinem Gaul die Sporen und sprengte den Wagen nach.

Der Russe wandte sich zu Stutterheim.

»Ich führe sofort meine Leute weg.«

Wolf maß ihn mit einem kühlen Blick.

»Mit wem habe ich denn das Vergnügen?«

»Mein Name ist Nadrenko, ich habe die Leute angeworben und habe für sie zu sorgen. Ich bleibe nicht bei dem Herrn Brettschneider.«

»Darüber werden Sie wohl verdammt wenig zu bestimmen haben, Herr Nadrenko, wenn Sie einen Vertrag mit meinem Nachbar Brettschneider abgeschlossen haben. Wir brauchen wohl die russischen Arbeiter, aber wir betrachten sie als ein notwendiges Übel. Und unsere Behörden machen nicht viel Federlesens mit Ihren Landsleuten, zumal hier an der Grenze, wo das Ausrücken so leicht ist. Und in Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen, dass Sie sich jetzt zu Fuß nach Andreaswalde auf den Weg machen.«

»Wer sind Sie denn, dass Sie mir das so sagen?«

»Ich bin der Nachbar von Andreaswalde und komme täglich dorthin … Es kann sich nur um ein Versehen handeln, dass für Sie kein Wagen mitgeschickt worden ist.«

»Das werde ich sofort feststellen, wenn ich nach Andreaswalde komme.«

Wolf lächelte.

»Ich darf wohl annehmen, dass das in sehr höflicher Form geschehen wird. Eine andere Tonart vertragen wir hier in Ostpreußen nicht mehr von den Herren Russen…«

Er machte eine kurze Handbewegung nach der Mütze, wandte sich ab und stieg auf seinen Groneberg.

Seine Schnitter, von denen die meisten schon seit Jahren wiederkehrten, hatten ihn respektvoll gegrüßt und ihre Wagen bestiegen. Eben waren die Wagen abgefahren … Einige hundert Schritt hinter dem Bahnhof holte der Russe Wolf ein und ging auf dem Fußsteig neben ihm. Sein Zorn schien verraucht…

»Herr … Herr … wie war doch Ihr Name?«

»Stutterheim«, erwiderte Wolf, sich leicht im Sattel verbeugend.

»Herr Stutterheim, darf ich fragen, wie groß das Gut ist, wo ich hinkomme?«

»Über viertausend Morgen mit reinem Körnerbau.«

»Körnerbau? Ach so, Sie meinen, es wird nur Getreide gebaut.«

»Na, etwas Milchwirtschaft ist auch dabei … die verträgt sich damit. Interessieren Sie sich so dafür?«

Der Russe nickte.

»Oh, sehr. Ich bin seit zwei Jahren Landwirt … Vorher war ich allerdings etwas anderes, aber die Verhältnisse werfen manchmal den Menschen aus einem Beruf in den anderen.«

Wolf nickte zustimmend.

»Sie wollen wohl unsere Landwirtschaft kennen lernen?«

»Jawohl, sehr richtig, Herr Stutterheim. Wir wissen, dass Preußen in der Landwirtschaft eine führende Rolle einnimmt, das heißt so lange wir ihnen das nötige Übel, die Arbeiter, liefern.«

»Ich glaube, Sie verkennen das gegenseitige Verhältnis. Wir nehmen Ihnen die überschüssigen Arbeiter ab, die Russland nicht ernähren kann, und das Geld, das Ihre Landsleute aus Deutschland nach Hause bringen, trägt viel dazu bei, Ihre Landwirtschaft zu kräftigen.«

»Das will ich nicht bestreiten, Herr Gutsbesitzer, aber es ist doch ein Freundschaftsdienst meines Landes, dass es Ihnen die Arbeiter gibt. Also nur möglich, wenn Deutschland mit uns gute Freundschaft hält…«

Der Gutsbesitzer hatte das Gefühl, als wenn der Russe ihn durch seinen hochfahrenden Ton reizen wollte, und er hatte keine Lust, mit dem Menschen, der ihm vom ersten Augenblick zuwider war, sich über Politik zu streiten. Er kitzelte seinen Gaul etwas mit den Sporen, und Groneberg war so liebenswürdig, sich für einige hundert Meter in einen sanften Trab zu setzen.

So kam er zehn Minuten früher in Andreaswalde an als Herr Nadrenko. Er stieg ab und ging zum Onkel Brettschneider hinein, der in einer Wolke von Tabaksdunst über einem Buch gebeugt saß. Der alte Herr schob seine Brille auf die Stirn und streckte ihm die Hand entgegen.

