Читать книгу: «Turrinis Herz», страница 2

Шрифт:

Und dann ist der Dr. Schellhammer gestorben und hat sein Haus in St. Moritz nicht dem braven Sohn vererbt, sondern dem verlorenen Sohn. Nicht der Herr Oberarzt Dr. Hagen Schellhammer, der schon als nächster Primar an der Unfallchirurgie im Landeskrankenhaus Freistadt gehandelt wird, hat das schöne Haus gekriegt, sondern sein Bruder, der Sigi. Der nix ist und der nix hat. Und der hat sein Elternhaus ruckzuck verklescht und macht jetzt mit dem Geld ein Puff auf.

Wenn das kein gefundenes Fressen für eine Lokaljournalistin ist, dann weiß ich auch nicht mehr! Nur: Die Gucki hat die ganze Familiengeschichte in den Mühlviertler Nachrichten nicht einmal erwähnt: Weil sie sich für so was zu gut ist. Weil das unter ihrer Würde ist, dass sie die Schmutzwäsche von irgendwelchen Leuten unter dem Deckmantel der journalistischen Wahrheitsfindung ans Tageslicht zerrt. Weil sie ganz einfach keine blöde Tratschen ist. Sie ist ja nicht die Hatzl! Normalerweise. Aber eben nur normalerweise. Jetzt wär ihr nämlich schon ein bisserl eine Schmutzwäsche recht. Damit sie was in der Hand hat, das sie dem Schellhammer wie einen nassen Fetzen um die Ohren kleschen kann.

Aber nicht einmal der Leo, von dem du sonst jederzeit ein geladenes Sturmgewehr und im Notfall auch ein paar Handgranaten haben kannst, kann ihr Munition gegen den Schellhammer liefern. Oder er will einfach nicht. Schon auffällig, wie er den Herrn Bordellbesitzer jetzt über den grünen Klee lobt.

„Der wär schon was für dich, der Sigi!“, erklärt er der Gucki. „Groß, blond, blauäugig: ein echter Arier! Und ein lustiger Teufel ist er auch: spielt Trompeten und Ziehharmonika – und trinken tut er auch gern was. Ein richtiger Mann halt!“ Und das der Leo, der normalerweise jeden Mann sofort heruntermacht, der für die Gucki eventuell in Frage kommen tät. Der normalerweise nichts dagegen hat, wenn ihm mit seinen sechzig Jahren ein Techtelmechtel mit der Gucki nachgesagt wird. Wenn die Gucki und der Turrini wieder einmal bei ihm in St. Moritz übernachten müssen, weil sie in Frankys Bar abgestürzt sind.

Macht sich die Gucki natürlich so ihre Gedanken: „Bist du jetzt ins Heiratsvermittlungsgeschäft eingestiegen, mein lieber Leo, oder willst du mich als Nutten an den Schellhammer verschachern?“

„Geh, Gucki! Dich bring ich doch nicht einmal an, wenn ich noch eine SS-Uniform samt Stiefel drauflege!“, gibt ihr der Leo prompt Kontra. Bestellt aber einen Whiskey für seine liebe Gucki. Praktisch zur Versöhnung. Oder doch nicht? Weil er ja schon wieder goschert ist: „Trink dir lieber ein bisserl eine Schneid an, sonst vernascht dich der Sigi mit Haut und Haar!“

Wird die Gucki wirklich schön langsam neugierig auf diesen Sigi. Aber nicht, weil er ein Mann ist. Männer gibt es genug. Halt nicht die richtigen. Zumindest nicht für die Gucki. Ist vielleicht doch ein bisserl zu heikel? Ich mein: Ich will ja nichts sagen, aber wenn du die Männer in drei Kategorien einteilst – Deppen, Zniachtln und nette Spezln, mit denen du gern was trinkst, aber nicht ins Bett hupfst, dann bleibt halt nicht mehr viel über. Genau genommen: gar nix. Und so schaut der Gucki ihr Liebesleben auch aus: rein gar nix!

