Читать книгу: «Franz Kafka: Sämtliche Werke», страница 38

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„Statt das Parfum zu suchen, kämpfen sie“, sagte Brunelda. „Ich werde krank von dieser Wirtschaft, Delamarche, und werde ganz gewiß in Deinen Armen sterben. Ich muß das Parfüm haben“, rief sie dann sich aufraffend, „ich muß es unbedingt haben. Ich gehe nicht früher aus der Wanne ehe man es mir bringt und müßte ich hier bis Abend bleiben.“ Und sie schlug mit der Faust ins Wasser, man hörte es aufspritzen.

Aber auch in der Schublade des Eßtisches war das Parfüm nicht, zwar waren dort ausschließlich Toilettengegenstände Bruneldas wie alte Puderquasten, Schminktöpfchen, Haarbürsten, Löckchen und viele verfitzte und zusammengeklebte Kleinigkeiten, aber das Parfum war dort nicht. Und auch Robinson, der noch immer schreiend in einer Ecke von etwa hundert dort aufgehäuften Schachteln und Kassetten, eine nach der andern öffnete und durchkramte, wobei immer die Hälfte des Inhalts, meist Nähzeug und Briefschaften, auf den Boden fiel und dort liegen blieb, konnte nichts finden, wie er zeitweise Karl durch Kopfschütteln und Achselzucken anzeigte.

Da sprang Delamarche in Unterkleidung aus dem Waschraum hervor, während man Brunelda krampfhaft weinen hörte. Karl und Robinson ließen vom Suchen ab und sahen den Delamarche an, der ganz und gar durchnäßt, auch vom Gesicht und von den Haaren rann ihm das Wasser, ausrief: „Jetzt also fangt gefälligst zu suchen an.“ „Hier!“ befahl er zuerst Karl zu suchen und dann „dort!“ dem Robinson. Karl suchte wirklich und überprüfte auch noch die Plätze, zu denen Robinson schon kommandiert worden war, aber er fand ebensowenig das Parfum, wie Robinson, der eifriger, als er suchte, seitlich nach Delamarche ausschaute, der soweit der Raum reichte stampfend im Zimmer auf- und abgieng und gewiß am liebsten sowohl Karl wie Robinson durchgeprügelt hätte.

„Delamarche“, rief Brunelda, „komm mich doch wenigstens abtrocknen. Die zwei finden ja das Parfum doch nicht und bringen nur alles in Unordnung. Sie sollen sofort mit dem Suchen aufhören. Aber gleich! Und alles aus der Hand legen! Und nichts mehr anrühren! Sie möchten wohl aus der Wohnung einen Stall machen. Nimm sie beim Kragen Delamarche, wenn sie nicht aufhören! Aber sie arbeiten ja noch immer, gerade ist eine Schachtel gefallen. Sie sollen sie nicht mehr aufheben, alles liegen lassen und aus dem Zimmer heraus! Riegel hinter ihnen die Tür zu und komm zu mir. Ich liege ja schon viel zu lange im Wasser, die Beine habe ich schon ganz kalt.“

„Gleich Brunelda gleich“, rief Delamarche und eilte mit Karl und Robinson zur Tür. Ehe er sie aber entließ, gab er ihnen den Auftrag das Frühstück zu holen und womöglich von jemandem ein gutes Parfüm für Brunelda auszuborgen.

„Das ist eine Unordnung und ein Schmutz bei Euch“, sagte Karl draußen auf dem Gang, „gleich wie wir mit dem Frühstück zurückkommen, müssen wir zu ordnen anfangen.“

„Wenn ich nur nicht so leidend wäre“, sagte Robinson. „Und diese Behandlung!“ Gewiß kränkte sich Robinson darüber, daß Brunelda zwischen ihm, der sie doch schon monatelang bediente und Karl, der erst gestern eingetreten war, nicht den geringsten Unterschied machte. Aber er verdiente es nicht besser und Karl sagte: „Du mußt Dich ein wenig zusammennehmen.“ Um ihn aber nicht gänzlich seiner Verzweiflung zu überlassen, fügte er hinzu: „Es wird ja nur eine einmalige Arbeit sein. Ich werde Dir hinter den Kästen ein Lager machen, und wenn nur einmal alles ein wenig geordnet ist, wirst Du dort den ganzen Tag liegen können, Dich um gar nichts kümmern müssen und sehr bald gesund werden.“

