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Читать книгу: «Mein letzter Flug», страница 3

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Der Jongleur im Kino oder Die Insel der Träume

Ich hatte ihn bis zu jenem Tage nicht gesehen, und ich weiß heute, daß ich ihn nie wieder sehen werde. Es hatte geklingelt; es war ein Uhr mittags, und es hatte geklingelt, wie es um diese Zeit immer zu klingeln pflegte. Ich wollte aus der Bibliothek, wo ich nach den mir streng verbotenen und vor mir auch ängstlich verwahrten anatomischen Büchern meines Vaters gestöbert hatte, zur Korridortür schlendern (früher war ich geeilt, aber nun, nach einem halben Jahr meines Amtes, schlenderte ich nur noch), da fiel mir ein, daß ich ja heute nicht öffnen durfte. Ich war allein in der Wohnung; Mutter war mit dem Dienstmädchen und der Sprechstundenhilfe ins nächste Dorf gegangen, wo es besonders saftige Birnen zu kaufen gab, und Vater war weit weg auf Hausvisiten und würde nicht vor drei Uhr wieder zu Hause sein. Pech gehabt, mein Guter da draußen, ich kann’s nicht ändern!

Ich wollte mich gerade wieder den Regalen zuwenden, da klingelte es abermals, und war das erste Klingeln kurz und zaghaft gewesen wie immer, klingelte es jetzt beharrlich laut. Das hatte ich noch nie erlebt. Bislang waren immer Minuten vergangen, ehe einer dieser Bettler um Essenreste, die sich jeden Mittag bei uns einzufinden pflegten, es wagte, ein zweites Mal zu klingeln, und wenn er es wagte, tippte er noch zaghafter als beim ersten Mal auf den Knopf. Plötzlich ärgerte mich das Verbot, jemandem zu öffnen, wenn ich allein war. Was sollte geschehen? Schließlich war ich zehn Jahre alt und würde nächsten Herbst aufs Gymnasium kommen!

Ich trat in den Korridor und sah vor der Mattglasfüllung der Treppentür schattenhaft eine schmale Gestalt. Wer mochte das sein? Plötzlich ärgerten mich alle diese Verbote: das Verbot, mit den Nachbarskindern zu spielen, weil ihre Eltern nur Fabrikarbeiter waren und noch dazu sonntags nie in die Kirche gingen; das Verbot, mich schmutzig zu machen und, wie alle anderen Kinder, die freilich geflickte Kleidung trugen, zur Schneeschmelze auf dem Hosenboden den Berghang hinunterzurutschen; das Verbot, den Leierkastenmann auf seinem Weg durchs langgestreckte Städtchen zu begleiten; das Verbot, die Bücher meines Vaters durchzublättern; das Verbot, mit dem einen, wie sehr man ihn auch mochte, zu sprechen und einem anderen, den man verabscheute, unfreundlich zu begegnen, und vor allem natürlich das Verbot, heute abend der Eröffnung des ersten Kinos der Stadt beizuwohnen, wo nach einer Festansprache meines Vaters, des Vorsitzenden des städtischen Bildungsvereins, der Film »Die Insel der Träume« gezeigt werden würde. Die Insel der Träume – und ich, der ich Träume wie Märchen liebte, dermaßen, daß sie mich auch tags überfielen, ich sollte sie nicht betreten dürfen? Und ich sollte nicht einmal öffnen dürfen, wenn es klingelte und ich allein war? Zum Teufel, ich durfte, ich war ja schließlich zehn Jahre alt und würde nächsten Herbst aufs Gymnasium gehen.

Plötzlich – es geschah dies alles in Sekundenschnelle –, plötzlich haßte ich auch mein Amt, den klingelnden Bettlern die Korridortür zu öffnen, sie auf der Treppenstufe Platz nehmen zu heißen und ihnen nach meinem Ermessen einen Teller mit Suppe oder eine Portion Kartoffelbrei oder Knödelscheiben mit etwas Soße oder sonstige Überbleibsel des Mittagessens auf die Knie zu stellen und ihnen, die sofort hungrig zu schlürfen und schlingen begannen, einen guten Appetit zu wünschen. Es war dies mein Amt seit einem halben Jahr, und mein Vater hatte es mir, dem faulen Schüler, übertragen, damit ich mit eigenen Augen sähe, auf welcher Stufe, wörtlich genommen (und diese hier war die achtzehnte Stufe vom Hausflur unten zum Korridor oben, und sie war, wie die ganze Treppe, mit einem braungelben, liliengemusterten, schon ziemlich abgewetzten Stoff überspannt) – auf welcher Stufe also Menschen landeten, die nichts Ordentliches gelernt hatten und darum im Leben nichts taugen konnten. Anfangs hatte ich dies Amt geliebt und voll Eifer versehen. Nun haßte ich es.