Früher ist sie wenigstens so ein-, zweimal im Monat nach Wien gefahren. Und hat ihre ehemalige Schulfreundin besucht. Die Danninger Sybille. Die hat dort Medizin studiert. Zumindest offiziell. Inoffiziell hat sie ausschließlich Männer studiert. Die hat sich mit Männern so gut ausgekannt, dass die Gucki sogar den Verdacht gehabt hat, sie würde die ganzen Männer nicht nur studieren, sondern auch noch sezieren. Auf jeden Fall hat die Sybille der Gucki immer wieder interessante Männerbekanntschaften vermittelt. Wobei sich das interessant mitunter schon als leicht pathologisch herausgestellt hat.

Ich will da jetzt nichts ausplaudern, aber der Hofrat aus dem Innenministerium, der Stempelmarken gesammelt hat und die Gucki von Kopf bis Fuß abgeschleckt und mit seinen Marken verziert hat, der war wirklich nicht ganz dicht. Oder der Nationalratsabgeordnete aus dem Inn­viertel, der darauf bestanden hat, dass sie mitten unterm Schnackseln zweistimmig die oberösterreichische Landeshymne singen – und dann grad halt einmal bis zur zweiten Strophe gekommen ist. Der war auch nicht ohne! Oder der steirische Verleger, der …. Halt! Nein! Was mach ich denn da? Das geht ja kein Schwein was an, was die Gucki in ihrer Freizeit so treibt!

Was ich eigentlich sagen will, ist nur, dass es mit der Gucki ihrem Sexualleben traurig ausschaut, seit die Sybille vor einem Jahr mit dem Studium fertig geworden ist. Das hat die Gucki schon überrascht. Weil sie es ja nie für möglich gehalten hätte, dass die Sybille neben den ganzen Männergeschichten auch noch studiert hat. Hat eh 32 Semester gebraucht. Ist dann aber leider ausgerechnet im Landeskrankenhaus Freistadt als Turnusärztin gelandet. Und in Freistadt ist die Auswahl an Männern so klein, dass die Frau Dr. Sybille Danninger der Gucki beim besten Willen keinen mehr überlassen hat können. Sie hat ja schon selber nicht genug gekriegt und wird früher oder später noch vor dem Richter landen, wenn sie sich weiterhin an minderjährige Gymnasiasten heranmacht.

Was ist denn nur los mit mir? Jetzt bin ich schon wieder vom Thema abgekommen! Um das Puff in St. Moritz geht es ja! Obwohl: Eigentlich gehört das alles eh irgendwie zusammen. Weil wenn das mit dem Sexualleben nicht so schwierig wär, täten ja die ganzen Bordelle nicht so ein Geschäft machen. Muss man direkt froh sein, wenn man ein Mann ist. Was soll denn eine Frau tun, wenn es sie überkommt?

Jetzt aber interessant: Hat doch die Gucki in dem Moment genau denselben Gedanken! „Wenn es ein Puff für Frauen geben tät, hab ich eh nix dagegen!“, schreit sie energisch gegen die laute Musik an. Weil der Franky gerade Ganz in Weiß aufgelegt hat. Das ist so ein uralter Schlager. Vom Roy Black. Wo das Heiraten recht romantisch geschildert wird. Das macht der Franky natürlich der Gucki zu Fleiß. Weil der Leo und seine Spießgesellen schon die ganze Zeit nur mehr darüber reden, was das für eine schöne Hochzeit wird, wenn der Sigi und die Gucki heiraten.