„Jetzt siehst Du es also selbst ein wie es mit mir steht“, sagte Robinson und wandte das Gesicht von Karl ab, um mit sich und seinem Leid allein zu sein. „Aber werden sie mich denn jemals ruhig liegen lassen?“

„Wenn Du willst, werde ich darüber selbst mit Delamarche und Brunelda reden.“

„Nimmt denn Brunelda irgend eine Rücksicht?“ rief Robinson aus und stieß, ohne daß er Karl darauf vorbereitet hätte, mit der Faust eine Tür auf, zu der sie eben gekommen waren.

Sie traten in eine Küche ein, von deren Herd, der reparaturbedürftig schien, geradezu schwarze Wölkchen aufstiegen. Vor der Herdtüre kniete eine der Frauen, die Karl gestern auf dem Korridor gesehen hatte und legte mit den bloßen Händen große Kohlenstücke in das Feuer, das sie nach allen Richtungen hin prüfte. Dabei seufzte sie in ihrer für eine alte Frau unbequemen knieenden Stellung.

„Natürlich, da kommt auch noch diese Plage“, sagte sie beim Anblick Robinsons, erhob sich mühselig, die Hand auf der Kohlenkiste, und schloß die Herdtüre, deren Griff sie mit ihrer Schürze umwickelt hatte. „Jetzt um vier Uhr nachmittags“ – Karl staunte die Küchenuhr an – „müßt ihr noch frühstücken? Bande!“

„Setzt Euch“, sagte sie dann, „und wartet bis ich für Euch Zeit habe.“

Robinson zog Karl auf ein Bänkchen in der Nähe der Türe nieder und flüsterte ihm zu: „Wir müssen ihr folgen. Wir sind nämlich von ihr abhängig. Wir haben unser Zimmer von ihr gemietet und sie kann uns natürlich jeden Augenblick kündigen. Aber wir können doch nicht die Wohnung wechseln, wie sollen wir denn wieder alle die Sachen wegschaffen und vor allem ist doch Brunelda nicht transportabel.“

„Und hier auf dem Gang ist kein anderes Zimmer zu bekommen?“ fragte Karl.

„Es nimmt uns ja niemand auf“, antwortete Robinson, „im ganzen Haus nimmt uns niemand auf.“

So saßen sie still auf ihrem Bänkchen und warteten. Die Frau lief immerfort zwischen zwei Tischen, einem Waschbottich und dem Herd hin und her. Aus ihren Ausrufen erfuhr man, daß ihre Tochter unwohl war und sie deshalb alle Arbeit, nämlich die Bedienung und Verpflegung von dreißig Mietern allein besorgen mußte. Nun war noch überdies der Ofen schadhaft, das Essen wollte nicht fertig werden, in zwei riesigen Töpfen wurde eine dicke Suppe gekocht und wie oft die Frau auch sie mit Schöpflöffeln untersuchte und aus der Höhe herabfließen ließ, die Suppe wollte nicht gelingen, es mußte wohl das schlechte Feuer daran schuld sein und so setzte sie sich vor der Herdtüre fast auf den Boden und arbeitete mit dem Schürhaken in der glühenden Kohle herum. Der Rauch von dem die Küche erfüllt war, reizte sie zum Husten der sich manchmal so verstärkte, daß sie nach einem Stuhl griff und minutenlang nichts anderes tat als hustete. Öfters machte sie die Bemerkung, daß sie das Frühstück heute überhaupt nicht mehr liefern werde, weil sie dazu weder Zeit noch Lust habe. Da Karl und Robinson einerseits den Befehl hatten, das Frühstück zu holen, andererseits aber keine Möglichkeit es zu erzwingen, antworteten sie auf solche Bemerkungen nicht, sondern blieben still sitzen wie zuvor.