Es hatte das dritte Mal geklingelt, und nun eilte ich zur Tür, und da ich hineilte, wünschte ich, daß nun ein Abenteuer ohnegleichen geschehe, daß ein orientalisches Märchen in meinen eintönigen, von Ver- und Geboten der Standesgemäßheit wie von unübersteigbaren Mauern umzirkten engen Alltag breche und Harun al Raschid vor der Tür stehe oder Ali Baba mit dem Schlüssel zum Sesam oder gar Sindbad der Seefahrer, um mit mir nach der Insel der Träume zu segeln – warum denn nicht, es konnte doch möglich sein? Ich packte die Klinke, da fiel mir ein, daß mein Vater mir oftmals warnend gesagt hatte, es gebe böse Menschen, die sich an Kindern vergingen, doch ich hatte mir nie etwas darunter vorstellen können. Was sollte das heißen: sich an Kindern vergehen? Plötzlich wünschte ich einen Augenblick lang, ein Mörder trete über die Schwelle. Ich dürstete nach dem Abenteuer. Ich würde ihn schon bändigen. Ich war ja zehn Jahre alt und würde nächsten Herbst aufs Gymnasium kommen.

Da ich die Tür aufriß, sah ich, zunächst maßlos enttäuscht, daß er fast genauso aussah wie alle Männer, die bei uns mittags zu klingeln pflegten: schlecht rasiert, aber sauber gewaschen (oh, das erkannte ich nun auf den ersten Blick), in einem Anzug steckend, der sich bemühte, korrekt auszusehen, obwohl er an den Ärmeln, am Knie, an den Rocktaschen und sicher auch am Gesäß gestopft war, den Kopf gebeugt, die Augen auf die schmutziggrauen, an der Spitze aufgespaltenen Schuhe gerichtet und aus dieser Gebärde der Demut schamvoll leise die Worte stammelnd: »Ich wollte nur fragen, ob vielleicht Reste vom Mittagessen übriggeblieben sind, junger Herr?« – Der da vor mir stand, war unrasiert, aber sauber gewaschen; sein Anzug war an den Ärmeln, am Knie, an den Rocktaschen und sicher auch am Gesäß gestopft; seine schmutziggrauen Schuhe waren an der Spitze bleckend gespalten, aber sein Kopf war nicht gesenkt, und statt auf seine bleckenden Schuhspitzen sah er mir gerade ins Auge, und das verwirrte mich.

Ich trat einen Schritt zurück.

»Ich möchte bitt schön Ihren Herrn Vater sprechen, junger Herr«, sagte er zu mir und setzte, was kein anderer gewagt hätte, den Fuß auf die Schwelle.

»Da müssen Sie schon in die Sprechstunde gehen«, erwiderte ich, »die Praxis ist im Erdgeschoß, und die Sprechstunde beginnt um drei, aber heute kommen nur Vorbestellte dran!«

»Ich muß Ihren gnädigen Herrn Vater privat sprechen, junger Herr«, sagte der Mann und trat in den Korridor.

Nun erschrak ich doch.

»Vater ist vor drei Uhr nicht zurück«, sagte ich und fühlte sofort, daß es eine entsetzliche Dummheit gewesen war, was ich da gesagt hatte. Plötzlich hatte ich Angst wie noch nie zuvor; es war die Angst des verirrten Knaben im Wald, da der Wolf erscheint und der Jäger fern ist. Der Mann schloß hinter sich die Tür; ihre Angeln knirschten leise, da er sie zuzog, und dieses Knirschen zersägte meinen Magen und meine Milz. Mir wurde übel. Das Schloß schnappte ein, so schnappt das Schloß in der Kammer des Menschenfressers. Wir waren allein: er und ich und ringsum taube Wände. Plötzlich verstand ich das Verbot, einem Fremden zu öffnen, wenn außer mir niemand mit im Hause war. Der Mann kam auf mich zu – was fletschst du so die Zähne, Mann; was hast du für große Augen, Mann, was hast du für Krallen an den Händen, Mann –, und der Mann kam auf mich zu; ich wich zurück, und der Mann kam mir nach und stand schon vor der Tür des einzigen Zimmers, von dem aus ich auf die Straße um Hilfe hätte rufen können und an dem ich Blödling vorbeigelaufen war. Alle anderen Fenster, die mir nun noch erreichbar waren, führten auf den Hof oder in den Garten, und die lagen ein Stockwerk tief, und dort war kein Mensch. Plötzlich spürte ich, was ich noch nie gespürt hatte: das Tosen meines Herzens. Ich wich, mit den Sohlen den Boden schleifend, zur Küchentür am Ende des Korridors zurück. Der Mann folgte mir. Der Korridor war mit einem Mal so kurz wie mein Atem.

Wuchs denn noch immer kein diamantener Wall zwischen ihm und mir? Kam mir denn immer noch kein Cherub mit flammendem Schwert zu Hilfe? Von der Magengrube drang schmerzhaft etwas Sperriges und Schweres die Kehle höher und höher und begann würgend meinen Schlund zu füllen.

Ich schluckte und keuchte.