Hätte die Gucki lieber nicht sagen sollen. Das mit dem Puff für Frauen. Weil sie jetzt natürlich von allen anwesenden Herren die verlockendsten Angebote kriegt: von hundert Euro abwärts bis hin zu einer Eierspeis. Eh günstig. Aber der Leo unterbietet alle anderen noch im Preis: „Bei mir genügt ein einfaches Danke, Herr Sturmbannführer!“ Da reicht es der Gucki aber wirklich. Jetzt knöpft sie sich auf der Stelle diesen Sigi vor – und in einer Stunde ist sie zurück und demonstriert dann diesen geilen, alten Deppen mithilfe von ihrem Tonband, wie man einem Bordellbesitzer den Arsch aufreißt!

III

„Leck Arsch eini!“ hat mit dem Arschlecken an sich nichts zu tun. Eigentlich ist es nur ein Ausruf des Erstaunens. Oder besser gesagt: des Überrascht-Seins. Aber schon des völligen Überrascht-Seins. Weil wenn man nur ein bisserl überrascht ist, sagt man bei uns: „Geh leck!“

Muss die Gucki schon ziemlich überrascht sein, sonst tät sie jetzt nicht „Leck Arsch eini!“ sagen. Und nicht auf ihrem Arsch sitzen. Auf dem Boden. Mitten in der ehemaligen Gaststube vom Mariabrunn. Während der Sonnenuntergang sein Bestes gibt und den ganzen Raum in ein Inferno aus Rot und Gold verwandelt.

War das wirklich der Teufel oder hat sie nur ein bisserl zu viel getrunken? Zwei Bier in der Arbeit, drei beim Franky und einen Whiskey. Kann man da Halluzinationen kriegen? Nein, das war auf keinen Fall der Teufel! Den gibt’s ja gar nicht! Ein Drache war’s. Genau: ein feuerspeiender Drache! Was tun? Alle möglichen Heldensagen, in denen Drachen vorkommen, huschen der Gucki durch den Kopf. Aber leider Gottes haben alle Drachentöter immer ein riesiges Schwert bei der Hand, während die Gucki nur das kleine Taschenmesser vom Opa eingesteckt hat. Bleibt ihr nur eine Alternative: die Rolle der schönen Jungfrau übernehmen und auf den Helden warten, der sie rettet.

Funktioniert ja! Schon hat er lautlos die Bühne betreten. Und als er ihr mit einem sanften, ja zärtlichen Händedruck auf die Beine geholfen hat, blickt sie in die blauesten Augen ihres Lebens. Ein Blau so eisig wie ein Gebirgsbach! Ihr Herz klopft so laut, dass es eigentlich schon eine Lärmbelästigung ist.

„Na, Frau Magister, haben wir leicht ein bisserl zu viel Heilwasser erwischt?“

Ihr Held kann auch reden. Nur: Was redet er da daher? Eigentlich müsste er sie doch jetzt in die Arme nehmen und küssen? Ihre Hand hat er auch ausgelassen? Und so was will ein Held sein? Das ist doch nur ein ganz gewöhnlicher Mann! Wie alle anderen auch. Aber nein! Noch blöder: Das ist niemand anderer als der Bordellbesitzer! Dieser geschissene Sigi mit seiner arroganten E-Mail!

„Haben Sie zufällig einen Drachen als Haustier?“ Das ist der Gucki mehr so herausgerutscht. Weil sie vor lauter Verlegenheit und vor lauter Zorn nicht mehr denken kann. Und Luft kriegt sie auch keine. Drum zündet sie sich schnell einmal eine Zigarette an und bläst diesem Arschloch gleich einmal den Rauch mitten ins Gesicht. Vielleicht hilft das, dass sie nicht ununterbrochen in diese sinnlos blauen Augen starren muss?