Ringsherum auf Sesseln und Fußbänkchen, auf und unter den Tischen, ja selbst auf der Erde in einen Winkel zusammengedrängt stand noch das ungewaschene Frühstücksgeschirr der Mieter. Da waren Kännchen in denen sich noch ein wenig Kaffee oder Milch vorfinden würde, auf manchen Tellerchen gab es noch Überbleibsel von Butter, aus einer umgefallenen großen Blechbüchse war Cakes weit herausgerollt. Es war schon möglich aus dem allen ein Frühstück zusammenzustellen, an dem Brunelda, wenn sie seinen Ursprung nicht erfuhr, nicht das geringste hätte aussetzen können. Als Karl das bedachte und ein Blick auf die Uhr ihm zeigte, daß sie nun schon eine halbe Stunde hier warteten und Brunelda vielleicht wütete und Delamarche gegen die Dienerschaft aufhetzte, rief gerade die Frau aus einem Husten heraus – während dessen sie Karl anstarrte –: „Ihr könnt hier schon sitzen, aber das Frühstück bekommt ihr nicht. Dagegen bekommt ihr in zwei Stunden das Nachtmahl.“

„Komm Robinson“, sagte Karl, „wir werden uns das Frühstück selbst zusammenstellen.“ „Wie?“ rief die Frau mit geneigtem Kopf. „Seien Sie doch bitte vernünftig“, sagte Karl, „warum wollen Sie uns denn das Frühstück nicht geben? Nun warten wir schon eine halbe Stunde, das ist lang genug. Man bezahlt Ihnen doch alles und gewiß zahlen wir bessere Preise als alle andern. Daß wir so spät frühstücken ist gewiß für Sie lästig, aber wir sind Ihre Mieter, haben die Gewohnheit spät zu frühstücken und Sie müssen sich eben auch ein wenig für uns einrichten. Heute wird es Ihnen natürlich wegen der Krankheit Ihres Fräulein Tochter besonders schwer, aber dafür sind wir wieder bereit uns das Frühstück hier aus den Überbleibseln zusammenzustellen, wenn es nicht anders geht und Sie uns kein frisches Essen geben.“

Aber die Frau wollte sich mit niemanden in eine freundschaftliche Aussprache einlassen, für diese Mieter schienen ihr auch noch die Überbleibsel des allgemeinen Frühstücks zu gut; aber andererseits hatte sie die Zudringlichkeit der zwei Diener schon satt, packte deshalb eine Tasse und stieß sie Robinson gegen den Leib, der erst nach einem Weilchen mit wehleidigem Gesicht begriff, daß er die Tasse halten sollte, um das Essen, das die Frau aussuchen wollte in Empfang zu nehmen. Sie belud nun die Tasse in größter Eile zwar mit einer Menge von Dingen, aber das Ganze sah eher wie ein Haufen schmutzigen Geschirrs, nicht wie ein eben zu servierendes Frühstück aus. Noch während die Frau sie hinausdrängte und sie gebückt als fürchteten sie Schimpfwörter oder Stöße zur Türe eilten, nahm Karl die Tasse Robinson aus den Händen, denn bei Robinson schien sie ihm nicht genug sicher.

Auf dem Gang setzte sich Karl, nachdem sie weit genug von der Tür der Vermieterin waren, mit der Tasse auf den Boden, um vor allem die Tasse zu reinigen, die zusammengehörigen Dinge zu sammeln, also die Milch zusammenzugießen, die verschiedenen Butterüberbleibsel auf einen Teller zu kratzen, dann alle Anzeichen des Gebrauches zu beseitigen, also die Messer und Löffel zu reinigen, die angebissenen Brötchen geradezuschneiden und so dem ganzen ein besseres Ansehen zu geben. Robinson hielt diese Arbeit für unnötig und behauptete, das Frühstück hätte schon oft noch viel ärger ausgesehn, aber Karl ließ sich durch ihn nicht abhalten und war noch froh, daß sich Robinson mit seinen schmutzigen Fingern an der Arbeit nicht beteiligen wollte. Um ihn in Ruhe zu halten, hatte ihm Karl gleich, allerdings ein für alle mal, wie er ihm dabei sagte, einige Cakes und den dicken Bodensatz eines früher mit Chokolade gefüllten Töpfchens zugewiesen.

