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MARIGNANO

Eigenartig ist, dass nach dieser Vorgeschichte von Zwinglis Beschäftigung mit der eidgenössischen Politik ein so gewaltiges Ereignis wie die Schlacht von Marignano in seinem Leben kaum Erwähnung fand. War er nun als Feldprediger in Marignano dabei? Hat er seine Glarner Kämpfer tatsächlich begleitet? Es gibt von ihm keine persönliche Erwähnung dieses so wichtigen, ja schwerwiegenden Falles, es gibt keine Briefzeile darüber, jedenfalls ist keine erhalten. Nie geht Zwingli auf diese gigantische, schmählich verlorene Schlacht ein. Man muss doch annehmen, dass sie einem Teilnehmer, und sei er nur Beobachter gewesen, als traumatisches Erlebnis stets in Erinnerung geblieben ist. Oder war er gar nicht Beobachter der Schlacht?

Der französische König wollte Mailand zurückerobern, mit Schweizer Söldnern, und der Papst wollte es wieder befreien, auch mit Schweizer Söldnern. Mailand war eine Stadt, die 100 000 Einwohner zählte. Die einwohnerstärkste Stadt auf Schweizer Boden war damals Basel mit 10 000 Bewohnern.

Am 6. September 1515 kamen die Schweizer Truppen in Lonza an. Zwei Tage später predigte Zwingli seinen Glarner Landsleuten auf dem Marktplatz in Lonza kurz vor der vernichtenden Niederlage, ermahnte sie zur Einigkeit und zur Treue zum päpstlichen Bündnis. Es gibt einige Zeugen für Zwinglis Anwesenheit in Marignano. Doch von ihm selbst ist kein Wort aufzufinden.

Da die Tagsatzung, die damalige Zusammenkunft der führenden Männer der eidgenössichen Orte, das Söldnerproblem nie in den Griff bekam, war es möglich, dass im französischen Heer eine stattliche Zahl Schweizer Söldner gegen die eigenen Landsleute kämpfte. Dem jungen König Frankreichs mit Namen Franz gelang es, das eidgenössische Heer zu spalten. Er bot den Schweizern 700 000 Kronen, wenn sie ihm das Herzogtum Mailand überliessen. Daraufhin zogen rund 10 000 Mann aus Bern, Solothurn, Freiburg und dem Wallis ab und kehrten nach Hause zurück, was durchaus ein Verrat an der Eidgenössischen Tagsatzung war. Doch diese reagierte nicht.

Nun waren die Franzosen zahlenmässig in noch weit stärkerer Übermacht. Die Gegner hatten viel mehr Artillerie, also Kanonen, und weit mehr Krieger. Die Eidgenossen verloren in der folgenden Schlacht mehrere Tausend Mann. Die eidgenössischen Krieger setzten auf die falschen Kriegsmittel, sie waren mit ihren Hellebarden waffentechnisch unterlegen und wurden zudem taktisch übertölpelt. Aber sie hatten auch keine Einigkeit, keine Moral, keine Disziplin, noch konnten sie sich auf ihre übliche Schlagkraft verlassen. Das föderalistische System der Eidgenossenschaft, das muss man so sagen, war Nährboden für Gespaltenheit. Die Gier nach Eroberungen und nach Beute der Krieger lockte sie zu militärischen Ausschweifungen nach Oberitalien. Sie wurden grossmachtsüchtig und sie rannten fast blind ins Verderben. Unter den Schweizer Söldnern drohte sogar ein Bruderkrieg.

Zwingli hatte wohl gegen die Spaltung des eidgenössischen Heeres gepredigt, wie der Zuger Ammann Werner Steiner als Chronist festhielt. Hätte man auf Zwingli gehört, wäre diese Katastrophe nicht über die Schweizer hereingebrochen, meinte der Chronist.