„Wer Gauloises filterlos raucht, frisst auch kleine Kinder!“, bemerkt der Sigi trocken. Ist aber offensichtlich anerkennend gemeint. „Spendierst du mir auch eine?“

Wieso ist der mit mir per Du? Soll ich ihm eine Zigarette geben? Soll ich auch du zu ihm sagen? Stink ich nach Bier? Oder nach Whiskey? Lauter Fragen und keine Antwort! Gibt sie ihm halt in Gottes Namen eine Zigarette. Muss sie ihm Feuer auch noch geben? Ihre Hand mit dem Zippo zittert derartig, dass er sicher glaubt, sie ist eine Schwerstalkoholikerin auf Entzug. Muss sie wenigstens was sagen: „Das Du-Wort gibt es normalerweise erst nach einem ordentlichen Bruderschaft-Trinken inklusive Küssen.“

Ha, jetzt hat sie ihm die Schneid abgekauft, diesem goscherten Hund! Das traut er sich bestimmt nicht! Aber so kann man sich täuschen. So schnell kann die Gucki gar nicht schauen, hat sie auch schon ein Glas Rotwein in der Hand und trinkt es auf einen Zug aus. Zwei Zigaretten fallen auf den Boden, wo sie fröhlich weiterglimmen. Was aber einem Kachelboden völlig wurscht ist. Und dann ist es auf einmal so still, als ob die ganze Welt verschwunden wäre. Die ganze Welt besteht nur mehr aus diesen blauen Augen. Die kommen näher und näher – und dann wird der Gucki schwarz vor den Augen.

Aber nichts dauert ewig, und so muss sie ihre Augen irgendwann doch wieder aufmachen. Um Gottes willen, so was von peinlich! Sie kann sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie sie in diese Lage gekommen ist. Die Arme um den Hals von diesem Mann geschlungen, die Beine aber um seine Hüften, hängt sie an ihm wie eine Klette und kann nicht loslassen, weil sie jetzt auch noch seinen Hals, seine Wangen und seine Ohren küssen muss. Und hätte sie nicht auf einmal ihren kleinen Turrini so herzzerreißend winseln gehört, wer weiß, was sie noch alles geküsst hätte?

So aber steht sie im Nu wieder mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität, wie das so schön heißt, obwohl es eigentlich nur der Boden der Gaststube ist, und hat auch schon ihr Taschenmesser kampfbereit in der Hand. Und schaut den Mann mit den blauen Augen hilfesuchend an. Und stammelt: „Mein Hund – der Drache!“

Eigentlich kein zusammenhängender Satz. Trotzdem kennt sich der Sigi aus. „Der Drache ist nur ein Irish Wolfhound und außerdem extrem kindisch. Du bist nicht die Erste, die meine Krimi vor lauter Begrüßungsfreude über den Haufen gerannt hat. Und andere Hunde beißt sie auch nicht – sie schleckt sie höchstens vor lauter Liebe zu Tode.“

Ist die Gucki so erleichtert, dass sie dem Mann mit den blauen Augen am liebsten schon wieder um den Hals gefallen wär. Weil das aber einen schlechten Eindruck machten tät, pfeift sie ihrem kleinen Turrini. Pfeift der Sigi auch seinem Hund. „Folgen tun sie anscheinend alle zwei nicht“, stellt der Sigi fest. Bleibt ihnen nichts anderes über, als dass sie in den Garten hinausgehen. Weil der Turrini ja immer noch winselt, wie wenn es um den Weltrekord im Dauerwinseln gehen tät.

Na, das ist vielleicht ein Anblick! Eine riesige, mindestens 80 Kilo schwere struppig-graue Hündin liegt bäuchlings auf dem Boden und hinter ihr steht ein kleiner schwarzer Hund auf seinen Hinterpfoten und versucht verzweifelt, sich mit den Vorderpfoten im Fell der Hündin festzuhalten. Die Gucki und der Sigi brauchen eine ganze Weile, bis sie draufkommen, was es mit dieser eigenartigen Stellung auf sich hat. Dann brechen sie auch schon gleichzeitig in ein schallendes Gelächter aus. Weil dieses komische Arrangement nämlich wirklich eine Stellung ist: praktisch Geschlechtsverkehr. Nur: Es tut sich nichts! Das Hin und Her, das Rein und Raus fehlt! Praktisch Standbild.

