Читать книгу: «Johanna», страница 2

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Die Trunksucht erhielt immer mehr Gewalt über die Alte. Johanna mußte die Arbeit allein verrichten. Kam Johanna heim, erwarteten sie böse Worte wegen ihrer Faulheit. Immer hieß es, sie sei nicht weitergekommen mit der Arbeit, obwohl die Alte gar nicht wußte, wie es auf dem Felde stand. Pflug und Zugtier hatten sie nicht, mit dem Spaten mußte Johanna die Erde umgraben, bis ihre Finger bluteten; sie mußte im Garten gebückt arbeiten, bis ihr Rücken unleidlich schmerzte, kam todmüde nachhause – statt Essen bekam sie Schläge und Flüche.

Wieder hatte der Bürgermeister weniger gezahlt. Die Alte schindete also noch mehr aus Johanna heraus.

Ein Fleck Erde hinter dem Hause, am Steilabhang des Berges, gehörte ihr, den wollte sie in einen Gemüsegarten verwandeln.

»Wir müssen verdienen – Johanna – verdienen –. Ich zahle drauf bei dir. Du mußt mehr arbeiten.«

Als der Garten so weit war, daß man das Gemüse anpflanzen konnte, war Johanna erschöpft. Sie lag zwei Wochen im Bett, hatte Fieber.


Die Tage der Krankheit ließen Johanna Zeit, über sich nachzudenken. Sie stieg hinab in die Tiefen ihrer kindlichen Seele und holte die versteckten Kümmernisse herauf. Sie wußte nun, daß sie die Alte ernährte, daß die Alte ohne sie längst verhungert wäre – und das gab ihr Selbstbewußtsein, Kraft. Aber auch eine Frage sprang ihr auf, ungestüm, wild, Antwort heischend: Wenn ich die Alte ernähre – warum darf sie mir dann befehlen? Wenn ich dies Brot verdiene – warum darf sie mir dann nach ihrer Willkür zumessen?

Stunden um Stunden vergingen, von Fragen gequält, warf sich Johanna auf dem Lager hin und her. Im Fieber schwollen ihre Gedanken an, Ungetüme verkörperten ihr Sinnen, Gespenster wimmerten in allen Winkeln, höhnische Stimmen, die sie verachteten, daß sie arbeite und darbe, geschlagen werde von der, für die sie sich ihren Leib zugrunderichtete – demütig den Wagen zog, auf dem ihr Henker saß. Da sprang ein roter Teufel aus der Erde, Flammen schossen empor rings um ihn, er schwang einen Spieß, donnerte zwischen die Gespenster: »Das muß so sein – schweig. Das muß so sein. Ich will es so!« Und die Gespenster verkrochen sich, mählich, zaghaft, das Feuer des Teufels leckte an ihren Gewändern, sie wimmerten wieder, nun aber vor Schmerz.

Die Sonne fiel durchs Fenster, die schwache, glanzlose Herbstsonne, und mischte ihre Strahlen mit der Glut, die aus dem Ofen leuchtete.


Einförmig zogen die Tage ins Land, arbeitsreich, freudlos. Johanna wurde groß und stark, mit ihren vierzehn Jahren sah sie aus, als ob sie viel älter wäre. In ihren Gesichtszügen lag etwas Müdes, Verbrauchtes. Ihr Geist blieb auf sich angewiesen, sie lernte nichts, verrichtete ihre Arbeit, schlief, bis es wieder Zeit zur Arbeit war. Ihre Seele lag brach. Auch die Natur konnte sie nicht freuen. Die alte Märchenwelt war abgestorben. Neue Schönheiten fand sie nicht.


Auch um die Alte stand es recht schlecht. Ihre Kräfte nahmen ab, der Branntwein fraß an ihren Nerven. Sie sprach wirr, schwatzte die unsinnigsten Litaneien. Johanna begann die Alte zu fürchten.


Da kam eine furchtbare Nacht. Johanna erwachte erschreckt, die Hütte war taghell erleuchtet. Auf dem Tisch brannte ein offenes Feuer – die Alte lief umher – ihre Kleider und Haare waren Flammen – ihre Gesichtszüge waren schmerzverzerrt – die Arme flogen durch die Luft – sie schrie – schrie in namenloser Qual – –

Die Kerze war umgefallen, ausgegossener Branntwein hatte Feuer gefangen.

