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3.5 Unterrichtsentwicklung anregen
Es gibt unterdessen zahlreiche Konzepte, wie kompetenzorientierter Unterricht in der Praxis konkret aussehen könnte (vgl. Keller 2013; Ziener 2009). Diese setzen zum Teil unterschiedliche Akzente, haben aber auch eines gemeinsam: die hohen Anforderungen, die an Lehrkräfte und Schulen gestellt werden. Die Möglichkeiten der Portfolioarbeit bezüglich der Entwicklung von persönlichen Lernprozessen an Schulen dürften von besonderem Interesse für das Gelingen der Umstellung der Bildungsbemühungen auf Kompetenzziele sein, weil inzwischen deutlich ist, dass Lehrkräfte (zumindest im deutschsprachigen Raum) aus Ergebnissen von Leistungstests und Vergleichsarbeiten kaum Anregungen für die Unterrichtsentwicklung ableiten (vgl. Bonsen und Berkemeyer 2011). Zwar sind Portfolios kein pädagogisches Allheilmittel, mit dem sich die genannten Herausforderungen ausschließlich bewältigen ließen, jedoch bieten sie vielfältige Ansätze zum unterstützenden, lerndienlichen Herangehen an die individuellen Lernwege von Schülerinnen und Schülern:
•Portfolios können direkt dokumentieren, wie Lernende mit einem Lernangebot umgehen, und damit einen vertieften Einblick in die Denkvoraussetzungen, Konzepte und Fähigkeiten bieten, die beim Zustandekommen einer Schülerarbeit eine Rolle spielen.
•Portfolios können deshalb evaluativ und rückblickend verwendet werden, etwa um abzuklären, welche Kompetenzen die Lernenden in einer Arbeitsphase erreicht haben und welche Lernschritte als Nächstes anstehen.
•Portfolios sind eine Plattform für die Planung der nächsten Lernetappe, sie lassen sich als Basis für die konkrete Umsetzung der folgenden Lernschritte verwenden, die auf lernförderlichen Rückmeldungen der Lehrkraft und Planungsanregungen aufbauen (vgl. Keller und Winter 2009).
Über den gemeinsamen Kontext einzelner Fächer und Unterrichtseinheiten ergeben sich aus der Portfolioarbeit weitreichende Perspektiven für eine gemeinsame Qualitätsarbeit an Schulen, wobei die folgenden besonders bedeutsam sind:
•Gemeinsame Entwicklung von geeigneten Lernaufgaben oder Arrangements zur Förderung zentraler Kompetenzziele im Kollegium, die durch Portfolios begleitet und gesteuert werden;
•Verständigung in der Fachschaft über Ergebnisse und Qualitätskriterien der Bildungsbemühungen anhand von Portfolios, etwa durch Diskussion konkreter Leistungsbelege;
•Entwicklung und Aufbau einer reichhaltigen Diagnose- und Rückmeldekultur an Schulen, etwa durch mehrseitige Einsichtnahme in das, was an der Schule erarbeitet und gelernt wird;
•evidenzbasierte Kommunikation über Leistungsentwicklungen der Lernenden mit ihnen selbst, aber auch mit Eltern, Schulleitung usw., z. B. im Rahmen von Standortgesprächen bzw. Lernentwicklungskonferenzen;
•Anlegen von Talentportfolios und Berufswahl-Bewerbungsportfolios zur Klärung der Kompetenzschwerpunkte und Begabungen der Jugendlichen und als Bewerbungsunterlage für nachfolgende Ausbildungen (vgl. Eisenbart u. a. 2012).
Portfolios werden auf diese Weise zu einer Basis für Unterrichts- und Schulentwicklungsprozesse, in der sich alle Betroffenen und Beteiligten einbringen können. Damit können vielseitige Lern- und Entwicklungsprozesse innerhalb des gesamten Bildungssystems ausgelöst werden, die der Grundidee von Kompetenzorientierung an den Schulen erst den nötigen ›Drive‹ verleihen.