„Ui je!“, sagt der Sigi, muss aber schon wieder so lachen, dass er fast nimmer reden kann. „Dein Hund ist stecken geblieben! So was kommt öfter vor bei Hunden. Da hat das Weiberl einen Scheidenkrampf und das Manderl kann nicht mehr heraus.“

„Und …?“, fragt die Gucki. „Was machen wir da?“

„Gar nix! Das vergeht schon wieder von selber.“ Der Sigi muss schon wieder lachen. „Früher oder später.“

Ein Lachen, das ansteckend ist. „Früher oder später ist gut!“ Die Gucki lacht auch. „Und was machen wir so lange?“

„Jetzt, wo wir doch ziemlich per Du sind, sollte ich mich vielleicht einmal vorstellen“, meint der Sigi und grinst. „Sigi.“ Und hält ihr seine Hand hin.

So ein frecher Hund! Weil sie aber diese Hand unbedingt noch einmal angreifen möchte, ist die Gucki friedlich und sagt: „Gucki.“ Dafür kriegt sie auch eine Hand, die so warm ist und so weich, dass sie ganz vergisst, die Hand wieder loszulassen.

„Noch schöner als auf dem Foto!“, sagt der Sigi mit heiserer Stimme.

Kennt sich die Gucki natürlich nicht aus. „Was?“ „Deine Rehaugen. Ein Bernsteinbraun wie das Wasser der Aist. Zum Versinken und Ertrinken!“

Normalerweise ist die Gucki da recht mitleidlos, wenn Männer so dick auftragen. Weil sie Schmalz nur in Form von Schmalzbroten vertragt. Und tät normalerweise irgendwas Goschertes sagen wie – sagen wir einmal: „Tät ich mir halt Schwimmflügerl zulegen, wenn du nicht schwimmen kannst!“

Jetzt aber nicht. Jetzt wird sie rot. Das ist ihr doch nimmer passiert, seit sie vierzehn war? Kommt sie leicht jetzt mit fünfunddreißig noch einmal in die Pubertät? Kruzisex noch einmal, was ist denn los mit ihr? So einen Notstand kann sie doch gar nicht haben, dass sie vergessen hat, warum sie überhaupt hergekommen ist! „Kommen wir zuerst einmal zum Geschäftlichen, mein lieber Sigi!“, bringt sie jetzt doch noch heraus. „Später können wir uns dann von mir aus über dein augenärztliches Fachinteresse unterhalten.“

„Aber gern, mein schönes Kind! Gleich die entscheidende Frage: Kriegt dein Hund genug Taschengeld, dass er die Alimente zahlen kann, oder nimmst du die Hälfte von den kleinen Hunden? Mehr als acht werden es schon nicht werden!“

Muss die Gucki schon wieder lachen. Und kann dem Sigi nicht bös sein. Obwohl er so ein goscherter Hund ist. Mein schönes Kind – so eine Frechheit! Sie ist doch keine Barbiepuppe, sie ist eine gestandene Frau! Blaue Augen hin, blaue Augen her, jetzt zeigt sie diesem Sigi, wie man mit der Geiß ackert: „Weißt du, mein schöner Prinz, die Leser der Mühlviertler Nachrichten möchten ganz einfach wissen, wie man Puffbesitzer wird. Zeichnet sich so eine Karriere schon in der Volksschule beim Doktorspielen ab, oder braucht man da eine spezielle Ausbildung – sagen wir einmal: 14 Semester Zuhälterei und einen Volkshochschulkurs Nuttenausbeutung für Anfänger?“

Jetzt hat es ihm die Red verschlagen! Nein, er lacht? Aber nur, weil die Hunde jetzt doch irgendwie auseinandergekommen sind. Und der kleine Turrini von der riesigen Krimi von oben bis unten abgeschleckt wird. Wobei er am Rücken liegt und schon wieder – oder noch immer? – eine Erektion hat.