»Ich kann Ihnen Schweinebraten mit Kraut und Knödel geben«, stammelte ich heiser, »ein tüchtiges Stück Braten, es bleibt uns übrig, wir hatten Gäste erwartet«, und da ich dies sagte, begriff etwas Fremdes in mir sofort meine dritte Blödigkeit. In den nächsten Minuten müßten die Gäste kommen und ich hörte sie schon auf der Treppe, das hätte ich sagen sollen, sagte das Fremde in mir mit schepperndem Lachen, aber ich hatte das Gegenteil gesagt, und der Mann kam, ohne zu antworten, unaufhaltsam näher und sah mir starr ins Gesicht.

Er war der Mörder, und er kam auf mich zu. Die Korridortür war unerreichbar. Die einzige Tür zu einem Fenster, aus dem ich um Hilfe auf die Straße hätte rufen können, lag im Rücken des Mannes. Es gab nur noch eines: die Küchentür aufreißen, mit einem Satz in die Küche mich flüchten, hinter mir zuschließen, durchs Küchenfenster in den Hof hinunterspringen und, wenn die Knochen heil geblieben waren, von dort aus auf die Straße fliehen. Ja, das war die Rettung, und ich sah gehetzt nach der Küchentür, da sah ich mit Entsetzen, daß der Schlüssel von außen stak und daß, ehe ich ihn würde herausziehen können, die Hand des Mörders mich unfehlbar ereilen müsse. Denn daß er ein Mörder war, wußte ich jetzt, und jetzt, da es zu spät war, begriff ich, Epiphanie der rasenden Angst, mit einem Male auch alle Verbote. Zu spät, zu spät … Meine Haut wurde naß, mein Denken zerschmolz. Einen Tritt, dachte ich noch, denn ich kannte bereits die Stelle, dahin ein Tritt lähmend war, aber da berührte der Mörder mit seinem Leib schon fast meine Brust, und ich konnte den Fuß nicht mehr heben, den Tritt zu tun, und da ich den letzten Schritt zurückwich, spürte ich im Rücken den kalten, runden Stahl eines Pistolenlaufs: Der Komplize stand also bereits auf der Küchenschwelle! Meine Knie wankten; ich begann nach hinten zusammenzusacken, doch da schlug ich mit den Schulterblättern auf Holz und wußte noch vorm Zusammenbrechen, daß es der Küchenschlüssel gewesen war, der sich mir in den Rücken gebohrt hatte, und meine flatternden Hände versuchten, ihn doch noch, ohne daß ich mich umdrehte, zu fassen, da aber legte mir der Mann schon seine mörderische Rechte auf die Schulter, und da wurde meine Unterhose schmutzig, und da wollte ich noch einmal alle Kraft zusammenraffen, den Mann fortzustoßen, und hatte doch nicht mehr die Kraft zu atmen, und da dachte ich, daß ich auf die Knie fallen und den Mörder um mein junges Leben bitten müsse, doch da war der Korridor schon ganz schwarz, und da sah ich schon den Mörder nicht mehr und sah gar nichts mehr und hörte mein Herz und hörte ein Dröhnen, und der Korridor dröhnte, und da er dröhnte, verschwamm die Finsternis und wurde grau, und da lag der Mörder vor mir auf den Knien.

Dies alles war in der Zeit dreier Atemzüge geschehen, doch mir war es die Ewigkeit gewesen, die Ewigkeit eines erstickenden, von vergeblichen Hoffnungen durchflackerten Hindämmerns zwischen Angst und Tod, und diese Ewigkeit dauerte noch an, da ich den Mörder vor meinen Füßen liegen sah, undeutlich noch, ein gestaltloser Hügel, und sie dauerte an bis zu den fernsten Grenzen, die sie mit einem Kind im Arm erreichen kann, dann vermischte sie sich, unhörbar sausend, wieder mit der Zeit, und da war mir, als ob der Mörder etwas hauche, und ich glaubte die Worte »junger Herr« zu hören, und da ich sie hörte, hörte ich ihn nun raunen und nahm sein Raunen so wehrlos auf wie eine Wachsplatte den griffelnden Ton. »Junger Herr«, so hörte ich den Knienden raunen, und nun sahen meine Augen nieder und sahen nur seine Augen und sahen sie, die vorhin so mörderisch starr geblickt, nun angstvoll flackern, und nun hörte auch mein Ohr seine Stimme lauter und hörte sie verzweifelt flehen: »Bitte laufen S’ mir nicht davon, bitte jagen S’ mich nicht fort, junger Herr, ich bitte Sie inständig – hören S’ mich an!«