»Du willst dich wieder nach Hanna erkundigen. Es geht besser, Wölflein. Sie hat tüchtig geschwitzt.«

»Danke dir für die gute Nachricht, Onkel. Ich will dich nur bitten, dass du deinen russischen Inspektor heute nicht empfängst … Ich komme morgen früh her, dann lässt du ihn rufen … Ich erzähle dir nachher, weshalb ich das für sehr wünschenswert halte.«

»Selbstverständlich, mein Jungchen. Ich bin dir sehr dankbar, wenn du mir einen guten Rat gibst.«

Als sich Herr Nadrenko eine Viertelstunde später melden ließ, erhielt er den Bescheid, der Herr sei nicht zu sprechen, er werde morgen früh, wenn der Herr Zeit habe, gerufen werden…

4. Kapitel

Der Frühling war mit seinem ganzen Gefolge ins Land gezogen. Die Berge im Walde waren mit blauen Leberblümchen und weißen Anemonen übersät, auf dem Scheunendach stand klappernd der Storch, und aus allen Bäumen und Hecken erklang das Jubellied der kleinen Sänger, die fleißig an ihren Nestern arbeiteten … Ein lauer Wind strich über die Erde, der die Sinne aufreizte und die Körper zu wohliger Müdigkeit erschlaffte…

Singend zogen die russischen Schnitter ins Feld.

Aus den hässlichen Raupen waren bunte Schmetterlinge geworden, die sich mit hellfarbigen Miedern und Kopftüchern schmückten. Wie Kohlen glühten die schwarzen Augen in dem bräunlichen Gesicht … Nur unten, von den kurzen Röcken abwärts, war noch keine Verschönerung eingetreten, denn die Füße steckten noch in plumpen Männerstiefeln…

Vierzehn Tage hatte Hanna fest zu Bett gelegen, und ebenso lange dauerte es, bis sie wieder etwas zu Kräften kam, bis sie aus dem Liegestuhl aufstehen und einen kurzen Spaziergang durch den Garten unternehmen konnte. Ihr Gesicht hatte einen anderen Ausdruck bekommen. Es wurde vollständig beherrscht von den dunklen Augen, die das übermütige Lachen verlernt zu haben schienen. Ihre Schönheit hatte dadurch einen neuen, eigenartigen Reiz gewonnen.

Das traurige Ende der schönen Stute, das sie verschuldet hatte, war ihr nahe gegangen. Auch an Wolf musste sie oft denken. Die Schwestern hatten ihr erzählt, wie er sie reitend nach Hause gebracht und sich täglich nach ihrem Befinden erkundigt hätte. Aber seitdem sie aufgestanden war, hatte sie ihn noch nicht gesehen.

Nur telefonisch hatte er sich einige Male nach ihrem Befinden erkundigt.

Hanna war von aller Welt so verwöhnt, dass sie es als eine Vernachlässigung empfand. Sie hatte die vielen Beweise von Wolfs Zuneigung wie etwas Selbstverständliches hingenommen. Nun sträubte sich ihre Eitelkeit gegen den Gedanken, dass er sich von ihr zurückziehen könnte … Vielleicht hatte sie ihn durch ihre übermütigen Worte gekränkt? Sie war nicht weit von der Wahrheit entfernt.

Wolf hatte in der Zeit, wo er Hanna nicht täglich sah, sich in Gedanken viel mit ihr beschäftigt. Schon mehrere Male, wenn er ihr die Möglichkeit einer Verbindung angedeutet hatte, war sie ihm ausgewichen oder sie hatte auch schon mal gesagt, dass sie nicht auf dem Lande verheiratet sein möchte … Dann hatte er dazu gelacht und es als eine Neckerei aufgenommen. Diesmal waren ihre Worte bei ihm tiefer gegangen. Und damit kam ihm die Empfindung, dass er gar kein Recht hatte, sich so sehr um Hannas Befinden besorgt zu zeigen … Vielleicht, dass seine Zurückhaltung auch sie dazu veranlasste, ihre Stellung zueinander zu prüfen…

In gewissem Sinne hatte er recht … Denn eines Vormittags, als die Sonne so recht warm schien, machte sich Hanna auf den Weg, um Tante Mathilde in Dalkowen zu besuchen. Eine freudige Kraft war in ihr…