1516 unterzeichneten die Eidgenossenschaft und Frankreich in Freiburg einen Friedensschluss. Franz I. warb weiterhin Schweizer Söldner an. Nur der Stand Zürich machte bei dem Bündnis mit Frankreich nicht mit. Zwar war die Expansionspolitik der Tagsatzung mit der Niederlage in Marignano zu Ende. Aber die Soldbündnisse, die Söldnerei, die Reisläuferei nahmen ihren Fortgang vor allem für die französischen Könige. Einheitliche Positionen waren allein schon durch die Reformation in der Eidgenossenschaft nicht mehr möglich, denn es gab fortan eine katholische und eine reformierte Schweiz und weit und breit keine Einheit.

Die Erfahrungen in der furchtbaren Schlacht bei Marignano als den Beginn der Neutralitätspolitik der Eidgenossenschaft zu sehen, ist eine heuchlerische, unschöne Mär. Die Soldbündnisse mit dem französischen Staat hielten an, die Reisläuferei junger Schweizer Männer ging noch lange weiter, die Abhängigkeit von der Kurie in Rom wie von Frankreich reichte bis zu Napoleons Zeiten. Da ist nirgends ein Hauch von Neutralität. Eigentlich sind Zwingli und dann durch ihn der Stand Zürich die ersten und lange die Einzigen, die diesem Geschwür der fremden Dienste und der fremden Gelder konsequent den Kampf ansagten. Zwingli sah den Blutzoll, das Elend und die Verrohung seiner Landsleute. Es dauerte noch mindestens bis zum Jahr 1648, dem Westfälischen Frieden nach dem Dreissigjährigen Krieg im Heiligen Römischen Reich, bis die Vision einer Neutralität in der Schweiz Form anzunehmen begann. Und erst 1815 durch die Resultate des Wiener Kongresses wurde sie vollends konkret.

Vor der Schlacht in Marignano tauchte im Lager der Schweizer der Walliser Kardinal Schiner auf, der zur allgemeinen Verunsicherung unter seinen Landsleuten gehörig beitrug. Zwingli hatte ja bereits jahrelange Erfahrung mit dem fremden Solddienst, er beobachtete und kommentierte schon lange die Grossmachtpolitik der Schweizer und ihre Dienste bei fremden Mächten. Er wird auch hier in dieser Predigt, unmittelbar vor der Schlächterei, nicht mit klaren Worten gespart haben. Und hinterher, nach dem grossen Gemetzel, verabscheute er für immer den Solddienst, gegen den er jahrelang einen Kampf geführt hat. Er sprach von «Kriegsgurgeln, von Blutkrämern, von schandbarem Schacher […] die den Schweizer mit jungem Blut treiben liessen, für den schnöden Mammon». Für Ludwig XII. seien 5000 Schweizer in Neapel umgekommen. In Novara seien 1500 gefallen. In Marignano seien über 6000 liegen geblieben. Die Schweizer seien in ihren eigenen kriegerischen Auseinandersetzungen immer siegreich geblieben, in fremden Diensten aber oft sieglos. Die Vorfahren hätten sich für Freiheit geschlagen. Bei den fremden Herren gehe es nur um Geld. Unter dem Eindruck der Katastrophe von Marignano hat Zwingli 1516 begonnen, das Evangelium zu predigen. Schon Jahre vorher hat er eingesehen, dass «Kriegführen im Sold fremder Herren unmenschlich, schamlos und sündhaft sei».

DIE WENDE 1516

Es erstaunt immer wieder bei der Lektüre von Zwinglis Texten, wie es dieser fertigbrachte, unreligiös zu schreiben, vor allem in seinen geschichtswissenschaftlichen Studien. Es gibt kaum Sätze, die auf einen Prediger hinweisen würden. In seiner Glarner Zeit bedient sich Zwingli fast ausschliesslich einer Sprache, die einem umfassend gebildeten humanistischen Gelehrten entsprach. Genau das entzückte den Glarner Humanisten Glarean, der gerade in Köln seinen Magister machte und im Sommer 1510 dem Pfarrherrn nach Glarus folgenden begeisterten Brief sandte: «Welch willkommenes Geschenk sind mir die Briefe von dir, du fein gebildeter humanissime Mann! Nichts sehe ich lieber, nichts ersehne ich mehr; sprudeln und strömen und überfliessen sie doch so unendlich reich allüberall von jeder Zier, jeglicher Anmut und Würze. Lese ich sie, so könnte ich in Verzückung geraten und in Traumbildern schwelgen. Denn hier leuchtet so viel gewichtiger Inhalt auf, hier bricht so viel rednerischer Schmuck hervor und streichelt einem dann wieder derartige Klangschönheit das Ohr, dass man wirklich nicht weiss, wem von ihnen die Palme zu reichen ist.»