So spricht die Stimme der Erlösung im Traum, und von diesem Augenblick an fühlte ich mich, der ich noch in halber Ohnmacht an der Küchentür lehnte, auch ganz schwerelos und schattenhaft zweidimensional, und es war mir, als schwebe der Korridor mit dem Knienden und mir schaukelnd durch Wolken, die seltsam grün waren. Eine Weile segelten wir so hoch in Lüften, dann spürte ich, aber diesmal ohne Erschauern, den Schlüssel der Küchentür wieder im Rücken, und da stockte der Flug, und die Wolken erstarrten zu grünen Wänden, und es war mir, als träumte ich, daß ich erwacht sei und ein Mann zu meinen Füßen knie, und der Mann lag vor mir auf den Knien und senkte nun, da ich ihn ansah, den Kopf, wie alle anderen vor ihm den Kopf gesenkt hatten, und sah auf die Spitzen meiner blankgewichsten hellgelben Maßschuhe, und dann hob er, in kleinen, zögernden Rucken, wieder den Kopf, doch er sah nun an meinen Augen vorbei. »Junger Herr«, so hörte ich ihn fortfahren zu reden, und er redete schneller und schneller, »junger Herr«, so sprudelte er, »Sie sind doch der Wohltäter der ganzen Gemeinde, Sie sind doch der Speiser der Armen und Beschützer der Notleidenden, Sie sind die tätige Hand unsres Heilands, lieber, gnädiger, junger Herr, ich bitt Sie, haben S’ Erbarmen und hören S’ mich an!«

»Sie können Essen haben«, hörte ich eine Stimme, die doch die meine sein mußte, wie ein fernes, verhallendes Echo meiner Gedanken und wußte nicht, ob ich träumte oder doch wachte, wenngleich ich mich noch immer völlig schwerelos und flächenhaft fühlte und auch den Mann vor mir und den grünen Korridor nur ganz flächenhaft sah. »Ich kann Ihnen Schweinernes geben und Kraut und Knödel«, hörte ich meine Stimme reden, und meine Hände klinkten dabei mechanisch die Küchentür auf, so daß nun der Duft von Gebratenem den Korridor füllte.

Der Kniende schien sich, schnuppernd, ein wenig zu krümmen, doch er schaute nicht zum Ofen hin, auf dem der Braten samt seinen Zutaten, von der milden Herdglut warmgehalten, verlockend prangte. »Ich bitt Sie um Fürsprach bei Ihrem gnädigen Herrn Vater, junger Herr«, erwiderte er, »verzeihen S’ mein freches Eindringen, junger Herr, aber Sie sind meine einzige Hoffnung!« Es war doch ein Traum.

»Darf ich Ihnen etwas zeigen, gnädiger junger Herr?« bat der Mann.

Mein Kopf nickte. Der Mann kniete noch immer, und noch immer spürte ich meinen Leib nicht.

»Würden S’ die große Güte haben und ein bissel Licht machen, lieber junger Herr, s’ ist so dunkel hier«, bat der Mann. Der Schalter lag neben dem Treppenhaus. Mein Rücken löste sich von der Küchentür, und wieder war es mir, als ob ich flöge; ich spürte weder den Boden unter meinen Füßen, die traumleicht dahinglitten, noch den Körper des Manns, den ich im Vorbeigleiten streifte; doch nun, da ich an ihm vorbei war und die Tür zum Zimmer mit dem Straßenfenster und nun gar die rettende Treppenhaustür vor mir lagen und da ich den Schalter berührte und durch die Milchglasfüllung der Treppenhaustür die sanft zerfließenden Konturen des offenen Haustores wahrnahm – nun war ich aus meiner Betäubung erwacht und spürte den Schweiß auf meiner Stirn und die Schwere meiner Glieder und das Pochen in den großen Adern und das Beben in der Kniekehle und den drückenden Schmerz in der Magengrube, der langsam nachließ, und ich hörte die Bohlen des Korridors knarren und spürte das Porzellan des Schalters kalt zwischen meinen Fingern und hörte meinen Atem pfeifen und spürte das alles befreit und begriff, daß ich gerettet war, und ahnte, daß ich ein tolles Abenteuer erlebt hatte, und nun freute es mich doch, das Verbot meines Vaters übertreten zu haben, und plötzlich war ich unbändig stolz.