Johanna raffte ihre Kleider zusammen, wollte der Alten helfen, wußte aber nicht, wie. Die Alte streckte die Arme aus, als ob sie das Mädchen abwehren wollte – aus ihrer Kehle krächzten rauhe Laute – unverständlich – Ausgeburten der Phantasie – Schreie des Schmerzes –

»Fort – fort – du bist der Satan – die Hölle ist hier – die Hölle – bin fromm gewesen mein Leben lang – – gehöre in den Himmel – hast keine Macht über mich, Satan – keine Macht – scher dich fort – sonst – gieß ich dir Wasser über den Schädel – Wasser – Weihwasser – heiliges Wasser –«

Vor Entsetzen floh Johanna. Sie wollte die Alte aus der Hütte locken. Sie rüttelte an der Tür. Die Tür war verschlossen.

»Gib mir den Schlüssel – den Schlüssel – Großmutter.«

Die Alte hörte nicht. Sie war auf den Tisch gesprungen, der Tisch brach ein, das Feuer floß über den Boden, das Bett flammte auf, an den Wänden züngelte Lohe empor, am Kasten leckten rote Zungen. Johanna schrie – wollte retten – sprang zurück – ihre Finger brannten. Es gab nur ein Entrinnen: durch das Fenster. Mit einem Sesselbein durchschlug Johanna die dünnen Bretter, mit denen das Fenster verschlossen war, und kletterte hinaus. Als sie draußen war, fuhr die Lohe bereits durchs Dach.

Barfuß, halbnackt, lief Johanna ins Dorf, klopfte an Fenster. Die Bauern erwachten, schimpften, reckten sich träge, wollten in Ruhe gelassen sein. Nur wenige standen auf. Als sie die Hütte erreichten, war sie eine einzige Flamme. Man mußte vor allem trachten, den angrenzenden Wald vor Entzündung durch Funkenflug zu bewahren. Die Hütte war nicht mehr zu retten. Ein Wimmern stieg aus den Flammen empor, verhallte langgedehnt in der Nacht –

Am Morgen räumte man die Trümmer weg, halb verkohlte Balken; unter ihnen lag die Leiche der Alten, halb verbrannt. Von den Habseligkeiten Johannas war nichts übrig geblieben.

Tags darauf begrub man die Alte, nicht auf dem Friedhof. Neben der Mauer wurde sie verscharrt; der Pfarrer blieb aus, nur Johanna war dabei, als der Totengräber das Grab zuwarf.

Nun war Johanna wieder ohne Heim. Die Gemeindevertreter traten zusammen und berieten, wo man sie unterbringen sollte. Nun war die Sorge nicht groß, im Gegenteil, jeder wollte sie haben, sie war eine billige Arbeitskraft, eine Magd, der man keinen Lohn zu zahlen brauchte. Der Bürgermeister nahm sie, er habe früher für sie gesorgt, sagte er, es sei seine Pflicht, weiter über sie zu wachen. Vorher hatte er ihren Körper geprüft, ihre Arme belastet, ihre Kraft erprobt. Da er den größten Hof hatte, konnte er sie gut brauchen. Sie galt nicht mehr als Kostkind – sie galt noch nicht als Magd. Das heißt, sie mußte sich abrackern, ohne bezahlt zu werden, und hatte nicht das Recht, fortzugehen, wenn sie wollte. Sie arbeitete ums Futter. Sie war ein Arbeitstier. Da ihre Seele stumpf war, fügte sie sich darein.

III.

Auf dem Hof des Bürgermeisters war Johanna die niedrigste Magd. Man hatte sie nicht in die Schule geschickt und verhöhnte sie wegen ihrer Dummheit. An ihrer Kraft wurde Raubbau getrieben, auf ihrer Seele herumgetreten.

Vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Finsternis mußte sie rackern. Kaum war eine Arbeit beendet, fand sich eine andere. Erbarmungslos preßte man aus ihrem Leib, was sie nur leisten konnte. War sie endlich fertig mit ihrem Tagewerk, fiel sie ins Bett, todesmatt, unfähig zu denken.

Obwohl sie alle Kraft zusammenraffte, um durchzuhalten, wurde sie wieder krank. Nächte rasten im Fieberschauer vorüber – Wochen hindurch war sie ans Bett gefesselt. Der Bauer wetterte und schrie, daß sie faul sei, daß sie gerade dann, wenn man sie brauche, krank sei.


