Читать книгу: «Превращение / Die Verwandlung. Уровень 3»
© Матвеев С. А., адаптация текста, коммент., упражнения и словарь, 2024
© ООО «Издательство АСТ», 2024
Die Verwandlung
I
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer1 verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig2 harten Rücken. Wenn er den Kopf ein wenig hob, sah er seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch3, auf dessen Höhe sich die Bettdecke kaum noch erhalten konnte. Seine vielen dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
«Was ist mit mir geschehen?4«, dachte er.
Es war kein Traum. Sein Zimmer, sein kleines Menschenzimmer, lag zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Samsa war Reisender5. Über dem Tisch, auf dem eine Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war, hing das Bild, das er vor kurzem6 aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten hatte. Dann hatte er das Bild in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht. Es stellte eine Dame dar7. Sie war mit einem Pelzhut und einer Pelzboa. Die Dame hob dem Beschauer einen schweren Pelzmuff.
Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster. Er hörte Regentropfen auf das Fensterblech. Das trübe Wetter machte ihn ganz melancholisch.
«Ich will noch ein wenig weiterschlafen und alle Narrheiten vergessen«, dachte er.
Aber das war gänzlich undurchführbar. Er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen. Und konnte er sich in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen.
Mit Kraft warf er sich auf die rechte Seite. Aber schaukelte er immer in die Rückenlage zurück8. Er versuchte es hundertmal. Er schloß die Augen, um die zappelnden Beine nicht sehen zu müssen. Er ließ erst ab, als er in der Seite einen leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann.
«Ach Gott«, dachte er,»was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tag ein, Tag aus auf der Reise9. Die geschäftlichen Aufregungen sind viel größer, als im eigentlichen Geschäft zu Hause10. Und außerdem ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt. Die Sorgen um die Zuganschlüsse11, das unregelmäßige, schlechte Essen, ein immer wechselnder menschlicher Verkehr. Der Teufel soll das alles holen!12«
Gregor fühlte ein leichtes Jucken oben auf dem Bauch. Er schob sich auf dem Rücken langsam näher zum Bettpfosten, um den Kopf besser zu heben. Er fand die juckende Stelle. Sie war mit lauter kleinen weißen Pünktchen besetzt. Er wollte mit einem Bein die Stelle betasten. Er zog es aber gleich zurück. Bei der Berührung umwehten ihn Kälteschauer.
Er glitt wieder in seine frühere Lage zurück.
«Dies frühzeitige Aufstehen«, dachte er,»macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muss seinen Schlaf haben. Andere Reisende leben wie Haremsfrauen13. Wenn ich im Laufe des Vormittags ins Gasthaus zurückgehe, um die Aufträge zu überschreiben, sitzen diese Herren erst beim Frühstück. Aber ich? Wenn ich bei meinem Chef das versuche, werde ich auf der Stelle14 hinausfliegen. Wer weiß übrigens, ob das nicht sehr gut für mich ist. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhalten muss, habe ich längst gekündigt. Ich werde vor den Chef hin getreten und ihm meine Meinung von Grund des Herzens15 sagen. Vom Pult16 wird er fallen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und von der Höhe herab mit dem Angestellten zu reden. Und wegen der Schwerhörigkeit des Chefs muss ich ganz nahe herantreten. Nun, die Hoffnung ist noch nicht gänzlich aufgegeben. Ich habe einmal das Geld beisammen, um die Schuld der Eltern an ihn abzuzahlen. Es wird noch fünf bis sechs Jahre dauern. Ja, mache ich die Sache unbedingt. Dann wird der große Schnitt gemacht17. Vorläufig allerdings muss ich aufstehen, denn mein Zug fährt um fünf.«
Er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten tickte.
«Himmlischer Vater!18«, dachte er.