Den Ausreißer, den Wolf, wollte sie zur Rede stellen und so lieb und nett zu ihm sein … Frau Stutterheim saß in ihrem Wagen am Fenster ihres Zimmers, von dem aus sie den Hof und alles, was darauf geschah, übersehen konnte. Da sah sie dann auch öfter ihren Sohn, wenn er vom Felde heimkam und nach kurzem Verweilen wieder hinausritt…

Freundlich, wie immer, empfing sie den Besuch und beglückwünschte Hanna zu ihrer Genesung. Mütterlich besorgt strich sie ihr über die Wange, die von ihrer Rundung und frischen Farbe viel eingebüßt hatte. Und ihr Auge empfand, dass von dem Mädel ein neuer Zauber ausging, seitdem sie ernster und still geworden war. Aber schon blitzte es in den dunklen Augen schelmisch auf.

»Weißt du, Tantchen, dass Wolf sich schon seit vierzehn Tagen, solange, wie ich auf bin, nicht bei uns hat sehen lassen?«

»Mein Kind, er hat zu viel zu tun. Morgens vor Tagesgrauen steht er auf zum Melken und Buttern. Dann reitet er aufs Feld und steht bei den Leuten. Ich sehe ihn nur zu Mittag und Abendbrot auf eine Viertelstunde. Und bis tief in die Nacht sitzt er über seinen Büchern und schreibt Briefe…«

»Aber Tantchen, das kann doch kein Mensch auf die Dauer aushalten. Was hat er denn von seinem Leben?«

»Arbeit, Hanna, die unseren Lebenszweck ausmacht.«

Mit einem Blick, aus dem der alte Übermut sprühte, sah Hanna zu ihr auf…

»Ich habe immer sagen hören, Tantchen, eine Beschäftigung muss der Mensch haben, aber die darf nicht in Arbeit ausarten.«

Frau Stutterheim machte eine abweisende Miene.

»Das ist nichts weiter als ein schlechter Scherz, mein Kind. Jeder Mensch muss die Stelle ausfüllen, auf die ihn das Schicksal gestellt hat. Mein Sohn hat eine große und schwere, aber eine schöne Pflicht zu erfüllen. Er tut es mit Freuden, und es bekommt ihm sehr gut. Der Junge ist wie von Eisen.«

»Er könnte sich doch wenigstens einen Inspektor halten.«

»Jawohl, das könnte er. Aber die tüchtigen Menschen sind dünn gesät und noch dünner aufgegangen. Ehe er sich mit einem schlechten Beamten herumärgert, tut er selbst die Arbeit.«

»Ich würde an deiner Stelle doch darauf dringen, dass er sich nicht zu viel zumutet … Sein Herz ist doch nicht ganz taktfest.«

»Ach du spielst auf den Unfall an, der ihn bei der letzten Übung vom Pferde warf und seiner militärischen Laufbahn ein jähes Ende bereitete…? Ja, Kind, das hat mir damals auch Kopfschmerzen bereitet, dass sein Herz nicht ganz in Ordnung sein sollte. Wer weiß, was das gewesen ist, ich meine, auch ein Stabsarzt kann sich irren. Ich habe auch unter der Hand Erkundigungen eingezogen und in Erfahrung gebracht, dass die jungen Offiziere die Nachricht von einem bevorstehenden Kriege mit Russland sehr energisch gefeiert hatten … Und du weißt doch, dass Wolf nie mit Alkohol über die Schnur gehauen hat. Nein, Kindchen«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »darüber mache dir keine Sorgen mehr. Wenn er man sonst mit seinem Herzen in Ordnung wäre.«

Hanna errötete. Noch nie hatte Tante Mathilde eine solche Anspielung gemacht. Sie hätte sie gern durch eine lustige und schelmische Antwort zurückgewiesen, aber ihr fiel in diesem Augenblick nichts ein. Ganz beklommen fragte sie:

»Was fehlt ihm denn?«

Frau Stutterheim seufzte tief auf.

»Ach viel, mein Kind. Du bist auch mit ihm so befreundet, dass du nicht darüber sprechen wirst.«

»Nein, Tantchen, gewiss nicht…«

»Na dann will ich es dir erzählen. Du bist ja sehr klug und kannst mir vielleicht einen guten Rat geben … Höre zu: Wolf hat sich in ein Mädchen verliebt, das ich nicht gern zur Schwiegertochter haben will.«

»Ach, wieso nicht, Tantchen?« entfuhr es Hanna.