Während der Krankheit ging in Johanna eine Wandlung vor. Sie begann wieder nachzudenken, verglich sich mit den Anderen, fragte sich, ob die Bäuerin etwas Besseres sei als sie selbst, was die anderen Kinder von ihr unterscheidet, was die Andern ihr voraushaben. Und sie fand keine Antwort auf diese Fragen. Niemand stand ihr bei, niemand half ihrer Seele in ihren Kämpfen. Sie begann alle zu hassen. Ihre Demut kehrte sich in verhaltenen Groll. In den Wochen der Krankheit biß sich dies Gefühl tief ein in ihr Herz. Selbst die alte Magd, der einzige Mensch, der es gut mit ihr meinte, haßte sie. Als sie einmal in die Kammer trat, eine Schale Kaffee in den Händen, fuhr Johanna sie hart an:

»Du lachst – du lachst mich aus –«

»Bei Gott – Hanne – ich habe nicht gelacht.«

»Doch, doch – du hast gelacht. Du machst dich lustig über mich. Du kommst überhaupt nur zu mir, weil du mich verspotten willst. Die unten haben dich geschickt – um herauszubekommen, was ich denke und spreche. Sie wollen wissen, was ich denke, damit sie darüber lachen können.«

»Du hast Fieber – Hanne – sei ruhig – es wird vorübergehen.«

»Ich habe kein Fieber mehr – ich sehe klar und deutlich. Ich durchschaue euch alle.«

Kopfschüttelnd verließ die Magd das Zimmer. Johanna schielte nach dem Kaffeetopf. Als sie hungerte, griff sie danach. Der Kaffee war gut und süß.


Als Johanna gesund war, stand sie anders zu ihrer Umgebung.

Alle Scheltworte gingen an ihr vorüber, sie war taub gegen jede Weisung, stumpf gegen jeden Befehl.

Da der Sommer zu Ende ging und der Winter weniger Arbeit brachte, ließ der Bauer die Dinge gehen, wie sie waren. Wenn man in Betracht zog, was Johanna unter dem Zwang, eingespannt, angepeitscht, leistete, war sie immer noch billig; denn sie kostete fast nichts. Die Wintermonate hindurch mußte sie nähen und spinnen, und das tat sie mit mehr Luft, das lag ihrem Wesen näher. Sie saß in der Ecke mit ihrer Arbeit, hörte kaum dem Gerede der Anderen zu, summte eine ungewisse, endlose Melodie vor sich her, bis man sie zurechtwies, daß sie still sein sollte. Es kam ihr nicht zu, sich bemerkbar zu machen, hieß es dann, sie habe zu schweigen.

Der Winter ging vorüber, das Feld wurde schneefrei, es gab wieder Arbeit draußen im Freien. Frühlingsstürme zerfetzten tiefherabhängende Nebel, die Bergspitzen wurden klar, die Sonne lag auf ihnen und spielte in tausendfältigem Glanz. Zum erstenmal bemerkte Johanna, daß Sonne und Licht und Berge herrlich schön seien, zum erstenmal horchte sie freudig den Vögeln, freute sie sich über den ersten Schmetterling, den sie sah. Gefühle waren in ihr Herz eingezogen, die sie sich nicht zu erklären wußte. Ihr Sinn wurde mild, sie war wieder fügsam, alles Störrische war von ihr genommen. Der Bauer war zufrieden mit ihr, sie bekam ein neues Kopftuch geschenkt und durfte mit den Anderen am Sonntag zur Kirche gehen.

Johanna wußte gar nicht wie ihr war. Sie verachtete sich selber, weil sie wieder wehrlos war, wieder alles hinnahm. Aber sie konnte sich nicht auflehnen. Nicht aus Schwäche – nein, aus einem inneren Drang heraus, mit der Welt in Frieden auszukommen. Sie fühlte Kräfte in ihr sich regen, ungestüm, brausend, es drängte sie die Arme zu recken, weit, umfassend das All, den Himmel – ihre Brust wollte zerspringen, so schlug das Herz; das Blut rollte schneller in den Adern, es war, als ob gar kein Blut mehr in ihnen flösse, sondern Feuer – rinnende, stürmende Glut. – So wüst war ihr im Kopf, sie war ganz wirr von der Schönheit, die unvermutet auf sie einströmte, von der Unruhe, die sie erfüllte.

Keine Nacht schlief sie mehr. Sie lag im Fenster, sah zu den Sternen auf. Daß der Mond mild war, sah sie zum erstenmal, daß sein Licht wie Seide über ihre Hand floß, daß man in seinem Glanz weiche, sanfte Schatten warf. Sie wollte immer mit aufgelöstem Haar gehen – man verbot es ihr. Aber die Nadeln waren Fesseln, das Haar lastete schwer auf ihrem Kopf, sie war froh, es lösen zu können, wenn der Tag zu Ende ging.