Es war halb sieben Uhr. Die Zeiger gingen ruhig vorwärts. Es war sogar halb vorüber. Es näherte sich schon dreiviertel. Hat der Wecker nicht geläutet? Er war auf vier Uhr richtig eingestellt. Gewiss hat er geläutet. Ja, aber war es möglich, dieses Läuten ruhig zu verschlafen? Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto fester. Was aber sollte er jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben Uhr. Um den einzuholen, muss er sich unsinnig beeilen. Die Kollektion war noch nicht eingepackt, und er selbst fühlte sich durchaus nicht besonders frisch und beweglich. Und selbst wenn er den Zug einholte, ein Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden19. Der Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet und die Meldung von seiner Versäumnis längst erstattet.
Es war eine Kreatur des Chefs20, ohne Rückgrat und Verstand. Wie nun, wenn er krank ist? Das war aber äußerst peinlich und verdächtig, denn Gregor war während seines fünfjährigen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiss wird der Chef mit dem Krankenkassenarzt21 kommen. Er wird den Eltern wegen des faulen Sohnes Vorwürfe machen und alle Einwände abschneiden. Für ihn gibt es nur ganz gesunde, aber arbeitsscheue Menschen. Und hat er übrigens in diesem Falle so ganz unrecht? Gregor fühlte sich tatsächlich ganz wohl und hatte sogar einen besonders kräftigen Hunger.
II
Als er dies alles in größter Eile überlegte, gerade schlug der Wecker dreiviertel sieben. Dann klopfte die Mutter vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes.
«Gregor«, rief die Mutter,»es ist dreiviertel sieben. Willst du nicht wegfahren?«
Die sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er seine antwortende Stimme hörte. Das war unverkennbar seine frühere Stimme, in die sich aber ein schmerzliches Piepsen mischte. Gregor wollte ausführlich antworten und alles erklären. Aber sagte er bei diesen Umständen22:
«Ja, ja, danke, Mutter, ich stehe schon auf.«
Die Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung und schlürfte davon. Aber durch das kleine Gespräch sahen die anderen Familienmitglieder, dass Gregor noch zu Hause war. Schon klopfte an der einen Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust.
«Gregor, Gregor«, rief er,»was ist denn?«
Und nach einer kleinen Weile23 mahnte der Vater nochmals mit tieferer Stimme:
«Gregor! Gregor!«
An der anderen Seitentür aber klagte leise die Schwester:
«Gregor? Ist dir nicht wohl?24 Brauchst du etwas?«
Nach beiden Seiten hin antwortete Gregor:
«Ich bin schon fertig«.
Er bemühte sich, seiner Stimme alles Auffallende zu nehmen. Der Vater kehrte auch zu seinem Frühstück zurück. Aber die Schwester flüsterte:
«Gregor, mach auf, ich beschwöre dich!«
Gregor aber dachte gar nicht daran aufzumachen. Zuerst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und frühstücken, und dann das Weitere überlegen. Denn, das merkte er, im Bett wird er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende kommen. Er erinnerte sich, schon oft im Bett irgendeinen durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben. Aber der sich beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte. Er war gespannt, dass die Veränderung der Stimme nichts anderes war, als der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit der Reisenden, daran zweifelte er nicht.
Die Decke abzuwerfen war ganz einfach. Er brauchte sich nur ein wenig aufzublasen. Sie fiel von selbst. Aber weiterhin wurde es schwierig, besonders weil er so ungemein breit war. Er braucht Arme und Hände, um sich aufzurichten. Statt dessen aber hatte er nur die vielen Beinchen, die in der verschiedensten Bewegung waren. Und konnte er die nicht beherrschen. Wollte er eines einmal einknicken, so war es das erste, dass es sich streckte25. Und gelang es ihm endlich, mit diesem Bein das auszuführen, was er wollte, so arbeiteten inzwischen alle anderen, in schmerzlicher Aufregung.
«Nur sich nicht im Bett aufhalten«, sagte sich Gregor.
Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers aus dem Bett hinauskommen. Aber dieser untere Teil, den er noch nicht gesehen hatte, erwies sich als zu schwer beweglich. Es ging so langsam. Als er schließlich, fast wild, mit gesammelter Kraft, ohne Rücksicht sich vorwärtsstieß, hatte er die Richtung falsch gewählt. Und schlug er an den unteren Bettpfosten heftig an. Der brennende Schmerz, den er empfand, belehrte ihn, dass gerade der untere Teil seines Körpers vielleicht der empfindlichste war.
Er versuchte es daher, zuerst den Oberkörper aus dem Bett zu bekommen. Er drehte vorsichtig den Kopf dem Bettrand zu. Dies gelang auch leicht26. Trotz ihrer Breite und Schwere folgte schließlich die Körpermasse langsam der Wendung des Kopfes. Aber als er den Kopf endlich außerhalb des Bettes in der freien Luft hielt, bekam er Angst, weiter auf diese Weise vorzurücken. Wenn er sich schließlich so fallen ließ, musste geradezu ein Wunder geschehen, wenn der Kopf nicht verletzt werden sollte. Und die Besinnung durfte er gerade jetzt um keinen Preis27 verlieren. Er wollte lieber im Bett bleiben.
Aber als er wieder so dalag wie früher, und wieder seine Beinchen womöglich noch ärger gegeneinander kämpfen sah und keine Möglichkeit fand, in diese Willkür Ruhe und Ordnung zu bringen, sagte er sich wieder:
«Ich kann im Bett nicht bleiben! Gibt es die kleinste Hoffnung, mich vom Bett zu befreien?«
Gleichzeitig aber vergaß er nicht, dass viel besser als verzweifelte Entschlüsse ruhige und ruhigste Überlegung ist. In solchen Augenblicken richtete er die Augen scharf auf das Fenster. Aber leider war aus dem Anblick des Morgennebels28, der sogar die andere Seite der engen Straße verhüllte, wenig Zuversicht und Munterkeit zu holen.
«Schon sieben Uhr«, sagte er sich,»schon sieben Uhr und noch immer ein solcher Nebel.«
Und ein Weilchen lang lag er ruhig mit schwachem Atem.
III
Dann aber sagte er sich:
«Ehe es ein Viertel acht schlägt, muss ich unbedingt das Bett verlassen. Im übrigen wird auch jemand aus dem Geschäft kommen, um nach mir zu fragen. Das Geschäft wird vor sieben Uhr geöffnet.«
Er machte sich nun daran, den Körper in seiner ganzen Länge vollständig gleichmäßig aus dem Bett hinauszuschaukeln. Wenn er sich aus dem Bett fallen ließ, blieb der Kopf voraussichtlich unverletzt. Der Rücken war hart; dem wird wohl bei dem Fall auf den Teppich nichts geschehen. Das größte Bedenken machte ihm der Krach, den es geben muss. Aber muss er wagen.
Die neue Methode war mehr ein Spiel als eine Anstrengung. Als Gregor schon zur Hälfte aus dem Bette ragte, fiel ihm ein29, wie einfach alles ist, wenn man ihm zu Hilfe kommt. Er dachte an seinen Vater und das Dienstmädchen. Zwei starke Leute sind genug. Sie werden ihre Arme nur unter seinen Rücken schieben, ihn so aus dem Bett schälen, sich mit der Last niederbeugen und dann bloß vorsichtig dulden, dass er den Überschwung auf dem Fußboden vollzog. Dann die Beinchen werden einen Sinn bekommen. Nun waren die Türen versperrt. Soll er wirklich um Hilfe rufen? Bei diesem Gedanken konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken.
Schon war er so weit, dass er bei stärkerem Schaukeln kaum das Gleichgewicht noch erhielt30. Sehr bald musste er sich nun endgültig entscheiden, denn es war in fünf Minuten ein Viertel acht, als es an der Wohnungstür läutete.
«Das ist jemand aus dem Geschäft«, sagte er sich und erstarrte fast. Seine Beinchen nur tanzten. Einen Augenblick blieb alles still.
«Sie öffnen nicht«, sagte sich Gregor.
Das was eine Hoffnung. Aber dann ging natürlich das Dienstmädchen zur Tür und öffnete. Gregor hat das erste Grußwort des Besuchers gehört. Er wusste schon, wer es war – der Prokurist31 selbst. Warum war nur Gregor dazu verurteilt, bei dieser Firma zu dienen? Waren denn alle Angestellten Lumpen, gab es denn keinen treuen ergebenen Menschen? Warum hier kommen?
Genügte es wirklich nicht, einen Lehrjungen32 nachfragen zu lassen? Musste da der Prokurist selbst kommen? Musste dadurch der ganzen Familie gezeigt werden, dass die Untersuchung dieser verdächtigen Angelegenheit nur dem Verstand des Prokuristen anvertraut werden kann? Und schwang Gregor sich mit aller Macht aus dem Bett.
Es gab einen lauten Schlag, aber ein eigentlicher Krach war es nicht. Ein wenig wurde der Fall durch den Teppich abgeschwächt. Auch war der Rücken elastischer, als Gregor gedacht hatte. Daher kam der dumpfe Klang. Nur den Kopf hatte er nicht vorsichtig genug gehalten und ihn angeschlagen. Er drehte ihn und rieb ihn an dem Teppich vor Ärger und Schmerz.
«Da drin ist etwas gefallen«, sagte der Prokurist im Nebenzimmer links.
Gregor war still. Dann machte der Prokurist im Nebenzimmer ein paar bestimmte Schritte. Aus dem Nebenzimmer rechts flüsterte die Schwester, um Gregor zu verständigen:
«Gregor, der Prokurist ist da.«
«Ich weiß«, sagte Gregor.
«Gregor«, sagte nun der Vater aus dem Nebenzimmer links,»der Herr Prokurist ist gekommen. Er erkundigt sich, warum du nicht mit dem Frühzug weggefahren bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen sollen. Übrigens will er auch mit dir persönlich sprechen.«
«Guten Morgen, Herr Samsa«, rief der Prokurist freundlich.
«Ihm ist nicht wohl«, sagte die Mutter zum Prokuristen, während der Vater noch an der Tür redete,»ihm ist nicht wohl. Glauben Sie mir, Herr Prokurist. Kann Gregor einen Zug versäumen? Nein. Der Junge hat ja nichts im Kopf als das Geschäft. Ich ärgere mich schon fast, dass er abends niemals ausgeht. Jetzt war er doch acht Tage in der Stadt, aber jeden Abend war er zu Hause. Da sitzt er bei uns am Tisch. Er liest die Zeitung oder studiert Fahrpläne. Es ist schon eine Zerstreuung für ihn, wenn er sich mit Laubsägearbeiten beschäftigt33. Da hat er zum Beispiel im Laufe von zwei, drei Abenden34 einen kleinen Rahmen geschnitzt. Sie werden staunen, wie hübsch er ist. Er hängt drin im Zimmer. Sie werden ihn gleich sehen, bis Gregor aufmacht. Ich bin übrigens glücklich, dass Sie da sind, Herr Prokurist. Warum kann er die Tür nicht öffnen? Er ist so hartnäckig! Und bestimmt ist ihm nicht wohl.«
«Ich komme gleich«, sagte Gregor langsam und bedächtig.
Er rührte sich nicht, um kein Wort der Gespräche zu verlieren.
«Anders, gnädige Frau, kann ich es mir auch nicht erklären«, sagte der Prokurist,»hoffentlich ist es nichts Ernstes35. Wenn ich auch andererseits sagen muss, dass wir Geschäftsleute – leider oder glücklicherweise – ein leichtes Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen Rücksichten36 einfach überwinden müssen.«
«Also kann der Herr Prokurist schon zu dir hinein?«fragte der ungeduldige Vater.
Er klopfte wiederum an die Tür.
«Nein«, sagte Gregor.
Im Nebenzimmer links trat eine peinliche Stille ein. Im Nebenzimmer rechts begann die Schwester zu schluchzen.