4 Zusammenfassung
Die in diesem Beitrag genannten Möglichkeiten des Einsatzes von Portfolios zeigen, in welcher Weise diese bei der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung an Schulen genutzt werden können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Portfolios in zahlreichen Bereichen des kompetenzorientierten Unterrichts zentrale Funktionen übernehmen können, wie
•erfolgreich mit jenen komplexen Unterrichtsformen zu arbeiten, die für kompetenzorientierten Unterricht typisch sind und ohne die sich dessen Lernziele nicht umsetzen lassen;
•ein Lernfeld zu eröffnen, in dem alle Kompetenzziele Platz finden, nicht bloß jene des kognitiven Wissenserwerbs;
•die Jugendlichen direkt anzusprechen, ihnen Verantwortung für ihr Lernen zu übergeben und ihnen die fachkulturelle und lebensweltliche Bedeutsamkeit der Unterrichtsinhalte deutlich zu machen;
•die Ressourcen der Lernenden in den Blick zu nehmen, individuelle Talente zu fördern und Qualitäten der Schülerarbeiten zu würdigen und anzuerkennen;
•einen kontinuierlichen Dialog über Lernen und Leistung anzuregen und aufrechtzuerhalten, sowohl unter den Lernenden selbst (z. B. Peer-Feedback) als auch mit Lehrkräften (z. B. formative assessment);
•Grundlage zu sein für lerndiagnostische Prozesse, die dem Erkennen und Korrigieren von Defiziten, aber auch dem Fördern von individuellen Talenten und Begabungen dienen;
•neben kognitiven auch personale, motivationale, oder metakognitive Leistungen zu fördern, zu dokumentieren und als integralen Output der schulischen Bildung aufzuwerten;
•die Schülerinnen und Schüler in die Bewertung einzubeziehen und sie darin auszubilden;
•die Jugendlichen für eigene Entwicklungen zu sensibilisieren, ihnen Lernfortschritte und Erfolge bewusst zu machen und Stolz auf eigene Leistungen zu ermöglichen.
Allerdings ist das Anlegen von Portfolios und die Arbeit damit aufwendig, und Portfolios sind auch keine pädagogischen Wundermittel. Es braucht dazu konkrete Beispiele und Arbeitsformen, die in den folgenden Beiträgen dieses Buches dargestellt werden.
In Teil I dieses Buches werden deshalb Aspekte von Unterrichtshandeln thematisiert, die für die Arbeit mit Portfolios zentral sind oder durch sie ausgelöst werden: die Erweiterung der Leistungsbeurteilung (Felix Winter), das Stellen von komplexen Lernaufgaben (Martin Keller; Franz König) sowie das Anlegen von Beurteilungssituationen (Oswald Inglin). Die letzten beiden Beiträge in Teil I zeigen, wie Portfolios an einer Schule eingeführt werden können und welche Schritte dafür konkret notwendig sind: im Fachunterricht Mathematik (Angela Breuer) und als Talentportfolio zur Vorbereitung des Übertritts ins Berufsleben (Simone Zoppi-Altner).
In Teil II des Buches finden sich acht Praxisbeispiele von Portfolioarbeit in unterschiedlichen Fächern und Schulstufen. Dabei wird jeweils konkret beschrieben, welche Rahmenbedingungen die entsprechende Lehrkraft an ihrer Schule vorfand, welche Bildungsziele sie konkret umsetzen wollte, welche Aufgaben sie dazu stellte und wie die Arbeit der Schülerinnen und Schüler während des Prozesses verlief. Die originalen Beispielportfolios stehen über einen Link der Einsicht zur Verfügung (www.portfolio-inp.ch/portfolioarbeit/portfoliobeispiele/). Die Beispiele aus der Praxis sollen Leserinnen und Lesern konkrete Anregungen geben, wie und unter welchen Vorbedingungen sie in ihrem Unterricht selbst entsprechende Projekte erfolgversprechend realisieren können, ohne die Offenheit pädagogischer Entwicklungsprozesse zu sehr einzuengen, die für die Arbeit mit Portfolios typisch und wesentlich ist.
Literatur
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Kompetenzorientierte Leistungsbeurteilung mit Portfolios
FELIX WINTER
1 Einleitung
Das Portfolio wird seit seinen Anfängen als ein Instrument zur Reform der Leistungsbeurteilung gesehen. Zuerst wurde es in den USA großflächig als Alternative und Ergänzung der dort sehr verbreiteten Schulleistungstests eingeführt (vgl. Jabornegg 2004, S. 155 ff.; Häcker 2007, S. 103 ff.). Dabei wurde betont, dass es anhand des Portfolios möglich sei, auch individuelle Entwicklungen und Lernprozesse abzubilden. Im englischsprachigen Raum werden Portfolios heute eher als Instrumente gesehen, die andere Verfahren der Leistungserhebung ergänzen können. Der Einsatz der Portfolios führt mehr in die Tiefe, eignet sich zur Anregung der Reflexion, für Dialoge über Lernen und Leistung und ist besonders wirksam da, wo Portfolios als Instrumente des Lernens fungieren (vgl. Chappuis u. a. 2012, S. 364 ff.; S. 92). Aber auch ein Leistungsstand, die Ergebnisse einer Projektarbeit und bestimmte Kompetenzen können darin dokumentiert sein (a. a. O., S. 366 f.). Der Platz des Portfolios wird heute vor allem im Kontext des Classroom-Assessment gesehen, obwohl nicht abschließend geklärt ist, ob und wieweit es sich auch zur übergreifenden Leistungsbeurteilung eignen könnte (vgl. Popham 2011, S. 212 ff.; s. a. Simmons 1994).