„Die sind anscheinend auch schon per Du“, sagt jetzt der Sigi und schaut die Gucki so eigenartig an. Aber nicht schweinisch. Mehr so anzüglich. Wenn nicht sogar verführerisch.

Wird die Gucki schon wieder rot. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Muss sie wenigstens was Boshaftes sagen: „Wie bist du denn auf Krimi gekommen? Liest du immer Krimis, wenn du nicht schlafen kannst, weil dich die Gewissensbisse wegen der Zuhälterei quälen?“

„Nein“, lacht der Sigi, „Krimi kommt von Kriemhild. Weil mein lieber Papa ein alter Nazi war und seinen Söhnen germanische Namen verpasst hat: Hagen und Siegfried. Hab ich mir also gedacht, Kriemhild wird meinen Papa freuen. Und es hat ihn wirklich so gefreut, dass er mir und nicht meinem lieben Herrn Bruder das Haus vererbt hat. Und dein geiler kleiner Hund, wie heißt der?“

„Turrini.“

„Aha, nach dem Dramatiker. Ist der Hund auch so sentimental?“

„Normal erklär ich den Leuten immer, der Hund ist nach der Freistädter Schlosserei Turrini benannt. Weil er das Haus besser beschützt als jedes Schloss.“

„Da schau dich an! Hat die schöne Frau Magister leicht geglaubt, alle Puffbesitzer müssen ungebildet sein?“

Kann die Gucki natürlich nicht gut Ja sagen. Sagt sie halt: „Gibt es noch einen Wein?“

„Sicher. Und einen Kuss auch noch! Was zuerst?“

„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“, meint die Gucki. Und schmeißt sich dem Sigi an den Hals. Dass der nicht mehr so frech sein kann, der freche Hund, der!

Aber irgendwann kriegen sie dann doch einen Durst und sitzen ganz gemütlich in der Küche vom Sigi. Wobei Küche nicht das richtige Wort ist. Weil ja das ganze Gasthaus Mariabrunn eine einzige Baustelle ist. Und die Küche eigentlich nur aus einem Tisch mit ein paar Sesseln, einem Kühlschrank und einem alten Holzofen besteht. Der funktioniert aber tadellos, und in kürzester Zeit ist es wohlig warm. Und außerdem knistert und knackt das Holz extrem romantisch. Findet die Gucki. Sagt sie aber natürlich nicht. Sie ist ja schließlich nicht aus privaten Gründen da. Da kann der Blaufränker aus dem Burgenland noch so blaufränkisch-samtig den Gaumen streicheln, da kann der Sigi noch so blauäugig-spitzbübisch schauen, die Gucki ist zum Arbeiten da! Und knallt auch schon ihr kleines Tonbandgerät auf den Tisch. „Alles, was Sie ab jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden!“, erklärt sie dem Sigi.

Der hat aber anscheinend nicht besonders viel Angst. Weil er schon wieder lacht. „Hast du das schon einmal gesehen?“, fragt er die Gucki. „So ein mittelalterliches Ehepaar, wo der Mann und die Frau vor dem Fernseher sitzen und den gleichen Jogginganzug anhaben? Wenn ich jetzt noch einen Fernseher hätt, wären wir zwei das Paradebeispiel für den Partnerlook!“

Wirklich! Warum ist das der Gucki nicht aufgefallen? Hat sie denn wirklich nur dem Sigi seine blauen Augen im Schädel und sonst gar nichts? Er hat ja wirklich fast die gleiche Lederjacke an wie sie. Eine kurz geschnittene, schwarze Jacke mit einem weißen Pelzbesatz am Kragen. Nur: So eine Jacke, wie sie die Gucki hat, gibt es praktisch nur einmal. Weil sie von ihrem Opa ist. Seine Fliegerjacke. Aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber die Jacke vom Sigi schaut auch ziemlich alt aus. „Auch Deutsche Wehrmacht?“, fragt die Gucki.