IV
Warum ging denn die Schwester nicht zu den anderen? Sie war wohl erst jetzt aus dem Bett aufgestanden. Sie hatte noch gar nicht angefangen sich anzuziehen. Und warum weinte sie denn? Weil er nicht aufstand und den Prokuristen nicht hereinließ? Weil er in Gefahr war, den Posten zu verlieren37? Weil wird der Chef die Eltern mit den alten Forderungen wieder verfolgen? Das waren unnötige Sorgen. Noch war Gregor hier. Er dachte nicht im geringsten daran, seine Familie zu verlassen. Er lag auf dem Teppich. Er wird den Prokuristen nicht hereinlassen. Aber wegen dieser kleinen Unhöflichkeit, konnte Gregor doch nicht gut sofort weggeschickt werden. Und Gregor dachte, dass es viel vernünftiger ist, ihn jetzt in Ruhe zu lassen, statt ihn mit Weinen und Zureden zu stören. Aber es war eben die Ungewissheit, welche die anderen bedrängte.
«Herr Samsa«, rief nun der Prokurist,»was ist denn los? Sie verbarrikadieren sich da in Ihrem Zimmer. Sie antworten bloß mit ja und nein. Sie machen Ihren Eltern schwere, unnötige Sorgen. Und Sie versäumen Ihre geschäftliche Pflichten. Ich spreche hier im Namen Ihrer Eltern38 und Ihres Chefs. Ich bitte Sie ganz ernsthaft um eine augenblickliche, deutliche Erklärung. Ich staune, ich staune! Ich glaubte Sie als einen ruhigen, vernünftigen Menschen zu kennen. Aber nun wollen Sie mit sonderbaren Launen paradieren. Der Chef deutete mir zwar heute früh eine Erklärung für Ihre Versäumnisse an. Sie betraf das Ihnen seit kurzem anvertraute Inkasso. Aber ich denke, dass diese Erklärung nicht gut ist. Nun aber sehe ich hier Ihren unbegreiflichen Starrsinn. Ich verliere ganz und gar39 jede Lust, mich auch für Sie einzusetzen. Und Ihre Stellung ist durchaus nicht die festeste. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Ihnen das alles unter vier Augen40 zu sagen, aber jetzt nein! Ihre Eltern werden alles erfahren. Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also sehr unbefriedigend. Es ist zwar nicht die Jahreszeit, um besondere Geschäfte zu machen, das stimmt. Aber eine Jahreszeit, um keine Geschäfte zu machen, gibt es überhaupt nicht, Herr Samsa.«
«Aber Herr Prokurist«, rief Gregor und vergaß in der Aufregung alles andere,»ich mache ja sofort, augenblicklich auf! Ein leichtes Unwohlsein, ein Schwindelanfall, haben mich verhindert aufzustehen. Ich liege noch jetzt im Bett. Jetzt bin ich aber schon wieder ganz frisch. Eben steige ich aus dem Bett. Nur einen kleinen Augenblick Geduld! Es geht noch nicht so gut; wie ich dachte. Es ist mir aber schon wohl. Noch gestern Abend war mir ganz gut. Meine Eltern wissen es ja. Oder besser, schon gestern Abend hatte ich eine kleine Vorahnung. Warum habe ich es nur im Geschäfte nicht gemeldet! Aber man denkt eben immer, dass man die Krankheit ohne Zuhausebleiben überstehen wird. Herr Prokurist! Schonen Sie meine Eltern! Für alle die Vorwürfe, die Sie mir jetzt machen, ist ja kein Grund. Man hat mir ja davon auch kein Wort gesagt. Sie haben vielleicht die letzten Aufträge, die ich geschickt habe, nicht gelesen. Übrigens, noch mit dem Achtuhrzug41 fahre ich auf die Reise. Die paar Stunden Ruhe haben mich gekräftigt. Halten Sie sich nur nicht auf42, Herr Prokurist. Ich bin gleich selbst im Geschäft. Haben Sie die Güte43, das zu sagen und mich dem Herrn Chef zu empfehlen!«
Und während Gregor dies alles hastig ausstieß und kaum wusste, was er sprach, hatte er sich leicht dem Kasten genähert und versuchte nun, an ihm sich aufzurichten. Er wollte tatsächlich die Tür aufmachen. Er wollte tatsächlich mit dem Prokuristen sprechen. Was werden die anderen bei seinem Anblick sagen? Werden sie erschrecken? Dann hat Gregor keine Verantwortung mehr. Dann kann er ruhig sein. Werden sie aber alles ruhig hinnehmen? Dann hat auch er keinen Grund sich aufzuregen, Dann kann er sich beeilte, um acht Uhr auf dem Bahnhof sein.