Im deutschsprachigen Raum waren die Ausgangsbedingungen für die Einführung von Portfolios andere. Hier hat die tradierte Praxis der Notengebung an den Schulen lange Zeit die Leistungsbeurteilung völlig beherrscht und in weiten Bereichen tut sie das noch immer – wenn auch nicht mehr konkurrenzlos. Entsprechend wurden und werden Portfolios zunächst vor allem als Alternative zu dieser Praxis diskutiert (vgl. Brunner und Schmidinger 1997; 2001; Winter 2004; 2015; 2016a; Maier 2010). Mit dem Aufkommen der vergleichenden Lernstandstests ist der klassischen Leistungsbeurteilung (mittels benoteter Klassenarbeiten) eine Konkurrenz erwachsen, welche objektive Leistungsvergleiche ermöglicht. Außerdem haben sich mit der Einführung einer neuen, stärker schüleraktiven Lernkultur und dem verstärkten Anspruch auf individuelle Förderung auch die Anforderungen an die schulische Leistungsbeurteilung erweitert und verändert (vgl. Winter 2011; 2016b; Scheunpflug u. a. 2012). Diese soll heute u. a. nützliche Rückmeldung für das Lernen liefern und das möglichst schon in dessen Verlauf (vgl. Winter 2015). Die Erfahrungen mit formativer Leistungsbeurteilung sind aber im deutschsprachigen Raum noch gering (vgl. Maier 2010, Schmidinger u. a. 2016). Außerdem gibt es heute den Anspruch, dass die Leistungsbeurteilung demokratisiert wird: Sie soll transparent werden und helfen, die Leistungen der Lernenden sichtbar zu machen. Und sie soll dazu beitragen, deren Stärken und Begabungen zu finden. Bezüglich dieser erweiterten Ziele der Leistungsbeurteilung werden Portfolios als Instrumente mit großem Potenzial betrachtet. Die Versuche zur Einführung von Portfolios werden aber auch skeptisch beurteilt (vgl. Lissmann 2010).
In jüngster Zeit, mit der Einführung von Kompetenzstandards als Bildungsziele, sind ganz neue Fragen der Leistungs- und Schülerbeurteilung entstanden. Zentral geht es dabei darum, Kompetenzentwicklungen und erreichte Kompetenzniveaus einzuschätzen. Dies wird vor allem mithilfe von Kompetenz- und Beurteilungsrastern versucht. Im Moment beherrschen Fragen der Kompetenzbeurteilung die Diskussion über Leistungsbeurteilung (vgl. von Saldern 2011). Das Konzept der Kompetenzen und ihrer Erfassung wurde zwar zunächst ausgearbeitet, um Schulleistungstests für das staatliche Bildungsmonitoring zu entwickeln (vgl. Weinert 2001; Klieme u. a. 2003), Kompetenzbeschreibungen sollen inzwischen aber auch als Bezugspunkte für die schulische Leistungsbeurteilung dienen. Sie sollen nicht zuletzt dabei helfen, allgemeinen Leistungsstandards Geltung zu verschaffen. Seit Langem ist bekannt, dass in den Klassenzimmern sehr unterschiedliche Leistungsstandards existieren oder explizit gar nicht vorhanden sind, weil mit traditionellen Verfahren nur die relative Leistungshöhe der Schülerarbeiten erfasst wird, wobei diese gegeneinander – mittels Noten – eingestuft werden. Dabei treten notwendig starke Referenzgruppeneffekte auf (vgl. Ingenkamp 1971; Kronig 2007).