Niemand sagte ihr, was das neue Leben, das in ihr erwachte, bedeuten sollte. Sie ertappte sich nur selbst dabei, daß sie öfter zu den Burschen hinüberschielte. Warum sie das tat, wußte sie nicht. Aber sie freute sich, wenn ihr Blick erwidert wurde. Sie wurde ganz rot vor Freude, wurde verlegen. Wandte sich ab und lachte. Aber ihre Arbeit litt darunter nicht. Und das war ja die Hauptsache.

So stand Johanna mitten im Wunder des Erwachens, nicht wissend, was in ihr wuchs, einer namenlosen, unbegriffenen Freude hingegeben, einem Gefühl, das sie veredelte, Liebe zum Leben in ihr Herz pflanzte und allen Kummer verscheuchte.


Der achtzehnjährige Sohn des Bürgermeisters, ein selbstsüchtiger, spottlustiger Junge, war der einzige Bursch, mit dem sie sprach. Die anderen sahen ihr nach, verschlangen sie mit den Augen, tasteten mit gierigen Blicken ihren Leib entlang und machten sich schließlich in derben Spottreden Luft. Im Grunde wollte Anton ja auch nichts, als seinen Spaß mit ihr haben. Er war bei all seinem Selbstbewußtsein ein Schwächling, der es den anderen nicht gleich tun konnte und deshalb stehts den Kürzeren zog, wenn er mit ihnen beisammen war. Das Mädchen gefiel ihm nicht sonderlich – so suchte er sich dieses Mädchen aus, dem er sich überlegen fühlte, demgegenüber er seine Herrschgelüste spielen lassen konnte, ohne fürchten zu müssen, durch sein Begehren abhängig zu werden.

Es war anfangs das primitive Gefühl der Überlegenheit des Stärkeren gegen die Schwächere, das in ihm wirkte. Aber sein Blut stürmte rasend durch seine Adern, wenn er sie sah, seine Sinne verlangten so heiß, so fiebrig, daß seine Ruhe bald dahin war. – Andere Elemente schlichen sich in sein Handeln. Seine Gefallsucht wandelte sich in Brutalität. Wollte er erst einen Menschen haben, der zu ihm aufsah und ihn bewunderte, so war er jetzt der Mann, dem das schwache Mädchen ausgeliefert war. Mehrmals versuchte er, seinen Arm um ihre Hüften zu schlingen, sie wehrte ab, lachte dabei, er wurde rot, lief davon.

Die Niederlage schmerzte ihn. Es gab also doch Dinge, auf die ihm seine Stellung kein Vorrecht einräumte. Da lehnte er sich auf gegen das Joch, in das ihn sein Begehren spannen wollte. Er fühlte, daß es ihn zu ihr hinzog mit wunderbarer Gewalt, daß es ihn zwang, sich ihr zu nähern, und er widerstrebte. Er rief soziale Vorurteile zu Hilfe, um dem Verlangen entgegenzutreten, sagte sich, daß er sich wegwerfe, er, der Sohn des Bürgermeisters, an das elternlose, blutarme Mädchen. Er kam sich wie eine Gestalt aus einem Kolportageroman vor, wie der Graf, der die Bettlerstochter liebt und mit sich ringt, ob er die leichte Beute erhaschen oder fahren lassen soll. Sein Gehirn arbeitete zwecklos. Johanna ging durch seine Träume, ganz anders, als sie in Wirklichkeit war, veredelt, gehoben, verklärt.

Im Hause legte er sich Zwang auf. Er fürchtete den Vater. Aber außerhalb des Hauses stellte er ihr nach. Er folgte ihr im geheimen auf das Feld, durch das Dorf, in den Wald, wenn sie Holz sammelte. Sie wußte das, sah sich um, freute sich, daß er ihr nachging, denn es war das erstemal, daß einer kam, nicht um sie zu schlagen, nicht um sie zu beschimpfen – nein, kam, ein Nichtbewußtes zu erfüllen, nachdem sie eine unbestimmte, unklare Sehnsucht trug.


Wenn sie einander begegneten, sprachen sie, als ob sie nicht in einem Hause wohnten, nicht täglich aneinander vorübergingen, als ob sie Fremde wären, die einander erst kennen lernen. Im Hause beschränkte sich ihr Verkehr auf das Notwendigste. Sie ahnten beide, daß sie etwas vor den Anderen zu verbergen hätten, daß ein Geheimnis zwischen ihnen emporwuchs, das sie gegen freche Blicke schützen müßten. Sie wußten nicht, was es war, wußten nur, daß etwas keimte; eine Knospe war da, sie warteten, wie sie sich entfalten wollte. Ihre Augen sagten sich, daß sie einander verstanden. Worte sind rauh und nackt, Worte töten, enthüllen. Der stumme Blick trägt die Botschaft – die Botschaft ohne Inhalt, die nur gesandt wird, um dem Empfänger zu melden, daß der Absender an ihn denkt.