Zuerst glitt er nun einige Male von dem glatten Kasten ab, aber endlich gab er sich einen letzten Schwung und stand aufrecht da. Auf die Schmerzen im Unterleib achtete er gar nicht mehr. Nun ließ er sich gegen die Rückenlehne eines nahen Stuhles fallen, an deren Rändern er sich mit seinen Beinchen festhielt. Damit hatte er aber auch die Herrschaft über sich erlangt und verstummte. Denn konnte er den Prokuristen anhören.
«Haben Sie auch nur ein Wort verstanden?«, fragte der Prokurist die Eltern,»er macht sich doch wohl nicht einen Narren aus uns?«
«Um Gottes willen«, rief die Mutter schon unter Weinen,»er ist vielleicht schwer krank, und wir quälen ihn. Grete! Grete!«schrie sie dann.
«Mutter?«rief die Schwester von der anderen Seite.
Sie verständigten sich durch Gregors Zimmer.
«Du musst augenblicklich zum Arzt. Gregor ist krank. Rasch um den Arzt! Hast du Gregor jetzt reden hören?«
«Das war eine Tierstimme«, sagte der Prokurist.
«Anna! Anna!«rief der Vater durch das Vorzimmer in die Küche. Er klatschte in die Hände.»Sofort holen wir einen Schlosser!«
Und schon liefen die zwei Mädchen durch das Vorzimmer. Sie und rissen die Wohnungstüre auf. Man hörte gar nicht die Türe zuschlagen.
V
Gregor war aber viel ruhiger. Man verstand seine Worte nicht mehr, trotzdem sie ihm genug klar, klarer als früher waren. Aber immerhin glaubte man nun schon daran, dass es mit ihm nicht ganz in Ordnung war. Sie waren bereit, ihm zu helfen. Ihre Zuversicht und Sicherheit taten ihm wohl44. Er fühlte sich wieder einbezogen in den menschlichen Kreis. Er erhoffte vom Arzt und vom Schlosser großartige und überraschende Leistungen. Um eine klare Stimme zu bekommen, hustete er ein wenig ab. Im Nebenzimmer war es inzwischen ganz still geworden. Vielleicht saßen die Eltern mit dem Prokuristen beim Tisch und tuschelten. Vielleicht lehnten alle an der Türe und horchten.
Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tür hin. Er ließ ihn dort los. Dann warf er sich gegen die Tür, hielt sich an ihr aufrecht. Die Ballen seiner Beinchen hatten ein wenig Klebstoff. Einen Augenblick lang ruhte er sich dort von der Anstrengung aus. Dann aber machte er sich daran, mit dem Mund den Schlüssel umzudrehen. Leider hatte er keine Zähne. Womit sollte er gleich den Schlüssel fassen? Aber dafür waren die Kiefer freilich sehr stark. Mit ihrer Hilfe brachte er auch wirklich den Schlüssel in Bewegung. Und achtete er nicht darauf, dass er sich zweifellos irgendeinen Schaden zufügte. Eine braune Flüssigkeit kam ihm aus dem Mund. Die Flüssigkeit floss über den Schlüssel und tropfte auf den Boden.
«Hören Sie nur«, sagte der Prokurist im Nebenzimmer,»er dreht den Schlüssel um.«
Das war für Gregor eine große Aufmunterung. Aber warum riefen der Vater und die Mutter nicht.
«Frisch, Gregor, immer nur heran, fest an das heran45!«
Je nach dem Fortschreiten der Drehung des Schlüssels umtanzte er. Jetzt hielt er sich nur noch mit dem Munde aufrecht, und je nach Bedarf hing er sich an den Schlüssel oder drückte ihn dann wieder nieder mit der ganzen Last seines Körpers. Der hellere Klang erweckte Gregor förmlich. Aufatmend sagte er sich:
«Ich habe also den Schlosser nicht gebraucht«.
Dann legte er den Kopf auf die Klinke, um die Türe zu öffnen.
Die Türe waren eigentlich schon recht weit geöffnet. Er musste sich erst langsam um den einen Türflügel46 herumdrehen. Er war noch mit jener schwierigen Bewegung beschäftigt. Er hatte keine Zeit, auf anderes zu achten. Dann hörte er den Prokuristen ein lautes» Oh!«ausstoßen. Es klang, wie wenn der Wind saust. Und nun sah er ihn auch, wie er, der an der Türe war, die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam zurückwich. Eine unsichtbare Kraft vertreibe ihn. Die Mutter stand auch hier. Sie sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater an. Dann ging sie zwei Schritte zu Gregor hin. Und dann fiel sie nieder. Der Vater ballte mit feindseligem Ausdruck die Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer zurückstoßen. Er sah sich dann unsicher im Wohnzimmer um. Er beschattete dann mit den Händen die Augen und weinte. Seine mächtige Brust schüttelte sich.
Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer. Er lehnte sich von innen an den Türflügel. Man sah sein Leib und sein Kopf, mit dem er zu den anderen hinüberlugte. Es war inzwischen viel heller. Auf der anderen Straßenseite stand ein Ausschnitt des gegenüberliegenden, endlosen, grauschwarzen Hauses. Es war ein Krankenhaus. Der Regen fiel noch nieder, aber nur mit großen Tropfen. Das Frühstücksgeschirr stand auf dem Tisch. Für den Vater war das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages. Gerade an der Wand hing eine Photographie Gregors aus seiner Militärzeit, die ihn als Leutnant darstellte. Er verlangte Respekt für seine Haltung und Uniform. Die Tür zum Vorzimmer war geöffnet. Die Wohnungstür war auch geöffnet.
«Nun«, sagte Gregor,»ich werde mich gleich anziehen, die Kollektion zusammenpacken und wegfahren. Wollt Ihr, wollt Ihr mich wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen, ich bin nicht starrköpfig. Ich arbeite gern. Das Reisen ist beschwerlich, aber ich könnte ohne das Reisen nicht leben. Wohin gehen Sie denn, Herr Prokurist? Ins Geschäft? Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten? Man kann jetzt nicht arbeiten, aber dann ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an die früheren Leistungen zu erinnern. Ich bin ja dem Herrn Chef so sehr verpflichtet. Das wissen Sie doch recht gut. Andererseits habe ich die Sorge um meine Eltern und die Schwester. Ich bin in der Klemme47. Ich werde mich aber auch wieder herausarbeiten. Machen Sie es mir aber nicht schwieriger, als es schon ist. Halten Sie im Geschäft meine Partei! Man liebt den Reisenden nicht, ich weiß. Man denkt, er verdient ein Heidengeld48 und führt dabei ein schönes Leben. Sie aber, Herr Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick über die Verhältnisse als das sonstige Personal, ja sogar einen besseren Überblick als der Herr Chef selbst. Sie wissen auch sehr wohl, dass der Reisende, der fast das ganze Jahr außerhalb des Geschäfts ist, so leicht ein Opfer von Klatschereien, Zufälligkeiten und grundlosen Beschwerden werden kann. Nur dann, wenn er eine Reise beendet hat, zu Hause die schlimmen. Herr Prokurist, gehen Sie nicht weg, sagen Sie mir bitte ein Wort!«