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Dreizehntes Kapitel

Der Alte trat ein. Neugierig, und als ob er sich über etwas schämte, sah er uns an, machte dann ein finsteres Gesicht und trat an den Tisch.

»Wie ist's mit dem Samowar?« fragte er. »Konnte der denn noch nicht gebracht werden?«

»Da kommt er schon, lieber Mann, da kommt er; na, siehst du, da ist er schon!« erwiderte Anna Andrejewna und machte sich eifrig mit dem Teetisch zu schaffen.

Matrjona war, sowie sie den Hausherrn erblickt hatte, sofort mit dem Samowar erschienen, als ob sie nur auf seinen Eintritt gewartet hätte, um ihn zu bringen. Es war dies eine alte, erprobte, ergebene Dienerin, aber die eigenwilligste, brummigste von allen Dienerinnen auf der Welt, mit einem hartnäckigen, störrischen Charakter. Vor Nikolai Sergejewitsch hatte sie Furcht und hielt in seiner Anwesenheit immer ihre Zunge im Zaum. Dafür hielt sie sich vollauf an Anna Andrejewna schadlos, benahm sich fortwährend grob gegen sie und erhob offenkundig den Anspruch, über ihre Herrin zu herrschen, obwohl sie gleichzeitig sie und Natascha aufrichtig und von Herzen liebte. Diese Matrjona kannte ich schon von Ichmenewka her.

»Hm! . . . Das ist doch unangenehm, wenn man durchnäßt nach Hause kommt und sie nicht einmal so freundlich gewesen sind, Tee für einen bereitzuhalten«, brummte der Alte halblaut.

Anna Andrejewna blinzelte mir mit Bezug auf ihn sogleich zu. Er konnte solche geheimen Blicke nicht leiden, und obgleich er sich in diesem Augenblick Mühe gab, uns nicht anzusehen, so war ihm doch am Gesicht anzumerken, daß ihm Anna Andrejewnas Blick nicht entgangen war.

»Ich war in Geschäften ausgegangen, Wanja«, begann er auf einmal. »Es ist eine ganz nichtswürdige Geschichte. Habe ich es dir schon gesagt? Ich werde vollständig verurteilt werden. Ich habe keine Beweise, siehst du wohl; es fehlen mir die erforderlichen Belege; meine Auskünfte stellen sich als unrichtig heraus, heißt es . . . Hm!«

Er redete von seinem Prozeß mit dem Fürsten; dieser Prozeß zog sich immer noch hin, hatte aber für Nikolai Sergejewitsch eine sehr üble Wendung genommen. Ich schwieg, da ich nicht wußte, was ich ihm antworten sollte. Er sah mich mißtrauisch an.

»Na, nur zu!« rief er plötzlich, wie wenn unser Schweigen ihn gereizt hätte; »je schneller, um so besser! Zum Schurken können sie mich nicht machen, wenn sie mich auch zur Zahlung verurteilen. Mein Gewissen spricht mich frei; mögen sie ihren Spruch fällen, wie sie wollen! Wenigstens ist dann die Sache zu Ende; der Prozeß ist abgewickelt, und ich bin ruiniert . . . Ich lasse alles im Stich und gehe nach Sibirien.«

»Herrgott, warum sollen wir denn von hier fort? Und warum gleich so weit?« rief Anna Andrejewna, die nicht imstande war, sich zu beherrschen.

»Was haben wir denn hier, das uns fesseln könnte?« fragte er in grobem Ton; er schien sich über den Widerstand seiner Frau zu freuen.

»Nun, wir haben doch wenigstens . . . Menschen um uns . . .«, begann Anna Andrejewna und sah mich bekümmert an.

»Aber was für Menschen!« rief er und ließ seinen zornigen Blick zwischen mir und ihr hin- und hergehen; »was für Menschen! Räuber, Verleumder, Verräter! Solche Menschen gibt es überall in Menge; sei unbesorgt, die wirst du auch in Sibirien finden. Wenn du aber nicht mit mir kommen willst, dann bleib meinetwegen hier; ich zwinge dich nicht.«

»Liebster Nikolai Sergejewitsch! Um welcher Menschen willen werde ich denn ohne dich hierbleiben?« rief die arme Anna Andrejewna. »Ich habe ja auf der ganzen Welt außer dir niem . . .«

Sie sprach nicht zu Ende, verstummte und richtete einen ängstlichen Blick auf mich, wie wenn sie mich um Hilfe und Beistand bäte. Der Alte war in sehr gereizter Stimmung und ereiferte sich über jedes Wort; man durfte ihm nicht widersprechen.