In demselben Augenblick kam es ihr zum Bewusstsein, dass sie sich durch die Heftigkeit, mit der sie die Worte hervorgestoßen hatte, verraten hätte…

»Das wirst du gleich hören. Das Mädchen ist ganz großstädtisch erzogen, hat gar keinen Sinn für Landwirtschaft und, was noch schlimmer ist, keine Neigung für den Beruf eines Landwirts. Er liebt sie mit allen Fasern seines treuen Herzens und ist tief unglücklich, weil ihn diese Liebe in einen schweren Konflikt schwerer Pflichten bringt. Stelle dir mal vor, Hanna: ein Mann, der bei seiner Frau nicht das geringste Verständnis für die Pflichten seines Berufes findet … Er muss doch schwere Bedenken tragen, solch ein Mädel trotz der größten Liebe an sich zu fesseln. Ich empfinde es in solcher Zeit als seine Mutter schon so schwer, dass ich ihn nur zu den Mahlzeiten sehe, und stelle mir das für eine Frau, die ihren Mann liebt, noch viel schwerer vor.«

»Liebt sie ihn denn?« fragte Hanna leise.

»Mein Kind, das weiß ich nicht. Sie muss es doch merken, dass er sich um ihre Zuneigung bewirbt. Trotzdem bringt sie es fertig, ihm zu sagen, dass sie nur für Musik und Theater schwärmt und nur in der Stadt leben will. Wenn sie ihn richtig lieben würde, dann würde sie ihm das nicht sagen … Ob sie nicht doch ‘Ja’ sagen würde, wenn er sie vor die entscheidende Frage stellt, weiß ich nicht. Aber das geht mir wider den Strich. Mein Junge verdient eine Frau, die ihn aus tiefer, herzlicher Liebe nimmt … Dann mag sie meinetwegen für die Landwirtschaft gar keinen Sinn haben, er ist Mannes genug, um die Hilfe einer Frau entbehren zu können, aber die Liebe muss vorhanden sein, die große, ehrliche Liebe, ohne die es keine rechte, heilige Liebe gibt…«

Sie schwieg einen Augenblick still und sah auf das Mädchen zu ihren Füßen, das den Kopf gesenkt hatte und mit den Fransen der Stuhldecke spielte…

»Sag’ mal, mein Kind, habe ich nicht recht?«

Hanna nickte ein paarmal mit langsamer Kopfbewegung.

»Ja, Tantchen…«

Ihre Stimme klang traurig und bebte leise.

»Aber das Mädchen kann doch nichts dafür, dass Wolf sich in sie verliebt hat. Und sie kann doch nicht eine Liebe heucheln. Und sie kann doch nicht aus ihrer Haut fahren, wenn sie so erzogen ist, dass sie nur für andere Dinge Sinn und Verständnis hat.«

Sie hob den Kopf und sah der alten Dame frei ins Gesicht.

»Sag’ mal, Tante, du bist doch eine erfahrene Frau, woran erkennt man eigentlich die richtige Liebe? Ist es wahr, dass man keine Ruhe hat, dass man immerfort an den Mann denken muss und gar keinen anderen Gedanken hat, als den, dass man alles andere über ihn vergisst? Ist das wahr?«

Ihre Augen flammten, Und der schön geschnittene Mund zitterte wie in banger Erwartung … Langsam hob die alte Dame die Hand und strich ihr über das Haar…

»Ja, mein Kind, das sind die richtigen Zeichen, ich habe es selbst erfahren. Ich war einundzwanzig Jahre alt, als mein Mann zum ersten Mal in mein Elternhaus kam. Er beachtete mich gar nicht. Ich glaube, wir haben nicht drei Sätze miteinander gesprochen. Aber von der Stunde an verließ mich sein Bild nicht, weder im Wachen noch im Träumen. Als er das nächste Mal zu uns kam und ich ihn empfangen musste, da hatte ich ein Gefühl wie ein armer Sünder. Ich hatte das Gefühl, dass er es mir am Gesicht ablesen müsste, was ich dachte und fühlte … Wie mit Blut übergossen stand ich vor ihm und war verlegen wie ein kleines Gör…«

Ihre Augen schienen ins Weite zu gehen, als wenn sie noch sahen, was der Mund erzählte. Mit bewegter Stimme fuhr sie fort:

»Er hat mir später erzählt, dass er mich in diesem Augenblick schön fand … Mein Kind, ich habe nie auf besondere Schönheit Anspruch machen können … und dass er mir die Neigung auf dem Gesicht ablas … Und da wurde er auch verlegen, und wir standen uns wie zwei kleine Kinder gegenüber, die sich fremd sind und sich nicht anzureden getrauen. Ja, Kind, das ist die Liebe auf den ersten Blick. Es gibt auch eine andere, ruhigere. Aber die soll auch voll heißer Sehnsucht sein.«

Hanna hatte ihren Kopf wieder sinken lassen. Ein paar Tränen tropften ihr aus den Augen. Die alte Frau sah mild auf sie nieder, nahm ihre Hand und zog sie auf ihren Schoß.