Als sie vor ihre Wohnung kamen und Robinson ohne weiters die Hand an die Klinke legte, hielt ihn Karl zurück, da es doch nicht sicher war, ob sie eintreten durften. „Aber ja“, sagte Robinson, „jetzt frisiert er sie ja nur.“ Und tatsächlich saß in dem noch immer ungelüfteten und verhängten Zimmer Brunelda mit weit auseinandergestellten Beinen im Lehnstuhl und Delamarche, der hinter ihr stand, kämmte mit tief herabgebeugtem Gesicht ihr kurzes wahrscheinlich sehr verfitztes Haar. Brunelda trug wieder ein ganz loses Kleid, diesmal aber von blaßrosa Farbe, es war vielleicht ein wenig kürzer als das gestrige, wenigstens sah man die weißen grob gestrickten Strümpfe fast bis zum Knie. Ungeduldig über die lange Dauer des Kämmens, fuhr Brunelda mit der dicken roten Zunge zwischen den Lippen hin und her, manchmal riß sie sich sogar mit dem Ausruf „Aber Delamarche!“ gänzlich von Delamarche los, der mit erhobenem Kamm ruhig wartete, bis sie den Kopf wieder zurücklegte.

„Es hat lange gedauert“, sagte Brunelda im allgemeinen und zu Karl insbesondere sagte sie: „Du mußt ein wenig flinker sein, wenn Du willst, daß man mit Dir zufrieden ist. An dem faulen und gefräßigen Robinson darfst Du Dir kein Beispiel nehmen. Ihr habt wohl schon inzwischen irgendwo gefrühstückt, ich sage Euch, nächstens dulde ich das nicht.“

Das war sehr ungerecht und Robinson schüttelte auch den Kopf und bewegte, allerdings lautlos, die Lippen, Karl jedoch sah ein, daß man auf die Herrschaft nur dadurch einwirken könne, daß man ihr zweifellose Arbeit zeige. Er zog daher ein niedriges japanisches Tischchen aus einem Winkel, überdeckte es mit einem Tuch und stellte die mitgebrachten Sachen auf. Wer den Ursprung des Frühstücks gesehen hatte, konnte mit dem Ganzen zufrieden sein, sonst aber war, wie sich Karl sagen mußte, manches daran auszusetzen.

Glücklicherweise hatte Brunelda Hunger. Wohlgefällig nickte sie Karl zu, während er alles vorbereitete und öfters hinderte sie ihn, indem sie vorzeitig mit ihrer weichen fetten womöglich gleich alles zerdrückenden Hand irgendeinen Bissen für sich hervorholte. „Er hat es gut gemacht“, sagte sie schmatzend und zog Delamarche, der den Kamm in ihrem Haar für die spätere Arbeit stecken ließ, neben sich auf einen Sessel nieder. Auch Delamarche wurde im Anblick des Essens freundlich, beide waren sehr hungrig, ihre Hände eilten kreuz und quer über das Tischchen. Karl erkannte, daß man hier um zu befriedigen nur immer möglichst viel bringen mußte und in Erinnerung daran, daß er in der Küche noch verschiedene brauchbare Eßware auf dem Boden liegen gelassen hatte, sagte er: „Zum erstenmal habe ich nicht gewußt, wie alles eingerichtet werden soll, nächstes Mal werde ich es besser machen.“ Aber noch während des Redens erinnerte er sich, zu wem er sprach, er war zusehr von der Sache selbst befangen gewesen. Brunelda nickte Delamarche befriedigt zu und reichte Karl zum Lohn eine Handvoll Keks.

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Fragmente
[1]
Ausreise Bruneldas

Eines Morgens schob Karl den Krankenwagen, in dem Brunelda saß, aus dem Haustor. Es war nicht mehr so früh, wie er gehofft hatte. Sie waren übereingekommen, die Auswanderung noch in der Nacht zu bewerkstelligen, um in den Gassen kein Aufsehen zu erregen, das bei Tag unvermeidlich gewesen wäre, so bescheiden auch Brunelda mit einem großen grauen Tuch sich bedecken wollte. Aber der Transport über die Treppe hatte zu lange gedauert, trotz der bereitwilligsten Mithilfe des Studenten, der viel schwächer als Karl war, wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte. Brunelda hielt sich sehr tapfer, seufzte kaum und suchte ihren Trägern die Arbeit auf alle Weise zu erleichtern. Aber es gieng doch nicht anders, als daß man sie auf jeder fünften Treppenstufe niedersetzte, um sich selbst und ihr die Zeit zum notwendigsten Ausruhen zu gönnen. Es war ein kühler Morgen, auf den Gängen wehte kalte Luft wie in Kellern, aber Karl und der Student waren ganz in Schweiß und mußten während der Ruhepausen jeder ein Zipfel von Bruneldas Tuch, das sie ihnen übrigens freundlich reichte, nehmen, um das Gesicht zu trocknen. So kam es, daß sie erst nach zwei Stunden unten anlangten, wo schon vom Abend her das Wägelchen stand. Das Hineinheben Bruneldas gab noch eine gewisse Arbeit, dann aber durfte man das Ganze für gelungen ansehn, denn das Schieben des Wagens mußte dank den hohen Rädern nicht schwer sein und es blieb nur die Befürchtung, daß der Wagen unter Brunelda aus den Fugen gehen würde. Diese Gefahr mußte man allerdings auf sich nehmen, man konnte nicht einen Ersatzwagen mitführen, zu dessen Bereitstellung und Führung der Student halb im Scherz sich angeboten hatte. Es erfolgte nun die Verabschiedung vom Studenten, die sogar sehr herzlich war. Alle Nichtübereinstimmung zwischen Brunelda und dem Studenten schien vergessen, er entschuldigte sich sogar wegen der alten Beleidigung Bruneldas die er sich bei ihrer Krankheit hatte zu schulden kommen lassen, aber Brunelda sagte, alles sei längst vergessen und mehr als gutgemacht. Schließlich bat sie den Studenten, er möge zum Andenken an sie einen Dollar freundlichst annehmen, den sie mühselig aus ihren vielen Röcken hervorsuchte. Dieses Geschenk war bei Bruneldas bekanntem Geiz sehr bedeutungsvoll, der Student hatte auch wirklich große Freude davon und warf vor Freude die Münze hoch in die Luft. Dann allerdings mußte er sie auf dem Boden suchen und Karl mußte ihm helfen, schließlich fand sie auch Karl unter dem Wagen Bruneldas. Der Abschied zwischen dem Studenten und Karl war natürlich viel einfacher, sie reichten einander nur die Hand und sprachen die Überzeugung aus, daß sie einander wohl noch einmal sehen würden und daß dann wenigstens einer von ihnen – der Student behauptete es von Karl, Karl vom Studenten – etwas Rühmenswertes erreicht haben würde, was bisher leider nicht der Fall war. Dann faßte Karl mit gutem Mut den Griff des Wagens und schob ihn aus dem Tor. Der Student sah ihnen solange nach, als sie noch zu sehen waren und winkte mit einem Tuch. Karl nickte oft grüßend zurück, auch Brunelda hätte sich gerne umgewendet, aber solche Bewegungen waren für sie zu anstrengend. Um ihr doch noch einen letzten Abschied zu ermöglichen, führte Karl am Ende der Straße den Wagen in einem Kreis herum, so daß auch Brunelda den Studenten sehen konnte, der diese Gelegenheit ausnützte, um mit dem Tuch besonders eifrig zu winken.