2 Kompetenzdiagnostik anhand von Portfolios?
Im Zusammenhang mit der Einführung von Kompetenzbeschreibungen als Bezugspunkte für die Leistungsbeurteilung erhalten auch Portfolios neue Aufmerksamkeit. Das hängt vor allem damit zusammen, dass viele Kompetenzen nicht im Rahmen kurzer Tests (mit Papier und Bleistift) oder kleiner Einzelaufgaben erfasst werden können. Man denke etwa an Fähigkeiten, die erforderlich sind, um selbstständig eine Recherche durchzuführen und ein fachliches Thema zu erarbeiten. Dazu braucht es komplexe Aufgaben, an denen die Schülerinnen und Schüler länger arbeiten und bei deren Bearbeitung sie beobachtet werden können oder sich selbst beobachten und ihr Handeln reflektieren. In diesen Kontexten können dann unter anderem motivationale Seiten einer Kompetenz sichtbar werden, die definitionsgemäß auch zu den Kompetenzen gehören (vgl. Weinert 2001, S. 27 f.). Zum Beispiel, wenn eigene Fragen entwickelt und eigene Interessen im Rahmen einer Arbeit verfolgt werden. Aber auch Methodenkompetenzen (wie etwa die Auswertung von Literatur) oder bestimmte Fertigkeiten und Fähigkeiten (wie etwa das Vortragen vor einem Publikum) sind im Kontext der Kompetenzdiagnostik von Interesse, lassen sich aber nicht durch Tests ermitteln. Generell sind sogenannte Performanzen, das heißt Fähigkeiten, die man im Vollzug beobachten muss, nicht durch Papier- und Bleistifttests zu erfassen. Im Rahmen von Portfolioarbeit gibt es dagegen vielfältige Möglichkeiten, die genannten, sonst schwer zu erfassenden Kompetenzen in den Blick zu nehmen. Wobei ein weiterer Vorteil darin liegt, dass die Schülerinnen und Schüler sowieso angehalten sind, ihre Arbeitsvorgänge und Arbeitsprodukte zu sammeln, zu reflektieren und zu dokumentieren. Allgemein sind es also folgende Fähigkeiten, die bei der Portfolioarbeit eher erfasst werden können und in Portfolios dokumentierbar sind:
•Fähigkeiten zum selbstständigen Lernen und zur Planung längerfristiger Arbeits- und Lernprozesse;
•Fähigkeiten des kooperativen und projektartigen Lernens und Arbeitens;
•die Fähigkeit, komplexe fachliche Produkte zu erstellen.
Blickt man in den Lehrplan 21, so sind insbesondere folgende Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen zu nennen, bei denen sich eine Erfassung im Rahmen von Portfolioarbeit anbietet:
•betrachten und beobachten,
•erkunden und explorieren,
•recherchieren,
•experimentieren,
•dokumentieren und darstellen,
•das eigene Vorgehen reflektieren,
•überarbeiten,
•austauschen, entwickeln und gestalten,
•umsetzen und anwenden,
•sich engagieren (z. B. auch außerschulisch).
Die besondere Indikation der Portfolioarbeit zur Kompetenzdiagnose und zum Nachweis von Kompetenzen hängt also vor allem damit zusammen, dass in ihrem Kontext andere Aufgaben gestellt werden können als in Klassenarbeiten oder Tests – Aufgaben, die über einen längeren Zeitraum bearbeitet werden und authentisch sind. Authentisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Schülerinnen und Schüler anspruchsvolle Aufgaben erhalten und an ihnen geprüft werden; solche, die interessengeleitetes fachliches Handeln von ihnen verlangen, wie es auch außerhalb der Schule vorkommt; Aufgaben, die Urteilsfähigkeit sowie Innovation von ihnen fordern. Zudem sollen die Lernenden anschließend Gelegenheit erhalten, ihre Arbeiten zu präsentieren und auf der Grundlage von Feedback Verbesserungen daran vorzunehmen (vgl. Wiggins 1998, S. 22 ff.).
So gesehen könnte man erwarten, dass Portfolioarbeit im Kontext der Umstellung der Bildungsziele auf Kompetenzbeschreibungen einen großen Aufschwung erlebt. Das ist aber bislang nicht festzustellen und mag damit zusammenhängen, dass die Portfolioarbeit an Schulen noch nicht sehr verbreitet ist, und auch damit, dass die Fragen der Beurteilung von Kompetenzen allgemein noch sehr in den Kinderschuhen stecken (vgl. Winter 2015, S. 38 ff.).
Im Folgenden soll nun zunächst aufgezeigt werden, wie Kompetenzdiagnostik im Rahmen von Portfolioarbeit und anhand von Portfolios angelegt werden kann. Danach wird theoretisch vertieft dargelegt, wie Kompetenzen überhaupt in der Schule überprüft und beurteilt werden können, welche Schwierigkeiten, Möglichkeiten und welche Vorstellungen es gibt.