Und am 18. April 1511 schrieb Glarean aus Köln, er wolle zur Glarner Kirchweih in seine Heimat kommen. Den lateinisch geschriebenen Brief beendete er deutsch mit den Worten: «Wenn ich kum, so wollen wir guter Dinge syn.» Der Besuch fand wirklich statt, denn noch im gleichen Jahr schwärmte Glarean von den herrlichen Stunden, die er mit und bei Zwingli verbracht habe. Sie hatten so vieles gemeinsam: ihre Herkunft, ihre Liebe zur Musik und zu den antiken Autoren.

Und zudem war dieser Kirchherr in Glarus ein stattlicher Mann, wie ihn Zeitgenossen beschrieben, «sein Angesicht freundlich und rotfarben». Er hatte eine melodische Stimme, nicht allzu kräftig, aber fesselnd für die Gemeinde. Im Nu waren die Zuhörer in seinem Bann.

Der Lesehunger Zwinglis war trotz starker Inanspruchnahme durch sein Amt beinahe unersättlich. Vadian, der St. Galler Gelehrte und Freund, nannte ihn einen «eifrigen Liebhaber der guten Literatur». Mehrere der gelehrten Männer der Zeit, mit denen Zwingli in Briefverkehr stand, rühmen ihn für seine Briefe. Er stand mit den Offizinen von Froben in Basel, Lachner und Furter, in ständiger geschäftlicher Verbindung, denn er lebte ja etwas abseits der gelehrten Zentren Basel, Zürich, Köln und Frankfurt.

Er entwickelte eine Schau vom Heil erwählter Heiden, die Schilderung vom himmlischen Gastmahl, an dem alle Heiligen, Weisen, Gläubigen, Standhaften, Tapferen, Tüchtigen teilnehmen, die es seit Erschaffung der Welt gab: das heisst neben den Patriarchen, Aposteln und Heiligen des alten und neuen Bundes auch Herkules, Theseus, Sokrates, Aristides, Antigonus, Numa, Camillus, die Catonen, die Scipionen oder die französischen Könige. Diese Vision hatte schon das Entsetzen Luthers ausgelöst. Theologisch ist sie jedoch nicht «ein Einbruch in die Ausschliesslichkeit christlichen Heilsbewusstseins, den Menschen wertend, ein Stück Wiederbelebung des klassischen Altertums».

Nun bewegte sich Zwingli langsam von seiner festgefügten Katholizität weg. Er begann immer stärker an der katholischen Heilslehre zu zweifeln.