„Nein, Royal Air Force“, antwortet der Sigi. „Hab ich bei einer Wette mit einem alten englischen Jagdflieger gewonnen. Ein Langstreckenflug über 300 Meilen. Ich hab die Stiefel vom Papa gesetzt.“

Und seine Stiefel sind jetzt wirklich genau die gleichen wie die von der Gucki. Nur größer halt. Weil ihr Opa kleine Füße gehabt hat. Weil aber der Sigi und die Gucki auch noch ein jeder eine schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover anhaben, kann man wirklich nur sagen: Partnerlook perfekt!

Bei so viel modischer Harmonie ist es kein Wunder, dass sich die zwei auch sonst gut verstehen und in kürzester Zeit einen Haufen Gemeinsamkeiten entdecken. Beide lieben Whiskey und hassen Grießkoch, beide lesen profil und halten die Mühlviertler Nachrichten für die provinziellste Provinzzeitung der Welt, und beide finden ein Puff in St. Moritz – akkurat neben der Kapelle Mariabrunn und der Heilquelle Mariabrunn – extrem witzig.

Dabei ist die Geschichte mit dem Sigi seinem Puff eigentlich genauso ein Zufall wie der Gucki ihre Karriere als Journalistin. Die Gucki ist ja nur bei den Mühlviertler Nachrichten gelandet, weil sie eine verkrachte Studentin war, und der Sigi ist als Geschäftsführer in einem Puff in Kitzbühel gelandet, weil er ebenfalls ein verkrachter Student war und außerdem nicht mehr länger den charmanten Schilehrer spielen hat wollen. In beiden Fällen also wirklich Pech oder Schicksal oder sonst was, auf keinen Fall aber das, was man heut so gern Lebensplanung nennt.

„Warum aber ausgerechnet in St. Moritz, das Puff, mein ich?“, fragt jetzt die Gucki. Sozusagen aus professioneller Neugier. Und hat auch schon ihr Tonband eingeschaltet. Ohne dass sie es überhaupt merkt. Praktisch Gewohnheit. Oder – wenn man so will – Berufskrankheit. Aber der Sigi merkt es sowieso nicht. Weil er der Gucki schon die längste Zeit tief in die Augen schaut. Wie wenn er es mutwillig auf das Versinken und Ertrinken in diesen braunen Augen angelegt hätte. Dabei ist auch der Rest nicht ohne! Als Motorradfahrer kann er solche Kurven beim besten Willen nicht übersehen! Und dann noch die lustige Stoppelglatze und die lustigen Grübchen in den Wangen, wenn sie lacht. Und sie lacht oft! Aber jetzt schaut sie ernst. Was hat sie gesagt?

„Warum musst du dein Puff unbedingt in St. Moritz aufmachen?“, hilft ihm die Gucki.

„Zu Fleiß natürlich! Meinem lieben Papa – Gott hab ihn selig! – meinem lieben Bruder, dem Herrn Oberarzt, zu Fleiß und allen besseren Herrschaften von St. Moritz zu Fleiß!“, erklärt der Sigi und lacht. Trotzdem erzählt er dann eine ziemlich traurige Geschichte. Wie er als Doktorbub in St. Moritz aufgewachsen ist. Wie er immer braver und gescheiter und tüchtiger sein hat müssen als wie die anderen Kinder. Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde, hat sein Papa das genannt. Wie er sich durchs Gymnasium in Freistadt quälen hat müssen und ihm der Papa nach einem Dreier in Mathematik ein halbes Jahr lang die Ziehharmonika weggesperrt hat. Wie er dann zum Medizinstudium nach Innsbruck gekommen ist. Wie er das Studium geschmissen und auf seinen Papa geschissen hat und jahrelang nicht mehr heim nach St. Moritz gefahren ist und sein Geld als Kellner und Schilehrer verdient hat. Und schließlich wie sich sein Papa wieder mit ihm versöhnen hat wollen. Aber auch nur, weil er erfahren hat, dass sein Siegfried einer der besten Paragleiter von ganz Europa ist und einen Langstreckenflug-Rekord nach dem anderen aufgestellt hat. Zwar nicht Deutsche Luftwaffe, aber immerhin, hat der liebe Papa geschrieben. Hat sich der Sigi halt hie und da wieder in St. Moritz anschauen lassen. Eh nur alle heiligen Zeiten. Und eh nur wegen der Mama. Die ihr ganzes Leben lang zu feig war, um ihrem Mann, dem Herrn Doktor, zu widersprechen. Hat sich ja nicht einmal getraut, ihren Mann zu überleben. Kaum hat der einen Gehirntumor gehabt, ist sie auch schon ruckzuck an einem Herzinfarkt gestorben. Und wahrscheinlich hat der Sigi das Haus wirklich nur geerbt, weil er die Krimi mitgehabt hat, wie er zum Begräbnis von der Mama nach St. Moritz gekommen ist. „Wenn das kein Grund ist, ein Puff aufzumachen, dann weiß ich auch nicht!“, beendet der Sigi schließlich seine Geschichte.