»Lassen Sie es gut sein, Anna Andrejewna«, sagte ich; »in Sibirien ist es gar nicht so schlecht, wie man vielfach glaubt. Wenn ein Unglück eintritt und Sie Ichmenewka verkaufen müssen, so ist Nikolai Sergejewitschs Plan sogar recht gut. In Sibirien kann man leicht eine ordentliche Stellung als Privatangestellter finden, und dann . . .«

»Na, wenigstens du, Wanja, sprichst vernünftig; das hatte ich auch von dir gedacht. Ich lasse alles im Stich und gehe davon.«

»Nein, das hatte ich denn doch nicht erwartet!« rief Anna Andrejewna und schlug die Hände zusammen. »Und auch du, Wanja, haust in denselben Kerb! Das hatte ich von dir nicht erwartet! Du hast doch von uns immer nur Freundlichkeit erfahren, und jetzt . . .«

»Hahaha! Was hattest du denn erwartet? Überlege doch nur: wovon sollen wir denn leben? Das Geld ist zu Ende; wir sind bei der letzten Kopeke angelangt! Verlangst du etwa, daß ich zum Fürsten Pjotr Alexandrowitsch gehe und ihn um Verzeihung bitte?«

Als die alte Frau den Namen des Fürsten hörte, zitterte sie nur so vor Angst. Der Teelöffel, den sie in der Hand hielt, klirrte laut gegen die Untertasse.

»Nein, wirklich«, fuhr Ichmenew fort, der mit boshafter, eigensinniger Freude seinen eigenen Zorn immer mehr entflammte, »wie denkst du darüber, Wanja? Ich sollte wahrhaftig hingehen! Wozu sollen wir nach Sibirien ziehen? Lieber lege ich morgen meinen besten Anzug an und frisiere mich fein, Anna Andrejewna macht mir ein neues Vorhemdchen zurecht (wenn man zu einer so hohen Persönlichkeit geht, ist das unumgänglich notwendig); auch ein Paar Handschuhe kaufe ich mir, wie es der gute Ton verlangt, und dann gehe ich zu Seiner Durchlaucht. ›Durchlaucht‹, sage ich, ›Sie unser gütiger Wohltäter! Verzeihen Sie mir, und erbarmen Sie sich meiner; geben Sie mir das Notwendigste zum Leben; ich habe eine Frau und kleine Kinder . . .‹ Nicht wahr, Anna Andrejewna, das verlangst du?«

»Lieber Mann . . . ich verlange gar nichts! Ich habe das nur so in meiner Dummheit hingeredet; verzeih mir, wenn ich dich durch irgend etwas erzürnt habe, und sprich nur nicht so laut!« antwortete sie, immer heftiger vor Furcht zitternd.

Ich bin überzeugt, daß er beim Anblick der Tränen und der Angst seiner armen Frau den tiefsten Seelenschmerz empfand und sich ihm das Herz in der Brust umdrehte; ich bin überzeugt, daß ihm weit übler zumute war als ihr; aber er konnte sich nicht beherrschen. Es kommt das nicht selten bei durchaus gutherzigen, aber charakterschwachen Leuten vor: trotz all ihrer Herzensgüte lassen sie sich mit einer Art von Genuß durch ihren eigenen Gram und Zorn fortreißen; sie müssen um jeden Preis alles aussprechen, was in ihnen kocht, wenn sie dadurch auch Unschuldigen und gerade denen, die ihnen am nächsten stehen, noch so wehe tun. Frauen zum Beispiel haben manchmal geradezu ein Bedürfnis, sich unglücklich und beleidigt zu fühlen, obwohl weder eine Beleidigung noch ein Unglück vorliegt. Und es gibt viele Männer, die in diesem Punkt mit den Frauen Ähnlichkeit besitzen, darunter sogar solche, die keineswegs schwächlich sind und sonst nicht viel Weibisches an sich haben. Der alte Mann empfand das Bedürfnis, sich zu streiten, obwohl er selbst unter diesem Bedürfnis litt.