Johanna kam vom Krämer heim. Anton hatte in einer Nebengasse gewartet, trat näher, als ob der Zufall ihn des Weges führte. Er bot alle seine Galanterie auf, nahm ihr den Korb ab, begleitete sie. Sie nahmen einen Seitenweg, der durch die Felder führte. Es war ein geheimes Einverständnis zwischen ihnen, den Umweg zu wählen, der sie länger beisammen ließ.

»Morgen ist Tanz, weißt du schon?«, fragte er. »Kommst du auch?«

Da wußte sie keine Antwort. Sie hätte wohl gehen mögen. Tanzen konnte sie zwar nicht, aber dabei sein konnte sie ja; zusehen, wie sich die Anderen freuen, ist auch eine Freude. Aber es lud sie ja niemand ein.

»Willst du kommen?« fragte Anton weiter, als er ihr Schweigen verstand.

»Ich möchte wohl«, entgegnete sie zögernd, mit dem Kopf nickend.

»Nun dann komm’ doch. Gehörst ja auch zum Dorf –«

»Es leidet mich aber keiner dort – sie jagen mich sicherlich fort, wenn ich komme.«

»Das laß mich machen. Bin ja auch noch da. Wen ich beschütze, den jagt keiner fort. Darauf kannst du trauen.«

Sein Selbstgefühl blähte sich. Er wollte zeigen, was er bedeutete, daß er Schutz gewähren könnte, daß er eine Rolle spiele im Dorf. Daß er nicht nur wußte, was seine Kraft ihm ermöglicht, sondern auch, wozu sie ihn verpflichtet.

Schweigend gingen sie nebeneinander. Es war Mittag, die Felder lagen still, atmeten die Hitze ein, glänzten im Sonnenglast. Ein einsamer Vogel trällerte durch die Luft. Ein Bauer kam an ihnen vorbei, lachte, als er den Burschen mit Johanna sah.

»Also kommst du?«

»Wenn du glaubst - daß sie mich nicht fortjagen –«

»Sie werden dich nicht fortjagen. Ich gebe dir mein Wort.«

Als der Hof in Sichtnähe kam, trennten sie sich. Er schlug sich in den Wald, sie ging dem Haus zu. Er gab ihr den Korb zurück, fragte nochmals:

»Also du kommst – bestimmt?«

Sie sah ihm in die Augen.

»Ja.«

»Suche mich – komm’ grade auf mich zu. Ich werde bei dir sein.«

Sie gaben sich die Hände, wie Freunde, die Abschied nehmen.


Der Tag verging ihr wie eine Stunde. Sie überlegte, was sie sich anziehen sollte. Ihre Kleider waren zerrissen. Sie flickte sie zusammen – aber das war häßlich. Hätte sie eine bunte schöne Schürze gehabt, die hätte die Flecke bedeckt. Die Kuhmagd hatte zwei – die konnte ihr eine leihen. Ihre weißen Strümpfe wusch sie aus. An nichts anderes dachte sie als an den Tanz. Der Bauer rief sie – sie kam nicht. Man wollte sie holen – man fand sie, Nadel und Zwirn in der Hand, zwischen ihren Kleidern. Der Knecht brach in Lachen aus, daß das Haus dröhnte, lief die Stiegen hinunter, erzählte es allen:

»Hört – die Hanne putzt sich – hat einen Liebsten – geht morgen zum Tanz.«

Das tolle Gelächter, das bis in ihre Kammer emporschlug, kränkte Johanna. Sie sollten sie doch in Ruhe lassen.

Nachts lag sie stundenlang wach. Erwartung zitterte in ihren Nerven. Sie wollte einmal wie die Anderen sein – dasselbe tun, dieselben Freuden teilen – da galt es gering, daß ihre Kleider so armselig geflickt, ihre Schuhe so abgenutzt waren.

Oder doch – er mußte sich ja schämen. Es war so schön von ihm, daß er sich ihrer annahm. Er war lieb zu ihr, das war noch keiner gewesen. Er könnte die Schönste und Reichste im Dorf haben – und lädt sie ein – nun soll sie ihn beschämen in ihrem elenden, schlissigen Zeug? Nein – da muß jede Schüchternheit ausgerissen, jede Angst niedergetreten werden. Sie mußte die Schürze verlangen. Soll die Kuhmagd lachen, spotten – das tut sie ohnedies. Verweigern wird sie die Bitte nicht – sie weiß, daß sich Johanna auf tausendfache Weise rächen kann. –

Der Mond ging träge über den Himmel, sein Licht wurde fahl in der Dämmerung. Ringsum im Dorf krähten die Hähne. Der Tag brach an.