Kann die Gucki natürlich nichts mehr sagen und nichts mehr fragen. So was von traurig! Am liebsten tät sie den Sigi von oben bis unten mit Küssen zudecken, so leid tut er ihr. Nur: Das geht nicht! Weil sie nicht gleich am ersten Tag mit ihm ins Bett hupfen will. Aber nicht aus Prinzip! Das hat sie schon oft genug gemacht. Aber mit anderen Männern. Nicht mit einem wie dem Sigi. Mit dem sie sich mehr vorstellen kann. Weil er ihr so nahe ist. Weil er sie wirklich berührt. Gibt es so was – fragt sich die Gucki – einen Gleichklang der Seelen? Und dann fällt ihr zu allem Überfluss auch noch ein Bruchstück von einem furchtbar kitschigen Gedicht ein: Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt? So ein Schmarrn! Nie im Leben tät sie einen Hund Rilke taufen. Der könnte ja vor lauter Gefühl nicht einmal einer Katze nachrennen. Wo ist denn überhaupt ihr kleiner Turrini?

Na, das ist vielleicht ein Bild! Der Turrini hat sich vor dem Ofen eingerollt, und hinter ihm liegt die Krimi und hat eine ihrer mächtigen Pfoten um ihn gelegt, als ob sie ihn beschützen möchte. Oder ist das eher besitzergreifend gemeint? Muss sich die Gucki leider eingestehen, dass sie sich bei der Liebe nicht recht auskennt. Nicht bei den Hunden – und schon gar nicht bei sich selber!

Wird aber jetzt glücklicherweise vom Sigi aus ihren wirren Gedanken gerissen: „Bei mir oder zu dir?“

So eine Frechheit! Das sieht ihm ähnlich! Na, warte, mein lieber Sigi! „Morgen Abend bei mir. Aber geschnäuzt, gekampelt, rasiert, mit Blumen und Präservativen und allem Drum und Dran!“ Da schaut er blöd. Recht geschieht ihm!

Jetzt aber kurz und schmerzlos adieu sagen, sonst landet sie womöglich noch völlig willenlos auf der verdreckten Couch, die dem Sigi anscheinend als Bett dient. Leichter gesagt als getan! Der kleine Turrini weigert sich nämlich so standhaft, auch nur einen Millimeter von seiner Krimi zu weichen, dass sie sogar die Leine aus dem Auto holen muss. Und weil auch der Sigi, der mindestens einen Meter neunzig ist und gut hundert Kilo hat, seinen Hund nur mit Mühe derhalten kann, gerät ihr Abschiedskuss eher zu einem Ringkampf als zu einem erotischen Abenteuer.

Trotzdem muss sich die Gucki eingestehen, als sie dann endlich daheim im Bett liegt, dass sie verliebt ist. Das erste Mal in ihrem Leben so richtig verliebt.

956,63 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
210 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783701178308
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают