Читать книгу: «Revierkampf», страница 2

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»Sie sind der Polizist?«, fragte der Arzt. Er war ein schlanker Mann von etwa 30 Jahren.

Tauner nickte, dann meldete sich der Pfleger. »Sie können nicht hierbleiben. Es ist zu eng, Theo könnte nach Ihnen greifen!«

Der Arzt warf einen Blick auf den Affen. »Bringen wir sie nach drinnen! Haben Sie eine Decke?«, fragte er den Tierpfleger. Sie trugen die Frau hinein, und der Arzt untersuchte sie. Er prüfte die Atmung, besah sich kurz die Pupillen. »Intubation vorbereiten!« Ein Rettungsassistent reichte ihm den Tubus.

Tauner erhob sich. »Wie heißen Sie?«, fragte er den Pfleger. »Haben Sie hier etwas zu sagen?«

»Mein Name ist Bormann, ich bin hier der Revierleiter!«

»Und wo waren Sie, als der Unfall geschah?«

»Ich war bei den Flamingos, hab sie gefüttert.«

»Und kamen Sie wieder, weil Sie mit der Fütterung fertig waren oder weil Sie etwas gehört haben?«

»Ich war auf dem Rückweg.«

»Und Sie haben was gesehen?« Tauner warf einen Blick auf den Notarzt. Einer der Rettungsassistenten beatmete die Frau mit dem Beatmungsbeutel. Der Arzt stach derweil einen Zugang in die Vene und spritzte ihr ein Medikament, welches, soweit Tauner wusste, die Herztätigkeit anregen sollte.

Tauner wandte sich wieder dem Pfleger zu. Der schluckte und dachte nach. »Ich hörte die Leute rufen und ahnte, was geschehen war.«

»Sie ahnten das?« Tauner warf einen prüfenden Blick auf den Mann.

Der Pfleger fuhr sich seitlich durchs Haar und straffte seinen Zopf. »Ich ahnte, was geschehen sein könnte.«

Tauner schüttelte verständnislos den Kopf. »Passiert denn so etwas öfters?«

Jetzt atmete Bormann durch und zeigte, wie sehr ihm Tauners Fragerei auf die Nerven ging. »Orang-Utans … Alle Menschenaffen sind sehr gefährlich. Wenn man nicht aufpasst, kann so was passieren.« Er deutete vage auf seine Kollegin. »Da die Besucher so schrien, ahnte ich eben, was geschehen war.«

Bormann sah sich um, als suchte er etwas. Tauner reagierte schnell. Er hielt den Mann fest, bevor dieser umkippen konnte, und half ihm, sich auf den Boden zu setzen. Tauner hockte sich daneben. Im nächsten Moment hörte er einen Schlüssel im Schloss, und mehrere Leute kamen herein. Tauner erhob sich und trat zwei Männern in den Weg. Einer war in Zivil, der andere hatte Arbeitskleidung an. »Moment, wer sind Sie?«

»Wer sind Sie denn?«, fragte der in Zivil zurück. Er war etwa in Tauners Alter, hatte gepflegtes dunkles Haar und sah aus wie einer, der Sport trieb und sich gesund ernährte.

»Kriminalpolizei Dresden, Hauptkommissar Tauner.« Falk holte seinen Ausweis hervor.

Der Mann runzelte die Stirn und sah dann fragend zu Bormann, der den Kopf hängen ließ und zu Boden starrte. »Ich bin der Zooinspektor. Wittstock ist mein Name! Wie kommt es, dass die Polizei schon da ist? Wir haben sie gar nicht gerufen.«

»Ich war zufällig hier.«

»Wie geht es Martina?« Wittstock betrachtete die Bemühungen des Notarztes.

»Sie ist tot!« Tauner gab den Weg frei, doch Wittstock machte keine Anstalten, näher zu treten. Stattdessen drängte sich sein Begleiter nach vorn und kniete sich schluchzend neben den Arzt. Tauner wünschte sich, es wären nicht so viele Leute hier.

»Sind Sie ein Angehöriger?«, fragte der Notarzt den aufgelösten Tierpfleger, was wohl bedeuten sollte, er solle sich fernhalten.

Der Pfleger konnte nur den Kopf schütteln, bevor er hochschnellte und Bormann anfuhr. »Das hast du doch mit Absicht gemacht, du Sau!«, zischte er den Revierleiter an und sah aus, als würde er gleich tätlich werden.

»Ruhig, Mann«, mahnte Tauner und drängte sich zwischen die Männer. »Er war ja gar nicht hier, als es passierte.«

»Reißen Sie sich zusammen, Herr Flieger!«, sagte auch der Zooinspektor, und Tauner ahnte, dass ihm wohl daran lag, dem Polizisten keinen allzu großen Einblick in die innerbetrieblichen Dissonanzen zu ermöglichen. Der wütende Tierpfleger ließ von seinem Kollegen ab, und Tauner nahm sich fest vor, ihn nach seiner Motivation zu diesem Ausbruch zu fragen.

»Gehen Sie in Ihren Bereich zurück, ich komme dann zu Ihnen!«, wies Wittstock den Mann an.

Der Pfleger sah aus, als wollte er sich erneut aufbäumen, doch Wittstocks eisiger Blick wusste es zu verhindern. Wütend stapfte er aus dem Gebäude und warf die Tür hinter sich zu.

Eine unangenehme Stille entstand. Tauner legte den Kopf schief und lauschte.

»Und was ist jetzt das?«, fragte er leise. Irgendwo im Gebäude weinte jemand.

»Das ist die Neue«, stöhnte Bormann, als wäre ihm jetzt erst eingefallen, dass noch jemand da war.

»Irgendwelche Vorschläge?«, fragte der Notarzt und sah die Rettungsassistenten an.

»Sie haben alles mit angesehen?«, fragte Tauner. Der Raum war nicht sehr groß. Eine Anrichte aus Edelstahl befand sich darin, ein großer Kühlschrank, eine Spüle und ein alter Schrank, der als Spind diente. Außerdem ein kleiner Tisch mit drei Stühlen. Auf einem von ihnen saß die Neue, Tauner setzte sich daneben.

Die Frau hatte die Hände vor das Gesicht gepresst und schluchzte herzergreifend, man sah nur ihr zerzaustes blondes Haar. Tauner berührte sie sachte am Arm. »Beruhigen Sie sich. Brauchen Sie etwas, Wasser vielleicht?« Tauner erhob sich, sah sich suchend um und nahm schließlich eine Edelstahltasse.

»Die sind für die Affen«, brachte die Frau hervor. Tauner drehte sich um und war erstaunt. Er hatte ein junges Mädchen erwartet, die Frau jedoch war mindestens 30.

Das konnte er gut als Aufhänger für ein Gespräch verwenden. Sein Gegenüber schien ihm zu fragil, als dass er sie sogleich mit Fragen bombardieren konnte. »Ich habe gedacht, Sie wären ein Lehrling. Bormann, sagte ›die Neue‹, das habe ich wohl falsch interpretiert.«

»Gewissermaßen bin ich Lehrling. Ich bin sozusagen ein Quereinsteiger.« Die Frau versuchte ein Lächeln. Tauner sah weg, als er erkannte, wie es entglitt. Und wieder schluchzte die Frau auf. »Die sehen so friedlich aus, und dann …« Sie schien wütend, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ihr Haar klebte an der Stirn, ihre Augen waren gerötet.

»Das hat der wohl nicht mit Absicht gemacht«, sagte Tauner.

»Sagen Sie das nicht!«, erwiderte sie.

Tauner beschloss, nicht darauf einzugehen. Er selbst war geschockt, er selbst hatte geglaubt, ein Orang-Utan wäre etwas wie ein großes muffiges Plüschtier, dem man ab und zu eine Banane gab. »Ihren Namen und Ihr Alter brauche ich, für das Protokoll!«

»Nora Stern. 27.«

Tauner notierte sich den Namen in sein Notizbuch. »Ich bin übrigens Falk Tauner, Hauptkommissar von der Kripo Dresden.«

Stern schien verblüfft. »Von der Kripo? Warum sind Sie denn hier?«

»Rein zufällig. Können Sie mir jetzt sagen, wie das passiert ist?«

Die Stern sah einen Moment lang aus, als würde sie erneut die Fassung verlieren, dann aber atmete sie durch. »Also gut. Bormann war weggegangen und ich war hier in der Futterküche. Im Sommer geben wir den Tieren zwischendurch immer mal Obst. Da glaubte ich, etwas zu hören, doch draußen war zu viel los …«

»Was haben Sie zu hören geglaubt?«

»Einen Schrei. Es hätte auch ein Kind sein können. Ich hab mir also nichts weiter gedacht, bis jemand gegen die Durchgangstür zum Außengehege schlug. Da bin ich losgerannt. Ich weiß, dass die Affen sehr gefährlich sein können, die haben unheimlich viel Kraft. Die können einem ruck, zuck den Arm brechen. Ich hab also die Tür aufgerissen, da sah ich, dass Theo Frau Weigelt am Hals gepackt hielt und ans Gitter presste. Sie hat sich gewehrt und ich hab versucht, Theos Finger von ihrem Hals zu lösen, doch die waren wie … wie Stahl. Er sah so ungerührt aus … Es machte ihm nichts aus, wissen Sie?« Stern sah ihn mit entsetzten Augen an.

Tauner wollte mit den Schultern zucken, vermied es gerade noch. »Es ist ein Tier. Ein Löwe tötet Sie auch nicht aus Mordlust. Das ist der Unterschied zum Menschen. Ein Tier handelt nur aus dem Instinkt heraus. Was geschah weiter?«

»Also Frau Weigelt verdrehte die Augen und die Zunge kam aus dem Mund, und dann zuckten ihre Füße und sie hörte auf, sich zu wehren. Und da ließ er sie los. Wissen Sie …« Jetzt verlor Nora Stern die Kontrolle über ihre Gefühle. »Der hat sie einfach so fallen gelassen … einfach wie Müll … oder …«

Tauner erhob sich und versuchte ein wenig linkisch, die Frau zu trösten, indem er ihre Schulter tätschelte.

Bormann betrat das Zimmer und sah aus, als hätte er nicht damit gerechnet, hier jemanden vorzufinden. Tauner gab ihm ein Zeichen hereinzukommen. Der Pfleger warf einen prüfenden Blick auf die weinende Frau.

»Als Sie ankamen, war da Frau Stern bei der verunglückten Kollegin?«

Bormann schüttelte den Kopf.

»Und als Sie kamen, lag da Frau Weigelt schon am Boden?«

»Glauben Sie mir etwa nicht?«, fuhr Nora Stern plötzlich auf.

Tauner schenkte ihr einen traurigen Blick. Er glaubte niemandem etwas. Manchmal glaubte er sich selbst nicht. Und immer wieder stellte er im Nachhinein fest, wie sehr er bestimmte Menschen damit verletzte. »Ich versuche nur, die Fakten zu sortieren. Wenn ich es nicht mache, tut es ein Kollege. Hätten Sie die Polizei auf dem normalen Wege gerufen, täten die nichts anderes.«

Stern sah ihn mit bebenden Lippen an. »Haben Sie mir denn etwas vorzuwerfen?«, flüsterte sie.

Bestenfalls unterlassene Hilfeleistung, dachte Tauner sich. Doch er wollte keinen Missmut hineinbringen. Er selbst war noch viel zu aufgeregt. Denn im Gegensatz zu den Toten, die er sonst zu Gesicht bekam, war diese Frau mehr oder weniger vor seinen Augen gestorben. Schließlich schüttelte er den Kopf.

Bormann war in der Zwischenzeit zur Anrichte gegangen und lehnte sich dagegen. Er starrte den gefliesten Boden an.

»Warum hat Ihr Kollege das gesagt?«, fragte Tauner.

Bormanns Augen hoben sich müde und sahen Tauner fragend an.

»Dieser Flieger, warum hat der das gesagt, das hätten Sie mit Absicht gemacht?«

Bormann verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Ich …«

»Das ist eine interne Sache, Herr Hauptkommissar!«, mischte sich Zooinspektor Wittstock ein. Er hatte offenbar die ganze Zeit hinter der Tür gestanden. »Das geht Sie nichts an, und es hat, wie Sie selbst sagten, mit der Sache nichts zu tun. Menschenaffen gelten als die gefährlichsten Zootiere überhaupt, und was wir hier haben, ist ein tragischer Unfall. Wie es zu dem Unfall kam, müssen wir klären. Wahrscheinlich läuft es auf Fahrlässigkeit hinaus. Sie selbst haben es gesehen, sagen Sie.«

Tauner wollte auffahren, denn er entschied, was er hören wollte und was ihn anging, doch dies war erstens wirklich ein Unfall gewesen und zweitens fiel ihm in diesem Moment etwas sehr Wichtiges ein. »Oh Mann«, stöhnte er und erhob sich, um an Wittstock vorbei nach draußen zu gehen. Doch der Notarzt stellte sich ihm in den Weg. Er hielt ein Papier in der Hand. Tauner erkannte ein Protokoll. Er nahm Tauner am Ärmel und zog ihn sanft von der Tür zur Futterküche weg. »Ich hab die Todeszeit eingetragen, Todesursache unklar.«

Tauner nickte.

»Die haben unheimliche Kraft, was?« Der Notarzt deutete nach hinten. »Der hätte ihr den Kopf abdrehen können. Ich habe mal einen Fernsehbericht gesehen. Die haben Kraft wie drei Männer.«

»Ja, furchtbar!«, sagte Tauner, ließ den Mann stehen und eilte nach draußen. Er lief um das Haus, wo sich eine erstaunliche Menschenmenge angesammelt hatte, und sah sich um. Dann nahm er sein Handy hervor und wählte eine Nummer. »Nicole? Wo seid ihr denn?«

3

»Ja, was hättest du denn tun sollen?«, fragte Uhlmann. »Konntest ja nicht einfach abhauen.«

Tauner wunderte sich über den unerwarteten Zuspruch. Der Montag war jung und roch nach Kaffee im Büro. Den Sonntag hatte er damit verbracht, seinen Kindern nachzutelefonieren, die allesamt beleidigt waren.

Pia war nicht ganz einverstanden. »Du hättest wenigstens mal kurz nach draußen gehen können, um ihnen zu sagen, dass es länger dauern wird. Oder anrufen.«

Uhlmann wedelte den Einwurf fort. »Wenn er doch zu tun hatte, du weißt selbst, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man Stress hat. Die sollen sich nicht so haben, immerhin ist da gerade eine Frau gestorben. Eigentlich sollten sie stolz auf ihren Vater sein, weil er versucht hat, sie zu retten.«

Tauner konnte seinen erstaunten Blick nicht von seinem Kollegen losreißen. Diese Gemengelage gab es nicht oft, dass beide Kommissare mit einer Stimme gegen Pia sprachen. Es war ihm suspekt. Uhlmann war sonst prinzipiell gegen Tauner. »In dem Moment«, murmelte er, »habe ich sie total vergessen.«

Pia seufzte hörbar. Wenn man sie ließe, würde sie mit einer riesigen Tube Leim die Familie Tauner zusammenkleben. Bei Falk hinterließ Pias Verhalten immer das fade Gefühl, als hielte sie ihn für nicht reif genug, um für sich selbst entscheiden zu können. Er kostete von seinem Kaffee, der bitter schmeckte. Genauso bitter wie der Gedanke, dass Pia vollkommen recht hatte. Doch was hätte er diesmal anders machen können? Nichts!

Pia hatte sogleich den toten Punkt erkannt, an dem dieses Gespräch angelangt war, und wechselte das Thema. »In der Zeitung haben sie geschrieben, die Orang-Utans würden falsch gehalten und dass am Sonntag 30 Prozent mehr Besucher in den Zoo kamen. Ob sie den Affen jetzt einschläfern?«

Tauner schüttelte den Kopf. »So etwas machen die heutzutage nicht mehr. Das war ein Unfall, und die Pflegerin war selbst dran schuld. Der Fall ist bei Staatsanwältin Diekmann-Wachte angekommen und die hat ihn gleich geschlossen. Die Doktor Rensing hat im Prinzip alles bestätigt.«

»Im Prinzip?«, fragte Uhlmann.

Tauner nickte in sich rein. »Sie hat alles bestätigt. Die Frau ist von dem Affen regelrecht erwürgt worden. Er hat ihr nicht nur die Luft, sondern auch die Blutzufuhr zum Gehirn abgeschnitten. Wie lang das Ganze ging, versuchen unsere Leute herauszufinden. Einige Besucher sagen, es hat schon zehn Minuten gedauert, ehe ich eingeschritten bin. Die hätte wahrscheinlich keiner mehr retten können. Letztlich ist das jetzt Sache der Berufsgenossenschaft, alles aufzuklären. Die Rensing lässt im Labor die Blutproben auswerten, ich denke, das wird es dann auch gewesen sein. Wieso denn eigentlich zwei Kinder?« Der letzte Gedanke war Tauner gerade eben erst gekommen.

Dementsprechend machte Pia eine erstaunte Miene.

»Die Weigelt, die Tote, die war doch schon 50 oder so.«

Pia schlug die Zeitung auf und überflog die Zeilen. »Zwei Kinder, steht hier. Vielleicht sind die schon erwachsen. Vielleicht hat sie auch erst spät angefangen.«

»Vielleicht hat die Zeitung keine Ahnung«, mischte sich Uhlmann ein. Dann kam auch ihm ein Gedanke. »Ich hab übrigens heut Morgen einen neuen ›Tag‹ entdeckt, direkt vor unserer Haustür.«

Tauner starrte seinen Kollegen eine Weile an und hoffte, der Aha-Effekt setze bei ihm ein, doch Uhlmann wurde die Zeit zu lang. »Dein Sprayer! Der hat wieder zugeschlagen. Direkt hier unten am Stromkasten. Wenn du aus dem Fenster siehst, rechts. Die aus der Abteilung Graffiti sagen, der Typ wäre einer der ganz Fleißigen. Lässt fast jeden Tag einen stehen. Vorausgesetzt, es ist immer derselbe.«

Tauner zuckte unwillkürlich mit den Achseln. »Was hat er denn davon? Wie ein Köter, der alle Ecken anpinkelt.«

Uhlmann zwinkerte bestätigend. »Ganz genau das ist es auch. Er hat auch schon zwei große Graffiti abgesetzt, beide an S-Bahn Waggons, das bringt in den einschlägigen Kreisen den meisten Ruhm. Auf einem Abstellgleis beim Hauptbahnhof, dort, wo Polizei und Wachschutz patrouilliert.«

»Und, glaubst du, er hat das mit Absicht gemacht. Also wegen mir?«

»Na klar. Du kannst mich mal, soll das heißen.« Uhlmann lachte und machte sich über ein Brötchen her.

4

Der nächste Morgen brachte keinerlei neue Erkenntnisse. Tauners Kinder waren weiterhin beleidigt, und die Laboranalyse vom Blut der Toten bestätigte die Unfalltheorie. Die Pflegerin musste in einem unbedachten Moment dem Käfig zu nahe gekommen sein, Theo, der älteste männliche Orang-Utan, hatte sie ergriffen, sie zu sich herangezogen und sie gewürgt. Frau Stern hatte versucht, die Hände des Affen vom Hals der Frau zu lösen, war an der puren Kraft des Tieres gescheitert und entsetzt davongelaufen, was ihr keiner übel nahm. Der Zoo selbst sprach von einem tragischen Unfall. Die Sicherheitsvorkehrungen würden noch einmal überprüft, doch es war niemandem eine bestimmte Schuld zu- oder nachzuweisen.

Pia haute Tauner eine Tasse Kaffee auf den Tisch, wie sie es fast immer tat, um zu zeigen, dass er sich ihn selbst holen konnte. Tauner ignorierte das wie immer. »Die kriegen jetzt echt Probleme!«, meinte Pia und legte Tauner eine Ausgabe von Deutschlands größtem Boulevardblatt auf den Tisch.

»›PETA beklagt falsche Tierhaltung‹«, las er. Nichts Neues, dachte er sich dabei. »War doch klar, die machen immer gleich Betrieb, wenn sich ihnen eine Gelegenheit bietet.«

Pia wollte sich ihre Schwarzmalerei nicht gleich vermiesen lassen. »Die rufen zur Demonstration auf! Die wollen sich morgen da treffen und so etwas wie eine Mahnwache halten. Ich hab das im Internet gelesen.«

»Soll ich etwa was dagegen tun?«, fragte Tauner seine Schreibkraft.

Pia ging nicht darauf ein. »Warum, glaubst du, hat er sie umgebracht?«

Tauner hob die Schultern, darüber hatte er schon zwei Nächte lang nachgedacht und war zu keinem Schluss gekommen. »Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem es gefährlich ist, in den Löwenkäfig zu klettern. Weil er konnte. Weil er sie erwischt hat.«

»Das ist nicht ganz logisch. Affen fressen kein Fleisch, zumindest keine Orang-Utans.« Pia wollte sicher rüberkommen, schaffte es jedoch nicht ganz. »Soviel ich weiß«, fügte sie hinzu.

»Wie gesagt, der Inspektor meinte auch, Menschenaffen gelten als die gefährlichsten Zootiere. Das Orang-Utan-Männchen hat sie erwischt, weil sie unvorsichtig war, und hat sie umgebracht.«

»Das sind doch keine Mörder, dahinter steckt doch keine Tücke.«

»Was quatschst du mich denn voll damit?«, knurrte Tauner. »Ich hab es doch gesehen! Außerdem hat keiner von ›Mord‹ geredet. Er hat es eben getan, einfach so.«

Jetzt war Pia beleidigt. »Was sollen die denn auch sonst tun, wenn sie den ganzen Tag eingesperrt sind!«

Tauner schob seinen Kaffee weg. »Du tust ja gerade, als sei ich daran schuld.«

»Hättest du eigentlich geschossen, wenn du deine Waffe mitgehabt hättest?«, fragte Uhlmann.

Tauner schrieb sich in Gedanken eine Notiz, niemals mit seinem Kollegen einen Porzellanladen aufzusuchen. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hab instinktiv nach der Pistole gegriffen, hätte wahrscheinlich nicht geschossen, da standen über Hundert Menschen. Hätte ich einen Gitterstab getroffen, wäre der Schuss als Querschläger vielleicht in die Menge geknallt. Ich will gar nicht daran denken.«

»Du hättest ihn abgeknallt, stimmt’s?« Pia lächelte wütend.

Tauner atmete tief durch. »Pia. Ich selbst habe es nicht geglaubt, aber so wie es aussieht, hat er sich die Frau geschnappt und sie glatt erwürgt. Es tut mir leid, es ist so. Und wenn du jetzt gegen Zootierhaltung bist, geh eben demonstrieren morgen. Ich überlege mir, ob ich Urlaub einreiche. Wenigstens ein paar Tage. Ich muss mich wohl bei meinen Kindern wieder einkratzen. Tom und Sandy haben noch eine Woche Ferien und vielleicht kann Nicole freimachen.«

»Soweit ich weiß, hat Sandy einen Ferienjob.« Pia senkte die Augen und wurde rot.

Tauner verengte die Augen zu Schlitzen. »Habt ihr miteinander gesprochen?«

»Nein«, antwortete Pia zögerlich.

»Du hast nicht mit Nicole gesprochen. Mit wem denn? Mit meiner Ex?«

Uhlmann wendete rückwärts im Porzellangeschäft. »Es ist nicht verboten!«, meinte er dazu. »Nur weil ihr in Scheidung lebt.«

»Ich hab doch gar nichts …« Tauner verstummte, weil das Telefon klingelte, und lenkte seine Wut von Pia auf den Anrufer. »Was denn?«, schnauzte er in den Apparat. »Ein Flieger? Herr Flieger? Ach ja, ich schicke jemanden!« Tauner legte auf und sah Pia an.

Die verschränkte ihre Arme trotzig. Uhlmann hob provokativ die Augenbrauen und rührte sonst keinen Muskel.

»Geh ich eben selbst!«, zischte Tauner.

Hermann Flieger wirkte zerfahren und sah sich im Gebäude um, als erwartete er jeden Moment, angegriffen zu werden. Tauner hatte ihn gebeten zu schweigen, bis sie im Büro waren, nun waren sie angekommen, und Flieger schwieg noch immer.

Uhlmann beugte sich vor und lächelte. »Also was nun, Herr Flieger. Hat Sie jetzt der Mut verlassen?«

Tauner hielt sich zurück. Uhlmann hatte auf bestimmte Menschen eine besondere Wirkung. Vor ihm verloren sie die Hemmung, wahrscheinlich weil er irgendwie wie ein großer Bruder schien. Ein ganz großer Bruder und ein dicker dazu. Manchmal schienen die Krümel in seinem Bart das Tüpfelchen auf dem i zu sein. Und da sollte mal jemand sagen, er wäre nicht lernfähig, dachte sich Tauner. Guter Bulle, böser Bulle, dachte er. Früher war er immer der gute gewesen.

Flieger schnaufte. Er war ein hagerer Mann in Tauners Größe, der die 50 offensichtlich überschritten hatte. Während er in Arbeitskleidung ausgesehen hatte wie ein zäher, sehniger Bergsteiger, wirkte er in Zivil einfach nur leicht unterernährt. Er hatte kurzes helles Haar und trug nun eine Brille, die nicht gerade das neueste Modell war, und auch nicht das zweitneueste. »Es ist nicht einfach«, sagte er leise, und Tauner wusste, was er damit meinte. Sich etwas vorzunehmen, ist das eine, es durchzuziehen das andere.

Schon verlor er die Geduld und beschloss, die Sache ein wenig zu forcieren. »Sie haben am Sonnabend gegenüber Bormann etwas angedeutet, sind Sie deshalb hier?«

Flieger wiegte erst den Kopf, bevor er nickte. »Haben Sie vielleicht etwas zu trinken?«, fragte er fast jämmerlich.

Falk hörte durch die geschlossene Tür, wie nebenan ein Stuhl zurückgeschoben wurde und ein Glas leise klirrte. Er wechselte mit Uhlmann einen belustigten Blick. Dann kam Pia mit einem Glas Wasser.

Flieger trank mit zitternden Händen und stellte das Glas so vorsichtig ab, als könne es bei der Berührung mit dem Tisch explodieren.

Wer gleich in die Luft ging, war Tauner. »Herr Flieger!«, mahnte er und zog sich den Unwillen seines Kollegen zu. Seit man ihm einen Tumor aus dem Kopf hatte schneiden müssen, glaubte er immerzu, die Zeit renne ihm davon.

»Wissen Sie, warum ich hier bin, ist nicht einfach zu erklären. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich … also ich will Bormann nicht …« Flieger atmete durch. »Also ich und Martina, wir sind seit einer Weile ein Paar … gewesen.« Flieger schluckte und kämpfte mit sich.

Es fiel ihm wirklich nicht leicht, dachte Tauner und beschloss, dem Mann Zeit zu geben. Auch wenn es aussah, als würden sich seine Urlaubspläne gerade zerschlagen, und auch wenn es aussah, als würde Flieger keinen einzigen Satz abschließen können.

»Vorher war Bormann mit ihr zusammen«, schaffte Flieger zu sagen.

»Das ist interessant, aber was hat das mit dem Unfall zu tun?«, meinte Uhlmann brüderlich.

»Ja, er war noch mit ihr zusammen, da waren sie und ich schon … also das ging fast ein Jahr so. Sie hat es ihm erst vor einer Weile gesagt. Also genau genommen kurz vor Weihnachten. Er war wütend, also richtig wütend, verstehen Sie?«

»Ich verstehe das«, sagte Uhlmann schnell, wahrscheinlich um Tauner zuvorzukommen, aus Angst, er könnte den armen Kerl zu sehr einschüchtern. »Bloß, Bormann war gar nicht anwesend, als der Unfall passierte.«

Flieger holte tief Luft und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das ist auch alles falsch, das wollte ich gar nicht sagen. Ich bin nur so … ich war so lange allein und dann war ich so glücklich und jetzt … ich bin nicht wegen Bormann hier!«

»Na, warum dann?«, fuhr Tauner den Mann an, ehe Uhlmann und er sich selbst daran hindern konnten.

Flieger sah ihn leicht befremdet an.

»Bleib mal locker!«, mahnte Uhlmann. »Weshalb sind Sie nun hier, haben Sie einen anderen Verdacht?«

Flieger wandte sich an Uhlmann, kehrte Tauner halb den Rücken zu. »Ich will Bormann nicht verdächtigen. Ich bin hier, weil es einige Dinge gibt, die Sie beachten müssen. Ich habe eine lange Zeit mit den Menschenaffen gearbeitet, ehe ich zu den Kriechtieren versetzt wurde. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Theo einen weiblichen Pfleger angreift. Männchen verteidigen ihr Revier immer gegen andere Männchen. Hätte der Affe Bormann angegriffen, hätte ich das verstanden. Außerdem … ich weiß nicht richtig, wie ich es ausdrücken soll.« Flieger dachte nach. »Wie er sie umgebracht hat, ist untypisch. Er hat sie erwürgt, normalerweise gehen Affen mit ihren Opfern anders um. Meist sieht die Sache sehr schlimm aus, sehr, sehr schlimm, verstehen Sie?«

Uhlmann warf Tauner einen Blick zu, der hob für beide die Schultern, weil Uhlmann das nicht konnte.

Flieger fühlte sich zu Recht nicht verstanden. »Affen sind sehr kräftig. Kämpfe gehen bei ihnen immer furchtbar aus. Sie haben nachher meist schreckliche Wunden. Orang-Utans sind Einzelgänger, sie gehen sich normalerweise aus dem Weg im Dschungel. Kündigen geräuschvoll ihr Kommen an, damit die anderen Bescheid wissen. Aber wenn es zum Kampf kommt, kennen sie kein Erbarmen. Wenn Theo Martina umgebracht hätte, hätte sie viel schlimmer ausgesehen. Große Fleischwunden, sogar herausgerissene Gliedmaßen, alles Mögliche kann da passieren.«

Tauner beugte sich vor und suchte nach passenden Worten. »Ich habe so den Eindruck, als reicht es Ihnen nicht, dass Frau Weigelt erwürgt wurde.«

»Falk, du Idiot!«, sagte Pia.

Doch die falschen Worte, dachte Falk Tauner, doch anders war die Frage nicht zu stellen, denn genau den Eindruck musste man von Flieger haben. »Entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise«, bat er so freundlich wie ein Polizist, der nach den Fahrzeugpapieren verlangte. »Sie scheinen nicht zu verstehen, dass ich es gesehen habe. Die Stern hat sogar versucht, die Finger des Affen zu lösen. Ich stand erst draußen vor dem Freigehege, dann bin ich hinten rein, Bormann hat mir aufgemacht, doch er selbst hatte die Anlage gerade erst betreten, das haben alle Zeugen bestätigt.«

Flieger ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid, vielleicht bin ich auch einfach zu aufgewühlt. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll. Ich muss doch wieder auf Arbeit, aber jedes Mal, wenn ich am Gehege vorbeikomme, weiß ich, dass da drinnen Martina gestorben ist. Und jetzt muss ich mich auch um die Beerdigung kümmern, und Martinas Eltern, denen muss ich das irgendwie beibringen. Die konnten mich noch nie leiden, die mochten Bormann viel mehr!« Flieger schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Wissen die Eltern von Frau Weigelt noch nichts davon?«, fragte Pia.

»Ich glaube nicht. Die lesen keine Zeitung und sehen kaum fern.«

»Es war doch vor drei Tagen, irgendjemand hat es ihnen schon gesagt.«

Flieger hob müde die Schultern.

»Und ihre Enkel, die Kinder von Frau Weigelt?«

Tauner wusste nicht, was Pia mit der Fragerei erreichen wollte. Am Ende beschwor sie einen Nervenzusammenbruch herauf, und er musste die Eltern der Toten aufsuchen.

Fliegers Blick konnte Blumen welken lassen. »Die Kinder haben mit ihren Großeltern kaum etwas zu tun, die haben bestimmt keinen Kontakt aufgenommen, da gibt es irgendeinen Zwist in der Familie.«

Ja, bei wem nicht, dachte Tauner und ignorierte Pias Blicke. Sollte die starren, wie sie wollte, er fuhr Flieger nicht zu den Eltern der Weigelt.

»Wie alt sind die denn, die Kinder?«, fragte Uhlmann, obwohl er Tauners Meinung nach lieber den Mund hätte halten sollen.

»26 und 29 Jahre.« Herr Flieger sah auf und Uhlmann hoffnungsvoll an.

»Könnte es sein, dass Frau Weigelt den Affen falsch behandelt hat?«, fragte Pia plötzlich halb laut.

Jetzt warf Tauner ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. Einer der bedeuten sollte, sie solle den Mund halten und sich nicht in die Polizeiarbeit einmischen. Doch anscheinend war seine Mimik nicht ausgereift, denn Pia schien es eher als Aufforderung zu sehen, weiter nachzuhaken.

»Ich meine, werden die Tiere vielleicht gequält?«

»Also …« Flieger schien völlig konsterniert. Gerade von Pia hätte er das nicht erwartet.

»Tja, so ist das hier bei uns!«, gab Tauner seinem Gedanken eine Ausdrucksform. »Und, kann es denn sein?«

Jetzt begann der Tierpfleger heftig mit dem Kopf zu schütteln. »Das ist unmöglich. Wirklich. Das geht bei Affen nicht. Man muss sie sachte behandeln, man muss ihnen zeigen, was sie tun dürfen und was nicht, auf eine sanfte Art. Wenn man sie misshandeln würde, könnte man sie gar nicht halten. Die würden durchdrehen oder die Nahrung verweigern.«

»Oder sie merken sich den Übeltäter und nutzen die Gelegenheit zur Rache, sobald sie sich ergibt«, setzte Pia ihre Ausführung fort.

»Nein doch, glauben Sie mir. Erst recht nicht Martina.«

»Aber Elefanten merken sich so etwas auch und Wale.« Pia hatte sich ein wenig festgebissen an diesem Gedanken. Dass ein Orang-Utan einfach so jemanden tötete, wollte sie nicht akzeptieren.

»Es sind keine Elefanten, sondern Primaten, Orang-Utans, und Theo hatte keinen Grund, Martina umzubringen. Das passiert manchmal, Sie müssen mal Bücher darüber lesen.« Flieger sah sich verzweifelt nach Hilfe um.

Pia schien Gefallen an der Rolle der Polizistin gefunden zu haben. »Aber gerade kamen Sie doch zu uns und meinten, etwas stimme da nicht und dass ein männlicher Affe keine Frau angreift.«

Flieger hob die Hände und schien den Tränen nahe. »Das ist doch kein geschriebenes Gesetz.«

Tauner erhob sich. »Kommen Sie, ich fahr Sie zu Frau Weigelts Eltern!«

Uhlmann grunzte verblüfft, und Pia verschränkte die Arme. Und ob sie die Lippen aus Wut zusammenkniff oder weil sie sich ein Grinsen verkneifen musste, beschäftigte Tauner noch, bis sie das Polizeipräsidium verlassen hatten und im Auto saßen.

Sie fuhren bis fast nach Bautzen. Flieger saß im Fond von Tauners Dienstwagen, Uhlmann rechts von ihm. Flieger wagte es nicht mehr, auch nur einen Ton von sich zu geben. Ab und an warf Tauner einen Blick in den Rückspiegel.

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26 мая 2021
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9783839241585
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