Er kam auch noch Jahre später mehrmals auf seine Entwicklung zu sprechen, bei diesen Bekenntnissen bezeichnete er das Jahr 1516 als den entscheidenden Auslöser zu seiner religiösen Wende, also noch ein Jahr vor Luthers Thesenanschlag. In einer Schrift geht er dann auch später darauf ein und hält fest, er habe die Lehre Christi aus ihrem eigenen Ursprung zur Kenntnis genommen und verinnerlicht, und zwar zu einer Zeit, als ihm Luther noch gar nicht bekannt gewesen sei. Das ist eine wichtige Äusserung zu seiner religiös-reformatorischen Eigenständigkeit. Und ein andermal schreibt er: «Ich habe angefangen das Evangelium zu predigen im Jahr 1516.» Also hat er noch in Glarus diese Wende geschaffen, die neue Art zu predigen hatte wohl hineingepasst in seinen bevorstehenden Wechsel nach Einsiedeln. Und bereits im Frühjahr 1516 erkundigte er sich in Basel nach dem dort erschienenen griechischen Neuen Testament des Erasmus. Nach seinem eigenen Verständnis war Zwingli also im Jahr 1516 wie neu geboren. Sein Erlebnis des Evangeliums muss gewaltig gewesen sein. Ihm öffnete sich eine ganz neue innere Welt: das Neue Testament. Von nun an war das für ihn das Zentrum. Es gab nichts Vergleichbares für ihn. Er trieb Politik, er machte Musik, er befasste sich mit den Griechen und Römern. Aber was das Evangelium ihm bedeutete, das war für ihn von einer Kraft und Ausstrahlung, dass er nicht anders konnte, als alles für diese Entdeckung zu verlangen, was er überhaupt nur verlangen und geben konnte. Er war ausserstande zu begreifen, dass die Innerschweizer Orte sich weigerten, sich dem Evangelium anzuschliessen. Darin ist Zwinglis Mission für die ganze Eidgenossenschaft zu begründen. Das ist der Kern für Zwinglis Bereitschaft zu dem Satz: «Denn schlägt er nicht, so wird er geschlagen.» Zwingli konnte gar nicht anders, als loszuschlagen für das Evangelium. Doch es ging noch ein paar Jahre, er musste sich noch gedulden.

Zwingli war schon nach Einsiedeln übergesiedelt, da bittet ihn der bereits erwähnte Aegidius Tschudi, ob er von Basel aus wieder zu ihm zurückkehren dürfe, da er bei ihm lieber sein würde als an der Universität Basel, das wieder zu verlernen in Gefahr stehe, was er bei ihm gelernt habe. Und dessen Vetter Valentin Tschudi bezeugt ihm, dass er unter seinen späteren Universitätslehrern keinen gefunden habe, der ihm an Gelehrsamkeit und an Verständnis der alten Schriftsteller ebenbürtig wäre. Andere Schüler schildern ihm die Erbärmlichkeiten der in Paris gelehrten bestialischen Sophistereien.

In Glarus, als junger Priester, hatte er auch ein sexuelles Liebesverhältnis mit einer jungen Frau, vollkommen geheim, nicht so unverschämt offen und fast selbstverständlich, wie die meisten Geistlichen es betrieben. «Bei diesen Dingen», sagte er später einmal, «hielt mich das Schamgefühl stets in Schranken, sodass ich, als ich in Glarus war und mich in dieser Hinsicht verging, es aber so im Geheimen tat, dass selbst meine Nächsten kaum etwas davon merkten». Er habe sich immer gehütet, ehrbaren Frauen zu nahe zu treten. Sein Grundsatz sei immer gewesen, keine Ehe zu verletzen, keine Jungfrau zu schänden und keine Nonne zu entweihen. Jedenfalls, das priesterliche Keuschheitsgelübde machte ihm arg zu schaffen, diesem lebensprallen, sinnlichen Mann. Wer weiss, wie stark der Anteil dieser erotischen Seite Zwinglis an der Entwicklung des reformatorischen Prozesses war?

ERASMUS VON ROTTERDAM

Das Jahr 1516 scheint also der Zeitpunkt der grossen Wende in der Entwicklung Zwinglis zu sein, obwohl er sich bereits ein paar Jahre vorher ans Griechische gemacht und die Bücher von Erasmus gelesen hatte. Die humanistische Bildung und das literarische Programm der griechischen und römischen Antike haben ihn schon ein paar Jahre zuvor total besetzt, eigentlich seit der Studentenzeit. Das Erasmus-Erlebnis jetzt erschütterte ihn, gab ihm die Grundrichtung. Seine neue Kirchenlehre in Gestalt der Evangelien-Lesung nahm langsam Form an.

Wir sind uns einig: Es gab noch keine Epoche, in der ein Gelehrter so überragend, so turmhoch in der Landschaft stand wie Erasmus im 16. Jahrhundert. Alle anderen Geistesarbeiter nahmen ihn so wahr. Es gab niemanden, der diese Grösse in Zweifel zog. Erasmus schrieb rund 150 umfassendere und kleinere Bücher, er korrespondierte mit den Grössen der Zeit, war von der Elite in Europa hoch geachtet. Das hat wohl auch dazu beigetragen, dass er sich für keine neue Richtung des Christentums entscheiden konnte und der katholischen Kirche für immer treu blieb.

In einem Brief von Glarean aus Köln an seinen Freund Zwingli heisst es: «Was Erasmus geschrieben hat, ist in den Händen aller. Er ist schon hoch betagt [er war tatsächlich 54] und möchte seine Ruhe haben, aber jede Partei möchte ihn auf ihre Seite ziehen. Er will sich aber auf keinen Fall in die Parteibildungen einmischen. Er sieht klar, wen er zu meiden hat, aber nicht in gleichem Masse, an wen er sich halten soll. Alles, was er geschrieben hat, atmet christlichen Geist, und es ist wahrscheinlicher, dass Luther durch die Arbeiten des Erasmus unterstützt wurde als etwa Erasmus durch Luthers Arbeiten. In seiner zurückhaltenden Art ist er furchtsam. Man hört von ihm nie etwas, das unchristlich wäre. Als Mensch hat er durchaus feste Meinungen.» Das war eine dezidierte Meinung über den grossen Mann.

Im Frühjahr 1516 reiste Zwingli nach Basel. Er hatte das Bedürfnis, seine ehemaligen Studienkollegen und aktuellen Brieffreunde zu treffen, mit ihnen über die drängenden Fragen der Eidgenossenschaft und über aktuelle Probleme der Religion oder Entwicklungen in der Religionsphilosophie zu diskutieren. Er hatte kurz zuvor eine Schrift herausgebracht, in welcher er zum «Kern und Stern des Evangeliums» seinen Wissensstand festhielt, auf den er sich oft zu stützen und zu erinnern versuchte; diese Schrift ist aber leider verschollen. Beim Besuch in Basel ging es ihm insbesondere darum, den grossen «Humanistenfürsten» zu treffen, damit dieser grösste Lehrer der Zeit seine, Zwinglis Arbeit, die doch an die des Erasmus anknüpfte, einem Urteil unterziehen konnte.

Die Zusammenkunft war vom gemeinsamen Freund Glarean arrangiert worden. Wie verschwiegen diese Herrschaften des europäischen Humanismus waren, müssen wir nun mit Bedauern zur Kenntnis nehmen: Es ist eine schlichte Tatsache, dass von keiner einzigen Feder der Teilnehmer des Treffens ein Wort festgehalten worden ist. Immerhin trafen sich Zwingli und Erasmus jetzt persönlich. Unsere Neugier ist heute noch immens, des Fürsten Urteil zu hören über seinen geistigen Nachfahren. Heute bleibt uns ein nachkommender Brief Zwinglis von Glarus nach Basel an den Fürsten, dem wir wenigstens entnehmen können, dass das persönliche und das geistige Erlebnis für den Glarner Kilchherrn beglückend gewesen sein muss. Denn Zwingli schwärmte geradezu von dieser Begegnung. Erasmus muss sich lobend über seine Schrift und seine Geisteshaltung geäussert haben. Zwingli sendet also Erasmus einen schwelgerischen Brief. Er spricht darin von «deiner überaus liebenswürdigen Freundlichkeit, die du mir erzeigtest […] Ja, nun glaube ich mir etwas darauf einbilden und mich dessen rühmen zu dürfen, dass ich den Erasmus gesehen habe, den um die Literatur und die Geheimnisse der Heiligen Schrift verdientesten Mann, den Mann, der so brennende Liebe zu Gott und den Menschen hat, dass er, was man für die literarische Bildung leistet, wie eine ihm persönlich erwiesene Leistung ansieht, und für den alle ernstlich beten sollen, dass ihn der höchste und beste Gott gesund erhalte, damit die ihn aus der Barbarei und Sophistik erlöste heilige Literatur erstarke und sich vervollkommne und nicht in ihrem Aufkeimen eines solchen Vaters beraubt werde und dann wieder einer unfreundlichen und harten Pflege anheimfalle.» Und Zwingli fügt hinzu: «Dass ich mich sonst nie jemandem gegeben habe noch einem andern geben werde.»

Natürlich, der Brief ist überschwänglich in der Einschätzung des Empfängers sowie in der Verehrung, und zwar dermassen, dass der Briefschreiber sogar verschweigt, welcher Art die geistig-literarische Verpflichtung und Verbindung ist, was er dem hochgelehrten Erasmus an Einsichten und Entdeckungen zu verdanken hat. Es scheint, Zwingli konzentrierte sich voll und ganz auf die erhaltene Ehre, von Erasmus eine Audienz erhalten zu haben. Natürlich präsentierte er sich nicht als Erasmianer, dazu war er einerseits zu bescheiden und andererseits zu eigenständig. Möglich, dass der Fürst des Humanismus im Rahmen des Treffens eine Schrift von Zwingli lobte. Dass Zwingli dann in seinem Brief dieses Erasmus-Lob nicht erwähnte, selbst seine Arbeit keines Wortes würdigte und sich gänzlich auf die Person des Humanistenfürsten beschränkte, war seinem Erlebnis der Begegnung angemessen.

Dennoch ist zu beachten, dass der Glarner Kirchherr all die Jahre stets jede Zeile von Erasmus hellwach und kritisch gelesen hat, von Anfang an. An manchen Stellen schreibt er kurze, scharfe Kommentare an den Seitenrand, beispielsweise zu einer vorschnellen Lobeshymne für Papst Leo X., «welcher der Welt den Frieden geschenkt hat», wie Erasmus schreibt. Einmal notiert Ulrich Zwingli sogar: «Hast Du nicht gemerkt, dass Du das hättest sagen müssen, gelehrtester Erasmus? […] Dass nämlich nicht der Papst der Welt den Frieden geschenkt hat, sondern die Gemeinde dafür verantwortlich war.»

Nein, Zwingli war nie im Schlepptau des Erasmus. Er war zu selbstständig, zu autonom. Er hatte die Gabe, auf dem Papier Gelerntes, Gelesenes in die praktische Umsetzung zu treiben. Das nannte er selbst «einen frohen Eifer». Er nahm von ihm, was ihm einleuchtete, was er brauchen konnte – das war ziemlich viel und trieb dann die theoretischen Grundlagen weiter. Erasmus lieferte die Grundgedanken, die den jungen Zwingli in seiner Glarner Studierstube elektrisiert haben, aber daraus machte dieser eine handhabbare Praxis. Erasmus ist in der Entwicklung Zwinglis eine verehrungswürdige Persönlichkeit. Geistige Erlebnisse und Einsichten haben Zwingli den Weg aufgezeigt.

Was Luther angeht, so war Zwingli diesem gegenüber noch unabhängiger, er hatte von Luther noch nichts gehört, da hat er bereits das Neue Testament in Griechisch und Latein gelesen.

Der St. Galler Reformator, Stadtarzt und Bürgermeister Vadian schreibt: «Bis auf das Jahr 1518 hat Gott durch drei Männer, nämlich Doktor Erasmus von Rotterdam, Doktor Martin Luther in Sachsen und Huldrich Zwingli in der Eidgenossenschaft die Kraft seines Wortes an den Tag kommen lassen.»

Es gibt einige Briefe von Erasmus an Zwingli, adressiert «an den vorzüglichen Herrn Huldrych Zwingli, den hervorragend gebildeten Philosophen und Theologen, den Freund, den ich wie einen Bruder liebe, in Glarus.» Aber dennoch, die zwei, die sich geistig so nah gekommen sind, wurden nie Freunde. Zwingli gehörte nicht zu Erasmus’ Kreis in Basel. Ihr Briefwechsel blieb dürftig. Ein einziger Brief von Zwingli blieb erhalten. Und auch der ist voller Hochachtung, voll Freundlichkeit, aber darüber hinaus geht er nicht. «Dass meine Nachtarbeiten Deinen, eines so bewährten Mannes Beifall finden, freut mich mächtig», äusserte Erasmus.

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