Dann aber sagte Karl, jetzt dürften sie sich keinen Aufenthalt mehr gönnen, der Weg sei lang und sie seien viel später ausgefahren, als es beabsichtigt war. Tatsächlich sah man schon hie und da Fuhrwerke und, wenn auch sehr vereinzelt Leute, die zur Arbeit giengen. Karl hatte mit seiner Bemerkung nichts weiter sagen wollen, als was er wirklich gesagt hatte, Brunelda aber faßte es in ihrem Zartgefühl anders auf und bedeckte sich ganz und gar mit ihrem grauen Tuch. Karl wendete nichts dagegen ein; der mit einem grauen Tuch bedeckte Handwagen war zwar sehr auffällig, aber unvergleichlich weniger auffällig als die unbedeckte Brunelda gewesen wäre. Er fuhr sehr vorsichtig; ehe er um eine Ecke bog, beobachtete er die nächste Straße, ließ sogar wenn es nötig schien, den Wagen stehn und gieng allein paar Schritte voraus, sah er irgend eine vielleicht unangenehme Begegnung voraus, so wartete er, bis sie sich vermeiden ließ oder wählte sogar den Weg durch eine ganz andere Straße. Selbst dann kam er, da er alle möglichen Wege vorher genau studiert hatte, niemals in die Gefahr einen bedeutenden Umweg zu machen. Allerdings erschienen Hindernisse, die zwar zu befürchten gewesen waren, sich aber im einzelnen nicht hatten vorhersehn lassen. So trat plötzlich in einer Straße, die leicht ansteigend, weit zu überblicken und erfreulicherweise vollständig leer war, ein Vorteil, den Karl durch besondere Eile auszunützen suchte, aus dem dunklen Winkel eines Haustors ein Polizeimann und fragte Karl, was er denn in dem so sorgfältig verdeckten Wagen führe. So streng er aber Karl angesehen hatte, so mußte er doch lächeln, als er die Decke lüftete und das erhitzte ängstliche Gesicht Bruneldas erblickte. „Wie?“ sagte er. „Ich dachte Du hättest hier zehn Kartoffelsäcke und jetzt ist es ein einziges Frauenzimmer? Wohin fahrt Ihr denn? Wer seid Ihr?“ Brunelda wagte gar nicht den Polizeimann anzusehn, sondern blickte nur immer auf Karl mit dem deutlichen Zweifel, daß selbst er sie nicht werde erretten können. Karl hatte aber schon genug Erfahrungen mit Policisten, ihm schien das ganze nicht sehr gefährlich. „Zeigen Sie doch Fräulein“, sagte er, „das Schriftstück, das Sie bekommen haben.“ „Ach ja“, sagte Brunelda und begann in einer so hoffnungslosen Weise zu suchen, daß sie wirklich verdächtig erscheinen mußte. „Das Fräulein“, sagte der Polizeimann mit zweifelloser Ironie, „wird das Schriftstück nicht finden.“ „Oja“, sagte Karl ruhig, „sie hat es bestimmt, sie hat es nur verlegt.“ Er begann nun selbst zu suchen und zog es tatsächlich hinter Bruneldas Rücken hervor. Der Polizeimann sah es nur flüchtig an. „Das ist es also“, sagte der Polizeimann lächelnd, „so ein Fräulein ist das Fräulein? Und Sie, Kleiner, besorgen die Vermittlung und den Transport? Wissen Sie wirklich keine bessere Beschäftigung zu finden?“ Karl zuckte bloß die Achseln, das waren wieder die bekannten Einmischungen der Polizei. „Na, glückliche Reise“, sagte der Polizeimann, als er keine Antwort bekam. In den Worten des Polizeimanns lag wahrscheinlich Verachtung, dafür fuhr auch Karl ohne Gruß weiter, Verachtung der Polizei war besser als ihre Aufmerksamkeit.

Kurz darauf hatte er eine womöglich noch unangenehmere Begegnung. Es machte sich nämlich an ihn ein Mann heran, der einen Wagen mit großen Milchkannen vor sich herschob und äußerst gern erfahren hätte, was unter dem grauen Tuch auf Karls Wagen lag. Es war nicht anzunehmen, daß er den gleichen Weg wie Karl hatte, dennoch aber blieb er ihm zur Seite, so überraschende Wendungen Karl auch machte. Zuerst begnügte er sich mit Ausrufen, wie z. B. „Du mußt eine schwere Last haben“ oder „Du hast schlecht aufgeladen, oben wird etwas herausfallen.“ Später aber fragte er geradezu: „Was hast Du denn unter dem Tuch?“ Karl sagte: „Was kümmert’s Dich?“ Aber da das den Mann noch neugieriger machte, sagte Karl schließlich: „Es sind Äpfel.“ „So viel Äpfel“, sagte der Mann staunend und hörte nicht auf, diesen Ausruf zu wiederholen. „Das ist ja eine ganze Ernte“, sagte er dann. „Nun ja“, sagte Karl. Aber sei es daß er Karl nicht glaubte, sei es daß er ihn ärgern wollte, er gieng noch weiter, begann – alles während der Fahrt – die Hand wie zum Scherz nach dem Tuch auszustrecken und wagte es endlich sogar an dem Tuch zu zupfen. Was mußte Brunelda leiden! Aus Rücksicht auf sie wollte sich Karl in keinen Streit mit dem Mann einlassen und fuhr in das nächste offene Tor ein, als sei dies sein Ziel gewesen. „Hier bin ich zuhause“, sagte er, „Dank für die Begleitung.“ Der Mann blieb erstaunt vor dem Tor stehn und sah Karl nach, der ruhig darangieng wenn es sein mußte den ganzen ersten Hof zu durchqueren. Der Mann konnte nicht mehr zweifeln, aber um seiner Bosheit ein letztes Mal zu genügen, ließ er seinen Wagen stehn, lief Karl auf den Fußspitzen nach und riß so stark an dem Tuch, daß er Bruneldas Gesicht fast entblößt hätte. „Damit Deine Äpfel Luft bekommen“, sagte er und lief zurück. Auch das nahm Karl noch hin, da es ihn endgültig von dem Mann befreite. Er führte dann den Wagen in einen Hofwinkel, wo einige große leere Kisten standen in deren Schutz er unter dem Tuch Brunelda einige beruhigende Worte sagen wollte. Aber er mußte lange auf sie einreden, denn sie war ganz in Tränen und flehte ihn allen Ernstes an, hier hinter den Kisten den ganzen Tag zu bleiben und erst in der Nacht weiterzufahren. Vielleicht hätte er allein sie gar nicht davon überzeugen können, wie verfehlt das gewesen wäre, als aber jemand am andern Ende des Kistenhaufens eine leere Kiste unter ungeheuerem im leeren Hof wiederhallenden Lärm zu Boden warf, erschrak sie so, daß sie ohne ein Wort mehr zu wagen, das Tuch über sich zog und wahrscheinlich glückselig war, als Karl kurz entschlossen sofort zu fahren begann.

Die Straßen wurden jetzt zwar immer belebter, aber die Aufmerksamkeit, die der Wagen erregte, war nicht so groß wie Karl befürchtet hatte. Vielleicht wäre es überhaupt klüger gewesen, eine andere Zeit für den Transport zu wählen. Wenn eine solche Fahrt wieder nötig werden sollte, wollte sich Karl getrauen sie in der Mittagstunde auszuführen. Ohne schwerer belästigt worden zu sein, bog er endlich in die schmale dunkle Gasse ein, in der das Unternehmen Nr. 25 sich befand. Vor der Tür stand der schielende Verwalter mit der Uhr in der Hand. „Bist Du immer so unpünktlich?“ fragte er. „Es gab verschiedene Hindernisse“, sagte Karl. „Die gibt es bekanntlich immer“, sagte der Verwalter. „Hier im Haus gelten sie aber nicht. Merk Dir das!“ Auf solche Reden hörte Karl kaum mehr hin, jeder nützte seine Macht aus und beschimpfte den Niedrigen. War man einmal daran gewöhnt, klang es nicht anders als das regelmäßige Uhrenschlagen. Wohl aber erschreckte ihn, als er jetzt den Wagen in den Flur schob, der Schmutz, der hier herrschte und den er allerdings erwartet hatte. Es war, wenn man näher zusah, kein faßbarer Schmutz. Der Steinboden des Flurs war fast rein gekehrt, die Malerei der Wände nicht alt, die künstlichen Palmen nur wenig verstaubt, und doch war alles fettig und abstoßend, es war, als wäre von allem ein schlechter Gebrauch gemacht worden und als wäre keine Reinlichkeit mehr imstande, das wieder gut zu machen. Karl dachte gern, wenn er irgendwohin kam, darüber nach, was hier verbessert werden könne und welche Freude es sein müßte, sofort einzugreifen, ohne Rücksicht auf die vielleicht endlose Arbeit die es verursachen würde. Hier aber wußte er nicht, was zu tun wäre. Langsam nahm er das Tuch von Brunelda ab. „Willkommen Fräulein“, sagte der Verwalter geziert, es war kein Zweifel, daß Brunelda einen guten Eindruck auf ihn machte. Sobald Brunelda dies merkte, verstand sie das, wie Karl befriedigt sah, gleich auszunützen. Alle Angst der letzten Stunden verschwand. Sie

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9782380372786
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