Lange zauderte Johanna, bevor sie die Kuhmagd ansprach.

»Leih mir deine Schürze – es wird ihr gewiß nichts geschehen. Ich werde sehr acht geben darauf.«

Ein langer, unverständiger Blick folgte, der Johanna durchbohrte.

»Wozu brauchst du eine seidene Schürze? Du willst doch nicht etwa –«

»Ich gehe heute abend zum Tanz.«

Die Kuhmagd krümmte sich vor Lachen, Johanna verging vor Scham.

»Das ist doch nichts zu lachen. Ich kann genau so gut tanzen gehen wie du.«

»Gewiß – gewiß kannst du das. Niemand darf dich hindern. Im Gegenteil, ich helfe dir, leih dir meine Schürze. Putz dich nur – damit du ihm gefällst.«

»Das geht dich gar nichts an.«

»Nein – ich meine nur so – – Komm mit mir, ich geb’ dir gleich die Schürze.«


Beim Mittagessen fragte der Bauer, wer alles zum Tanz ginge. Der Sohn und die Knechte und Mägde – alle gingen. Johanna schwieg. Da wandten sich alle Augen nach ihr. Sie senkte den Kopf, fühlte den Hohn über sich hängen, wie eine dunkle Wolke war es, die jeden Augenblick bersten konnte. Es war nicht zu vermeiden. Man ließ sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen.

»Und du – Johanna«, fragte der Bauer, »ich habe gehört – du gehst auch.«

Johanna wurde blutrot. Ihre Augen waren auf den Teller gerichtet, der vor ihr stand. Aber der Bauer ließ nicht nach.

»Hast recht – bist ja ein hübsches Mädel – und sauber – ziehst dich nett an – nicht wahr – und alle laufen dir nach – paß nur auf.«

Das war das Zeichen zum Gelächter. Der Damm war eingerissen, erbarmungslos wälzte sich die Sturzflut von Sticheleien über das wehrlose Mädchen. Johanna ließ die Schmutzwelle über sich hinweggleiten, sie wußte, sie mußte abfließen, wie sie hereingebrochen. Aber ihr Herz krampfte sich zusammen, jedes Wort stach wie eine feine Nadel, tief, schmerzend, mit höllischer Freude am Wehtun.»Wer hat dich denn geladen?«, fragte der Knecht.

»Wer ist denn dein Liebster? Für wen machst du dich so schön?«, fragte die Magd.

Johanna sah verstohlen, ohne daß es die Anderen merkten, zu Anton. Der stellte sich unschuldig, unbeteiligt. So sah es mit seinem Schutz aus. Alle Menschlichkeit war falsches Prahlen, alles Mitleid Heuchelei, jede Freundlichkeit Deckmantel, unter dem sich die scheußliche Fratze der Selbstsucht verbarg. Feig war er wie die Anderen, mild nur, um sie zu ködern, in sein Garn zu locken, sie berauben zu können. Blitzschnell fuhr es durch Johannas Kopf. Aber er war doch gut gewesen – der einzige – der gut gewesen zu ihr. Vielleicht ist es nur Furcht vor dem Bauer, die ihn abhält, sich frei zu ihr zu bekennen.

»Wer ist es«, klang es wieder an ihr Ohr, »schau, sag’s doch! Abends weiß es ja das ganze Dorf.«

Die Magd glaubte ein Recht zu haben, sie auszuforschen. Sie präsentierte ihre Gefälligkeit wie einen Wechsel, der einzulösen ist. Da wurde Johanna zornig. Ihr ekelte vor diesen Menschen, diesen herzlosen Schleimquallen, die ihre Fühler in fremde Seelen strecken, wenn sie meinen, dort Stoff zu ihrer Unterhaltung zu finden. Johanna warf den Löffel beiseite, lief in ihre Kammer. Dort brach sie in Weinen aus.

Es war ihr, als bewegte sich die Tür. Sie hoffte, Anton werde nach ihr sehen, sie trösten, Abbitte leisten, sein Verhalten erklären. Als sie die Tür öffnete, fand sie den Gang leer. Der Wind mußte an der Tür gerüttelt haben. Oder es hatte sich eine Schwalbe hereinverirrt und gegen die Wand geschlagen mit lahmen Flügeln.