Ich machte Licht, und da der Korridor strahlend hell wurde, sprang der Kniende mit einem Satz von beiden Knien auf die Füße, und da wurde er, den ich für meinen Mörder gehalten, zu einem Zauberer, und diesmal wußte ich genau, daß es kein Traum war. Er war ein Zauberer: Mit einem Mal, aus dem Nichts geholt, hielt er ein weißes Bällchen zwischen den Fingern und schnipste es in die Luft und holte zugleich ein zweites dieser Bällchen aus einem Tarnkappenfach in der Höhe seiner rechten Schulter und schnipste auch dies hoch, und während er nun die beiden Bälle hintereinander abwechselnd von der einen zur anderen Hand warf, dergestalt, daß sie auf dem Scheitel ihrer Halbkreisbögen fast zusammenzustoßen drohten, stülpte er plötzlich einen dritten Ball aus dem Mund und ließ ihn in den Reigen der kreisenden Bälle springen und gesellte ihnen sogleich noch einen vierten hinzu, den er aus einem zweiten Tarnkappenfach, diesmal in Höhe seiner linken Schulter, holte, so daß nun vier Bällchen anscheinend schwerelos die Luft durchtanzten, vier seligstumme, graziös durcheinanderflatternde Vögelchen, Zauberküken, flügellos Fliegendes, schwerelos Schwebendes, lautlos Jauchzendes, und immer schneller und toller wurde der Tanz, und nun waren es nicht vier, nun waren es sechs Bälle, die da wirbelten, denn auch die beiden Hände wirbelten im rasenden Reigen; sie kreisten nun flach im Rund um den Kopf des Magiers, ein Heiligenschein, denn es war ein Mirakel, ich hatte nie so etwas gesehen. Gewiß, auf den Jahrmärkten traten auch Zauberer und Feuerfresser und Degenschlucker auf, Angehörige einer magischen Zunft, die sicher nicht ganz von dieser Welt war, doch was ich bisher von ihren Künsten gesehen hatte, war ein Nichts gegen diese entfesselte Zauberei, die dann ebenso wunderbar endete, wie sie begonnen: So wie die Worte am Schluß eines Märchens leise ins Schweigen fallen, fiel mit sanftem Gepink ein Ball nach dem andern in die hohle Rechte; noch einmal erhob sich die Hand und zeigte zwischen je zwei Fingern je eines der Bällchen, dann wischte die Linke, ohne die Rechte zu berühren, mit lässigem Schwung durch die Luft und löste die Bällchen auf: Verschwunden, sie waren verschwunden, die Rechte war offen und leer wie die Linke, sie zeigten Innen- und Außenfläche, und dann lächelten sie, die Hände lächelten ob dieses Wunders, und der Mann verbeugte sich tief. Ich klatschte wie besessen. »Ich dank Ihnen auch schön, junger Herr, daß Sie mir die kleinen Vogerln geliehn haben«, sagte, rasch auf mich zuschreitend, der Mann, »belieben S’ nur in Ihre Rocktaschen zu greifen!« Meine Hände fuhren in die Taschen. Das Wunder war vollkommen: In jeder meiner Taschen lagen zwei Bällchen. Für einen Augenblick kam mich ein Grauen an, aber nur für einen Augenblick: Der Wundertanz war so beglückend, schön gewesen, daß dieser Mann kein böser Zauberer sein konnte. Hätte er von mir verlangt, mich fesseln und mir die Augen verbinden zu lassen, ich hätte mich ruhig und ohne den geringsten Argwohn in seine Hände begeben. Aber dieses verlangte er nicht von mir; er, der jetzt alles hätte fordern können, begann wieder zu bitten, und allmählich wurde mir klar, was er von mir wollte. Mein Vater, so bat er, möge ihm doch die Gelegenheit geben, dem Kinopublikum heute abend vor dem Beginn der Vorstellung seine Künste zu zeigen, und ich solle bei Vater ein gutes Wort für ihn einlegen. »Ach, gnädiger junger Herr«, so sprudelte er, »wenn ich die Kollekte bekäm, junger Herr, ein bissel ein Kapital in die Hand, und wenn’s noch so winzig wär, aber es wär halt doch ein Anfang; ich bräuchte zwei Reifen, ich bräucht auch ein Hemd und eine Krawatte, Sie ahnen ja gar nicht, junger Herr, was das hermacht, ein bissel ein gutes Aussehen. Wenn jeder nur ein paar Heller gibt, es käme doch was zusammen; eine Kinoeröffnung, das hat’s doch nicht alle Tage, es wär meine Chance, junger Herr, meine Chance, meine Chance – ich flehe Sie an!«

Ich führte ihn, was mir strikt verboten war, in die Küche und schnitt ihm meinen Anteil vom Schweinebraten herunter, häufte Knödel und Kraut über das Fleisch und füllte dem Mann, der hemmungslos schlang, noch zweimal den Teller nach. Meinen Vater, der frohgemut von einem wider Erwarten rasch genesenden Patienten heimkam, brauchte ich dann nicht lange zu bitten. Er konnte in guten Augenblicken für Künstler und sogar für fahrendes Volk etwas übrig haben; er fühlte sich selbst als Malerpoet (er malte sonntags Berg- und Wiesenstücke und hatte ein Opernlibretto »Die Schwanenjungfrau« geschrieben), und meine enthusiastische Schilderung rührte ihn dermaßen, daß er, der sonst so herrisch Strenge und unerbittlich Strafende, mir meine groben Verfehlungen (daß ich den Mann in die Küche geführt hatte, verschwieg ich) verzieh und mir sogar erlaubte, der Vorstellung des Zauberers und dem ersten Akt des Films heute abend beizuwohnen. »Du hast zwar etwas höchst Unerlaubtes getan, das dich das Leben hätte kosten können, und ich hätte dich eigentlich mit vierzehn Tagen Hausarrest bestrafen müssen«, so sprach er, »aber da sich nun alles zum Glücklichen gewandt hat, wollen wir das Glück dieses Tags nicht mehr trüben!« Dann sagte er, daß jeder Mann, so auch dieser Gaukler, das Recht auf eine faire Chance im Leben habe, und ich fragte ihn, was ich den Zauberer nicht hatte fragen wollen, nämlich was für ein Ding solch eine Chance denn eigentlich sei, ich kannte ja bisher nur die Schanzen zum Skispringen. »So etwas Ähnliches ist es auch mit der Chance im Leben«, erklärte mein Vater, »es ist die Möglichkeit, einen Menschen zeigen zu lassen, wie weit er es bringen könnte. Und diese Chance geben wir ihm!« Ich war unsagbar stolz auf meinen Vater. »Wir geben ihm eine Chance«, hatte er gesagt. Wir – das waren er und ich. Wir saßen im Herrenzimmer in den schweren Lederklubsesseln am bronzegetriebenen Rauchtisch, und Vater paffte seine Havanna, und ich schnupperte den Duft ein und war erwachsen und gab ihm, dem Zauberer, eine Chance, und dies Innen hier war jetzt die Insel der Träume, und tief im Sessel liegend und gerade noch meines Vaters mahnende Worte, ich solle mich doch nicht so bauernhaft hinlümmeln, vernehmend, nickte ich vor Erschöpfung ein.