Ich erinnere mich, daß mir in diesem Augenblick der Gedanke durch den Kopf ging: hatte er vielleicht wirklich vorher etwas von der Art getan, wie es Anna Andrejewna vermutet? Vielleicht hatte gar Gott ihm das Herz gerührt, und er hatte sich wirklich auf den Weg zu Natascha gemacht, war aber unterwegs anderen Sinnes geworden, oder es war ihm dabei irgend etwas mißglückt, er war nicht zur Ausführung seiner Absicht gelangt (wie es auch nicht anders sein konnte), und nun war er, gereizt und gekränkt und sich der soeben gehegten Wünsche und Gefühle schämend, nach Hause zurückgekommen, suchte jemanden, an dem er seinen Ärger über seine »Schwäche« auslassen könne, und wählte sich dazu gerade diejenigen, bei denen er ebendieselben Wünsche und Gefühle am meisten voraussetzte. Vielleicht hatte er, als er seiner Tochter zu verzeihen wünschte, sich ganz besonders das Entzücken und die Freude seiner armen Anna Andrejewna vorgestellt, und nun, da seine Absicht mißlungen war, war seine Frau selbstverständlich die erste, die er deswegen schalt.

Aber als er sah, wie niedergeschmettert sie war und wie sie aus Furcht vor ihm zitterte, wurde er gerührt. Er schien sich seines Zornes zu schämen und beherrschte sich ein Weilchen. Wir schwiegen alle; ich gab mir Mühe, ihn nicht anzusehen. Aber die gute Regung dauerte nicht lange. Er mußte seinem Ingrimm um jeden Preis Luft machen, sei es durch einen wütenden Ausbruch, sei es auch durch eine Verfluchung.

»Siehst du, Wanja«, sagte er plötzlich, »es tut mir leid, ich wollte eigentlich nicht davon reden; aber der richtige Zeitpunkt ist gekommen, und ich muß mich offen aussprechen, ohne Winkelzüge, wie es sich für jeden ehrlichen Menschen ziemt . . . Du verstehst, Wanja? Ich freue mich, daß du gekommen bist, und darum will ich in deiner Gegenwart laut sagen, damit es auch andere hören, daß all dieser Unsinn, all diese Tränen und Seufzer, all dieses leidvolle Wesen mir schließlich zum Ekel geworden sind. Was ich aus meinem Herzen gerissen habe, wenn auch vielleicht mit Schmerz und blutenden Wunden, das kann nie wieder in mein Herz zurückkehren. So ist das! Ich habe es gesagt, und dabei bleibe ich. Ich rede von dem, was sich vor einem halben Jahr zugetragen hat; du verstehst, Wanja! Und ich rede davon so offen und deutlich eben deshalb, damit du meine Worte in keiner Weise mißverstehen kannst«, fügte er hinzu, indem er mich mit flammenden Augen ansah und offenbar die ängstlichen Blicke seiner Frau vermied. »Ich wiederhole: das ist Unsinn, und ich wünsche es nicht! . . . Was mich besonders empört, ist, daß alle mich wie einen Dummkopf, wie einen ganz gemeinen Schurken einer so niedrigen, so schwächlichen Empfindung für fähig halten . . . und denken, daß ich vor Gram den Verstand verliere . . . Unsinn! Ich habe alle alten Gefühle über Bord geworfen und vergessen! Für mich gibt es keine Erinnerungen mehr . . . nein, nein, nein und nochmals nein! . . .«

Er sprang vom Stuhl auf und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß die Tassen klirrten.

»Nikolai Sergejewitsch! Haben sie denn wirklich kein Mitleid mit Anna Andrejewna? Sehen Sie nur, was Sie ihr antun!« rief ich; ich konnte mich nicht mehr beherrschen und blickte ihn beinahe mit Entrüstung an. Aber ich goß nur Öl ins Feuer.

»Nein, ich habe kein Mitleid!« schrie er, zitternd und erblassend. »Ich habe kein Mitleid, weil man auch mit mir keins hat! Ich habe kein Mitleid, weil in meinem eigenen Hause Verschwörungen gegen mein entehrtes Haupt zugunsten einer liederlichen Tochter angestiftet werden, die des elterlichen Fluches und aller Strafen würdig ist! . . .«

»Liebster Mann! Nikolai Sergejewitsch! Verfluche sie nicht! . . . Alles, was du willst; nur verfluche deine Tochter nicht!« rief Anna Andrejewna.

»Ich verfluche sie«, schrie der Alte noch viel lauter als vorher, »weil man von mir, dem Beleidigten und Beschimpften, verlangt, ich solle zu dieser Verworfenen hingehen und sie um Verzeihung bitten! Ja, ja, so ist es! Damit quält man mich täglich, Tag und Nacht, in meinem eigenen Haus, mit Tränen, Seufzern und dummen Andeutungen! Man will mich mürbe kriegen . . . Sieh mal, Wanja, sieh mal«, fügte er hinzu, indem er eilig mit zitternden Händen Papiere aus seiner Seitentasche herauszog, »hier sind Exzerpte aus meinen Prozeßakten! Aus diesem Prozeß ergibt sich jetzt, daß ich ein Dieb und Betrüger bin und meinen Wohltäter bestohlen habe! . . . Um ihretwillen bin ich beschimpft und entehrt! Da, da, sieh nur, sieh nur! . . .«

Und er begann aus der Seitentasche seines Rockes allerlei Papiere, eines nach dem anderen, herauszuholen und auf den Tisch zu werfen und suchte unter ihnen ungeduldig nach demjenigen, das er mir zeigen wollte; aber das gewünschte Papier schien sich absichtlich nicht finden lassen zu wollen. In seiner Ungeduld schleuderte er aus der Tasche alles, was er darin mit der Hand faßte, heraus, und plötzlich fiel etwas Schweres mit hellem Klang auf den Tisch . . . Anna Andrejewna schrie auf. Es war das verlorene Medaillon.

Ich wollte kaum meinen Augen trauen. Das Blut stieg dem alten Mann in den Kopf und übergoß seine Wangen mit dunkler Röte; er fuhr zusammen. Anna Andrejewna stand mit gefalteten Händen da und sah ihn flehend an. Ihr Gesicht erstrahlte von einer hellen, freudigen Hoffnung. Diese Röte im Gesicht des alten Mannes, diese seine Verlegenheit uns gegenüber . . . ja, sie hatte sich nicht geirrt; sie begriff jetzt, wie ihr Medaillon verschwunden war!

Sie begriff, daß er es gefunden, sich über seinen Fund gefreut und, vielleicht zitternd vor Wonne, ihn bei sich vor allen Augen verborgen hatte; daß er, sobald er allein war und von niemand gesehen wurde, mit grenzenloser Liebe das Gesichtchen seines geliebten Kindes betrachtet hatte, sich gar nicht daran hatte satt sehen können; daß er vielleicht ebenso wie sie, die arme Mutter, sich allein eingeschlossen hatte, um mit seiner teuren Natascha zu reden, sich ihre Antworten auszudenken und dann wieder selbst darauf zu antworten; daß er nachts in qualvoller Sehnsucht, sein Schluchzen in der Brust unterdrückend, das liebe Bild gestreichelt und geküßt und, statt Verwünschungen auszustoßen, die Verzeihung und den Segen des Höchsten auf die herabgerufen hatte, von der er, wenn andere zugegen gewesen waren, gesagt hatte, er wolle sie nie wiedersehen, er verfluche sie.

»Also liebst du sie doch noch, liebster Mann!« rief Anna Andrejewna, die jetzt dem strengen Vater gegenüber, der einen Augenblick vorher ihre Natascha verflucht hatte, ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten konnte.

Aber kaum hatte er ihren Ausruf gehört, als eine sinnlose Wut in seinen Augen aufflammte. Er ergriff das Medaillon, warf es heftig auf den Fußboden und begann wie ein Rasender mit dem Fuß daraufzustampfen.

»Sei für alle Ewigkeit von mir verflucht!« rief er mit heiserer, fast versagender Stimme. »Für alle Ewigkeit, für alle Ewigkeit!«

»O Gott!« rief die alte Frau; »sie, sie, meine Natascha, ihr Gesichtchen tritt er mit Füßen! Mit Füßen! Du Tyrann! Du gefühlloser, hartherziger Barbar!«

Als er das Wehgeschrei seiner Frau hörte, hielt der sinnlose alte Mann, erschrocken über das, was er getan hatte, inne. Auf einmal hob er das Medaillon vom Fußboden auf und wollte aus dem Zimmer stürzen; aber als er zwei Schritte gemacht hatte, fiel er auf die Knie nieder, stützte sich mit den Armen auf das vor ihm stehende Sofa und ließ den Kopf kraftlos sinken.

Er schluchzte wie ein Kind, wie ein Weib. Das Schluchzen beengte ihm die Brust, als wollte es sie zersprengen. Der grimmige Alte war in einem Augenblick schwächer als ein Kind geworden. Oh, jetzt konnte er nicht mehr fluchen; er schämte sich vor keinem von uns mehr, und in einem krampfhaften Ausbruch seiner Liebe bedeckte er nun vor unseren Augen mit zahllosen Küssen dasselbe Bild, das er einen Augenblick vorher mit Füßen getreten hatte. Es schien, als ob seine ganze Zärtlichkeit und Liebe zu seiner Tochter, nachdem er dieses Gefühl so lange in seinem Innern zurückgehalten hatte, nun auf einmal mit unwiderstehlicher Gewalt nach außen hervorbrechen wollte und durch die Gewaltsamkeit dieses Ausbruchs sein ganzes Wesen zerstörte.

»Verzeih ihr, verzeih ihr!« rief Anna Andrejewna schluchzend, beugte sich über ihn und umarmte ihn. »Hole sie in das Elternhaus zurück, liebster Mann, und Gott selbst wird dir beim Jüngsten Gericht deine Friedfertigkeit und Barmherzigkeit als Verdienst anrechnen!«

»Nein, nein, um keinen Preis, niemals!« rief er mit heiserer, erstickter Stimme. »Niemals! Niemals!«

Vierzehntes Kapitel

Als ich zu Natascha kam, war es schon spät, fast zehn Uhr. Sie wohnte damals an der Fontanka, bei der Semjonowbrücke, in einer dem Kaufmann Kolotuschkin gehörenden schmutzigen Mietskaserne, im vierten Stock. In der ersten Zeit nach dem Verlassen des Elternhauses hatte sie mit Aljoscha eine kleine, aber hübsche, behagliche Wohnung im dritten Stockwerk auf dem Litejniprospekt innegehabt. Aber die Hilfsquellen des jungen Mannes waren bald versiegt. Musiklehrer war er nicht geworden; aber er hatte angefangen zu borgen und war in Schulden geraten, die für seine Verhältnisse gewaltig groß waren. Das Geld verwendete er zur Ausschmückung der Wohnung und zu Geschenken für Natascha, die gegen seine Verschwendung Einspruch erhob, ihn schalt und manchmal sogar weinte. Der empfindsame, zartfühlende Aljoscha dachte manchmal eine ganze Woche lang mit Genuß darüber nach, was er ihr wohl schenken könne und wie sie das Geschenk aufnehmen werde, malte es sich als einen richtigen Festtag aus, teilte mir im voraus voller Entzücken seine Erwartungen und Hoffnungen mit und verfiel dann bei ihren Vorhaltungen und Tränen in eine solche Traurigkeit, daß er einem leid tun konnte; in späterer Zeit kam es aus Anlaß solcher Geschenke zwischen ihnen zu ernstlichen Vorwürfen, zu Verstimmung und Streit. Außerdem vergeudete Aljoscha viel Geld hinter Nataschas Rücken; er führte mit seinen Kameraden ein lustiges Leben, war ihr untreu, verkehrte mit leichtfertigen Damen, liebte aber dabei Natascha dennoch sehr. Er liebte sie mit seelischer Pein; oft kam er verstört und traurig zu mir und sagte, er sei nicht Nataschas kleinen Finger wert; er sei gemein und schlecht, unfähig, sie zu verstehen, und ihrer Liebe unwürdig. Er hatte zum Teil recht: es bestand zwischen ihnen eine vollständige Ungleichheit; er fühlte sich ihr gegenüber wie ein Kind, und auch sie betrachtete ihn immer als ein Kind. Mit Tränen beichtete er mir seinen Verkehr mit einer Kokotte und bat mich zugleich, zu Natascha nichts darüber zu sagen; wenn er dann aber nach all diesen offenherzigen Mitteilungen schüchtern und zitternd mit mir zu ihr kam (ich mußte unbedingt dabeisein; er erklärte, nach seinem Vergehen fürchte er sich, sie anzusehen, und ich sei der einzige, der ihm eine Stütze sein könne), dann wußte Natascha schon beim ersten Blick, den sie auf ihn richtete, wie die Sache stand. Sie war sehr eifersüchtig, und ich begreife nicht, wie sie ihm trotzdem immer alle seine Leichtfertigkeiten verzeihen konnte. Der gewöhnliche Gang war dieser: Aljoscha trat mit mir zu ihr ins Zimmer, redete sie zaghaft an und blickte ihr mit schüchterner Zärtlichkeit ins Gesicht. Sie erriet sogleich, daß er etwas begangen hatte; aber sie ließ sich nichts merken, fing nie zuerst davon zu reden an, fragte nach nichts, sondern verdoppelte vielmehr sogleich ihre Freundlichkeit gegen ihn, wurde noch zärtlicher und heiterer – und das war von ihrer Seite nicht etwa ein bloßes Spiel oder durchdachte Schlauheit; nein, für dieses wundervolle Geschöpf war es die höchste Wonne, zu verzeihen und Nachsicht zu üben; wenn sie ihrem Aljoscha verzieh, so war es, als finde sie schon in der Handlung des Verzeihens an sich einen besonderen, feinen Genuß. Allerdings handelte es sich damals nur erst um Damen der Halbwelt. Sobald Aljoscha sie so milde und zur Verzeihung geneigt sah, konnte er sich nicht mehr halten und beichtete sofort alles von selbst, ganz ohne gefragt zu werden, um sein Herz zu erleichtern, und damit, wie er sich ausdrückte, alles wie vorher sei. Nachdem er Verzeihung erlangt hatte, geriet er in Entzücken, weinte manchmal sogar vor Freude und Rührung, küßte und umarmte sie. Dann wurde er sofort ganz heiter und begann mit kindlicher Offenherzigkeit alle Einzelheiten seiner Abenteuer mit dem betreffenden Dämchen zu erzählen, lachte fortwährend, lobte und pries dankbar Natascha, und der Abend verlief glücklich und vergnügt. Als ihm das Geld ausging, begann er, von seinen Sachen zu verkaufen. Auf Nataschas dringendes Verlangen wurde eine kleine, billige Wohnung gesucht und der Umzug nach der Fontanka bewerkstelligt. Der Verkauf von Sachen wurde fortgesetzt; Natascha verkaufte sogar ihre Kleider und suchte sich Arbeit; als Aljoscha dies erfuhr, kannte seine Verzweiflung keine Grenzen; er verfluchte sich selbst, rief, daß er sich selbst verachte, trug aber trotzdem nichts zur Besserung der Lage bei. Gegenwärtig war es auch mit diesen letzten Hilfsmitteln zu Ende; es blieb nur die Arbeit übrig; aber die Entlohnung dafür war eine höchst geringe.

Gleich von Anfang an, schon damals, als Aljoscha noch bei seinem Vater wohnte, hatten Vater und Sohn miteinander heftigen Streit gehabt. Die Absicht des Fürsten, seinen Sohn mit Katerina Fjodorowna Filimonowa, der Stieftochter der Gräfin, zu verheiraten, war damals erst ein bloßes Projekt; aber er verfolgte dieses Projekt hartnäckig, führte Aljoscha zu seiner künftigen Braut hin, redete ihm zu, er möchte sich Mühe geben, ihr zu gefallen, und suchte sowohl durch Strenge als auch durch Vernunftgründe auf ihn einzuwirken; aber die Sache scheiterte an dem Widerstand der Gräfin. Damals begann der Vater auch die Liaison seines Sohnes mit Natascha stillschweigend zu dulden; er stellte alles der Zeit anheim und hoffte, da er Aljoschas Leichtsinn und seine Flatterhaftigkeit kannte, daß seine Liebe bald vergehen werde. Daß sein Sohn Natascha heiraten könne, dies befürchtete der Fürst fast gar nicht mehr. Was die beiden Liebesleute selbst anlangt, so verschoben sie die Heirat bis zur förmlichen Versöhnung mit dem Vater und überhaupt bis zu einem Umschwung der Verhältnisse. Übrigens sprach Natascha offenbar nicht gern darüber. Aljoscha teilte mir im geheimen mit, daß sein Vater sich über dieses Verhältnis sogar ein bißchen zu freuen scheine: was ihm bei dieser ganzen Sache gefiel, war die Demütigung Ichmenews. Der Form wegen fuhr er jedoch fort, dem Sohn seine Unzufriedenheit zu bezeigen: er verringerte dessen ohnehin schon nicht bedeutendes Taschengeld (er war ihm gegenüber außerordentlich knauserig) und drohte, es ihm ganz zu entziehen. Aber bald darauf reiste er der Gräfin nach Polen nach, wo diese damals geschäftlich zu tun hatte, und suchte dabei immer noch unermüdlich sein Heiratsprojekt zu fördern. Allerdings war Aljoscha eigentlich noch zu jung zum Heiraten; aber das junge Mädchen war doch gar zu reich, und eine so günstige Gelegenheit durfte man sich nicht entgehen lassen. Der Fürst gelangte endlich zum Ziel. Es drangen Gerüchte zu uns, daß die Heiratsangelegenheit endlich in Ordnung komme. Zu der Zeit, bei der meine Erzählung angelangt ist, war der Fürst eben erst nach Petersburg zurückgekehrt. Seinem Sohn begegnete er mit Freundlichkeit, war aber unangenehm davon überrascht, daß dessen Verhältnis mit Natascha so festen Bestand hatte. Er begann Zweifel und Besorgnisse zu hegen. Streng und energisch verlangte er den Abbruch dieser Beziehungen, verfiel aber bald auf ein viel wirksameres Mittel, indem er Aljoscha zur Gräfin führte. Die Stieftochter derselben war teils schon eine schöne junge Dame, teils noch ein Backfisch; sie besaß ein prächtiges Herz, eine reine, makellose Seele und war heiter, verständig und voll Empfindung. Der Fürst rechnete so: das halbe Jahr müsse doch seine Wirkung getan haben; Natascha habe wohl für seinen Sohn nicht mehr den Reiz der Neuheit, und dieser werde seine künftige Braut jetzt schon mit anderen Augen ansehen als vor einem halben Jahr. Er hatte damit das Richtige getroffen, wenn auch nur zum Teil . . . Aljoscha fühlte sich zu Katerina Fjodorowna in der Tat hingezogen. Ich füge noch hinzu, daß der Vater auf einmal gegen seinen Sohn außerordentlich freundlich geworden war (Geld gab er ihm allerdings darum doch nicht). Aljoscha fühlte, daß sich hinter dieser Freundlichkeit ein unbeugsamer, unabänderlicher Entschluß verbarg, und war betrübt darüber, übrigens nicht so betrübt, wie er es gewesen wäre, wenn er nicht hätte Katerina Fjodorowna alle Tage sehen können. Ich wußte, daß er sich schon seit fünf Tagen bei Natascha nicht hatte blickenlassen. Während ich von Ichmenews zu ihr ging, suchte ich voller Unruhe zu erraten, was sie mir wohl sagen wolle. Schon von weitem bemerkte ich eine Kerze in ihrem Fenster. Wir hatten schon seit geraumer Zeit die Verabredung getroffen, sie solle eine Kerze ins Fenster stellen, wenn sie mich dringend zu sprechen wünsche, so daß ich, wenn ich zufällig vorbeikam (und das geschah fast täglich), an der ungewöhnlichen Helligkeit des Fensters erkennen konnte, daß sie mich erwartete und meiner benötigte. In der letzten Zeit hatte sie die Kerze recht häufig ins Fenster gestellt.

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