Da erklärte sie sich selbst Antons Schweigen. Der mußte so sein. Sie war dumm, daß sie anders erwartet hatte. Sein Vater durfte nichts wissen. Aber wie sollte das beim Tanz werden? Dann wußten es ja alle? Das ganze Dorf?

Johanna holte ihre Kleider hervor, band die Schürze und betrachtete sich selbstgefällig. Den ganzen Nachmittag über sah sie niemand mehr.


Gegen Abend machte sie sich fertig. Es wäre ihr recht gewesen, ungesehen aus dem Hause zu kommen. Sie horchte, ob jemand auf der Treppe war, sah beim Fenster nach, ob jemand im Hof stand. Sie eilte die Stiege hinunter – und lief dem Bauern in die Arme.

»Aha – also doch. Bist du aber frech – das hätt’ ich nie gedacht! Mordsmädel – die Buben werden schauen! Das erinnert einen so an seine besten Zeiten – wie man noch jung war. – Da hat man nicht gezaudert, ist drauflosgegangen durch Dick und Dünn –«

Er maß sie lachend, sie wollte fort. Ehe sie sich versah, hatte er sie an der Hand gefaßt, drehte sie hin und her, um sie von allen Seiten zu betrachten.

»Wollen mal sehen – ob noch was übrig geblieben ist von dem da –«

Er riß sie jäh an seine Brust, beugte ihren Kopf aufwärts, küßte sie auf den Mund.

Verwirrt taumelte sie zurück. Der Bauer lachte.

Durch die Tür, die in die Küche führte, kam die Küchenmagd.

»Ah – da schauts her – der Bauer –«

»Sei ruhig – geht dich gar nichts an. Kümmert sich ja niemand drum, was du treibst.«

»Ich sag ja gar nichts – gar nichts – –«

Johanna war starr dagestanden. Nun erwachte sie. Ohne sich umzusehen, stürzte sie fort, ging durch den Wald, um nicht gesehen zu werden, bis sie sich beruhigt hatte. Denn ihre Augen waren geschwollen, so hatte sie nachmittags geweint.


Der Tanzplatz war gedrängt voll, das ganze Dorf versammelt. Zwischen den Bäumen hingen Lampen, von bunten Wimpeln umflattert, streuten spärliches Licht über den Platz. Die Musik schmetterte lustig drauflos, die Älteren saßen abseits, tranken tüchtig, spielten Karten, die Jüngeren tanzten. Scherzreden flogen hin und her, man bewunderte und verspottete einander, stritt und vertrug sich. Gerieten zwei heftig aneinander, trennte man sie. Und der Grund des Zwistes war bald vergessen.

Johanna irrte durch viele Menschen. Nirgends fand sie Anton. Unter den Tanzenden war er nicht, auch beim Bier saß er nicht.

Begrüßungen stürzten auf sie nieder.

»Bist auch da – Johanna! Da schau her! Endlich hervorgekommen aus dem faden Nest?«

»Wo hast du denn die schönen Kleider her?«

»Hat sie ein Prinz gebracht?«

»Der in der Nacht durchs Fenster stieg!«

»Oder ein Märchenvogel?«

»Oder hast sie wo mitgehen lassen, nicht?«

»Ausgeborgt. Auf Nimmerwiedersehen.«

Johanna hielt sich die Ohren zu. Stimmen und Musik verschwammen zu einem einzigen ungeheuren Lärm, zu einem Brausen, das anstieg und verebbte, das die Ohren zerriß und das Bewußtsein betäubte. Und aus dem Trubel kreischten Töne auf, die ihr galten:

»Willst du mit mir tanzen – Lumpenprinzessin?«

Mit grotesken Bewegungen, vornehme Gesten kopierend, tänzelte ein Bursch vor ihr her. Sie wich ihm aus.

»Wie stolz – wie hochmütig – du Betteldirn!«

Sie suchte Anton. Ihre Blicke jagten über die Gesichter, blieben haften, da und dort, aber es war ein Irrtum. Glitten weiter, Menschenreihen entlang, zickzack durch den Wirbel. Endlich fand sie ihn. Abseits saß er, mit Kameraden auf einer Bank.

Zögernd trat sie vor ihn hin. Vor den Anderen zu sprechen, hieß ihr Geheimnis preisgeben. Aber sie wollte sehen, ob er wirklich feig war, ob er sich ihrer wirklich schämte. Aufgedrängt hatte sie sich ihm nicht. Er hatte um sie geworben – nun durfte er sie nicht verleugnen.