Am Abend dann war der Kinosaal, ein ehemaliger Lagerraum, mit Gesumm, Parfüm und Knistern gefüllt; an den blaßblau gestrichenen Wänden hingen in ovalen Rahmen Bilder lächelnder Frauen und strahlender Männer, und die Vorderwand des Saales war zur Gänze mit einem Vorhang überzogen, der in allen Farben des Regenbogens flimmerte. Die Vorstellung war ausverkauft; wer zur guten Gesellschaft des Städtchens gehörte, war gekommen, und ich war das einzige Kind, das dabeisein durfte, das einzige Kind von Hunderten, noch nicht einmal der gleichaltrige Sohn des Bürgermeisters war da. In diesen Minuten hätte ich mich für meinen Vater ans Kreuz schlagen lassen. Ich suchte meinen Schützling, den Zauberer, dem wir eine Chance geben würden, aber ich sah ihn nicht. Der Klavierspieler spielte einen Marsch, dann trat mein Vater vor, stützte sich leicht auf den Flügel und hielt, die Linke in der Rocktasche, eine kurze Rede: Es zeuge vom unsagbaren Kunstsinn des lieben Heimatstädtchens, so sprach er, daß es in dieser so schweren Wirtschaftskrise der Musen gedenke und ihrer jüngsten Gefährtin, Kinematographeia, einen schmucken Tempel zur Freude, Unterhaltung und Erbauung all seiner Bürger errichtet habe, und dann hämmerte der Klavierspieler einen Tusch, und mein Vater erklärte, er glaube im Sinne aller Anwesenden zu handeln, wenn er einem begabten, auf der Durchreise befindlichen Artisten die Möglichkeit gebe, gegen ein geringes, in jedermanns Ermessen gelegtes Douceur seine Künste zu zeigen, und dann bewegte sich der prächtige Vorhang, und mein Schützling trat vor und verbeugte sich, jedoch nicht so tief wie mittags vor mir. Ich saß neben Vater in der ersten Reihe, die damals bei uns noch als Vorzugsplatz im Kinotheater galt; mein Schützling stand mir einen knappen Meter gegenüber, und ich nickte ihm aufmunternd zu. Das Publikum klatschte generös; mein Schützling verbeugte sich ein zweites Mal, dann schien mir, als gebe er sich einen Ruck; sein Gesicht, das mir nun irgendwie sonderbar verändert erschien, wurde gespannt, und nun schwangen auch seine Arme aus, doch er griff nicht, wie ich erwartet hatte, ins Nichts des Tarnkappenfachs neben seiner Schulter, er griff in die linke Rocktasche und holte ein Bällchen heraus und aus der rechten ein zweites, und das dritte stülpte er, während er die beiden Bällchen von Hand zu Hand warf, zu meinem Erstaunen nicht aus dem Mund, sondern holte es aus dem am Hals geöffneten Hemd, und obwohl er sich mit nur drei Bällchen zu begnügen schien, verfehlte er einen Ball, so daß dieser, und sofort darauf die anderen, flügellahm niederfielen und durch den Saal kollerten. Der Jongleur wurde kalkbleich, und ich fühlte einen Stich durchs Herz. »Na, na, na, nur nicht so aufgeregt, das kann schon mal vorkommen«, sagte mein Vater beruhigend, und er sagte es laut, und meine junge, kaum fünf Stunden alte Liebe zu ihm wurde Inbrunst. Eines der Bällchen war mir vor die Füße gerollt; der Mann bückte sich nach ihm; er kniete fast vor mir, und nun sah ich, daß ihm der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn stand und daß seine Hände zitterten und daß er, und ich sah es beinah angeekelt, nur mit Mühe ein heftiges Rülpsen unterdrückte. Das Publikum blieb, von ein paar Kichern abgesehen, trotz dieses Fehlschlages wohlwollend ruhig, und es blieb auch nobel, als ein zweiter Versuch ebenso mißlang wie der erste, und auch ich blieb ruhig, ich hatte festes Vertrauen zu meinem Zauberer, ja, ich war überzeugt, daß er sich jetzt nur so ungeschickt stelle, um plötzlich das Publikum mit einem Wunder ohnegleichen zu überraschen. Ich glaubte an ihn, der sich nun wieder vor mir bückte, um abermals einen weggerollten Ball aufzuheben; ich glaubte an ihn und sah ihm fest in die Augen: ich wollte, daß er mich sehe und daß er fühle, wie unerschütterlich ich an ihn und seine Kunst glaubte, und nun sah er, das Bällchen in der Hand, auch mich an, und ich lächelte ihm zu, und er versuchte, das Lächeln zu erwidern, und da sah ich entsetzt, daß dieses sein Lächeln eine arme hilflose Grimasse war, eine Maske vor einer Angst ohnegleichen, und obwohl ich gar nichts begriff und vollkommen ratlos war, fühlte ich, und dies mit unumstößlicher Gewißheit, daß dieser Zauberer in Wirklichkeit gar kein richtiger Zauberer war und daß etwas Schreckliches – der Begriff des Peinlichen war mir noch unbekannt – sich ereignen werde, und da überflutete mich, ein siedender Strom, die grelle Scham. Denn er war ja mein Schützling; ich war es ja gewesen, der ihn Vater empfohlen hatte, auf daß dieser ihn, meinem Zeugnis vertrauend, dem Publikum weiterempfehle, und so wurde jede Blamage des Mannes, die dem Publikum als Blamage meines Vaters erscheinen mußte, in Wirklichkeit meine Blamage, und ich schämte mich ihrer fast zu Tode und schämte mich, meinen großartigen Vater in eine so üble Situation gebracht zu haben, und dachte, daß es jetzt wohl meine Pflicht sei, aufzustehen und, um meinen Vater zu rechtfertigen, all dies zu offenbaren, und als des Mannes flatternde Hände nun ein drittes Mal die Bälle verfehlten, hätte ich aufspringen und ihn am Kragen packen und aus dem Kino schleifen wollen, brüllend und fluchend und spuckend und beteuernd, daß ich einem ganz gemeinen Kerl, einem schäbigen Schwindler und Betrüger, aufgesessen sei, doch als nun der Mann, ein Rülpsen, das fast schon ein Brechanfall war, niederkämpfend, müde die Bällchen in die Tasche steckte, sich einen alten Hut mit der Öffnung nach oben auf den Kopf drückte, einen Tennisball hinter dem Vorhang hervorholte, ihn auf die gespaltene Schuhspitze legte, um ihn, in der Kälte des nunmehr Eis gewordenen Schweigens schaudernd, in den offenen Hut zu wippen, und als auch dieses wirklich einfache Kunststückchen kläglich mißlang, wich meine Beschämung jäh einer anderen, weit würgenderen Scham: der des Mitleids. Hatte ich eben, und dies mit der Wut der Enttäuschung, begriffen, daß er kein Zauberer, sondern auch nur ein gewöhnlicher Mensch war, nur meinesgleichen, so fühlte ich jetzt, daß hier dieser Mensch öffentlich gemartert, ja daß etwas in seiner Seele gemordet wurde, und das riß mir das Herz auf, und mein Mitgefühl mit dem, der meinesgleichen war, wurde so mächtig, daß plötzlich ich es war, der da vor dem schweigenden, nun höhnisch-feindselig schweigenden Publikum stand und sich preisgab; ich war es, der da zitternd, kein Mensch mehr, ein lächerliches, erbärmliches Wrack, sich vor der Menge, die im Gletscherschweigen verharrte, entblößte, und ich war es, der nun ein zweites Mal den Ball auf die gespaltene Schuhspitze legte und wußte, daß ich den Hut abermals verfehlen würde, und ich saß in dem Stuhl in der ersten Reihe, und die Schande und Qual des Gescheiterten waren so sehr meine Scham, daß ich er war und ich fortrennen wollte, hinausstürzen, mich draußen am Bach im Lattich verkriechen oder zum Riesenstein hetzen und mich von dort herab zu Tode springen; ich wollte, daß mich die Erde verschlinge, und saß doch, von Scham, wie noch von keinem Gegner bisher, überwältigt, im Sessel, und der Jongleur schleuderte abermals den Ball am Hut vorbei, dann ließ er, durch ein müdes Hauptneigen, den Hut zur Erde fallen und ließ ihn liegen und ging, die Augen fast geschlossen, langsam den korridorartigen Seitengang hinauf der Türe zu, und nun, wie auf Verabredung, prasselte Beifall los und schrien Stimmen: »Bravo!« und: »Da capo!« und »Auf Wiedersehen!« und »Wiederkommen!«, und den klatschenden Händen und Worten folgten nun auch Münzen, ein Hellerregen, die Kollekte, das Douceur, das Kapital, das nun auf Rücken und Brust und Haupt des Mannes niederprasselte, und ich dachte, daß er nun wenigstens doch noch etwas davon gehabt habe und er sich nun bücken werde, um den Ertrag der Hellersteinigung aufzulesen, und dieser Gedanke beruhigte mich ein wenig; allein der Mann ging, wandelnder Fels, langsam und ohne sich umzusehen mit schleifenden Sohlen den Gang hinauf, und in diesem Augenblick verstand ich ihn. Er war doch der Zauberer, und er hatte sie alle auf die Probe gestellt, und sie waren seiner nicht wert gewesen; nur mir allein hatte er gezeigt, was er konnte, und nun ging er fort, um nicht mehr wiederzukommen, in diesen Ort, der seiner Gegenwart nicht würdig war! Ach, nun ging er fort, und ich mußte doch mit ihm! Alles Leid meiner zehn Knabenjahre, und das war nicht Hunger und Not und Darben, das war im Gegenteil die furchtbare, hundertfache, jeden Zauber einer bang und heiß erwarteten Erfüllung ausschließende Sättigung, für die ich mit dem Verharren innerhalb der Mauern der Ver- und Gebote meines standesbewußten Vaters zahlte, Mauern, die mich in eine trotz ihres schnöden Reichtums öde und kalte Bürgerwelt sperrten und mir jeden Bezirk meiner Sehnsucht verschlossen – alles dies Leid stand in mir auf und drängte mich, dem Mann nachzulaufen und vor ihm auf die Knie zu fallen und ihn um Verzeihung zu bitten für die Schmach, die man ihm angetan, und um Verzeihung auch für meinen Vater, der nun, wofür ich ihn hätte erwürgen können, mit seiner Baßstimme rief: »Vergessen Sie nur Ihren Prachtzylinder nicht, Sie Künstler!« und dazu vor einem orgiastischen Publikum eine ebenso sich entschuldigende wie den Gescheiterten noch tiefer demütigende Geste machte; ihm nachlaufen, nacheilen, vor ihm aufs Knie fallen und ihn anflehn, mich mitzunehmen und mit mir fortzugehn, fort, fort, dorthin, wo ich ein Kind sein durfte wie alle anderen Kinder auch, wo man sich schmutzig machen und mit Söhnen von Fabrikarbeitern und Häuslern spielen und seine Freunde umarmen und seine Feinde ins Gesicht schlagen durfte, auch wenn es dann nicht jeden Tag Braten gab und Obst und Schokolade und wenn dort auch kein Herrenzimmer war mit ledernen Klubsesseln und bronzegetriebenem Rauchtisch; fort aus diesem Vaterhaus, das bei all seinem Überfluß an Tafelfreuden und Kleidung und Geschenken eine einzige grausame Zwingburg war und das ich haßte, haßte, mit heißem Haß haßte, so wie ich jetzt auch den täglichen Braten und die tägliche Schokolade und die Ledersessel und Rauchtische haßte; ich wollte fort, fort, nur fort, in die Welt, dorthin, wo Abenteuer waren, Zauber, Gespenster, wo man hungerte und fror und litt und wo ein Stück Brot eine Herrlichkeit sein mochte, fort zu der nahen Insel meiner Träume, wo das geheimnisvolle Andere war. Oh, ich beneidete und bewunderte sie jetzt alle, die je auf der Treppe meines Vaterhauses auf der obersten, mit braungelbem, liliengemustertem, schon etwas abgewetztem Stoff überspannten Stufe gehockt und gierig Essenreste in sich hineingeschlungen hatten; ich beneidete und bewunderte sie so, wie ich diesen sauberen, hochmütigen jungen Schnösel verabscheute, der sie auf die Treppenstufen sich niedersetzen hieß und sie mit Abfall speiste, und wie ich den herrischen Vater verabscheute, der dem faulen Schüler dies widerliche Amt zur Besserung aufgezwungen; ich wollte fort und wußte, daß es meine einzige und letzte Chance war. Nicht ihm war die Chance gegeben worden, er brauchte sie nicht, es war meine Chance, und ich wußte jetzt schon, daß ich sie verloren hatte und nicht mehr die Kraft besitzen würde, aufzuspringen und nachzufolgen. Das Licht erlosch; das Gelächter verebbte; der Klavierspieler spielte einen schmachtenden Walzer; der Vorhang glitt zurück, und eine breite weiße Leinwandfläche ward sichtbar in der anheimelnden Dämmerung; es schnurrte und surrte, und ein gebündeltes Licht flirrte, und während, Wunder über Wunder, auf der Leinwand ein lebendiger Mann im Frack und eine lebendige Frau in prächtig glitzerndem Kleid einander entgegentanzten, schoß noch einmal ein Streifen zitternder Helle durch den Saal: Der Zauberer hatte die Tür geöffnet und war ins Freie getreten und hatte die Tür wieder hinter sich geschlossen, und ich wußte, daß ich meine Chance unwiederbringlich vertan hatte und ihn nie wiedersehen würde, und während ich darob noch einen wehen, aber fast schon süßen Schmerz fühlte, begann ich mit wachsender Verzückung wahrzunehmen, wie die Leinwand, nachdem das Paar sich im Tanz gefunden und wieder gelöst hatte, sich plötzlich mit wogenden Palmen bedeckte, Palmen und Meer und Hibiskus und Maste, und ich war dabei, als einziges Kind des Städtchens war ich dabei, und das verdankte ich nur meinem Vater, und ich suchte seine Hand, sie dankbar zu drücken, indes auf der Leinwand ein Schiff vom Anker sich löste und mit mir über ein noch nie geschautes Südmeer hin zu einem Strand aus Blütenkränzen und Korallen trieb …

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