»Was ist dir, mein Kind? Sprich dich offen aus. Du weißt, ich habe dich von klein auf lieb wie eine Tochter. Sei offen zu mir, Hanna, es handelt sich um das Glück zweier Menschen, die ich lieb habe … Und der eine davon ist mein Ältester…«

Hanna hatte das Gesicht an ihrer Brust geborgen.

Ganz leise begann sie zu sprechen:

»Ich weiß, dass du mir sehr böse sein wirst, Tantchen, aber ich kann beim besten Willen Wolf nicht heiraten … Er tut mir ja so furchtbar leid, aber ich habe doch keine Schuld daran, dass er mich so lieb hat … Ich glaube, wir haben zu früh als Kinder Brautpaar gespielt … Ich habe es immer als Spaß genommen und er im Ernst …

Glaube mir, Tantchen, jetzt während der Krankheit, als ich nicht einmal lesen durfte, habe ich mich viel mit Gedanken geplagt, was doch sonst nicht meine Art ist. Und da habe ich mir gesagt: Wenn du den Wolf nimmst, bist du geborgen. Ich weiß, dass es bei uns zu Hause nicht gut steht. Und ich weiß, dass Wolf mich auf den Händen tragen würde, aber ich kann nicht…«

»Sag’ mal offen, dass du einen andern liebst.«

Hanna richtete sich empor und drückte beide Hände gegen ihre Brust.

»Bei Gott nicht, Tantchen. Mir macht es Spaß, wenn die Offiziere sich um mich drängen, um mir Schmeicheleien zu sagen, aber sie sind mir alle gleichgültig.«

Sie sprang auf und stellte sich vor die Frau. Der Schelm erwachte in ihr.

»Tante, ich muss eine geistige Missgeburt sein. Andere Mädchen in meinem Alter haben sich schon mindestens ein halbes dutzendmal verliebt oder wenigstens für einen Mann geschwärmt … Ich noch nicht ein einziges Mal. Ich glaube, ich kann gar nicht lieben.«

Die alte Dame lächelte nachsichtig.

»Das ist ein gutes Zeugnis, was du dir ausstellst … Ich sehe daraus, dass der Rechte noch nicht gekommen ist. Aber er wird auch kommen, verlass’ dich darauf. Ich hatte auch noch keinen Mann angeschwärmt, als mein Einziger kam … Aber nun noch eine ernste Frage: Darf ich Wolf unser Gespräch mitteilen? Die nackte Gewissheit, mag sie auch noch so traurig sein, ist für ihn besser als solch Hangen und Bangen.«

»Ja, Tantchen, er wird es überwinden und mich vergessen und eine bessere Frau bekommen, als ich es jemals werden könnte.«

»Wollen’s hoffen, mein Kind. Es wäre gut, wenn du nun einige Wochen verreisen könntest … Deine Eltern brauchen den richtigen Grund ja gar nicht zu erfahren. Und nun zieh’ mal die Glocke. Du kannst mit dem Groneberg zurückfahren; er steht angespannt, weil ich ins Feld fahren wollte … Grüß’ mir deine Eltern und schilt Christel und die beiden Jüngeren aus, dass sie mich so sehr vernachlässigen…«

»Christel ist entschuldigt. Die steht jetzt früh zum Melken und Buttern auf, dann betreut sie auch den Geflügelhof und hilft der Mamsell in der Küche…«

Über das Gesicht der alten Dame flog ein heller Schein.

»Dann gib ihr in meinem Auftrag einen Kuss, und in den nächsten Tagen komme ich selbst zu euch … Das Ein- und Ausladen meiner Person ist ja nicht so angenehm für die Beteiligten, aber ich will nicht in meinem Stuhl versauern … Auf Wiedersehen, mein Kind … Ich werde mich freuen, wenn du mich bald wieder auf ein Plauderstündchen besuchst. Du bist mir stets ein lieber Gast … Auf Wiedersehen…«

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
204 стр. 25 иллюстраций
Правообладатель:
Public Domain

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