»Da bin ich – Anton.«

Anton sah auf. Es war ihm unangenehm, inmitten seiner Freunde von ihr angesprochen zu werden. Das brachte ihm Spott von allen Seiten. Blitzschnell überlegte er. Es gab nur einen Ausweg. Sich fremd stellen.

»Was willst du?«

Wie vor den Kopf geschlagen, wankte sie einen Schritt zurück.

»Du hast mich ja eingeladen –« sagte sie kleinlaut, als sie die Fassung wiedergewonnen hatte.

»Ich?«, fragte er langgedehnt.

»Du.«

Da lachte er, um seine Verlegenheit zu verbergen. Aber es war zu spät. Die Anderen hatten verstanden.

»Du irrst – fällt mir gar nicht ein – ich tanze ja nicht.«

»Du hast mich geladen«, wiederholte sie. Sie war dem Weinen nahe. Dennoch gab sie nicht nach. Sie wußte, was auf dem Spiele stand. Behielt er recht, war sie dem Gespött des ganzen Dorfes ausgesetzt, als eine, die dem reichen Bauernsohn nachläuft, sich ihm an den Hals wirft. Aber er blieb hart.

»Was gehst du mich an? Du hast nicht ausgeschlafen. Träumst wohl noch?«

Er stieß sie fort. Doch die Burschen mengten sich ein.

»Hab’ gehört, du hast was mit der Hanne«, sagte der eine.

»Guter Geschmack, daß muß man dir lassen«, höhnte ein anderer.

»Gratuliere«, sagte ein dritter und hielt ihm die Hand hin.

Anton wurde rot, schlug die Hand weg.

»Laßt mich in Ruhe. Ihr seid alle toll. Weil eine Verrückte mich angeht, glaubt ihr wirklich, ich hätte – ach was, ihr seid alle Esel!«

Wütend sprang er auf, lief davon.

Johanna blickte ihm nach. Sie wußte nicht mehr, was da war. Er müßte sich doch jeden Augenblick umdrehen und zu ihr kommen! Wenn seine Worte wahr gewesen!

Sie erwachte erst, als die Burschen ihren Spaß mit ihr begannen.

»Vielleicht Ersatz gefällig – schöne Dame?«

Einer nahm gelehrten Ton an, machte, als ob er sich durch den Bart strich:

»Ja – das pflegt vorzukommen – daß der Liebste eine verläßt – leider – kommt vor – oft sogar –«

»Nicht zornig sein – wenn man so schön ist – gibts hundert für einen.«

»Tänzchen angenehm, Frau Bürgermeisterin?«

Johanna fühlte ein Brausen im Hirn. Der Platz taumelte vor ihren Augen, drehte sich rasend schnell um sie. Sie sah nur Fratzen, Grimassen, lüsterne, höhnische, teuflisch verzerrte Gesichter, die lachten. Sie allein stand. Alles andere fiel, sank, tief, tiefer, in endlose Abgründe. Und sie sank mit –

Geistesabwesend brach sie sich Bahn, stieß alle beiseite, die ihr im Weg waren, rannte durch die Gassen ins Freie, warf sich auf die Erde, in ihren Ohren klangen noch Worte nach, beschimpfende, verletzende Worte – –

Lange lag sie regungslos, das Gesicht ins Erdreich gewühlt. Dann erhob sie sich, schlug die Schürze vors Gesicht, damit sie niemand erkenne, lief ins Haus, rannte den Bauern um, der ihr begegnete, kam nicht mehr zum Vorschein.

Die Nacht über lag sie im Fenster, ließ den Nachtwind durch die Haare fahren, sah zu den Sternen auf. Ihr Inneres war so verwirrt, daß sie keinen klaren Gedanken erfassen konnte. Zahllose Eindrücke, Gefühle, Schmerzen rasten durch ihre Seele, daß nichts deutlich wurde, alles unterging in einem unbestimmten, öden, drückenden Gefühl des Verlassenseins, der Enttäuschung.

Am nächsten Morgen ging sie, als ob nichts vorgefallen wäre, an die Arbeit.


Gegen Mittag kam sie in die Kammer der Magd, ihr die Schürze zurückzugeben.

»Nun, wie war es? Viel getanzt?«

Johanna gab ihr keine Antwort.

Die Magd betrachtete die Schürze.

»Sie ist ganz unversehrt,« sagte Johanna.

»Die Schürze ist unversehrt, ja«, erwiderte die Magd.

Johanna wollte gehen.

»Jetzt heißt es aber achtgeben«, sagte die Magd schnippisch.

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